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SPIEGEL-Bestsellerautor Markus Heitz führt alle Fans der Albae in neue Abenteuer und enthüllt die Geschichten, die in den Romanen noch nicht erzählt wurden - Geheimnisse werden gelüftet, Schicksale geklärt und von legendären, vergessenen Taten der dunklen Geschöpfe berichtet.
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Vollständige E-Book-Ausgabe 1. Auflage 2013
ISBN 978-3-492-96245-2
© Piper Verlag GmbH 2013 © 2013 Markus Heitz vertreten durch: AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur www.ava-international.de Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Albae-Anthologie
DIE LEGENDEN DER ALBAE
- Die Vergessenen Schriften -
V
Dies sind die Vergessenen Schriften.
Sie erzählen von den bekannten und unbekannten Helden meines Volkes.
Von den größten Geschichtenwebern, den herausragendsten Künstlern.
Aber auch von den schrecklichsten Feinden und den innigsten Freunden.
Legenden, Geschichten, Märchen, Gedichte, Lieder
- sie wurden von mir gesammelt, dem Untergang entrissen und bewahrt, damit sie nicht gänzlich verloren gehen.
Wir Albae mögen unsterblich sein, und doch können wir vergessen werden.
Du, der diese Werke liest, schließe sie in dein Herz und halte sie. Halte sie sicher, trage sie weiter.
Verkünde sie und lasse sie erklingen.
DAS ist wahre Unsterblichkeit!
aus den Vergessenen Schriften,
gesammelt und aufgezeichnet von
Carmondai
Die Ode an die Zehn
(unbearbeitet, unvollendet, mangels Nachricht)
»Hinauf, in die Welt des Eises,
wider Felsgestein und Bergesmacht!
Dem Feinde nach,
mit Tions schwarzhartem Herz
und Inàstes tödlicher Anmut.
Doch der Felsen Zorn
erdrückte das erste Leben.
Hinterhalt half gegen Tapferkeit,
der erste Sieg ward teuer bezahlt.
Die Leben schwanden.
Der Wille ungebrochen,
von Hass gestärkt.
Schonungslos gegen sich,
geeint und einig:
Die Elben mussten fallen!
Tapferkeit, Ehre und
Zusammenhalt.
Das zeichnete die Zehn aus.
Ihr Edelmut
ließ sie sich opfern,
einer für den anderen,
damit der Bessere überlebte.
Um den Feind zu stellen,
und töteten furchtlos
jegliches Scheusal,
das sie hinderte.
Nichts vermochte
die Zehn zu entzweien.
Ihr Lohn war
der Tod, der ihren Namen trug.
Elb um Elb fiel,
ihr Blut tränkte den Schnee.
Die Zehn errangen
einen großen Sieg,
und verloren dabei nicht ein Leben.
Und als …
Wahrlich, ich bin auch nicht zufrieden mit der bisherigen Ode.
Ihr fehlt es noch an allem!
Ich hätte zu gerne vollendet, was ich begann, oder umgeschrieben, um die Ode dem anzupassen, was man mir berichtete, aber ich konnte den Weg der Zehn nur bis nach Güldenwand aufdecken.
Danach ist es, nun, meiner dichterischen Freiheit anheimgestellt, ihre Taten zu besingen, die sie für die Dsôn Aklán vollbrachten.
»Hinauf, in die Welt des Eises,
wider Felsgestein und Bergesmacht.
Zogen sie los, dem Feinde nach,
mit Tions schwarzhartem Herz
und Inàstes tödlicher Anmut.
Tark Draan (Geborgenes Land), nordwestlich von Dsôn Bhará, 5434. Teil der Unendlichkeit (6310. Sonnenzyklus), Frühling
»Da drüben ist ein Gehöft«, rief Artâgon nach hinten über die Schulter. »Da finden wir, was wir brauchen.« Er lenkte den Nachtmahr hinunter von dem steinigen Pfad, auf dem er und seine Truppe mit einigem Abstand hintereinander ritten. Der Atem der Rappen ging schwer, sie waren die Höhe nicht gewohnt, und auch den Albae bereitete das Luftschöpfen allmählich Schwierigkeiten. Dabei sind wir noch weit vom Gipfel entfernt.
Die neun Kriegerinnen und Krieger folgten ihm über die Wiese mit dem langen Gras, das im eisigen Wind wogte wie ein fahlgrünes Meer.
Keine hundert Schritt oberhalb lag Schnee, und er türmte sich weiter auf, je länger sie dem Pfad folgten, wie Artâgon bemerkte.
Nützen uns die Nachtmahre dann noch? Die Tiere ernährten sich überwiegend von Fleisch, sehr viel Fleisch, und das würden sie in den nächsten Momenten der Unendlichkeit sicherlich nicht erjagen. Hungrige Nachtmahre konnten durchaus zur Gefahr werden.
»Was fertigen Barbaren an, das uns diente?«, rätselte Ôdaras laut.
»Sie haben Fleisch an den Knochen«, erwiderte Artâgon. »Das dient schon mal unseren Nachtmahren.«
Die Veteraninnen und Verteranen lachten leise.
Der Benàmoi beabsichtigte, die Truppe mit Fellen, Pelzen, Seilen und weiteren Ausrüstungsgegenständen einzudecken, die man benötigte, wenn man hoch in die Berge stieg.
Er gehörte neben Modôia und Phasâlor zu denjenigen, welche in Dsôn Sòmran gelebt hatten und ein wenig um die Tücken der Gebirge wussten, was sie aber nicht zu erfahrenen Kletterern machte.
Mit seinen einundvierzig Teilen der Unendlichkeit war er der Älteste der Einheit, die sich auf Geheiß der Dsôn Aklán Firûsha auf den Weg machte. Sie hatten die Barbarenstadt Güldenwand lange hinter sich gelassen und ritten den Pfad zur Spitze der Zackenkrone hinauf, der voll Geröll war und tückische Abbruchkanten aufwies.
Ihre Mission hatte zwei Ziele: die Gruppe Elben zu verfolgen und zu töten sowie einen Weg durch das Graue Gebirge nach Ishím Voróo zu finden.
Artâgon glaubte bislang nur daran, dass sie die Feinde stellten und auslöschten. Einen Weg durch die Klüfte, Abgründe und vorbei an den Hängen zu entdecken betrachtete er als recht aussichtslos. Der Gebirgsgürtel, der Tark Draan umschloss, bildete ein Bollwerk, zumindest im Norden, durch das nur die Tore der Unterirdischen führten.
Und selbst wenn es einen Pfad gäbe – wie viele Krieger konnten ihn nutzen? Ein Heer würde niemals darauf ziehen können, ohne immense Verluste hinzunehmen.
Aber der Aklán widersprechen? Artâgon lockerte seinen schlanken, doch tödlichen Streitkolben an der Sattelhalterung. Undenkbar.
Die fünf flach gebauten Steinhütten rückten näher, eine große Herde Ziegen und eine Handvoll Kühe standen davor. Die Tiere fraßen das frische Grün, hoben ab und zu den Kopf, und die Glöckchen um die Hälse bimmelten leise.
Artâgon verzog den Mund. Furchtbar. Wie kann man diese Töne ernsthaft hören wollen?
Die Böen wehten den Neuankömmlingen entgegen, und so konnten Kühe und Ziegen die Witterung der Nachtmahre nicht aufnehmen. Sollte das geschehen, würde der Fluchttrieb ausgelöst.
Als sie sich näherten, machte Artâgon einen jungen Barbaren aus. Er saß mit dem Rücken zu ihnen auf einem großen Felsbrocken und überblickte die Weide, zwei große, grobgliedrige Hütehunde lagen neben ihm.
Artâgon gab das Zeichen, damit die Truppe rechts und links von ihm auffächerte und eine lange Linie bildete, um Flüchtende sofort zu verfolgen und zu stellen. Ich bin gespannt, ob unser Ruf bereits bis zu ihnen drang.
Die Hunde vernahmen die Albae zuerst und wandten die Köpfe, woraufhin der Junge aufsah und zusammenzuckte.
Artâgon lächelte kalt und wusste, dass sie Eindruck machten: Eine Wand aus schwarzen Rüstungen rückte gemächlich heran, die langen Speere aufgereckt und mit flatternden Wimpeln an den Spitzen, auf finsteren Nachtmahren mit ihren glimmenden Rubinaugen und den Blitzen um die Fesseln. Das Entsetzen lähmte den kleinen Hirten und bannte ihn auf den Stein, auf dem er saß.
Auch an diesem abgelegenen Ort sind wir bekannt, dachte der braunhaarige Artâgon.
Die Hunde erhoben sich mit eingekniffenem Schwanz und zogen sich zu den Hütten zurück.
Da schlug der Wind um und schien vor den Albae zu fliehen, trug den Geruch der fleischfressenden Rappen zur Herde.
Als wären die Kühe und Ziegen vor einem lauten Knall erschrocken, flohen sie gleichzeitig. Lediglich vier Tiere suchten Schutz in den Stallungen, der Rest verschwand hinter einer Kuppe.
Der Junge zitterte am ganzen Leib.
Artâgon schloss zu seinem Hochsitz auf und hielt an, bedeutete Ôdaras, sich mit der restlichen Truppe rasch zum Gehöft zu bewegen. »Du verstehst mich?«, erkundigte er sich in der Gemeinsprache von Tark Draan, die er ebenso grausig fand wie die schrägen Glockentöne, die sich nun glücklicherweise in der Ferne verloren.
Der Junge nickte langsam, die Augen zuckten. Die verängstigten Blicke huschten über das Antlitz des Albs, die Rüstung sowie die feinen Intarsien, den Nachtmahr und dessen scharfe Reißzähne, die er mit einem leisen Schnauben zeigte, und schließlich auf den Streitkolben, um den Artâgon eben die Finger schloss. Der Panzerhandschuh klickte, für normale Ohren kaum wahrnehmbar.
»Wir suchen eine Gruppe Elben.« Er zog die Waffe langsam aus dem Futteral und legte das schwere Ende behutsam unter das Kinn des Barbarenkindes. Die kurzen Stacheln drückten sich in die Haut, durchdrangen sie jedoch nicht. »Kamen sie zu euch?«
Der Junge musste all seinen Mut zusammennehmen, um erneut aufzusehen, und starrte in die bedrohlich schwarzen Augen. Er schluckte, schwieg.
Leise strich der Wind über sie hinweg und brach sich an der Rüstung sowie dem Helm. Ein helles Sirren erklang für mehrere Herzschläge.
Gleich darauf ertönte gedämpftes Rufen vom Gehöft, ein Signalhorn spie einen einzigen Ton aus und verstummte abrupt.
Aber der junge Hirte konnte den Blick nicht lösen. Sein Zittern hatte sich verstärkt, eine Träne rann über die schmutzige Wange.
»Ich kann die Antwort auf meine Frage in deinem Gesicht ablesen, Knabe«, sprach Artâgon leise. »In welcher Verfassung waren sie?«
Ein lauter Schrei erklang von den Hütten, gefolgt von dem verzweifelten Kreischen einer Frau, doch der Junge rührte sich immer noch nicht. Die Angst bannte und die Stacheln banden ihn.
Dann knallte eine Peitsche hell und stechend, und wieder ertönte ein Schrei.
Artâgon dirigierte den Nachtmahr mittels Schenkeldruck, ohne sich dabei sichtbar zu bewegen, sodass der Kopf mit den Glutaugen und den tödlichen Zähnen näher an den Hirten gelangte; aus den sich blähenden Nüstern schoss die Atemluft gegen ihn.
»Vor dir steht dein Gott, Knabe: Ich habe die Macht, deine Familie auszulöschen. Niemand wird sich interessieren, niemand wird euch zu Hilfe kommen oder gar so etwas wie Vergeltung fordern. Ihr werdet einfach nicht mehr existieren, und bald hat man euch vergessen«, sprach er gelassen. »Das Schicksal traf bereits viele in Tark Draan, die sich uns in den Weg stellten.« Er drückte nun mit dem Streitkolben so fest zu, dass die Spitzen unterhalb des Kinns ins Fleisch stachen. »Gegenwärtig versuchst du, dich in meinen Weg zu stellen. Das mag dir tapfer erscheinen, doch bedenke: Wie wird dieses Abenteuer für dich enden?« Blut sickerte aus den vielen kleinen Wunden und malte rote Linien auf die Kehle des Jungen. »Für dich und die Deinen?« Artâgon zog leicht an, und die Waffe riss die Haut Stückchen um Stückchen auf. »Sag mir: Wer wollte deinen Mut besingen, nachdem wir gegangen sind und alles töteten, was sich auf dem Gehöft befand?«
Die Peitsche traf erneut. Nun tönten Klagelaute von den Hütten herüber.
»Sie waren in guter Verfassung, Herr«, kam es über die trockenen Lippen des bleichen Hirten. »Herr, verschont uns! Wir haben nichts getan!«
Er hielt lange durch für sein Alter. Artâgon hob die andere Hand, und er war sich sicher, dass Modôia sein Zeichen gesehen hatte. Vorerst wurde das Auspeitschen unterbrochen. »Sagten sie, wohin sie wollten?«
»Zum Gipfel der Zackenkrone.«
»Sie kannten den Weg?«
»Nur grob, Herr. Sie führten eine Karte mit sich, die ich nicht lesen konnte. Aber …« Er biss sich auf die Lippe.
Artâgon hielt den Arm noch immer gereckt. »Sobald ich die Hand senke, wird Modôia fortfahren. Du wirst sie gleich kennenlernen. Sie ist eine Meisterin im Umgang mit der Klingenpeitsche und vermag einem ausgewachsenen Barbaren mit einem Hieb Gliedmaßen abzutrennen und den Hals zu durchschlagen.« Er senkte den Streitkolben, und sofort quoll Lebenssaft in kleinen Tröpfchen aus der Wunde. »Möchtest du erfahren, wie kunstvoll sie das zu Wege bringt? Dann sieh hinab, und ich werde …«
»Mein Oheim gab ihnen Ratschläge, welchen Weg sie stattdessen einschlagen sollten«, kreischte der Junge auf.
Artâgon zwang den begehrlich schnaubenden Nachtmahr, der das Blut gerochen hatte, zurück. »Dann komm von deinem Stein. Wir sollten uns mit ihm unterhalten. Spute dich!« Er ließ den kleinen Hirten vorangehen, der mehr schwankte als eilte.
Vor den Hütten hatte seine Truppe die Bewohner des Gehöfts zusammengetrieben. Fast zwanzig Barbarinnen und Barbaren knieten auf der Erde und warteten, wie die Albae entschieden. Die Speerspitzen und Modôia, die raubtiergleich mit der Peitsche in der Hand um sie kreiste, hielten sie gefügig.
Ein kräftiger Barbar lag mit dem Gesicht nach unten neben der Tür, die Klingen der Peitsche hatten ihm den Bauch aufgeschlitzt, die Gedärme lagen dampfend wie ein Haufen verschlungener Würste auf der Schwelle; in der Rechten hielt er das Signalhorn. Der Anblick des Toten hatte jeglichen Widerstand bei den übrigen Bauern gebrochen. Eine jüngere Barbarin sackte ächzend nach vorne, ihr Rücken zeigte lange, blutige Striemen.
Ich hoffe, der Tote war nicht der Oheim des Hirtenjungen. Artâgon war beeindruckt von Modôia. Es bedurfte enormer Geschicklichkeit, die dreiriemige, tückische Waffe derart zu schwingen, um die Getroffenen auf dem schmalen Grat zwischen Tod und Schmerzen wandeln zu lassen.
Er brachte seinen Nachtmahr vor den Gefangenen zum Stehen. »Ihr gewährtet einem Häufchen Elben Unterschlupf, wie ich hören musste«, erhob er die Stimme und bedachte Modôia mit einem Blick, damit sie Aufstellung hinter den Barbaren nahm.
Die Albin begab sich in deren Rücken, lockerte die Schulter ihres Schlagarms und vollführte eine leichte Bewegung, woraufhin die drei Riemen am Boden schlangengleich zuckten und lebendig wirkten. Sie schossen durch eine Lücke zwischen den Knienden und kamen klirrend vor aller Augen zum Liegen. Nur eine der drei Klingen war ohne Schutzkappe, doch es reichte, um spielend leicht zu töten; im oberen Teil war das Leder als Schutz gegen die Schneiden mit Draht umwickelt.
Ende der Leseprobe