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Dieses eBook: "Die Versuche und Hindernisse Karls" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Die Versuche und Hindernisse Karls ist eine Kollektivarbeit aus dem Kreise der Berliner Romantiker, eine Parodie auf den Dichter als historische Person (Jean Paul und Johann Heinrich Voß). Das gebildete Publikum dieser Zeit konnte viele Personen des öffentlichen Lebens im Roman wiedererkennen. Das Buch ist eine parodistische und romantische Geschichte des tragischen Antihelden Karls, seiner Herausforderungen, Abenteuer und Liebe. Friedrich de la Motte Fouqué (1777 - 1843) war einer der ersten deutschen Dichter der Romantik. Wilhelm Neumann, (1781-1834), war ein deutscher Lyriker, Erzähler, Kritiker, Herausgeber und Übersetzer sowie im Hauptberuf Beamter (Intendanturrat) im preußischen Kriegsministerium. August Ferdinand Bernhardi (1769-1820) war ein deutscher Sprachforscher und Schriftsteller. Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858) war ein deutscher Chronist der Zeit der Romantik bis zur Revolution 1848 und zum anschließenden Jahrzehnt der Reaktion außerdem Erzähler, Biograph, Tagebuchschreiber und Diplomat.
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Seitenzahl: 313
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Ein parodistischer Kollektivroman aus dem Kreise der Berliner Romantiker - Die Abenteuer eines tragischen Antihelden
Inhaltsverzeichnis
Schon in tiefster Stille lag die ganze Stadt; auf den leeren Gassen und Plätzen regte sich nichts als ein streifender Wind, von dessen Anstoße die Schilder an den Häusern hin und her schwankten und mit seltsamem Geräusch das Schweigen unterbrachen. Da sprang plötzlich in wildem Ungestüm Karl aus dem Bette, zündete Licht an, warf sich in seine Kleider, und nach einigem raschen Umhergehen in seinem Zimmer, verließ er es und zugleich das Haus, sorglos über die offengelassene Hausthüre, die er spät hinter sich von dem Winde zuwerfen hörte. Kalt wehte ihm die Nachtluft entgegen, widrig, feucht und erfüllt mit durchbebenden Gliederschauern. Die Wolken flogen düster vorbei, wenig nur von der Hellung des Mondes durchschimmert. Unerfreulich standen die Häuser in grauen Massen, ohne fröhlichen lebendigen Reiz, die schwarzen Fenster sahen herab wie dunkle Feindesaugen. Eilig durchschritt Karl die weiten Straßen, er zog sich in seine innere Gluth zurück vor den äußern Gewalten, die rauh aus ihn einbrachen, und er fühlte wenig die schneidende Luft; kaum sah er die häßliche, graue Dunkelheit auf seinem Pfad. Bald hatte er das Thor erreicht, wo die Schildwache zögernd und befremdet ihn hinausließ. Er hörte die Riegel inwendig wieder vorrasseln, und freudig, gleichsam als sei der Kerker wieder geschlossen, ohne ihn mehr einzuschließen, ging er mit starken Schritten auf ein dichtes Gehölz zu, das wenig seitwärts des großen Weges seine dunkeln Schatten verbreitete, und sich, nachdem es einige Anhöhen bekleidet, in eine weite Ebene ausdehnte.
Als er die ersten Bäume erreicht hatte, und sanftere Luft ihn anwehte, stand er mit einemmale still, wandte sich und blickte finster zur Stadt zurück, die, eine feierliche Gestalt, ruhig dastand, und mit ihren Thürmen in dem umwölkten Himmel verwebt schien. Er schaute hinab, und sah alle Bilder der Erinnerung dort sich regen, beschäftigt, die vergangenen Tage noch einmal mit ihm durchzuleben; ihm däuchte, sie folgten ihm nach, um ihn fest zu verstricken, die alten Schmerzen sah er wehmüthig heraufsteigen, aber die Freuden, welche schamlos und lachend auf ihn zueilten, erblickte er mit starrem Grimm. Jetzt brach der Mond auf einen Augenblick hervor, daß Karls Gesicht hell erleuchtet wurde, und unwillkürlich zum Himmel sich aufrichtete, der seinem Auge einen sanften Strahl der Wehmuth entlockte, ohne jedoch jene Schreckbilder aus seinem Sinn zu bannen. Mit Heftigkeit wandte sich Karl wieder ab, sprang in die Gebüsche, und verlor sich in die dichten Schatten. Den Pfad konnte er nicht leicht verfehlen, dessen Krümmungen waren ihm bekannt, und hin und wieder, wo lichteres Laub ihn überdeckte, zeigte er deutlich seinen weißlichen Streif. Härter stets und härter trat Karl den Boden, in Fußtritten die innere Wuth auslassend, sein Gang war beinah zum Lauf gesteigert. Die Brust wogte heftig, das Blut strömte in die Wangen sich an der vorbeiwehenden Luft zu kühlen, alle Glieder waren in gewaltiger Bewegung.
Mit freudigem Erschrecken vernahm er jetzt in seiner Nähe plötzliches Geklirr von Waffen, das mit verschiedenen Stimmen, die harte Drohungen ausstießen, vermischt durch die Waldung schallte. Ohne zu wissen, was er eigentlich wollte, getrieben von wilder Lust, begehrte er Theil an dem Kampf. Er war bewaffnet; mit gezogenem Degen eilte er nach der Gegend hin, woher das Geklirr und die Stimmen zu kommen schienen. Bald hinderten Gesträuch und herabhängende Zweige ihn an schnellem Vordringen; mit der Linken die Zweige wegbiegend, den Degen vorhaltend mit der Rechten, arbeitete er sich mühsam weiter. Die Stimmen schwiegen, nur die Waffen klangen von heftigen Streichen, und schon glaubte er die Degen der Fechtenden blitzen zu sehen: aber das zertretene Gesträuch, die brechenden Zweige verriethen zu früh seine Ankunft, und geschreckt entfernten sich die Kämpfer immer mehr: das Geräusch verlor sich endlich ganz in dem steigenden Rauschen eines Quells, zu welchem Karl in vergeblicher Verfolgung jetzt gelangt war.
Was der Zufall ihm so unerwartet geboten hatte, seinen vorigen Gang unterbrechend, ließ er jetzt gleichgültig fahren, da der Zufall es wieder entzog, und rückwärts gewandt war er ganz der früheren Stimmung hingegeben. Er steckte den Degen ein, und folgte, in seinen Mantel gehüllt, dem leisrauschenden Lauf des Quells, der ihn über eine frische Wiese, die von Bäumen umgeben war, zu dem Fuß eines Hügels führte, der von dieser Seite das Gehölz begrenzte. Aus der Mitte ragte ein Landhaus aus einem Garten hervor, dessen hohe Bäume im Winde schwankten. Karl sprang behend über die Umzäunung, und schritt nachdenklich und langsam durch einen Buchengang dem Hause zu, wo in einem der oberen Fenster ein spärlicher Schimmer zu sehen war, indem die herabgelassenen Vorhänge den vollen Schein umhüllten. Er war unschlüssig, ob er bleiben oder weggehen sollte, zweifelnd ging er auf und ab. Endlich war er entschieden, und warf nun mit kleinen Steinchen sacht an die Fensterscheiben, hinter denen das Licht schimmerte. Das leise Klirren wurde bald vernommen, der Vorhang bog sich zurück, und eine Dame öffnete das Fenster.
„Oeffne die Seitenthüre, Sophie!“ rief Karl hinauf, und als die Antwort zögerte, wiederholte er seinen Ruf mit fast lauter Stimme.
„Um Gotteswillen“, flüsterte die Dame, „sprich leise, mein Karl, was hast du gewagt, in dieser Nacht hierher zu kommen! Du bist ungestüm, mein Geliebter, und setzest unsre Liebe schlimmen Gefahren aus.“
„Laß mich ein!“ sagte Karl halb bittend.
„Nimm diesen Kuß, mein theurer Freund“, erwiederte die Dame, indem sie die Hand ihm zuwarf, „und entferne dich eilig; du weißt, der Baron ist hier, die geringste Bewegung kann ihn erwecken, dann sind wir beide verloren; morgen aber send' ich dir gewisse Botschaft.“
„O Sophie, sagte Karl in schmerzlichem Tone, daß es dich nicht gereuen möge, mich fortgeschickt zu haben! Wer weiß, was die nächste Stunde für Schicksale bringt, die auf morgen und übermorgen und auf lange Zeit unsre Bande trennen; drum nimm in deine Arme mich auf, da es vergönnt ist. Ich beschwöre dich, zögere nicht länger, wenn du nicht willst, daß ich selber die bösen Ahnungen wahr mache, und bis zum hellen Morgen unter diesen Bäumen bleibe, jeder Gefahr zu trotzen genöthigt durch deine Härte, denn mein verzehrendes Leid wird mir nicht gestatten, so von hier zu weichen.“
Sophie eilte mit einem leisen, „Ich komme!“ vom Fenster hinweg, und bald hörte Karl in der kleinen Thüre den Schlüssel gedreht werden; er sprang hinzu und schlüpfte leise hinein. Ein Kuß verschloß ihm den Mund, da er reden wollte, und schweigend ging er umschlossen und geleitet von dem weichsten Arm die dunkle Treppe hinauf. Sie traten in das Gemach, Sophie zitternd am ganzen Leibe, mit Mühe die Thränen zurückhaltend, Karl mit finsterem Blicke, doch dem äußern Scheine nach ruhig. Liebevoll blickte Sophie ihm in die Augen, aber sie heiterte den trüben Blick nicht auf; kaum schien er zu bemerken, wie ihr Auge an dem seinigen hing, und nicht länger vermögend, ihrem überschwellenden schmerzlichen Gefühl die Thränen zu versagen, verbarg sie ihr Haupt an seiner Brust, und drückte fest mit den Armen ihn an ihre Seite. Er aber, ohne das Leid zu bemerken, das der Geliebten den Busen überströmte, da sie wohl erkannte, wie nicht Liebe, sondern ein innerer Kampf, der ihn jener sogar vergessen mache, ihn zu ihr geführt habe, sagte endlich, indem er mit beiden Händen den schönen Kopf ihr erhob, freundlich blickend:
„Theure Sophie, morgen hätte mich deine Botschaft nicht getroffen.“ Ungeachtet der Gleichgültigkeit, womit er diese Worte auszusprechen suchte, klang doch ein geheimes Schaudern in ihnen, welches Sophien erschreckte. Doch verbarg sie dieses, und fragte mit sanftem Wesen nach der Ursache.
„Wie du gleich auffährst und in Besorgniß die Sinne verwirrst!“ versetzte Karl mit einiger Gezwungenheit. „Nur auf wenige Tage ruft mich eine Geschäftsreise ab, die ich meinem Vater nicht abschlagen konnte; beruhige dich, mein süßes Leben, höchstens in zwei Wochen seh ich dich wieder; wie könnt' ich auch selber deines Anblicks lange entbehren? Ich komme sicher wieder.“ Dabei ergriff er sie heftig, und drückte einen glühenden Kuß auf ihre Lippen.
Jetzt war in Sophien's Seele über sein Vorhaben kein Zweifel mehr; die Art, wie er auf ihre Unruhe rechnete, ohne daß sie dieselbe gezeigt hätte, und das Gewaltsame seiner eigenen Stimmung, das ihn verhinderte, jenen Umstand zu bemerken, überzeugte sie schnell, daß er auf immer sie verlassen wolle. Sie erinnerte sich, daß er bereits längere Zeit in seltsamer Unruhe geschwebt und durch kalte Verschlossenheit ihren liebenden Sinn oftmals in den glücklichsten Stunden gekränkt habe. Mit trübem Blick sagte sie die schmerzlichen Worte: „Karl, o Karl, du liebst mich nicht, du gehst auf immer!“
Seine Arme umfingen die Hinsinkende. Er trug sie auf das Sopha, faßte ihre Hände, drückte den schönen Leib, und bedeckte sie mit tausend Küssen, um sie ins Leben zurück zu rufen. Sie schlug die Augen auf, und blickte ihn mit unendlichem Schmerz an; zitternd wehrte sie den Liebkosungen, die sie nicht mehr für wahrhaftige erkannte. Ihre Haare flossen aufgelöst um den schönen Busen, der offen und entblößt ihm entgegen wallte; die schwarzen Locken schwammen auf der Weiße des Busens, beide wetteifernd einander an Reiz erhebend. Von einer wilden Gluth fühlte sich Karl entzündet, nie dünkte ihm das geliebte Weib so schön gesehen zu haben.
„Ich dich nicht lieben, o Sophie!“ rief er aus und stürzte zu ihren Füßen nieder; „o himmlisches Weib, wer in deinen Himmel geschaut, kann diesen nimmer lassen, er bleibt in ewiger Sehnsucht dein. Sieh diese Augen, aus dunkler Nacht strahlen sie Licht und Gluth, diese zartblühenden Wangen, die unter dünner Decke einen schlummernden Genius verhüllen, die frischen, süßen Lippen, seligen Giftes voll; wirf einen Blick auf die schlanke, bewegte Gestalt, das üppige Leben jedes Gliedes, die Seligkeit dieses Busens, in dessen Schnee meine Lippen ein neues Feuer empfangen, und frage, dann frage, ob es möglich ist, dich nicht zu lieben, wie eine Bewohnerin des Himmels dich anzubeten!“
Sie blickte ihn wehmüthig an, durch ihre Thränen blickte Liebe und Haß, und jemehr dieses ungestüme Liebesfeuer sie gewiß machte, daß er sie nicht mehr liebe, je tiefer verwundete es ihr Herz, daß diese schöne Begeisterung nur ein erlogener Schein sei. Heftig stieß sie ihn zurück, da er kühner sie umarmen wollte; er einem Rasenden gleich, verzweiflungsvoll, daß in demselben Augenblick, der ihn aufs neue zu heißer Liebe, und, wie er glaubte, nun für ewig, entflammt hatte, die Geliebte ihn verstieß, drang mit aller Gewalt auf sie ein, und sein süßes Reden, seine Thränen, die inbrünstigen Bitten hätten sie bezwungen; hingegeben der neuen Hoffnung in dem Taumel der Sinne, wäre sie um so schrecklicher erwacht zu verlassener Einsamkeit, wenn nicht ein neues Ereigniß ihr die Schmach des letzten Genusses hätte nehmen wollen. Der Baron, Sophien's Gemahl, trat wüthend in das Zimmer, mit gezogenem Degen drang er auf Karl ein, der kaum Zeit hatte, sich in Vertheidigungsstand zu setzen; es begann ein hitziges, aber kurzes Gefecht. Der Baron wurde von einem Stich in die Brust niedergestreckt. Karl drang entschlossen durch die Leute, die auf den Lärm herbeieilten, zerschlug unten ein Fenster, und rettete sich in den Garten, von wo er leicht das Gehölz erreichte, dessen Dunkelheit ihn seinen Verfolgern entzog.
Inhaltsverzeichnis
Die tobenden Gefühle, die Karl's Gemüth vorher aufgewühlt hatten, waren jetzt verstummt und gleichsam gelähmt, als hätten sie in dieser wilden Scene sich Luft gemacht, um ihn in einer starren Betäubung zurückzulassen. Ohne einen Blick zurückzuwerfen auf das Vergangene, schritt er dumpf und finster durch die trübe Nacht nach der Stadt zurück. Nur noch der eine Wunsch blieb lebendig in ihm, den alten Aufenthalt zu verlassen, der ihm so verhaßt geworden war, und nur in weiter Ferne sah er ein neues lebendigeres Leben vor seinen Blicken schimmern, dem er entgegen eilte. Schnell ging er zurück in seine Wohnung, sattelte sein Pferd und eilte mit der Dämmerung davon. Rasch und ununterbrochen verfolgte er seinen Weg, bald erreichte er die Gränze, und schon am Abend eine ansehnliche und freundliche Stadt, wo er vor aller Nachsetzung sicher war und seine Pläne für die Zukunft ungestört überdenken konnte.
Als er einen Gasthof gefunden, gab er, ohne eine Sylbe zu reden, sein Pferd ab, folgte dem Diener, der ihm ein Zimmer anwies, und antwortete nichts auf die Frage, ob er Licht befehle. Der Diener verließ trotzig das Zimmer, und ließ ihn im Dunkeln. Er saß eine Zeit lang hinbrütend, ohne Regung, ohne Gedanken, bis ihn endlich das Fremde und Unheimische der Umgebung aus seiner Stumpfheit riß; sein Unmuth erwachte jetzt um so lebhafter, und er fühlte es schmerzlich, wie diese dunkle unerkannte Unruhe in seinem Gemüthe für ihn und für seine Liebsten ein Keim des herbsten Unglücks sei, der nun schon so bittere Früchte erzeugt habe, und er war nahe daran, diesem Tadel gegen sich selbst laute Worte zu geben, als er im anstoßenden Zimmer Stimmen vernahm.
Das Gespräch, wovon er, wegen der dünnen Wand und der Thür darin, jedes Wort verstand, ging über die Geschichte und die Kunst, sie zu schreiben, und wurde eben so einsylbig von der einen, als weitschweifig von der andern Stimme geführt. Letztere schien indeß alles, was sie zum Lobe dieser Kunst sagte, nur als Einleitung zu brauchen zu einem Kunstwerke, das sie dem andern Gesprächführer, seiner kalten Aufnahme, seinem Abwehren und Ausweichen und seiner Langenweile zum Trotz sogleich vorlas. Es war ein biographisches Kunstwerk und hub so an:
„Hans Striezelmeier wurde in dem Dorfe Hackenweil in der Grafschaft Henneberg geboren. Sein Vater Michel, nicht großen Gutes Erb, aber des höchsten (Tugend, des Armen Trösterin, schmückte die Striezelmeier seit Menschengedenken), nicht hohen Standes, aber hoher Frömmigkeit (sein Herz war unverwandt auf Gott gerichtet), arbeitsam, reinlich, alter Sitte Freund, treu der Vater Glauben, nicht abgeneigt sittsamem Scherze nach vollbrachter Tagsarbeit, stets aufgeweckt (Freunde der Laune mochten ihn lieben), strebte, zu höherer Geistesbildung, als ihm selber Stand und Vermögen vergönnt hatten, Hansen zu erheben. Der Knabe, muntern Sinnes, zeigte frühe Neigung zum Ruhm und dem Ansehn, eigner Anstrengung und kräftigen Strebens Preis: dem Prediger gleich zu werden, sagte er, mindstens dem Küster, sei seiner Bestrebungen Ziel. Da beschloß der Vater, einen Mann zu bilden aus ihm, dem Staat eine Stütze, Brustwehr der Kirche, alles Edeln und Schönen muthigen Anhänger, mit gründlicher Gelehrsamkeit nicht minder als brennendem Eifer gerüstet. Dem Schulmeister Peter Dudelfeld, offnen, freien Sinnes, an Kenntnissen reich für seinen Kreis, ward die Sorge für Hansen's Erziehung übertragen. Das Werk gedieh. Es wuchs zusehends der Knabe an mannichfaltiger Erkenntniß und Kraft eignen Urtheils, ungewöhnlich so zartem Alter, bewundernswürdiger durch den Mangel an Hülfsmitteln. Der Prediger bemerkte ihn: Zacharias Schwarzkopf hieß der Edle, nun Verewigte, dessen Angedenken....“
Die eigne Lebensbeschreibung Striezelmeier's, die ein geschickterer Biograph in die wenigen Worte: er war eines Bauern Sohn und studirte auf der Universität — zusammengedrängt hätte, würde beide Zuhörer noch lange ermüdet haben, wenn sie nicht durch den Markör, der sie zu Tische rief, gerettet worden wären.
Karl begegnete seinen Nachbarn an der Treppe und erkannte sogleich den Vorleser, dessen flache Gesichtsbildung eine wunderliche Mischung von Traurigkeit und Freude ausdrückte, weil der Verdruß, daß er nur so wenig von seinem Kunstwerke hatte vorlesen dürfen, noch im Kampfe mit der Aussicht auf das nahe Abendessen war. Der andere, ein Mann von regelmäßigen Zügen, und wie es schien, etwa vierzig Jahr alt, trug russische Uniform. Karl erwiederte seinen Gruß höflich, und durch seine äußerst feine und interessante Bildung angezogen, setzte er sich neben ihn zu Tische. Durch Striezelmeier's Anrede erfuhr er, daß er Obrist sei. Sein Gespräch zeugte von ausgebreiteten Kenntnissen und gebildetem Geiste; an den Begebenheiten der Zeit, über die er mit Freimütigkeit und Feuer urtheilte, schien er selbst bedeutenden Antheil genommen zu haben, und wohl noch zu nehmen. Der heftige Schmerz, der Karl's Gemüth noch bewegte, hinderte ihn, an dem Gespräche sehr lebhaften Antheil zu nehmen, und war auch sichtbar genug, um dem Obristen aufzufallen, der sich dies jedoch nicht merken ließ, und nur um so feuriger seine Rede an ihn richtete, um seine tiefe Traurigkeit etwas zu zerstreuen.
„Woher mag es kommen“, fragte Striezelmeier, „daß unter Menschen, die weniger mit einander bekannt und vertraut sind, das Gespräch sich so leicht auf die Politik lenkt?“
„Es ist, sagte der Obrist, eine den Menschen angeborne Neigung, an dem Leben des Ganzen auch mit dem Geiste den thätigsten Antheil zu nehmen. Die politischen Begebenheiten sind die auffallendsten Aeußerungen dieses Lebens. Jeder strebt sie mit seiner Weltansicht zu vereinigen, sie von ihr aus zu erklären, und dies ist der allgemeinste Berührungspunkt der Menschen. Ich bin weit entfernt, das leere und meist sinnlose Politisiren in Schutz zu nehmen, aber doch ist es schön, zu sehen, wie auch selbst in den gemeinsten Naturen der Sinn für ein höheres Leben, als das vom täglichen Brode, niemals ganz erlischt, und dieser spricht sich beim Volke offenbar in der Kannegießerei aus. Eine gänzliche Verschlossenheit des Gemüths für die politischen Veränderungen ist mir von jeher sehr verhaßt gewesen, und ist gewiß ein Zeichen einseitiger Bildung.“ — „Der wahrhaft gebildete Mann“, setzte er nach einer Weile hinzu, „richtet sein Privatleben so ein, daß er es mit dem öffentlichen stets als Ein Ganzes betrachten könne. Wer dies versäumt, kann nie mit seiner Lage zufrieden sein, und alle Klagen gegen das Schicksal sind nur versteckte Anklagen eines jeden gegen sich selbst, wodurch er sich des Verbrechens zeiht, sein Leben mit dem der Welt in Widerspruch gesetzt zu haben.“
Die Neigung Karl's zu dem Obristen wuchs mit jedem Worte, das dieser sprach. „Ich gestehe“, sagte er, „daß ich das Unglück noch niemals von dieser Seite angesehen habe, und daß ich wohl nicht ganz frei sein dürfte von jener Selbstanklage.“
„Wer das Uebel erkennt“, erwiederte der Obrist mit einem Händedruck, „geht der Heilung entgegen. Ich lobe mir ein munteres, frisches, thätiges Leben. Das Leben eines jungen Mannes muß der reichhaltigste Stoff zu einem interessanten Roman sein; der Held darf aber nichts weniger als sentimental sein, am allerwenigsten Selbstmord erleiden; ich möchte die Wertheriaden nicht gern als Romane gelten lassen, wenigstens lieb' ich diese Gattung durchaus nicht.“
Man stand vom Tische auf; Striezelmeier empfahl sich, und der Obrist bat Karl, auf seinem Zimmer noch eine Flasche Wein mit ihm zu trinken. Er nahm die Einladung gern an, der Wein machte beide lebhafter; sie wurden vertraulicher gegen einander, und Karl, dem Mittheilung jetzt wahres Bedürfniß war, nahm keinen Anstand, ihm alle seine Verhältnisse auf das offenste zu entdecken.
„Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank“, sagte der Obrist, nachdem er alles gehört, „für dieses edle Vertrauen und zugleich das Anerbieten zu jedem Schritte, den ich zum Besten Ihrer Angelegenheit thun kann. Ich traue mir Einfluß genug zu an Ihrem Hofe, um Ihnen eine baldige, sichere und ehrenvolle Rückkehr auswirken zu können, allein die Wahrheit zu gestehen, mein theurer Freund, finde ich es keineswegs heilsam für Sie, in Ihre vorigen Verhältnisse zurückzutreten, gesetzt auch, daß Sie es könnten; Sie selbst werden lebhaft genug fühlen, daß in diesen Ihr Gemüth nie Ruhe finden kann; und sollten Sie Kraft genug finden, sie ganz zu zerreißen, so würde Ihnen der Ort selbst täglich durch tausend kleine Erinnerungen die alten Wunden aufreißen. Die Unruhe, aus der, wie Sie selbst fühlen, Ihr ganzes Uebel entspringt, ist nichts anderes als der Drang nach Wirksamkeit, der in jedem jungen Manne sich lebendig regt, und diesen werden Sie am besten befriedigen, wenn Sie sich mitten in die Wogen des politischen Lebens stürzen. Ich rathe Ihnen zu den Kriegsdiensten, denn der langsame Gang der Civilgeschäfte ist unverträglich mit Ihrem heißströmenden Blute. Die russische Armee, die jetzt im Kriege begriffen ist, wird Ihrer Thätigkeit hinlänglichen Stoff geben, und wenn Sie die Stelle eines Hauptmanns in derselben annehmen wollen, so bedarf es nur eines Wortes.“
So geneigt Karl auf einer Seite auch war, das Anerbieten anzunehmen, so schmerzhaft war es ihm auf der andern, mit Einem Schnitte alle die Bande zu trennen, mit denen sein Herz an der Vaterstadt und seine Verhältnisse in ihr hing. Er konnte noch keinen Entschluß fassen.
„Uebereilen Sie nichts“, sagte der Oberst, „einige Tage ist es mir noch vergönnt, Sie zu sehen, und in diesen hoff' ich, werden wir uns noch näher kennen, lernen, und manchen Umstand noch genauer erwägen.“
Karl entfernte sich, und der Schlaf, den er so lange entbehrt hatte, bemächtigte sich seiner bald trotz aller Unruhe seines Gemüths.
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Kaum hatte er die Augen geschlossen, so begannen luftige Traumbilder ihre seltsamen Tänze um den Schlafenden, und führten sein Leben in schnellen Kreisungen. Ihm dünkte, es erhebe sich vor seinen Augen ein Berg, der mit schwarzen Schatten bedeckt war, und ihm die ersehnte Aussicht in die vor ihm ausgestreckte Ebene benahm. Unmuthig schritt er vorwärts; keine Mühsale hielten ihn ab; weder steile Felsenwände, die er hinaufklettern mußte, noch dichte Dornensträucher, die plötzlich vor ihm aufschossen, vermochten seine heiße Begier zu hemmen; von mancherlei Gezweige geritzt, von manchem spitzigen Stein verwundet, der bei der leisesten Berührung ihm entgegen fiel, gelangte er endlich auf die höchste Spitze. Schon glänzte freudiger Schimmer ihm in den Augen, die sogleich den Berg und die Thäler zu überschauen hofften, durch welche ihn sein Pfad schien führen zu wollen, um schöne Gegenden zu erreichen, die in weiter Ferne milden Schein verbreiteten.
Aber voll Erstaunen sah er aufs neue einen großen Berg vor sich emporsteigen, so daß dieser die erreichte Höhe nur als eine Ebene erscheinen ließ, und als Karl sich umsah, konnte er nirgends eine Spur des Weges bemerken, den er heraufgekommen war, vielmehr erblickte er weithin rings nur flaches Feld. Wenige Blumen standen in der Nähe, frische Düfte aussendend zu stiller Erquickung; sie waren bald zertreten, und in Zorn entbrannt versuchte er den neuen Berg hinaufzuklimmen, dessen Abhang in der Mitte mit Bäumen besetzt war, und also weniger Mühsale erwarten ließ. Aber steiler stets und steiler wurde der Weg, die Angst preßte dem Jüngling die Brust zusammen, der Muth, der ihn eine Gefahr hatte überwinden lassen, gab ihn dadurch stets einer größeren preis, die seiner harrte, und so blieb er endlich auf einem schwachen Felsenrande sitzen, nicht im Stande, weder vor noch rückwärts zu gehen. Finster schaute er in die Tiefe, wo plötzlich alles belebt war und in anmuthiger Verwirrung sich regte.
Hirten und Hirtinnen feierten ein ländliches Fest; alles war mit Blumen geschmückt; eine fröhliche Musik drang unter nahen Bäumen hervor und begeisterte zum Tanz. Aber Karl wandte den Blick nach oben, wo wildes Gestein ihm entgegen stand, und tief erseufzend begann er die letzten Kräfte anzustrengen, um hinauf zu gelangen. Kaum hatte er den kühnen Versuch gemacht, so war er gleich und unerwartet auf grünem Rasen, der sanft ihn aufwärts führte.
Aus einem Geklüft, das seitwärts von Gebüsch verdeckt lag, drang jetzt der Ton eines Glöckleins zu ihm, der ihn mit wunderbarer Kraft zu rufen schien. Gleichwohl hielt ihn der Pfad und die Höhe, zu welcher dieser grade hinauf führte, noch wie mit Banden zurück, und auf diesem fortgehend, war er beinahe an jenem Buschwerk vorbei, als auf einmal das Glöcklein schwieg, und die feierliche Stille ihn so bewältigte, daß er eilends dahin schritt, woher der Ton gekommen war, ohne zu bemerken, daß dicht hinter seinen Füßen der Weg verschwand, indem Steinmassen sich erhoben, und tiefe Spalten sich niedersenkten.
Als er zu dem Ort gelangt war, fand er sich mit freudiger Rührung vor dem Eingang einer Kapelle, in welcher ein Einsiedler vor dem Altar knieend sein Gebet verrichtete. Dieser wandte sich sogleich, hieß den Jüngling auch niederknieen, und sagte die Gebete ihm vor, die er nachsprechen sollte. Unmerklich fühlte dieser eine, neue Gewalt in sich wachsen, die ihn mit unbeschreiblicher Angst erfüllte; er wollte fliehen, aber mit Schrecken sah er die ganze Gegend verändert, und die Kapelle rings umschlossen.
Der Einsiedler fiel nun über ihn her, band ihn mit festen Stricken, stieß das Kruzifix von dem Altar, und setzte an dessen Stelle einen abscheulichen Götzen, den er mit abenteuerlichen Gebehrden verehrte, und mit dem Opfer des Gebundenen zu besänftigen versprach. Kaum aber war dies geschehen, als eine unsichtbare Hand mit graunvollem Getöse die Bande aufsprengte und den Befreiten aus der Kapelle führte, die noch lange von schallendem Hohngelächter wiederhallte, durch welches der Einsiedler in die größte Verzweiflung gerieth. Er schwand sichtbarlich, zuletzt zerstiebte die ausgezehrte Gestalt in neblichten Dunst.
Erwacht durch die plötzliche Anstrengung sprang Karl jetzt aus dem Bette, eilte ans Fenster, und blickte wild und wüst durch die schaurige Nacht. Er versicherte sich, daß er wirklich wach sei, und jene Schreckbilder nur ein Traum herbeigeführt habe. Halb erfreut, halb unmuthig verließ er wieder das Fenster, und legte sich aufs neue zum Schlafen nieder.
Jetzt durchstreifte er viele Felder und dunkle Waldung; Flüsse sah er, die auf ihren reißenden Fluten schnellere Schiffe trugen, dann glänzten herrliche Paläste auf freundlichen Hügeln, und weite Gegenden schienen durch kunstreiche Hand in bezaubernde Gärten umgeschaffen. Dann wurde ringsumher Nacht ausgebreitet, scharfe Winde durchkreuzten einander mit hellem Pfeifen, ungeheure Wasserfluthen entstürzten dem Himmel, der Boden bebte, und aus der Ferne eilten rothe Flammen herbei, die in der Nähe als scheusliche Larven loderten und unter dumpfem Lachen erloschen.
Fürchterliches Geschrei erhub sich nun von allen Seiten, ein Kriegsheer zog heran, aus tausend Schlünden blitzte Tod. Er erkannte deutlich den Obrist, der auf ihn zukam und drohende Blicke sendete. Er wollte fliehen, aber als er sich umwandte, sah er sich von Sophien's Armen umschlungen, die er bisher nicht bemerkt hatte. Sophien's Gestalt entwich vor dem Nahen des Obristen, denn ihr galt sein Drohen; aber ihre Arme blieben um seinen Leib geschlungen, sie wurden zu eisernen Ringen und engten ihm die Brust zu fürchterlicher Angst. Die Gegenstände dunkelten vor seinen Augen, er konnte nichts mehr fassen; in der Ferne vernahm er frohes Siegesgeschrei von rauschender Musik begleitet.
Eine finstere Gestalt sprengte herüber, rief ihn zum Zweikampf, und durchstach ihm die linke Brust. Karl sah sich sterbend niederfallen, den Andern forteilen, und ihn ohne Bewußtsein liegen lassen; dann erwachte er wieder in Sophien's Armen, seine Brust war unversehrt, nur die schrecklichen Fesseln hatte der Streich zertrümmert. Der Obrist hielt Sophien freundlich bei der Hand; aber es war nicht Sophie mehr, eine liebliche Jungfrau, jener ähnlich, doch ungleich höher und edler. Sie sang ein Lied voll unbeschreiblicher Anmuth. Die Worte tönten immer lauter und deutlicher. Ganz verständlich war ihm die letzte Strophe:
Aber Karl war bereits erwacht, und das Lied des Traumes war sanft in ein wirklich gehörtes hinübergegleitet. Er raffte sich auf; die Sonne leuchtete ihm mit goldenem Schein in das Gesicht, der blaue Himmel verkündete einen schönen Tag. Es war ihm unbegreiflich, wer die Dame sein könnte, die das Lied gesungen hatte; er hatte am vorigen Abend nichts bemerkt, was ihm auf die Spur helfen konnte, und der Bursch, der ihm das Frühstück brachte, wollte nichts gehört haben, und läugnete überhaupt, daß irgend eine Dame in diesem Gasthof wohne. So blieb er noch wachend lange in seinen Träumen verwirrt, voll Unmuth rief er die entflohenen Bilder zurück, und verlor sich grübelnd über ihre Bedeutung, die er in der Zukunft seines Lebens glaubte finden zu müssen; allein in diese leuchtete ihm nur der Traum, denn nicht den Schatten eines Plans hatte er im Auge, so wenig als seine Wünsche und Hoffnungen ein bestimmtes Ziel zu ergreifen strebten.
„Was soll dieses Doppelbild Sophien's“, rief er aus, „das mich in Lust und Schmerz versenkte? und das Hineingreifen des Obristen in diese Wunder? Will der Traum vor Gefahren mich warnen, so ist er vergebens dem Himmel entstiegen, denn ich bin schon dem wilden Strom hingegeben; will er mich schrecken und täuschen, so nehme die Hölle ihr Trugbild zurück, auf mich soll es keine Kraft haben.“
Der Obrist trat ins Zimmer und begrüßte mit vertrauenvollem Tone unsern Helden, der eine tiefe, ehrfurchtsvolle Scheu in seinem Innern fühlte bei dem Anblick des hohen Mannes und seinen Gruß mit heißer Zuneigung erwiederte. Karl klagte über die unruhige Nacht, die er gehabt, ohne jedoch des seltsamen Traumes zu erwähnen; „desto angenehmer war mein Erwachen“, fügte er absichtlich hinzu: „eine zauberische Stimme, die ganz nahe zu sein schien und durch ihre Anmuth auf die ihrer Besitzerin schließen ließ, nahm in dem Schluß eines lieblichen Liedes meinen unruhigen Schlummer hinweg“.
Vergebens hoffte er durch den Obrist etwas Näheres über diese Erscheinung zu erfahren; dieser schwieg, und eine bestimmte Frage deshalb zu thun, konnte sich Karl nicht entschließen.
„Meine Geschäfte“, sagte der Obrist, „fordem mich erst gegen Mittag, der Morgen ist sehr schön, und die Gegend um diese Stadt nicht ohne Reiz. Wie wäre es, Sie zerstreuten die Unholde der Nacht durch einen Spazierritt auf das Land? wir kehrten zeitig zurück, oder Sie blieben mit meinem Adjutant, der uns begleiten wird, zu Mittag auf einem Edelhofe in der Nähe, wo ich gut bekannt bin, und ich käme auf den Abend wieder hinaus.“
Karl willigte mit Freuden ein. „Der Vorschlag“, sagte er, „den Sie mir machen, kommt mir höchst erwünscht, aber ich weiß nicht, wie ich Ihnen für die Güte danken soll, mit der Sie mein Leben an dem Ihrigen erquicken.“
„Sein Sie ruhig, mein lieber Freund!“ versetzte der Obrist, „das Verhältniß wird von beiden Seiten hervorgerufen, und wenn Ihnen in unserm Zusammensein wohl ist, so haben Sie dies sich selber eben so sehr, als mir zuzuschreiben. Ein Gleiches geschieht mir mit Ihnen.“ — Der Obrist hatte bereits die Pferde satteln lassen, der Bediente meldete, es sei alles bereit, und die beiden Manner verließen das Zimmer, um ihren dritten Gefährten nicht warten zu lassen. Der Adjutant kam auf der Treppe mit ihnen zusammen, sie schwangen sich auf ihre Pferde. und ritten davon.
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Der warme Hauch des Frühlings erhöhte alles Leben, Felder und Gebüsch lachten fröhlich. Die Vögel hüpften laut singend herum, und die raschen Pferde bäumten sich muthwillig unter den Reitern. Karl und seine Begleiter ergötzten sich an dem unbändigen Muthe ihrer Thiere und erprobten ihre Schnelligkeit gegen einander. Der Obrist freute sich der Kühnheit und Gewandtheit Karl's, der Anmuth und des Adels seiner Bewegungen bei großer Kraft. Sie hatten ein Dorf erreicht. Vor der Schenke stiegen sie ab, um die Pferde verschnaufen zu lassen, und lagerten sich in den Sonnenschein.
„Sie werden es nicht bereuen“, sagte der Obrist zu Karl, „meiner Einladung gefolgt zu sein; die Töchter meines Freundes, die Sie heut sehen werden, verdienen wohl, daß man sie kenne, und ich muß Sie jetzt ein wenig mit ihrem Wesen bekannt machen, damit Sie nicht unter völlig unbekannte Personen treten. Die älteste, Henriette, ist eher häßlich als schön; sie hat diesen Mangel durch Bildung zu ersetzen gesucht, spricht vielerlei Sprachen, übt Musik, sogar Poesie: mit einem Worte, sie ist eine Gelehrte.“
„Sie weiß gewiß mehr als unser Feldprediger“, sagte der Adjutant.
„Emilie, die zweite“, versetzte der Obrist, „hat eine ganz männliche Natur, sie ficht, reitet, jagt so rasch und kühn, wie ein Mann“.
„Wie ein Husar„ sagte der Adjutant.
„Julie aber, die jüngste“, fuhr der Obrist fort, „ist die Blume aller Schönheit und Anmuth, sie besiegt alle Männer, selbst die kältesten, erfahrensten und stolzesten, keiner hat sich noch ungestraft ihr genaht. Ich sage Ihnen dies vorher, damit Sie sich nicht beklagen können, daß ich Sie ungewarnt der Gefahr entgegengeführt habe.“
Der Adjutant bestärkte auch diese Angabe. „Als sie“, sagte er, „vor einem Jahre mit ihren Eltern in der Stadt war, hatten alle Offiziere des dortigen Regiments, bis auf einige ganz alte, zugleich Arrest wegen Versehen im Dienst, die sie begingen, weil ihnen die schöne Julie den Kopf verwirrt hatte.“
Während dieses Gesprächs hatte sich ihnen ein Jüngling genähert; er war ländlich, aber reinlicher und feiner als die übrigen Landleute gekleidet. Sein Gesicht war bleich und sein verwirrtes Auge blickte bald wild, bald wehmüthig umher. Er hatte sein Haar und seine Brust mit Blumen geziert; einige trug er auch in der Hand.
„Seid willkommen“, sagte er, „ich mache heut Hochzeit; ihr seid doch auch meine Gäste? Die Braut wohnt dort in jenem Dorfe; sie heißt Julie. Ihr Vater ist sehr vornehm, das ganze Dorf gehört ihm, und dieses auch. Aber meine Braut ist nicht stolz, ob sie gleich auf dem schönen Schlosse wohnt. Sie liebt mich auch, obschon ich kein vornehmer Herr bin, weil ich viele schöne Lieder kann. Wollt ihr eins hören?“ Er sang sogleich, ohne auf ihre Antwort zu warten.
Während des Singens war der Jüngling immer trüber geworden, jetzt standen ihm Thränen im Auge. „Es wird doch wohl heut noch nichts aus der Hochzeit“, sagte er. Darauf gab er Karl'n die Blumen, die er in der Hand hatte. „Geh zu meiner Braut“, sagte er, „und gieb ihr die Blumen, und sag ihr, ich würde sie abholen, noch ehe die Blumen verwelkt wären.“
Karl nickte ihm freundlich und mitleidig zu, worauf er sich langsam entfernte. — Sie sahen wohl, daß der arme Junge aus Liebe zur schönen Julie seinen Verstand verloren, und erfuhren nachher von den Wirthsleuten, daß er der Sohn des Verwalters von diesem Gute sei, der als Kind viel mit den Fräulein drüben vom Schlosse gespielt habe. Als sie aber älter geworden, habe er das nicht mehr gedurft; darüber sei er ganz tiefsinnig und endlich gar verwirrt im Kopfe geworden, so daß er immerfort Fräulein Julie seine Braut nenne, und jedermann zur Hochzeit einlade.
Es war indessen Mittag geworden, die Gesellschaft bestieg, wieder ihre Pferde und eilte dem Schlosse zu, wo sie den Tag zuzubringen dachten. Der alte Besitzer desselben kam ihnen eilig entgegen, als sie abgestiegen waren, und begrüßte den Obristen, als seinen Herzensfreund, mit einer Umarmung. Dieser stellte ihm Karl als seinen Freund vor, und bat ihn um freundschaftliche Aufnahme für denselben, da ihm Gesellschaft und Zerstreuung Bedürfniß seien. Darauf entschuldigte er, nachdem er auch die Damen begrüßt hatte, sein eiliges Aufbrechen und entfernte sich mit dem Versprechen, gegen Abend wieder zu erscheinen.
Karl war von Julien's blendender Schönheit so überrascht, daß er kaum im Stande war, seine Verwirrung zu verbergen. Alles was er vorher gesehen hatte, war bei diesem Anblick verschwunden, der alle seine Kräfte wie ein Zauberschlag lähmte; nicht einmal die traute er sich zu, sie lieben zu können. Aber bald empörte sich sein Sinn gegen diese gewaltsame Einwirkung, und er beschloß ihr zu trotzen. Er fand seinen Platz neben ihr an der Tafel, und ließ sich in die lebhafteste Unterhaltung mit ihr ein. Sie ging gern und unbefangen in alles ein. Der Wein und die Lebhaftigkeit des Gesprächs machten Karl immer heftiger und gespannter. Er sprach über alles mit einem Feuer und einer Kühnheit, mit der man sonst nur gegen ganz bekannte und vertraute Personen redet. Sie schien nichts außer der Ordnung zu finden, stimmte in alles ein, ergänzte, lobte, sprach mit gleichem Antheil, und fachte seine Gluth immer noch höher an.
Eine herumziehende Musikantenbande ließ den Herrn des Schlosses um Erlaubniß bitten, sich vor der Gesellschaft hören zu lassen. Es ward ihnen erlaubt, im Nebenzimmer zu spielen. Sie spielten Anfangs ganz einfache Melodien, dann immer lebhafter und schöner, und führten endlich die schwersten und trefflichsten Sachen mit einer Kunst und Fertigkeit aus, daß die ganze Gesellschaft in Erstaunen gerieth über diesen hohen Grad von Virtuosität an einer herumziehenden Bande.
Karl ward durch die Musik immer heftiger erregt. Er ließ den ganzen Traum dieser Nacht mit den süßen Tönen vor seinem Sinn vorüberziehen; aber als plötzlich die Instrumente schwiegen, und dieselbe Stimme, die er in dieser Nacht gehört hatte, dasselbe Lied sang, was er sogleich wieder erkannte, konnte er sich nicht länger halten. Er eilte hinaus in das Nebenzimmer und fragte die Musikanten heftig, wer das Lied gesungen habe? Sie zeigten auf einen kleinen Knaben in türkischer Kleidung mit schwarzgefärbtem Gesicht, und sagten: da der Mohrenkönig aus Morgenland. Karl war bestürzt, er schämte sich weiter nachzuforschen und verlachte sich selbst.
Nachdem er zur Gesellschaft zurückgekehrt war, wollte der Herr des Hauses den Musikanten eine Belohnung senden. Sie wollten aber nichts nehmen, und es fand sich bald, daß es Striezelmeier war, der sich mit.einigen Mitstudirenden den Spaß gemacht hatte, den Herm des Schlosses zu überraschen, auf dessen Kosten er studirte. Man ließ die Studenten hereinkommen, sich an die Tafel setzen, und bewirthete sie mit Wein. Der Mohrenkönig aber, den Striezelmeier für einen Schüler ausgab, war verschwunden.
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