Die Walküre - Richard Wagner - E-Book

Die Walküre E-Book

Richard Wagner

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Beschreibung

Dieses Buch, eine umfassende Einführung in Richard Wagners "Walküre", den ersten Abend der Tetralogie "Der Ring des Nibelungen", enthält das vollständige Textbuch mit zahlreichen Notenbeispielen. Kurt Pahlen kommentiert das Werk durch musikbezogene Hinweise sowie Erläuterungen zur inneren und äußeren Handlung. Eine das Geschehen zusammenfassende Inhaltsangabe und ein Abriss der Entstehungsgeschichte stellen die "Walküre" in einen Zusammenhang mit dem Gesamtschaffen des Komponisten und seiner Biographie und bieten ausführliche, reich illustrierte Informationen über dieses Musikdrama.

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Richard Wagner
Die Walküre
Richard Wagner
Die Walküre
Der Ring des Nibelungen
Textbuch
Einführung und Kommentar
von Kurt Pahlen
unter Mitarbeit von Rosmarie König
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 68ISBN 978-3-7957-8616-8Originalausgabe September 1982© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, MainzAlle Rechte vorbehaltenwww.schott-music.comwww.schott-buch.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.
Inhalt
7     Zur Aufführung
9     Kompletter Text mit musikalischen Erläute-
 rungen
198     Inhalt der »Walküre« mit den zum Verständnis
 notwendigen Erklärungen der anderen Dramen
 des »Rings«
227     Zur Geschichte der »Walküre«
279     Erläuterungen zu Wagners Sprachschöpfungen
 in der »Walküre«
283     Tatsachen und Gedanken zur »Walküre«
299     Leitmotiv-Tafel
307     Biographische Daten Richard Wagners
334     Die Bühnenwerke Wagners
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Richard WagnerFotografie von Franz Hanfstaengl (München).Vermutlich um 1873.
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7
Zur Aufführung
TITEL
Der Ring des Nibelungen
Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend.
Im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen und zum
Ruhme seines erhabenen Wohltäters, des Königs Ludwig II.
von Bayern vollendet von
Richard Wagner
Erster Tag:
»Die Walküre«
Uraufführung: 26. Juni 1870, München.
PERSONENVERZEICHINS
SiegmundHundingWotanSieglindeBrünnhilde, WalküreFrickaGerhildeOrtlindeWaltrauteSchwetleiteHelmwigeSiegruneGrimgerdeRoßweiße
TenorBaßHeldenbariton oder BaßSopran(hochdramatischer) Sopran(dramatischer) Mezzosopran
Walküren (Sopran und Alt)
ZUR AUFFÜHRUNG
SCHAUPLÄTZE
I. Aufzug: Das Innere der Wohnung Hundings und Sieg-
lindes
II. Aufzug: Wildes Felsengebirge
III. Aufzug: Auf dem Gipfel eines Felsenberges (»Brünn-
hildenstein«)
ZEIT
Mythische Vergangenheit.
SPIELDAUER
etwa 4½ Stunden
ORCHESTERBESETZUNG
4 Flöten (von denen eine, gelegentlich zwei Piccolo spielen); 4 Oboen (von denen eine auch Englischhorn spielt); 4 Klarinetten (von denen eine auch Baßklarinette spielt); 3 Fagotte (von denen eines gelegentlich als Kontrafagott eingesetzt wird); 8 Hörner (von denen vier als Tubabläser eingesetzt werden); 3 Trompeten (eine auch als Baßtrompete verwendet); 4 Posaunen in verschiedenen Stimmungen, Kontrabaß-Tuba, 2 Paar Pauken, 1 Triangel, 1 Bekken, 1 Rührtrommel, 1 Glockenspiel, 6 Harfen, 16 erste, 16 zweite Violinen, 12 Bratschen, 12 Violoncelli, 8 Kontrabässe.
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9
Kompletter Text
mit
musikalischen Erläuterungen
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
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Wagner kennt zwei Arten von Orchestervorspielen zu seinen Dramen: jenes, das in Aufbau und großer Zusammenschau Stimmung und Handlung des gesamten Werkes vorausnimmt (wie z.B. im »Fliegenden Holländer«, »Tannhäuser«, »Tristan und Isolde«, »Meistersinger von Nürnberg«, »Parsifal«), und das andere, das nur die Aufgabe hat, in das unmittelbar anschließende Bild einzuführen. Dies ist in »Lohengrin« der Fall, in »Rheingold« und nun wieder in der »Walküre«; in diesen Fällen hält Wagner es für angezeigt, nicht nur dem ersten Aufzug oder Bild eine solche orchestrale Einleitung vorauszuschicken, sondern auch noch weiteren, mit jeweils der gleichen Aufgabe: die Stimmung des unmittelbar anschließenden Bildes vorzubereiten (z.B. in »Lohengrin« 3. Aufzug oder die Verwandlungsmusiken in »Rheingold«). Das Vorspiel zum ersten Aufzug der »Walküre« malt den sich langsam legenden Sturm in der Natur; ein Gewitter ist vorübergebraust, die Streicher in tiefen Lagen – auffahrend und sich wieder beruhigend – schildern das stiller werdende Ächzen des Waldes und des darin liegenden Hauses unter den Böen des Windes:
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ERSTER AUFZUG
VORSPIEL UND ERSTE SZENE
1. AUFZUG / VORSPIEL UND 1. SZENE
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Die Holzbläser scheinen letzte verzuckende Blitze am Nachthimmel anzudeuten. In den mächtigen Baß-(Wagner-)Tuben erklingt mehrmals das »Donner-Motiv« (aus dem letzten Bild des »Rheingolds«), das dem Gott Donner, Herrscher der Naturkräfte, beigegeben ist. Noch einmal bäumt sich das Gewitter auf, für kurze Zeit rast es mit wild dreinfahrenden Bläserakkorden (das Donner-Motiv in rhythmischer Verkürzung, Zusammenballung) und an- und abschwellendem Paukenwirbel dahin. Dann beruhigt es sich endgültig, tiefe Celli singen eine ermattende Tonfolge über den ausklingenden Pauken.
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1. AUFZUG / 1. SZENE
Das Innere eines Wohnraumes
In der Mitte steht der Stamm einer mächtigen Esche, dessen stark erhabene Wurzeln sich weithin in den Erdboden verlieren; von seinem Wipfel ist der Baum durch ein gezimmertes Dach geschieden, welches so durchschnitten ist, daß der Stamm und die nach allen Seiten hin sich ausstreckenden Äste durch genau entsprechende Öffnungen hindurchgehen; von dem belaubten Wipfel wird angenommen, daß er sich über dieses Dach ausbreite. Um den Eschenstamm, als Mittelpunkt, ist nun ein Saal gezimmert; die Wände sind aus roh behauenem Holzwerk, hie und da mit geflochtenen und gewebten Decken behangen. Rechts im Vordergrunde steht der Herd, dessen Rauchfang seitwärts zum Dache hinausführt: hinter dem Herde befindet sich ein innerer Raum, gleich einem Vorratsspeicher, zu dem man auf einigen hölzernen Stufen hinaufsteigt: davor hängt, halb zurückgeschlagen, eine geflochtene Decke. Im Hintergründe eine Eingangstür mit schlichtem Holzriegel. Links die Tür zu einem inneren Gemache, zu dem gleichfalls Stufen hinaufführen; weiter vorne auf derselben Seite ein Tisch mit einer breiten, an der Wand angezimmerten Bank dahinter und hölzernen Schemeln davor. Die Bühne bleibt eine Zeitlang leer; außen Sturm, im Begriffe sich gänzlich zu legen.Siegmund öffnet von außen die Eingangstür und tritt ein. – Er hält noch den Riegel in der Hand und überblickt den Wohnraum: er scheint von übermäßiger Anstrengung erschöpft; sein Gewand und Aussehen zeigen, daß er sich auf der Flucht
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Völlig unbegleitet singt Siegmund seine erste Phrase und sinkt dann wie bewußtlos nieder, Celli und dumpfe Hörner scheinen ihn bis in die Ohnmacht hinein mit Erinnerungen an Kampf, Sturm, Verfolgung zu begleiten.Auch Sieglindes erste zögernde Worte sind von Instrumenten unbegleitet. Dann wird ein Cellomotiv deutlicher, das Siegmund zugeordnet erscheint (von manchem Deuter als »Siegmund-Motiv« bezeichnet) und verbindet sich mit einem sehnsüchtigen Geigenmotiv, das Sieglinde begleitet (Siegmunds Motiv im Baßschlüssel, das Sieglindes im Violinschlüssel):
Die überaus zarte Stimmung der reinen Streichermusik bleibt noch lange vorherrschend: Vorahnung der zärtlichen Gefühle, die sich unbewußt schon geheimnisvoll zu entwikkeln beginnen. Sie werden erstmals deutlich, als Sieglinde dem Fremden Wasser reicht, der seinen sehnenden Blick in den der Frau senkt. Hier wird Siegmunds Motiv weit ausgesponnen (im Solo-Cello, a) und (vom 10. Takt an) in das ergreifend schöne Wälsungen-Liebesmotiv (b und c) übergeleitet, das in der fünffach geteilten Cellogruppe einen berükkenden Klang – von Liebe und Tod – ausstrahlt:
(Notenbeispiel S. 16)
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1. AUFZUG / 1. SZENE
befinde. Da er niemand gewahrt, schließt er hinter sich, schreitet mit der äußersten Anstrengung eines Todmüden auf den Herd zu und wirft sich dort auf eine Decke von Bärenfellnieder.
Siegmund: Wes Herd dies auch sei,
hier muß ich rasten.
(Er sinkt zurück und bleibt regungslos ausgestreckt.)
(Sieglinde tritt aus der Tür des inneren Gemaches. Sie glaubte ihren Mann heimgekehrt: ihre ernste Miene zeigt sich dann verwundert, als sie einen Fremden am Herde ausgestrecktsieht.)
Sieglinde (noch im Hintergründe):
Ein fremder Mann?
Ihn muß ich fragen.
(Sie tritt ruhig einige Schritte näher.)
Wer kam ins Haus
und liegt dort am Herd?
(Da Siegmund sich nicht regt, tritt sie noch etwas näher und
betrachtet ihn.)
Müde liegt er
von Weges Mühn:
schwanden die Sinne ihm?
Wäre er siech?
(Sie neigt sich zu ihm herab und lauscht.)
Noch schwillt ihm der Atem;
das Auge nur schloß er.
Mutig dünkt mich der Mann,
sank er müd auch hin.
Siegmund (fährt jäh mit dem Haupt in die Höhe):
Ein Quell! Ein Quell!
Sieglinde: Erquickung schaff ich.
(Sie nimmt schnell ein Trinkhorn und geht damit aus dem
Hause.)
(Sie kommt zurück und reicht das gefüllte Trinkhorn Sieg-
mund.)
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[Einige Analytiker wollen in diesem Motiv zwei hier ineinander verschachtelte Tongruppen erkennen: Takt 10–12 als Geschwisterliebe-Motiv (b), Takt 13ff. als – dann dreimalwiederholtes – Liebesmotiv im allgemeinen (c)].Die träumerische Stimmung wird bei Siegmunds Frage, bei Sieglindes Antwort zerrissen: der Alltag tritt zwischen sie, aber die absteigenden Pizzicati der Bratschen drücken keineDramatik, eher Tragik aus.
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
1. AUFZUG / 1. SZENE
Labung biet ich
dem lechzenden Gaumen:
Wasser, wie du gewollt!
(Siegmund trinkt und reicht ihr das Horn zurück. Als er ihr mit dem Haupte Dank zuwinkt, haftet sein Blick mit steigender Teilnahme an ihren Mienen.)
Siegmund: Kühlende Labung
gab mir der Quell,
des Müden Last
machte er leicht;
erfrischt ist der Mut,
das Aug’ erfreut
des Sehens selige Lust.
Wer ist’s, der so mir es labt?
Sieglinde: Dies Haus und dies Weib
sind Hundings Eigen;
gastlich gönn’ er dir Rast:
harre, bis heim er kehrt!
Siegmund: Waffenlos bin ich:
dem wunden Gast
wird dein Gatte nicht wehren.
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Die Musik belebt sich; punktierte Rhythmen deuten bei Wagner zumeist auf Kämpfe: Siegmund schildert die bewegten Erlebnisse des abgelaufenen Tages.
Dann tritt Sieglindes zartes, inniges Motiv (Notenbeispiel Nr. 2) in den Vordergrund und wird lange (wieder in den Geigen) ausgesponnen. Es geht – mit einer bei Wagner sehr seltenen Verzierung – in das Liebesmotiv (Notenbeispiel Nr. 3 c) über.
Siegmund bereitet sich zum Aufbruch, das Orchester schlägt einen bewegteren, entschlossenen Ton an, hält aber bei Sieglindes Frage inne.
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1. AUFZUG / 1. SZENE
Sieglinde (mit besorgter Hast):
Die Wunden weise mir schnell!
Siegmund (schüttelt sich und springt lebhaft vom Lager zum
Sitz auf): Gering sind sie,
der Rede nicht wert;
noch fügen des Leibes
Glieder sich fest.
Hätten halb so stark wie mein Arm
Schild und Speer mir gehalten,
nimmer floh ich dem Feind;
doch zerschellten mir Speer und Schild.
Der Feinde Meute
hetzte mich müd,
Gewitterbrunst
brach meinen Leib;
doch schneller, als ich der Meute,
schwand die Müdigkeit mir:
sank auf die Lider mir Nacht,
die Sonne lacht mir nun neu.
(Sieglinde geht nach dem Speicher, füllt ein Horn mit Met und
reicht es Siegmund mit freundlicher Bewegtheit.)
Sieglinde: Des seimigen Metes süßen Trank
mögst du mir nicht verschmähn.
Siegmund: Schmecktest du mir ihn zu?
(Sieglinde nippt am Horne und reicht es ihm wieder. Siegmund tut einen langen Zug, indem er den Blick mit wachsender Wärme auf sie heftet. Er setzt so das Horn ab und läßt es langsam sinken, während der Ausdruck seiner Miene in starke Ergriffenheit übergeht. Er seufzt tief auf und senkt den Blick düster zu Boden.)
Siegmund (mit bebender Stimme):
Einen Unseligen labtest du:
Unheil wende
der Wunsch von dir!
(Er bricht schnell auf, um fortzugehen.)
Gerastet hab ich
und süß geruht:
weiter wend ich den Schritt.
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Siegmunds Antwort (»Mißwende«) erfolgt auf einen charakteristischen Dissonanz-Akkord, dem man fast Motivchar-akter zubilligen kann (Unheilmotiv):
Er wiederholt sich, auf anderer Tonstufe, abermals auf dasWort »Mißwende«.
Auf Sieglindes großen, schmerzlichen Stimmausbruch folgt im Orchester (Celli und Kontrabässe) ein neues Motiv, das man als Wälsungenleid-Motiv bezeichnen kann. (Es mischt sich hier mit dem Sieglinde-Motiv und erreicht seinen stärksten Ausdruck etwas später, wo wir es als Notenbeispiel Nr. 6 zitieren werden.) Das Orchesterzwischenspiel, das das lange stumme Spiel der beiden Geschwister untermalt, die sich mit immer stärkerer Ergriffenheit betrachten, wird von den Notenbeispielen 2, 3 und 6 beherrscht.
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
1. AUFZUG / 1. SZENE
(Er geht nach hinten.)
Sieglinde (lebhaft sich umwendend):
Wer verfolgt dich, daß du schon fliehst?
Siegmund (von ihrem Rufe gefesselt, wendet sich wieder):
Mißwende folgt mir,
wohin ich fliehe;
Mißwende naht mir,
wo ich mich neige.
Dir, Frau, doch bleibe sie fern!
Fort wend ich Fuß und Blick.
(Er schreitet schnell bis zur Tür und hebt den Riegel.)
Sieglinde (in heftigem Selbstvergessen ihm nachrufend):
So bleibe hier!
Nicht bringst du Unheil dahin,
wo Unheil im Hause wohnt!
(Siegmund bleibt tief erschüttert stehen: erforscht in Sieglindes Mienen; diese schlägt verschämt und traurig die Augennieder.)
Siegmund (kehrt zurück):
Wehwalt hieß ich mich selbst:
Hunding will ich erwarten:
(Er lehnt sich an den Herd; sein Blick haftet mit ruhiger und entschlossener Teilnahme an Sieglinde: diese hebt langsam das Auge wieder zu ihm auf. Beide blicken sich in langem Schweigen mit dem Ausdruck tiefster Ergriffenheit in dieAugen.)
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Hörnerklang über langen und tiefen Streichernoten wird wie aus der Ferne vernehmbar, ein fester, sehr bestimmter Rhythmus wird angeschlagen. In großem Crescendo schwillt die Spannung an. Dann steht Hunding, zum harten Schmettern der Tuben, im Raum:
Die ersten Sätze dieser Begegnung werden ohne Begleitung gesungen, in starker Spannung und doch ruhigem Tonfall. Immer wieder erklingt Hundings Motiv (Notenbeispiel Nr. 5), geht erst allmählich, als Sieglinde und Siegmund einander anblicken und Hunding ihre Ähnlichkeit beobachtet, in Sieglindes, dann in das (Geschwister-) Liebesmotiv (Notenbeispiel Nr. 3 b) über.
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
1. AUFZUG / 2. SZENE
ZWEITE SZENE
Sieglinde fährt plötzlich auf, lauscht und hört Hunding, der sein Roß außen zum Stall führt. Sie geht hastig zur Tür und öffnet; Hunding, gewaffnet mit Schild und Speer, tritt ein und hält unter der Tür, als er Siegmund gewahrt. – Hunding wendet sich mit einem ernst fragenden Blick an Sieglinde.
Sieglinde (dem Blicke Hundings entgegnend):
Müd am Herd
fand ich den Mann:
Not führt’ ihn ins Haus.
Hunding: Du labtest ihn?
Sieglinde: Den Gaumen letzt’ ich ihm,
gastlich sorgt’ ich sein!
Siegmund (der ruhig und fest Hunding beobachtet):
Dach und Trank
dank ich ihr:
willst du dein Weib drum schelten?
Hunding: Heilig ist mein Herd:
heilig sei dir mein Haus!
(Er legt seine Waffen ab und übergibt sie Sieglinde. Zu
Sieglinde.)
Rüst uns Männern das Mahl!
(Sieglinde hängt die Waffen an Ästen des Eschenstammes auf, dann holt sie Speise und Trank aus dem Speicher und rüstet auf dem Tische das Nachtmahl. – Unwillkürlich heftet sie wieder den Blick auf Siegmund. Hunding mißt scharf und verwundert Siegmunds Züge, die er mit denen seiner Frau vergleicht.)
Hunding (für sich):
Wie gleicht er dem Weibe!
Der gleißende Wurm
glänzt auch ihm aus dem Auge.
(Er birgt sein Befremden und wendet sich wie unbefangen zu
Siegmund.)
Weit her, traun,
kamst du des Wegs;
ein Roß nicht ritt,
der Rast hier fand:
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
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Während Siegmunds ersten erzählenden Worten spielt das Orchester (wieder in den Celli) das Sturmmotiv (Notenbeispiel Nr. 1).
Hundings Antwort wird von seinem Motiv (Notenbeispiel Nr. 5) untermalt, das dann, während der längeren Pause, die seinen Worten folgt, in das Wälsungenleid-Motiv übergeht:
Es löst sich in Sieglindes Motiv (Notenbeispiel Nr. 2) mit anschließendem Liebesmotiv (Notenbeispiel Nr. 3 c). Und es ertönt nochmals in breiter Dehnung (im Violoncello), bevor Siegmund zu seiner längeren Erzählung das Wort ergreift: Man ahnt, daß sie voll Leides sein wird und das Schicksal diesem Geschwisterpaar Not und Schmerz bestimmt hat.Siegmunds Erzählung wird in der Art eines dramatischen Rezitativs begleitet, mit stützenden Akkorden zur ausdrucksvoll deklamierenden Singstimme, aber nur gelegentlichen Motivzitaten [am deutlichsten das Hunding-Motiv (Notenbeispiel Nr. 5) bei Siegmunds Erwähnung der Verfolgung, deren Urheber er nicht kennt, die der motivkundige Hörer aber ohne weiteres mit Hunding identifizieren kann].
1. AUFZUG / 2. SZENE
welch schlimme Pfade
schufen dir Pein?
Siegmund: Durch Wald und Wiese,
Heide und Hain,
jagte mich Sturm
und starke Not:
nicht kenn ich den Weg, den ich kam.
Wohin ich irrte,
weiß ich noch minder:
Kunde gewänn’ ich des gern.
Hunding (am Tische und Siegmund den Sitz bietend):
Des Dach dich deckt,
des Haus dich hegt,
Hunding heißt der Wirt;
wendest von hier du
nach West den Schritt,
in Höfen reich
hausen dort Sippen,
die Hundings Ehre behüten.
Gönnt mir Ehre mein Gast,
wird sein Name nun mir genannt.
(Siegmund, der sich am Tisch niedergesetzt, blickt nachdenklich vor sich hin. Sieglinde, die sich neben Hunding, Siegmund gegenüber, gesetzt, heftet ihr Auge mit auffallenderTeilnahme und Spannung auf diesen.)
Hunding (der beide beobachtet): Trägst du Sorge,
mir zu vertraun,
der Frau hier gib doch Kunde:
sieh, wie gierig sie dich frägt!
Sieglinde (unbefangen und teilnahmsvoll):
Gast, wer du bist,
wüßt’ ich gern.
Siegmund (blickt auf, sieht ihr in das Auge und beginnt
ernst): Friedmund darf ich nicht heißen;
Frohwalt möcht’ ich wohl sein:
doch Wehwalt muß ich mich nennen.
Wolfe, der war mein Vater;
zu zwei kam ich zur Welt,
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
1. AUFZUG / 2. SZENE
eine Zwillingsschwester und ich.
Früh schwanden mir
Mutter und Maid;
die mich gebar
und die mit mir sie barg,
kaum hab ich je sie gekannt.
Wehrlich und stark war Wolfe;
der Feinde wuchsen ihm viel.
Zum Jagen zog
mit dem Jungen der Alte:
von Hetze und Harst
einst kehrten wir heim:
da lag das Wolfsnest leer.
Zu Schutt gebrannt
der prangende Saal,
zum Stumpf der Eiche
blühender Stamm;
erschlagen der Mutter
mutiger Leib,
verschwunden in Gluten
der Schwester Spur.
Uns schuf die herbe Not
der Neidinge harte Schar.
Geächtet floh
der Alte mit mir;
lange Jahre
lebte der Junge
mit Wolfe im wilden Wald:
Manche Jagd
ward auf sie gemacht;
doch mutig wehrte
das Wolfspaar sich.
(Zu Hunding gewandt.)
Ein Wölfing kündet dir das,
den als »Wölfing« mancher wohl kennt.
Hunding: Wunder und wilde Märe
kündest du, kühner Gast,
Wehwalt, der Wölfing!
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Sieglindes Frage erfolgt wieder fast ohne Begleitung. Sie unterbricht den in den tiefsten Streichern klopfenden Rhythmus des Hunding-Motivs (Notenbeispiel Nr. 5), das dessen Rede – ruhig, aber von dumpfer Drohung erfüllt – begleitet hat. Die Begleitung wird nun dichter, jagende Streicherfiguren und der Schall von Hörnern malen die Verfolgung, von der Siegmund jetzt erzählt – Tonmalerei von starker schildernder Kraft.
Siegmunds Rede beruhigt sich nach der starken Erregung; übrig bleibt eine tiefe Traurigkeit; kurze Streicherakkorde im pizzicato, immer leiser werdend, schaffen eine merkwürdige Spannung, in die – wie aus unendlicher, aber tröstlicher Ferne– ein neues Motiv aus feierlichen (ppp) Posaunen ertönt. Wir kennen es aus »Rheingold«; was Siegmund nicht weiß, erkennt der Hörer sofort: sein Vater war kein anderer als Wotan:
Sehr abwechslungsreich geht Siegmunds Erzählung weiter. Das Wort »Frauen« ruft (von der Klarinette »weich und ausdrucksvoll« geblasen) das Liebesmotiv (Notenbeispiel Nr. 3 c) auf den Plan, das auch am Ende der Erzählung (wo
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Mich dünkt, von dem wehrlichen Paar
vernahm ich dunkle Sage,
kannt’ ich auch Wolfe
und Wölfing nicht.
Sieglinde: Doch weiter künde, Fremder:
wo weilt dein Vater jetzt?
Siegmund: Ein starkes Jagen auf uns
stellten die Neidinge an:
Der Jäger viele
fielen den Wölfen,
in Flucht durch den Wald
trieb sie das Wild:
wie Spreu zerstob uns der Feind.
Doch ward ich vom Vater versprengt;
seine Spur verlor ich,
je länger ich forschte:
eines Wolfes Fell nur
traf ich im Forst;
leer lag das vor mir,
den Vater fand ich nicht.
Aus dem Wald trieb es mich fort;
mich drängt’ es zu Männern und Frauen.
Wieviel ich traf,
wo ich sie fand,
ob ich um Freund’,
um Frauen warb,
immer doch war ich geächtet:
Unheil lag auf mir.
Was Rechtes je ich riet,
andern dünkte es arg,
was schlimm immer mir schien,
andere gaben ihm Gunst.
In Fehde fiel ich, wo ich mich fand,
Zorn traf mich, wohin ich zog;
gehrt’ ich nach Wonne,
weckt’ ich nur Weh:
drum mußt’ ich mich Wehwalt nennen;
des Wehes waltet’ ich nur.
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Hundings drohender Rhythmus – Notenbeispiel Nr. 5 – »sehr ausdrucksvoll« nun von der Oboe abgelöst wird) schmerzlich auftaucht. Selbst der harte Hunding scheint einen Augenblick von dem Leid des Fremden berührt zu sein; leise nur deutet die Pauke seinen Rhythmus an. Erst Sieglindes erneute Frage bringt (mit ihrem Motiv, Notenbeispiel Nr. 2 in Geigen und Bratschen) vorübergehend eine hellere Farbe in die düstere,lastende Szene.
Nun, da Siegmund in seiner Erzählung zu den Ereignissen des eben zu Ende gehenden Tages kommt, die Spannung ansteigt, wird die Orchesteruntermalung immer dichter und erregender.
Man glaubt, den Kampf toben zu sehen, Wagners tonmalerische Kunst erreicht wieder einen Höhepunkt. Dann reißt das Orchester ab, Siegmunds letzte Sätze erklingen auf eine absteigende Tonfolge abwechselnd in der Singstimme und den tiefen Streichinstrumenten (ein »Siegmund-Motiv«, im Notenbeispiel Nr. 2 gegenwärtig als dunkle Gegenstimme zum Sieglinden-Motiv):
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1. AUFZUG / 2. SZENE
(Er sieht zu Sieglinde auf und gewahrt ihren teilnehmenden
Blick.)
Hunding: Die so leidig Los dir beschied,
nicht liebte dich die Norn’:
froh nicht grüßt dich der Mann,
dem fremd als Gast du nahst.
Sieglinde: Feige nur fürchten den,
der waffenlos einsam fährt! –
Künde noch, Gast,
wie du im Kampf
zuletzt die Waffe verlorst!
Siegmund (immer lebhafter): Ein trauriges Kind
rief mich zum Trutz:
vermählen wollte
der Magen Sippe
dem Mann ohne Minne die Maid.
Wider den Zwang
zog ich zum Schutz,
der Dränger Troß
traf ich im Kampf:
dem Sieger sank der Feind.
Erschlagen lagen die Brüder:
die Leichen umschlang da die Maid,
den Grimm verjagt’ ihr der Gram.
Mit wilder Tränen Flut
betroff sie weinend die Wal:
um des Mordes der eignen Brüder
klagte die unsel’ge Braut.
Der Erschlagnen Sippen
stürmten daher;
übermächtig
ächzten nach Rache sie;
rings um die Stätte
ragten mir Feinde.
Doch von der Wal
wich nicht die Maid;
mit Schild und Speer
schirmt’ ich sie lang,
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Noch einmal wird die wilde Hetzjagd gemalt, dann ist Siegmunds Erzählung zu Ende, und aus dem Leidmotiv Nr. 6 (in Celli und Kontrabässen) erwächst eine der ergreifendstenStellen des Werkes:
(Notenbeispiel S. 34)
MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
1. AUFZUG / 2. SZENE
bis Speer und Schild
im Harst mir zerhaun.
Wund und waffenlos stand ich –
sterben sah ich die Maid:
mich hetzte das wütende Heer –
auf den Leichen lag sie tot.
(Mit einem Blicke voll schmerzlichen Feuers auf Sieglinde.)
33
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Siegmunds Gesang wird mit dem Wälsungen-Motiv (b) abgeschlossen. Eine wuchtige Orchesterphrase unterbricht die von bedeutungsvoller Schwermut erfüllte Stimmung: Hunding, in freiem, unbegleitetem Rezitativ, hat seinen Entschluß
34
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1. AUFZUG / 2. SZENE
Nun weißt du, fragende Frau,
warum ich Friedmund – nicht heiße!
(Er steht auf und schreitet auf den Herd zu. Sieglinde blickterbleichend und tief erschüttert zu Boden.)
Hunding (erhebt sich, sehr finster): Ich weiß ein wildes
Geschlecht,
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
gefaßt. Sein Motiv setzt zuletzt ein (Notenbeispiel Nr. 5) und wird immer drohender.
Sieglinde wirft sich mit größter Besorgnis zwischen die beiden einander nun feindlich gegenüberstehenden Männer. Ihr Motiv (Notenbeispiel Nr. 2) scheint ängstlich und verzerrt aufzuflattern, mit harten Akkorden weist Hunding sie aus dem Saal.
Das lange stumme Spiel zwischen den drei Personen wird von sehr ausdrucksstarken Orchesterklängen begleitet: Alles bleibt überaus zart, so als wolle Wagner damit andeuten, das wahre Drama spiele sich nicht im bevorstehenden Kampf der Männer ab, sondern in den sich stumm und geheimnisvoll anbahnenden Beziehungen zwischen Siegmund und Sieglinde. Sieglindes Thema wird zuerst von der Klarinette (ohne jede Begleitung), dann, noch flehentlicher, vom Englischhorn geblasen, die Oboe erinnert an das Motiv der »fragenden Frau« (Notenbeispiel Nr. 9), bis das Orchestergefüge dichter wird, das Streichertremolo Erregung schafft und daraus leise, aber bestimmt die Baßtrompete mit einem wichtigen Motiv (Nr. 10) tritt, das von der Oboe zarter wiederholt wird. Hundings brutales Motiv (Notenbeispiel Nr. 5) unterbricht.
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1. AUFZUG / 2. SZENE
nicht heilig ist ihm,
was andern hehr:
verhaßt ist es allen und mir.
Zur Rache ward ich gerufen,
Sühne zu nehmen
für Sippenblut:
zu spät kam ich
und kehre nun heim,
des flücht’gen Frevlers Spur
im eignen Haus zu erspähn.
(Er geht herab.)
Mein Haus hütet,
Wölfing, dich heut;
für die Nacht nahm ich dich auf;
mit starker Waffe
doch wehre dich morgen;
zum Kampfe kies ich den Tag:
für Tote zahlst du mir Zoll.
(Sieglinde schreitet mit besorgter Gebärde zwischen die bei-
den Männer vor.)
Hunding (barsch): Fort aus dem Saal!
Säume hier nicht!
Den Nachttrunk rüste mir drin
und harre mein zur Ruh’.
(Sieglinde steht eine Weile unentschieden und sinnend. Sie wendet sich langsam und zögernden Schrittes nach dem Speicher. Dort hält sie wieder an und bleibt, in Sinnen verloren, mit halb abgewandtem Gesicht stehen. Mit ruhigem Entschluß öffnet sie den Schrein, füllt ein Trinkhorn und schüttet aus einer Büchse Würze hinein. Dann wendet sie das Auge auf Siegmund, um seinem Blicke zu begegnen, den dieser fortwährend auf sie heftet. Sie gewahrt Hundings Spähen und wendet sich sogleich zum Schlafgemach. Auf den Stufen kehrt sie sich noch einmal um, heftet das Auge sehnsuchtsvoll auf Siegmund und deutet mit dem Blicke andauernd und mit sprechender Bestimmtheit auf eine Stelle am Eschenstamme. Hunding fährt auf und treibt sie mit einer heftigen Gebärde zum Fortgehen an. Mit einem letzten Blick
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Alle diese musikalischen Entwicklungen entsprechen nach Wagners dramatischem Wunsch Handlungen der drei Personen auf der Bühne und erhalten durch diese Ergänzung im Szenischen (oder umgekehrt: das Musikalische als Ergänzung, als Verdeutlichung und seelische Erklärung des Szenischen) erst die volle und wahre Bedeutung. Sieglindes Blick ruht im Abgehen auf einer Stelle des Baumstamms, so als wolle sie dem Fremden dringend etwas dort zeigen: nochmals das neue Motiv im Orchester, vom überaus eindringlichen, zugleich wie flehenden Englischhorn geblasen:
Es ist das Schwertmotiv, das hier aufgeklungen ist; aber es ist noch nach Moll gewendet: als Wunsch, als Sehnsucht, noch nicht als strahlende Waffe, wie ein wenig später, wenn es im Klang der Trompete und in hellstem C-Dur leuchten wird. Hunding (mit der Drohung seines Motivs Notenbeispiel Nr. 5) weist Sieglinde aus dem Gemach und überläßt Siegmund der Nacht und seinen Gedanken.Hundings letzte Worte gehen ihm noch durch den Kopf: dessen Motiv, rhythmisch von der Pauke geschlagen, scheint ihn zu verfolgen, wird in den Hörnern immer drängender, leise deutet die Baßtrompete das Schwertmotiv an (Notenbeispiel Nr. 10), immer noch in Moll, wie in Erinnerung an das Versprechen, das der Vater ihm einst gegeben: seine ersten Worte sind eine klare Variante dieses Motivs:
(Notenbeispiel S. 40)
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1. AUFZUG / 3. SZENE
auf Siegmund geht sie in das Schlafgemach und schließt hinter sich die Tür. Hunding nimmt seine Waffen vom Stamme herab.)
Hunding: Mit Waffen wahrt sich der Mann.
(Im Abgehen sich zu Siegmund wendend.)
Dich, Wölfing, treffe ich morgen;
mein Wort hörtest du –
hüte dich wohl!
(Er geht mit den Waffen in das Gemach; man hört ihn von
innen den Riegel schließen.)
DRITTE SZENE
Siegmund allein.
Es ist vollständig Nacht geworden; der Saal ist nur noch von einem schwachen Feuer im Herd erhellt. Siegmund läßt sich, nah beim Feuer, auf dem Lager nieder und brütet in großerinnerer Aufregung eine Zeitlang vor sich hin.
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Hundings Motiv (Notenbeispiel Nr. 5) mischt sich mit Anklängen an das Liebesmotiv (Notenbeispiel Nr. 3 c): Siegmunds Gedanken ziehen ihn zur Frau, die er sah; im Unterbewußtsein ist die Bedrohung latent, die nicht nur ihn, sondern auch die Frau beunruhigt. In höchster Herzensnot rufter den Vater an:
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1. AUFZUG / 3. SZENE
Siegmund: Ein Schwert verhieß mir der Vater,
ich fänd es in höchster Not.
Waffenlos fiel ich
in Feindes Haus;
seiner Rache Pfand,
raste ich hier.
Ein Weib sah ich,
wonnig und hehr:
entzückend Bangen
zehrt mein Herz.
Zu der mich nun Sehnsucht zieht,
die mit süßem Zauber mich sehrt,
im Zwange hält sie der Mann,
der mich Wehrlosen höhnt!
Wälse! Wälse!
Wo ist dein Schwert?
Das starke Schwert,
das im Sturm ich schwänge,
bricht mir hervor aus der Brust,
was wütend das Herz noch hegt?
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Und er ruft nach dem versprochenen Schwert. Da leuchtet es im Orchester auf, durch das Streichertremolo und die langen Holzbläserakkorde bricht die heldische C-Trompete sich Bahn und läßt Motiv Notenbeispiel Nr. 10, nun nach C-Dur gewendet, feierlich erklingen. Zugleich fällt der Schein des verlöschenden Feuers auf den im Baumstamm steckenden Schwertknauf. Noch mehrmals mahnt Motiv Notenbeispiel Nr. 10 Siegmund, den Glanz zu untersuchen, aber seine Gedanken weilen bei den leuchtenden Augen Sieglindes, Harfenklänge versetzen ihn in wachsende Erregung.
Noch einmal, nun schon leiser, wie aus wachsender Ferne, leuchtet das Schwertmotiv (Notenbeispiel Nr. 10) auf, eine dumpfe Pauke schlägt Hundings Motiv (Notenbeispiel
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1. AUFZUG / 3. SZENE
(Das Feuer bricht zusammen; es fällt aus der aufsprühenden Glut plötzlich ein greller Schein auf die Stelle des Eschenstammes, welche Sieglindes Blick bezeichnet hatte und an der man jetzt deutlich einen Schwertgriff haften sieht.)
Was gleißt dort hell
im Glimmerschein?
Welch ein Strahl bricht
aus der Esche Stamm?
Des Blinden Auge
leuchtet ein Blitz:
lustig lacht da der Blick.
Wie der Schein so hehr
das Herz mir sengt!
Ist es der Blick
der blühenden Frau,
den dort haftend
sie hinter sich ließ,
als aus dem Saal sie schied?
(Von hier an verglimmt das Herdfeuer allmählich.)
Nächtiges Dunkel
deckte mein Aug’;
ihres Blickes Strahl
streifte mich da:
Wärme gewann ich und Tag.
Selig schien mir
der Sonne Licht;
den Scheitel umgliß mir
ihr wonniger Glanz
bis hinter Bergen sie sank.
(Ein neuer schwacher Aufschein des Feuers.)
Noch einmal, da sie schied,
traf mich abends ihr Schein;
selbst der alten Esche Stamm
erglänzte in goldner Glut:
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Nr. 5), der Glanz verlischt, in verklingende Bläserakkorde spielen die Celli sanft Sieglindes Motiv (Notenbeispiel Nr. 2).
Die Tür öffnet sich, hastig, fast gesprochen beginnt das Duett der beiden Geschwister, das dann in einem nicht mehr endenden Crescendo auf die höchsten Höhen der Liebesekstaseemporrasen wird.
Sieglinde faßt – zum ersten Mal, seit der Fremde ins Haus trat – ihre sehnsüchtigen Gedanken in Worte, das Orchester schürt ihre Erregung: steht der Held vor ihr, dem das geheimnisvolle Schwert bestimmt ist? (Motiv Notenbeispiel Nr. 10) Noch einmal zwingt sie sich zur Ruhe, erzählt dem Fremden die merkwürdigen Ereignisse ihres Hochzeitstages. Damit die Worte ohne Anstrengung deutlich würden, instrumentiert Wagner äußerst sparsam.
Hier blüht ein warmer Klang im Orchester auf: Hörner, Fagotte und Posaunen stimmen weich und leise das Walhall-Motiv (Notenbeispiel Nr. 7) an. (Gerade wie bei Siegmunds Erwähnung des Vaters weiß der kundige Hörer hier deut-
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1. AUFZUG / 3. SZENE
da bleicht die Blüte,
das Licht verlischt;
nächtiges Dunkel
deckt mir das Auge:
tief in des Busens Berge
glimmt nur noch lichtlose Glut.
(Das Feuer ist gänzlich verloschen: volle Nacht. – Das Seitengemach öffnet sich leise: Sieglinde, in weißem Gewände, tritt heraus und schreitet leise, doch rasch, auf den Herd zu.)
Sieglinde: Schläfst du, Gast?
Siegmund (freudig überrascht aufspringend):
Wer schleicht daher?
Sieglinde (mit geheimnisvoller Hast):
Ich bin’s: höre mich an!
In tiefem Schlaf liegt Hunding;
ich würzt’ ihm betäubenden Trank:
Nütze die Nacht dir zum Heil!
Siegmund (hitzig unterbrechend):
Heil macht mich dein Nah’n!
Sieglinde: Eine Waffe laß mich dir weisen:
O wenn du sie gewännst!
Den hehrsten Helden
dürft’ ich dich heißen:
dem Stärksten allein
ward sie bestimmt.
O merke wohl, was ich dir melde!
Der Männer Sippe
saß hier im Saal,
von Hunding zur Hochzeit geladen.
Er freite ein Weib,
das ungefragt
Schächer ihm schenkten zur Frau.
Traurig saß ich,
während sie tranken;
ein Fremder trat da herein:
ein Greis in grauem Gewand;
tief hing ihm der Hut,
der deckt’ ihm der Augen eines;
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
licher als die handelnden Personen, wer der seltsame Fremdewar: Wotan.)
Leuchtend erhebt sich die Trompete, wieder in C-Dur, über das dichtere Orchester: Motiv Notenbeispiel Nr. 10.
Abermals lockert Wagner die Begleitung auf, um das deutliche Deklamieren der Stimme nicht zu behindern.
Auf das Schwertmotiv (Notenbeispiel Nr. 10) folgt, von den Streichern im Pianissimo gespielt, das Walhall-Motiv (Notenbeispiel Nr. 7) und wird zu einer langen, vertrauensvoll beruhigenden Phrase ausgesponnen. Ein energischer Ruf des Schwertmotivs (Notenbeispiel Nr. 10), der sich in verschiedenen Instrumenten wiederholt, als dränge er zu einer Entscheidung. Und zur Entscheidung drängt nun Sieglindes vom immer belebteren Orchester angetriebene Stimme.
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1. AUFZUG / 3. SZENE
doch des andren Strahl,
Angst schuf es allen,
traf die Männer
sein mächtiges Dräu’n:
Mir allein
weckte das Auge
süß sehnenden Harm,
Tränen und Trost zugleich.
Auf mich blickt’ er
und blitzte auf jene,
als ein Schwert in Händen er schwang;
das stieß er nun
in der Esche Stamm,
bis zum Heft haftet’ es drin:
dem sollte der Stahl geziemen,
der aus dem Stamm es zög’.
Der Männer alle,
so kühn sie sich mühten,
die Wehr sich keiner gewann;
Gäste kamen
und Gäste gingen,
die stärksten zogen am Stahl –
keinen Zoll entwich er dem Stamm:
dort haftet schweigend das Schwert.
Da wußt’ ich, wer der war,
der mich Gramvolle gegrüßt;
ich weiß auch,
wem allein
im Stamm das Schwert er bestimmt.
O fänd’ ich ihn heut
und hier, den Freund;
käm’ er aus Fremden
zur ärmsten Frau:
Was je ich gelitten
in grimmigem Leid,
was je mich geschmerzt
in Schande und Schmach –
süßeste Rache
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MUSIKALISCHE ERLÄUTERUNGEN
Mitgerissen von Sieglindes Jubel, bricht nun auch Siegmunds Stimme in Begeisterung aus, ein markantes Motiv (das »Wälsungen-Motiv« Notenbeispiel Nr. 9b) gibt ihm den Auftakt, feuert auch in immer variierter Form seinen stürmischen Gesang an.