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Horst Evers' Erzähler ist der klassische Nichtsnutz, für den aller Ärger schon mit dem Aufstehen beginnt. Sein Universum ist ein Netz an Arbeitsvermeidungsstrategien, in das immer wieder unerwartet Meteoriten einbrechen. Das kann schon das Klingeln des Telefons sein, ein Baumarktangestellter, manchmal auch die Berliner Verkehrsbetriebe oder – im ungünstigsten Fall – eine Frau. «Einfach klasse, eins mit Stern!» (Süddeutsche Zeitung)
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Seitenzahl: 167
Horst Evers
Die Welt ist nicht immer Freitag
Ihr Verlagsname
Horst Evers’ Erzähler ist der klassische Nichtsnutz, für den aller Ärger schon mit dem Aufstehen beginnt. Sein Universum ist ein Netz an Arbeitsvermeidungsstrategien, in das immer wieder unerwartet Meteoriten einbrechen. Das kann schon das Klingeln des Telefons sein, ein Baumarktangestellter, manchmal auch die Berliner Verkehrsbetriebe oder – im ungünstigsten Fall – eine Frau.
«Einfach klasse, eins mit Stern!» (Süddeutsche Zeitung)
Horst Evers, geboren 1967 in der Nähe von Diepholz in Niedersachsen, studierte Germanistik und Publizistik in Berlin und jobbte als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post. Er erhielt u.a. den Deutschen Kabarettpreis und den Deutschen Kleinkunstpreis. Jeden Sonntag ist er auf radioeins zu hören. Seine Geschichtenbände, zuletzt «Für Eile fehlt mir die Zeit» (2011) und «Wäre ich du, würde ich mich lieben» (2013), wie auch sein Roman «Alles außer irdisch» (2016) sind Bestseller. Horst Evers lebt mit seiner Familie in Berlin.
Für Gabi und Roberta
Die Welt ist nicht immer Freitag ist eine Sammlung von Geschichten, die in einem Zeitraum von fünf Jahren, von 1997 bis 2001 entstanden sind. Praktisch alle Texte sind ursprünglich für den Vortrag auf der Bühne geschrieben und hatten ihre Erstaufführungen in den regelmäßigen Vorleseshows Dr. Seltsams Frühschoppen und Mittwochsfazit. Das Prinzip dieser Veranstaltungen ist sehr einfach: An einem festgelegten Wochentag, zu einer bestimmten Uhrzeit trifft sich in Berlin eine Gruppe von Autorinnen und Autoren, die ihre neuesten Texte einem erstaunlich großen Publikum vorlesen. Jeden Monat wird das Programm komplett ausgewechselt. Die erwähnten Shows gibt es bereits recht lange, den allsonntäglichen Dr. Seltsams Frühschoppen seit 1990, das Mittwochsfazit jeden Mittwoch seit 1996. Mit dabei sind neben mir im Frühschoppen: Hans Duschke, Hinark Husen, Andreas Scheffler, Sarah Schmidt, Jürgen Witte und Dr. Seltsam; im Mittwochsfazit: Bov Bjerg und Manfred Maurenbrecher. Es wird Aktuelles, Politisches, Alltägliches präsentiert, gesungen und diskutiert, doch vor allem geschieht eines, es werden Geschichten erzählt. Und so habe ich nun hier meine liebsten dieser Geschichten aus den letzten fünf Jahren versammelt. Ihre Abfolge in diesem Buch ist nicht chronologisch, sondern folgt einem eher immanenten Ordnungsprinzip, obschon jeder Text als eigenständig anzusehen ist. Eine Gesamtdramaturgie im herkömmlichen oder welchem Sinne auch immer ist kaum auszumachen. Und doch ergibt sich aus allen Geschichten zusammen ein Bild, welches wohl schnell erkennen lässt: Die Welt ist nicht immer Freitag.
Aufbruch
Auf der Liste steht nichts, aber auch überhaupt nichts, was mir irgendwie Spaß machen könnte. Überlege auch schon seit drei Stunden, was ich machen könnte, damit ich nichts von der Liste machen muss, ohne deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ich könnte die Bücher im Bücherregal nach Größe sortieren. Das hätte immerhin den Vorteil, dass mir das bestimmt nicht gefallen würde und ich das nächste Mal, wenn ich wieder vor so einer Liste sitze, sie zurück nach Alphabet sortieren könnte. Das ist prima. Nehme 20 Bücher aus dem Bücherregal, lege sie auf den Boden, verliere die Lust, gehe wieder zum Sofa und schreibe «Bücher zurück ins Regal räumen» mit auf die Liste.
Puh, jetzt bin ich aber auch kaputt. Wär eigentlich mal Zeit für ’ne Pause, aber geht nicht, so viel Arbeit wie ich hab.
Das Gewissen macht mir ganz schön zu schaffen, wenn mir nicht sofort was anderes einfällt, muss ich mit der Liste anfangen. Diesen Druck wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht. Beschließe erst mal, die Liste fein säuberlich am Computer abzutippen. Prima Idee. Das sieht ordentlich aus, gut organisiert und entlastet das Gewissen, weil: Am Computer sitzen hat immer was von echter Arbeit.
Hey, das geht gut voran. So jetzt ausdrucken, was hamm wir denn da? Ei, die Liste ist ja man grad nur ’ne knappe DIN-A4-Seite lang, das ist enttäuschend. Mehr ist das nicht? Na, wolln wir doch mal sehn!
Ich wähle den Schrifttyp 10 Stufen größer, verdoppele den Zeilenabstand und drucke erneut aus. Ha, dreieinhalb Seiten mit lauter Sachen zu erledigen. Boarhh, hab ich viel zu tun. Ich armer Mensch. Und das, obwohl ich schon seit vier Stunden schufte wie ein Tier. Mannmannmann, aber ich klage nicht. Ich pack es an. Ich bin eben ein Macher, ein Arbeitstier, ein richtiger Malocher. Jetzt geht’s los, aber frag nicht nach Sonnenschein, jetzt … Das Telefon klingelt. Schade, ich war so dicht dran. Na, kann man nix machen.
– Ja hallo, hier Evers?
– Ja guten Tag, ist da die Busreisefirma Bussmann?
– Oh nein, da sind Sie falsch …
– Wir würden gern zwei Plätze buchen, für die Fahrt nach Tirol im September.
– Nee, das geht nicht, Sie sind …
– Ach is schon voll? Wir hamm den Prospekt erst heut morgen gekriegt. Das is aber komisch.
– Nee, is nich voll. Is nur …
– Ja gut, dann zwei Plätze für Scholz.
– Ich hab keinen Bus!
– Wie, das ist ja komisch. Na denn halten Sie sich mal ran, bis September is nich viel Zeit.
– Ich hab auch im September keinen Bus.
– Im Prospekt steht aber Komfortreisebus mit Klimaanlage, WC und Kaffeebar.
– Das hab ich alles nich!
– Kaffeebar muss nich unbedingt.
– Ich hab keinen Bus.
– Na ja, vielleicht ’nen kleinen. Gucken Se doch mal.
– Nein.
– Na gut. Is ja nich mein Problem, auf alle Fälle möcht ich zwei Plätze buchen. Nach Tirol.
– Ich fahr nicht nach Tirol.
– Na, ich wollt sowieso lieber nach Schottland, aber meine Frau sagt, lass uns lieber im deutschsprachigen Raum bleiben, da verstehn wir die Leute wenigstens.
– Da wär ich mir nicht so sicher.
– Wo soll ich denn das Geld hin überweisen?
– Nirgendwohin!
– Wie, kost das nix? Das is ja komisch.
– Also gut, wenn Sie’s nicht anders wollen, das kost 1000 Mark.
– Oi, im Prospekt schreiben Sie aber 199.
– Das Angebot galt nur bis 11.00 Uhr, jetzt kostet’s 1000 Mark, pro Person.
– Tja, kann man wohl nix machen, wohin muss denn das Geld?
Ich gebe auf, gebe ihm meine Kontonummer, lege auf, gehe zurück zum Computer und schreibe «Busfirma gründen» noch mit auf meine Liste. Mann, die Arbeit hört einfach nicht auf.
Acht Uhr morgens. Telefon und Wecker klingeln gleichzeitig. Da weiß man gar nicht, was man zuerst ignorieren soll. Beruhige den Wecker mit einem gezielten Schlag und hebe ab. Es ist Peter.
– Hallo Horst, darf ich dich zum Frühstück einladen?
– Echt? Klar! Wann?
– So gegen zehn. Und ähm, ich hab nix im Haus, kannst du alles mitbringen, bitte, bis dann, ciao.
Ich mag Peters morgendliche Anrufe nicht. Die sind kein guter Start. Das muss doch auch anders gehen. Ein Anruf, über den ich mich morgens freuen würde, wäre zum Beispiel:
«Herr Evers, aufgrund einer Materieverdichtung durch das wieder zusammenschrumpfende Universum ist es zu Gravitationsschwankungen in unserem Sonnensystem gekommen, wodurch sich die Erdumdrehung etwas verschoben hat. Um dies auszugleichen, haben wir alle Uhren weltweit um zwei Stunden zurückgestellt und informieren gerade die gesamte Erdbevölkerung davon telefonisch. Es ist für Sie also erst sechs Uhr, sie können noch zwei Stunden schlafen.»
Montagmittag, ich rufe Thomas an.
– Hallo Thomas, hier is Horst, kannst du vorbeikommen und mir helfen? Ich muss heute noch ’ne Busfirma gründen … Was? Warum? Oh, das is ’ne lange Geschichte, komm einfach vorbei und hilf mir. Ja, halb drei wäre gut. Müssen wir aber inner halben Stunde fertig sein, weil um drei hab ich einen wichtigen Termin, da brauch ich Ruhe.
Ich lege auf. Na, hoffentlich ist Thomas pünktlich, wäre blöd, wenn ich die heutige Folge von Raumschiff Voyager verpassen würde.
Beschließe, bis Thomas kommt, mich noch ein wenig mit meinem Glücksbrötchen zu unterhalten. Mein Glücksbrötchen war vor ungefähr 8 Wochen in mein Leben getreten. Damals hatte ich mir vier Brötchen zum Frühstück gekauft, aber nur drei gegessen. Am nächsten Tag kam ich irgendwie nicht so recht zum Frühstücken, am übernächsten nicht mal so richtig zum Aufstehen, gibt solche Tage. Das übrig gebliebene Brötchen wurde mit der Zeit ziemlich oll. Irgendwann wollt ich das dann auch nicht mehr essen. Wegschmeißen mocht ich es auch nicht, immerhin war es ja Brot, also machte ich es schließlich zu meinem Glücksbrötchen. Schien mir das Vernünftigste.
Heute ist es mir richtig ans Herz gewachsen. Ganze Tage sitzen wir manchmal in der Küche und reden über Gott und die Welt. Zwar hat das Brötchen ganz eigene Ansichten über die Schöpfungslehre, hält den Bäckermeister von nebenan für Gott und hegt zeitweise beinah rassistische Vorurteile gegen Vollkornbrot, aber ansonsten ist es wirklich ein feiner Kerl. Wenn wir gemeinsam spazieren gehen, ich ihm ein bisschen die Stadt zeige, dann ist das schon ein herzerwärmender Anblick. Ein Mann und sein Brötchen, was kann es Schöneres, Natürlicheres geben. Klar, hinter unserem Rücken wird oft getuschelt: «Das Brötchen ist doch viel zu jung für den, das geht nicht gut. Irgendwann ist das Brötchen älter, nicht mehr so frisch, er trifft ein hübsches Croissant … und dann? Dann steht das Brötchen vor den Krümeln der Beziehung.»
Aber unsere Freundschaft ist uns wichtiger als das Gerede der Leute.
Es klingelt. Halb drei. Das ist Thomas. Thomas erklärt mir, dass ich zur Gründung einer Busfirma etwas Grundkapital, eine Gewerbelizenz und Fahrer brauche. Na, das ist ja einfacher, als ich dachte. Trotzdem, irgendwie:
– Sag mal, Thomas, meinste nicht, wir haben noch etwas vergessen?
– Nö, wieso? Was denn?
– Busse. Ich glaub, wir brauchen noch Busse.
– Oh verdammt, ja. Busfirma ohne Busse. Das geht nicht lange gut.
– Mist, an irgend’ner Kleinigkeit scheitert’s immer. Mal ist kein Klopapier da, mal hab ich vergessen, Busse zu kaufen. Ich hab einfach Pech.
– Komm Horst, das schaffste schon irgendwie. Sei nicht so faul!
– Hey! Von mir zu verlangen, sei nicht so faul, ist so, als würde man das Wasser bitten, sei nicht so nass! Nee, ich muss das irgendwie anders regeln, ich ruf die nochmal an.
– Ja, hier bei Scholz.
– Ja, guten Tag, hier ist Ihre Busreisefirma – Kundenservice: Wir wollten nur mal fragen, wie hat Ihnen denn Ihre Busreise gefallen?
– Die Busreise? Hamm wir die denn schon gemacht?
– Na klar! Letztes Jahr. Wissen Sie das denn nicht mehr?
– Nee, jetzt so direkt im Moment. Nee. Moment, ich frag mal meine Frau. Hmhmhm. Nee, meine Frau weiß auch nich. Wie hat’s uns denn gefallen?
– Ohhh. Prima, ganz prima. Schönes Hotel, gute Luft, viel gewandert, Sie fanden das richtig schön.
– Oh, das freut mich aber, dass uns das gefallen hat, obwohl erinnern, ich hab die Reise doch erst heute Morgen …
– Ja, die Sache ist die, wir hatten Ihnen versehentlich einen Prospekt vom letzten Jahr zugeschickt. Die Reise war schon. Nun wollten wir Ihnen deshalb nicht den Urlaub verderben und haben Sie einfach noch in die Reise vom letzten Jahr reingenommen. Sie hatten doch Zeit letztes Jahr im September?
– Ja, da hamm wir eigentlich nix gemacht. War ’n bisschen langweilig.
– Gucken Se, dann machen Sie doch jetzt einfach die Busreise letztes Jahr im September, dann hamm Sie nicht das Gefühl, Sie hätten damals Ihre Zeit verplempert.
– Und dann müssen wir gar nicht mehr die lange Busfahrt?
– Nee.
– Das ist ja praktisch. Das ist ja Urlaub völlig ohne Stress!
– Dafür ist unser Unternehmen bekannt. Vor zwei Jahren sind wir übrigens nach Barcelona gefahren. Wollen Sie da auch wieder mit?
– Barcelona? Klingt interessant. Und das is auch wieder schön?
– Ja, die Reise war wunderschön. Das ist ja das Tolle an Reisen, die schon waren, da kann man keine unangenehmen Überraschungen mehr erleben.
– Denn machen wir das doch auch wieder. Die Reise kost auch wieder 1000 Mark?
– Äääh, jaja. Meine Kontonummer haben Sie ja noch, und ich schick Ihnen dann noch ein paar Prospekte von Tirol und Barcelona zu, damit Sie nochmal sehen können, wie schön Ihre Reisen waren.
Ich lege auf, pfeif auf Raumschiff Voyager, hab jetzt mein eigenes Reiseunternehmen und gehe zum Reisebüro, Prospekte holen. Wenn meine Busreisefirma weiter so gut läuft, kann ich mir vielleicht demnächst sogar einen Bus kaufen.
Als ich wiederkomme, hat Thomas für uns beide gekocht:
– Oh, Schnitzel und sogar paniert. Wusste gar nicht, dass ich noch Paniermehl hatte.
– Hattest du auch nicht, aber hier lag noch so ’n altes Brötchen rum …
Ein wirklich trauriges Ende.
Früher, es ist noch gar nicht so lange her, war es eines meiner liebsten Hobbys, des Nachts in irgendwelchen Kneipen herumzusitzen und die für das Vorankommen unserer Zivilisation so dringend notwendige, aber jetzt mal hallo schleunigst durchzuführende Revolution zu planen. Wie das nun so ganz genau gehen sollte, wussten wir erst mal meist auch nicht, aber es war klar, dass wir natürlich hinterher das Sagen haben, und dieses ganze Leben so für alle Menschen allüberall irgendwie schon alles in allem relativ prima wird. Danach wurden sämtliche mitgebrachten Revolutionstheorien die ganze Nacht aber so was von durchdiskutiert, bis wir irgendwann frühmorgens alles so weit paletti hatten und diese ganze Revolutionschose jetzt eigentlich losgehn konnte. Dummerweise jedoch waren wir zu dem Zeitpunkt jedes Mal schon so betrunken, dass niemand mehr außer uns selbst unsere Artikulationsversuche dechiffrieren konnte. Trotzdem versuchten wir unser Möglichstes und zogen im Zuge unserer Weltverbesserung laut grölend durch die Straßen:
«Auf, auf, Revolution, geht jetzt los, is alles durchgesprochen und perfekt geplant, kann jetzt losgehn. Alle, die bei der Revolution mitmachen wollen, treffen sich um neun Uhr auf’m Alexanderplatz. Pünktliches Erscheinen sichert bessere Posten in der provisorischen Revolutionsregierung!!! Auf, auf!! Macht alle mit!»
Es ist aber nie jemand auf dem Alexanderplatz erschienen. Zumindest glaub ich das, weil spätestens um acht war ich jedes Mal so müde, dass ich dann doch lieber nach Hause gegangen bin. Am nächsten Morgen erinnerten mich nur noch ein schlimmer Kater und eine Liste mit den Telefonnummern der wichtigsten ausländischen Botschaften auf meinem Kopfkissen an den fast-historischen Vorabend, offensichtlich war ich provisorischer Außenminister gewesen. Schlimmer noch allerdings war es unserm provisorischen Polizeipräsidenten Peter ergangen, der, direkt nachdem er im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke sein Amt angetreten hatte, für zwölf Stunden in die Ausnüchterungszelle gesperrt wurde.
Ausgelöst wurde alles eigentlich von Paula. Die hatte nämlich ihren Wohnungsumzug auf einen Samstagmorgen um 8 Uhr gelegt und dann auch noch den Schneid besessen, unter anderem mich zu fragen, ob ich nicht dabei helfen wollte. Ich wollte nicht. Wie kann man einen Umzug auf 8 Uhr morgens legen und dann noch denken, irgendjemand würde dabei helfen wollen? Das ist doch, als würde man sich mutwillig den Kopf kahl scheren und dann zum Frisör gehen und eine Dauerwelle verlangen. Da sie die Bitte allerdings in einer größeren Runde vortrug, brachte ihr der entstehende Gruppenzwang doch einige nicht nachvollziehbare Zusagen ein. Nur ich weigerte mich standhaft, zuerst durch beharrliches Schweigen, dann mit Argumenten: «Tut mir leid, aber mein Terminkalender beginnt erst um neun, ich kann mir das gar nicht notiern», später nur noch mit Trotz. Aber erst als Thomas anbot, mich um zwanzig vor acht mit dem Auto abzuholen, war ich gerettet. Thomas, der alte Schluffi, niemals würde der das schaffen. Er würde wie immer verschlafen irgendwann zwischen zehn und elf vor meiner Tür stehen. Ich würde verärgert so was sagen wie: «Na, jetzt lohnt’s auch nich mehr!», dann Paula anrufen, ihr empört alles erklären, das Ganze wäre Thomas’ Schuld und ich fein raus. Verschlagen kichernd nahm ich Thomas’ großzügiges Angebot an.
Der Umzugssamstag kam, und ich schlummerte wohlig eingehüllt in meinem Bett, bis mich Thomas herausklingelte. Genüsslich nahm ich den Hörer in die Hand, wählte Paulas Nummer und eröffnete: «Tut mir leid, Paula, aber Thomas, die Pappnase, ist erst jetzt gekommen, es ist immer dasselbe, ich …», als sie mich unterbrach:
– Kein Problem Horst, es ist zwanzig vor acht.
Ich war entsetzt. Thomas war pünktlich? Fließt Wasser jetzt bergauf? Stunden, ja Tage hatte ich schon in irgendwelchen Cafés mit dem Warten auf diese notorische Schnarchnase verbracht. Aber kein einziges Mal war ich auch nur annähernd so sauer gewesen wie diesmal, da er zum ersten Mal pünktlich war. In Thomas’ Auto, auf dem Weg zu Paula, fragte ich ihn nach dem Grund für seine plötzliche Unzuverlässigkeit.
– Weißt du Horst, ich hab mein Leben geändert. Den ganzen Tag nur rumschluffen, nix geregelt kriegen, die meiste Zeit nur vorm Fernsehn abhängen. Das war mir nix mehr.
Na toll. Als ob mir das immer Spaß machen würde. Klar fällt einem das nicht immer leicht, aber so ist das Leben nun mal. Da muss man einfach durch. Der soll sich gefälligst zusammenreißen.
Ich fragte ihn, wie er denn diese Veränderung hingekriegt hätte.
Er lachte:
– Ob du’s glaubst oder nicht, mit einem dieser Psychoratgeber aus einer Zeitschrift.
Er nestelte eine rausgerissene Seite aus seiner Jackentasche. Ich las:
«10 kleine Psychotricks für ein erfolgreicheres und glücklicheres Leben!!!»
Es ging los mit dem üblichen Blödsinn. «Sorgen Sie für ausreichend Licht in Ihrer Wohnung, achten Sie auf ein gepflegtes Äußeres, ernähren Sie sich bewusst, setzen Sie sich kurzfristig erreichbare Ziele …» Zeugs eben, ich dachte mir ein weltmännisches: Jajaja … und kam zu den konkreten Tipps:
«Überlegen Sie sich immer schon am Vorabend eine unangenehme Pflicht, die Sie am nächsten Tag erledigen werden. Machen Sie dies dann als Erstes nach dem Aufstehen, und Sie werden verblüfft sein, wie Ihnen das Gefühl, schon etwas geschafft zu haben, Energie und Kraft für den ganzen Tag gibt.»
Na ja, das klang plausibel. Mehr Energie haben, bisschen mehr geregelt kriegen, etwas weniger fernsehn, so ganz schlecht würde mir das eigentlich auch nicht tun. Ich beschloss, das Ganze gleich am Montag auszuprobieren. Mein Ziel sollte es sein, endlich mal das Küchenfenster zu putzen. Um sicherzustellen, dass alles gut gehen würde, befolgte ich auch noch den letzten Rat:
«Formulieren Sie Ihr Ziel in einem Satz. Prägen Sie sich diesen Satz gut ein, und sprechen Sie ihn in kritischen Phasen plötzlicher Energielosigkeit zehnmal laut aus.»
Montagmorgen, 9 Uhr, klingelt der Wecker. Schlage frisch und ausgeruht die Augen auf. Will aufstehn. Erinnere mich dann, muss als Erstes Küchenfenster putzen. Habe plötzlich Angst vor dem Aufstehn. Werde schlaff und energielos. Will laut und deutlich zehnmal sagen: «Ich werde mein Leben glücklicher und erfolgreicher gestalten und überhaupt mal irgendwie mehr geregelt kriegen, nich mehr so viel rumhängen.»
Bei der siebten Wiederholung aber schlafe ich, vom Satzaufsagen erschöpft, überraschend nochmal ein.
11.15 Uhr, wache erneut auf, bin diesmal cleverer und nutze die Phase des Satzaufsagens zum gleichzeitigen Aufstehn und Anziehn. Klemme Eimer unter den Wasserhahn und lasse Fensterputzwasser ein. Döse beim Einlassen des Wassers erneut weg, wache aber, als das Wasser über den Eimerrand schwappt und auf meine Hose läuft, schnell wieder auf. Hänge die nasse Hose in das Schlafzimmerfenster, damit sie im starken Wind schnell trocknet. Putze dann das Küchenfenster. Geht gut. Bin verblüffend schnell fertig. Denke: Mensch, is das auf einmal hell in der Küche. Mache das Küchenlicht aus und kann immer noch alles sehen. Bin beeindruckt. Fühle mich energetisch aufgeladen und spüre mächtige innere Zufriedenheit. Gutes Gefühl.