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Zauberhaftes Wikingermärchen in einer Welt aus Eis und Schnee, für Kinder ab 9 Jahren
Um die kleine Winterschwester zu finden und seinen Onkel Ragnar aus den Fängen der großen Winterschwester zu retten, muss der Wikingerjunge Alfred ein großes Abenteuer bestehen. Nicht nur die Wälder des Nordens, versunken in Eis und Schnee, verlangen Alfred einiges ab, auch der Zauber der geheimnisvollen Füchsin stellt ihn auf eine harte Probe. Es ist an der Zeit, zu beweisen, dass er nicht nur mutig, sondern auch sehr schlau ist.
Der perfekte Schmöker für lange Wintertage
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Vor langer Zeit gab es zwei Winterschwestern. Die eine brachte Eiseskälte und raue Winde. Die andere liebte Schneeballschlachten und das Julfest. Doch eines Tages wurden sie getrennt.
Nur Alfred, ein tapferer Wikingerjunge, kann sie wieder vereinen. Doch er kämpft nicht nur gegen Schnee und Sturm an, sondern auch gegen den Zauber einer geheimnisvollen Füchsin. Wer ist sie und warum will sie ihn mit aller Macht in die Irre führen?
© privat
Jolan Bertrand wurde 1994 geboren und hat sich schon immer mit Büchern umgeben. Wenn er nicht schreibt, reist er.
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Chevalier Gambette stammt aus Nantes und liebt die Berge. Er hat Grafikdesign studiert und arbeitet seither als freier Illustrator. Er ist immer auf der Suche nach neuen Kompositionen und liebt es, sein Universum in zahlreichen Abenteuern und Geschichten weiterzuentwickeln.
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Viel Spaß beim Lesen!
Jolan C. Bertrand
Mit Illustrationen vonChevalier Gambette
Aus dem Französischen vonCornelia Panzacchi
Thienemann
Für Robin, der Füchse liebt
und mich sofort »Onkel« genannt hat,
als ich ihn darum gebeten habe.
Eine Geschichte, die er sich mit
seinem kleinen Bruder, seinem Cousin
und seiner Cousine teilen kann.
Vor langer, langer Zeit gab es zwei Winter: Die Große Winterschwester und die Kleine Winterschwester. Die Große brachte die Unwetter mit, die Stürme, das Schneetreiben, die bitterkalten Nächte, die nicht einmal ein Feuer zu wärmen vermochte. Das war der raue, grausame Winter, der Winter der gefährlichen Expeditionen, von denen nicht alle zurückkamen, der Winter der Nächte, in denen sich die Menschen in der Großen Halle des Dorfes eng aneinanderschmiegten.
Die Kleine Winterschwester, das waren die Seen, die noch vor dem ersten Schneefall zufroren, sodass man darauf Schlittschuh laufen konnte, die Schneeballschlachten, die Schlittenfahrten, der Wintermarkt und das Julfest. Das war der sanfte, freundliche Winter, der die Wangen rötete, der dazu verlockte, die schönen bunten Schals aus den Truhen zu holen und den ganzen Tag lang draußen zu spielen.
Die ganze kalte Jahreszeit über zogen die Große und die Kleine Schwester von einem Dorf zum nächsten, sie streiften Hand in Hand durch den Nadelwald und die Taiga. Sie ergänzten einander und wechselten einander ab, bis sie schließlich in den Hohen Norden abreisten, um erst im folgenden Jahr zurückzukehren.
Eines Tages verschwand die Kleine Schwester, und niemand wusste, warum. Niemand wusste, wie. Man wusste nur, dass die Große Schwester den ganzen Winter über nach ihr suchte. Es wurde ein furchtbarer Winter: Ein Unwetter folgte auf das andere, die Straßen waren unpassierbar, alle Menschen wurden krank, das Vieh erfror in seinen Ställen. Der Frühling, der auf jenen Winter folgte, war nass und kalt. Denn die Große Schwester konnte nicht aufhören zu weinen.
Und seither sind alle Winter gleich geblieben: An manchen Tagen weint die Große Schwester einfach nur. Dann ist es feucht und klamm, der Schnee wird matschig und klebt an den Stiefeln, er dringt in die Kleidung ein, bis sie triefend nass ist, und die Eisdecken auf den Seen brechen unter unvorsichtigen Tritten ein. An anderen Tagen ist die Große Schwester so wütend darüber, die Kleine verloren zu haben, dass sie wieder anfängt, überall nach ihr zu suchen. Der Wind heult und wirbelt den Schnee durch die Luft, und die Wanderer verirren sich in den Wäldern.
Am schlimmsten aber sind die Tage der klirrenden Kälte. Sie sind ganz still, und so rein wie frisch gefallener Schnee. Das sind die Tage, an denen sich die Wut und die Trauer der Großen Schwester in Bosheit verwandeln. An denen der Himmel blau ist, und das Licht ganz weiß. Man hört nichts, kein Geräusch, kein Rascheln des Windes in den Zweigen. An jenen Tagen herrscht der Frost über die Welt, und das Einzige, was man dann tun kann, ist, sich mit den anderen eng um das Feuer zu drängen, denn der Frost kroch auch in die Häuser, und wenn wir uns nicht ganz eng aneinanderschmiegen, frisst er uns auf.
Kaum hatte Alfred die Große Halle seiner Großmutter Brunhilda betreten, fingen seine Wangen an zu glühen, denn die Wärme des Feuers erfüllte den ganzen Raum.
Der Winter hatte gerade erst begonnen, doch draußen herrschte bereits eine Eiseskälte. Seit zwei Tagen schneite es und es sah ganz danach aus, als wollten die Flocken gar nicht mehr aufhören zu fallen. Alfred schlug seine Stiefel gegeneinander, damit die Eisbrocken abfielen. Er schob die Kapuze seines Rentierfellparkas zurück und sah sich um.
»Bei Lokis Bart!«, fluchte er leise vor sich hin und zählte dabei mit den Augen die in der Halle versammelten Erwachsenen durch.
Die Große Halle war das wichtigste Gebäude von Nebeldorf. Hier kamen alle Dorfbewohner zusammen, um zu essen und zu trinken, und es war auch der Ort, an dem Brunhilda, die Dorfälteste, Recht sprach und Versammlungen leitete. Die Halle wirkte wie ein umgekehrt aufgestelltes Schiff: Der Schiffsrumpf war das Dach. In der Mitte der Halle befand sich eine gemauerte Feuerstelle, in der stets ein Feuer brannte. Nachdem die Dorfbewohner abends an den langen Tischen der Halle ein gemeinsames Abendessen eingenommen hatten, versammelten sie sich um das Feuer und erzählten Geschichten.
Der Tag war gerade erst angebrochen, und eigentlich sollte die Halle um diese Zeit leer sein. Aber nein: Mindestens die Hälfte der Dorfbewohner hatte sich hier eingefunden. In Grüppchen standen sie zwischen den langen Tischen und diskutierten. Sie runzelten die Stirn, fuchtelten mit den Händen in der Luft herum oder zwirbelten aufgeregt an ihren Zöpfen.
Die Nase tief in dem Kragen seines Parkas vergraben, brummelte Alfred vor sich hin. Er linste zu den Bierfässern hinüber, die auf einer erhöhten Plattform am Ende der Halle aufgereiht standen, hinter dem Tisch, an dem er immer mit seinem Onkel und seiner Großmutter aß. Er steckte die Hände noch tiefer in die Taschen und betastete den kleinen, prall mit Senfkörnern gefüllten Lederbeutel. Alles in Ordnung, die Nähte hielten dicht. Das Gemurmel der Erwachsenen rauschte in seinen Ohren. Wie konnte er sich an die Bierfässer heranschleichen, wenn hier so viele Leute herumstanden? Alfred zögerte. Eigentlich hätte er gerne gewusst, was sie um diese Zeit hier machten, aber er wollte auch nicht riskieren, dass sie ihn bemerkten. Mit dem Rücken zur Wand schlich er auf die Plattform mit den Fässern zu.
»Loki«, flüsterte Alfred und umklammerte den geschnitzten Fuchszahn, den er in der anderen Tasche aufbewahrte.
Dieses Amulett besaß er schon als kleiner Junge. Es war das Einzige, das ihm von seinen Eltern geblieben war, seit sie vor langer Zeit gestorben waren.
»Loki, verstecke mich in deinem Schatten«, betete Alfred leise zu seinem Lieblingsgott. »Dir zu Ehren werde ich Unruhe stiften, aber niemand darf mich sehen.«
Beinahe war es, als hätte Loki ihn erhört: Alfred stieg die Plattform hoch, ohne dass jemand auf ihn achtete. Schnell duckte er sich zwischen zwei Fässer und beobachtete über deren Rand hinweg die Erwachsenen. Warum waren sie hier? Er sah Walka, die Kriegerin, und Mila, die Schmiedin. Die beiden wollten doch heute auf die Jagd gehen, warum also waren sie im Dorf geblieben? Und Iwar, der alte, weißbärtige Bibliothekar, der sonst nie seine Bücher verließ. Alfred bemerkte sogar Frid in der Halle und riss erstaunt die Augen auf. Frid war die Seherin von Nebeldorf. Sie träumte die Zukunft und es hieß, dass die Asen, die Göttinnen und Götter der Wikinger, mit ihr sprachen. Sie sah nicht alt aus, aber auch nicht jung. Die Astspitzen des auf ihren Oberkörper tätowierten Baums rankten sich um ihre Kehle, und von ihrer Wange flog ein Rabe auf. Alfred hatte ein bisschen Angst vor ihr. Noch nie hatte er sie angesprochen, oder sie gar gebeten, ihm die Zukunft vorherzusagen.
Frid unterhielt sich angeregt mit Mila und Walka, doch mitten im Gespräch drehte sie den Kopf nach Alfred um. Alfred unterdrückte einen Fluch und duckte sich noch tiefer hinter ein Fass.
Vollkommen unnötig, schließlich hätte Frid Alfred ohnehin nicht sehen können, denn sie war blind. Trotzdem kam es ihm vor, als würde Frids Blick das Fass durchdringen. Frid wusste, dass Alfred sich dahinter versteckte, da war er sich ganz sicher. Würde sie ihn verraten?
Die Minuten vergingen, ohne dass etwas geschah. Niemand packte Alfred von hinten am Kragen, um ihn aus seinem Versteck zu zerren. Alfred schüttelte den Kopf. Je länger er hier herumtrödelte, desto wahrscheinlicher wurde es, dass ihn jemand entdeckte. Wenn er das Bier für das nächste Festmahl mit Senf würzen wollte, dann jetzt sofort – oder nie! Doch er konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen, schließlich hatte er Loki extra um Hilfe angefleht. Die Götter konnten ziemlich böse werden, wenn man ihnen etwas versprach und es dann nicht hielt.
Alfred zog sein Messer aus dem Gürtel und bohrte damit in einen Fassdeckel ein Loch. Mit angehaltenem Atem ließ er ein paar Senfkörner durch das Loch gleiten. Auf keinen Fall durfte ihr scharfer Geruch ihn zum Niesen bringen. Alfred schlich sich zum nächsten Fass und wiederholte den Vorgang. Immer wieder. So lange, bis in seinem Lederbeutel keine Senfkörner mehr übrig waren. Danach versteckte er sich hinter einem Vorhang aus großen Tierfellen, der den rückwärtigen Teil des Gebäudes abtrennte. Dahinter lagen die Räume, die er zusammen mit seiner Großmutter und seinem Onkel bewohnte. Um diese Tageszeit waren die beiden nicht da, und das Feuer im Küchenherd war erloschen.
»Ich hab’s geschafft!«, flüsterte Alfred in den dunklen Raum hinein. Er atmete tief ein und erwartete eigentlich, gleich einen Lachanfall zu bekommen, vor lauter Erleichterung. Doch er wartete vergebens.
Der große Lachanfall blieb aus.
Alfred spürte, wie sein Herzschlag sich verlangsamte. Vorher hatte er gar nicht bemerkt, dass es so schnell schlug. Aber er fürchtete sich nicht. Gott Loki beschützte Alfred, wann immer er ihn darum bat. Er war für Alfred so etwas wie ein Komplize, denn er half ihm bei all seinen Streichen.
Alfred stellte sich vor, wie die Erwachsenen heute Abend nach dem großen Bankett die Gesichter verziehen und das Bier ausspucken würden. Und versuchte abermals, darüber zu lachen.
Doch es ging nicht.
Das passierte ihm nicht zum ersten Mal. Die meiste Zeit über war Alfred ein ganz gewöhnlicher zehnjähriger Junge. Weil er eigentlich niemanden so richtig mochte, war er am liebsten allein, doch er spielte und lachte und rannte in der Gegend herum wie alle anderen Kinder auch. An manchen Tagen aber hatte er keine Lust dazu. An diesen Tagen war es immer, als würde ihn eine kalte feuchte Wolke umgeben. Eine Wolke aus Leere. »Grundlos traurig sein«, nannte Alfred das.
Er konnte es immer noch nicht fassen, dass ihm jetzt nicht nach Lachen zumute war, obwohl er sich mit dem Streich so viel Mühe gegeben hatte. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass außer ihm wirklich niemand im Raum war. Er fluchte. Und trat mit aller Kraft gegen einen Hocker, sodass dieser krachend zu Boden fiel.
»Wer ist da?«, erklang nebenan Ragnars Stimme.
Alfred durchquerte die Küche und betrat das Schlafzimmer. Ragnar saß auf Brunhildas großem Bett. Jeder hatte sein eigenes Bett, doch das größte gehörte Brunhilda, denn als die Älteste in der Familie und als Dorfälteste hatte sie ein Anrecht darauf. In sehr kalten Winternächten schliefen sie alle drei zusammen in ihrem Bett, um sich gegenseitig zu wärmen. Ragnar und Brunhilda hatten Alfred erzählt, dass früher, als seine Eltern noch lebten, auch sie mit ihm als Baby in diesem Bett schliefen. Daran konnte sich Alfred nicht mehr erinnern.
In Ragnars Bart glitzerten Wassertropfen. Er flocht seine noch nassen Haare zu Zöpfen. Doch er war ungeschickt, im Grunde verdrehte und verfilzte er die Haarsträhnen nur.
»Warum hilft dir Brunhilda nicht?«, fragte Alfred.
»Sie ist weggegangen«, erwiderte Ragnar.
Seufzend kletterte Alfred auf das Bett. Er kniete sich hinter seinen Onkel und scheuchte dessen Hände mit einem Klaps weg. Alfred hatte flinke Finger. Sigmund, der Heiler, lehrte ihn alles, was es über Krankheiten, Pflanzen und Heilmittel zu wissen gab. Am besten gefiel es Alfred, wenn sein Lehrmeister ihn allein in den Wald schickte, um Kräuter und Pilze zu sammeln. Aber jetzt schneite es, Alfred würde erst im Frühling wieder allein in den Wald gehen dürfen, und er fragte sich, ob er wohl deshalb nicht fröhlich sein konnte. Aber er war sich nicht sicher. Doch welchen anderen Grund könnte es sonst dafür geben?
»Danke, Alfred.«
Jetzt, wo seine Hände frei waren, zog Ragnar sein Messer aus dem Gürtel und holte ein Stück Tannenholz aus der Tasche. Alfred warf über die Schulter seines Onkels einen Blick darauf und runzelte die Stirn. In dem Holz waren lauter kleine Kerben, und Ragnars Finger waren von Schnitten und Abschürfungen übersät.
»Du hast mehr Begabung, deine Finger zu schnitzen als das Holz«, rutschte es Alfred heraus.
Ragnar drehte sich um und versuchte, Alfred zu kitzeln, doch Alfred wand sich aus seinem Griff. Wenn er in dieser Stimmung war, brachten ihn Ragnars Versuche, ihn aufzuheitern, eher zum Weinen als zum Lachen.