Dietegen - Gottfried Keller - E-Book

Dietegen E-Book

Gottfried Keller

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen. Null Papier Verlag

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Gottfried Keller

Dietegen

Novelle

Gottfried Keller

Dietegen

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962812-90-4

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Inhaltsverzeichnis

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Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

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Eine Weih­nachts­ge­schich­te

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Dietegen

An den Nor­d­ab­hän­gen je­ner Hü­gel und Wäl­der, an wel­chen süd­lich Seld­wy­la liegt, flo­rier­te noch ge­gen das Ende des fünf­zehn­ten Jahr­hun­derts die Stadt Rue­chen­stein im küh­len Schat­ten. Grau und fins­ter war das ge­dräng­te Kor­pus ih­rer Mau­ern und Tür­me, schlecht und recht die Rät und Bür­ger der Stadt, aber streng und mür­risch, und ihre Na­tio­nal­be­schäf­ti­gung be­stand in Aus­übung der ob­rig­keit­li­chen Au­to­ri­tät, in Hand­ha­bung von Recht und Ge­setz, Man­dat und Ver­ord­nung, in Er­lass und Voll­zug. Ihr höchs­ter Stolz war der Be­sitz ei­nes ei­ge­nen Blut­ban­nes, groß und dick, den sie im Ver­lauf der Zei­ten aus ver­schie­de­nen zer­streu­ten Blut­ge­rich­ten von Kai­ser und Reich so eif­rig und op­fer­freu­dig an sich ge­bracht und ab­ge­run­det hat­ten, wie an­de­re Städ­te ihre See­len­frei­heit und ir­di­sches Gut. Auf den Fels­vor­sprün­gen rings um die Stadt rag­ten Gal­gen, Rä­der und Richt­stät­ten man­nig­fa­cher Art, das Rat­haus hing voll ei­ser­ner Ket­ten mit Hals­rin­gen, ei­ser­ne Kä­fi­ge hin­gen auf den Tür­men, und höl­zer­ne Dreh­ma­schi­nen, worin die Wei­ber ge­drillt wur­den, gab es an al­len Stra­ßen­e­cken. Selbst an dem dun­kelblau­en Flus­se, der die Stadt be­spül­te, wa­ren ver­schie­de­ne Sta­tio­nen er­rich­tet, wo die Übel­tä­ter er­tränkt oder ge­schwemmt wur­den, mit zu­sam­men­ge­bun­de­nen Fü­ßen oder in Sä­cken, je nach der fei­ne­ren Un­ter­schei­dung des Ur­teils.

Die Rue­chen­stei­ner wa­ren nun nicht etwa ei­ser­ne, ro­bus­te und schreck­haf­te Ge­stal­ten, wie man aus ih­ren Nei­gun­gen hät­te schlie­ßen kön­nen; son­dern es war ein Schlag Leu­te von ganz ge­wöhn­li­chem, phi­lis­ter­haf­tem Aus­se­hen, mit run­den Bäu­chen und dün­nen Bei­nen, nur dass sie durch­weg lan­ge gel­be Na­sen zeig­ten, eben die­sel­ben, mit de­nen sie sich ge­gen­sei­tig das Jahr hin­durch be­schnarch­ten und an­herrsch­ten. Nie­mand hät­te ih­rem küm­mel­spal­te­ri­schen Leib­li­chen, wie es er­schi­en, so der­be Ner­ven zu­ge­traut, als zum An­schaun der un­auf­hör­li­chen Hochnot­pein­lich­keit er­for­der­lich wa­ren. Al­lein sie hat­ten’s in sich ver­bor­gen.

So hiel­ten sie ihre Ge­richts­bar­keit über ih­rem Weich­bil­de aus­ge­spannt gleich ei­nem Netz, im­mer auf einen Fang be­gie­rig; und in der Tat gab es nir­gends so ori­gi­nel­le und selt­sa­me Ver­bre­chen zu stra­fen wie zu Rue­chen­stein. Ihre un­er­schöpf­li­che Er­fin­dungs­ga­be in neu­en Stra­fen schi­en die­je­ni­ge der Sün­der or­dent­lich zu rei­zen und zum Wett­ei­fer an­zu­spor­nen; aber wenn den­noch ein Man­gel an Übel­tä­tern ein­trat, so wa­ren sie dar­um nicht ver­le­gen, son­dern fin­gen und be­straf­ten die Schel­men an­de­rer Städ­te; und es muss­te ei­ner ein gu­tes Ge­wis­sen ha­ben, wenn er über ihr Ge­biet ge­hen woll­te. Denn so­bald sie von ir­gend­ei­nem Ver­bre­chen, in wei­ter Fer­ne be­gan­gen, hör­ten, so fin­gen sie den ers­ten bes­ten Land­läu­fer und spann­ten ihn auf die Fol­ter, bis er be­kann­te oder bis es sich zu­fäl­lig er­wies, dass je­nes Ver­bre­chen gar nicht ver­übt wor­den. Sie la­gen we­gen ih­ren Kom­pe­tenz­kon­flik­ten auch im­mer im Streit mit dem Bun­de und den Or­ten und muss­ten öf­ter zu­recht­ge­wie­sen wer­den.

Zu ih­ren Hin­rich­tun­gen, Ver­bren­nun­gen und Schwem­mun­gen lieb­ten sie ein wind­stil­les, freund­li­ches Wet­ter, da­her an recht schö­nen Som­mer­ta­gen im­mer et­was vor­ging. Der Wan­de­rer im fer­nen Fel­de sah dann in dem grau­en Fel­sen­nest nicht sel­ten das Auf­blit­zen ei­nes Richt­schwer­tes, die Rauch­säu­le ei­nes Schei­ter­hau­fens, oder im Flus­se wie das glän­zen­de Sprin­gen ei­nes Fi­sches, wenn etwa eine ge­schwemm­te Hexe sich em­por­schnell­te. Das Wort Got­tes hät­te ih­nen übel ge­schmeckt ohne min­des­tens ein Lie­bespär­chen mit Stroh­krän­zen vor dem Al­tar und ohne Ver­le­sen ge­schärf­ter Sit­ten­man­da­te. Sons­ti­ge Freu­den, Fest­lich­kei­ten und Auf­zü­ge gab es nicht, denn al­les war ver­bo­ten in un­zäh­li­gen Man­da­ten.

Man kann sich leicht den­ken, dass die­se Stadt kei­ne wi­der­wär­ti­ge­ren Nach­ba­ren ha­ben konn­te als die Leu­te von Seld­wy­la; auch sa­ßen sie die­sen hin­ter dem Wal­de im Na­cken wie das böse Ge­wis­sen. Je­der Seld­wy­ler, der sich auf Rue­chen­stei­ner Bo­den be­tre­ten ließ, wur­de ge­fan­gen und auf den zu­letzt ge­ra­de vor­ge­fal­le­nen Fre­vel in­qui­riert. Da­für pack­ten die Seld­wy­ler je­den Rue­chen­stei­ner, der sich bei ih­nen er­wi­schen ließ, und ga­ben ihm auf dem Markt ohne wei­te­re Un­ter­su­chung, bloß weil er ein Rue­chen­stei­ner war, sechs Ru­ten­strei­che auf den Hin­tern. Dies war das ein­zi­ge Bir­ken­reis, was sie ge­brauch­ten, da sie sich selbst un­ter­ein­an­der nicht weh zu tun lieb­ten. Dann färb­ten sie ihm mit ei­ner höl­li­schen Far­be die lan­ge Nase schwarz und lie­ßen ihn un­ter schal­len­dem Ju­bel­ge­läch­ter nach Hau­se lau­fen. Des­halb sah man zu Rue­chen­stein im­mer ei­ni­ge be­son­ders mür­ri­sche Leu­te mit ge­schwärz­ten, nur lang­sam ver­blei­chen­den Na­sen her­um­ge­hen, wel­che wort­karg nach Ar­men­sün­der­blut schnup­per­ten.

Die Seld­wy­ler aber hiel­ten jene Farb­tun­ke stets be­reit in ei­nem ei­ser­nen Top­fe, auf wel­chen das Rue­chen­stei­ner Stadt­wap­pen ge­malt war und wel­chen sie den »freund­li­chen Nach­bar« be­nann­ten und samt dem Pin­sel im Bo­gen des nach Rue­chen­stein füh­ren­den To­res auf­hän­gen. War die Bei­ze auf­ge­trock­net oder ver­braucht, so wur­de sie un­ter när­ri­schem Auf­zug und Ge­la­ge er­neu­ert zum Scha­ber­nack der ar­men Nach­ba­ren. Hier­über wur­den die­se ein­mal so er­grimmt, dass sie mit dem Ban­ner aus­zo­gen, die Seld­wy­ler zu züch­ti­gen. Die­se, noch recht­zei­tig un­ter­rich­tet, zo­gen ih­nen ent­ge­gen und grif­fen sie un­er­schro­cken an. Al­lein die Rue­chen­stei­ner hat­ten ein Dut­zend grau­bär­ti­ge ver­wit­ter­te Stadt­knech­te, wel­che neue Stri­cke an den Schwert­ge­hän­gen tru­gen, ins Vor­der­tref­fen ge­stellt, wor­über die Seld­wy­ler eine sol­che Scheu er­griff, dass sie zu­rück­wi­chen und fast ver­lo­ren wa­ren, wenn nicht ein gu­ter Ein­fall sie ge­ret­tet hät­te; denn sie führ­ten spa­ßes­hal­ber den »freund­li­chen Nach­bar« mit sich und statt des Ban­ners einen lan­gen un­ge­heu­ren Pin­sel. Die­sen tauch­te der Trä­ger voll Geis­tes­ge­gen­wart in die schwar­ze Wich­se, sprang mu­tig den vor­ders­ten Fein­den ent­ge­gen und be­strich blitz­schnell ihre Ge­sich­ter, al­so­dass alle, die zu­nächst von der ver­ab­scheu­ten Schwär­ze be­droht wa­ren, Reiß­aus nah­men und kei­ner mehr der vor­ders­te sein woll­te. Dar­über ge­riet ihre Schar ins Schwan­ken; ein un­be­stimm­ter Schreck er­griff die hin­te­ren, wäh­rend die Seld­wy­ler er­mu­tigt wie­der vor­dran­gen un­ter wil­dem Ge­läch­ter und die Rue­chen­stei­ner ge­gen ihre Stadt zu­rück­dräng­ten. Wo die­se sich zur Wehr setz­ten, rück­te der ge­fürch­te­te Pin­sel her­bei an sei­nem lan­gen Stie­le, wo­bei es kei­nes­wegs ohne ernst­haf­ten Hel­den­mut zu­ging; schon zwei­mal wa­ren die ver­we­ge­nen Pin­sel­trä­ger von Pfei­len durch­bohrt ge­fal­len, und je­des Mal hat­te ein an­de­rer die selt­sa­me Waf­fe er­grif­fen und von neu­em in den Feind ge­tra­gen.

Am Ende aber wur­den die Rue­chen­stei­ner gänz­lich zu­rück­ge­schla­gen und flo­hen mit ih­rem Ban­ner in hel­lem Hau­fen durch den Wald zu­rück, die Seld­wy­ler auf den Fer­sen. Sie konn­ten sich mit Not in die Stadt ret­ten und das Tor schlie­ßen, wel­ches ihre Ver­fol­ger samt der Zug­brücke so lan­ge mit dem ver­wünsch­ten Pin­sel schwarz be­klecks­ten, bis jene sich et­was ge­sam­melt und die lär­men­den Ma­ler mit Kalk­töp­fen be­war­fen.

Weil nun ei­ni­ge an­ge­se­he­ne Seld­wy­ler in der Hit­ze des An­dran­ges in die Stadt ge­ra­ten und dort ab­ge­schlos­sen, da­für aber auch ein Dut­zend Rue­chen­stei­ner von den Sie­gern ge­fan­gen wor­den wa­ren, so ver­glich man sich nach ei­ni­gen Ta­gen zur Aus­wechs­lung die­ser Ge­fan­ge­nen, und hieraus ent­stand ein förm­li­cher Frie­dens­schluss, so gut es ge­hen woll­te. Man hat­te sich bei­der­sei­tig et­was aus­ge­tobt und emp­fand ein Be­dürf­nis ru­hi­ger Nach­bar­schaft. So wur­de ein freund­nach­bar­li­ches Be­neh­men ver­hei­ßen; zum Be­ginn des­sel­ben ver­spra­chen die Seld­wy­ler den ei­ser­nen Topf aus­zu­lie­fern und für im­mer ab­zu­schaf­fen, und die Rue­chen­stei­ner soll­ten da­ge­gen auf je­des ei­gen­mäch­ti­ge Straf­ver­fah­ren ge­gen spa­zie­ren­de Seld­wy­ler fei­er­lich Ver­zicht leis­ten so­wie die dies­fäl­li­gen Rech­te über­haupt sorg­fäl­tig aus­ge­schie­den wer­den.

Zur Be­stä­ti­gung sol­chen Übe­rein­kom­mens wur­de ein Tag an­ge­setzt und die Ber­g­lich­tung zur Zu­sam­men­kunft ge­wählt, auf wel­cher das Haupt­tref­fen statt­ge­fun­den hat­te. Von Rue­chen­stein fan­den sich ei­ni­ge jün­ge­re Rats­her­ren ein; denn die Al­ten brach­ten es nicht über sich, in Min­ne mit den Leu­ten von Seld­wy­la zu ver­keh­ren. Die­se er­schie­nen auch wirk­lich in zahl­rei­cher Ab­ord­nung, brach­ten den »freund­li­chen Nach­bar« mit lus­ti­gem Auf­wand und führ­ten ein Fäss­chen ih­res äl­tes­ten Stadt­wei­nes mit, nebst ei­ni­gen schö­nen sil­ber­nen und ver­gol­de­ten Ehren­ge­schir­ren. Da­mit be­tör­ten sie denn die jun­gen Rue­chen­stei­ner Her­ren, de­nen ein un­ge­wohn­ter Son­nen­blick auf­ging, so glück­lich, dass sie sich ver­lei­ten lie­ßen, statt un­ver­weilt heim­zu­keh­ren, mit den Ver­füh­rern nach Seld­wy­la zu ge­hen. Dort wur­den sie auf das Rat­haus ge­lei­tet, wo ein ge­hö­ri­ger Schmaus be­reit war; schö­ne Frau­en und Jung­frau­en fan­den sich ein, im­mer meh­re­re Stäuf­fe, Köp­fe, Scha­len und Be­cher wur­den auf­ge­setzt, so­dass über all dem Glän­zen der feu­ri­gen Au­gen und des ed­len Me­tal­les die ar­men Rue­chen­stei­ner sich selbst ver­ga­ßen und ganz gu­ter Din­ge wur­den. Sie san­gen, da sie nichts an­de­res konn­ten, einen la­tei­ni­schen Psalm um den an­dern zwi­schen die Zech­lie­der der Seld­wy­ler und en­de­ten höchst leicht­sin­nig da­mit, dass sie die­se drin­gend ein­lu­den, ih­rer Stadt mit ih­ren Frau­en und Töch­tern einen Ge­gen­be­such zu ma­chen, und ih­nen den freund­lichs­ten Empfang ver­spra­chen. Hier­auf er­folg­te die ein­mü­ti­ge Zu­sa­ge, hier­auf neu­er Ju­bel, kurz, die Ge­schäfts­her­ren von Rue­chen­stein ver­ab­schie­de­ten sich in voll­stän­di­ger Se­lig­keit und hiel­ten sich, Schnipp­chen schla­gend, dazu noch für glück­li­che Ero­be­rer, als die la­chen­den Da­men ih­nen bis zum Tore das Ge­leit ga­ben.

Frei­lich ver­zog sich das lieb­li­che Ant­litz der Sa­che, als die fröh­li­chen Her­ren am an­dern Tage in ih­rer fins­te­ren Stadt er­wach­ten und nun Be­richt er­stat­ten muss­ten über den gan­zen Her­gang. We­nig fehl­te, als sie zum Punk­te der Ein­la­dung ge­die­hen, dass sie nicht als Be­hex­te in­haf­tiert und un­ter­sucht wur­den. In­des­sen fühl­ten sie auch ob­rig­keit­li­ches Blut in ih­ren Adern, und ob­gleich sie das Ding selbst schon ge­reu­te, so blie­ben sie doch fest bei der Stan­ge, ihr ge­ge­be­nes Wort zu lö­sen, und stell­ten den Al­ten vor, wie die Ehre der Stadt es schlech­ter­dings er­for­de­re, die Seld­wy­ler gut zu emp­fan­gen. Sie ge­wan­nen einen An­hang un­ter der Bür­ger­schaft, vor­züg­lich durch ihre Be­schrei­bung des rei­chen Stadt­ge­rä­tes, wo­mit die Seld­wy­ler so her­aus­for­dernd ge­prahlt hät­ten, so­wie durch das Heraus­strei­chen ih­rer Frau­en und de­ren zier­li­cher Klei­dung. Die Män­ner fan­den, das dür­fe man sich nicht bie­ten las­sen, man müs­se den ei­ge­nen Reich­tum da­ge­gen auf­ti­schen, der in den ei­ser­nen Schrän­ken funkle, und die Frau­en juck­te es, die stren­gen Klei­der­man­da­te zu um­ge­hen und un­ter dem Deck­man­tel der Po­li­tik sich ein­mal tüch­tig zu schmücken und zu put­zen. Denn das Zeug dazu hat­ten sie alle in den Tru­hen lie­gen, sonst wä­ren ih­nen die stren­gen Ver­ord­nun­gen längst un­er­träg­lich ge­we­sen und durch ihre Macht ge­stürzt wor­den.

Der Empfang der neu­en Freun­de und al­ten Wi­der­sa­cher ward also durch­ge­setzt, zum großen Ver­druss der Be­jahr­te­ren. Auch be­schlos­sen die­se so­gleich, den är­ger­li­chen Tag durch eine vor­zu­neh­men­de Hin­rich­tung zu fei­ern und da­mit eine zu leb­haf­te Fröh­lich­keit heil­sam und wür­dig zu dämp­fen. Wäh­rend die jün­ge­ren Her­ren mit den Zu­rich­tun­gen zum Fes­te be­tä­tigt wa­ren, tra­fen jene in al­ler Stil­le ihre An­stal­ten und nah­men einen ganz jun­gen, un­mün­di­gen ar­men Sün­der beim Kra­gen, der ge­ra­de im Net­ze zap­pel­te. Es war ein bild­schö­ner Kna­be von eilf Jah­ren, des­sen El­tern in krie­ge­ri­schen Zeit­läuf­ten ver­schol­len wa­ren und der von der Stadt er­zo­gen wur­de. Das heißt, er war ei­nem nie­der­träch­ti­gen und bö­sen Bet­tel­vogt in die Kost ge­ge­ben, wel­cher das schlan­ke, wohl­ge­bil­de­te und kraft­vol­le Kind fast wie ein Haus­tier hielt und da­bei an sei­ner Frau eine wa­cke­re Hel­fe­rin fand. Der Kna­be wur­de Die­te­gen ge­nannt, und die­ser Tauf­na­me war sein gan­zes Hab und Gut, sein Mor­gen- und Abend­se­gen und sein Rei­se­geld in die Zu­kunft. Er war er­bärm­lich ge­klei­det, hat­te nie ein Sonn­tags­ge­wand be­ses­sen und wür­de an den Fei­er­ta­gen, wo al­les bes­ser ge­klei­det ging, in sei­nem Jam­mer­ha­bit­chen wie eine Vo­gel­scheu­che aus­ge­se­hen ha­ben, wenn er nicht so schön ge­we­sen wäre. Er muss­te scheu­ern und fe­gen und lau­ter sol­che Mäg­de­ar­beit ver­rich­ten, und wenn die Bet­tel­vög­tin nichts Schnö­des für ihn zu tun hat­te, so lieh sie ihn den Nach­bars­wei­bern aus ge­gen Miets­geld, um ih­nen alle Lum­pe­rei­en zu tun, die sie be­gehr­ten. Sie hiel­ten ihn trotz sei­ner An­stel­lig­keit für einen dum­men Kerl, weil er sich still­schwei­gend al­lem un­ter­zog und nie Wi­der­stand leis­te­te; und den­noch ver­moch­ten sie nicht lang ihm in die feu­ri­gen Au­gen zu bli­cken, wenn er in un­be­wus­s­ter Kühn­heit blit­zend um­her­sah.