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Wird es Dieter schaffen eine tödliche Frachtladung in den Orient zu transportieren, um mit der Belohnung ein besseres Leben anzufangen? Freuen Sie sich auf einen teuflischen Ritt auf Messers Schneide durch die Heimat von la Familia, angetrieben von vierhundertvierzig Pferden unter der Motorhaube. Am Steuer sitzt ein frustrierter Kraftfahrer, der mit allen Wassern gewaschen ist und unterwegs keinen Höhepunkt auslässt, um seinem langweiligen Alltag auf europäischen Fernstraßen zu entfliehen. Für seinen Traum verkauft Dieter seine Seele an den Teufel.
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Seitenzahl: 255
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Für meine Familie und meine Freunde.
Mögen uns die vielen Kreuze und Kerzen am Straßenrand stets zu gegenseitiger Rücksichtnahme und einem klaren Kopf hinter dem Steuer ermahnen.
Abfahrtkontrolle
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Vollgas
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Hauptuntersuchung
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kundendienst
Kapitel 55
Ich sehe die roten Lichter vor mir, trete auf das Bremspedal und meine Geschwindigkeit sinkt wie meine Vorfreude auf das kommende Wochenende. Na großartig, geht es mir genervt kurz hinter der bayerischen Landeshauptstadt durch meinen ungewaschenen Kopf. Goldener Oktober, blauer Himmel und buntes Blech, das in der Sonne glänzt, soweit das Auge reicht. „Vollsperrung auf der A9. Die Feuerwehr ist mit Aufräumarbeiten beschäftigt...“, tönt es aus den Lautsprechern meiner weißen Sattelzugmaschine der schweren Klasse mit einem Stern auf dem Kühler und einem Planenauflieger, getauft auf den Namen Susi. Vierhundertvierzig Pferde unter der Motorhaube, die nun eine unfreiwillige Zwangspause einlegen müssen. Es ist Freitagmittag, das Feierabendbier hat bereits lauthals nach mir geschrien, doch leider vergeblich.
Zisch, macht es, als ich mir ein Bier am Armaturenbrett auf die altmodische Art aufmache. Kronkorken an einer Kante ansetzen, Flasche halten, sehr fest halten damit man nicht am Kondenswasser abrutscht und gezielt auf den Deckel schlagen. Mit meiner Erfahrung schaffe ich das mit einem Schlag. Seitdem ich mir in Italien kurz hinter der Brennerfernstraße beim Öffnen einer Bierflasche einen Zahn abgebrochen habe, mache ich es nun immer so. Die vielen Macken in meinem Armaturenbrett zeugen von unzähligen Flaschen goldenen Fernfahrerglücks. Sie fühlen sich an wie die Striche für vergangene Tage in einer Gefängniszelle.
Ein Staubier ist immer ein gutes Mittel, um die langweilige Warterei zu verkürzen. Ich schalte mein Musikabspielgerät ein und wütende Rocklieder einer australischen Kultband erfüllen mein Führerhaus. Die Fernstraße in die Hölle führt geradewegs in meine Firma, geht es mir schmunzelnd durch meinen juckenden Kopf. Müde stelle ich die Rückenlehne etwas zurück und mache es mir bequem, dabei denke ich an das kühle Gelbe in meiner Hand, an meinen blauen Zustand gestern Abend bei Bologna und an die schwarzhaarige Italienerin, die letzte Woche das Bett in meiner Susi mit mir geteilt hat.
Zisch, macht es, als ich mir das zweite Bier aufmache. Die Erinnerungen haben meinen Durst geweckt und der erste Schluck ist immer der Beste, stelle ich wieder einmal fest. Einfach mit der rechten Hand neben dem Sitz unter das Bett greifen und das Kühlfach aufziehen, dieser Handgriff sitzt immer, sowohl in den Kassler Bergen als auch auf dem Schweizer Gotthard Pass oder nach einem heißen Techtelmechtel auf dem Fahrersitz. Die Vollsperrung dauert immer noch an, mir wird langweilig und der Frust, weil ich zu spät in das Wochenende kommen werde, nimmt zu. Daher öffne ich die Fahrertür und steige die lästigen Stufen runter. Ungeniert entleere ich meine Blase am Vorderreifen, kremple die Ärmel meines karierten Kunstfilzhemdes hoch und mache einen kleinen Spaziergang.
Ich laufe an einem tiefergelegten, roten Kleinwagen mit einem Fuchsschwanz an der Antenne vorbei. Ein Mann sitzt am Steuer und zwei kleine Kinder auf der Rücksitzbank. Die Beifahrerin hat gebleichte Haare, durch ihren Ausschnitt kann ich fast die Fußmatte sehen und das goldene Herz an ihrer Kette klemmt zwischen ihren beiden künstlich aufgeblasenen, mit Silikon unterfütterten Lufttaschen. Es scheint wohl eine Familie auf dem Weg in das Wochenende zu sein und mich überkommt der Neid. Schnell schaue ich mich in alle Richtungen um, hole meinen Schlüssel aus der Tasche und ziehe ihn durch den roten Lack. Unauffällig stecke ich den Schlüssel wieder ein und beim Weitergehen schaue ich mich erneut nach allen Seiten um. Keiner scheint etwas gemerkt zu haben und eine kindliche Freude überkommt mich. Kurz darauf sehe ich, wie ein Motorradfahrer auf der anderen Seite an mir vorbeifährt. Aus einer Eingebung heraus renne ich zurück zu dem roten Kleinwagen, der in Wolfsburg hergestellt wurde und klopfe an die Scheibe. Der Mann lässt sie widerwillig herunter und ich sage außer Atem: „Das Motorrad ist gerade an ihrem Fahrzeug hängen geblieben!“ Der Mann am Steuer springt aus seinem Wagen und ich kann gerade noch von der Tür zurücktreten. Ich sehe ihn nun zum ersten Mal in voller Lebensgröße und denke ehrfürchtig: Oh Gott, ist das ein Bär. Er trägt eine Lederjacke über seinem Brustkasten, der so groß ist wie eine Telefonzelle. Seine Arme sind so breit wie die Reifen seines Wagens und mit seinen Händen könnte er einen Bären niederringen. Die Kinder auf der Rücksitzbank sind still vor Überraschung und seine Begleiterin schaut mich erschrocken an. Der Mann entdeckt den Kratzer, flucht laut und verfolgt den Motorradfahrer wie ein Rudel hungriger Wölfe ein zartes Reh. Bei jedem seiner Schritte bebt die Erde unter meinen ledernen Kuhjungenstiefeln. Er holt den Motorradfahrer schnell ein, weil der wegen einer geöffneten Tür anhalten musste.
Ich will mir das Spektakel nicht entgehen lassen und laufe hinterher. Schließlich bin ich derjenige, der diese hinterhältige Straftat aufgedeckt hat. Der Bär, am Hals und auf der Glatze bemalt, brüllt so laut das die Tiere im Zoo Hellabrunn die Köpfe recken: „Du Mistkerl, ich mach dich fertig!“
Ich schätze den Motorradfahrer auf ungefähr fünfzig. Er hat einen stattlichen Bierbauch, trägt einen ledernen Motorradanzug und durch das offene Visier sehe ich seinen nikotingelben Oberlippenbart. Er schaut sich um und kann wohl niemanden entdecken, der damit angesprochen werden soll. Daher dreht er sich wieder zu dem Mann in der Lederjacke um und fragt ihn: „Meinen sie mich?“
Die Antwort kommt so plötzlich wie die Wirkung auf einen Schlag in den Magen: „Ich mach dich Messer! Mach ich Foto, tue ich Polizei!“
„Wie bitte“, antwortet er sichtlich eingeschüchtert. Er hat bestimmt schon eine feuchte Unterhose, denke ich genüsslich.
„Du hast meinen Wagen kaputt gemacht!“
„Ich? Wie soll ich denn das gemacht haben?“
„Mit deinen Tritten an deinem Hobel bist du beim Vorbeifahren hängen geblieben!“
„Wo soll ich denn hängen geblieben sein?“
„Na da, an meinem Wagen, Alter. Siehst du nicht? Musst du kucken! Oder soll ich dir gleich deine Visagistin glattpolieren?“
„Junger Mann, also erst einmal heißt es Visage und zweitens bin ich nie in dieser Spur gefahren. Ich stehe links von ihrem Wagen und hier hätte ich unmöglich die Spur wechseln können. Die Fahrzeuge stehen viel zu dicht hintereinander.“
Hm, jetzt wo er es sagt, kommt es mir auch plausibel vor, geht es mir durch den Kopf. Eine Stimme, ich weiß nicht, wo sie herkommt, schreit mich an: ‚Renn weg!‘ Ich renne so schnell ich kann zu meiner Susi, schließe die Tür auf und steige die lästigen Stufen hoch. Schwindelig und mit Sternen vor meinen Augen lasse mich auf den Fahrersitz fallen, schließe die Tür, warte, bis ich wieder Luft bekomme, drücke den Knopf für die Zentralverriegelung, schließe die Vorhänge und öffne mir ein drittes Bier. Nach den ersten Schlucken geht es mir schon besser, meine Susi wirkt auf mich wie ein Starkstromzaun, an dem kein Bär der Welt vorbeikommt. Jetzt brauche ich etwas zur Beruhigung, daher öffne ich das Kühlfach erneut und gönne mir einen kleinen Schluck Kräuterschnaps aus einer grünen Flasche.
Hup, tönt es in meinem Kopf. Hoppla, ich muss wohl eingeschlafen sein, denke ich. Hup, höre ich erneut das Geräusch. Das Hupen ist immer noch da. Mein Schädel pocht, ich öffne langsam meine Augen und schaue mich um. Die Vorhänge sind geschlossen, vier leere Flaschen goldenes Fernfahrerglück liegen auf dem Beifahrersitz, sonst ist alles dreckig und abgenutzt wie immer. Hup, schallt es erneut in meinem Kopf. Jetzt öffne ich die Vorhänge. Da erst fällt es mir wieder ein, ich stehe in einer Vollsperrung. Beruhigt lehne ich mich wieder zurück. Hup, höre ich es erneut. Eine Stimme sagt zu mir: ‚Dieter, hier ist irgendetwas seltsam‘. Ich muss der Stimme recht geben und kombiniere die Fakten, so wie ich es im Sonntagabendkriminalfilm beobachte. Ich sitze in meiner Susi und stehe auf der rechten Spur. Vor mir ist die leere Fernstraße. Daneben der leere Standstreifen. Auf der anderen Seite schießen Fahrzeuge über die linke Spur wie Pistolenkugeln. Hup, meine Kopfschmerzen werden schlimmer. ‚Was ist hier nur los‘, höre ich mich fragen und schaffe es nicht, die Puzzleteile zu sortieren. Es dauert eine Weile, bis mir klar wird, dass mein Firmentelefon klingelt. Ich nehme das Gespräch entgegen.
„Hier Dieter“, sage ich müde und kraftlos nach einer harten Arbeitswoche auf europäischen Fernstraßen.
„Dieter, wieso stehst du immer noch auf der A9 kurz hinter München? Die Vollsperrung ist seit einer halben Stunde aufgehoben und der Kunde will wissen, wann die Tampons bei ihm ankommen, die Frauen wollen Dämme bauen“, schreit mich mein Chef an.
„Dämme“, lalle ich fragend in das Telefon.
„Dieter, du bist doch schon wieder blau, du bist schon wieder betrunken auf dem Standstreifen eingeschlafen, stimmt‘s“, fragt mich mein Chef.
Schlafen, betrunken, Standstreifen, endlich fügen sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen. Über Satelliten sieht mein Chef bei sich im Büro auf seiner Rechenmaschine immer, wo ich mich gerade befinde. „Chef, ich fahre gleich weiter, hatte eine kleine Panne. Alles selbst repariert und erledigt. Ganz ohne teuren Pannendienst. Ich bin schon unterwegs“, sage ich jetzt wieder mit vollem Elan in das Telefon und lege auf.
Das Staubier meldet sich nun zu Wort, ich lehne mich mit einer leeren Bierflasche in meiner Hand im Sitz zurück, öffne meinen Reißverschluss und meine Schleuse. Meine Blase ist größer als die Flasche und mir läuft es warm an meiner Hand entlang, zum Unterarm, weiter zum Ellbogen und tropft von da auf die Fußmatte. Angeekelt schmeiße ich die Flasche kurzerhand aus dem Seitenfenster raus, doch ich habe vergessen sie zu öffnen, die Flasche prallt ab und landet schmerzvoll auf meinem Gemächt. Der Schmerz schickt den Rest meines Blaseninhalts ungehemmt in den Fußraum. Das Wochenende hat noch nicht einmal angefangen und das Führerhaus sieht schon wieder aus wie Sonntagabend nach einem Lastwagenfahrertreffen in Geiselwind. Der Dammbruch und mein schmerzender Unterleib bringen einen waschechten Fernfahrer wie mich aber nicht aus der Fassung. Mit nassen Fingern schließe ich meine tropfnasse Nietenhose, starte den Motor, löse die Bremse und drücke das Gaspedal voll durch. Mein Fuß liegt schwer auf dem Pedal, meine Susi beschleunigt bis auf neunzig Sachen und ich komme meinem wohlverdienten Feierabend endlich wieder näher.
Ich fahre an der Stadt der Kriegsprozesse vorbei weiter zu der oberfränkischen Domstadt, hier beginnt es zu regnen und ich erreiche den Kunden, einen Lebensmittelmarkt in der unterfränkischen Wälzlagermetropole am Main, mit einer nassen Hose und einer ordentlichen Verspätung.
Ein Mann in Anzug steht an der Rampe und wartet bereits auf mich. Er schaut mich mitleidig an, ohne sich über meine Verspätung zu beschweren. Mein Anblick und mein Geruch wecken selbst in einem hartgesottenem Filialmarktleiter eines international agierenden Einzelhandelsunternehmens ein wenig Mitgefühl. Seine Verkäuferinnen räumen die Hygieneartikel wortlos in das Lager. Wie sonst üblich muss ich noch nicht einmal die Paletten vom Auflieger auf die Rampe ziehen. Der ‚Ich wäre lieber Dax-Unternehmensvorstand geworden‘ bittet mich freundlich, aber bestimmt zur Seite.
Er sagt zu mir: „Das sind Hygieneartikel. Nach ihrem Aussehen und Geruch zu urteilen haben sie mit solcherlei Dingen keine Erfahrung. Daher möchte ich sie bitten Platz für meine Hygienefachabteilungsberaterinnen zu machen.“
Ich bin froh, die Arbeit nicht machen zu müssen und gehe auf die Kundentoilette. In dem kleinen, gefliesten Raum gibt es ein Waschbecken, ein Pissoir und eine Toilette. Da mir gesagt wurde, ich hätte keine Ahnung von Hygiene, gebe ich mir keine Mühe beim Zielen, zerbreche die Klobürste in zwei Teile und werfe sie mit vier Rollen Klopapier in die Toilette. Mit einem Blick in die Schüssel sage ich laut: „Hasta la vista, baby“, und drücke ab. Zufrieden gehe ich zum Büro des Filialleiters, lasse meine Frachtpapiere unterschreiben und bediene mich auf dem Rückweg zu meiner Susi heimlich aus dem Alkoholvorrat im Lager. Mit zwei Flaschen amerikanischen Getreidedestillats namens Johannes und Jakob im Arm steige ich die lästigen Stufen hoch, fahre ein Stück vor, schließe die Türen des Aufliegers und setze mich wieder auf den nassen Sitz hinter das Steuer. Erschöpft fahre ich eine Straße weiter auf einen freien Parkplatz und schicke meine vierhundertvierzig Pferde mit einem Dreh des Zündschlüssels in das Wochenende.
Das wohlverdiente Feierabendbier trinke ich auf einen Zug leer, ich rülpse laut und mit der Luft verlässt auch die Anspannung der vergangenen Woche meinen müden Körper. Lustlos rufe ich meine Frau an, sie geht sofort an das Telefon und fragt genervt: „Was ist denn nun schon wieder los?“
Wir haben seit einer Woche nicht mehr miteinander gesprochen. Ihre Frage bestätigt mich in meinem Entschluss, heute nicht mehr nach Hause zu fahren. Die Woche war anstrengend, ich bin mit meinen Nerven am Ende und ich habe keine Lust, mein Wochenende mit Frau und Kind zu verbringen. Daher sage ich: „Meine Fahrtzeit reicht nicht mehr aus, um heimzufahren. Wir sehen uns nächstes Wochenende.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, lege ich auf.
Gelangweilt schaue ich mir Filme auf meiner Rechenmaschine an, trinke Getreidedestillat aus der Flasche und lausche dem Prasseln des Regens auf dem Dach meines Führerhauses. Das verregnete Oktoberwochenende verbringe ich mit stumpfsinnigen Filmen und alkoholschwerem Schlaf. Tag und Nacht verschwimmen zu einer trüben Suppe, ohne Würze und ohne Abwechslung, genau wie mein Arbeitsalltag. Mein Alkoholkonsum ist erst in den letzten Jahren ausgeufert. Der ständige Zeitdruck auf der Arbeit, die wenige Freizeit und die Aussicht, diese Suppe noch bis zu meiner Rente weiter löffeln zu müssen, haben bei mir alle Dämme brechen lassen. Der Alkohol ist wie der Strudel eines Stauwehrs, der einen Ertrinkenden immer wieder nach unten drückt und nach oben spült, ihm Zeit gibt Luft zu holen, aber nie frei lässt. Während ich mit dem Getreidedestillat auf meine Rechenmaschine starre, träume ich von einem besseren Leben in Italien.
Um Punkt zweiundzwanzig Uhr am Sonntagabend klingelt mein Firmentelefon und holt mich in die Realität zurück. Mein Chef ruft mich jede Woche um diese Zeit an, ich nehme den Anruf widerwillig entgegen, die Aussicht auf eine weitere Woche in diesem Rennen ohne Ziel, auf einen weiteren Teller alter Suppe, deprimiert mich zutiefst.
Mein Chef sagt: „He Dieter, und, Wochenende, was haste gemacht? Wie geht´s den Kindern? Ich war am Freitagabend mit meiner neuen Freundin in einer Wohlfühloase mit Abendessen bei Kerzenschein, romantischem Bad zu zweit und heißem Nachtisch. Am Samstag habe ich mir mit meinen Freunden einen Streckwagen gemietet und die Innenstadt der Bankmetropole am Main unsicher gemacht, heute war ich mit den Kindern von meiner ehemaligen Frau im Freizeitpark. Wie lief es bei dir?“
„Mann, du hast ja ein langweiliges Wochenende gehabt, Chef“, sage ich betont müde und abgespannt in das Firmentelefon. „Ich habe mit meinen Kumpels Johannes und Jakob reihenweise Weiber beglückt. Mann, was für ein Wochenende, ich weiß gar nicht, woher ich die Kraft für das Lasterfahren nehmen soll.“
„Echt, Dieter, hätte ich dir gar nicht zugetraut. Aber Respekt, da muss ich mich wohl kommendes Wochenende auch mehr ins Zeug legen. Geld sollte keine Rolle spielen, stimmts?“
„Ja genau, Chef. Ein Wochenende ohne Kaviar aus dem Bauchnabel einer hübschen Russin ist doch kein Wochenende.“ Dabei denke ich an Folge 5 von „Swetlanas kulinarische Höhepunkte in Wladiwostok“
„Dieter, du hast recht. Nächstes Wochenende werde ich mich mehr ins Zeug legen.“
Wenn der wüsste, wie langweilig mein Wochenende hier im Gewerbegebiet war, aber auch wie billig, denke ich und muss trotz der deprimierenden Umstände lächeln.
„Dieter, du musst sofort los. Heute Abend noch Abfahrt, Leergut von unserem Stammsitz nach München fahren, dort laden für Italien. Wichtige Kunden, wertvolle Ware, überlebenswichtig für unsere Firma. Vergiss nicht, da hängt auch dein Gehalt dran. Ich schick dir alles auf deinen Streckenplaner und jetzt volle Kraft voraus“, sagt er und legt auf, ohne meine Antwort abzuwarten.
Ich stelle die Rechenmaschine auf den Beifahrersitz, starte den Motor, schalte den Streckenplaner ein, ziehe die Vorhänge zurück und löse die Bremse. Mit dem Fuß über dem Gaspedal atme ich einmal tief durch und fahre langsam los. Ich fühle mich wie in meiner Kindheit, wenn meine Mutter Gemüsesuppe gekocht hat.
Den Stammsitz meiner Firma erreiche ich nach fünfzehn Minuten Fahrt. Routiniert docke ich an eine freie Rampe an, lade die leeren Europaletten mit einem Elektrostapler auf den Auflieger, fahre meine Susi ein Stück vor und schließe die Türen des Aufliegers. Schon unzählige Male habe ich das auf diese Weise gemacht. Über den verwaisten Parkplatz gehe in das Büro und hole den Palettenschein aus meinem Fach, außer mir ist niemand anwesend.
Ich setze mich gähnend hinter das Steuer. Der Sitz fühlt sich an wie eine Schlachtbank. Vor meinem geistigen Auge taucht mein Chef auf dem Beifahrersitz auf und wetzt ein Messer über einem Schleifstein. Schon unzählige Male habe ich ihn angefleht, nicht mehr in der Nacht fahren zu müssen, aber das interessiert ihn genauso wenig wie das Gesetz zum Mindestlohn. Ich atme tief durch und fahre los auf meine Heimatfernstraße A70 durch den Tunnel Schwarzer Berg, an der oberfränkischen Domstadt biege ich ab auf die A73 und an der Stadt der Kriegsprozesse wechsle ich auf die A9. Hier überkommt mich die Müdigkeit mit aller Macht. Ich trinke noch mehr Cola, fahre an der Schnellzugstrecke entlang, erreiche bald darauf das schöne, tiefschwarze Altmühltal und fahre schließlich durch die Holledau. Das Radio läuft auf voller Lautstärke und auf Höhe der Stadt der Ringe sehne ich mich nach einem Bett im Hotel L´Amour. Die Fenster sind sperrangelweit offen und der Fahrtwind führt mit meiner Müdigkeit einen aussichtslosen Vernichtungskrieg. So fahre ich am Kreuz Neufahrn vorbei und um München herum bis zur Ausfahrt Unterhaching Nord, dort runter von der Fernstraße und noch ein Stück durch die Ortschaft. Wie gerne würde ich mich jetzt auch zum Schlafen in eine Kiste legen, denke ich, als ich an einem Friedhof vorbeifahre. Endlich erreiche ich den Kunden, ich betätige die Klingel und das Werkstor öffnet sich in Begleitung einer orangen Warnleuchte. Todmüde freue ich mich, endlich das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Normalerweise ist die Firma um diese Uhrzeit geschlossen. Jedoch hat mein Chef mit der Firmenleitung eine Ausnahmeregelung vereinbart. Der Sicherheitsdienst lässt uns rein und im Gegenzug müssen wir die Ware selbst aufladen. Die Warnleuchte geht aus, das Tor ist nun vollständig geöffnet und ich fahre auf den Hof auf einen freien Parkplatz. Schnell steige ich die lästigen Stufen runter und pinkle dem Sattelzug neben mir gegen die Hinterachse der Zugmaschine. Ich schüttle so lange, bis aus keiner Tomatenwürzsaucenflasche der Welt noch ein Tropfen rauskäme und Heinz mit einem Schleudertrauma in der Notaufnahme läge.
Zurück im Führerhaus ziehe ich meine gelbe Warnweste an, nehme den Palettenschein und den Zettel, auf dem ich die Ladereferenz aus dem Streckenplaner notiert habe und gehe an die Anmeldung. Ein junger, bulliger Mann in schwarzer Kleidung und Kampfstiefeln gibt die Ladereferenz in seine Rechenmaschine ein und teilt mir zwei Rampennummern mit. Gähnend fahre rückwärts an die angegebene Rampe, gehe in das Lager und ziehe die Paletten mit einem Mitläufer aus dem Auflieger in das Lager. Die Frühschicht wird später die Anzahl kontrollieren. Anschließend gehe ich zu einer Selbstbedienungskaffeemaschine und nehme mir die Zeit, im Stehen in Ruhe einen Becher Kaffee zu trinken. Leer fahre ich an die nächste Rampe und lade Senf in allen Geschmacksrichtungen für Italien. Die Paletten stehen schon am Tor und sind markiert, damit keine Verwechslungen passieren. Voll beladen mit dreiunddreißig Paletten steige ich wieder die lästigen Stufen hoch, fahre zu der Anmeldung zurück, steige die Stufen runter und schließe die Türen des Aufliegers. Müde hole ich meine Papiere aus dem Büro, gönne mir einen zweiten Becher Kaffee aus der Selbstbedienungsmaschine und gehe wieder zu meiner Susi zurück. Mühsam steige ich die lästigen Stufen erneut hoch und hole eine volle Flasche koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk aus dem Kühlfach. Ich bin um vier Uhr hier angekommen, für den Papierkram und das Laden der Paletten habe ich zwei Stunden gebraucht, daher kommen mir beim Verlassen des Betriebsgeländes die ersten Arbeiter der Frühschicht entgegen. Das Koffein zeigt Wirkung und ich zittere mit beiden Beinen wie mein Freund Karl-Heinz, als er einmal beim Anschließen einer Steckdose vergessen hatte die Sicherung rauszunehmen und der Sicherheitsschalter mit Kaugummipapier überbrückt war. Aber das ist eine andere Geschichte. Zum Glück gibt es Tempomat, das spart Diesel, wenn man nicht ständig wegen dem Zittern das Gaspedal durchdrückt und wieder loslässt.
Ich fahre mit zitternden Beinen und so müde wie ein Bär im Winter los. Die kalte Luft strömt durch die offenen Fenster in das Führerhaus und verstärkt mein Zittern. Meine Susi trägt mich auf der A8 bis Rosenheim, ich wechsle auf die A93 und fahre weiter auf die A12 in Richtung der Tiroler Landeshauptstadt mit dem goldenen Dach. Hier schlafe ich zum ersten Mal ein und knalle mit dem Kopf mit voller Wucht auf den Lenker. Der Schmerz weckt mich wieder auf und ich schrecke hoch. Aus diesem Grund schnalle ich mich beim Fahren nicht an, denn der alte Fernfahrertrick hat mich schon so manches Mal vor einem kalten, feuchten Grab im Straßengraben bewahrt. Mit letzter Kraft halte ich am nächsten Rastplatz an und stelle mir den Wecker auf fünfzehn Minuten später. Jetzt, wo ich endlich auf dem Parkplatz stehe, bin ich hellwach, vergeblich versuche ich ein bisschen zu schlafen und fahre erfolglos weiter.
Ich spucke in meine Hände, steigere mein Tempo und singe lauthals eine Hymne auf das Bruttosozialprodukt. Der Ritt auf der A12 durch den Herbstnebel verstärkt meine Müdigkeit, trotzdem lasse ich meine Susi weiter rennen, bis ich endlich die Stadt mit dem goldenen Dach erreiche und auf die Brennerfernstraße abbiege. Hier halte ich erneut an einem Rasthof an und renne dreimal um meine Susi, als wäre ein Bär hinter mir her, so versuche ich meiner Müdigkeit davon zu laufen. Die Anstrengung lässt mich Sterne sehen, ich steige aus Versehen in den Auflieger und setze mich auf eine Palette mit Senfgläsern. Die Sterne verschwinden, ich erkenne meinen Irrtum und schlafe ein, während ich überlege, wie ich unverletzt wieder nach unten komme. Zitternd vor Wut, weil es so verdammt kalt ist, wache ich auf. Mir ist übel und ich fühle mich elend, trotzdem springe ich aus dem Auflieger, verdrehe mir schmerzhaft den Fuß und humple zurück zum Führerhaus.
Kraftlos steige ich die lästigen Stufen hoch und mein Kontrollgerät, das meine Fahrtzeiten überwacht, zeigt mir eine zweistündige Pause an. Mit einem kräftigen Dreh des Zündschlüssels hole ich meine Susi aus ihrer unfreiwilligen Pause und trete das Gaspedal voll durch. Zu spät bemerke ich den schwarzen Kleinwagen und schiebe ihn vor mir her. „Idiot“, schreie ich und ärgere mich über das Hindernis. Ich setze zurück und stoße schon wieder auf Blech. Wütend schalte ich das Selbstschaltungsgetriebe auf Vorwärts, schlage links ein und nun kann mich nichts mehr aufhalten. An den parkenden Fahrzeugen vorbei fahre ich zurück auf die Fernstraße meinem Tagesziel entgegen.
Die Sonne hat sich während meines unfreiwilligen Nickerchens durchgesetzt und den Nebel aufgelöst, endlich kann ich den Ausblick auf die österreichischen Berge genießen. Die höchsten Gipfel sind schneebedeckt, die Wiesen sattgrün und die Wälder leuchtend orange. Ich vergleiche den Herbst mit dem Auspufftakt meines Dieselmotors, wenn die Abgase aus dem Zylinder ausgestoßen werden und dadurch ein neuer Zyklus vorbereitet wird. Die Bäume werfen ihre Blätter ab, viele Vögel wandern in südlichere Länder und die Tiere bereiten sich auf den langen Winter vor. So kann im nächsten Jahr ein neuer Lebenszyklus entstehen. Mein Radio ist ausgeschaltet und ich verliere mich in Tagträumen von einem Neuanfang in Bella Italia. In der Ferne sehe ich die verlassene Grenzstation und das blaue Schild mit der Aufschrift: ‚Italien‘, meine Susi galoppiert leichtfüßig über die Grenze, ich fahre an Bozen vorbei bis zu einem Rasthof und halte dort auf einem freien Parkplatz an. Um kurz vor vierzehn Uhr schalte ich erleichtert den Motor aus und schicke meine Susi in ihren wohlverdienten Feierabend, gut fünfhundert Kilometer und ein gefühltes Lichtjahr von zu Hause entfernt. Hier in Italien geht es mir immer gleich viel besser.
Die italienische Lebensfreude steckt mich an und verdrängt die deutsche Engstirnigkeit wie das Segelschiff aus der Bierwerbung das Wasser unter seinem Kiel.
Da ich unterwegs eingeschlafen bin musste ich meine gesetzlich erlaubte Schichtzeit um eine Stunde überziehen. Solange ich nicht von den Behörden kontrolliert werde, ist das kein Problem. Ich öffne das Fenster, die italienische Luft strömt in mein Führerhaus und vermischt sich mit meinem süß-säuerlichen Körpergeruch nach einer Woche ohne Dusche. Mein Körper juckt, als würden tausende Ameisen darüber krabbeln. Mit meinem Geldbeutel steige ich die lästigen Stufen runter und kratze mich genüsslich am ganzen Körper, bis alle Ameisen zurück in ihrem Bau sind. Nun meldet sich mein voller Darm und meine noch vollere Blase zu Wort, ich schließe meine treue Begleiterin ab und gehe, nein ich schwebe viel mehr, zum Rasthofgebäude. Am Drehkreuz zu den Toiletten warte ich einen günstigen Moment ab und klettere darüber. Einmal habe ich versucht durch den Kindereingang zu krabbeln und bin dabei stecken geblieben, aber das ist eine andere Geschichte. Erleichtert drücke ich wenig später in einer Kabine auf den Spülknopf und sende ein großes Paket an ein norditalienisches Klärwerk.
Am Rückweg hole ich mir in der Raststätte einen Kaffee. Mein erster italienischer Kaffee war eine Enttäuschung, weil ich nur einen Schluck braune, bitter schmeckende Flüssigkeit in einem kleinen Becher erhielt. Ein Italiener hat mir später den Unterschied erklärt, ein italienischer Kaffee ist ein Espresso und kein deutscher Kaffee. Mittlerweile liebe ich dieses Gebräu, weil es so wunderbar nach den arabischen Erfindern des Kaffees schmeckt. Der Geschmack auf meiner Zunge erzeugt jedes Mal in meinem Gehirn farbenfrohe Bilder von einer Fahrt mit meiner Susi über eine einsame Landstraße durch den Orient, an Paläste, in denen wunderschöne Frauen die Nächte durchtanzen und an Ali Baba und seine vierzig Räuber. Ich schlürfe meinen italienischen Kaffee in einem Zug und gehe, nein, ich schwebe auf einem fliegenden Teppich zu meiner Susi zurück. Ihr Anblick weckt in mir Erinnerungen an alte Zeiten. So viele Länder haben wir schon bereist, so unendlich viele Stunden gemeinsam verbracht, jede Beule und jeder Kratzer hat eine Geschichte zu erzählen. An der Fahrertür sage ich laut: „Sesam öffne dich“, drücke auf den Schlüssel, das Schloss entriegelt, ich öffne die Tür, steige die lästigen Stufen hoch, setze mich auf den Fahrersitz und schließe die Tür. Durstig lehne mich in meinem Sitz zurück und trinke gierig drei Flaschen goldenes Fernfahrerglück, streife meine ledernen Kuhjungenstiefel ab und schlafe bald selig in meinem Bett ein.
In meinem Traum reise ich zu einem orientalischen Märchenpalast, treffe mich dort mit Aladins Schwester und fliege mit ihr auf einem samtweichen Teppich zu Ali Babas Schatzhöhle.
Um 22.40 Uhr klingelt mein Wecker. Der Gesetzgeber verlangt wenigstens neun Stunden Pause und da ich um 13.56 Uhr hier angekommen bin, darf ich nicht vor 22.56 Uhr wieder losfahren. Wäre ich nicht im Auflieger eingeschlafen, hätte ich schon zwei Stunden früher losfahren können. Bis zu meiner Abladestelle hinter der adriatischen Ellbogenhafenstadt muss ich heute ungefähr fünfhundert Kilometer fahren, dort habe ich um sieben Uhr früh einen Abladetermin. Mit Stau und Pausen plane ich ungefähr acht Stunden ein, es könnte also knapp werden. Schlimmer als der Zeitdruck ist allerdings mein Hunger, daher setze ich mich auf den Fahrersitz, hole mir eine große Salamistange vom Billiglebensmittelgeschäft aus meinem Kühlfach und schäle diese blöde weiße Haut ab. Immer wenn ich ein gutes Stück geschafft habe, beiße ich herzhaft hinein. Weil so eine Wurst sehr würzig ist und das Feuer auf meiner Zunge entfacht, trinke ich dazu ein kühles Löschbier. Danach öffne ich den linken Vorhang und das Seitenfenster. Die Fahrzeuge rauschen in einiger Entfernung an mir vorbei, ich schaue in den Sternenhimmel und möchte gerade nirgendwo lieber sein als hier in meinem geliebten Italien. Das Einzige was mich stört, ist die verdammte Arbeit.
Um Punkt 22.56 Uhr, es geht halt nichts über deutsche Pünktlichkeit, drehe ich den Schlüssel um und meine vierhundertvierzig Pferde erwachen zum Leben. Ich ziehe die restlichen Vorhänge zurück und sehe vor mir einen blauen Kleinwagen mit dem deutschen Kennzeichen ‚PIR‘, der vor mir geparkt hat und mir die Ausfahrt versperrt. Der Fahrersitz des Wagens ist leer, daher renne ich zum Rasthofgebäude und schreie: „Da draußen brennt ein blauer Kleinwagen mit dem Kennzeichen ‚PIR‘. Feuer!“
Ein Mann mittleren Alters in der Schlange vor der Kasse dreht sich zu mir um, schaut mich fragend an und läuft nach draußen. Aus der Auslage nehme ich einen leeren Benzinkanister, folge ihm zu seinem Fahrzeug und schreie ihn an: „Weg, weg, weg!“
In dem Kleinwagen bricht daraufhin Hektik aus, eine Mutter beugt sich nach hinten auf die Rücksitzbank und nimmt ihre drei Kinder schützend in die Arme. Der Mann dreht sich zu mir um und sagt: „Der brennt doch gar nicht.“
Ich halte ihm den leeren Benzinkanister vor sein Gesicht und schreie: „Gleich brennts hier richtig!“ Jetzt bekommt er es mit der Angst zu tun, er steigt ein, fährt mit quietschenden Reifen ein ganzes Stück weg von mir und steigt sichtlich eingeschüchtert wieder aus.
„Weg, Weg, Weg“, schreie ich immer noch völlig von Sinnen, ich bin so in Rage, ich kann mich gar nicht mehr beruhigen. Schließlich bin ich deutscher Fernfahrer und habe einen Zeitplan einzuhalten. Der Falschparker sagt leise und ängstlich zu mir: „Nu ist alles wieder gut. Beruhigen sie sich doch bitte wieder, meine Kinder weinen schon.“
Ich habe mich so in die ganze Sache hineingesteigert, dass ich das Weinen der Kinder gar nicht bemerkt habe. Ein letztes Mal blicke ich zu der Mutter mit ihren verängstigten Kindern im Arm, lasse den Kanister an Ort und Stelle auf den Boden fallen, steige die lästigen Stufen hoch und fahre zurück auf die Fernstraße. Nach einigen Minuten Schwermetall in voller Lautstärke aus den Lautsprechern meiner Susi beruhige ich mich langsam wieder. Der ständige Zeitdruck über die vielen Jahre haben mich dünnhäutig werden lassen, und jetzt, wo ich in Ruhe darüber nachdenke, tut mir die ganze Sache sehr leid, nachdenklich starre ich vor mir auf die Straße.