Disney. Twisted Tales: Elsas Suche (Die Eiskönigin) - Walt Disney - E-Book
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Disney. Twisted Tales: Elsas Suche (Die Eiskönigin) E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Sie ist zur Herrscherin bestimmt, doch etwas fehlt. Jemand fehlt.  Nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern muss Prinzessin Elsa sich schneller in ihre Rolle als Königin von Arendelle fügen als gedacht. Und auf magische Weise gehen damit lang verschüttete Erinnerungen einher. Erinnerungen an ein ihr bekannt erscheinendes Mädchen. Wer ist dieses Mädchen, das ihr so schmerzhaft und innig vertraut vorkommt? Elsa macht sich auf die Suche nach ihr und beginnt eine gefährliche Reise, um einen schrecklichen Fluch zu lösen – und um zu finden, was ihr seit Jahren fehlt.  In der Reihe 'Twisted Tales' werden die beliebtesten Disney-Klassiker aus einer vollkommen anderen Perspektive erzählt. Sie präsentieren sowohl die Held*innen als auch die Bösewichte in einem völlig neuen Licht. Ein vielschichtiges Fantasy-Abenteuer voller neuer Blickwinkel, dunklerer Welten, überraschenden Twists und düsteren Geheimnissen. Moderne Märchen-Adaption mit einer starken Heldin in einem düsteren Fantasy-Setting: Ein Muss für alle Frozen-Fans! 

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Für meine eiskalten Komplizinnen Joanie Cook und Kristen Marino

J. C.

Erstes Kapitel

Elsa

Darf ich vorstellen – die Prinzessin von Arendelle!“

Elsa trat aus dem Schatten ihrer Eltern in die Sonne. Ihr Volk erwartete sie auf dem großen Platz und begrüßte sie mit donnerndem Applaus. Hunderte von Untertanen jeden Alters hatten sich zusammengefunden. Sie schwenkten Fähnchen, auf denen das Wappen der königlichen Familie zu sehen war, warfen Blumen und jubelten. Kinder saßen auf den Schultern ihrer Väter, einige Leute standen auf Kutschendächern, andere lehnten sich aus den Fenstern der umstehenden Häuser. Alle wollten die Prinzessin sehen. Ihre Eltern waren daran gewöhnt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, aber Elsa war gerade erst achtzehn geworden und bisher nur selten zu offiziellen Terminen eingeladen worden.

Um ehrlich zu sein, hätte sie ihr Leben lieber weiter in Abgeschiedenheit geführt, aber nun musste sie sich ihren Verpflichtungen stellen.

„Hoch lebe Prinzessin Elsa!“, riefen die Leute. Elsa stand mit ihren Eltern auf einer Bühne, die extra für diesen Anlass gebaut worden war. Von dort konnte man bequem über den großen Platz vor dem Schlosstor schauen, war jedoch auch schutzlos den neugierigen Blicken ausgeliefert. Aber genau darum ging es wahrscheinlich.

„Schau! Das ist die Prinzessin von Arendelle“, hörte sie eine Mutter zu ihrer kleinen Tochter sagen. „Ist sie nicht hübsch? Du darfst ihr jetzt dein Geschenk überreichen.“

Das Mädchen stand direkt vor der Bühne, in der Hand hielt sie einen Strauß mit violettem Heidekraut, Elsas Lieblingsblume. Aber jedes Mal, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um der Prinzessin den Strauß zu reichen, wurde sie von der Menge zurückgedrängt.

Fragend schaute Elsa ihre Mutter an. Die Königin nickte kaum merklich, und Elsa stieg die Stufen hinab. Dabei musste sie ihr blassblaues Kleid hochheben, zu dem sie ein passendes Jackett trug. Beides war extra für diesen Tag geschneidert worden. Es passte zu den hellblauen Augen, die Elsa von ihrer Mutter geerbt hatte. Ansonsten ähnelte sie eher ihrem Vater, nicht zuletzt wegen der hellen Haare, die sie meist zu einem Zopf geflochten hatte.

„Vielen Dank für die wunderschönen Blumen“, sagte Elsa zu dem Mädchen und nahm den Strauß mit einer würdevollen Handbewegung entgegen. Anschließend stieg sie wieder auf die Bühne, um zur Menge zu sprechen. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, wie man sich seinen Untertanen präsentierte.

„Wir freuen uns, dass ihr am heutigen Tag so zahlreich gekommen seid, um der Enthüllung der Statue der königlichen Familie beizuwohnen, die der großzügige Axel Ludenburg unserem Königreich geschenkt hat“, begann sie. Die Menschen applaudierten. „Ein Hinweis noch, bevor der Schleier gelüftet wird: Herr Ludenburg hat einige Jahre damit verbracht, dieses Kunstwerk herzustellen. Daher vermute ich, dass ich in Bronze deutlich jünger aussehe als in diesem Moment, wo ich vor euch stehe.“

Die Menge lachte, und Elsa schaute voller Stolz zu ihrem Vater. Dieser Satz war ihre Idee gewesen. Ihr Vater nickte ihr zu, um ihr Mut zu machen.

„Seine Arbeit ist von großer Bedeutung für unser Land.“ Elsa lächelte dem Künstler zu. „Und nun möchte ich euch, ohne weitere Umstände zu machen, Herrn Ludenburg vorstellen.“ Elsa trat zur Seite, um dem älteren Herrn Platz zu machen.

„Vielen Dank, Prinzessin.“ Ludenburg verbeugte sich vor ihr. Sein weißer Bart berührte dabei beinahe seine Knie. Dann wandte er sich an die Menge. „Ich bedanke mich bei König Agnarr, Königin Iduna und unserer schönen Prinzessin Elsa für die Erlaubnis, ihnen zu Ehren eine Skulptur zu schaffen. Ich hoffe, dass dieses Kunstwerk in Zukunft alle Besucher willkommen heißen wird, die von nah und fern anreisen, um sich das Schloss und seinen Garten anzuschauen.“ Er warf seinem Assistenten einen auffordernden Blick zu. Der begann, die Seile aufzuknüpfen, die das Tuch zusammenhielten. Darunter stand die Skulptur in der Mitte des großen Brunnens. „Ich präsentiere Ihnen die königliche Familie von Arendelle!“ Er zog das Tuch herunter.

Die Menge hielt den Atem an, dann folgte begeisterter Applaus.

Es war das erste Mal, dass der König, die Königin und Elsa die komplette Skulptur zu Gesicht bekamen. Elsa erinnerte sich noch daran, wie sie Ludenburg für seine Skizzen Modell gesessen hatte. Damals war sie elf Jahre alt gewesen, und in den Jahren danach hatte sie kaum noch an die Skulptur gedacht. Bis ihr Vater sie gebeten hatte, bei der Enthüllung eine kleine Rede zu halten.

„Es ist sehr schön“, sagte Elsa zu Ludenburg. Und das war ihre ehrliche Meinung.

Die Bronzeskulptur hielt einen bestimmten Moment fest. Der jugendliche König mit seinem Umhang und der Krone wirkte sehr würdevoll, die Königin im langen Kleid und mit Stirnreif war wunderschön. Zwischen ihnen stand ihr einziges Kind Elsa, die Prinzessin von Arendelle, und sah deutlich jünger aus als heute mit ihren achtzehn Jahren.

Der Anblick des elfjährigen Mädchens, das sie einst gewesen war, rührte Elsa zutiefst. Als einziges Kind hatte sie sich damals im Schloss sehr einsam gefühlt. Ihre Eltern waren mit Regierungsangelegenheiten beschäftigt gewesen, und obwohl sie viele Stunden am Tag lernen musste, hatte sie doch viel Zeit damit verbracht, allein durch das Schloss zu schlendern. Natürlich hatten ihre Eltern dafür gesorgt, dass sie unter den Kindern der Dienerschaft Spielkameraden fand, aber das war etwas anderes, als Geschwister zu haben, denen man sich besonders verbunden fühlte. Doch sie hatte diese Bürde klaglos getragen und sich nichts von ihrer heimlichen Trauer anmerken lassen. Es ließ sich nun mal nicht ändern, denn ihre Mutter konnte nach der Geburt von Elsa keine weiteren Kinder mehr bekommen.

„Ist das nicht eine wunderbare Skulptur, Mama?“, fragte Elsa.

Ihre Mutter stand schweigend neben ihr. Elsa sah, wie sie ihre blauen Augen über das Kunstwerk gleiten ließ und einen fast unhörbaren Seufzer ausstieß. Sie warf Elsa einen traurigen Blick zu. „Das ist wahr“, erwiderte sie und drückte die Hand ihrer Tochter. „Es ist ein sehr schönes Portrait von uns als Familie, nicht wahr?“ Damit wandte sie sich dem König zu.

Angesichts eines so fröhlichen Ereignisses wirkte das königliche Paar merkwürdig melancholisch. Lag es daran, dass die Statue sie zeigte, als sie noch jünger gewesen waren? Waren sie traurig, weil die Zeit so schnell verstrich? Ihr Vater sprach oft davon, wie sie eines Tages den Thron besteigen würde, dabei war er doch gar nicht so alt. Elsa fragte sich, was sie so traurig stimmte, aber sie schwieg. Es war nicht angebracht, ihren Eltern in der Öffentlichkeit derartige Fragen zu stellen.

„Ja, es ist eine besondere Auszeichnung“, bekräftigte ihr Vater und schaute sie an, als wollte er noch etwas hinzufügen. Aber er schwieg – bis er schließlich sagte: „Du solltest deinen Untertanen dafür danken, dass sie hergekommen sind, Elsa. Denn wir geben zu Ehren von Herrn Ludenburg ein Festessen im Schloss und sollten gleich zurückgehen, um die Gäste zu begrüßen.“

„Ja, Papa“, sagte Elsa und tat, was er verlangte.

„Auf Axel Ludenburg und sein großartiges Kunstwerk!“ Der König hob seinen Kelch. Die anderen Gäste an der Festtafel in der großen Halle des Schlosses taten es ihm nach.

„Auf Axel!“, riefen sie und stießen mit ihren Gläsern an.

Es gab jede Menge zu essen, die Gäste waren ausgelassen, und alle Plätze an dem lang gestreckten Tisch waren besetzt. Der König hatte seinen engen Vertrauten Lord Peterssen zur Feier eingeladen. Ludenburgs Familie war ebenfalls anwesend. Sie waren mit dem Schiff aus dem fernen Weselton gekommen, einem Land, das Handelsbeziehungen mit Arendelle unterhielt. Der Herzog von Pitzbühl war ebenfalls unter den Gästen und hatte sich neben Elsa gesetzt.

„Auf Arendelle und Weselton!“, fügte der Herzog hinzu. Er war klein und hatte einen erstaunlich großen Mund. Als er aufstand, stellte Elsa fest, dass er mindestens einen Fuß kleiner war als die meisten Anwesenden. „Mögen unsere beiden Länder einander weiterhin verbunden sein und gedeihen!“

„Auf Arendelle und Weselton!“, wiederholten die Gäste lautstark.

Elsa stieß mit ihrer Mutter an.

„Ich bin sehr glücklich, dass wir endlich die Gelegenheit haben, miteinander zu speisen“, sagte der Herzog zu ihrer Mutter, als die Teller hinausgetragen wurden und die Diener den Nachtisch vorbereiteten. „Es ist mir eine große Freude, die Prinzessin kennenzulernen und Arendelles leuchtende Zukunft vor mir zu sehen.“ Er runzelte die Stirn. „Wie schade, dass sie bislang nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen war.“

Elsa lächelte ihn freundlich an, erwiderte aber nichts. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass eine Prinzessin nur etwas sagte, wenn es von großer Wichtigkeit war.

„Elsa ist sehr mit ihren Studien beschäftigt. Deshalb haben wir sie nur selten gebeten, bei Veranstaltungen zugegen zu sein“, erklärte ihre Mutter. „Die Enthüllung der Familienskulptur ist ein außergewöhnliches Ereignis, da sollte sie dabei sein. Denn der heutige Abend steht ganz im Zeichen der Familie.“

Elsa hielt sich eine Hand vors Gesicht, damit niemand sah, dass sie grinsen musste. Ihre Mutter hatte die Begabung, immer direkt auf den Punkt zu kommen.

Es war Elsas erste Begegnung mit dem Herzog von Pitzbühl, aber sie wusste schon, dass sie den Herzog von Blakestone vorzog. Der war nett und hatte immer Süßigkeiten in den Taschen, die er der Prinzessin heimlich zusteckte, wenn die Unterhaltungen beim Abendessen langweilig wurden.

Keine langweiligen Unterhaltungen, sondern wichtige Verhandlungen, wies sie sich selbst zurecht. Denn ihre Mutter legte Wert darauf, dass sie sich gut auf den Tag ihrer Thronbesteigung vorbereitete. Zurzeit wurde sie in den Fächern Handschrift, Wissenschaft und Staatskunst unterrichtet, mal von ihrer Hauslehrerin, mal von ihrem Vater. Sie war jetzt alt genug, um an den offiziellen Banketten im Schloss teilzunehmen, und davon gab es jede Menge. Die Zeiten, als sie von einem Gast zum anderen gegangen war, um Hallo zu sagen und dann ihr Abendessen in einem Nebenzimmer einzunehmen, waren vorbei. Das Leben war nicht mehr so langweilig, aber dennoch sehnte sie sich nach einem Menschen, dem sie sich anvertrauen konnte.

„Ganz recht, ganz recht! Aber sie ist ein wahres Schmuckstück. So etwas darf man nicht unter Verschluss halten.“ Der Herzog schlug mit der Hand auf den Tisch, um seine Aussage zu unterstreichen. Wenn er sprach, zappelte er dermaßen herum, dass das Toupet auf seinem Kopf verrutschte.

„Womit er recht hat, Eure Hoheit“, schaltete sich Lord Peterssen ein. „Sie ist jetzt eine junge Dame und hat das Recht, bei wichtigen Zusammenkünften das Wort zu ergreifen.“

Elsa schenkte ihm ein Lächeln. Ihr Vater und der Lord waren eng befreundet. Er war längst mehr als nur ein Berater. Er gehörte zur Familie. Für Elsa war er immer so etwas wie ein Onkel gewesen. Vor dem Abendessen hatte er sie vor der Neugier des Herzogs gewarnt.

„Das ist wahr“, stimmte der Herzog zu. „Prinzessin Elsa, ich bin mir sicher, Ihr habt bereits sehr viel über Fjorde und ihren Nutzen gelernt.“ Elsa nickte. „Nun, in Weselton war es das Verdienst meines Großvaters, sich mit der Erforschung der Fjorde zu befassen. Ihm verdanken wir, dass …“

Der Herzog schwadronierte weiter, bis Lord Peterssen sich lautstark räusperte. „Wirklich faszinierend, Eure Hoheit! Vielleicht können wir dieses Thema später vertiefen. Ich glaube, jetzt wird der Nachtisch serviert.“ Er wandte sich ab, bevor der Herzog widersprechen konnte. „Herr Ludenburg, ich hoffe, Sie haben noch Hunger?“

Wie aufs Stichwort traten die Diener durch die Türen und trugen Platten mit Früchten und Süßigkeiten auf.

„Solche Leckereien haben wir auch in Weselton“, erklärte der Herzog und beugte sich vor, um sich ein Stück Kuchen und zwei Kekse zu nehmen.

Elsa wusste, dass sie nicht so denken durfte, aber in ihren Ohren klang „Weselton“ wie „Nesselton“, und der Herzog war jemand, der sich mit seinem ständigen Gerede immer wieder „in die Nesseln setzte“. Sie schaute ihren Vater an. Ob er eine ähnliche Meinung vom Herzog hatte wie sie? Er behielt seine Gedanken immer für sich. In diesem Moment unterhielt er sich halblaut mit der Frau von Herrn Ludenburg. Lord Peterssen wiederum fragte den Künstler nach seinem nächsten Projekt. Damit waren ihre Mutter und sie dem Herzog ausgeliefert.

„Eure Majestät, Ihr habt eine liebenswerte Tochter“, sagte der Herzog. Und schon fühlte Elsa sich schuldig, weil sie so abfällig über ihn gedacht hatte. „Sie wird einmal eine wunderbare Königin.“

„Vielen Dank“, entgegnete ihre Mutter. „Davon bin ich überzeugt.“

„Meine Eltern haben mir alles Nötige beigebracht“, fügte Elsa hinzu und lächelte ihre Mutter an. „Wenn es eines Tages so weit ist, werde ich gut vorbereitet sein.“

Der Herzog musterte sie eingehend. „Ja! Ja! Da bin ich mir sicher. Es ist nur schade, dass Ihr die einzige Erbin seid. Der König der Südlichen Inseln hat dreizehn Söhne, die alle Anspruch auf den Thron haben.“

Elsa umklammerte ihren Kelch, um sich davon abzuhalten, etwas zu sagen, was sie später bereuen könnte. Seltsamerweise war der Kelch eiskalt. „Mein Herr, ich kann mir kaum vorstellen, dass es …“

Sie wurde von ihrer Mutter unterbrochen. „Elsa findet, dass das eine Menge Erben sind“, erklärte sie unbeeindruckt. Offenbar hatte sie schon oft darüber gesprochen. „Es war mein Schicksal, nur ein Kind auf die Welt bringen zu dürfen. Aber man ist nie vor Überraschungen gefeit.“ Sie schaute Elsa mit glänzenden Augen an. „Ich weiß, dass es ihr in der Zukunft gut ergehen wird.“

„Unser Land braucht nur eine resolute Herrscherin“, sagte Elsa mit fester Stimme. „Und das werde ich sein.“

Der Herzog sah sie zweifelnd an. „Ja, aber was ist, wenn ein Ereignis verhindert, dass Ihr den Thron besteigt?“

„Wir haben alles getan, um Arendelles Zukunft zu sichern, das kann ich Ihnen versichern, Herzog“, sagte ihre Mutter lächelnd.

Der Herzog kratzte sich am Kopf, und sein Toupet rutschte hin und her. Er schaute die Königin und Elsa über seine Brille hinweg an. „In wenigen Jahren wird sie volljährig sein. Gibt es schon Bewerber um ihre Hand? Eine Allianz zwischen unseren beiden Ländern oder mit einem anderen Handelspartner könnte durchaus von Vorteil sein.“

Elsa starrte auf die Serviette auf ihrem Schoß. Sie merkte, wie sie errötete.

„Elsa hat noch viel Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen“, wiegelte ihre Mutter ab. „Im Augenblick legen wir mehr Wert darauf, dass unsere Tochter sich auf ihre kommende Regentschaft konzentriert.“

Der Test zum Thema Staatskunst, den ihre Gouvernante für den nächsten Morgen angekündigt hatte, war wichtiger als die Suche nach einem Ehemann. „Vielen Dank für Ihr Interesse, Herzog“, setzte Elsa hinzu. „Wenn ich einen passenden Kandidaten gefunden habe, werdet Ihr einer der Ersten sein, die davon erfahren“, erklärte sie sarkastisch. Aber dem Herzog schien ihre Antwort zu gefallen. Ihre Mutter jedoch schaute sie vorwurfsvoll an.

Als der Herzog sich endlich zurückzog und Herr Ludenburg und seine Familie sich verabschiedet hatten, machten sich das Königspaar und Elsa auf den Weg in ihre Privatgemächer.

„Du hast dich gut gehalten“, lobte ihre Mutter. „Du hast ausgezeichnet Konversation betrieben und den Herzog mit deinem Wissen über die Handelsvereinbarungen beeindruckt.“

„Er schien überrascht zu sein, dass ich das alles weiß“, erwiderte Elsa. Ihre Schultern waren noch immer angespannt. Es fühlte sich an, als hätte den ganzen Abend lang die Verantwortung für das Königreich auf ihnen gelastet. Sie merkte, dass sie Kopfschmerzen bekam, und sehnte sich nach der Ruhe ihres Zimmers.

„Ich bin sehr stolz auf dich“, erklärte ihr Vater und wirkte zum ersten Mal an diesem Abend wieder locker. Er lächelte seine Frau an und legte ihr eine Hand auf den Arm.

Elsa sah ihre Eltern gern so zusammen. Sie wirkten noch immer wie ein Liebespaar. Sie beneidete sie um ihre Vertrautheit.

„Eines Tages wirst du eine ausgezeichnete Königin sein“, fügte er hinzu.

„Danke, Papa“, entgegnete sie, dachte sich aber nichts dabei.

Es würde bestimmt noch eine halbe Ewigkeit dauern bis zu ihrer Krönung.

Zweites Kapitel

Elsa

Am Montag sind einige Untertanen eingeladen, um sich mit deiner Mutter und mir über Angelegenheiten des Landes zu unterhalten. Ich denke, es wird am besten sein, wenn wir einen Stehempfang organisieren. Du kannst mit Lord Peterssen dazukommen und zuhören, was sie vorbringen werden. Sei mitfühlend, aufmerksam und versprich ihnen, alle Gesuche an uns weiterzugeben … am Dienstag … Elsa? Hörst du mir zu?“

„Ja, Papa“, versicherte sie, war aber in Gedanken ganz woanders.

Sie saßen in der Bibliothek und sprachen über den Wochenplan, aber heute war Elsa unkonzentriert. Sie hatte in den letzten Jahren viel Zeit in diesem Zimmer verbracht. Schon als kleines Mädchen waren ihre Gedanken angesichts der vielen Bücher immer wieder auf Abwege geraten. Die Regale reichten vom Boden bis zur Decke. Ihr Vater las sehr viel. Auf dem Pult lag ein aufgeschlagenes Buch, das in einer fremden Sprache verfasst worden war. Darin waren zahllose Symbole und Zeichnungen von Trollen zu sehen. Zu gern hätte sie gewusst, womit ihr Vater sich da beschäftigte, aber sie traute sich nicht zu fragen.

Und er war vollauf damit beschäftigt, ihr zu erklären, was sie während der Abwesenheit ihrer Eltern beachten musste. Sie wollten in einigen Tagen zu einer diplomatischen Reise aufbrechen, die mindestens zwei Wochen dauern würde. Elsa konnte sich nicht erinnern, schon einmal so lange allein gewesen zu sein. Kein Wunder also, dass sie aufgeregt war. Während dieser Zeit musste sie sich neben ihren eigenen Studien auch um die Termine ihres Vaters kümmern. Ihre Eltern fehlten ihr jetzt schon, dabei hatten sie sich noch gar nicht auf den Weg gemacht.

Ihr Vater legte die Hände in den Schoß und lächelte sie an. „Was ist denn los, Elsa?“

Selbst wenn sie allein waren, war ihr Vater für sie vor allem der König. Nicht nur, weil sehr viele Medaillen an seiner Uniformjacke glänzten und er das Wappen von Arendelle an einer Kette um den Hals trug. Sondern weil sein ganzes Auftreten würdevoll war, ganz gleich, ob er nun mit einem ausländischen Würdenträger sprach oder einem Diener einen Auftrag erteilte. Er war mächtig und immer beherrscht, selbst wenn es nicht angebracht war – zum Beispiel bei einer Partie Schach mit seiner Tochter. Sie war immer ein wenig eingeschüchtert. Lag das an ihr oder daran, dass sie keine gleichaltrigen Freunde hatte, mit denen sie ungezwungen sprechen konnte? Als sie sich bei der Enthüllung der Skulptur an die Menschenmenge hatte wenden müssen, war sie furchtbar nervös gewesen. Ihr Vater hingegen wirkte nie aufgeregt. Wurde man im Laufe der Zeit von allein so selbstsicher?

„Nichts“, log Elsa. Sie konnte ihre vielen Gedanken unmöglich in Worte fassen.

„Na, irgendwas ist doch.“ Er lehnte sich zurück und betrachtete sie eingehend. „Ich kenne doch diesen Blick. Du denkst über etwas nach. Deine Mutter sagt immer, ich würde auch so aussehen, wenn ich über etwas Wichtiges nachdenke. Du bist meine Tochter und ähnelst mir in vielerlei Hinsicht.“

„Wirklich?“ Elsa strich sich eine imaginäre Haarsträhne aus dem Gesicht.

Sie war stolz, dass er sie mit sich verglich. Sie liebte ihre Mutter und war gern mit ihr zusammen. Oft aber wusste sie nicht, was in ihrem Kopf vorging. Manchmal verlor ihre Mutter den Faden, nachdem sie Elsas Zimmer betreten hatte, wollte etwas sagen und hielt dann inne. Sie war von einer tiefen Traurigkeit erfüllt, deren Ursache Elsa nicht kannte.

Zum Beispiel verschwand ihre Mutter regelmäßig jeden Monat für einen ganzen Tag. Elsa hatte keine Ahnung, wohin sie ging, und ihre Eltern sagten auch nichts dazu. Eines Tages hatte Elsa sich nicht mehr beherrschen können und den Mut aufgebracht, ihre Mutter zu fragen, ob sie sie begleiten dürfe. Ihre Mutter reagierte zunächst überrascht, dann besorgt, dann ablehnend. „Ich würde dich gern mitnehmen, Liebes, aber diese Angelegenheit kann ich nur allein erledigen.“ Sie strich Elsa über die Wange, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, was Elsa noch mehr verwirrte. „Ich wünschte, du könntest mitkommen.“ Aber sie war wieder allein gegangen.

Bei ihrem Vater war das anders. „Ich denke über nichts Wichtiges nach, Papa, wirklich.“

„Natürlich tust du das, Elsa. Was ist los?“

Sie schämte sich, weil sie ihn am liebsten gebeten hätte, nicht wegzufahren, das war zumindest zum Teil für ihr Unbehagen verantwortlich. Wenn sie fort waren, war sie allein für Arendelle verantwortlich. Natürlich waren ihre Berater noch da und auch Lord Peterssen, wenn etwas Dringendes entschieden werden musste. Aber während der Abwesenheit ihrer Eltern stand sie dem Königshaus vor, und sie spürte schon jetzt den Druck der Verantwortung. Aber sie würden bald zurückkehren, und dann wäre alles wieder wie zuvor. Dennoch mahnte diese Reise sie daran, dass sie eines Tages das Land führen sollte. Und der Gedanke daran ängstigte sie.

„Elsa?“

Zwei Wochen allein in diesem riesigen Schloss. Sie fragte sich, wie sie das aushalten sollte. „Müsst ihr wirklich gehen?“, fragte sie, da sie ihre Sorge nicht länger unterdrücken konnte.

„Du kommst schon zurecht, Elsa“, erwiderte ihr Vater.

Es klopfte an der Tür. „Eure Majestät?“

Kai trat ein. Er hatte schon vor Elsas Geburt im Schloss gearbeitet. Elsas Eltern regierten das Land, und Kai regierte das Schloss. Er wusste immer, wo etwas oder jemand war oder sein sollte. Er war unersetzlich für den Alltag des Königspaars, weshalb er in einem Zimmer direkt neben ihren Privatgemächern wohnte. Kai zupfte an einem losen Faden am Jackett seines grünen Anzugs. „Der Herzog von Pitzbühl möchte Euch sprechen.“

„Vielen Dank. Sagen Sie ihm, ich werde ihn in einem der Ratszimmer empfangen“, sagte der König.

„Jawohl, Eure Majestät.“ Kai lächelte Elsa zu und verschwand.

Der König wandte sich wieder an sie. „Du siehst aus, als wolltest du noch etwas sagen.“

Ihr lag zu viel auf dem Herzen für diesen kurzen Augenblick. „Ich habe mich gefragt, was ich während der Gespräche mit den Untertanen anbieten soll“, sagte sie darum. „Vielleicht etwas zu essen? Ich dachte, es wäre nett, ihnen eine Kleinigkeit anzubieten. Was meinst du?“

Er lächelte. „Das ist eine sehr gute Idee. Ich fand deine Waffelhörnchen immer besonders lecker.“

„Meine Hörnchen?“ Elsa konnte sich nicht erinnern, jemals für ihren Vater gebacken zu haben. „Du meinst die von Olina. Aber es ist eine gute Idee, bei ihr welche zu bestellen.“

Olina leitete die Schlossküche. Als Elsa klein gewesen war, hatte sie sie oft heimlich in der Küche besucht. Das war lange her. Und sie konnte sich nicht erinnern, jemals Kekse oder Hörnchen gebacken zu haben.

Ihr Vater runzelte die Stirn. „Gut. Jedenfalls waren sie sehr lecker. Olina könnte welche für unsere Gäste backen.“

Elsa erhob sich. „Sonst noch etwas, Papa?“

„Ja.“ Er stand ebenfalls auf. „Bevor du gehst, möchte ich dir etwas geben. Komm doch bitte einmal mit.“

Elsa folgte ihrem Vater ins elterliche Schlafzimmer und sah zu, wie er vor einen Bücherschrank trat und gegen eines der Bücher drückte. Und schon öffnete sich die gesamte Wand wie eine Tür. Dahinter lag eine dunkle Kammer. Elsa spähte hinein, aber ihr Vater forderte sie nicht auf, ihm zu folgen, als er die Kammer betrat. Im Schloss gab es zahlreiche geheime Gänge und versteckte Zimmer. Früher hatte sie manchmal mit ihm Verstecken gespielt. Sie wusste, dass diese geheimen Räume dazu dienten, die königliche Familie zu schützen, falls Feinde ins Schloss eindrangen.

Kurz darauf kehrte ihr Vater zurück, in der Hand eine grüne Holzkiste von der Größe eines Frühstückstabletts. Sie war mit handgemalten weißen und goldenen Blumenmustern verziert, vor allem Krokussen, der Wappenblume von Arendelle. Der Deckel war elegant gewölbt.

„Ich möchte dir das hier geben.“ Er stellte die Kiste vor sie auf den Tisch. Sie ließ ihre Finger über das goldene Familienwappen auf dem Deckel gleiten. Die Kiste sah genauso aus wie die Kassette, die ihr Vater zu seinen Treffen mit den Beratern mitnahm. Normalerweise lagen darin wichtige Erlasse, die unterschrieben werden mussten, aber auch private Dokumente oder Berichte der Landwehr und Briefe aus Nachbarländern. Seit sie klein war, hatte man ihr eingeschärft, dass niemand sich an dieser Kiste vergreifen durfte. Es war ihr in Fleisch und Blut übergegangen.

„Darf ich?“, fragte sie und streckte die Hand nach dem Deckel aus. Ihr Vater nickte.

Die Kiste war leer. Innen war sie mit grünem Samt ausgeschlagen.

„Diese Kassette wurde für die Zeit deiner Regentschaft angefertigt“, erklärte er. Sie schaute ihn überrascht an. „Da du die Thronfolgerin bist und nur noch wenige Jahre von deiner Volljährigkeit entfernt, haben deine Mutter und ich entschieden, dass es an der Zeit ist, dir etwas zu geben, worin du deine wichtigen Dinge aufbewahren kannst.

„Papa, sie ist wunderschön, aber ich brauche so etwas doch gar nicht.“

„Nein, noch nicht“, sagte er sanft. „Aber eines Tages wirst du sie brauchen, und dann sollst du darauf vorbereitet sein. Kai und seine Diener kennen diese Kassette und wissen, dass alles, was sich darin befindet, streng geheim ist. Was auch immer du dort hineintust, es ist nur für deine Augen bestimmt. Alle deine Geheimnisse sind darin gut aufgehoben. Ich schlage vor, du nimmst sie jetzt mit in dein Zimmer.“

Elsa ließ ihre Finger über den grünen Samt gleiten. „Vielen Dank, Papa.“

Er griff nach ihrer Hand. „Du spürst es jetzt vielleicht noch nicht, aber eines Tages wird sich dein Leben auf eine Weise ändern, die du dir gar nicht vorstellen kannst.“ Er zögerte. „Versprich mir, dass du, wenn es so weit ist und ich nicht da sein sollte …“

„Papa …“

Er schnitt ihr das Wort ab. „Versprich mir, dass du, wenn dieser Tag gekommen ist, in dieser Kiste Rat suchen wirst.“

Rat suchen? Es war doch bloß eine Kiste. Ganz hübsch, aber mehr auch nicht. Trotzdem war es etwas Besonderes, eine solche Kassette übereignet zu bekommen, wie sie auch ihr Vater und die Könige und Königinnen vor ihm besessen hatten.

„Ich verspreche es“, sagte sie.

Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Bewahre sie gut auf.“

„Das werde ich tun“, versprach sie und hob die Schatulle hoch.

Ihr Vater lächelte und ging zurück in die Bibliothek.

Mit der Kassette in den Händen ging Elsa zurück in ihr Zimmer. Es war warm, und mit einer leichten Brise drangen die Geräusche aus der Stadt durch das geöffnete Fenster. Elsa schaute hinaus über die Mauern des Schlosshofs hinweg auf die Welt dahinter. Im Ort herrschte reges Treiben. Menschen, Pferde und Kutschen wogten hin und her. Der Brunnen mit der Skulptur der Königsfamilie spie eine Fontäne in die Luft. Kinder spielten im Wasserbecken und hatten sich nicht die Mühe gemacht, ihre Kleider auszuziehen. Eine Mutter zog ihren Sohn aus dem Wasser und schimpfte ihn aus. Der Kleine schien trotzdem seinen Spaß zu haben. Wann hatte Elsa zum letzten Mal so etwas getan?

Sie wünschte, ihre Mutter wäre da, um am Nachmittag Tee mit ihr zu trinken. Es war doch schrecklich, an einem so schönen Tag allein im Schloss herumzusitzen. Wo musste ihre Mutter an so einem schönen Tag so dringend hin? Und warum durfte Elsa nicht mitkommen?

„Wünscht Ihr etwas, Prinzessin Elsa?“, fragte Gerda. „Vielleicht etwas Wasser? Es ist heiß heute.“

Genau wie Kai hatte auch Gerda schon vor Elsas Geburt im Schloss gearbeitet. Sie achtete darauf, dass alles zur Zufriedenheit der Prinzessin war. Im Moment trug sie ein Tablett mit Kelchen, die mit kaltem Wasser gefüllt waren. Sie waren wahrscheinlich für ihren Vater und den Herzog bestimmt.

„Vielen Dank, Gerda, ich brauche nichts“, sagte Elsa.

Gerda eilte weiter. „In Ordnung. Aber achtet darauf, im Kühlen zu bleiben. Ihr dürft Euch nicht erhitzen.“

Elsa ging weiter und hielt die Schatulle ganz fest. Sie musste etwas finden, womit sie sich die Zeit vertrieb, bis ihre Mutter zurück war. Vielleicht hatte Gerda recht – sie sollte im Kühlen bleiben. Sie könnte einen Spaziergang durch den Schlossgarten machen. Oder etwas lesen. Ihr Vater hatte ihr einige Bücher gegeben, in denen die diplomatischen Beziehungen von Arendelle mit anderen Ländern dargelegt wurden.

Sie wollte sich mit diesen Dingen beschäftigen, um gut auf die Zukunft vorbereitet zu sein. Aber im Augenblick hatte sie keine große Lust, sich mit Regierungsgeschäften zu befassen. Elsa öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und ging zu ihrem Kinderpult. Dort stellte sie die Schatulle ab und schaute sie eine Weile an. Zwischen all den anderen Dingen wirkte sie fehl am Platz.

Vielleicht sollte sie so eine bedeutende Kassette nicht offen stehen lassen. Welche wichtigen Papiere sollte sie dort hineinlegen? Briefe? Aber sie war ja noch keine Königin. Diese Kiste war nutzlos, nicht zu gebrauchen. Hoffentlich würde sich das in absehbarer Zeit ändern. Sie trug sie zu ihrer Aussteuertruhe, auf deren Deckel ein großes E gemalt war. Sie stellte sie hinein und deckte sie mit der Steppdecke zu, die ihre Mutter ihr genäht hatte, als sie ein Baby gewesen war. Dann schloss sie den Deckel. Und kaum hatte sie ein Buch von ihrem Nachtschränkchen genommen, war die merkwürdige Schatulle auch schon vergessen.

Drittes Kapitel

Elsa

Elsa hörte ein Klopfen und schrak auf. Die Nachmittagssonne warf lange Schatten über die Zimmerwände. Sie musste beim Lesen eingeschlafen sein.

Gerda steckte den Kopf ins Zimmer. „Oh, Prinzessin Elsa!“, rief sie überrascht. „Ich wollte Euch nicht wecken. Ich wollte Euch nur zum Essen rufen, bevor ich zu Euren Eltern gehe.“

„Schon in Ordnung, ich bin wach“, sagte Elsa und streckte die Arme. Wenn ihre Eltern mit ihr zu Mittag essen wollten, dann bedeutete das, dass das Gespräch ihres Vaters mit dem Herzog von Pitzbühl vorüber und ihre Mutter von ihrer Reise zurückgekommen war. „Ich kann ihnen doch auch Bescheid sagen.“

Gerda trat zu Elsas Bett, strich die Decke glatt und legte die Kissen ordentlich hin. „Vielen Dank, Prinzessin!“

Elsas Zimmer lag über den Gemächern ihrer Eltern, die wiederum über der großen Halle lagen, wo das Essen serviert wurde. Während Gerda alles in Ordnung brachte, lief Elsa die Treppe hinunter und blieb abrupt stehen, als sie hörte, dass ihre Eltern sich stritten. Das hatte sie noch nie erlebt. Überrascht und neugierig blieb sie stehen, um zu horchen.

„Wir müssen etwas tun! Das kann doch nicht ewig so weitergehen!“ Das war die Stimme ihrer Mutter.

„Iduna, wir haben doch schon so oft darüber gesprochen“, widersprach ihr Vater ungehalten. „Wir haben keine Wahl. Wir müssen abwarten.“

„Ich habe keine Lust mehr zu warten! Wir ertragen das schon viel zu lange!“

„Wenn es mit Magie zu tun hat, gibt es nun mal keine zeitliche Begrenzung. Er hat uns doch gewarnt.“

Magie? Magie gehörte in die Vorstellungswelt ihrer Kindheit. Darüber las man in Märchenbüchern. Warum sprachen ihre Eltern über etwas, was gar nicht existierte?

„Wir waren verzweifelt. Wir haben nicht nachgedacht. Wir hätten zumindest versuchen sollen, etwas dagegen zu tun. Vielleicht könnten wir noch einmal bei Grand Pabbie vorsprechen …“

„Nein! Wir dürfen uns dort nicht blicken lassen. Sogar deine Reisen sind zu riskant geworden. Was ist, wenn jemand herausfindet, wohin du gehst und wen du dort triffst? Kannst du dir überhaupt vorstellen, was passiert, wenn sie hergebracht würde?“

Von wem sprechen sie denn da? Elsa horchte angestrengt. Ging es um das, was ihre Mutter tat, wenn sie zu einer ihrer mysteriösen Reisen aufbrach? Sie verstand kein Wort von dem, was gesprochen wurde.

„Ich bin immer vorsichtig. Und ich werde nicht aufhören, sie zu besuchen“, erklärte ihre Mutter trotzig. „Uns ist so viel versagt geblieben.“

„Es war die einzige Möglichkeit. Das weißt du so gut wie ich. Aber der Zauber wird bald gebrochen sein.“

„Das geht jetzt schon zehn Jahre so, und nichts hat sich geändert! Das ist nicht fair, vor allem Elsa gegenüber nicht.“

Sie schreckte zusammen. Was hatte das alles mit ihr zu tun?

„Elsa geht es gut.“

„Es geht ihr nicht gut, Agnarr. Sie ist einsam.“

Ja! Elsa hätte am liebsten geweint. Ich bin einsam. Ihre Mutter kannte ihre geheimsten Gedanken. Beinahe wäre sie erleichtert in Tränen ausgebrochen. Aber sie verstand nicht, was das mit ihrem Streit zu tun hatte.

„Wir werden sie weiteren Menschen vorstellen. Der Herzog von Pitzbühl erwähnte einen Prinzen, der ihr Gesellschaft leisten könnte. Wir haben sie bereits an königlichen Landpartien teilnehmen lassen. Das Wichtigste ist, dass sie in Sicherheit ist. Das gilt für beide. So haben wir es nun einmal festgelegt.“

„Sie sollte erfahren, wozu sie in der Lage ist, Agnarr.“

„Das wird sie, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Wir haben noch keine Anzeichen bemerkt, dass sie …“

„Da seid Ihr ja, Prinzessin!“, rief Gerda hinter ihr aus. Elsa zuckte zusammen. „Ich habe mich schon gefragt, wo Ihr geblieben seid. Olina möchte das Essen servieren. Habt Ihr Euren Eltern schon Bescheid gesagt?“

„Ich …“ Elsa errötete, als ihre Eltern in den Flur traten und beide anschauten.

Ihre Mutter gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wie lange stehst du schon hier?“, fragte sie.

„Ich war gerade vor eurer Tür angekommen, als Gerda mich rief“, log sie.

Ihre Mutter entspannte sich sichtlich. „Du hast mir sehr gefehlt heute.“ Sie hängte sich bei Elsa ein und ging mit ihr den Flur entlang zur Treppe. „Erzähl mir, was du getan hast, während ich fort war.“

„Nicht viel.“ Das war die Wahrheit. Aber Elsa wusste auch, dass sie ihrer Mutter etwas verschwieg.

Auf dem Weg zum Essen sprachen ihre Eltern über banale Dinge, doch Elsa konnte sich nicht konzentrieren. Sie dachte über das Streitgespräch nach und über das, was ihr Vater gesagt hatte. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was passiert, wenn sie hergebracht würde?

Wer damit wohl gemeint war?

Viertes Kapitel

Anna

In ihrem Bett war es warm und gemütlich, und das ständige Klopfen schien weit weg zu sein. Anna wischte sich die Spucke vom Mund und versuchte, weiter zu träumen, aber das ging leider nicht. Jemand rief leise ihren Namen.

„Anna?“

Ihr Name klang wie ein Flüstern im Wind. Ihm folgte ein erneutes unangenehmes Klopfen. „Anna?“

„Hm?“ Sie zog eine feuchte Haarsträhne aus dem Mund und setzte sich auf.

„Entschuldige, dass ich dich aufwecke, aber …“

„Nein, nein, nein, hast du ja gar nicht.“ Anna gähnte mit geschlossenen Augen. „Ich bin schon seit Stunden wach.“

Jedenfalls wäre das normalerweise der Fall gewesen. Sie stand immer vor Sonnenaufgang auf, um ihren Eltern mit dem Brot zu helfen. Ihr Laden – „Tomallys Backwaren“ – verkaufte jeden Tag Dutzende Laibe Brot und jede Menge Gebäck. Aber gestern Abend hatte sie nicht einschlafen können und dann schlecht geträumt. Sie hatte nach jemandem gerufen, konnte sich aber nicht erinnern, wer das gewesen war. Sie wusste nur, dass ihr diese Person sehr fehlte. Und jetzt merkte sie, wie sie erneut abdriftete.

„Anna?“

Sie riss die Augen auf. „Was denn?“

„Es wird Zeit. Freya kommt heute Morgen.“

„Ja, natürlich.“ Annas Augen fielen schon wieder zu. „Freya.“

Halt! Moment!

Sie setzte sich auf. „Freya kommt!“

Anna sprang aus dem Bett und rutschte auf nackten Fußsohlen über den Boden. Sie machte sich nicht die Mühe, in den Spiegel zu schauen. Ihre langen roten Haare, die sie am Abend entflochten hatte, sahen bestimmt nur ein kleines bisschen unordentlich aus, oder? Hm … vielleicht sollte sie doch einen kurzen Blick darauf werfen, bevor sie ihr Nachthemd auszog. Sie schaute in den Spiegel. Gar nicht gut. Ihre Haare waren ein einziges Durcheinander.

Hatte sie noch Zeit, sich zu kämmen?

Sie musste sich kämmen.

Wo war ihre Bürste?

Die sollte doch auf dem Pult liegen wie immer, aber da war sie nicht. Wo steckte das Ding bloß?

Denk nach, Anna. Sie erinnerte sich, wie sie ihre Haare gestern Morgen auf dem Stuhl vor dem Fenster gekämmt hatte, weil man von dort den besten Blick auf Arendelle hatte. Wenn sie dorthin schaute, träumte sie von diesem Land und davon, was sie tun würde, wenn sie eines Tages dorthin aufbrach. Sie würde eine eigene Bäckerei eröffnen, und ihre Kekse würden so beliebt sein, dass die Leute Tag und Nacht Schlange stehen würden, um sie zu ergattern. Sie würde viele neue Menschen kennenlernen und Freundschaften schließen. Das alles war eine so wunderbare Vorstellung gewesen, dass sie angefangen hatte zu singen und mit der Haarbürste im Zimmer auf und ab gegangen war. Oh! Jetzt erinnerte sie sich, wohin sie sie geworfen hatte. Sie fand sie und kämmte sich, während sie weiter hin und her lief.