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Studienarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Pädagogik - Schulpädagogik, Note: 1,3, Bergische Universität Wuppertal (Pädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit dokumentiert eine Praktikum in einer Ganztageshauptschule. Neben der Schule und den Praktikumsklassen werden auch der Mentoren- und Eigenunterricht thematisiert.
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Bei den ersten schulpraktischen Studien hatte ich mich für Gemeinschaftsgrundschule H. entschieden, wo ich selbst die Grundschulzeit verbracht hatte. Ich hospitierte nicht in der Sekundarstufe I, obwohl ich dieses Lehramt anstrebe, weil ich fürchtete, dort allzuleicht in die Schülerrolle zurückzufallen. Die unbequeme Sitzhaltung auf den für Grundschüler bestimmten S tühlchen hatte mich dann auch in der Tat stets daran erinnerte, daß ich hier nicht mehr als Schüler saß.
Inzwischen im vierten Semester angelangt und schon ein wenig tiefer ins Studium eingedrungen, glaubte ich jetzt, vor dieser Gefahr besser gefeit zu sein als noch vor anderthalb Jahren.
So blieb noch die Wahl zwischen den zwei Schulen in H., die eine Sekundarstufe haben - eine Schule an meinem Wohnort zu wählen erschien mir schon aus Bequemlichkeitsgründen am sinnvollsten zu sein -, der Städtischen Realschule oder der M.-Ganztagshauptschule. Erstere hatte ich selbst besucht, und die Mehrzahl der eigenen Lehrer waren noch im Dienst. So entschied ich mich gegen diese Schule, weil ich fürchtete, die eigenen Unterrichtsversuche und das dabei g eforderte Selbstbewußtsein könnten darunter leiden, sich einem ehemaligen Lehrer als Mentor unterstellt zu sehen. Das eigene „Comeback“ zu feiern und sich von den Lehrern als Beweis der Durchlässigkeit des Schulsystems feiern zu lassen - ein ehemaliger Realschüler auf dem Weg, selbst Lehrer zu werden - erschien mir überdies zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh. Es würde einen hohen Erwartungsdruck aufbauen, dem ich mich noch nicht gewachsen fühlte, zumal ich mich noch in einiger Entfernung von der wirklichen und auch formalen Qualifikation eines Lehrers sah.
Mir drängte sich geradezu der Wunsch auf, mein späteres „Klientel“ nun einmal wirklich kennenzulernen. Zwar hatte ich vor Praktikumsbeginn auch so hehre Erwartungen im Sinn, wie sich den verschiedenen Dimensionen von Unterricht
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anzunähern und auch nach 13 Jahren Schulerfahrung eine vertiefte Lehrersicht in das alltägliche Schulleben zu bekommen, im Grunde bewegte mich aber noch immer die Frage, ob die Berufsentscheidung die richtige gewesen war. Für mich war die Berufsentscheidung, wenngleich ich den Lehrerberuf schon lange erwogen hatte, schließlich um ein Jahr früher als erwartet und damit ein wenig hastig gefallen. Deshalb ging es mir darum, zu der banalen Überzeugung zu gelangen: „Ich weiß nun ganz sicher, daß ich Lehrer werden will“, oder eben zu einer entgegengesetzten Entscheidung, ohne das wertvolle Studium bereuen oder gar abbrechen zu wollen. Provoziert hatte mich auch die Lektüre der Einleitung des Buchs „SPS, Schulpraktische Studien, Szenen Pädagogischer Situationen, Sammlung Pragmatischer Studienhilfen“, wo hinsichtlich der Studienanfänger als Motivation für ein Lehramtsstudium Statusdenken für möglich gehalten wird.1Ich wollte mich darauf hin prüfen und ggf. um eine Motivation bemühen, die über Statusdenken hinausgeht.
Einen weiteren persönlichen Erwartungsschwerpunkt stellte für mich die Frage dar, ob die Diskussion vom unterstellten Erziehungsnotstand2sich in der Hauptschule als gerechtfertigt darstellen würde. Überzeugt vom biblischen Geschichtsbild, wonach „die Nacht [...] weit vorgerückt [ist] und der Tag [...] nahe [ist]“ (Römer 13,12)3, die Entwicklung also eine dekadente ist, kamen mir dennoch die Worte des Predigers gerade im Hinblick auf die Behauptung, daß die „heutigen“ Schüler viel „schlimmer“ seien als frühere, nicht aus dem Sinn: „Sprich nicht: Wie ist es, daß die früheren Tage besser waren als diese? Denn nicht aus Weisheit fragst du danach“ (Prediger 7,10).4Gerade bei Großeltern und im nichtprofessionellen Bereich der Kinderarbeit schien die Behauptung einer sich stets zum Schlimmeren entwickelnden Jugend kritiklos angenommen und verfochten zu werden, ungeachtet der Frage, wann der angenommene Mißstand denn begonnen haben soll.
Als ich, darum befragt, wie mein erster Eindruck von meiner Hospitationsklasse sei, sagte, ich sei erstaunt von der Disziplin unter den Schülern, wie ich sie von meiner Schulzeit nicht kenne, schien das den Lehrer, der mich fragte, zu verwundern. Er sagte
1Vgl. Gerhard Müßener,SPS. Schulpraktische Studien. Szenen Pädagogischer Situationen. Sammlung Pragmatischer Studienhilfen(Wuppertal: 1993) (Deimling-Arbeitsmittel für Studium und Lehre, Bd. 3), S. 13.
2Vgl. etwa Petra Gerster, Christian Müller,Der Erziehungsnotstand. Wie wir die Zukunft unserer Kinder retten(Berlin: 2001).
3Zitiert nach derÜberarbeiteten Fassung der Elberfelder Übersetzung(Wuppertal u. Hückeswagen: 1999), S. 189.
4Zitiert nach derNichtrevidierten Fassung der Elberfelder Übersetzung(Wuppertal:731993 (11933)), S. 505.
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sogleich, daß die ländliche Struktur des Einzugskreises den allgemeinen Abwärtstrend noch ein wenig bremse. Meine Mentorin, Frau A., hingegen vertrat die Auffassung, wie sie mir sagte, daß die Schüler sich diszipliniert verhielten, wenn man ihnen das auch zutrauen und einreden würde. Sage man den Kindern oft genug, wie „schlimm“ sie seien, verhielten sie sich auch schon bald so.
Ferner wollte ich mir die Frage stellen, ob das Lehramtsstudium wirklich so ungeeignet ist, „gute“ Lehrer hervorzubringen, wie es oft zu hören ist, und ob es sozusagen als Eintrittskarte nur notwendiges Übel ist, demnach also ein Selbstläufer geworden ist. Ich nahm mir daher vor, das Verhältnis der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Ausbildung und der des Praxisbezugs anhand meiner Erfahrung während des Praktikums zu überdenken.
Ein wenig erstaunt war ich, als ich gleich am ersten Tag im Lehrerzimmer von meinem Tischnachbarn im Lehrerzimmer zu hören bekam, daß man mit der wissenschaftlichen Ausbildung nichts anfangen könne. So einfach wollte ich mich aber nicht geschlagen geben und ließ mich durch diese Aussagen provozieren, so daß ich mir vornahm, im Praktikum zu reflektieren, wo mir meine bisherige wissenschaftliche Ausbildung zu Hilfe kommen würde.
Noch nicht lange vor Praktikumsbeginn hatte ich in der H.er Lokalzeitung gelesen, daß sich die Hauptschule eines guten Renommees erfreut und „bei Jugendlichen ganz hoch im Kurs [liegt]“.5So gebe es keine Schmierereien und keine Zerstörungen, und das soziale Miteinander sei gut.6
Um so erstaunter war ich, daß ich am ersten Praktikumstag einem Polizisten in unmittelbarer Schulnähe begegnete. Die Verkehrssituation allein konnte das nicht erfordern, denn die Schule liegt am Ende einer Sackgasse, die nur von Lehrern, Eltern und einigen Bussen befahren wird. Von P.7, einem Schüler der neunten Klasse, erfuhr
5Mark Schrörs,Schülerzahl an der Montanus-Schule gestiegen. Hauptschule liegt bei Jugendlichen ganz hoch im Kurs,Bergische Morgenpost 129, 06.06.01, S. 3214.
6Vgl. ebd.
7Namen und Klassen sind alle geändert und anonymisiert.
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ich schon bald, daß der Polizist zur Hauptschule bestellt worden sei, um dort Prügeleien, wie sie sich kürzlich ereignet hätten, zu verhindern. So hatte ich zu Anfang den Eindruck, als ob das Bild, das in der Lokalpresse von der Schule gezeichnet wird, von der Realität ein wenig abweicht. Von meiner Mentorin erfuhr ich allerdings, daß die Polizei zudem auch morgens dort stehe, um die Autofahrer dazu zu bringen, langsam zu fahren, und die Polizei habe auch Aufgaben zur Drogenprävention übernommen und unterrichte die Schüler. P., so vermutete ich, hatte sich durch seine Erklärung zur Polizeipräsens ein wenig wichtig machen wollen.
Polizei an der M.schule
Als ich zum ersten Mal das Lehrerzimmer betrat, stellte ich einen bemerkenswerten Unterschied zum Eindruck fest, den ich beim ersten Schulpraktikum gewonnen hatte. Damals noch waren alte Erinnerungen an dieses „sagenumwobene“ Zimmer wach gerufen worden. Die Angst, wenn ein Klassenkamerad wegen schlechten Benehmens in dieses oder das Rektorzimmer gerufen wurde, hatte ich noch spüren können. Respektvoll hatte ich Abstand vor dem Mikrofon für Durchsagen gehalten, denn ich hatte noch vor Augen gehabt, wie Frau S. den zusammengeschrieen hatte, der es gewagt hatte, hier auf eigene Faust eine Durchsage zu machen. Das Lehrerzimmer hatte ich die ganze Zeit des Praktikums nicht betreten und die Pausen auf dem Schulhof verbracht. Der enorme Respekt vor dem Lehrerzimmer hatte zehn Jahre überdauert. Das jetzige Lehrerzimmer war von solch episodischem Wissen unbelastet, und so überschritt ich recht unbeschwert die Schwelle zum Lehrerzimmer. Eine besondere Erfahrung im Lehrerzimmer war dann die erste große Pause. Herr C. sagte: „Ich bin noch in duzfähigem Alter und heiße Udo“, und Herr B. fügte hinzu: „Ich heiße Jürgen.“ Ich war sehr erstaunt über die freundschaftliche Aufnahme und auch die Akzeptanz eines jungen Studenten bei den „altgedienten“ Lehrern. Ich spürte etwas von
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dem Prinzip der Kollegialität, von dem ich bisher nur aus Vorlesungen über die preußische Geschichte gehört hatte, das sich hier in der Schule aber noch unbeschadet erhalten hatte.
Die M.-Ganztagshauptschule liegt am westlichen Stadtrand der oberbergischen Stadt H.. H. liegt im Norden des oberbergischen Kreises, es liegt etwa 40 km nordöstlich von Köln und grenzt im Westen an die Ballungskerne des Bergischen Landes (Remscheid, Solingen, Wuppertal). Die südöstlich gelegene Kreisstadt Gummersbach ist ca. 25 km entfernt.
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Stadtplan von H.8
H. hat zur Zeit ca. 16.000 Einwohner. 1 975 hatte es aufgrund der kommunalen Neugliederung einen größeren Einwohneranteil an Remscheid verloren, durch die Expansion im Wohnungsbereich ist dieser Verlust an Einwohnern wieder ausgeglichen. Das Stadtgebiet beträgt 50,46 km2, die Bevölkerungsdichte somit ca. 317 Einwohner/km2.
Diese Fakten machen verständlich, warum in dem Schulprogramm9als Vorteil der M.schule der kleinstädtische Charakter von H. angeführt wird.10
Hinzu kommt, daß 54,2 Prozent der Fläche Landwirtschaftsfläche ist,11H. also einen ausgesprochen ländlichen Charakter trägt, wie Herr B. mir gegenüber auch bemerkte (siehe Kapitel 1.2.). Als ländliche Ortsteile zu nennen sind im wesentlichen die Ortsteile Dreibäumen, Heide, Kobeshofen, Kormannshausen, Marke, Mickenhagen,
Neuenherweg, Scheideweg, Schückhausen und Steffenshagen.
Was die Sozialstruktur H.s betrifft, so machen die „Mittelschicht“ neben den in der Landwirtschaft tätigen Personen die Beschäftigten der Industrie-, Einzelhandels- und Handwerksbetriebe aus. In der Industrie ist die wichtigste verbliebene Branche die metallverarbeitende Industrie und der Maschinenbau - die Tuchindustrie, ehemals geradezu kennzeichnend für H., ist in den 70er Jahren völlig zurückgegangen. In H. sind bedeutende Hersteller von Werkzeugmaschinen oder Präzisionswerkzeugen, z. B. Klingelnberg, ansässig und stellen den hauptsächlichen Arbeitgeber der Stadt dar. So blickt die M.schule stolz auf den zuletzt entlassenen Jahrgang zurück, von dem jeder eine Beschäftigung fand. Wie sorgfältig die Schnittstelle zwischen Schule und Beruf vorbereitet wird, zeigte sich mir während des Besuchs des sog. Berufkollegs an der Berufsschule Wermelskirchen am Dienstag, den 25.09.2001. Dort hatten die Klassen 9 und 10 Gelegenheit, sich über die dort ausstellenden regionalen Firmen zu informieren und sich schon persönlich als potentielle Auszubildende vorzustellen.
8Entnommen ausDer Stadtplan<http://www.realschule-hueckeswagen.de/anfahrt.htm#null#> (08.10.01).
9Zitiert nachMontanusschule. Ganztagshauptschule der Stadt Hückeswagen. Schulprogramm der Montanusschule<http://home.t-online.de/home/montanusschule/index-schulprogr.htm> (08.10.01).
10Vgl. ebd.
11Vgl.Zahlen, Daten und Fakten. Hückeswagen<http://oberberg-online.de/staedte/hueckeswagen> (08.10.01).
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Die sozial besserstehenden Einwohner sind, grob gesprochen, nicht unerheblich in den neu erschlossenen Wohngebieten angesiedelt. Ein großer Teil schätzt die relativ günstigen Wohnkosten in H.. So hat H. einen hohen Auspendlerüberschuß. Ca. 3.600 H.ern, die außerhalb der Stadt arbeiten, stehen lediglich ca. 1.400 Arbeitnehmer gegenüber, die aus der benachbarten Region in H. arbeiten. Begünstigt wird das durch das ausgebaute Verkehrsnetz um H.. So kann die Autobahn A 1 (Köln-Wuppertal-Dortmund) über zwei Anschlußstellen (Schloß Burg/Wermelskirchen bzw. Remscheid) in jeweils ca. 12 km Entfernung erreicht werden. Durch die Stadt laufen als bedeutende Verbindungsstraßen die B 237 (Meinerzhagen/Kierspe-Wipperfürth-Remscheid) und die B 483 ( H.-Radevormwald-Remscheid). Allerdings verfügt H. nicht mehr über einen direkten Anschluß an das Netz der Deutschen Bahn, der nächste Bahnhof liegt ca. 12 km entfernt in Remscheid-Lennep. Die Busverbindungen gelten hingegen zumindest für die Berufstätigen als zufriedenstellend.
Soziale Brennpunkte gibt es zwar laut der Schulordnung der M.schule nicht,12der sozial niedrigstehende Einwohneranteil, z. B. auch Zuwandererfamilien, ist aber v. a. im Ortsteil Wiehagen wohnhaft. So kommt auch ein erheblicher Teil der Schüler der M.-Hauptschule von Wiehagen.