Don Juan | Don Giovanni - Richard Bletschacher - E-Book

Don Juan | Don Giovanni E-Book

Richard Bletschacher

0,0

Beschreibung

Es gibt kaum eine Figur in der dramatischen Literatur, die sich wie der große Betrüger und Verführer Don Juan alias Don Giovanni quasi von selbst, und von anderen Mitspielern kaum beeinflusst, in den Mittelpunkt des Interesses auf der Bühne stellt. Die ungeheure Wirkungsmächtigkeit dieses Stoffs zeigt sich an den zahllosen Erzählungen, Ausformungen und Bearbeitungen seit seiner Entstehungszeit bis heute. Dieser Band versammelt fünf von Richard Bletschacher neu übersetzte Don Juan-Texte, die einen Überblick über Entstehung und Entwicklung des berühmten Stoffs bieten: Andrés de Claramontes mutmaßlich 1617 verfasstes Stück Der Spötter von Sevilla oder Der steinerne Gast, Molières 1665 in Paris uraufgeführte Komödie Don Juan oder Der Steinerne Gast, Carlo Goldonis Schauspiel Don Giovanni Tenorio oder Der Ungebändigte aus dem Jahr 1736, Giovanni Bertatis Libretto zur Opera buffa Don Giovanni oder Der steinerne Gast, die erstmals 1787 in Venedig gegeben wurde und Lorenzo Da Pontes Libretto zu Mozarts Oper Don Giovanni, deren Uraufführung 1788 in Prag standfand. Der Autor und Übersetzer Richard Bletschacher führt uns in fünf Stationen über die Städte Sevilla, Paris, Venedig und Wien auf die Spur einer der prägendsten Gestalten des sich von aller Bevormundung befreienden europäischen Geistes. Der Weg des spanischen Granden Don Juan Tenorio beginnt als der eines Rebellen, der geradewegs in den Untergang weist, doch mit der Wendung des Helden in das heitere Italien der aufklärenden Epoche wird er zum Symbol der ungebändigten Lebensfreude des bedenkenlos dem sinnlichen Genuss und seiner höchsten Verkörperung, der Frauenliebe, verfallenen Mannes.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 406

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Don Juan alias Don Giovanni

DON JUAN alias DON GIOVANNI

von Andrés de Claramonte • Molière • Carlo Goldoni • Giovanni Bertati • Lorenzo da Ponte

Übersetzt und herausgegeben vonRichard Bletschacher

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

Andrés de Claramonte, Molière, Carlo Goldoni, Giovanni Bertati, Lorenzo da Ponte:

Don Juan alias Don Giovanni

Übersetzt und herausgegeben von Richard Bletschacher

Hollitzer Verlag, Wien, 2024

Coverbild: © Richard Bletschacher

Covergestaltung und Satz: Daniela Seiler

Hergestellt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

© Hollitzer Verlag, 2024

www.hollitzer.at

ISBN Druckausgabe: 978-3-99094-217-8

ISBN ePub: ISBN 978-3-99094-218-5

INHALT

Vorwort

Andrés de ClaramonteDer Spötter von Sevilla oder Der steinerne Gast

MolièreDon Juan oder Der steinerne Gast

Carlo GoldoniDon Giovanni Tenorio oder Der Ungebändigte

Giovanni BertatiDon Giovanni oder Der steinerne Gast

Lorenzo da PonteDon Giovanni oder Der bestrafte Wüstling

VORWORT

Nicht selten begegnet man der Behauptung, die Erzählungen vom Don Juan und vom Doktor Faustus seien die bedeutendsten Mythen der Neuzeit. Dies hat seinen Grund darin, dass diesen gerühmte Deutungen in den literarischen und musikalischen Darstellungen durch Goethe und Mozart zuteil geworden sind. Indessen ließen sich noch einige andere Gestalten aus Literatur oder Geschichte mit nicht geringer Wirkungsmacht in den vergangenen Jahrhunderten erkennen, deren Lebensberichte hineinragen in einen Bezirk, der die Alltäglichkeit menschlichen Daseins übersteigt. An Golem wäre zu denken, an Don Quijote, an Elena Makropulos, an Gargantua, Frankenstein, an Kepler, Cagliostro, Peer Gynt und an mehr als nur eine Figur aus Shakespeares Dramen. Nicht in allen gewinnt die innere Kraft und Daseinsfülle denselben Ausdruck, und nicht eben weise wäre es, sie mit einander zu vergleichen, zumal die meisten ihre tragische Bestimmung nicht mit gleicher Gewandtheit in heitere Lebensfreude zu kleiden vermochten wie Don Juan. An ihrer schier willkürlichen und durchaus nicht vollständigen Namhaftmachung lässt sich dennoch erkennen, dass es sich bei solcher Zuordnung nicht notwendig um historische Figuren handeln muss, sondern in einigen Fällen auch um Gestalten der Phantasie. Und dies gilt auch von den beiden zuerst Genannten, deren einem hier unsere nähere Betrachtung sich zuwendet.

Es gibt kein bedeutendes Kunstwerk, das sich nicht um einen mythischen Kern gebildet hätte, auch wenn nicht in allen der verborgene Ernst des todbedrohten Daseins zum Vorschein gelangt. Das Kennzeichen des Mythos ist die anhaltende Zeitresistenz, Faszination und Aussagekraft des von Menschen verkörperten Geschehens. In diesem Sinn vermag der Widerstreit der dogmatischen Abstraktion eines ethischen Gesetzes gegen die lebendige Selbstbehauptung des Individuums den Rang eines Mythos zu erreichen. Der existenzielle Gehalt eines solchen Werkes der Kunst erweist sich in besonderem Maße auf dem Theater, indem es dem Betrachter durch die personifizierte Intensität des Erlebens, die Fülle des Seins und dessen Anschaulichkeit leibhaftig macht. Leibhaftigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang die Bereitschaft, jederzeit sich zu wandeln, Neues zu generieren, fruchtbar zugleich und verderblich zu sein. Sie bewirkt eine Präsenz, ist wie ein edles Tier, das sich der Zähmung verweigert. Das Einvernehmen des Zuschauers mit den solches darstellenden Personen des Theaters geschieht nicht allein durch intellektuelles Verstehen, sondern durch Induktion. Vergleichbar dem Begreifen der Welt durch ein kleines Kind, das den Eltern ihre Sprache abgewinnt, ohne von deren Grammatik oder Ätiologie auch nur eine entfernte Vorstellung zu haben. So verständigen sich Darsteller und Publikum durch oft kaum bemerkbare und doch spürbare optische und akustische Aussendungen sowohl auf der Ebene des Intellekts als auch der der Intuition. Dies lässt sich in besonderem Maße von der Figur des Don Juan sagen und lässt sich hier mit den Texten allein nicht wiedergeben.

Einem ersten Blick auf die fünf ausgewählten Theaterstücke fällt auf, dass sie alle im romanischen Sprach- und Kulturraum entstanden und dort bereits weit ausgesponnen worden sind. Diesen gegenüber sehen wir, dass die meisten späteren Werke ab dem 19.Jahrhundert in den Ländern des Nordens hervorgebracht wurden und ebenso die in ihrer eigenen Tiefe schürfenden literarischen und philosophischen Interpretationen, etwa von Sören Kierkegaard oder Ernst Bloch. Ihnen allen eignet eine kritisch-intellektuelle Distanz, die die Erzählung vom Don Juan zum Objekt einer sozialtheoretischen Prüfung werden lässt, während sie doch in ihrem Ursprung aus dem subjektiven Erleben eines männlich aristokratischen Selbstbewusstseins stark empfunden und nur halb reflektiert hervorging. Und da die Erzählung vom rauschhaften Leben und furchtbaren Tod des Don Juan durch die Theaterautoren romanischer Länder auf eine solche Höhe der Präsentation gelangte, wen wundert es, dass sich eine kaum zu überblickende Zahl von Künstlern und Interpreten daran machte, ihr neue Wirkungen und Deutungen abzugewinnen. Da hier nicht der Ort ist, sie alle zu nennen, soll neben den erwähnten Philosophen nur auf die Dichter Byron, Puschkin, Lenau, Horvath und Frisch gewiesen werden. Nicht alle, und schon gar nicht die Klugen, haben sich mit gleichem Glück daran versucht wie der jugendlich unbekümmerte Richard Strauss, der mit seiner genialen Tondichtung vom Don Juan, ohne vieles Federkratzen, den Kern in der Mitte getroffen hat.

Die Interpretation eines Kunstwerks ist der Versuch intellektueller Erkennung und Namhaftmachung von Bedeutung, was bei Werken der Schrift leichter machbar ist als bei solchen der Musik oder darstellenden Kunst. Wenn man sich diesen Werken mit den Instrumentarien der interpretierenden Hermeneutik nähert, wie dies dem Zeitgeist des späten 20.Jahrhunderts entspricht, so muss man zuerst einbekennen, dass die notorische Unfähigkeit zu deren Erfassung durch Instrumente der Naturwissenschaften notwendig zu einer subjektiven Auswahl und Wertung führen muss. Und so kann auch ihnen gegenüber eine Anerkennung oder kritische Verwerfung nicht zu allen Zeiten in gleichem Maße festgestellt werden. Das eine oder andere der solchen Gestalten gewidmeten Theaterstücke fand nicht zu allen Zeiten seine gerechte Repräsentation auf der Bühne, manch eines wurde in Form oder Inhalt abgewandelt, andere versanken für längere Zeit ganz im Vergessen und erhielten sich nur mehr als Archivalien. Es ist vor allem dem überwältigenden Erfolg ihrer gelungensten Verkörperungen zu danken, dass man sich der früheren Versuche auch wieder erinnerte. Die Jahrhunderte überdauernde Faszination der Gestalt des Don Juan verdanken wir vor allem der Intervention eines Komponisten, der dem viel geschundenen Stoff erst den mythologischen Rang verlieh, den er seither bewahrt hat. Wolfgang Amadé Mozart war es gegeben, der Wollust des Liebesbegehrens ebenso eine Stimme zu geben wie dem Ernst des ethischen Gebotes und den Schrecken der Mächte des Abgrunds. Dies war in keinem anderen Medium besser vor Augen zu führen als in dem des musikalischen Theaters. Dennoch ist nicht daran zu zweifeln, dass die szenische Repräsentation der Fabel vom bestraften Verführer von allem Anfang an die Aufgabe hatte, im Dienste der Gegenreformation die moralische Botschaft der christlichen Kirche einem staunend erschrockenen Publikum zu übermitteln. Die ersten Autoren, die diesen Stoff entweder entdeckten oder erfanden, waren katholische Geistliche. Die machtpolitische Behauptung von der Unterordnung des Individuums unter die Bedürfnisse und Forderungen der Gemeinschaft (nichts anderes bedeutet das griechische Wort ecclesia) sollte hier in einer Epoche großer Umwälzungen an einem drastischen Beispiel exemplifiziert werden. Dass ein Mann wie dieser stolze spanische Adelsspross die weltlichen Mächte nicht fürchten wollte, war durchaus nichts Ungewöhnliches. Dass ihn auch der Tod und gar Erscheinungen und Stimmen aus dem Jenseits nicht schreckten, setzte ihn in den Verdacht der Gottesleugnung und damit der Abtrünnigkeit vom einzig wahren katholischen Glauben. In keinem anderen Stück der Epoche tritt diese so unverhüllt als atheistische Selbstüberhebung zu Tag. Dem musste die Kirche entgegentreten mit allen Gewalten, über die sie verfügte. Das Feuer aus dem Abgrund der Hölle war ihr letztes Mittel. Nicht der Frauenschänder, der Ketzer musste brennen.

So unterschiedlich die einzelnen Präsentationen des Sujets auch sein mögen, das Handlungsgerüst ist immer nur eine Aneinanderreihung von Variationen eines einzigen Themas, dem allem zugrunde liegenden Konflikt zwischen den Prinzipien der sogenannten ewigen Gesetze einer christlich-moralischen Wertordnung und der Rebellion des individuellen Subjekts, das sich durch die beginnenden Umwälzungen der Epoche autorisiert sieht, seine eigene Vorstellung von der Freiheit des Einzelnen in die Tat umzusetzen und seinen Begierden und Lüsten zu folgen. Da nun aber die ästhetische Form der Gestaltung einen so hohen Rang erreichte, der sie ablöste von aller beabsichtigten Zweckdienlichkeit, so ist die Frage nicht abzuweisen, ob die Auftraggeber der älteren Epoche ihre ursprünglichen, agitatorischen Ziele denn nicht besser erreicht hätten, wenn sie sie in bündiger Form gedruckt und proklamiert und nicht die Kunst als ihr Vehikel dafür in Dienst gezwungen hätten. Denn der einst als Objekt des Abscheus hervorgehobene und bestrafte Wüstling wurde nach und nach in den Händen großer Dramatiker zu einer ebenso bestaunten und bewunderten Gestalt männlichen Selbstbewusstseins und Freiheitsanspruchs wie neben ihm kaum eine andere. Don Juan geriet, bewusst oder unbewusst, in all seinen Erscheinungen auf der Bühne zu einem Individualisten, der sich wenig um Aufträge und Absichten anderer kümmert. Das erweist sich an seinem immer deutlicher hervortretenden Mangel an Zweifeln und Mitgefühl, an seiner Lust, sich selbst als Verkörperung gelungenen Lebens zu feiern, wie auch an seinem sozialen Hochmut, seiner Herablassung und seiner Unfähigkeit zur Reue. Die Gestalt des Don Juan bietet den Interpreten eines jener bewegten Ziele, die einem suchenden Fernrohr aus dem Visier geraten. Don Juan löst sich und macht sich unabhängig von seinen Erfindern, folgt nur mehr seinen Instinkten und ist wenig geeignet, durch sein lebendiges Beispiel die Gedanken anderer zu exemplifizieren.

Es gibt kaum eine Figur in der dramatischen Literatur, die sich so wie von selbst und von anderen Mitspielern kaum beeinflusst in den Mittelpunkt des Interesses auf der Bühne stellt. Neben ihm haben sogar die Exekutoren der himmlischen Gerechtigkeit nur einen Platz in der zweiten Reihe. Es gibt Stimmen im Chor der Kommentatoren, die Don Juan als ein schönes aber wildes Tier bezeichnen oder gar als ein Naturereignis. An beiden gäbe es nichts zu interpretieren. Sie überzeugten durch ihr pures Dasein und Handeln. Ich aber halte dafür, dass man in ihm die Verkörperung sieht des neuen Menschen und der Wiedergeburt, der Renaissance, des Anspruchs auf die Freiheit des Individuums, der die Stricke der Bräuche und Traditionen abwirft und den Machtansprüchen und Zwängen trotzt von Religion, Sittengesetz und Justiz. In keiner der Szenen kommt dies so deutlich zum Ausdruck wie im Lobgesang „Viva la libertà“ im Text von Lorenzo da Ponte.

Dabei ist es nicht ohne Bedeutung, dass Don Juan oder Don Giovanni, wie ihn die Italiener nennen, der Protagonist, ein Mann in seinen kraftvollen Jahren ist, der selbst der Aristokratie angehört und den Titel eines Don führt, welcher nichts weiter besagt als eine Bekundung des Respekts, der Personen zugebilligt wird, die durch Verdienst, Geburt oder Arroganz ein Vorrecht auf soziale Anerkennung erwarten. Im Italienischen nennt man sie uomini di rispetto. Ihm gegenüber steht als mächtige Gestalt der Komtur, dem das Amt des Rächers zugedacht ist. Die im komischen spanischen oder italienischen Theater obligate Figur des stets hungrig aufbegehrenden Dieners sichert den Stücken ihren komödiantischen, wenn auch nicht immer nur heiteren Charakter. Die von Stand und Charakter sehr unterschiedlich erscheinenden Damen, die oft nicht durch sinnliche Betörung, sondern durch Gutherzigkeit oder leichtfertiges Vertrauen dem Verführer zu Opfern fallen und zu den großen Leidtragenden der bedenkenlosen Untaten des Don Juan gehören, werden nicht in allen vorgestellten Werken mit gleicher Empathie bedacht. Davon, dass nach ihrer Defloration durch den Verführer ihre Hoffnungen auf eine ebenbürtige Heirat sich nicht mehr erfüllen, wird wenig Aufsehen gemacht. Manche hat neben all dem, was ihr angetan wird, auch noch den Spott zu tragen. Nicht allen gelingt es dabei, immer ihre Haltung zu wahren. Die eine oder andere ländliche Schöne wurde gar durch die aristokratische Attitüde des Übeltäters oder die Hoffnung auf eine Erhöhung ihres Standes mehr verleitet als durch dessen Verführungskünste. Den Edleren unter ihnen wird erst durch die alle Tiefen ihres Seelenlebens offenbarende Musik Mozarts die weibliche Würde wiedergegeben, die ihnen durch die erlittenen Enttäuschungen und Kümmernisse geraubt wurde. Dass der Räuber aber nach seinem ersten Erfolg und einer in doppeltem Sinne flüchtigen Umarmung stets wieder das Weite und ein nächstes Abenteuer gesucht haben soll, macht ihn doch, neben mancher heimlichen Beneidung oder Bewunderung, auch ein wenig bedauernswert. Er hat auf solche Weise die volle, beglückende Sinnlichkeit einer hingebungsvollen Frau und damit eine wahre Liebesleidenschaft wohl nie erfahren. Dem entspricht auch das wiederholte Scheitern seiner letzten Eroberungsversuche vor dem furchtbaren Ende seines ruchlosen Lebens. Unverzichtbar bei den ländlichen Szenen war auch der bäuerliche Tölpel, der als der Bräutigam einer allzu leichtfertigen und doch liebwerten Braut den derben Buckel hinhalten musste, um in komischer Widersetzlichkeit die handfesten Prügel auf sich zu ziehen, ohne die es nach guter theatralischer Sitte nicht abgehen konnte. Nicht in allen vorgestellten Bühnenwerken sind die Figuren am Rande die gleichen, sie tragen auch verschiedene Namen. Die größte Zahl der bekannt gewordenen Stücke nennt als Ort eine spanische Stadt unter der wir Sevilla vermuten dürfen. Eine Ausnahme macht Bertati, dessen Version in „Villena nell’ Aragonia“ spielt. Andrés de Claramonte verlegt in seinem Schauspiel die ersten Szenen nach Neapel.

Vom Staunen und Grauen erregenden Leben und Tod des spanischen Granden Juan Tenorio handelt eine größere, nicht genau zu beziffernde Anzahl von theatralischen Darstellungen, die alle ihren Ursprung im Vorbild eines Bühnenwerkes des frühen 17.Jahrhunderts haben. Gemeinhin wurde als dessen Autor der Mönch Tirso de Molina genannt, der 1584 in Madrid geboren wurde, 1601 in den Orden der Mercedarier in ein Kloster in Toledo eintrat, dort mit Lope de Vega Bekanntschaft schloss und sich nach dessen Vorbild dem weltlichen Theater zuwandte. Nach einer vom König Philipp IV. veranlassten Untersuchung sah er sich gezwungen, seine erfolgreiche Karriere in diesem Bereich zu beenden. Er musste zunächst Madrid verlassen, kehrte 1634 zurück und starb 1648 in einem Kloster bei Soria. Das ihm zugeschriebene Theaterstück El burladorde Sevilla yconvidado de piedra wurde erstmals im Jahre 1624 in Madrid aufgeführt und 1630 unter seinem Namen gedruckt.

Durch neuere Forschungen spanischer Gelehrter hat sich nun aber erwiesen, dass neben Tirso ein zweiter Autor mit Namen Andrés de Claramonte genannt werden muss, der um dieselbe Zeit lebte und möglicherweise einen Text verfasste unter dem Titel Tan largo me lo fiáis (was übersetzt werden könnte mit „Lange hast du mir vertraut“ oder besser mit: „Lang hat der Himmel Geduld“). Dieser wurde unter dem Autorennamen Pedro Calderóns de la Barca im Jahre 1617 auf die Bühne von Cordoba gebracht. Warum dabei der Name des tatsächlichen Autors verheimlicht wurde, ist nicht wirklich bekannt geworden, lässt aber die Vermutung zu, dass der Mönch Andrés de Claramonte sich entweder bewusst hinter dem berühmteren Namen verbarg oder von der Theaterleitung dazu veranlasst wurde. Dass einer seiner beiden Zeitgenossen, die berühmtesten Dramatiker Spaniens, Pedro Calderón und Lope de Vega, sich selbst je an diesen Stoff gewagt hat, ist nicht anzunehmen. Claramonte, ein Autor, der in Spanien nicht ganz unbekannt geblieben ist, hat seine ersten Theaterstücke bereits im Jahre 1604 auf die Bühne gebracht, sein letztes 1624. Gestorben ist er im Jahre 1630. Daraus lässt sich schließen, dass er wohl einige Jahre älter war als Tirso de Molina. Erst in späteren Jahren, nach seinem Tod, wurden seine Texte in einem Sammelband dem Druck übergeben. Man hat nun in den jüngst vergangenen Jahren aus Sprachvergleichen geglaubt feststellen zu können, dass das seither als ältestes zu betrachtende Werk vom Leben und Sterben des Don Juan Tenorio, eben unter dem Titel Tan largo me lo fiáis wohl aus der Feder Claramontes stammen dürfte. Es kann keineswegs meine Absicht sein, die Probleme der spanischen Editionsgeschichte hier zu erläutern, zumal ich selbst die Sache nicht in allen Mäandergängen durchschaue und es offenbar auch von dem von mir gewählten Text abweichende bzw. ergänzende Fassungen gibt. Wer wie ich in erster Linie an der Folge und Entwicklung der Handlung und an der Charakterisierung der Protagonisten Interesse hat, wird sich nicht gedrängt fühlen, einzutreten in die Diskussionen über die Priorität der Autorschaften und die kritische Abwägung der unterschiedlichen Manuskripte. Dies mag den spanischen Literaturhistorikern und Dramaturgen überlassen sein. Tirsos und Claramontes Werke haben offensichtlich die Zeiten am besten überstanden. Sie weisen keine großen Unterschiede auf in der Führung der Handlung und in der Anteilnahme der darin agierenden Personen, wohl aber solche in den Dialogen. Wer auch immer den Stoff vom großen Verführer erdacht und erfasst haben soll, seine Gestaltung stammt in beiden aufgeführten und gedruckten Versionen von einem erbarmungslos katholisch denkenden Autor, mag er Tirso de Molina oder Andrés de Claramonte sich nennen. Das vermutlich ältere von beiden Stücken, das mir möglicherweise unter einem falschen Namen vorliegt, habe ich selbst für diese Publikation ins Deutsche übertragen und mich damit einer Aufgabe unterzogen, deren Schwierigkeit ich erst nach und nach registrieren konnte. Dies umso mehr als ich nicht durchwegs von seinem dichterischen und dramaturgischen Format überzeugt bin. Es finden sich übergroße Längen vor allem in den fast ariosen Monologen, Verse, hin und wieder in Strophen mit Endreimen unterteilt. Manchmal ist auch ein ganzes Sonett darunter verborgen. Diese Lyrismen führen oft weit ab von der Handlung und erinnern gelegentlich an die zu jener Zeit sehr populären Gedichte Petrarcas oder auch an die vertrackten Sonette Luis de Góngoras, an deren Übersetzung ich schon vor Jahrzehnten gescheitert bin. Dass ich bei meiner Übersetzung die Reime nicht immer berücksichtigt habe, wird man mir wohl verzeihen, da diese und die durch sie veranlassten syntaktischen Verschiebungen das Verständnis auch eher erschwert als erleichtert hätten. Auch machten diese lyrischen Verzierungen oft den Eindruck, als wollte der Autor seine kunsthandwerklichen Fähigkeiten dem gebildeten Publikum des spanischen Siglo de Oro vor Augen und Ohren führen. Hier und dort habe ich eine Regieanweisung ergänzt, um die Bühnenhandlungen dem Lesenden besser vor Augen zu führen. Und den Wechsel der einzelnen Szenen in veränderter Umgebung habe ich, wenn schon nicht durch eine Angabe des Schauplatzes, so doch wenigsten durch einen Absatz im graphischen Bild erkennbar gemacht. Den Untertitel Comedia habe ich im Original beibehalten, da seine wörtliche Übersetzung mit Komödie, anders als im Falle Molières, nicht dem ursprünglichen Sinn des spanischen Wortes gleichgekommen wäre.

Ein Wort noch soll gesagt werden zum historischen Hintergrund einer vermutlich erfundenen Handlung, um diese in ihren zeitlichen Zusammenhang einzuordnen. Es mag uns heute verwunderlich erscheinen, dass die Autoren des 17. und 18.Jahrhunderts jeweils als Ort der ersten Szenen das Königreich Neapel wählten, wobei sie sich nicht allein über die alten Regeln von der Einheit des Ortes hinwegsetzten, sondern auch zwei Königreiche, zwei Könige und deren Untertanen gegeneinander ins Spiel brachten, was durch einen kurzen Rückblick in die Geschichte Spaniens und Süditaliens hier geklärt werden soll. Nach der Volkserhebung der Sizilianischen Vesper im Jahre 1282 gelangte Sizilien an die Könige des spanischen Aragonien. Die behielten ihre Herrschaft auch nach der Wiedervereinigung Siziliens mit Neapel. Als sich Aragonien dann durch Heirat im Jahre 1469 mit dem nachbarlichen Kastilien zum Spanischen Königreich zusammenschloss, wurde Neapel und ganz Süditalien weiterhin durch einen Vizekönig verwaltet. Und so war nach der Reconquista im Jahre 1492, spätestens aber seit 1504 und im gesamten 17.Jahrhundert, das hier im Spiel ist, Süditalien mit seiner Hauptstadt Neapel kein eigenes Königtum mehr, sondern ein von Madrid beherrschtes Vizekönigtum. Wenn nun also bei Claramonte wie auch bei Tirso de Molina von einem neapolitanischen König gesprochen wird, so muss man mit ihnen die Handlung ihrer Stücke in eine Zeit vor 1504 ansetzen. Und der darin auftretende als König von Neapel bezeichnete Monarch war zugleich der Verwandte des Königs von Aragonien. So verstehen sich die mehrfachen Reisen der handelnden Personen von dem einen Land in das andere. Sie entstammten demnach alle nicht einem neapolitanischen oder sizilianischen, sondern dem aragonesischen oder kastilischen Adel. Von historischen Namen sind uns die Señores de Ulloa und Grafen de la Mota bekannt. Eine Familie der Tenorio lässt sich dagegen in den spanischen Dokumenten nicht finden. Sie ist vermutlich erfunden. Auch von einer historischen Figur des Don Juan, die von den Autoren vielleicht zum Vorbild für ihre dramatischen Werke benützt worden sein könnte, ist nichts Näheres bekannt; dennoch muss man vermuten, dass die geschilderten Geschehnisse in der Epoche des erwachenden Individualismus und der sich mit all ihren traditionellen Waffen zur Wehr setzenden katholischen Kirche durchaus keine Seltenheit waren. In jedem Fall ist bei näherer Betrachtung der Zeitumstände nicht zu verkennen, dass der Plan der Handlung – ob er nun aus einem historischen Geschehen hervorgegangen ist oder von seinem ersten Dichter erfunden wurde –, der aus der Reaktion der Gegenreformation sich verstehen lässt und den Triumph des katholischen Bekenntnisses über die Freigeisterei der Epoche darzustellen sich bemühte, sich in Frankreich und Italien deutlich gewandelt hat. Dort findet sich nicht nur im Untertitel die Bezeichnung commedia oder opera buffa, sondern es mehren sich die komödiantischen Elemente in der dargestellten Handlung. Und so mehren sich auch die weiblichen Opfer des Verführers. Dies scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass die allmählich sich vollziehende Aufklärung der Geister sich in diesen Stoff einzudrängen wusste. Wenn auch der Glauben an die moralischen Dogmen mehr und mehr schwand, so blieb doch die Jagd nach den Röcken der Frauen und vor allem der Schrecken der auf offener Bühne sich vollziehenden Höllenfahrt des Don Giovanni als die schlagenden Trümpfe des schaurigen Spiels. Dass neben dem so erregten Aufruhr aller Sinne auch die sittliche Belehrung nicht fehlen durfte, dafür sorgte der religiöse Eifer des 17. und der philosophische des 18.Jahrhunderts.

Das bisher hierzulande fast unbekannte Stück des Claramonte habe ich an dieser Stelle ausführlicher kommentiert, als ich es für die anderen vier im Sinn hatte. Dass ich für diese weniger Worte machen werde, dagegen wird man, wie ich hoffe, nichts einwenden oder es gar angesichts der bisher so zahlreich vorliegenden Daten als Erleichterung empfinden.

In Frankreich, wo man weniger kategorisch dachte und man es mehr noch als in Spanien mit Freigeistern zu tun hatte, war es Molière, der Autor, Regisseur und Schauspieler in einem, den man als einen der berühmtesten Komödiendichter aller Zeiten hier niemandem vorzustellen braucht, der in Diensten des Hofes Ludwigs XIV. den Stoff in spielerisch abgewandelter und bereicherter Form neu adaptierte. Nicht allein gab er seinen Figuren französische Namen, wie sie ähnlich auch in seinen anderen populäreren Komödien erscheinen, er führte auch Nebenmotive und Figuren ein, wie etwa den Bettler, der sich zu fluchen weigert oder die beiden auf Rache sinnenden Brüder Done Elvires, der entführten Nonne. Die Handelnden werden nun ein wenig auch zu Franzosen und Don Juan zu einem offen sich bekennenden Atheisten. Molières Humor, der das bisher so grimmige Werk in komödiantischen Szenen durchzieht, erweist sich vor allem in der Gestaltung der ländlichen Figuren der Fischer und Bauern und ihrer bald auf den Hintern, aber nicht auf den Mund gefallenen Mädchen. Molière gibt uns ein Beispiel seiner komödiantischen Kunst und psychologischen Menschenkenntnis, indem er einen einfältigen Landmann einem lüsternen Mädchen berichten und ausmalen lässt, wie sich Don Juan nach dem Bade ankleidet und sich damit gleichsam wappnet zum Angriff auf die wehrlose Tugend seines staunenden Opfers. Leider findet diese etwas lang ausgesponnene Komödie, wenn man sie mit den anderen Werken vergleicht, kein wirklich überzeugendes Ende. Die Höllenfahrt Don Juans wird voraus angedeutet durch die Erscheinung eines namenlosen – vielleicht sein schlechtes Gewissen versinnbildlichenden – Gespensts. Die Statue des Komturs erscheint noch einmal am Ende des Stückes und stürzt Don Juan in den feurigen Abgrund. Der Diener Sganarelle aber findet nach dem Tod des Herrn keinen anderen Gedanken, als über seine dadurch entfallende Lohnauszahlung zu jammern. Und tatsächlich wird dieses Stück, im Vergleich mit anderen, erfolgreicheren, heute nur mehr selten auf die Bühne gebracht. Es zeigt sich hier wie fast in allen vorgestellten Don Juan/Don Giovanni-Stücken, mit Ausnahme natürlich dessen da Pontes, dass sich der Autor meist vergeblich bemühte, dem Stück ein würdiges Ende zu finden.

Dass das Sujet vom großen Verführer der Frauen und Leugner der feudalen wie bürgerlichen Gesetze nach den ersten Probestücken auf spanischen Bühnen seine weitere Verbreitung aber vor allem in Italien fand, ist nicht zu verwundern, da man sich dortzulande mehr als in seiner Heimat geneigt zeigte, sich mit seinem Helden seines irdischen Vergnügens zu freuen und ihm Einlass zu gewähren in die Lustspieltheater. Carlo Goldoni, geboren 1707 in Venedig und gestorben 1793 in Paris, war gewiss der wichtigste unter den Autoren, die die Wirksamkeit des Stücks für die szenische Darstellung erkannten. Er wusste von der französischen Version Molières, meinte aber irrtümlich die ursprüngliche, älteste spanische Fassung dem berühmten Calderón de la Barca zuschreiben zu müssen. Die Figur des Don Giovanni – so nennt er sich nun in Italien – wird unter der Feder des berühmtesten Lustspieldichters seiner aufgeklärten Epoche allerdings ihres herrischen Selbstbewusstseins entkleidet und zu einem charmanten Betrüger und gewissenlosen Lügner herabgesetzt. Aus dem stolzen Spanier ist nun ein wehleidiger italienischer Halunke geworden. Auch hat die Gestalt des Komturs und steinernen Gastes durch sein mehrmaliges und allzu redselig ausgesponnenes Disputieren alle übersinnliche Gewalt verloren. Dem ungeachtet erweist sich der vielbegabte Goldoni in der kontrastreichen Gestaltung seiner Figuren ebenso wie in manchen eloquenten Dialogen als Meister seines Faches. Auch wenn das 18.Jahrhundert nur wenig Vorbehalte gegen die Lüge als Waffe der Verteidigung kennt, gibt es doch kaum ein zweites Stück, in welchem soviel und auch im Angriff gelogen wird. Man scheint darunter zu der Zeit so etwas wie die Würze eines heiteren Dialogs gesucht zu haben. Im Ganzen aber fehlt Goldonis Werk, vermutlich auch durch die Abkehr von jeder religiösen Motivierung, eben jener mythologische Kern, der der Erzählung vom bedenkenlosen Frauenverführer und seinem steinernen Gast den inneren Halt gibt. In Goldonis Version zeigt sich sein wenig mutvoll herrischer Held als wortgewandter Lügner, der vor allem die Sprache benützt, um zu verführen, sich aus Gefahren zu winden und schließlich, um sogar Mitleid zu erregen. Am Ende verdirbt Goldoni auf diese Art das Charakterbild des stolzen spanischen Granden, indem er ihn nach vielen bestandenen Abenteuern in die Enge getrieben winselnd um Gnade bitten lässt. Der Autor selbst, der unter den Bühnenleuten scherzhaft Carlino gerufen wurde, hat sich in der Figur des Schafhirten Carino eine umfängliche und anspruchsvolle Rolle auf den Leib geschrieben, in der er noch das letzte Wort hat. Dennoch ist es nicht zu verwundern, wenn das Werk nicht unter die beliebtesten Komödien dieses heute wie eh’ und je beliebten Autors eingereiht wurde und auch etwa in der in meinen Regalen stehenden mehrbändigen deutschen Ausgabe seiner Werke gar nicht aufscheint. Man hat dem heiteren Dichter den ernsten Grundbass des bösen Geschehens wohl nicht recht glauben wollen.

Das Thema des gewissenlosen Verführers fand durch zahlreiche Adaptionen vor allem auf der Opernbühne in Italien im späten 18.Jahrhundert große Verbreitung. In Venedig etwa wurden von 1777 bis 1787 vier verschiedene musikdramatische Versionen des nun „Don Giovanni ossia Il Convitato di Pietra“ benannten Sujets geschrieben und zumindest drei davon erstmals aufgeführt. Weitere kamen in Rom und Neapel auf die Bühne. Man wird auch hier so wie in dem spanischen Vorbild eine Reihe von Scherzen bemerken, die zum Teil wegen ihrer Zeit- oder Ortsbezogenheit heute kaum mehr verständlich sind und die man darum sanftmütig erdulden oder achselzuckend übergehen wird. Giovanni Bertatis Verdienst ist in jedem Fall, dass er alles unnötig wuchernde Beiwerk ausgeschieden und das tragende Handlungsgerüst freigelegt hat. Auch ist ihm eine wirksame Eröffnung zu danken mit der Ermordung des Komturs und danach eine folgerichtige Ordnung der Szenen, die ohne Umwege auf das zu erwartende Finale der Höllenfahrt zustrebt. Dennoch muss man den Einwand geltend machen, dass er den Frauenfiguren zu wenig Achtung und so gut wie gar kein Mitleid zuwendet. Dass Bertati einen berechtigten Anteil hat an der um vieles geistreicheren Ausprägung des großen Themas durch da Ponte und Mozart ist jedoch nicht zu leugnen. Hinzuweisen bleibt am Rande auf ein erhalten gebliebenes Fragment Gazzanigas, das Skizzen zu einer erweiterten Registerarie des Pasquariello für eine später erfolgte Wiener Aufführung enthält. Ob sie vor oder nach da Pontes Fassung entstanden ist, ist nicht zu ersehen.

Durch die in diesem Band erfolgte Auswahl der älteren Schauspiele treten in den ihnen gegenübergestellten jüngeren Operntexten sehr deutlich die Unterschiede in deren formalen Strukturen hervor. Während in den ersteren dem Autor alle Möglichkeiten einer freien oder gebundenen Rhythmisierung offen sind, hat der Librettist dem Komponisten eine variantenreichere Einladung zu den unterschiedlichsten musikalischen Formgebungen vorzuschlagen. Während er in den Gesangsstücken, Arien, Ensembles, Finali, je nachdem ob sie lyrischen oder dramatischen Charakters sind, wechselnde Rhythmen vorgibt, um bei der notwenigen längeren Dauer und gelegentlichen Wiederholung der Texte keine Einförmigkeit aufkommen zu lassen, kann er in den rascher auszuführenden Rezitativen seine Metren von Vers zu Vers nach eigenem Belieben und den Erfordernissen der dramatischen Situation gestalten. Es hat sich in der italienischen Tradition dabei bald die Übung gezeigt, dass kürzere untermischt mit längeren Versen die Gespräche beleben. Und so wurden meist Verse von fünf bis sieben Silben mit solchen abgewechselt, die 11 oder 12Silben enthielten und die letzteren oft am Szenenende, wie ehedem auch im klassischen Schauspiel mit einem Reimpaar abschlossen. Wenn der Autor sein Handwerk gelernt hatte, so musste ihm der Komponist dabei wenig Anleitung geben und konnte sich vielmehr auf dessen erfinderische Inspiration verlassen. Bei meinen Übersetzungen der Opern habe ich mich daher sehr genau an die rhythmischen Strukturen gehalten, um sie möglichst ohne Verluste an die Noten der Partituren anzupassen.

Vor dem unvergleichlichen Meisterwerk von da Ponte und Mozart ist uns von den zahlreichen musikdramatischen Gestaltungen des Sujets vom spanischen Edelmann Don Juan, der unterdessen den italienischen Namen Giovanni erhalten hatte, ein anderes Werk bekannt geworden: die nur einen halben Abend füllende eben erwähnte kleine opera buffa von Giovanni Bertati und Giuseppe Gazzaniga, die unter dem Titel Don Giovanni o sia Il Convitato di Pietra zu Beginn des Jahres 1787 in Venedig ihre Uraufführung erlebte und zwar als zweiter Teil eines geteilten Abends mit dem Titel Il Cappriccio drammatico. Bertatis Don Juan Drama ist folglich als Theater im Theater konzipiert. Im ersten Akt, in der „Theaterkomödie“, wird diskutiert, welches Stück zur Aufführung gebracht werden soll – der Vorschlag, den Convitato di pietra zu spielen, findet zunächst wenig Zustimmung bei den Sängern – der Impresario überzeugt sie schließlich, indem er eine noch nie gesehene Synthese aus der Fassung des Tirso de Molina, Molières und der Tradition der commedia ankündigt – diese Aufführung erfolgt dann im 2. Akt. Giovanni Bertati stammte aus dem kleinen Ort Martellago im Veneto und wurde am 10.Juli 1735 geboren. Wenig mehr ist über ihn bekannt, als dass er in Treviso was auch immer es sein mochte studierte und bald danach schon versuchte, in Venedig sein Glück zu machen. 1769 gelang ihm mit einem Opernbuch über den tragischen Tod der karthagischen Königin Dido ein erster Bühnenerfolg, dem sich viele andere anschließen sollten. Seine poetischen Werke wurden von unterschiedlichen Komponisten vertont und meist am Teatro San Moisè erstmals aufgeführt. Dass er nach der Verabschiedung Lorenzo da Pontes durch Kaiser Leopold II. dessen Stelle als Theaterdichter am Wiener Hoftheater einnehmen und dort von 1791 bis 1794 walten würde, hat ihn gewiss auf den Gipfel seiner Karriere geführt. Von dieser seiner Wiener Tätigkeit ist uns das sehr gelungene Textbuch zu Cimarosas opera buffa Il matrimonio segreto überliefert. Das Buch Giovanni Bertatis wurde für die Komposition durch Giuseppe Gazzaniga und für eine Aufführung im Teatro San Moisè in Venedig geschrieben. Gegenüber den älteren Schauspielen hat es den Vorteil, dass es sich auf die wesentlichen Elemente der Handlung beschränkt, alle Debatten, Vorwürfe und Ausreden vermeidet und die komödiantischen Elemente in den Vordergrund rückt. Der eigentlichen Bedeutung des großen Sujets und dessen durchaus auch weltanschaulichen und tragischen Implikationen werden dabei keine ernste Beachtung geschenkt. Dennoch hat eben dieses Werk, das im Jahre 1787 in Venedig auf die Bühne gelangte, das große Verdienst, dem venezianischen Dichter Lorenzo da Ponte und dem genialen Musikdramatiker Wolfgang Amadé Mozart zum Vorbild für deren Fassung des Stoffes und damit einem der größten Meisterwerke des europäischen Theaters zum Vorbild gedient zu haben. Dabei ist mit Erstaunen festzustellen, wie viele dramatische Motive da Ponte unbekümmert von dem ihm sicher wohlbekannten Landsmann Bertati übernommen hat.

Um eine abendfüllende Oper zu ermöglichen, sah er sich veranlasst und gewiss auch vom Komponisten dazu aufgefordert, neue Handlungsmotive, die eine Erweiterung des Ganzen auf zwei Akte ermöglichen, einzufügen. Die dabei sich einstellenden Schwierigkeiten hat er nicht immer in der gleichen dramaturgischen Inspiration, aber doch am Ende glücklich gelöst. Über da Pontes Version des DonGiovanni und mehr noch über Mozarts Vertonung ist vieles bereits geschrieben worden, bewundernd, rätselnd, philosophierend und immer staunend, ich selbst habe durch meine Publikation Mozart und da Ponte soviel dazu beigetragen, dass ich, um mich nicht zu wiederholen, nicht mehr dazu sagen will. Immerhin muss hier doch berichtet werden, dass, nachdem Mozart den Auftrag zu einer Opernkomposition vom Prager Impresario Pasquale Bondini erhalten hatte, er sich an da Ponte wandte, der ihm – wie dieser in seinen Memoiren berichtet – das Sujet des Don Giovanni empfahl. Das Buch Bertatis wird vermutlich auch in Wien zu haben gewesen sein, vielleicht gar in der Sammlung des Abbate Casti, die dieser, eifersüchtig, Mozart nicht hatte einsehen lassen. Wenn da Ponte sie nicht selbst in Venedig gesehen und gehört hatte, so hatte er sie doch von Casti oder einem anderen seiner alten Bekannten geschildert bekommen. Von den Rechten eines Urhebers war damals so wenig die Rede, dass er nicht nur die Charakterisierung der handelnden Figuren, sondern ganze Handlungselemente recht ungeniert daraus entnehmen konnte. Da Pontes Aufgabe bestand nun vor allem in der Erweiterung der knapp gedrängten Handlung auf zwei Akte und deren jeweilige Krönung durch ein wirkungsmächtiges Finale. Da er die spanischen Versionen wohl nicht kannte, die Molièresche wahrscheinlich doch, ihm von den italienischen Fassungen aber mehr als nur eine vorlagen, musste er neue Handlungsstränge erfinden, verknüpfen und lösen. Er hat dies getan mit dem großen Geschick des versierten dramatischen Dichters in knappen und ohne redselige Umschweife eng an die Handlung gebundenen Dialogen. Und so sind dabei auch einige Szenen entstanden, die vor allem die Bemühung um dankbare Aufgaben für den Komponisten und gerechte Verteilung der Gesangsrollen erkennen lassen. In diesem Punkte hat er sich als idealer Wegbereiter für die Musik eines wahrhaft genialen Komponisten erwiesen. Da Mozart offenbar gesonnen war, dem Stoff seine ganze mythische Gewalt wiederzugeben, die diesem auf seinem Weg durch die italienischen Komödienhäuser abhandengekommen war, war es eine bedeutende Leistung des Autors, mit der durch die Wiener und damit auch die Prager Theaterordnung bedingte Verwendung von nur sechs Sängern die Stringenz der Bühnengeschehnisse auf gleichschwebender Höhe zu erhalten. Das erste Problem wurde gelöst dadurch, dass die Bassrolle des Komturs auch von dem Sänger des Masetto übernommen werden konnte, da deren Auftritte sich nicht überschneiden. Größere Überlegungen erforderte die Gestaltung des ersten Finales. Während in der Schrecken bereitenden Schlussszene des zweiten Aktes einer der großen Höhepunkte dramatischer Kunst und theatralischer Wirkung erreicht und vor allem durch die gewaltige Musik über alles Erwartbare hinaus gesteigert wurde, musste im ersten Akt die turbulente Handlung eines vom Titelhelden anbefohlenen Festes durch den Eintritt eines donnernden Gewitters unterbrochen und beendet werden, wohl nicht so sehr, um der inneren Logik des Geschehens, als um der althergebrachten Form der opera buffa zu genügen. Jenseits aber der wenigen, geringen und hier nicht weiter auszuführenden Einwände muss dem Textdichter zugestanden werden, dass er einen gerechten Anteil hatte an der Vollendung eines der größten Meisterwerke der abendländischen Theatergeschichte. Während man im Werk des Claramonte den Eindruck gewinnt, dass sich fast alle Szenen auf leerer Bühne abspielen, da alle Hinweise auf die Gestaltung der Bühne und deren Verwandlungen fehlen, ist sehr rasch zu erkennen, dass man bei da Ponte einem Meister des Bühnenhandwerks gegenübersteht, der alle Vorgänge in deutlichen Bildern vor Augen führt. Ohne die Musik Wolfgang Amadé Mozarts in ihrer in heiteren wie in ernsten Szenen so überreichen Invention und Ausgestaltung wären jedoch alle theatralischen Bemühungen Lorenzo da Pontes nicht in den Rang gehoben worden, den sie in unserem Bewusstsein seither gewonnen haben und nie mehr verlieren mögen.

Eine ganz außerordentliche dramatische Wirkung erreicht die Szene der so genannten Höllenfahrt Don Giovannis, die nicht in allen anderen Werken mit der gleichen dramaturgischen Meisterschaft gestaltet wurde. Man erinnert sich dabei an einen Brief Mozarts an den Vater von den Proben des Idomeneo in München. Er spricht darin seine Überzeugung aus, dass die Erscheinung des Außerirdischen auf dem Theater in aller möglichen Gewalt und Kürze zu erfolgen habe und verweist dabei auf das Auftreten des ermordeten Königs in Shakespeares Hamlet, das, nachdem es nur in verwirrten Andeutungen spannungsvoll vorbereitet wurde, in aller notwenigen Kürze lediglich einen knappen, unverzichtbaren Dialog enthält. Dieses sein Gespür für die erschreckende und ins Unheimliche gesteigerte Wirkung konnte er nun in der Szene des Gastmahls mit dem steinernen Gast in unvergleichlicher Weise vor Augen und Ohren führen. Was dieses Werk neben dieser Szene jedoch von allen anderen am lebhaftesten unterscheidet ist die überquellende sinnliche Lust, die nicht allein in der Musik, sondern auch in der Poesie des großen Frauenfreundes Lorenzo da Ponte überall hervortritt. Nicht allein sind die von Leporello aufgezählten Opfer von Don Giovannis Liebesgier bis ins Unwahrscheinliche gesteigert, man denke nur an die berühmt gewordene Zahl von 1003 Eroberungen in Spanien, es werden auch seine Künste der Liebeswerbung anschaulicher als je vor Augen geführt. Aus dem Betrüger, Spötter, Gottesleugner und Verächter aller althergebrachten Sitten wird so ein Mann, der die Frauen als die Verkörperung des blühenden Lebens liebt, begehrt und bewundert. Das macht den Zauber aus, der seine Gestalt seither umgibt.

Ein jeder Kenner versteht, dass nach dem großen Erfolg der Oper bei ihrer Uraufführung am 29.Oktober 1787 im Prager Ständetheater man das Werk auch am Alten Burgtheater in Wien zu sehen wünschte. Auf wessen Wunsch Mozart und da Ponte sich veranlasst gesehen haben, dem Werk noch einige Ergänzungen beziehungsweise Abänderungen hinzuzufügen, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Sie werden wohl durch die veränderten Besetzungen verursacht worden sein. Mozart hat die drei neuen Nummern auf Texte da Pontes in seiner neuen Wohnung in den Tuchlauben sehr rasch komponiert. Um die dramatische Tenor-Arie („Il mio tesor in tanto“) zu ersetzen, hat er eine andere, lyrischere („Dalla sua pace“) geschrieben und diese nach der Wiedererkennungsszene eingefügt. Man hat seither jedoch die eine wie die andere nicht mehr aus der Partitur genommen und ebenso auf die zweite, so empfindungsstarke Arie der Donna Elvira nicht mehr verzichten wollen. Das etwas seltsame Duett zwischen Zerlina und Leporello hingegen hat man zu Recht außer Betracht gelassen. Es war doch allzu deutlich entweder als Konzession für die beiden beliebten Sänger oder für ein Publikum geschrieben worden, das leicht für derlei komödiantische Späße zu gewinnen war, auch wenn sie nicht in den Zusammenhang passten. So sollen auch an dieser Stelle von der so genannten Wiener Fassung nur die beiden wunderbaren Arien, nicht aber das Duett in da Pontes Text eingereiht werden. Dass sich in der bei den ersten Wiener Aufführungen benützten Partitur ein Strich vom Tod des Don Giovanni bis zum Ende des Epilogs befindet, wird manchen Theatermenschen interessieren. Ob er von Mozart selbst stammt, darüber mag man rätseln. Immerhin existiert ein zeitgenössisches Libretto, in dem das Werk mit der Höllenfahrt endet, so auch war es die Gepflogenheit des ganzen 19.Jahrhunderts und selbst Gustav Mahler hat in Wien das Finale noch gestrichen. In der Wiener Staatsoper wird seither dennoch das Schlussensemble wieder gespielt. Und auch ich habe mich, wenn ich das Werk inszenierte, für die integrale Version entschieden.

Eine eingehend wertende Kritik am theatralischen und poetischen Rang der fünf recht unterschiedlichen Werke soll man von mir an dieser Stelle nicht erwarten. Ich habe die Auswahl zu verantworten, die ich in der Absicht getroffen habe, dem Leser einen Überblick über die Entstehung und die Verwandlungen des berühmten Sujets zu schaffen. Er wird sehr leicht die Unterschiede und Bedeutungen selbst erkennen und bewerten. Einen kurzen Hinweis, worauf bei jedem der Stücke das Augenmerk zu richten wäre, wird man mir dennoch gestatten. So fallen bei der Lektüre des Claramonte die heute als belastend erscheinenden ellenlangen Monologe von Nebenpersonen auf, die einmal die gut studierten Kenntnisse des Autors erweisen sollten in Gegenständen wie der Mythologie der Antike oder in der Geographie der iberischen Halbinsel. Die werden wohl bei einer szenischen Realisation gekürzt oder gestrichen werden. An Molières Stück ist zur Kenntnis zu nehmen, dass der aufgeklärte Autor die theatralischen Möglichkeiten des Einbruchs jenseitiger Mächte in die von ihm so heftig kritisierte reale Welt der Frauenschänder, Straßenräuber, Kurpfuscher und Heuchler mit Absicht nicht hat nutzen wollen. Goldonis Stück stammt aus einer frühen Periode seines Schaffens und ist ihm umständlich lang und redselig geraten, ohne den präzisen Witz seiner besten Werke ganz zu erreichen. Bertati hat mit knappen Mitteln dramaturgisches Geschick erwiesen. Als Menschenkenner und als Dichter kann er den anderen Meistern nicht das Wasser reichen. Dass ich an da Pontes Dichtung und dem vermutlich von Mozart mitbestimmten Aufbau der Handlung etwas zu mäkeln hätte, dazu werde ich mich nicht versteigen.

Zum Kunsthandwerk des Übersetzens poetischer und dramatischer Texte wäre wohl einiges zu sagen. Das aber muss ich, da ich selber der Täter bin, anderen überlassen. Nur weniges soll angemerkt werden, um dem eventuellen Interesse des Lesers zu dienen. Die Texte Bertatis und da Pontes habe ich schon vor mehreren Jahren übertragen und sie der Musik der Opern von Gazzaniga und Mozart so genau angepasst, dass sie in dieser Form ohne Eingriff in das Notenbild gedruckt und aufgeführt werden konnten. Sie sind in den Partituren der Verlage Bärenreiter in Kassel und Alexander Herrmann in Wien veröffentlicht worden. Während ich die Schauspiele Molières und Goldonis in diesem Sommer ohne größere Mühe ins Deutsche übersetzen konnte, den einen in originaler Prosa, den anderen in Versen, habe ich bei der Arbeit an dem nun genau vierhundert Jahre alten spanischen Text bemerken müssen, dass meine Kenntnisse dieser Sprache, nachdem ich doch in vergangenen Jahrzehnten schon Werke von Calderón und Lope de Vega übersetzt hatte, wegen mangelnder Gelegenheit sie zu üben, beträchtlich gelitten haben. Darum habe ich, nachdem ich einige Seiten bewältigt hatte, meine Enkelin Louise, die ihr Spanisch in lebendiger Übung erhalten kann, gebeten, mir hier und da mit gutem Willen und dem Wörterbuch zu helfen. Da erwies sich nun, dass der Mönch Claramonte mit seinem einmal lyrischen, ein andermal theologisch rhetorischen Vokabular sich durch seine Bemühungen um den hohen Ton einer höfischen Sprache im Munde seiner Könige, Herzöge und Minister und seinen antikisierenden Ansprüchen sich soweit über das Einverständnis seiner Leser – und vermutlich auch über das seiner damaligen Zuseher – erhoben hatte, dass er auf seinen Stelzen mehr als einmal ins Stolpern gekommen ist. Ich habe mir also einige Mühe gegeben, seine Verse dem heutigen Gebrauch unserer deutschen Sprache mit mehr Geschmeidigkeit anzupassen, ohne auch nur einen Vers auszulassen. All die Autoren, die nach ihm an diesem Stoff sich versuchten, haben ihren Ton um einige Grade herab gestimmt und auf die Auftritte der allerhöchsten Majestäten und Granden verzichtet, um sich dem französischen oder italienischen Volk wieder verständlich zu machen. Molière und da Ponte haben dies mit bewundernswerter Eleganz und Leichtigkeit zuwege gebracht und uns dadurch vor allem in den Szenen des bäuerlichen Lebens Werke von echt gültiger Poesie oder großer Komik geschenkt.

Meine Aufgabe habe ich darin gesehen, den Freunden der Dichtkunst und des Theaters die originalen Texte vom Leben ihres Helden möglichst unverfälscht in deutscher Übersetzung in die Hände zu geben. Meiner lieben Enkelin bin ich zu Dank verpflichtet. Ebenso verbunden bin ich dem Don Juan Archiv Wien für die Beschaffung einiger originaler Texte, den wertvollen Hinweisen von Reinhard Eisendle sowie der aufmerksamen Lektorin des Hollitzer Verlages, Sigrun Müller, für die Betreuung dieses, meines lange geplanten und endlich doch vollendeten, Unternehmens. Dem wünsche ich Glück auf dem gefahrvollen Weg.

R. B.

DER SPÖTTER VON SEVILLA

oderDer steinerne Gast

Comedia

von

Andrés de Claramonte

Sevilla 1617

Die Personen der Handlung:

Der König von Kastilien

Don Gonzalo de Ulloa

Der Gesandte Don Pedro Tenorio

Don Juan Tenorio

Catalinón

Tisbea

Batricio

Der Herzog Octavio

Der Marqués de la Mota

Herzogin Isabela

Arminta

Belisa

Doña Ana

Der König von Neapel

Coridón

Gazeno

Anfriso

Ripio

Wächter, Arbeiter und Diener

ERSTER TAG

Nacht

(Es treten auf die Herzogin Isabela und Don Juan Tenorio)

Isabela:Kommt weiter ohne Lärm zu machen,

Herzog Octavio.

Don Juan: Ich bin so leis’ wie der Wind.

Isabela:Dennoch muss ich fürchten,

dass uns einer gehört haben mag,

denn so wie du hier in den Palast

eingetreten bist, ist dies

ein todwürdiges Verbrechen.

Don Juan: Señora, wenn du mir die Freiheit gibst,

werd’ ich für deine Güte mich besser bedanken.

Isabela:Herzog, du hast mir die Hand

zur Verlobung gegeben.

Don Juan: Ich habe dabei nur gewonnen.

Isabela:Dass du meine Ehre so auf das Spiel setzst,

muss mir versichern, dass du

mich zur Gattin nehmen wirst.

Don Juan: Ich sage dir, dass ich dein Gatte bin

und dir bald auch meine Hand geben werde.

Isabela:So warte, bis ein Licht hervorkommt,

das mir das Glück zeigt, das ich gewinne,

Herzog Octavio. (Sie entzündet ein Licht.) – Weh mir!

Don Juan:Lösche das Licht!

Isabela:Ich sterbe! Wer bist du?

Don Juan:Ein Mann, der deine Liebe genossen hat.

Isabela:Du bist nicht der Herzog?

Don Juan:Ich? Nein?

Isabela:Dann sag wer du bist.

Don Juan:Ich bin ein Mann.

Isabela.Dein Name?

Don Juan:Ich hab keinen Namen.

Isabela:Dieser Verräter hat mich betrogen.

Leute! Diener!

Don Juan:Lass ab!

Isabela:Du wirst noch Schlimmres erfahren.

Don Juan: Nicht durch Geschrei.

Isabela:Wehe! Im Namen des Königs! Soldaten, Leute!

(Auftritt der König von Neapel.)

Der König:Wer ist der dort?

Isabela:Gnade! Weh mir,

es ist der König!

Der König:Was geht hier vor?

Don Juan:Was soll es sein?

Ein Mann und eine Frau.

Der König:Lasst Vernunft hier walten

und den Schaden vermeiden.

(Es treten auf Don Pedro, der Gesandte Spaniens, und einige Diener und Dienerinnen.)

Don Pedro:Stimmen, Sire, in Euren Gemächern?

Was hat der Lärm für Ursach’?

Der König:Nehmt den Mann dort gefangen.

Tötet ihn und die Frau.

Don Pedro:Wer sind die beiden?

Der König:Besser es nicht zu wissen,

denn hab’ ich sie erst gesehen,

wüsst’ ich nicht mehr was zu tun.

Vielleicht würd’ ich mich

reuend bezwingen, denn in diesen,

die Ihr mich drängt zu erkennen,

hab’ ich bereits schon

meine Missachtung erkannt.

Don Pedro Tenorio, Euch

überlass’ ich diese Gefangnen.

Wenn ich allzu rasch war, seid Ihr behutsam

und seht wen Ihr da vor Euch habt.

(Der König geht ab.)

Don Pedro:Kommt mit ins Gefängnis, Señor.

Don Juan:Wage keiner mich zu berühren,

wenn er den Tod scheut.

Don Pedro:So tötet ihn.

Don Juan:Den Tod erwart ich

durch die Klinge des Degens.

Ihr müsst mir das Leben abkaufen,

das ich so leicht nicht ergebe

als dass ich das eure mir nehme.

Don Pedro:Tötet ihn! Was fürchtet ihr Arges?

Don Juan:Senkt eure Waffen, denn die meine

hat schon mehr als ein Leben geraubt.

Verurteilt bin ich zum Tode.

Und da der Tod mir gewiss ist,

werd’ ich ihn leichter erdulden,

wenn ich euch alle hier mit mir nehme.

Da mir hier nun auf solche Art

zu sterben bestimmt ist,

warne ich euch, dass ich einen jeden

von euch zugleich mit mir nehme.

Soldat:Stirb, Schurke!

Don Juan:Wer ist’s, der euch hier betrügt?

Seht in mir einen Herrn.

Don Pedro:Der Zorn will mich fassen!

Don Juan:Der Gesandte Spaniens trete zu mir.

ihm allein und keinem andern,

werde ich, wenn es den Tod gilt,

dieses Schwert übergeben.

Don Pedro:Das hört sich an wie Vernunft.

Die Frau und alle, die mit ihr sind,

mögen sich aus dem Raum hier entfernen.

Isabela:Wie kann in einem Menschen

solch eine Niedertracht wohnen!

(für sich)

(Ich gebe mich zu erkennen. Mehr als mein Name

wird mein Schmerz für mich sprechen.

Meine Ehre hab’ ich verloren

und mit ihr den Herzog Octavio.)

(Sie geht ab mit dem Gefolge.)

Don Pedro:Nun sind wir beide allein.

Nun zeig’ dich und beweis’ deinen Mut.

Don Juan:Wenn ich je Scheu bezeigte,

vor Euch, mein Onkel, tat ich es nie.

Don Pedro:Wer bist du?

Don Juan:Don Juan.

Don Pedro:Don Juan?

Don Juan:So ist es, mein Herr.

Don Pedro:So frei heraus, sagst du das?

Don Juan:Gib mir den Tod, und mein Unglück

wird hier sein Ende erlangen.

Don Pedro:Verräter, du!

Elender! Wie fasse ich’s, dass Juan,

der Sohn meines Bruders,

so seine Ehre verspielt!

Du, mit einer Dame hier

im Königspalast, mir zur Schande

begehst du solch eine Tat!

Don Juan:Onkel, meine Schuld ist ohne Grenzen.

Wenn du mich hier ergreifen musst,

nimm mich gefangen.

Aber bedenk, dass meine Tat

geschehen sein könnte aus Liebe.

Don Pedro:Liebe ist eine Gefahr,

und blind und töricht wer liebt.

Wer ist die Dame?

Don Juan:Die Dame ist …

Don Pedro:Sprich’s aus. Wer ist sie?

Don Juan:Isabela.

Don Pedro:Die Hofdame der Monarchin?

Don Juan:Ja, mein Herr, und als Herzog

Octavio bin ich vor sie getreten.

Don Pedro:Das erschwert deine Schuld

und verdoppelt das Unglück!

Dein Vater hat dich aus Kastilien

hierher nach Neapel gesandt

und hat dir Ungebärdigem das

italische Meer als Kerker bestimmt.

Du aber hast auch hier hundert Skandale

entfacht und hast weder Jungfrauen

noch Ehefrauen verschont.

Die Erde will dich hier nicht dulden.

Ich war soeben im Begriff dich zu töten.

Doch da ich in dir nun

das gleiche Blut erkennen muss,

das auch in meiner Brust fließt,

fühl’ ich mich gezwungen, dich zu befreien.

Siehst du eine Möglichkeit zu entkommen?

Don Juan:Hier, dieser Balkon.

Don Pedro:Kannst du dich an ihn hängen

und so den Boden erreichen?

Don Juan: