DOORS ? - Kolonie - Markus Heitz - E-Book
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DOORS ? - Kolonie E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Ein neues, actiongeladenes Mystery-Abenteuer von SPIEGEL-Bestseller-Autor Markus Heitz "DOORS" ist ein neues Buchkonzept von SPIEGEL-Bestseller-Autor Markus Heitz. In der kostenlosen Pilotfolge "DOORS - Der Beginn" kannst du die ersten 80 Seiten von "DOORS ! - Blutfeld", "DOORS ? - Kolonie" und "DOORS X - Dämmerung" kostenlos lesen. Am Ende der Pilotfolge wirst du gemeinsam mit den Helden vor die Wahl gestellt: drei Türen, drei Bücher - durch welche Tür werdet ihr treten? Greife zu dem DOORS-Band deiner Wahl und erfahre, was hinter den Symbolen steckt. 3 Bücher, 3 Welten, 3 Türen – welche wirst du öffnen? Hinter diesen Türen lauert vieles. Auch das Abenteuer. Du hast dich für "DOORS ? - Kolonie" entschieden? Dann beginnt dein Abenteuer hier. Der schwerreiche Vater der vermissten Anna-Lena van Dam schickt den Ex-Soldaten Viktor mit einem fünfköpfigen Geo-Expertenteam los, um seine Tochter zu suchen. In einem gigantischen Höhlensystem entdeckt die Gruppe mehrere Türen mit mysteriösen Zeichen. Um Anna-Lena zu retten, müssen sie sich auf Pfade jenseits von Wissenschaft und Vernunft einlassen - Eine der Türen führt die Gruppe mitten in die 40er Jahre. Doch hier hat Nazi-Deutschland früh kapituliert, die USA haben kolonialgleiche Kontrolle über Europa übernommen und drohen dem Widerstand, angeführt von Russland, mit einem Atomschlag. Will Viktor überleben, muss er diesen Wahnsinn stoppen – um jeden Preis!

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Seitenzahl: 392

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Markus Heitz

DOORS ? – Kolonie

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

SPIEGEL-Bestseller-Autor Markus Heitz lädt die Leser zu einem actiongeladenen Mystery-Abenteuer in drei packenden Alternativwelten ein – entscheiden Sie selbst, welche Welt Sie zuerst erleben wollen: »DOORS ? – Blutfeld«, »DOORS ! – Kolonie« oder »DOORS X – Dämmerung«?

3 Bücher, 3 Welten, 3 Türen – welche wirst du öffnen? Hinter diesen Türen lauert vieles. Auch das Abenteuer.

Der schwerreiche Vater der vermissten Anna-Lena van Dam schickt den Ex-Soldaten Viktor mit einem fünfköpfigen Geo-Expertenteam los, um seine Tochter zu suchen. In einem gigantischen Höhlensystem entdeckt die Gruppe mehrere Türen mit mysteriösen Zeichen. Um Anna-Lena zu retten, müssen sie sich auf Pfade jenseits von Wissenschaft und Vernunft einlassen –

Eine der Türen führt die Gruppe mitten in die 40er Jahre.

Doch hier hat Nazi-Deutschland früh kapituliert, die USA haben kolonialgleiche Kontrolle über Europa übernommen und drohen dem Widerstand, angeführt von Russland, mit einem Atomschlag. Will Viktor überleben, muss er diesen Wahnsinn stoppen – um jeden Preis!

Inhaltsübersicht

EinleitungAuf Abwegen 1Kapitel IAuf Abwegen 2Kapitel IIKapitel IIIKapitel IVKapitel VKapitel VIKapitel VIIKapitel VIIIKapitel IXKapitel XKapitel XIKapitel XIIKapitel XIIINachklang
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Wenn Sie wissen möchten, wie das Geo-Expertenteam um Viktor von Troneg den Auftrag erhält, die verschwundene Anna-Lena van Dam zu suchen, und so in das Höhlensystem unter dem Anwesen der van Dams gerät, lesen Sie von Beginn an.

 

Wenn Sie direkt die Tür mit dem X öffnen wollen, beginnen Sie mit Kapitel IV.

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Auf Abwegen 1

Beklemmung.

Beklemmung und zunehmende Hoffnungslosigkeit war, was die junge Frau in der Dunkelheit am meisten verspürte. Abgesehen von der Angst, die nicht von ihr wich, während sie durch das steinerne Labyrinth irrte. Unentwegt.

Es roch nach kaltem Stein, feuchtem Staub und vergangenen Jahrtausenden wie in altehrwürdigen Gebäuden. Die Ledersohlen ihrer Absatzschuhe scharrten über Felsboden, rutschten auf losen Steinchen und machten das Gehen gelegentlich zur Schlitterpartie.

Aufgeben kam jedoch nicht infrage.

Sie kannte diesen Ort, hatte von ihm gehört, und jetzt musste sie eine Möglichkeit finden, ihn zu verlassen – oder für immer bleiben. Bis zu ihrem Tod, der rascher kommen mochte als gedacht. Das hatte sie verstanden.

Sie versuchte, so leise wie möglich zu atmen, während das LED-Licht ihres Smartphones versprechend aufleuchtete und gehässig erlosch, aufleuchtete und erlosch, hektisch und kaltweiß wie ein Stroboskop.

Immer wieder drückte und wischte die junge Frau mit dreckigen Fingern auf dem flackernden Display herum, das ihr gleichmütig verkündete: Kein Dienst.

Hätte sie weniger Furcht gehabt, wäre ihr vielleicht die Energie aufgefallen, die um sie herum war, so selbstverständlich wie die Luft. Keine Energie im elektrischen oder nuklearen oder thermischen Sinn, sondern jene, wie sie sich ansammelte, wenn ein Ort eine bestimmte spirituelle Nutzung erfuhr oder erfahren hatte. Kirchen, Klöster, heilige Plätze inmitten eines Waldes waren erfüllt von einer solchen Energie.

Das Smartphone blinkte mehrmals hektisch hintereinander, die junge Frau fluchte leise. »Bleib schon an!«, raunte sie ärgerlich.

Dann flammte das Lämpchen auf und beschien ihr Gesicht, riss es aus der Finsternis: die markanten Züge einer angehenden Schönheit von gerade mal zwanzig Jahren, reine, helle, glänzende Haut mit Sommersprossen, auf denen Schmutz haftete, kupferrote Haare in einer ramponierten Hochsteckfrisur, ein dezentes Nasenpiercing und ein Paar teure Brillantohrringe, die im Licht aufblitzten, als wollten sie Eindruck auf die versammelten Gäste einer feinen Gesellschaft machen.

Aber es gab niemanden, der sich durch ihr apartes Erscheinungsbild beeindrucken ließ.

Die junge Frau kniff geblendet die Augen zusammen, und das Smartphone rutschte aus ihren gepflegten Fingern, die jedoch deutlich unter der Beanspruchung der letzten Stunden gelitten hatten.

Auf dem Weg zum Boden glitt der Strahl an ihr hinab und zeigte ihr dunkelgrünes Abendkleid, das Risse und dunkle Flecken aufwies, ihre blanken Unterarme mit Dreck und blutigen Kratzern, die sündhaft teure Luxusarmbanduhr, deren Glas zersplittert war, eine zierliche Handtasche in ihrer rechten Armbeuge und schließlich die schwarzen Abendschuhe, deren niedrige Absätze reichlich zerkratzt waren. Alles an diesem Outfit war unpraktisch für eine Umgebung wie diese. Ihr Aufenthalt hier war auch nicht geplant gewesen.

Das Telefon holperte über den Grund, der weißkalte LED-Strahl riss einen steinernen, verstaubten Boden aus der Dunkelheit, auf dem mehrere verschossene Patronenhülsen lagen, die aus einem modernen Militärgewehr stammten. Die Aufschlaggeräusche produzierten ein Echo in dem hohen Raum, dessen Ausmaß durch das wenige Licht nicht ersichtlich wurde.

Nach einem letzten Klappern lag das Smartphone still, das Birnchen nach unten. Die Schwärze kehrte zurück.

»Eßiehcs.« Die junge Frau bückte sich hastig und hob das Gerät auf. »Eßiehcs, etmmadrev!«

Sie kannte das Phänomen bereits, dass die Worte gelegentlich rückwärts aus ihrem Mund drangen. Nur eine Merkwürdigkeit von vielen. Hatte sie anfangs an ihrem Verstand gezweifelt, verdrängte sie solche Kleinigkeiten mittlerweile. Es gab Schlimmeres.

Sie leuchtete umher und illuminierte Wände aus fleckigem grauem Beton und rötlich braunem Backstein, die sich in der Weite verloren; aufgewirbelte Staubkörnchen tanzten durch die künstliche Helligkeit wie winzige Motten, die sich angezogen fühlten.

Dann streifte der Strahl über verschiedene, betagte Türen aus Stein und beschlagenem Holz, von denen drei mit und zwei ohne schmiedeeiserne Klopfer ausgestattet waren; bei der zweiten fehlte der Ring im Maul des meisterlich gefertigten Fabelwesens. Die Türen waren in der Felswand eingelassen, als wäre ihre Existenz an diesem verlorenen Ort eine Selbstverständlichkeit.

»Thcin nohcs redeiw«, flüsterte sie frustriert. »Bitte, nicht schon wieder die Türen!« Es war ein rhetorischer Wunsch.

Langsam ging sie vorwärts und leuchtete die fünf Türen ab. Sie war nicht die erste Besucherin, die mit dem Rätsel des Ortes kämpfte, das hatte sie ebenfalls längst begriffen. Die Geschichten hatten mehr als einen wahren Kern.

Nur brachte ihr diese Erkenntnis nichts.

Alte und neue Markierungen prangten auf den steinernen und hölzernen Oberflächen, eingekratzt oder mit unterschiedlichen Stiften geschrieben, überwiegend in Sprachen, welche die junge Frau nicht kannte. Manche Schriftzeichen hätten allenfalls Archäologen oder Kenner der Vor- und Frühgeschichte entziffern können, auch Orientalisten, Kryptologen und Etymologen hätten ihre Freude gehabt.

Auffällig und brandneu waren die dicken roten Fragezeichen auf den drei ersten Türen, gemalt mit Lippenstift.

»Reiß dich zusammen«, raunte sie und wischte sich schmutzige Haarsträhnen aus den grünen Augen. Ihre hohe Stirn glänzte verschwitzt, ihr Deo hatte längst versagt. Es war in dem Irrgarten nicht kalt, die Lauferei wurde mit jedem vergeblichen Versuch des Entkommens anstrengender. Hunger und vor allem Durst machten ihr zu schaffen, ihre blasengezierten Füße schmerzten grauenhaft, aber ohne Schuhe wollte sie nicht umhergehen. »Los!«

Sie atmete bewusst langsamer, während sie die Front abschritt, wie sie es schon mehrfach getan hatte, und kramte aus ihrer Handtasche einen roten Lippenstift.

Da veränderte sich die Schwerkraft, und die junge Frau hob vom Boden ab. Sie ruderte behutsam mit den Armen, um die aufrechte Position zu halten. Beim ersten Mal hatte sie sich in ihrer Panik gedreht, war gegen die Wand gekracht und hatte sich Blessuren eingefangen. Beim zweiten Mal hatte sich der Raum um seine eigene Achse gedreht, sodass sie halb driftend, halb an den Wänden laufend versucht hatte, beim erneuten Einsetzen der Schwerkraft nicht zu tief zu fallen.

Schwebend wartete sie, dass sie auf den Steinboden zurückkehrte.

Alles Lose löste sich klickend und klirrend und schabend vom Untergrund. Durch das Lampenlicht flogen Staub und kleine Steinchen, Knöchlein, Metallsplitter und Stofffetzen, die einst ein Besucher am Leib getragen hatte.

Nach zehn Sekunden stürzte alles abwärts.

Sie rappelte sich auf und ging einige Schritte, dann blieb sie vor der hintersten der fünf Türen stehen, die aus beschlagenem Eichenholz gemacht war und keinen Klopfer, sondern einen Schieberiegel und ein Kastenschloss aufwies. Ihre Großmutter hatte ihr einst eine Geschichte über diese Tür erzählt, aber sie erinnerte sich an keine Details. Das dünn getriebene Metall war Gold, angelaufenes Silber und eine kupferfarbene Legierung. Im Schein des LED-Lämpchens malte sie ein großes Ausrufezeichen darauf.

Unvermittelt ertönte ein Geräusch aus der Dunkelheit um sie herum, das Trappeln von schweren Pfoten und das Schleifen von Klauen.

Die junge Frau deckte sofort das Lämpchen mit einer Hand ab. Die Strahlen fielen diffus durch ihre Finger und setzten ihr markantes Gesicht und die Augenpartie wie in einem Stummfilm in Szene. Ohne es zu bemerken, schmierte sie sich dabei etwas Lippenstift an die Hand. Ausschalten wollte sie das Licht nicht, weil sie fürchtete, es könnte nicht mehr anspringen.

Lauschen. Den Atem anhalten. Einmal mehr.

Sie hatte ihren Verfolger bislang nicht gesehen, aber sie wusste, dass diese Kreatur es auf sie abgesehen hatte. Der Wächter dieses Ortes vielleicht, oder einfach nur ein Wesen, das es wie sie hierherverschlagen hatte und das nun nicht mehr zurückfand.

Langsam bewegte sie sich auf die vierte Tür zu – die einzige noch unmarkierte. Sie bestand aus Stein und war mit einem Klopfer versehen. Dabei blieb die junge Frau mit dem Rücken an der Wand, um nicht hinterrücks aus der Dunkelheit attackiert zu werden.

Das leise Trippeln endete abrupt.

Gleich ist es geschafft, dachte sie, legte behutsam eine Hand auf die Klinke und versuchte, sie herabzudrücken. Es tat sich nichts.

Sie rüttelte daran und sah sich immer wieder um, hielt inne und horchte.

Noch blieb es ruhig.

»Kned hcan«, murmelte sie und beleuchtete den Türklopfer. »Denk nach!«

In dem Wolfsmaul aus kunstvoll geschnitztem Ebenholz steckte ein angelaufener schwerer Silberring mit einer Verdickung am unteren Ende, das auf einer Metallplatte an der Tür auflag. Der Stein der Tür war dunkelgrau mit schwarzen Maserungen, Intarsien aus weißem Marmor und Onyx formten unergründliche symmetrische Symbole.

Zögernd streckte sie eine Hand aus, packte den Ring und ließ ihn niedersausen; dabei hinterließ sie etwas Rot vom Lippenstift daran, das an ihrer Hand gehaftet hatte.

Es krachte viel zu laut, sowohl metallisch als auch hohl. Der ganze Raum dröhnte, wurde von dem Ton erfüllt wie ein Dom nach einem Orgelanschlag mit sämtlichen Registern, Tasten und Pedalen. Ein irisierendes Flirren huschte parallel zum rufenden, weckenden und verkündenden Klang über die Tür. Sämtliche Welten und Planeten und Geschöpfe des bekannten und unbekannten Universums schienen nun von ihrem Kommen zu erfahren.

Das Flirren sprang über auf die anderen Türen und ließ sie aufleuchten, die Schriften an den Wänden glommen wie mit glühendem Gold geschrieben und verbreiteten ein warmes Licht, und jede noch so feine Ader im Gestein erstrahlte für die Dauer eines Herzschlags. Ein Knacken und Knistern flog durch den Raum, mutierte zu einem Wispern und Rascheln.

Die junge Frau hatte das Gefühl, ein Gigant presse sie an ihren Schultern nach unten. Die plötzlich erhöhte Schwerkraft zwang sie in die Knie, stauchte ihre Wirbel, ihre Gelenke, sodass sie vor Schmerzen aufschrie.

Sogleich endete das Phänomen. Die Dunkelheit kehrte zurück, das Gewicht wich.

»Was war denn …?«, murmelte die junge Frau und erhob sich.

Sie legte eine Hand behutsam auf die Klinke, die sich dieses Mal herabdrücken ließ.

Langsam und voller Erleichterung zog sie die Tür auf.

Sanftsilbernes Licht fiel lockend hindurch. Der Ruf eines Käuzchens und das Bellen eines Fuchses erklangen, das friedliche Rauschen von Laub mischte sich darunter, und im nächsten Moment spielte ein frischer, reiner Wind mit ihren kupferfarbenen Haaren. Ihr bot sich die Freiheit an, auf die sie gefühlt ein ganzes Menschenleben gehofft hatte, während sie durch das Labyrinth gestolpert war.

Sie wollte einen Schritt über die rettende Schwelle machen, als durch die Idylle das Grollen eines Raubtieres ertönte, gefolgt von einem anhaltenden, düsteren Wolfsheulen. Das Rudel wurde zur Jagd gerufen. Den erhobenen Fuß zog sie vorsichtig zurück. Diese Freiheit bezahlte sie anscheinend mit dem Leben. Eine Hatz gegen versierte Jäger stand sie nicht durch.

Das einfallende Silberlicht beleuchtete die Umgebung hinter ihr. Sie befand sich in einem kargen, sehr, sehr hohen Raum mit lediglich einem Eingang, durch den sie ein weiteres Mal zu den Türen gekommen war. Auch die Backstein- und Betonwände waren vollgekritzelt mit Aufschriften, Hinweisen und Memos der früheren Besucher, aber auch verziert mit rostbraunen Spritzern und Flecken von uraltem, vergossenem Blut. Einige hatten es genutzt, um einen letzten Gruß oder einen Fluch im Sterben zu schreiben, wovon die junge Frau nichts wusste.

Auf dem Boden lag der durchgebrochene Ring des zerstörten Türklopfers sowie etliche geborstene graue Knochen und verstreute Skelettreste.

Das Licht zeigte noch etwas anderes.

Schemenhaft und am Rand der einfallenden Helligkeit, wo das Silber in schwaches Geistergrau überging, kauerte ein Toter in unnatürlicher Haltung. Er trug eine moderne grau-weiße Stadttarnuniform, darüber eine schwarze Kevlarweste, und in seiner rechten Hand hielt der Mann eine Maschinenpistole. Vier leere Magazine und Dutzende Hülsen breiteten sich um ihn herum aus. Aus einem klaffenden Schnitt quer durch den Hals war sein Blut geschwappt, das getrocknet und geronnen auf ihm haftete.

Die junge Frau drückte die Tür hastig zu und markierte sie keuchend mit einem großen roten X im Schein der LED, welche erneut die einzige Lichtquelle war. »Das geht nicht«, raunte sie. »Ich kann nicht …«

Hinter ihr erklang wieder das Trappeln schwerer Pfoten, das ihr dieses Mal rasch nahe kam. Ein Scharren mischte sich darunter, als wäre dort mehr als ein Wesen. Sehr unterschiedliche Wesen, die in ihrer Vorstellungskraft grausige Dinge mit ihr tun würden, sollte sie in deren Fängen oder Klauen landen.

»Geht weg!« Die junge Frau leuchtete umher, als würde das funzelige Licht die tödliche Schneidkraft eines Industrielasers besitzen. »Tssal hcim! Ich habe eine Pistole!«, log sie. »Bleibt weg nov rim!«

Ein gewaltiger Schatten wurde für einen Herzschlag in dem zitternden Lichtkegel sichtbar – und das Lämpchen erlosch.

»Fuck!« Hektisch betätigte sie den Türklopfer, und das einsetzende flirrende Schimmern auf dem Holz beleuchtete den Raum. Mit einem Schrei riss sie die Tür wieder auf.

Erneut fiel silbernes Licht auf sie, der duftende Wind umwehte sie begrüßend und freundlich.

Hastig trat die junge Frau über die Schwelle und begab sich in die Welt dahinter, von der sie wusste, dass sie dort nicht die ersehnte Freiheit finden würde. Womöglich tauschte sie lediglich einen schnellen gegen einen langsamen Tod.

Doch aufgeben kam für sie nicht infrage.

Das lang gezogene Wolfsheulen aus dem Dickicht des Waldes vor ihr dröhnte in der gleichen Sekunde. Vorfreudig. Hungrig.

Die junge Frau hob einen Ast vom Boden auf, um sich wehren zu können. Dann rannte sie los, ohne zu wissen, was sie dieses Mal erwartete.

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Kapitel I

Deutschland, Frankfurt am Main

Viktor trat durch den Ausgang für Flugpassagiere, die nichts zu verzollen hatten. Den schlichten weißen Seesack über der rechten Schulter und die legersportliche Kleidung machten ihn zu einem unauffälligen Mann inmitten vieler Menschen in der Ankunftshalle.

Die Maschine hatte aufgrund eines schweren Gewitters einen Umweg nehmen müssen, sodass aus knappen vierzig Minuten Flugzeit mit Kreisen und Warten auf eine freie Landebahn zwei Stunden geworden waren. Viktors Laune bewegte sich daher auf unterdurchschnittlichem Niveau. Hunger hatte er auch.

Er sah auf sein Smartphone und las noch mal die Nachricht von seinem künftigen Auftraggeber:

Sehr geehrter Herr von Troneg,

freue mich auf Ihre Bekanntschaft und dass Sie gewillt sind, den Auftrag kurzfristig anzunehmen. Sie werden von meinem Chauffeur Matthias in der Ankunftshalle abgeholt. Halten Sie bitte nach ihm Ausschau.

Grüße

Walter van Dam

Viktor schaute sich um.

Es gab nicht wenige Wartende, die Schilder oder Tabletcomputer in der Hand hatten, auf denen Firmenbezeichnungen oder Personennamen geschrieben standen. Seiner war nicht dabei.

Daher setzte er den Weg durch die Halle fort und ließ seine Blicke schweifen. Seine blauen Augen lagen hinter einer Sonnenbrille, auf dem Kopf trug er ein weißes Basecap. Das Gewicht des wasserdichten Seesacks spürte er kaum, der Mittzwanziger war gut im Training, weswegen er es binnen kürzester Zeit nach dem Ausscheiden aus seinem alten Beruf unter die besten Höhlenkletterer geschafft hatte.

»Wo ist denn der Chauffeur?«, murmelte Viktor und hob das Telefon, um seinen Auftraggeber zwecks Nachfrage zu kontaktieren, als er einen Mann in dunkelblauem Anzug mit Kappe und schwarzen Lederhandschuhen entdeckte. Er hielt einen Ausdruck mit Reisegruppe Höhlen vor sich und machte mit Haltung und Miene den Eindruck eines britischen Butlers.

Van Dam hätte ihn Charles nennen sollen, dachte Viktor. Als Arbeitspseudonym.

Viktor schwenkte herum und bewegte sich durch die Menge auf Matthias zu; dabei dachte er über Walter van Dam nach, über den er im Internet wenig gefunden hatte.

Der gebürtige Niederländer stand an der Spitze eines weltweit agierenden Export- und Importunternehmens, dessen Grundstock seine Vorfahren bereits im 18. Jahrhundert mit Überseehandel gelegt hatten. Über ihn selbst war wenig bekannt, er hielt sich aus der Öffentlichkeit heraus und sandte meistens Delegierte zu offiziellen Anlässen. Angeblich war die Van-Dam-Familie weitverzweigt, aber auch darüber hatte Viktor nichts Näheres gefunden. Das war verständlich. Sehr reiche Menschen wurden gerne entführt. Je weniger die Öffentlichkeit über sie wusste, desto besser.

Letztlich spielte es für Viktor keine allzu große Rolle, solange der Niederländer keine kriminellen Geschäfte machte, in die er Viktor hineinzog. Die erste Anzahlung war bereits auf seinem Konto. Und diese war weitaus höher als das, was ihm einst der deutsche Staat für weitaus gefährlichere Aufträge gezahlt hatte.

Neben dem Chauffeur stand ein hagerer Mann von geschätzt fünfzig Jahren, der in seinem karierten Anzug an einen Oxford-Professor erinnerte. Einen Fuß hatte er auf seinen liegenden, sehr teuren Alu-Koffer gesetzt, als wollte er ihn an der Flucht hindern, und er las in einer Zeitung. Sakko und Hose waren Maßanfertigungen, die braunen Schuhe auf Hochglanz poliert. Vor seinen Augen saß eine Designerbrille, die ihn arrogant wirken ließ.

»Guten Tag, die Herren.« Viktor setzte die getönten Gläser ab, in denen sich für eine Sekunde sein Dreitagebart spiegelte. »Herr van Dam erwartet mich. Mein Name ist Viktor Troneg.«

»Willkommen in Frankfurt.« Der Chauffeur deutete eine Verbeugung an. »Ich bin Matthias. Wir warten noch auf die anderen.« Er zeigte auf den Lesenden, der nicht reagierte und sich weiterhin seiner Lektüre widmete. »Darf ich die Herrschaften bekannt machen: Professor Friedemann, seines Zeichens anerkannter Höhlenforscher und Geologe.«

Viktor nickte ihm zu. Friedemann, das schüttere lange graue Haar in einem Zopf zusammengefasst, nickte zurück, ohne den Blick zu heben; das kantige Gesicht hatte etwas Totenschädelhaftes.

»Das ist Herr von Troneg, Höhlenkletterer und Freeclimber«, stellte Matthias Viktor vor. »Soweit ich weiß, von beachtlichem internationalem Ruf.«

»Schön, schön.« Friedemann blätterte um und vertiefte sich in den nächsten Artikel.

Viktor wusste jetzt schon, wen er am wenigsten mochte, egal wer noch zum Trupp gehören würde. »Waren wir alle im gleichen Flugzeug?«, fragte er.

»Exakt, Herr von Troneg.«

»Bitte lassen Sie das von weg. Ich stehe nicht so auf verblichene Adelstitel.« Dann grinste er. »Und wenn es abgestürzt wäre?«

»Das Flugzeug? Unwahrscheinlich«, erwiderte Matthias. »Und zumindest die Hellseherin wäre wohl nicht an Bord gegangen.« Er lachte trocken.

»Hellseherin? Na, das ist doch mal was.« Viktor lupfte das Basecap und strich die längeren schwarzen Haare obenauf glatt nach hinten, bevor die Kopfbedeckung an ihren Platz zurückkehrte. »Und wenn sie doch eingestiegen wäre?«

»Wäre sie schlecht und zu Recht gestorben«, kommentierte Friedemann, ohne aufzuschauen. Mit einer exakten Bewegung richtete er seine Designerbrille.

Viktor grinste und wollte etwas erwidern, als eine Frau seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Und nicht nur seine Aufmerksamkeit, sondern die so ziemlich aller Passagiere, die sich in der Halle befanden.

Gekleidet in ein auffälliges cremefarbenes enges Designerkleid, schob sie einen großen, sündhaft teuren Designerkoffer vor sich her, eine schicke Handtasche baumelte am rechten Arm und gab ihr die Aura eines aufgetakelten Models, inklusive der kaschierenden Sonnenbrille. In der Linken hielt sie ein Behältnis, das vage an ein Beautycase erinnerte. Ihre langen blonden Locken schmückte eine theatralisch schwarze Strähne.

Viktor musterte sie. »Beeindruckende Erscheinung.«

»Ich hoffe, das war Ironie.« Friedemann sah nun doch von der Zeitung auf und verdrehte die Augen. »Schreckliche Person. Saß im Flugzeug hinter mir und verlangte die ganze Zeit Sekt. Man hätte sie mit der Flasche ersticken wollen.«

»Das ist Mme: Coco Fendi«, stellte der Chauffeur klar und hob den Arm, um auf sich aufmerksam zu machen. »Die Hellseherin, Gentlemen.«

»Wirklich? Coco Fendi?« Viktor musste lachen. »Toller Künstlerinnenname.«

»Und wieder hoffe ich, dass Sie ein Freund der Ironie sind, junger Mann. Coco Fendi – eine Mischung aus Handtasche und Modemarke. Ich nehme an, dass sie in Wahrheit Sabine Müller heißt«, steuerte Friedemann bei. »Ein doppeltes Imitat, wenn Sie mich fragen. Nur Imitate haben es nötig, derart klischeehaft aufzutreten, ohne Wirkung zu entfalten.«

Fendi ging suchend ein paar Schritte durch die Halle, dann löste sich der Verschluss am Case; und der Inhalt verteilte sich auf den Hallenboden. Pendel, Kristalle, Tarotkarten, Knochenwürfel und Runensteine kullerten und hopsten umher, als wäre der Zauberkasten eines Magiers explodiert. Es fehlten nur die weißen Kaninchen, eine schwarze Kerze sowie ein bemalter Totenschädel.

»Das hat sie nicht kommen sehen.« Friedemann blickte wieder auf die Zeitung. »Kein gutes Zeichen, Herrschaften.« Das Brillenglas blitzte wie zum Unterstreichen seiner Aussage auf.

Fendi fluchte derart laut und derb, dass es bis zu den Wartenden drang, was im Kontrast zu ihrer Erscheinung stand. Sie ließ den Koffer los und bückte sich aufgrund des engen Kleides ungelenk, um den verstreuten Inhalt zusammenzusammeln.

Viktor wollte sich gerade in Bewegung setzen, um ihr zu helfen, da näherte sich ihr ein breit gebauter Mann in einem engen Sakko, ausgebeulter Jeans und verknittertem Hemd vom Zeitschriftenstand. Nach einem raschen Gruß stellte er sein Gepäck ab und ging in die Hocke, um sich am Aufklauben zu beteiligen.

»Der weiße Ritter für das holde Medium in Not«, befand Friedemann gleich einem sarkastischen Kommentator.

»Mit Verlaub: Das ist Doktor Ingo Theobald«, erklärte Matthias. »Er gehört ebenfalls zum Team.«

»Ah, ein Arzt? Gut.« Viktor kreuzte die Arme vor der Brust. Das Eingreifen konnte er sich sparen, Fendi und Theobald kamen mit dem Aufklauben gut voran. »Trotzdem schade. Ich hatte gehofft, wir hätten noch eine junge Dame im Team.«

»Ich wette, dass Sie den Wunsch bald bereuen würden«, warf Friedemann mit der Grandezza eines versnobten Fünfzigjährigen ein. »Es geht selten etwas über die Weisheit des Alters. Wissen ist Macht. Und diese Dame besitzt weder Alter noch Wissen.«

Viktor wunderte sich, wie der Mann seine Umgebung wahrnahm, ohne die Augen darauf zu richten. Ein Meister des peripheren Sehens, dachte er.

Coco Fendi war so sehr mit dem Zusammenwischen ihrer Utensilien beschäftigt, dass sie ihren Helfer erst bemerkte, als er neben ihr kniete.

»Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen.« Ihr enges Designerkleid zwickte und behinderte sie bei den Bewegungen. Aber das war der Preis von schöner, teurer Kleidung, die sie sich leistete; auch ihre ungebändigten hellen Locken raubten ihr die Sicht, hingen wie ein Vorhang vor ihren Augen. »Ein wahrer Gentleman.«

Ihren riesigen Luxus-Reisekoffer setzte sie wie einen Schild ein, damit niemand sonst ihr Eigentum aufsammelte. Dahinter verschwand die kleine Gruppe um den Chauffeur, der sie zu van Dam bringen sollte.

Coco wandte sich ihrem Retter zu, strich die Haare aus dem Gesicht und erkannte Ingo Theobald, einen Mann Anfang vierzig, der seine graugelben Haare nackenlang trug. In seinem unrasierten Gesicht saß eine jugendlichnerdige Nickelbrille.

»Du?«, lachte sie mehr, als zu sprechen – und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

Ingo ließ es sich gefallen, wenn auch aus Überraschung. »Was machst du hier?«, fragte er verblüfft.

»Arbeiten«, gab sie schnippisch zurück, weil sie hörte, dass es ihm nicht passte, auf sie zu treffen. Sie hob die Tarot-Karten auf. »Und du? Ein Fall, den es zu untersuchen gibt?«

»Arbeiten.« Er musterte sie, dann sah er an ihrem Koffer vorbei zum winkenden Chauffeur in Uniform. »Sag nicht …«

Coco hob den Blick und begriff. »Nein! Du auch?«

Ingo seufzte und nahm ihre freie Hand. »Tu das nicht, Beate. Es wird sicherlich gefährlich!«

»Es ist sehr gut bezahlter Job«, entgegnete sie. »Und nenn mich nicht so. Ich bin Coco Fendi, Medium und berühmte Hellseherin. Bekannt aus Funk, Fernsehen und Internet. Weißt du, wie viele Follower ich habe?«

Sie hatten die verstreuten Sachen eingesammelt und wüst durcheinander in dem Case verstaut. Zum Sortieren war später noch Zeit.

Ingo fasste es nicht, Beate wiederzusehen, und dann noch zu erfahren, dass sie für das gleiche Unternehmen angeheuert worden waren. Er blickte sie vorwurfsvoll an und wollte etwas erwidern. Etwas Gemeines. Dass sie doch hätte wissen müssen, dass sie sich am Flughafen begegnen würden, als Hellseherin. Er ließ es. »Glaubst du nicht, dass dein Outfit ein bisschen too much ist? Du bestätigst jedes Vorurteil, das man gegenüber medial begabten Menschen nur haben kann.«

»Das ist Teil meiner Vermarktung. Ich bin wie Elvira, Mistress of the Dark. Nur eben die stilvollere Version.«

»Du weißt, dass Elvira das Horror- und Gothic-Genre persiflierte?«

»Mir egal. Ich gebe den Menschen, was sie erwarten. Das macht sie glücklich. Die Leute lieben Klischees. Du weißt, dass ich es anders versuchte und scheiterte. Also kriegen sie die überkandidelte extravagante Hellseherin.« Coco küsste ihn noch mal hinter dem Koffer und berührte seine Wange. »Spiel mit. Bitte. Wir haben heißen Sex, sobald wir wieder oben sind, das verspreche ich dir!« Eindringlich sah sie ihn an. »Bitte, Ingo! Du hast es doch erst mit deinen Expertisen ermöglicht, dass ich diesen Job bekommen habe!«

»Wir reden aber nicht von einer deiner Unterhaltungsshows, bei denen du deine Follower bespaßt«, gab er besorgt zurück.

»Lass mich einfach meine Sache machen, okay?«, bat sie merklich kühler. Die beiden Küsse hatten ihre bezirzende Wirkung verfehlt, und das ärgerte sie. Sie schloss das Case, klackend rasteten die Schnallen ein. »Dieses eine Mal noch. Dann habe ich genug Geld zusammen.«

Ingo verzog den Mund und schwieg, während sie sich erhoben. Beate war immer in finanziellen Nöten, was an ihrer Vorliebe für ein kostspieliges Leben lag. Sie sah sich in der Tradition der Diven aus den Goldenen Zwanzigern, nur dass sich heutzutage keine edlen Spender mehr unter den Männern fanden, die einer Spiritistin aus Achtung den Unterhalt finanzierten. Dass sie wie ein übergrelles Abziehbild wirkte, störte sie nicht. Ihre Erklärung dazu fand er einleuchtend, teilte sie aber nicht. Beate war alt genug, um zu entscheiden, wie sie wahrgenommen werden wollte.

»Im Gepäck geirrt?«, sagte eine strenge Frauenstimme hinter ihnen.

Ingo und Coco wandten sich um.

Keine zwei Meter entfernt stand eine Mittdreißigerin in Stadttarnhose und einem engen Feinripp-Unterhemd, darüber trug sie eine abgewetzte braune Lederjacke im Militärlook; in der rechten Hand hielt sie einen Kaffeebecher, aus dem heißer Dampf aufstieg.

Der Satz hatte nicht ihnen gegolten, sondern einem jungen Mann mit rundem Anglerhütchen, der ertappt dreinblickte. Mit ihrem rechten Stiefel hatte sie seinen Koffer angehalten – der eigentlich Ingo gehörte.

»Hey! Das ist meiner«, protestierte Ingo.

»Passiert ja leicht, an einem Flughafen, dass man sich den falschen Koffer nimmt«, sagte die trainierte Unbekannte, die ihre halblangen blonden Haare in einem Zopf trug. Sie bildete den absoluten den Gegenentwurf von Coco, was das Erscheinungsbild einer Frau anging. Mit der einen konnte man Kriege gewinnen, mit der anderen Soldaten an der Front unterhalten.

»Lassen Sie mich!« Der Dieb wollte tatsächlich mit seiner Beute an ihr vorbei. Die Gier schlug die Vernunft.

Die Mittdreißigerin machte einen Ausweichschritt und sandte ihn mit einem Schlag gegen seinen Solarplexus zu Boden. Keuchend blieb der Mann liegen und hielt sich die Brust.

Sie grinste auf ihn nieder und trank schlürfend von ihrem Kaffee. Es war nicht ein Tröpfchen aus dem Becher verschüttet worden. »Ist glatt hier. Da kann man sich ratzfatz auf die Fresse legen. Gut, dass du dir nichts gebrochen hast.« Sie hob ihre Hand. »Meine Manus ist härter als dein Sternum. Finde raus, was das heißt.«

Zwei aufmerksam gewordene Sicherheitskräfte näherten sich. »Kann man Ihnen helfen?«, erkundigte sich einer und hob sein Funkgerät, um die Zentrale zu benachrichtigen.

Die Unbekannte wandte sich mit einem bösen Grinsen an Ingo. »Sicherheitshinweis: Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt.«

Er lächelte und reichte ihr die Hand. »Danke! Ohne Sie wäre ich aufgeschmissen gewesen.«

»Gut, dass Sie da sind.« Coco erklärte den Security-Mitarbeitern, was sich zugetragen hatte. Der Dieb wurde aufgehoben und mit Kabelbinder gefesselt.

»Ah, die Herrschaften der Reisegruppe Höhlen haben zueinandergefunden«, sagte der Chauffeur, der mit den beiden Männern unbemerkt zu ihnen getreten war. »Matthias ist mein Name. Herr van Dam schickt mich, um Sie alle zu ihm zu bringen.« Er deutete in der Runde umher und stellte sie einander vor. Auch die militante Kaffeetrinkerin gehörte dazu.

»Die aufmerksame Dame ist Frau Dana Rentski, ihres Zeichens Freeclimberin«, schloss Matthias die Vorstellungsrunde. Allgemeines Händeschütteln setzte ein.

»Aber noch sind wir nicht vollzählig«, sagte Matthias. »Eine Person fehlt uns noch. Dann können wir aufbrechen. Alle weiteren Erklärungen erhalten Sie von Herrn van Dam.« Matthias wandte sich den beiden Flughafenmitarbeitern zu und reichte ihnen eine Visitenkarte – falls es noch weitere Fragen gäbe, welche die Aussage und die Sicherheitskameras nicht abdeckten –, dann führten die Männer den ertappten Dieb ab.

»Schöne Show«, sagte Viktor zu Dana. Ihm waren weder der feste Händedruck noch die sportliche Figur entgangen.

»Danke.« Sie trank ihren Kaffee aus und warf den Becher zielsicher in den Papiermülleimer. »Ich helfe, wo ich kann.«

Über die konträre Gruppe bereitete sich Schweigen aus, keiner wollte ein Gespräch beginnen. Friedemann las wieder in der Zeitung.

Währenddessen eilte ein übergewichtiger Mann in verknitterter heller Stoffhose und einem geschmacklosen bunten Hemd aus der Abfertigung. Offenbar hatte er versucht, Bart und Frisur des Comichelden Tony Stark zu kopieren, aber der restliche Look und die Physis wollten nicht dazu passen, und so wirkte er mehr wie eine Karikatur von Magnum.

Viktor ahnte, dass es sich um die erwartete letzte Person handelte, die van Dam angeheuert hatte. Der Mann war ihm auf den ersten Blick unsympathisch. Noch unsympathischer als Friedemann.

Die billige Magnum-Kopie sah die Gruppe, hob den Arm zum Gruß und stampfte auf sie zu.

»Pass doch auf«, schnarrte er einen kleinen Jungen an, der an der Hand seiner Mutter ging, und bahnte sich rücksichtslos seinen Weg zu den Wartenden. »Sorry. Da war eine lahme Oma, die ihren Koffer nicht vom Band bekam. Ich musste ewig warten, bis ich an meinen kam. Die wollte ihren Rollator nicht loslassen und humpelte ihrem antiken Schrottkoffer in Zeitlupe nach.« Er nickte in die Runde. »Freut mich. Carsten Spanger mein Name, aber ihr könnt mich Tony nennen.«

»Helfen hätte geholfen«, kommentierte Dana kühl.

Carsten kratzte sich am Kopf. »Wer hätte mir denn helfen sollen?« Dann lachte er, um klarzumachen, dass er sie absichtlich falsch verstanden hatte. »Und? Bin ich der Letzte?«

»Solange Sie nicht das Letzte sind«, erwiderte Dana.

Viktor lächelte gewollt halbherzig.

»Du meine Güte. Ich hab’s ja verstanden«, gab Spanger zurück. »Machen Sie keinen Aufstand. Das nächste Mal bin ich ein netter Pfadfinder und helfe älteren Damen.«

»Wir sind vollzählig.« Matthias übernahm die Führung, bevor der Schlagabtausch der beiden in eine neue Runde ging. »Wenn Sie mir folgen möchten?«

Gemeinsam verließen sie die Halle und standen alsbald vor einem schwarzen Mercedestransporter. Nacheinander stiegen sie ein, Viktor und Dana halfen dem Chauffeur rasch beim Verstauen der Koffer im Laderaum.

»Danke, sehr freundlich. Das waren die anderen nicht«, sagte Matthias und reckte die Arme nach der Heckklappe, um sie nach unten zu ziehen.

»Die anderen?«

Matthias merkte, dass er sich verplappert hatte. »Die anderen, Herr Troneg.« Er schloss den Kofferraum, lächelte verhuscht und deutete auf den Einstieg, bevor er auf den Fahrersitz flüchtete.

»Bitte sehr, nach Ihnen, Frau Fendi.« Carsten ließ ihr den Vortritt und musterte ihren Hintern, als sie sich zum Einsteigen nach vorne beugte, und wackelte mit den Augenbrauen wie eine lüsterne Bauchrednerpuppe. »Ich bin jetzt schon Ihr Fan.«

Viktor dachte über Matthias’ Worte nach. »Die anderen«, wiederholte er leise. Sie waren wohl nicht die Ersten, die van Dam angeheuert hatte.

 

Was sowohl ihm als auch dem Rest der sogenannten Reisegruppe Höhlen entging, war ein unauffällig gekleideter Mann Mitte vierzig, der ganz in der Nähe des Zwischenfalls mit dem Beautycase auf einer Wartebank saß und einen Minilaptop auf den Knien hatte. Es gab auch keinerlei Grund, ihn zu bemerken, denn nichts unterschied ihn von anderen Wartenden, abgesehen von dem ungewöhnlich besorgten Gesichtsausdruck – als habe er soeben von einem Ereignis erfahren, das den Verlauf der Menschheitsgeschichte für immer verändern würde.

Gelegentlich sah der Mann über das aufgeklappte Display zur Anzeigetafel, wo die Ankunftszeiten der Maschinen aufleuchteten, als interessiere er sich dafür. Dann wandte er den durchdringenden Blick wieder nach rechts und schaute zu den Leuten, die eben einander vorgestellt wurden.

Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn.

Im geöffneten Chatfenster stand von ihm geschrieben:

Mit Troneg in FFM angekommen.

Wird in Empfang genommen.

Gehört zu einem Einsatzteam. Sende gleich Fotos der Beteiligten.

Instruktionen?

Der Mittvierziger langte nach seinem Pappbecher und kostete von dem Gebräu, das sie ihm als Espresso verkauft hatten. Er hielt es für braune Plörre, vergessener und von der Wärmeplatte einreduzierter Kaffee von gestern, den man nicht hatte wegschütten wollen.

Mit einem Piepsen kam die Antwort im geöffneten Fenster:

Verfolgen.

Bei Gelegenheit Troneg ausschalten.

Kollateralschäden akzeptabel.

Neben dem Chatfenster hatte der Mann ein Foto geöffnet, auf dem Viktor mit einem hochgerüsteten G36 im Anschlag vor einer heruntergekommenen Hütte zu sehen war. Wo und wann es aufgenommen wurde, war nicht ersichtlich, die beigefarbene Tarnuniform sprach für Irak. Oder Afghanistan. Oder ein anderes Sandland. Er war dort zusammen mit einer deutschen Spezialeinheit gewesen, die offiziell gar nichts an diesem Ort zu suchen hatte.

Das war nicht der Grund, weswegen Viktor von Troneg auf der Abschussliste stand. Deutsche Spezialeinheiten bewegten sich unentwegt durch verbotenes Gelände, ohne dass der Bundestag oder andere Kontrollgremien jemals davon erfuhren.

Darunter zeigte sich auf einem weiteren Foto, das deutlich vergrößert und gröber erschien, eine antik wirkende Steintür mit Türklopfer aus schwarzem Metall in Form eines Löwenmauls, das einen goldenen Ring zwischen den weißfleckigen Zähnen trug. Die Zeichen und Symbole darauf waren zu grob gepixelt und nicht entzifferbar. Die Tür gehörte zu der Hütte, vor der Viktor von Troneg auf dem ersten Foto kniete und nach Feinden Ausschau hielt, ohne einen Blick hinter sich zu werfen. Was bei dieser Art von Tür ein tödlicher Fehler sein konnte.

Der Mann tippte Verstanden und hob sein Smartphone, um Fotos von der Gruppe zu schießen und sie gleich abzusenden, während das Sextett und der Chauffeur die Halle durchquerten.

In aller Ruhe machte sich der Mittvierziger an die Verfolgung, den Minilaptop zusammengeklappt unter dem Arm tragend sowie einen Sportrucksack auf dem Rücken. Er war damit einer von unzähligen Geschäftsreisenden, die sich tagtäglich durch das Terminal bewegten. Niemand erahnte seinen wahren Auftrag oder für welche Organisation er arbeitete.

Der Mann verließ das Gebäude, lehnte sich etliche Meter entfernt vom schwarzen Mercedestransporter gegen eine Säule und blickte sich nach einem Taxi um. Nur ein Wagen stand an der dafür vorgesehenen Haltebucht.

Die Gruppe hatte fertig eingeladen, der Transporter setzte vorschriftsmäßig den Blinker und fuhr los.

Der Mann ging zielstrebig zum letzten Taxi. »Hallo. Fahren Sie bitte –«

»Tut mir leid. Hab gerade eine Fahrt über Funk bekommen«, wehrte der Fahrer durch das Fenster ab und machte eine bedauernde Geste. »Die Kollegen sind bestimmt gleich da.« Er startete und fuhr davon.

Gleich war zu lange. Weit und breit gab es kein anderes Taxi.

Fluchend wandte sich der Mittvierziger ab und zückte sein Smartphone, während er dem verschwindenden Mercedes nachblickte. »Ich bin’s«, sagte er, nachdem sein Anruf mit einem gegrummelten Gruß entgegengenommen worden war. »Ich brauche den Halter eines schwarzen Transporters.« Er gab den Wagentypus und das Nummernschild durch.

Sekunden darauf wusste er, wohin er fahren musste, um Viktor von Troneg zu finden.

Anstatt auf das nächste Taxi zu warten, ging der Mann zur nächstgelegenen Autovermietung. Sein Auftrag war klar und musste erfüllt werden.

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Auf Abwegen 2

Die junge Frau in dem schicken dunkelgrünen Abendkleid stand nach ihrem beherzten Schritt über die Schwelle und einigen Metern vorwärts in einem nächtlichen Wald, der ihr vorgaukelte, ein friedlicher und ruhiger Ort zu sein.

Farn und silbriges Mondlicht, das durch die Zweige der riesigen Bäume fiel, umgaben sie. Der heimelige Käuzchenruf erklang, auch der Fuchs hatte das Bellen wieder aufgenommen. Der Wind spielte mit den Ästen und dem Laub, erzeugte ein allgegenwärtiges Rascheln.

Die junge Frau ließ sich längst nicht mehr täuschen. Dafür hatte sie in den letzten Stunden zu viel von dem erlebt, wovor sie die Geschichten gewarnt hatten. Sie lauschte und blickte sich unentwegt um, aber rührte sich vorerst nicht; den Ast hielt sie schlagbereit in ihrer Rechten.

Das Grollen der Raubtiere, die irgendwo in dieser Welt lebten, war verklungen. Sie hoffte, dass die Wesen andere Beute gefunden hatten, am besten diese unsichtbare Kreatur aus dem Labyrinth.

Erst als sie sicher war, dass sich nichts um sie herum bewegte, ging sie langsam vorwärts. Ihr Blick richtete sich auf das Smartphone und die Empfangsanzeige: Kein Dienst.

»So eine Scheiße«, murmelte sie und wandte den Blick zurück zur spaltbreit geöffneten Tür, durch die sie gekommen war.

Auf dieser Seite gehörte der Durchgang zu einem alten, zerstörten Bunker, der gesprengt in der Landschaft lag, die Reste überwuchert von Grün. Die Beschriftungen auf der Tür waren nicht zu lesen, auch die Zeichen sagten ihr nichts. Aber für sie stand fest, dass es sich um keinen Ort handelte, der in ihrer bekannten Welt lag. Nichts erinnerte an die hohe Halle mit den fünf rätselhaften Türen.

Aber auch das kannte sie.

Unvermittelt erklang ein elektronisches Piepsen, und die junge Frau schaute aufs Display.

Der Signalbalken sprang an und wieder aus, ein und zwei dicke Striche wurden in raschem Wechsel angezeigt.

»Ja, bitte! Bitte!«, rief sie erlöst. »Das muss doch …« Sie reckte den Arm, suchte Empfang und pirschte behutsam voran.

Sie hatte sich geirrt. Zum Glück! Dieser Wald lag doch auf der guten alten Erde mit Mobilfunkmasten und -verstärkern, die ihre Rettung ermöglichten. Vielleicht hatte die Tür sie in ein Wildtierreservat gebracht oder in ein Wolfsgehege. Das würde das Geheule erklären.

Die junge Frau schlüpfte durch ein dichtes, üppig grünes Farnfeld, unentwegt auf der Suche nach besserem Signal. Einige Male strauchelte sie mit den Absatzschuhen im weichen Boden, wich abgebrochenen Stämmen aus und trat schließlich auf eine Lichtung, die im vollen Mondlicht lag. Der Himmelskörper schien deutlich größer und näher als sonst.

Behutsam schlich sie bis zur Mitte und hielt das Handy, so hoch sie vermochte. »Komm schon«, raunte sie beschwörend. »Bring mich nach Hause.«

Plötzlich ein leises Knistern, und der Farn wogte um sie herum.

Die junge Frau regte sich nicht und schaute umher, lauschte aufmerksam. Den Ast reckte sie nach vorne, um mögliche Attacken abzuwehren. Ihr Nasenpiercing und ein Ohrring funkelten eisig im Licht der Gestirne auf. Den anderen hatte sie irgendwann verloren. Sie würde ihn nicht suchen.

In diesem Moment zeigten die Signalbalken wie zur Belohnung den vollen Ausschlag.

»Gott, ja!«, schrie sie vor Freude auf.

Die zerkratzten Finger huschten befehlend über das Gerät, artig wählte das Smartphone.

Derweil blickte sie sich wieder um. Unmittelbar vor ihrer Rettung wollte sie nicht gefressen werden. Argwöhnisch betrachtete sie den sich wiegenden und biegenden Farn. Ein entferntes Heulen erklang. Weit genug weg, um keine Furcht in ihr zu erzeugen, aber nahe genug, um zu wissen, dass die Tiere nicht verschwunden waren.

In einem Reflex duckte sie sich, um nicht entdeckt zu werden, und wäre am liebsten von der exponierten Lichtung gekrochen, um sich auf einen Baum zu begeben und auf den Parkwächter oder sonst einen Zuständigen zu warten, der sie aus dem Gehege befreite.

Wie zur Strafe gingen die Balken sofort zurück.

Also stellte sich die junge Frau erneut aufrecht hin und presste sich das leuchtende Handy an die Wange.

Nach einer gefühlten Ewigkeit läutete es.

Dreimal, viermal.

Dann klickte es. Der Anruf war entgegengenommen worden.

»Papa! Papa, hörst du mich?«, rief sie freudig. »Hör mir zu! Ich war in dem Haus von Urgroßvater …«

Aus dem Lautsprecher erklang eine verzerrte Stimme, die keinem Menschen gehörte. Unverständliches Gebrabbel drückte sich in ihr Ohr.

Sie sah auf das Display. Die Nummer stimmte. »Scheiße, was …?«

Sie legte auf und betätigte den Notruf.

Erneut versuchte das Smartphone, Kontakt herzustellen.

Das Heulen ertönte wieder, deutlich näher als vor wenigen Sekunden, und der Farn bewegte sich plötzlich gegen die Windrichtung. Etwas raste im Schutz des dichten Grüns frontal auf sie zu.

»Fuck!« Die junge Frau rannte los, zurück zur Tür, durch welche sie gekommen war. Ihr erschien die Aussicht auf Überleben jenseits dieses Waldes größer, auch wenn in der Kammer etwas anderes auf sie lauerte. Aber immerhin hatte sie nun einen Ast, mit dem sie sich wehren konnte.

Die Balken fielen sofort auf null Empfang zurück. Kein Dienst.

Der zerstörte Bunker tauchte zwischen den Stämmen auf, die Tür war nun sperrangelweit geöffnet.

Das Mondlicht schien in den Raum, der ihr kurzfristige Sicherheit versprach, und riss die vollgeschriebenen Wände aus Beton und Backstein aus der Dunkelheit. Sie sah den zerbrochenen Türklopfer auf dem Boden, die zerstörten Gebeine sowie den Toten in der Tarnuniform. Die Maschinenpistole in seiner Hand wirkte verlockend, auch wenn sie nicht wusste, wie man mit so etwas umging. Doch damit wäre mehr auszurichten als mit dem Ast, den sie umklammerte.

Die junge Frau keuchte vor Anstrengung, behielt aber ihre hohe Geschwindigkeit bei. Sie stolperte auf dem weichen Untergrund, fiel aber nicht.

Das Grollen der Monster rückte näher.

Ich schaffe es, dachte sie unentwegt. Weniger als zehn Meter trennten sie noch. Ich schaffe es!

Da schob sich ein Mann in einem Nadelstreifenanzug aus dem Inneren des Bunkers in den Eingang; das weiße Hemd und die schwarze Krawatte saßen makellos. Sein abruptes Erscheinen hatte etwas Surreales. Neugierde zeigte sich auf seinem glatt rasierten Gesicht, während er der jungen Frau dabei zusah, wie sie um ihr Leben spurtete.

Dann hob er seinen rechten Arm. Ein Ring schimmerte im Mondlicht an seinem Finger auf, die er auf die Tür legte und sie zuschob, bevor sie den Durchgang erreicht hatte.

»Nein!«, schrie die junge Frau wütend. »Nein! Ich muss rein! Hören Sie! Ich muss …« Aus vollem Lauf warf sie sich gegen die Tür, die noch einen Spaltbreit geöffnet war. Beim Versuch, den Ast in die Lücke zu rammen, brach er entzwei, das Holz splitterte. »Nein! Nein, machen Sie auf!« Sie rammte mit ihrer Schulter mehrmals dagegen, helle Haut und grünes Kleid rissen auf. »Hey, du Wichser!« Warm sickerte das Blut aus den frischen Kratzern.

Von der anderen Seite erklang ein tiefes Lachen. Der Unbekannte schob mit viel Kraft.

Und die Tür fiel zu. Klickend rastete das Schloss ein, und im gleichen Augenblick huschte das gefürchtete Flirren über die Tür.

Erbost trat die junge Frau dagegen. Sie wusste, was das bedeutete: Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Jetzt gab es nur noch sie, den Wald – und die Monster.

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Kapitel II

Deutschland, bei Frankfurt

Die Fahrt in dem schwarzen Transporter der Reisegruppe Höhlen verlief zunächst schweigend.

Der Mercedes mit den abgetönten Scheiben rollte über die Autobahn, die sie weg vom Flughafen brachte. Matthias fuhr sicher und mitunter mutig, nutzte sämtliche Spuren, um rasch vorwärtszukommen.

Coco Fendi wühlte in ihrer Box mit den Gegenständen, die sie als Medium und Hellseherin benötigte, und begann mit dem Ordnen der durcheinandergeworfenen Steine, Runen und anderem Krimskrams. Dafür klappte sie das Case komplett auseinander und breitete sich weit aus, was die übrigen Mitfahrer zum Zusammenrücken und Ausweichen zwang. Aber es beschwerte sich keiner.

Viktor betrachtete das Gesicht von Dana Rentski in der Reflexion der Scheibe. Sie kam ihm bekannt vor, doch er wusste nicht, woher. Er hatte in der Vergangenheit an diversen Climbing-Wettbewerben teilgenommen, und es war nicht auszuschließen, dass sie sich da über den Weg gelaufen waren. Doch sobald er Anlauf nahm, sie darauf anzusprechen, gab sie mit ihrer Haltung zu verstehen, dass sie keinerlei Interesse an einer Unterhaltung hatte. Sie las auf ihrem Smartphone ein Buch und wollte nicht gestört werden.

Sollte sein Gefühl, ihr schon einmal begegnet zu sein, mit seinem alten Beruf zu tun haben, konnte es unschön werden. Es würde bedeuten, dass sie nicht auf der gleichen Seite gestanden hatten.

Spanger döste schmatzend vor sich hin und brummte bei jeder Bodenwelle.

»Nun gut.« Rüdiger Friedemann ergriff als Erster das Wort. Resolut faltete der dürre Mann die Zeitung zusammen, die er soeben ausgelesen hatte, und ließ seinen mokanten Blick durch die Designerbrille durch den Fond schweifen. »Was haben wir hier also?« Er zeigte auf sich. »Einen Geologen und Höhlenforscher.« Dann deutete er auf Dana und Viktor. »Zwei Freeclimber.« Fingerzeig auf die kramende Coco. »Und ein Medium.« Seine braunen Augen richteten sich auf Ingo. »Sie sind unser Doktor, und Sie« – er wandte sich zu Spanger, der die Augen beim Klang der Stimme geöffnet hatte – »stellen bei der Mission unseren Techniksupport dar, wenn ich raten müsste.« Süffisant lächelnd blickte er an dem Mann mit dem auffälligen Bart herab. »Sie sind ein bisschen zu korpulent für schmale Höhlen.«

Spanger rieb sich die Lider und setzte mit einem Räuspern zu einer Erwiderung an.

»Kein Arzt«, kam ihm Ingo zuvor. »Sondern Doktor der Physik und Parapsychologe. Vom parapsychologischen Institut aus Freiburg.«

Friedemann lachte auf. »Ein Geisterjäger? Herr im Himmel! Was für ein Team!«

»Ich bin nicht nur Climberin«, warf Dana ein. »Nebenbei mache ich noch ein bisschen Kampfsport. Es reicht, um Dieben in den Arsch zu treten. Oder arroganten Typen. Das Alter spielt für mich dabei keine Rolle.«

»Touché«, erwiderte Friedemann amüsiert. »Da hat jemand Courage. Sehr erfrischend.«

»Seien Sie ein bisschen netter, Friedemann. Nur weil Sie Professor sind, müssen Sie sich auf Ihren Titel nichts einbilden«, warf Spanger säuerlich ein. »Ich sage ja auch nicht, dass man Ihnen beim Sturm eine Leine an den Zeh binden und Sie als Drachen benutzen kann. Oder als Klappergestell in der Geisterbahn. Oder …«

»Bei allem Respekt: Das ist die merkwürdigste Truppe, die ich jemals bei einer Erkundung zu führen hatte.« Friedemann sah sich im Innenraum um.

»Sie?«, kam es ungläubig aus Danas Mund. Ihr Blick machte deutlich, dass sie ihm nicht zutraute, auch nur eine Stunde im Klettergeschirr zu überstehen. »Sie führen unsere Truppe an?«

Friedemann lächelte. Er hatte seinen Spaß. »So steht es in meinem Vertrag.«

Die Umgebung, die draußen vorbeizog, hatte sich auffallend geändert. Der Mercedes fuhr durch eine noble Vorstadt mit alten Villen und riesigen Gärten.

Viktor war sich mittlerweile sicher, dass er Danas Gesicht nicht mit dem einer Climberin verband. »Helfen Sie mir«, sagte er zu ihr. »Wir kennen uns doch von irgendwoher. Aber es hatte weniger mit Höhlen oder dem Klettern zu tun, oder?«

Sie zuckte mit den Schultern und blickte auf ihr Smartphone und in ihr Buch.

Danas Verhalten war Viktor unerklärlich. Umso mehr forschte er in seinem Gedächtnis, aber die Begebenheit, bei der sich ihre Wege gekreuzt hatten, lag verborgen im Nebel. Oder wurde er Opfer seiner eigenen Einbildungskraft, weil sie jemandem ähnelte, den er kannte?

»Fragen Sie doch unsere Hellseherin, Herr von Troneg.« Friedemann lächelte die sortierende Coco an, während der Transporter langsamer wurde und mit einem sanften Schaukeln anhielt. »Sie wird Ihnen gewiss sagen können, wo Sie sich begegnet sind. Oder in welchem Leben.« Er rollte die Zeitung zu einem dicken Zeigestock zusammen und pochte gegen ihr aufgeklapptes Case. »Mme. Fendi. Gehen Sie doch dem Herrn geistig zur Hand. Beeindrucken Sie uns.«

»Für solche Auskünfte und das Beeindrucken nehme ich Geld«, sagte sie und beendete das Sortieren. Sorgsam schloss sie das Behältnis. »Wir haben alle Rechnungen zu zahlen.« Demonstrativ laut klackte sie die Schnallen zu und warf ihre blonde Lockenmähne mit der schwarzen Strähne nach hinten, eine melodramatische und einstudierte Geste.

Spanger lachte bitter. »Da sagen Sie was. Ich bin übrigens nicht der IT-Nerd, Professor Friedemann. Ich bin Personenschützer.«

Das Lächeln des älteren Geologen wurde bösartig. Ihm lagen eine Million Erwiderungen auf der Zunge, die sich um die Korpulenz des Mannes drehten, aber er behielt die Späße über Kugelfang, Schutzschild und dergleichen für sich. »Sie waren sicher der Beste.«

Das Team stieg aus, Friedemann vorneweg.

Der Mercedes stand in der Auffahrt vor einer imposanten Jugendstilvilla inmitten eines gepflegten Parks. Die Sonne schien warm und freundlich auf die Bäume, es roch nach letzten Sommertagen, obwohl der Herbst sich bereits über das Land legte.