DOORS - VORSEHUNG - Markus Heitz - E-Book
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DOORS - VORSEHUNG E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

"DOORS" - das neue Buchkonzept von SPIEGEL-Bestseller-Autor Markus Heitz geht in die zweite Runde! Auch in der zweiten Staffel wirst du wieder vor die Wahl gestellt: Am Ende der kurzen Pilotfolge "Drei Sekunden" bieten sich dir drei Möglichkeiten, dich zu entscheiden: drei Bücher, drei alternative Geschichten – welche Wahl wirst du treffen? Du hast dich für "DOORS – VORSEHUNG" entschieden? Dann begleite Milana und Anton bei ihrem Versuch, das Rätsel der Türen zu lösen und eine tödliche Bedrohung aufzuhalten: Als Milana und Anton beim Ball einer geheimnisumwitterten Stiftung aufeinandertreffen, ahnen sie nicht, dass es kein Schicksal ist. Sondern ein Hacker namens Nótt dahintersteckt. Die Tochter eines russischen Wissenschaftlers und den jungen Schreinermeister verbindet eine bestimmte Sache, von der sie in diesem Moment nichts ahnen: ganz besondere Türen, die Unmögliches möglich machen. Und Metallsplitter. Doch es kommt anders, als Nótt es plante, denn die Vorsehung hat eigene Pläne. Pläne, die unberechenbar sind: Unsterbliche befinden sich auf dem Weg, ausgesandt vor mehr als einem Jahrhundert, um eine Mission zu erfüllen. Schon sind Milana, Anton und Nótt in einem Abenteuer, wie sie es sich niemals hätten ausdenken können. Denn es geht um wesentlich mehr als ihr eigenes Dasein… Bisher erschienen: DOORS - Staffel 1 DOORS - Der Beginn DOORS ! - Blutfeld DOORS X - Dämmerung DOORS ? - Kolonie DOORS - Staffel 2 DOORS - Drei Sekunden DOORS - ENERGIJA DOORS - WÄCHTER DOORS - VORSEHUNG

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Markus Heitz

DOORSVORSEHUNG

Thriller

Knaur e-books

Über dieses Buch

Als sich Milana und Anton bei einer geheimnisumwitterten Stiftung zum ersten Mal begegnen, ahnen sie nicht, dass dies kein Schicksal ist. Ein Hacker namens Nótt scheint im Hintergrund die Fäden in der Hand zu halten. Die Tochter eines russischen Wissenschaftlers und den jungen Schreinermeister verbindet geheimes Wissen um ganz besondere Türen, die Unmögliches möglich machen. Doch es kommt anders, als Nótt es plante! Unsterbliche befinden sich auf dem Weg, ausgesandt vor mehr als einem Jahrhundert, um ihre eigene Mission zu erfüllen …

Inhaltsübersicht

IntroKapitel IKapitel IIKapitel IIIKapitel IVKapitel VKapitel VIKapitel VIIKapitel VIIIKapitel IXKapitel XNachklangLeseprobe »DOORS WÄCHTER«
[home]

Wenn Sie erfahren wollen, welche tödliche Entdeckung die Hackerin Suna Levent macht, lesen Sie von Beginn an.Wenn Sie den Professor Sergej Nikitin warnen wollen, beginnen Sie bei Kapitel 1.

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Intro

Deutschland, Frankfurt am Main, Spätsommer

Der Vorteil an der Frankfurter Freßgass war, dass sich niemand über Menschen in einem Café wunderte, die zwei Smartphones, einen Tabletcomputer und einen Laptop auf dem Tischchen deponierten. Im Schatten der Banktürme gehörte es zum Alltagsbild.

Auch die Bluetooth-Sprecheinrichtung im rechten Ohr von Suna Levent war in Mainhattan normal. Sie lauschte den Dankesworten ihres Gesprächsteilnehmers, der Aberhunderte Kilometer entfernt in seinem Büro saß und via Internet über eine sichere Leitung auf Englisch mit ihr redete, während sie die braunen Augen wechselweise auf die Displays richtete. Der gravierende Unterschied zu anderen Leuten in Frankfurt bestand darin, dass es in diesem Gespräch nicht um Bankgeschäfte ging.

»Um es nochmals zu betonen: bester Stoff, den Sie geschickt haben«, sagte der Mann.

Suna grinste. »Habe ich Ihnen doch gesagt, Takahashi-san.«

Die junge Deutschtürkin, der man ihre Volljährigkeit zu ihrem eigenen Bedauern nicht ansah, nippte an ihrem schwarzen Kaffee, in den sie Kardamom, Zimt, Nelken, Pfeffer, Piment und Muskatnuss gestreut hatte. Sie führte die Gewürze stets mit sich.

»Wie sind Sie da rangekommen, Miss Levent?«

»Hat lange gedauert, bis ich einen Hersteller dafür fand.« Suna beobachtete die Anzeigen, auf denen beständig neue Infos aus dem Internet und dem Darknet erschienen. In ihrem Anzug und dem weißen Hemd mit dem locker gebundenen Schlips wirkte sie wie eine Praktikantin eines Investmentbüros. Die abgeranzten Sneakers brachen das Bild jedoch. »Verraten Sie mir: Was hat am meisten geknallt?«

»Bei mir oder meinen Freunden?«

»Beides. Damit ich weiß, was ich Ihnen als Nächstes schicken kann.«

»Waldmeister«, lautete die Antwort. »Auch das Toffee-Salzkaramell war extrem gut. So was wie Ihre Schaumküsse findet man in Tokio nicht.«

»Immer wieder eine Freude. Sie sehen, ich lege das Geld aus dem Stipendium Ihrer Stiftung gut an. Die kleine Firma fertigt die besten an. Ich mag die mit flüssigem Kern am liebsten.« Suna lehnte sich vor, öffnete ein Befehlsfenster und änderte den Suchalgorithmus von einem ihrer selbst geschriebenen Stöberprogramme. Dieses nannte sie Akilli ihtiyar, nach einem türkischen Märchen. »Ich habe ein paar Neuigkeiten für Sie, Takahashi-san.«

»Oh, sehr gut.«

»Die Berichte sende ich Ihnen vom neuen Spot, also in etwa« – Suna blickte auf die eingeblendete Uhr –»einer halben Stunde. Aber ich wollte schon mal sagen, dass ich meine Schätzchen verbessert habe.« Stolz schwang in ihrer Stimme mit.

»Könnten Sie das ausführen?«

»Sagen wir, ich komme jetzt in die Chatverläufe nicht weniger Kommunikationsanbieter und lasse dort nach Ihren Stichworten suchen. Inland und Ausland. Und auch Videoverbindungen, wobei die Spracherkennung bei der Auswertung noch Schwierigkeiten macht. Je nach Sprache.« Suna trank vom Kaffee und gab zwei weitere Stück Zucker hinein. Wie gerne hätte sie einen Vanilleschaumkuss gegessen. Mit flüssigem Kern. »Aber es funktioniert nicht schlecht. Die Filter reagieren inzwischen auf Ark, Arkus, Meteoritgestein, Particulae und Particula, Tür, Durchgang und die anderen Parameter, die ich von Ihnen bekommen habe, Takahashi-san.«

Suna wusste, dass ihr Tun hochgradig illegal war: das Ausspionieren von digitaler Kommunikation, wie es die CIA, der MI6, das chinesische Ministerium für Staatssicherheit, der FSB und so ziemlich jeder Geheimdienst der Welt tat. Sunas Software trojanerte sich in legale und illegale Behörden, suchte mit deren Rechnerfarmen nach den vorgegebenen Schlagworten und prüfte im nächsten Schritt autonom, ob sie miteinander in Beziehung standen.

Dafür bekam Suna als Lohn ein sogenanntes Stipendium von der Kadoguchi-Stiftung, offiziell für ihr Studium. Bei zehntausend Euro pro Monat ein schönes Sümmchen, plus Gratifikationen bei zusätzlichen Leistungen. Steuerfrei.

Suna betrachtete es als Testlauf ihrer Software, die später Behörden und illegale Rechnerzentren von Regierungen nutzen würden. Abgesehen davon klangen die Suchworte Türen, Meteoriten, Ark, Particulae weder gefährlich noch terroristisch. Mehr nach Esoterikspinnern und niedlichen Weltverschwörern.

»Ich bin auf eine Sache im CERN gestoßen, Takahashi-san.« Suna vergrößerte die Anzeige, um sie besser lesen zu können. »Sie wissen, was das europäische Forschungszentrum in der Schweiz macht?«

»Sicherlich, Miss Levent. Physikalische Grundlagenforschung auf allerhöchstem Niveau.« Takahashi klang angespannt. »Der Unfall?«

»Ja. Nur dass es womöglich kein Unfall war. Jemand schreibt in einem Chat, dass es unverantwortlich gewesen sei, das Fragment mit Teilchen zu beschießen, ohne die Beteiligten in der Anlage zu warnen.« Suna überflog den Nachrichtenverlauf. »Die erwartete Detonation des Particula sei glimpflich verlaufen. Der andere Teilnehmer des Chats wiederum geht von Sabotage aus.«

»Sehr gut, Miss Levent! Bitte alle Details dazu an uns. Was noch?«

»Einen toten Museumswächter in London, während der langen Nacht der Museen, in der Ägyptischen Abteilung«, las Suna vom nächsten Artikel auf dem Monitor ab. »Ein nicht benannter Augenzeuge behauptet, es habe etwas mit dem Sarkophagdeckel zu tun. Die unglückselige Mumie wird das Exponat genannt. Ziemlich abgefahrene Sachen. Wie in den alten Gruselfilmen.«

»Wieso reagierte Ihr Suchprogramm darauf?«

»Weil im Bericht steht, dass der Augenzeuge auf Steine aus der Sonne, also Meteoriten, aufmerksam machte, die angeblich im Deckel dieses Sarkophags eingelassen sind.«

»Ist der Deckel verschwunden?«

»Dazu steht hier nichts.« Suna hatte sich abgewöhnt, diese wirren Meldungen in Einklang bringen zu wollen. Sollte Takahashi selbst schauen, was davon für ihn zusammenpasste. »Und natürlich berichtete ein Junge vom Fluch einer altägyptischen Priesterin, der dabei eine Rolle spielt.«

»Natürlich.« Takahashi lachte. »Fehlen noch lebendige Mumien.«

»Solange es keine Zombies sind. Mumien sind cool.« Sunas Blicke wanderten auf den Monitor des Laptops. Neue Fenster waren aufgepoppt. »Takahashi-san, eben kamen noch zwei Sachen rein.«

»Lassen Sie hören, Miss Levent.«

»Es ist die Rede von einem Professor Sergej Nikitin, der in Cadarache Versuche mit Particulae vornehmen soll, damit jemand anderes weiter an Lithos arbeiten kann. Im Jules-Horowitz-Reaktor.« Suna prüfte in einem neuen Tab, wovon die Rede war. »Das ist ein Materialtestreaktor, der noch gar nicht in Betrieb ist. In Südfrankreich. Eigentlich startet er erst 2021.«

»Anscheinend läuft er bereits«, fügte Takahashi an. »Spannend.«

»Jedenfalls ist der Wortlaut der Nachricht recht unfreundlich. Scheint, als stünde der Professor kurz vor dem Rauswurf.« Suna leerte den Kaffee mit einem großen Schluck, das Gewürzpulver verteilte sich auf ihrer Zunge. »Dann habe ich noch einen Wilhelm Pastinak. Er soll den Schlüssel zu einem Ark haben, durch das, was er bei sich zu Hause eingelagert hat.« Sie las die Nachricht erneut und verstand nichts davon. »Ich lass das jetzt mal. Da kommt ein Dialog, der nach Kochrezept klingt. Verfasst ist das Original auf Russisch. Hab ich von einem Programm übersetzen lassen. Keine Ahnung, wie genau das ist.«

»Ich kümmere mich darum, Miss Levent.«

»In einer halben Stunde haben Sie alles. Ich bin hier schon zu lange im Hotspot.«

»Fühlen Sie sich verfolgt?«

Suna zögerte. »Nur von meinem psychotischen Ex. Weswegen fragen Sie?«

»Nur so. Man … weiß ja nie.«

Suna runzelte die Stirn. »Ich kann mir denken, dass es nicht ganz so harmlos ist, was mich die Stiftung suchen lässt, auch wenn ich nicht verstehe, was es soll.«

»Sie müssen sich keine Sorgen machen.«

Nervös schaute sich Suna um. »Oder liegt es an der Kadoguchi-Stiftung? Haben Sie Stress mit irgendwelchen Behörden? Steuerfahndung? Werden Sie observiert?«

Takahashi lachte. »Nein, da ist nichts.«

»Nun ja, die Struktur Ihrer Einrichtung ist nicht ohne. Letztlich führt die Finanzierung über Umwege zum Konsortium der Van-Dam-Familie.« Suna hatte sich informiert. »Dann der Name der Stiftung: Kadoguchi. Dass das Wort Portal oder Tor bedeutet und ich meine Spürprogramme nach Türen suchen lasse, ist vielleicht kein Zufall. Was meinen Sie?«

Schweigen.

»Takahashi-san?«

»Ich würde Ihnen raten, nicht die Hand zu beißen, die Sie füttert, Miss Levent«, sprach Takahashi kühl. »Halten Sie sich an Ihren Auftrag, und senden Sie mir bitte die Berichte. Richten Sie Ihre Programme vorerst auf Herrn Pastinak und Professor Nikitin. Mehr müssen Sie nicht tun. Und sollten Sie auch nicht. Einen guten Tag.« Der Mann legte auf.

Suna hob die Augenbrauen. »Wow«, murmelte sie. So kannte sie den kontrollierten Japaner nicht. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie den Eindruck bekommen, in üble Scheiße geraten zu sein. Ganz ohne ihren psychotischen Ex-Freund.

Zur Nervosität gesellte sich Paranoia, die ihr als Hackerin bekannt war; mal unterschwellig, mal ausgeprägt, bis hin zu Phasen mit akuten Schüben und Angststörungen, bei denen Suna sich tagelang in ihrer Wohnung verschanzte oder sich rund um die Uhr mit dem ÖPNV bewegte, um kein leichtes, stehendes Ziel zu sein.

Schnell weiter. Hastig legte sie die neuen Suchparameter für Akilli ihtiyar fest, raffte die Smartphones an sich, packte Tablet und Laptop weg. Mit wenigen Handgriffen waren die Ladekabel der Powerbank angeschlossen, damit den Geräten unterwegs nicht der Saft ausging. Sie platzierte das Geld für den Kaffee auf den Tisch und verließ das Café.

Auf dem Weg zum nächsten Hotspot sah Suna sich immer wieder um, nutzte Scheiben und reflektierende Oberflächen, um hinter sich zu blicken.

Noch wusste sie nicht, was es mit den Particulae auf sich hatte, im regulären Netz fand sie nichts darüber. Dank ihrer anderweitig gewonnenen Erkenntnisse nahm sie an, dass es sich dabei um extraterrestrisches Gesteinsmaterial handelte. Offenbar gab es verschiedene Interessenten dafür; wer genau und wofür, war ihr nicht klar.

Mit den Meldungen über CERN und den Forschungsreaktor im französischen Cadarache, der offiziell noch nicht lief, erreichten die Infos einen neuen Level.

»Du hättest es Takahashi nicht sagen sollen«, schimpfte Suna leise vor sich hin und bog in eine Nebenstraße der Freßgass ab. In der Öffentlichkeit kamen ihre Selbstgespräche selten gut an, aber sie halfen ihr beim Nachdenken und Verarbeiten. »Da hast du dich mal schön selbst reingeritten.«

In den Spionagefilmen wurden Hacker und Mitwisser ausgeschaltet, wenn sie vom Plan und ihrem Auftrag abwichen. Ihr Puls stieg, Schweiß brach ihr aus und rann unter dem Hemd hinab.

»Scheiße.« Suna griff in ihre Jacke und nahm einen Blister mit Beruhigungstabletten heraus. Sie würden sie körperlich träge machen, aber die guten Medikamente gegen Panikattacken stellten sie gedanklich kalt.

»Erledige deinen Job«, raunte Suna. In einer ruhigeren Gasse ging sie in die Hocke, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer, nahm den Laptop heraus und loggte sich in das offene WLAN ein, um den Router von Frieda Illmann zu nutzen, die offenbar hinter dieser Wand wohnte. »Mach einfach deinen Job. Nicht einmischen. Hab ich dir immer gesagt.«

Mit den hastig ausgepackten Smartphones ging sie in zwei weitere, schlecht gesicherte WLAN von Bewohnern der Straße, Peter Uschmann und Theo Reuters, verband ihr Tablet damit und schaute, welche Neuigkeiten ihre emsigen Programme farmten.

Die Leute bemerkten nicht, dass Suna auf ihre Netzwerke zugriff und was über ihre Router und durch ihre Leitungen rann, bis sie möglicherweise eines Tages Besuch bekamen von dem Netzanbieter oder einem Sicherheitsteam. Das kam davon, wenn man die Passwörter nie änderte.

Während sie den Bericht an Takahashi fertig machte und eine Entschuldigung formulierte, flogen weitere Informationen herein. Zu Wilhelm Pastinak.

Sunas Finger kamen jäh auf der Laptoptastatur zum Erliegen. Sie starrte mit offenem Mund auf die Anweisung, die sie abgefangen hatte.

Auf dem Display blinkte in Englisch:

Bringt den alten Pastinak zum Schweigen!

Und das Umfeld ebenso.

Alles abgreifen, was ihr dort findet.

Auf Aufzeichnungen zu Türen achten.

Prämisse: Keine Particulae zurücklassen.

Suna blinzelte, eine Hitzewelle rollte durch sie. Wurde sie soeben Zeugin eines Mordauftrages?

»Scheiße. So eine beschissene Scheiße!« Aus einer simplen Beobachterin war plötzlich jemand geworden, der entscheiden konnte, was als Nächstes geschah. Das ging weit über das hinaus, was die Stiftung von ihr verlangte.

Was mache ich jetzt?

Es wäre ihr ein Leichtes, Wilhelm Pastinak zu kontaktieren und zu warnen – aber mit welcher Begründung? Dass sie aus Versehen die Nachricht erhalten hatte, glaubte ihr kein Mensch.

Eine weitere ging ein.

Lithos in Gefahr.

Liquidierung von Nikitin nötig.

Unfallverschleierung einleiten. Heute noch.

Bei Nachfragen: Liquidierung jeder betreffenden Person.

Code: Nachtschwarz.

Autorisierung: For The Uniform

»Ihr wollt mich doch verarschen«, wisperte Suna. »Das … das kann nicht sein!«

Sicher steckte Takahashi dahinter, um ihr eine Lektion zu erteilen und ihr indirekt zu drohen. Nein, das ist zu abwegig.

Aber sollten es ernst gemeinte Befehle sein, wurden zwei Menschen mit ihrem Wissen eliminiert. Das machte sie zur Beteiligten.

»Fuck!«, rief sie und starrte das Display an. »Was soll die Scheiße? Ich will nicht mit reingezogen werden!«

Sunas eigenes Smartphone klingelte, der Rufton meldete ihren Kumpel Egon. Sie betätigte die Annahme über die Bluetooth-Verbindung.

»Was?«, blaffte sie. »Ich hab jetzt echt keine Zeit für Schaumkuss …–«

»Jemand hat im Darknet ein Kopfgeld auf Nótt ausgesetzt«, unterbrach er sie. »Gerade eben!«

Suna gab einen Laut von sich, der zwischen Hilflosigkeit und Wahnsinn schwankte. Nótt. Das war ihr Hackerinname. Noch so ein Märchen- und Mythending. »Verarsch mich nicht, Alter. Ich hack dir deinen Spieleaccount tot, wenn –«

»Eine Million Euro. Für deinen Tod. Und wer deine Daten besorgen kann, sämtliche Daten«, fuhr Egon fort, »bekommt noch eine obendrauf.«

»Was heißt für meinen Tod? Kaltstellen und –«

»Nótt steht auf der Abschussliste, Suna! Einer echten, beschissenen Abschussliste! Es ist nicht irgendeine Drohung, um dich einzuschüchtern«, redete Egon aufgeregt weiter. »Was hast du gemacht? Wo bist du reingeraten? Welchem Arschloch bist du auf die Füße getreten? FSB? CIA? MI6? Mossad?«

Suna warf sich zwei weitere Pillen ein, um die Panik zu dämpfen, auch wenn sie damit mehr oder weniger zu einem Faultier werden würde. Was war der Auslöser? Ihre Nachforschungen für die Kadoguchi-Stiftung konnten es keinesfalls sein, dafür war die Liste der Suchbegriffe zu banal, zu harmlos. Es ging weder um Staatsgeheimnisse noch Bankzugänge oder Aktienmanipulationen. Sondern nur um Dreckstüren. Und elende Particulae – was immer das war. Oder sind das in Wahrheit irgendwelche Regierungscodewörter?

Dann fiel ihr noch eine Möglichkeit ein.

»Mein Ex. Irgendeine Scheiße von meinem Ex«, sprach Suna. Ihre Kehle und der Mund waren trockener als die Sahara. »Er kann diesen Kack angezettelt haben. Wie soll das Geld bezahlt werden?«

»Über Netcoins.« Im Hintergrund klapperte er auf einer Tastatur. »Der Aufruf verbreitet sich extrem schnell. Zwei Leute haben sich bereits gemeldet, die den Job machen wollen. Ex-Söldner. Nótt hat kaum Freunde, ne? Weißte selbst.« Egon senkte die Stimme. »Suna, sobald sie persönliche Daten von dir finden, bist du –«

»Das war so klar!« Aus dem Schatten einer Mülltonne trat ein junger Mann, den Suna bestens kannte. Orangefarbene Jeans zu weißen Shirts trug nur einer in ihrem Umfeld. »Immer noch die alte Hotspot-WLAN-Route. Es ist so leicht, dich zu finden.«

»Scheiße, der auch noch«, flüsterte sie. »Egon?«

»Ja?«

»Finde raus, wer das Kopfgeld aussetzte. Ich ruf dich gleich wieder an.« Suna beendete die Verbindung und erhob sich langsam, blieb dabei mit dem Rücken gegen die Hauswand gelehnt und hielt das Tablet in der Hand.

Ihre Finger flogen über die digitale Tastatur und setzten warnende Mails auf: eine an die Schreinerei von Wilhelm Pastinak, eine an die persönliche Website von Professor Nikitin. Sollten die Männer selbst entscheiden, was zu tun war.

Ohne aufzublicken, fragte Suna: »Was willst du, Stefan?«

Mit einem langen Schritt stand der dunkelblonde junge Mann vor ihr und nahm ihr das Tablet weg, bevor sie die Mails absenden konnte. »Schau mich gefälligst an, dumme Bitch!«

Sie ballte die Hände zu Fäusten und sah ihren einstigen Liebhaber an. Sie hatte ihn bereits nach einem Monat abgeschossen, weil er ihr nachgeschnüffelt und versucht hatte, an ihre Daten zu kommen. An ihre Programme. Er hatte an Nótts Geheimnisse und Wissen herangewollt, über die Gefühle der Frau. Der älteste Trojaner der Welt.

»Gib es mir zurück.« Sie entdeckte Abschürfungen, Prellungen und Blutergüsse in seinem eigentlich ansprechenden Gesicht. »Was ist mit –«

»Das waren Freunde von dir!«, schrie er sie an. »Du feiges Stück! Hetzt mir deine Türken-Assis auf den Hals.«

»Ich? Nein, ich …« Suna grabschte nach dem Pad. »Los, her damit!«

Stefan zog das Gerät weg und verpasste ihr eine Ohrfeige, die Suna zur Seite warf und auf die Knie fallen ließ. »Sie hatten sich maskiert, die Dönerficker. Der eine wurde von den Wichsern Xatar genannt. Wie der Türsteher vom Shishaversum. Dein guter Kollegah.«

Suna sah wütend zu ihm auf. »Ich hatte damit nichts zu tun.« Sie wich seinem ersten Tritt aus. Die Schuhspitze streifte die Wand, Putz bröckelte ab. »Bist du irre? Du –«

Der zweite Tritt traf sie in die Seite. Unwillkürlich krümmte sie sich und hielt sich die brennenden Rippen. Das Atmen tat weh, Tränen schossen ihr in die Augen.

»Das bezahlst du mit Schmerzen«, brüllte er und zertrampelte ihre Tasche. »Wie konnte ich dich mal geil finden, hä?« Knackend barsten die Smartphones und der Laptop unter der Wucht und dem Gewicht.

»Nein!«, rief Suna und wollte sich über die Computertasche werfen. Aber es war zu spät. Der stechende Geruch von sich zersetzenden Akkus und der Rauch verrieten, dass die zerstörte Powerbank durch eine Spannungsspitze eine Katastrophe angerichtet hatte.

»Und wenn sie dich im Krankenhaus zusammenflicken, wirst du an mich denken.« Stefan zog ein Klappmesser. »Und wenn du mir deine Kümmel-Assis wieder schickst, bringe ich dich um. Mir scheißegal, was du denen vorlügst.« Er machte einen Schritt auf sie zu und ließ den Tabletcomputer achtlos fallen, der halb aus seiner Hülle rutschte. »Du kannst sagen, du wärst mit dem Gesicht durch eine Glasscheibe gefallen.«

Suna stemmte sich hustend in eine sitzende Position. Sie hatte Xatar einmal von Stefan erzählt und was er mit ihr abgezogen hatte. »Ich wusste nicht, dass er losgeht und dich verprügelt.« Sie betastete ihre Seite. »Aber gerade wünsche ich mir, er hätte dir die Eier abgerissen.«

Stefan rammte ihr das Knie ins Gesicht.

Suna konnte sich eben noch wegdrehen, das Knie traf sie daher nicht frontal auf die Nase, sondern seitlich am Kopf und warf die junge Deutschtürkin gegen die Wand.

Eine Platzwunde tat sich auf. Benommenheit breitete sich gnädig in ihrem Denken aus. Sie sah Stefan undeutlich, schmeckte ihr eigenes Blut im Mund. Die Lippe war gerissen, und sie hatte sich auf die Zunge gebissen. Sie war ihm hoffnungslos unterlegen.

»Hey, Sie!«, erklang unvermittelt eine Frauenstimme. »Was machen Sie da?«

Stefan wandte sich um. »Geht Sie nichts an. Verschwinden Sie.«

»Ist das ein Messer in Ihrer Hand?«

»Verpiss dich!« Stefan hob den Arm und ließ die Klinge im Licht aufleuchten. »Und nicht die Bullen rufen.«

»Werde ich nicht.« Die unscheinbare Frau kam mutig näher – und zog eine Pistole unter dem Kurzmantel hervor. »Ganz sicher nicht.«

»Mit der Schreckschusswaffe machst du mir –«, setzte Stefan an.

Es knallte zweimal.

Suna sah das Shirt auf Stefans Rücken zucken, dann entstand dort ein centgroßes Loch, an dessen ausgefransten Rändern Blut haftete. Roter Sprühnebel verteilte sich hinter ihm, darüber schoss eine armlange Fontäne aus dem Hinterkopf. Leise prasselte das Rot auf den Asphalt.

Zuerst regte sich Stefan nicht. Dann verlor er das Messer und fiel steif wie ein Stück Holz rückwärts um und schlug auf der Straße auf. Es roch nach frischem Blut.

Suna wollte schreien, vor Angst, vor Grauen und um Hilfe. Doch aus ihrem geöffneten Mund drang nur ein leises, heiseres Fiepen.

Die Frau in Alltagskleidung kam näher und warf einen Blick auf die offene Tasche und die zerstörten Elektrogeräte. Sie ging vor Suna in die Hocke, um auf Augenhöhe mit der Verletzten zu sein. Sie war etwa vierzig, die halblangen blonden Haare hatte sie im Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Aus dem Lauf ihrer Halbautomatik stieg gräulicher Rauch, die abgefeuerte Waffe hielt sie lässig in der Rechten. »Suna Levent?«

»Nein. Nein, das bin ich nicht«, stieß Suna aus und atmete hektisch, trotz der brennenden Rippen. »Das ist eine Verwechslung.«

»Was wissen Sie über die Türen?«

»Welche –«

»Particulae? Das Ark-Projekt?«, hakte ihre Retterin nach. »Cadarache. Versuche mit Particulae. Lithos. Jules-Horowitz-Reaktor. CERN. Schreinermeister Pastinak.«

»Keine Ahnung. Wirklich, keine Ahnung! Es ist eine Verwechslung.« Suna hasste das Zittern, das sich über ihren Körper ausbreitete. »Sie müssen mich –«

»Aber Sie sind doch Nótt?«

»Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.«

»Sie haben Erkundigungen eingezogen.« Die Frau blickte auf die qualmende Computertasche. »Schade, dass das alles nur noch Schrott ist. Sonst hätte ich die Wahrheit gleich vor Augen gehabt.«

Sie weiß nicht, dass das Tablet unbeschädigt ist. Suna sah ihre Chance, Nikitin und Pastinak doch noch zu warnen. Das Auftauchen der Killerin bewies, dass nichts von dem, wonach sie gesucht hatte, harmlos war. Suna hasste Takahashi und die Stiftung aus ganzem Herzen dafür, sie in diese Lage gebracht zu haben. »Ich bin nicht Sundra Lovend oder wen immer Sie suchen.«

Die Frau lächelte kalt, knapp und müde. »Netter Versuch, Kleines.« Die Mündung schwenkte hoch und richtete sich auf die Stirn der Hackerin. »Tut mir leid. Wissen schützt vor Strafe nicht. Den Rest lasse ich mir von deinem Freund Egon erklären. Er weiß gewiss, wie ich an dein Back-up komme. Oder deinen Cloudspeicher.«

Die wird mich abknallen! Suna stieß sich mit ganzer Kraft von der Wand ab und warf die Frau um.

Fluchend ging die Killerin zu Boden. Krachend löste sich ein Schuss und verfehlte Suna um Zentimeter.

Suna hechtete nach Stefans Messer und packte es, schleuderte es mit einem Schrei nach der Frau und versuchte dann, das Tablet unter der Leiche ihres Ex-Freundes herauszuziehen.

Die Klinge wirbelte durch die Luft und traf überraschend präzise den zur Abwehr erhobenen Unterarm der Killerin, was die Frau zum Aufschreien brachte. Die Finger gaben die Pistole frei, sie klapperte auf die Straße. »Fuck! Team Alpha, greift sie euch!«

Sie ist nicht allein! Suna bekam das Tablet nicht unter Stefans totem schwerem Körper hervorgezogen. Die Hülle hatte sich verkantet. Blut verteilte sich über das geborstene Display, füllte die Sprünge und Risse. Sie erkannte zwei offene E-Mail-Fenster.

Ein weiterer Schuss krachte, neben Suna platzte ein Stück Mauer ab.

Die Killerin tastete mit ihrem unverletzten Arm nach der verlorenen Pistole. »Das war es für dich, Nótt!«

Schritte verrieten, dass das alarmierte Team anrückte. In etwa drei Sekunden wären die Leute hier.

Die Zeit reichte allerhöchstens aus, um eine Mail auf den Weg zu schicken – aber an wen?

Professor oder Schreinermeister?

Und wenn sie stattdessen die Flucht ergriff? Drei Sekunden Vorsprung waren entscheidend. Lebenswichtig.

»So eine Scheiße!«

Nikitin und der Reaktor, der offiziell noch gar nicht lief und Experimente mit etwas namens Lithos machte?

Pastinak und seine Türen mit Particulae samt Aufzeichnungen?

Oder ihre eigene Sicherheit, um dem Mysterium auf den Grund zu gehen, das zu ihrem Kopfgeld geführt hatte?

Die Schritte näherten sich rasend schnell.

Die Killerin bekam ihre verlorene Pistole zu greifen.

Sunas drei Sekunden waren fast um.

Eine Entscheidung musste getroffen werden.

Eine Entscheidung auf Leben und Tod …

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Kapitel I

Deutschland, Frankfurt am Main, Spätsommer

So eine Scheiße!« Suna warf sich herum und ließ den zerstörten Tabletcomputer unter Stefans ausblutender Leiche zurück. Ihr Leben ging vor. Sie musste es bis in das nächste Café schaffen, in die Öffentlichkeit, dahin, wo es Menschen gab, die Schutz bedeuteten. Danach kümmere ich mich um die anderen zwei.

»Hier Teamleader Alpha«, erklang es hinter ihr verzerrt aus einem Funkgerät. »Hängen fest. Wiederhole, hängen fest! Zugriff nicht möglich.«

Die Killerin fluchte. »Beeilt euch. Haltet mir den Rücken frei.«

Suna biss die Zähne zusammen, rannte geduckt auf das Ende des Durchgangs zu. Sie bekam mehr als drei Sekunden, und das nutzte sie voll aus.

Immer näher rückte der Ausgang aus der Gasse. Suna rann Schweiß in die Augen, Anstrengung und Angst trieben ihr das Wasser aus den Poren.

»So eine verfickte Kackscheiße!«, keuchte sie stoßweise.

Erneut knallte es hinter ihr.

Dann folgte der Schmerz.

Er begann im Oberkörper, dicht neben der Wirbelsäule, ein Stechen wie von einer glühenden Kippe, die sich unauslöschlich durch ihren Leib brannte. Fuck! Ganz deutlich spürte Suna den Weg der Kugel durch ihren Körper, das Abprallen von der Rippe, das Trudeln des Projektils durch die inneren Organe und das Zerfetzen ihres Herzens. Aber es gab nicht auf und pumpte sinnlos weiter, was die restlichen Kammern hergaben. In ihrer Brust breitete sich flüssige Wärme aus.

»Fuck, fuck, fuck!« Suna verlor die Kraft in den Beinen. Weniger als einen Meter vor dem Ausgang der Gasse brach sie zusammen. Das Atmen gelang ihr kaum, Blut lief aus der kaputten Lunge in die perforierte Speiseröhre und rann über ihre starren Lippen.

Die Fotze hat mich erschossen! Zu gerne hätte sie geschrien, stattdessen starrte sie auf den rissigen Asphalt, auf den ihr Blut floss. Nichts an ihr ließ sich mehr bewegen, sie lag leblos da wie eine Puppe. Die Hurenschlampenfotze hat mich einfach abgeknallt!

Suna hatte niemanden retten können. Nicht Nikitin, nicht Pastinak, nicht einmal sich selbst. Die falscheste Entscheidung ihres Lebens, falscher, als sich mit dem Wichser Stefan einzulassen.

Jemand packte ihr Bein und schleifte sie zurück, ihr Kopf hüpfte über Unebenheiten.

Suna fühlte keine Schmerzen mehr, ihre Sicht verlor die Schärfe, und Kälte brach über sie herein. Sie kannte das Gefühl des Kreislaufzusammenbruchs, aber nie war eine Kugel schuld daran gewesen. Einfach erledigt. In den Rücken geschossen, dachte sie unentwegt. Jeder andere Gedanke ließ sich nicht greifen. Es blieb nur repetierender Unglaube.

»Ich hab sie«, sagte die Killerin schräg über ihr, die sie tiefer in die Gasse zerrte, weg von neugierigen Augen. »Wo seid ihr, Team Alpha?«

»Noch eine Minute. Dann evakuieren wir Sie«, erwiderte die Funkgerätstimme.

»Keine Evakuierung. Ich komme raus. Schickt ein Fahrzeug zum Einsteigen.«

»Und die Hackerin? Kommt sie freiwillig mit?«

»Nein. Sie ist tot.«

Bin ich nicht!, schrie es in Suna. Ihr Verstand wehrte sich gegen das Ende.

Nach zwei Sekunden Stille drang es aus dem Funkgerät: »Wiederholen.«

»Das war kein Versehen.«

»Ich dachte, die –«

»Beeilt euch.« Die Killerin unterbrach das Gespräch.

Suna wurde losgelassen und auf den Rücken gedreht, sodass der Blick aus ihren braunen Augen unfokussiert in den sommerblauen Himmel fiel, bis sich das Gesicht der Fremden ins Bild schob. Der Tod war etwa vierzig, trug die halblangen blonden Haare im Pferdeschwanz und sah sehr gewöhnlich aus. Es gab nichts an ihm, was ihn von anderen abhob. »So, Kleines. Dann machen wir mal eine Liebestragödie draus.«

Suna fühlte, dass ihr zerstörtes Herz nach einem letzten Stottern aufhörte zu schlagen. In ihrer Körpermitte wurde es wärmer, als zerflösse ihre Lebensenergie.

Aus der Panik wurde Friede. Sie dachte an ihre Eltern, an die schöne Kindheit, an ihren ersten Computer, an Abende am Strand der Piratenbucht neben den Ruinen der antiken Stadt Antiochia ad Cragnum nahe Gazipasa, an einen verbotenen Schluck Wein, der so süß geschmeckt hatte wie der Kuss von Cem. Suna konnte das Meer und den Wein riechen.

Vorbei.

* * *

Laetitia sah über die Schulter, von wo sie ein Quietschen und schnelle, schwere Schritte vernahm. Ich hoffe, es ist die Kavallerie.

Gunnar bog in seiner Tarnung als Stadtreiniger mit Schiebewägelchen in die Gasse. Der dunkelhaarige Mann war ein Hüne, aber die orangerote Kleidung machte ihn erstaunlich unauffällig. Die Magie des Alltags.

»Bist du irre?« Gunnar stellte hinter sich einen Absperrungspylonen auf, hetzte zur gegenüberliegenden Seite der Gasse und platzierte dort den zweiten. Geschickt wich er dabei dem Toten in den orangefarbenen Jeans und dem weißen Shirt aus, der frische Schnittwunden an den Armen trug, und der Blutlache, die sich aus den Löchern in Brust, Rücken und Hinterkopf auf dem Asphalt ausbreitete. »Wieso hast du die Hackerin erschossen?«

Laetitia zeigte die Gasse entlang, eine rote Blutspur markierte den Fluchtweg. »Sie wäre mir sonst abgehauen. Und untergetaucht.«

»Wir wissen, wo sie wohnt und wo dieser Egon wohnt. Sie konnte nicht verschwinden.« Gunnar blickte nervös zwischen den Zugängen hin und her. »Was jetzt?«

»Ich habe sie ein bisschen drapiert.« Sie deutete zwischen den Toten umher. Suna Levent in ihrer niedlichen Pseudo-Broker-Aufmachung hielt die Pistole wie eine Animefigur mit beiden Händen umklammert und wies ebenfalls Stichwunden auf. »Er hat ihr aufgelauert und angegriffen, sie kämpften miteinander.« Mit der Schuhspitze tippte sie das Taschenmesser am Boden an, das sie sich zuvor aus dem Arm gezogen und gereinigt hatte. »Dabei kamen die Waffen zum Einsatz. Sie versucht zu entkommen, er zieht sie da vorne zurück, sie bekommt die Pistole zu greifen. Peng, peng. Er nimmt ihr die Knarre im Sterben ab und peng.«

»Hast du die Waffe ausgelöst? Ich meine, nachdem du sie ihr in die Hand gedrückt hast?«

»Nein. Schussgeräusche wecken Aufmerksamkeit.« Laetitia verstand seine Intention. »Es geht dir um die Schmauchspuren.«

»Wenn die Kriminaltechnik keine findet, werden die Bullen stutzig.« Gunnar brummte unzufrieden. »Das hätten wir anders lösen müssen.«

»Ihr hättet da sein müssen.«

»Wir standen im Stau.«

Laetitia gab ein kurzes Lachen von sich. »Es ist jetzt eben so.« Sie deutete auf die rauchende Tasche, in der die Hackerin ihre Ausrüstung transportiert hatte. »Das ist Schrott. Aber das Pad funktioniert noch. Darauf habe ich etwas Interessantes entdeckt.«

»Zeig mir das im Wagen.« Gunnar bedeutete ihr, in die leere Tonne zu steigen, während er die Pylonen rasch einsammelte. »Ich will weg, bevor die Bullen im Hof auftauchen.«

Laetitia stieg in das saubere Gefäß und schloss den Deckel. Der Stich in ihrem Fleisch brannte. Kaum hockte sie im Reinigungswagen, krachten zwei weitere Schüsse, und sie zuckte zusammen. Gunnar hatte es nicht lassen können, Schmauchspuren auf die Finger der Toten zu bringen.

Er schob den Wagen an und rumpelte ihn über die Freßgass. Laetitia blieb ruhig. Sie saß in einem sicheren Versteck und vertraute sich dem Hünen an. Ändern ließ sich ohnehin nichts mehr. Um sie herum erklangen verstärkt laute Rufe, Sirenen näherten sich.

Im Halbdunkel der Tonne betrachtete sie die Wunde in ihrem Arm. Das Messer hatte die Sehnen verschont, die Finger arbeiteten, wie sie sollten. Die Ein- und Austrittswunden würde man spielend leicht tackern oder nähen können, es war keine komplizierte Verletzung. Das wär’s noch gewesen, dass mir das Gör meine Karriere ruiniert. Erleichtert wickelte Laetitia den Mantelärmel als Notverband um den Arm.

Danach sah sie sich den beschädigten Tabletcomputer an, verband ihn über Modem mit dem Server ihrer IT-Leute. Die beiden Warnmails an den Schreinermeister Pastinak und an Professor Nikitin löschte Laetitia, nachdem sie die Informationen kopiert und kommentiert an die Zentrale weitergeleitet hatte. Es eröffnete sich ihres Erachtens eine Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Vorausgesetzt, man fädelt das Ganze geschickt ein.

Es dauerte eine Weile, bis das Wägelchen anhielt und der Deckel über ihr geöffnet wurde.

»Kannst rauskommen. Alles safe.« Gunnar half ihr beim Aussteigen. Er hatte seine Stadtreinigungskleidung abgestreift, stand nun in Unterwäsche und Achselholster mit einer Walter CCP vor ihr im Laderaum eines Kleinlasters mit kleinen getönten Scheiben, der just anfuhr. Es machte ihm nichts aus, seine Muskelberge zu zeigen. »Lass Hellmond nach dem Schnitt sehen. Sie ist Ärztin.«

Draußen zogen die Hochhausfassaden vorbei, der Wagen verließ die Innenstadt und bewegte sich rasch in die Außenbezirke, vermutlich in Richtung Offenbach. Dort hatten sie ein Hotel bezogen.

»In Ordnung.« Laetitia legte den Mantel ab, setzte sich auf die schmale Pritsche und hielt Hellmond die Wunde hin. Die Frau in Straßenkleidung griff nach dem Rettungssanitäterrucksack und machte sich ans Desinfizieren und Inspizieren. »Wohin fahren wir?«

»Über einen kleinen Umweg zu Egon, dem Freund von dieser Levent.«

»Nein.« Laetitia biss die Zähne zusammen, als ihr Hellmond eine lokale Betäubung an den Wundrändern setzte, um in Ruhe nähen zu können. »Wir brauchen ihn nicht. Und es würde unsere Liebesdrama-Inszenierung ruinieren.«

»Wie bekommen wir sonst Zugriff auf die Daten der Hackerin?«

Laetitia hob andeutungsweise das Pad. »Haben wir bereits. Alles geprüft. Unsere IT-Cracks sitzen schon dran.« Sie grinste, als sich ein Gedanke anschlich.

»Warum dieses zufriedene Gesicht?«

»Ich habe eine ziemlich gute Idee.«

Gunnar schnaubte und schlüpfte in eine Hose, wobei seine Brustmuskeln und der Bizeps anschwollen, als wollte er den Stoff zerreißen. »Dann sperre ich dich öfter in die Tonne.«

Hellmond lachte leise. »Und?«

»Ich hab mir angesehen, was Levent an Informationen besorgt hat. Sie konnte die Zusammenhänge nicht sehen, dafür wusste sie zu wenig über die Hintergründe.«

»Du hältst sie wirklich nur für eine Beschafferin?« Gunnar zwängte sich in ein enges Matrosenshirt und richtete die kurzen dunklen Haare, dann schlüpfte er in Turnschuhe. »Sie ist nicht involviert?«

Laetitia nickte. »Ich sah ihr in die Augen, als ich ihr ein paar Stichworte gab. Weder Particulae, das Ark-Projekt noch Cadarache, Lithos, CERN oder Schreinermeister Pastinak lösten etwas bei ihr aus. In ihrem Gesicht flackerte nichts Verräterisches auf.«

»Sie könnte gut ausgebildet worden sein.«

»In ihrem Alter und mit einem Jahresvorrat an Beruhigungsmitteln in der Tasche, damit sie nicht in Panik verfällt, wenn ein Eichhörnchen sie anfiept? Nein. Nur ein Nerd.« Laetitia entfernte die schmutzige, blutige Hülle vom Pad und tupfte das gerinnende Rot vom geborstenen Display; das Blut saß tief in den Sprüngen und Rissen. Es gab dem Gerät eine unerwartet künstlerische Note. »Sie hat sich die Finger an den Informationen verbrannt.«

»Was hat das mit deiner Idee zu tun?« Gunnar setzte sich neben sie.

»Levent war für die Kadoguchi-Stiftung tätig. Du weißt, was sich angeblich in deren Räumlichkeiten verbirgt? In der Zentrale in Tokio?«

Gunnar machte eine zustimmende Miene.

»Das ist die Gelegenheit, um deren Schlagkraft auszuloten. Takahashi muss entscheiden, was er mit den erhaltenen Informationen tun möchte.« Laetitia vergrößerte die Artikel, die sie im Netz zu Nikitin und Pastinak gefunden hatte. »Diese beiden Männer besitzen Schätze, die nicht von dieser Welt sind.«

»Und?«

»Beide sollen umgebracht werden. Damit verschwänden Wissen und Dinge für lange Zeit, wenn nicht sogar für immer.« Sie lächelte und rieb die Finger, blutfeucht vom Bedienen des Pads, an der schmutzigen Hose ab. Sie freute sich auf eine Dusche. »Ich bin mir sehr sicher, dass die Stiftung einschreiten wird.«

Nun lachte Gunnar. »Kadoguchi soll die Kastanien aus dem Feuer holen!«

»Und wir beide holen uns die leckeren, gerösteten Kastanien, sobald sie ein wenig abgekühlt sind«, ergänzte Laetitia. »Gegen einen Konzern ins Feld zu ziehen und eine Forschungseinrichtung zu plündern, das ist mir eine Nummer zu groß. Wer weiß, wie viele mächtige Freunde PrimeCon hat? Und einen alten Schreiner foltern, bis er Geheimnisse verrät, nun, das ist auch nicht unbedingt das, was ich tun möchte.«

»Sagte die Frau, die gerade zwei Menschen umgelegt hat«, kommentierte Hellmond und zurrte die letzte Naht fest.

Laetitia zeigte auf Gunnar. »Frag ihn. Er wird bestätigen, dass mir Mord nichts ausmacht. Schnelles Ende und fertig. Aber dieses Nägelziehen und Geschreie, Säure, Strom, die ganze Sauerei, nein, das ist nichts für mich.« Sie sah auf die mit Fäden verschlossenen Wunden. Was zum Teufel? »Gab es dafür nicht mal Wundkleber? Ich will keinen Narben!«

»Ich bin mehr der altmodische Typ.« Hellmond legte einen schützenden Verband um die Stelle. »Man sieht schneller, ob sich etwas entzündet oder nicht. Gut eincremen, und es bleibt nix zurück.«

»Dein Plan hat einen Fehler«, bemerkte Gunnar.

»So? Welchen?«

»Wenn die Kadoguchis nichts tun, sind wir am Arsch und bei beiden Angelegenheiten raus. Du hast die Mordaufträge gesehen? Da stecken PrimeCon und die Arkus-Spinner dahinter. Sie haben ihre Leute vielleicht schon losgeschickt! Ich glaube nicht, dass wir –«

Laetitia tippte auf dem Pad. »Überlass das ruhig mir und unseren IT-Nerds. Und ich werde Nótts Erkenntnisse dramatisieren. Die Stiftung kann nicht anders, als sich zu engagieren.« Sie gab ihrer Stimme eine theatralische Note. »Das Schicksal der Welt und so!«

»Das Schicksal der Welt.« Gunnar verzog die Lippen. »Na, dann hoffen wir, dass die Nerds und du gut im Fabulieren sind.«

»Ich hatte immer Einser, wenn es um das Ausdenken von Geschichten ging.« Laetitia schrieb an der Mail, die sie Takahashi senden würde. Als Suna Levent. Dass es ihre letzte Nachricht wäre, steigerte das Drama. Gut für uns.

Ihre Organisation, an deren Spitze seit Kurzem ein Mann stand, der sich schlicht Sir nannte, brauchte die Particulae und die Pläne, mit denen man die Zeit zurückdrehen konnte. Um sie zu verändern. Zu unseren Gunsten.

Die Mail ging nach wenigen Minuten mit einem rauschenden Geräusch raus in die Weiten des Internets. Gleich darauf flackerte das Display des angeschlagenen Tabletcomputers und erlosch.

Unsere Technikabteilung bekommt das wieder hin. Schickes Ding. Laetitia befahl der Fahrerin, Gas zu geben.

* * *

Japan, Tokio, Frühherbst

»Guten Abend, Mistress und Mister Bérgerac! Willkommen bei der Kadoguchi-Stiftung. Schön, dass Sie die Zeit fanden, mit uns zu feiern«, sagte Yūki Takahashi sein Sprüchlein mit maximaler Freundlichkeit in der Empfangshalle auf. Seine persönliche Assistentin raunte ihm vor jedem Gast den Namen zu, damit er sich und anderen keine Schande bereitete.

Zudem reichte er allen Angekommenen die Hand, was in Japan nicht üblich war. Asiatische Sitten waren mitunter steif und gaben gleichzeitig Halt, aber die Zeiten änderten sich, und bei einer international agierenden Organisation mit Gästen von sämtlichen Kontinenten passte er sich den Gepflogenheiten an. Für diesen Tag.

Die Bérgeracs verbeugten sich im Austausch ungelenk, um zu zeigen, dass sie den Reiseknigge gelesen hatten.

Yūki lächelte erfreut. »Meine Mitarbeiterin führt Sie gerne ein wenig in unserem Gebäude und den Ausstellungsräumen herum und bringt Sie selbstverständlich in die Halle, wo wir den Festakt begehen. Genießen Sie den Aufenthalt, Mistress und Mister Bérgerac.«

Nach einigen Höflichkeitsfloskeln verschwand das Paar, geführt von der eigens abgestellten Mitarbeiterin, zur Garderobe und von da zur Tour durch die Etagen der Stiftung.

Yūki atmete einmal durch und richtete den maßgeschneiderten schwarzen Anzug, zu dem er ein weißes Hemd und einen weinroten Schlips trug. »Wie viele noch?«

»Noch achtzehn, Takahashi-san.« Keiko Nakatomi, seine persönliche Assistentin im Businesskostüm, sah auf die Liste auf ihrem Pad; über das Headset koordinierte sie und gab seine Anweisungen weiter. »Sechs davon sind auf dem Weg nach oben, sagt der Concierge.«

Die Empfangshalle war puristisch und japanisch schlicht gehalten. Moderne Bauelemente mischten sich mit dunklem Holz, sattgrünen Bambusbäumen und weißlichen Papierwänden – in Dimensionen, als wären sie für Riesen errichtet worden. Jeder kam sich hier wie eine Spielzeugfigur in einem übergroßen Puppenhaus vor. Über allem schwebte ein hauswandhohes Bild des Fuji-san, des heiligen Berges Fudschijama. Der Mensch sollte sich klein und nichtig fühlen.

Der Lift öffnete sich und gab die neuen Besucher frei, die sich leicht versetzt auf den Eingang zubewegten. Vorweg ging eine Frau Ende zwanzig, die es offensichtlich gewohnt war, in hohen Absätzen und engen Kleidern zu gehen; beides stand ihr perfekt. Ihre Garderobe wirkte elegant, vielleicht einen Hauch zu offensiv, aber so clever geschnitten, dass sie nicht ihr Dekolleté, sondern ihren Nacken betonte. Diese Stelle galt in Japan als überaus attraktiv. Ihre blonden Haare trug sie kurz, der Undercut verlieh ihr Strenge.

»Milana Nikitin«, las Nakatomi vor, nachdem sie das Gesicht mit dem Porträt auf dem Display abgeglichen hatte. Ihre Stimme verriet, dass sie sich wunderte. »Sie ist die Tochter von Professor Sergej Nikitin.«

Yūki runzelte die Stirn und ließ sich die elektronische Liste zeigen. Deutlich prangte der Name der Russin darauf. »Ich kann mich nicht erinnern, ihre Einladung unterschrieben zu haben.«

Nakatomi deutete eine Verbeugung an. »Ich werde umgehend prüfen lassen, wie sie eine Einladung ohne Ihre Unterschrift bekommen konnte, Takahashi-san.«

Milana hielt einen Schritt vor ihnen an und verbeugte sich gekonnt, nicht zu tief und nicht zu gering. »Guten Abend, Mister Takahashi. Danke für die Einladung.« Sie überreichte den personalisierten Ausdruck an die Sekretärin, um ihn scannen zu lassen.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Miss Nikitin.« Yūki fielen ihre blauen Augen auf, in denen sich Strenge spiegelte.

»Und lassen Sie mich betonen, dass es mir eine Ehre ist, in absehbarer Zeit für die Kadoguchi-Stiftung tätig sein zu dürfen«, fügte Milana hinzu. »Es ist mein erster Auftrag außerhalb von Russland, und ich versichere Ihnen, dass ich Sie nicht enttäuschen werde.« Nochmals verneigte sie sich.

Wovon redet sie? Yūki wusste nichts zu erwidern und beschränkte sich auf ein Lächeln. Lächeln ging immer. Ein westlicher Geschäftsmann hätte an dieser Stelle nachgefragt, was sie meinte, doch die Höflichkeit verbat es einem Japaner. Er würde das Gesicht verlieren, weil er keine Kenntnis vom Sachverhalt hatte, und sie wäre beschämt, weil sie sich erklären müsste.

Daher sagte er nur: »Meine Mitarbeiterin führt Sie gerne ein wenig in unserem Gebäude und den Ausstellungsräumen herum und bringt Sie selbstverständlich in die Halle, wo wir den Festakt begehen. Genießen Sie den Aufenthalt, Miss Nikitin.«

Milana schenkte ihm ein Lächeln. »Ich werde die Räumlichkeiten genau studieren, Mister Takahashi, und analysieren. Damit ich Ihnen mehr bieten kann, als Sie und die Kadoguchi-Stiftung jetzt schon präsentieren. Sie machen es mir nicht leicht, das sehe ich.« Nach einer zweiten Verbeugung folgte sie der Mitarbeiterin.

»Takahashi-san, es tut mir leid«, sagte Nakatomi, die auf dem Display wischte und nach Vermerken suchte. »Ich habe keine Ahnung, wovon Miss Nikitin gesprochen hat.«

»Das wird mir der Mensch erklären, der sie eingeladen hat.« Yūki vermutete, dass der Professor selbst dahintersteckte. Es bot sich an, seine Tochter bei einer feierlichen Veranstaltung zu platzieren, damit diese als Eventmanagerin für besonders Betuchte Akquise unter den Gästen betreiben konnte. »Ich nehme an, ihr Vater wird es in die Wege geleitet haben. Erkundigen Sie sich nach der Party bitte bei ihm, warum er damit nicht zu uns gekommen ist. Und wer ihm half.«

»Ja, Takahashi-san.« Nakatomi schrieb eine Notiz an die Einladung.

Yūki blickte zum nächsten Besucher, einem jungen Mann, der offenbar nur ungern in Jackett, Krawatte und Stoffhose unterwegs war. Die kräftige Statur verriet, dass er körperliche Arbeit gewohnt war. Die langen braunen Haare trug er auf japanische Weise im Zopf. Das Gesicht sagte dem Gastgeber: nichts.

Ein Tag voller Überraschungen. »Wer ist das?«

Nakatomi suchte sich durch die Dateien der Besucher. »Ah, ich habe ihn. Anton Gärtner.«

»Das klingt deutsch.«

»Das ist korrekt. Aus Annweiler am Trifels, Takahashi-san.«

Noch jemand, an dessen Einladung sich Yūki nicht erinnerte. Dabei hatte er ein wirklich gutes Gedächtnis. Aber bei dem Namen Annweiler klingelte eine Alarmglocke in seinem Verstand. »Wieso ist er eingeladen?«

»Das … steht hier nicht«, gab Nakatomi verwundert zurück. »Angegeben ist lediglich: Fachmann für Holzinnenausbau.«

Yūki kannte keinen Grund, einen Schreiner zur Gala der Kadoguchi-Stiftung einzuladen. »Checken Sie das Internet«, konnte er gerade noch sagen, dann stand der Deutsche vor ihm. »Mister Gärtner, seien Sie willkommen bei unserer kleinen Feier.«

»Ich bedanke mich, Mister Takahashi«, erwiderte er mit einem akzentbehafteten Englisch. »Diese Einladung bedeutet mir viel, müssen Sie wissen. Einen japanischen Auftraggeber hatte ich bislang nicht. Es wird mein Portfolio erweitern. Und Sie werden sehen, dass ich mindestens so exakt arbeite wie jeder japanische Schreinermeister.«

»Gewiss.« Wieder musste sich Yūki ins Lächeln retten.

»Gestatten Sie mir die neugierige Nachfrage: Hatten Sie schon Gelegenheit, meine Entwürfe zu betrachten?«

Yūki erkannte, dass intern gewaltig viel schiefgelaufen war. Weder wusste er von Entwürfen noch von einem passenden Projekt noch von der Einladung an Anton Gärtner. »Verzeihen Sie mir, Mister Gärtner. Es war einiges los. Ich kam zu nichts.« Er deutete auffordernd den Gang entlang. »Meine Mitarbeiterin führt Sie gerne ein wenig in unserem Gebäude und den Ausstellungsräumen herum und bringt Sie selbstverständlich in die Halle, wo wir den Festakt begehen. Genießen Sie den Aufenthalt, Mister Gärtner.«

»Gerne.« Gärtner nickte freundlich und ging los. Der Geruch von Rasierwasser hing in der Luft, auch noch viele Sekunden, nachdem der Schreinermeister sie passiert hatte.

»Ich habe keine Ahnung, Takahashi-san, wer das verbockt hat«, begann Nakatomi und malträtierte das Pad.