Dosenbier und Frikadellen - Klaus-Peter Wolf - E-Book

Dosenbier und Frikadellen E-Book

Klaus-Peter Wolf

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Beschreibung

Gina ist scharf auf Achim, er möchte eigentlich mit Ina gehen, doch auf die hat El ein Auge geworfen, dabei geht El eigentlich mit Gina. Achim hätte auch bei Bibi Chancen, aber das würde alles noch mehr verkomplizieren … Sie leben in einem Abbruchhaus, fahren gestohlene Motorräder, und zum Frühstück gibt es Dosenbier und Frikadellen. Dies ist die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher, die sich ihre eigenen Gesetze gegeben haben: von ihrem Zusammenleben, ihren wilden Überfällen und ihrem verzweifelten Kampf ums Überleben. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 255

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Klaus-Peter Wolf

Dosenbier und Frikadellen

Jugendroman

FISCHER Digital

Inhalt

Dieses Buch widme ich [...]1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344454647484950515253545556575859606162636465666768697071727374

Dieses Buch widme ich meinem Freund Didi.

 

„Ein Kranich weiß, was er tut, sagte Alibi. Immer unterwegs, den Schnabel vorneweg. Er hat den Himmel, und er hat die Erde, und er kann was damit anfangen.“

 

Christoph Meckel

1

Wenn du bei uns mitmachen willst, merk dir eins: Wir halten zusammen. Halten dicht. Alle. Wenn einer Zoff kriegt, hauen alle drauf. Und ich bin der Chef. Nicht, weil ich was in den Armen hab, sondern weil ich besser quatschen kann. Da macht keiner was dran. Klar? Was ich sage, das zählt. Ich rede, wenn die Bullen kommen, wenn was zu machen ist. Ich und nur ich. Du darfst Boß zu mir sagen, Boß oder El Ringo. Und damit dus weißt: Wir teilen alles. Kies, Schnaps, alles. Die Mädchen auch. Klar? Aber da mußt du aufpassen, daß du nicht an die belegten Brötchen gehst. Das gibt Stunk.

Aber woher weiß ich …?

Frag nicht, das siehst du bald. Wenn du eins vor die Musikbox kriegst, weißt du, was los ist. Die Gina zum Beispiel und die Lona und die Bibi, die sind fest. Da machste dich nicht dran. Alles andere ist okay. Aber ohne Maschine kannste unmöglich mitmachen. Das läuft wirklich nicht. Ne Kiste mußte dir besorgen, da führt nix dran vorbei.

Und die Kohle?

Kohle? Kohle! Wenn du dir alles kaufen willst, dann kannste gleich aufgeben. Ne richtige Karre, die kostet ’n paar Riesen. Was verdienste denn in der Lehre? Na los, wieviel?

Bin rausgeflogen. Schon vor drei Wochen.

Deine Alten wissen natürlich nix, oder?

Nee, bis jetzt noch nicht.

Ist auch egal.

El Ringo, der Boß, zieht seine abgeschabte Lederjacke zu, fummelt die Handschuhe aus dem Inneren des Motorradhelms, setzt ihn schnell auf, knöpft den Riemen unter der Kinnspitze zu, stülpt die Handschuhe über die Finger und schwingt sich auf die blankpolierte Honda.

Er überprüft noch einmal den Sitz des Helms, nickt dann seinem neuen Kumpel zu. Der Neue darf sich setzen.

Schön festhalten, sagt El Ringo väterlich. Denn er kümmert sich um die Leute seiner Gruppe. Dann heult der Motor dröhnend auf.

El Ringo gibt Gas, kuppelt, beschleunigt. Der Knabe hinter ihm bekommt kalte Ohren. El Ringo schneidet die Kurven, als wäre die gesamte Polizei des Kaffs hinter ihm her. Doch El Ringo will nur testen, wie sattelfest der Neue ist. Milchmädchenknaben kann er nicht gebrauchen, und wer einmal dabei ist, der ist dabei. Jetzt kann der Neue noch abspringen. Wenn er Muffe kriegt oder kotzen muß, kann er gleich gehen. Dann wird nichts aus dem Test.

Achim kneift die Augen zusammen und hält sich an dem Fahrer fest. Er umklammert El Ringos Bauch. Das mag der Boß zwar nicht, aber er sagt nichts. Schließlich ist Achim noch neu, und da darf er sich gewisse Schoten leisten.

Das wird sich abschleifen, denkt El Ringo.

Wenn die aus meiner alten Klasse mich so sehen könnten, denkt Achim, das wär phantastisch. Und wenn ich erst die richtigen Klamotten hab, bin ich wirklich dabei. Dann guckt mich keiner mehr schräg an, denn der Clan hält zusammen. Die lassen nicht zu, daß man mir ans Leder geht. Und die schlaffen Zeiten sind auch vorbei. Jetzt ist endlich was los. Die haben was zu trinken, oder sie wissen, wo sie es besorgen können, die machen Stimmung. Und die Frauen bei denen sind nicht so zickig. Die lassen sich schon mal anfassen, wollen einen nicht gleich ihren Eltern vorstellen. Das wird ein Leben. Jetzt fängt der Spaß erst richtig an. Endlich!

2

Gina sitzt vor dem Spiegel und überprüft kritisch ihren Lidstrich. Sie läßt ihn, wie er ist. Dann der Lippenstift. Sie hat zwanzig oder dreißig verschiedene Farbnuancen. Irgendwann war El Ringo ihr Gejammere, der Lippenstift passe nicht zum neuen Nagellack, auf die Nerven gegangen, und er besorgte ihr einen ganzen Karton voller Lippenstifte. Solche Dinge waren für El Ringo eine Kleinigkeit, darüber verlor er kein Wort. Er hatte den gewünschten Karton mitgehen lassen, und damit fertig.

Aufmerksam verfolgt Ina die Arbeit von Gina. Mensch, ich hätte auch Bock, mich jetzt aufzuputzen, so wie du.

Meinetwegen, sagt Gina und wirft Ina den Schminkbeutel hin. Ina fängt ihn auf und legt ihn vor sich auf den Tisch. Sie blickt zu Gina. Nee, lieber nicht. Hab ich schon einmal gemacht. Das war damals, wo ich mit dem blauen Auge kam, weißt du noch? Mein Gott hat mich mein Alter vermacht. Flittchen, meine Tochter ist kein Flittchen hat er geschrien und mir eins in die Fresse gehauen. Sogar die Strümpfe hat er mir abgenommen, das versoffene Schwein.

Damals warst du erst zwölf, nich?

Na und? Wenn ich in der Schule die Treppen hochging und meinen Rock anhatte, du weißt schon, welchen ich mein’, dann standen Lehrer da mit Stielaugen und guckten. Gina lacht. Du bist ’ne Nummer. Gehst du eigentlich mit einem fest?

Nö. Ich bin nur immer so mit dabei. Du weißt schon. Gina lacht übertrieben. Der Lippenstift färbt auf die Zähne ab. Solange du mir den Ringo nicht ausspannst ist es mir gleich. Bist du mir etwa böse, wegen neulich auf der Fete?

Nee, was denkst du. Ich hab nichts dagegen, wenn der sich mal austoben will. Soll er. Solange es nur Mädchen aus der Gruppe sind. Aber wenn ihn mir eine echt wegschnappen wollte, würd ich zum Tier.

Versteh ich. Ist auch ’n dufter Kerl, der Boß.

Das will ich meinen. Der läßt nie jemanden hängen. Wenn du den brauchst, ist er da. Und Muffe hat er nie. Als ich so alt war wie du, da hat der mal einen Lehrer verdroschen. Auf dem Schulhof, mitten in der Pause. Das war ’ne Sache. Meine Alten sind nie zur Schule gegangen, wenn ich Ärger hatte. Immer nur der Ringo. Wenn ich nachsitzen mußte, kurvte der unten mit seiner Maschine rum. Das war damals so ’ne geklaute BMW. Die machte einen Mordslärm. Dann wußte ich immer, daß er da war. Und dann konnte mir keiner was, und ich hatte keine Angst. Auch nicht vor dem Direx. Gina schraubt den Lippenstift wieder zusammen.

Tja, sagt Ina, der ist schon okay, der Boß. Da kannst du froh sein, daß du den hast.

Gina steht auf, geht zum Schrank, öffnet ihn mit einer einladenden Geste und sagt: Zieh dir was Vernünftiges an, wenn wir heute im Club einen neuen Macker aufnehmen, kannst du nicht wie Aschenbrödel rumlaufen. Hättest ruhig deinen Rock anziehen können. Wir fahren heute doch nicht rum. Wird nur ’ne stille Fete.

Gina nimmt einen Rock aus dem Schrank, hält ihn hoch und begutachtet ihn scheinbar skeptisch, dann wirft sie ihn vor Ina auf den Tisch. Da, zieh meinen an, der ist gut. Strumpfhosen sind da im Regal.

Schnell streift Ina sich die Jeans ab und steigt in den Mini. Längst aus der Mode, sagt Gina, aber macht die Typen immer unheimlich an. Geht nix über Mini, das sag ich dir.

Richtig, erwidert Ina. Sie zupft den Rock glatt, dreht sich einmal um sich selbst, setzt sich dann, schießt die zu hohen Schuhe in die Ecke, rollt die Söckchen runter, knubbelt sie ineinander und steckt sie in die Tasche der Jeans.

Während sie sich langsam die Strumpfhose anzieht, jeden Zentimeter Nylon genießt und stolz ihre Beine betrachtet, spottet Gina: Schon fast Vierzehn und noch Ringelsöckchen. Könnte an jedem Nagel einen Freier haben und hat Muffe vor dem Alten. Wenn wir uns um dich nicht kümmern, wird aus dir mal ’ne ganz schrullige alte Tante.

Ina hört kaum zu. Sie ist zu sehr mit der Nylonstrumpfhose beschäftigt.

Da hängt für sie ’ne Menge dran, denkt Gina und sagt: Jetzt mach schon. Oder biste nicht neugierig auf den neuen Macker?

3

Bibi räumt den Schuppen auf. Sie pustet den Staub von den Schallplatten, fegt die Asche vom Fußboden auf und lüftet den Laden.

Wenn sie es nicht tut, macht es keiner.

Die anderen, sagt Bibi oft, könnten im Dreck ersticken und würden es nicht merken. Nur ihre Maschinen, die halten sie gut in Schuß. Erst kommen die Maschinen, dann die Frauen. Bibis Augen tränen ab und zu, denn sie hat sich vor kurzer Zeit Kontaktlinsen für die Augen gekauft. Die Brille störte zu sehr. Beim Knutschen und überhaupt. Ein Rockergirl mit Brille, das läuft nicht, sagen die anderen. Was die anderen sagen, ist für Bibi sehr wichtig. Wegen der anderen hat sie sich auch die Zöpfe abschneiden lassen und läuft jetzt mit einem Rattenkopf rum. Ihre Mutter heulte, als sie ihre Tochter so sah: Die schönen Zöpfe!

Bibi ist das egal. So ziemlich wenigstens. Es zählt nur, was die in der Gruppe sagen, die Exies sind mir schnuppe, denkt Bibi. Ich hab hier mein Zuhause. Man gehört nicht dahin, wo man geboren wurde, man gehört dahin, wo man geliebt wird.

Bibi legte eine der LPs auf. Die anderen hören fast immer harte Sachen. Bibi ist mehr für sanftere Musik.

Sie sieht die leeren Bierkästen und fragt sich, wer heute neuen Stoff anschleppen wird.

Sie erkennt Micks Maschine sofort. Schnell schließt sie die kleinen Fenster. Mick mag keinen Durchzug. Er hat es lieber warm – stinkig warm. Wie immer tritt Mick die Tür mit der Hacke auf.

Hallo, sagt Mick. Am Putzen?

Ja, warum?

Mick grinst. Hab Pullen mitgebracht. Auch Likör für Gina und dich. Astrein. Ich dachte schon, das wird sonst ein trockener Abend. Aber bei uns nicht, Mädchen.

Mick stellt die Flaschen auf den Boden. Bibi kniet sich vor den Alkoholvorrat und nimmt jede Flasche einzeln in die Hand. Kirsch. Stark. Den mag die Gina auch so gerne.

Mick lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und fischt den schwarzen Tabaksbeutel aus der Tasche, um sich eine Zigarette zu drehen.

Machste mir auch eine? Bibi wirft ihm einen flüchtigen Blick zu. Mick streckt die Beine aus, stemmt sich gegen die Wand und rutscht langsam daran runter, bis er am Boden sitzt. Das macht er immer so. Das hat er lange geübt. Das sieht unheimlich cool aus, findet er. Wenn neue Mädchen im Schuppen rumhängen, und noch nicht wissen, wie hier der Hase läuft, dann fixiert er sie, dreht sich betont gleichgültig eine Zigarette und rutscht langsam an der Wand runter. Wenn er sitzt, hält er die Selbstgedrehte dem Mädchen hin. Wortlos, einfach so. Wenn die Puppe dann anspringt und zu ihm kommt, um sich den Stengel zu holen, dann grinst Mick, denn er hat gewonnen. Er wartet, bis sie nach der Zigarette greift, dann haut er ihr mit seinen Beinen die Knochen weg. Die Knochen weghauen, so nennt er das, wenn das Mädchen durch einen wuchtigen Stoß gegen beide Schienbeine das Gleichgewicht verliert und auf den Boden fällt. Er beherrscht das Spielchen exakt. Er weiß vorher, wo die Kleine landet. Mick empfängt sie mit beiden Armen, mildert den Fall, drückt sie dann an sich, sucht ihren Mund, dreht sich zur Wand und klemmt sein Opfer zwischen Wand, Boden und seinem Körper ein. Auf diese Weise ist er schon zwischen viele Schenkel gekommen.

Bibi kennt das. Aber es macht ihr nichts aus. Mick ist nicht gewalttätig. Im Gegenteil – er kann sehr zärtlich sein, und er schnurrt wie ein Kater, wenn man ihn im Nacken krault.

Diese Methode, Mädchen anzumachen – warum nicht? Mick quatscht wenigstens nicht erst dummes Zeug von Liebe und so. Bibis Augen werden wieder feucht. Scheiß Kontaktlinsen. Mick will ihr mit dem Finger eine Träne abwischen, aber Bibi wehrt ab.

Denk bloß nicht, daß ich heul! Is’ nämlich nur wegen der Kontaktlinsen. Ich hab die schon wieder zu lange drin. Ein Mist ist das.

Mick mag Mädchen, die schnell weinen. Er fühlt sich dann so männlich. Irgendwie überlegen. Diese kaltschnäuzigen Studentenweiber mag er nicht. Bibis Tränen sind im Augenblick nicht echt, und Mick kann die Kleine nicht trösten, aber sie stimuliert ihn trotzdem. Er streicht Bibi über die Haare, und spielt mit den braunen Locken.

Bibi versucht, verliebt auszusehen. Aber da sie immer nur den Versuch macht, wie ein Filmstar auszusehen, wenn sie jemanden anhimmelt, sieht es blöd aus, wie nachgemacht, dumm.

Mick lacht spöttisch.

Bibi ist wütend auf ihn. Sie steht auf und geht zu dem Schallplattenapparat. Mick richtet sich langsam wieder auf und stelzt hinter ihr her.

Nu mach kein Scheiß. Er will sie umarmen und an sich ziehen, aber als er sie anfaßt, weicht sie zurück.

Laß mich. Bibi zuckt hilflos mit den Schultern.

Mick hat keine Lust, sich mit ihr rumzuärgern. Er knallt ihr eine Hand auf die Arschbacken und sagt wütend: Leck mich doch! Und dann geht er zur Tür hinaus.

Machs dir selber! schreit Bibi hinter ihm her und streckt die Zunge raus.

Mick sieht es nicht. Er dreht sich nicht mehr um. Er dreht sich nie nach jemandem um. Wenn er geht, geht er stur weiter. Bevor die anderen alles aussaufen, zieh ich mir eine Pulle an Land, denkt Bibi. Sie nimmt sich einen Flasche Kirsch, dreht den Verschluß auf, trinkt einen Schluck, schraubt die Flasche sorgfältig wieder zu und versteckt sie zwischen zwei Matratzen. Dort findet sie auch noch eine angebrochene Packung Zigaretten. Sie steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündet sie an. Dann geht sie zum Plattenspieler und legt eine Platte von Elvis auf. Sie dreht den Lautsprecher voll auf. Elvis kann für sie nicht laut genug sein. Im Grunde mag sie diese Art von Musik nicht. Aber wenn man sie oft genug hört …

Sie stellt sich breitbeinig vor den Plattenspieler, schließt die Augen, inhaliert den Zigarettenrauch, wiegt sich im Rhythmus der Musik, zerwühlt sich die Haare und fühlt sich mit der Welt eins. Mick sieht ihr durchs Fenster zu. So gefällt sie ihm. Biegsam, geschmeidig, ganz dem Rhythmus hingegeben. Scheinbar hat sie nicht bemerkt, daß er mit seiner Maschine nur zur Beruhigung eine Runde um den Schuppen gefahren ist.

Mick tigert in den Schuppen zurück. Bibi bemerkt ihn nicht. Sie ist ganz außer sich, hat nur noch den Qualm der Zigarette und den Elvis-Sound im Kopf.

Mick steht in der Tür, sieht ihren Hintern kreisen, wiegt sich dann selber im Takt, wackelt langsam von hinten an sie ran. Dann berühren sich ihre Körper. Scheinbar gleichgültig tanzt Bibi weiter. Sie öffnet nicht einmal die Augen. Micks Nähe tut ihr jetzt wohl. Ihr Gefühl kann nur noch gesteigert werden. Egal, ob Mick es ist oder einer von den anderen.

Mick drückt sich fest an Bibis Körper und vollzieht ihre kreisenden Bewegungen mit. Er will sie jetzt nicht aus dem Takt bringen.

Bibi reibt ihren Hintern an Micks Reißverschluß. Micks Hände machen sich selbständig, reiben, kneten, streicheln, wühlen sich durch Stoffe, Gummiband und Hosenbund in die enge Jeans hinein.

Nachdem der Knopf geschafft ist, platzt der Reißverschluß fast von alleine auf. Mick wischt mit seinen nervösen Fingern durch die feuchte Stelle zwischen ihren Schenkeln. Schon lange hat sich der Rhythmus der Musik geändert, doch Mick und Bibi behalten ihren Takt bei. Bibi schnippt die halbgerauchte Zigarette in die Ecke, dort glimmt sie auf dem Boden weiter. Noch hat Bibi die Augen fest geschlossen. Gleich wird sie merken, wer hinter ihr ist. Sie könnte wetten, es ist Mick. Vielleicht auch Lee, dessen Maschine mal wieder kaputt ist. So müßte man leben, denkt Bibi, leben und genießen, ohne erst zu fragen.

Die Jeans und der Slip hängen zwischen ihren Knien. Mick versucht sich mit einer Hand seine Hose abzustreifen. Bibis Hände formen irreale Figuren in der Luft.

Läßt einen einfach machen, hilft kein bißchen mit, denkt Mick verwirrt und nestelt an seiner Hose rum, ohne seine rechte Hand von Bibis Schenkeln zu nehmen.

Kaum hat Mick seine Hose geöffnet, da hört er schon die Maschinen der anderen. Sie stehen alle vor dem Schuppen. Durch die laute Musik konnten sie die Motorräder erst jetzt hören.

Mick und Bibi fahren mit einem Ruck auseinander. Bibi zieht sich hastig Jeans und Slip hoch. Mick schafft es nicht so schnell. Bibi zieht sich den Reißverschluß zu. Dann erst betrachtet sie Mick.

Er hat noch seine Lederjacke an, denkt sie.

Die Tür geht auf. Mick macht einen Schritt in die Ecke, um sich ohne störende Blicke die Hose zuknöpfen zu können.

Scheiße, sagt er laut.

Vergiß es, bemerkt Bibi und lächelt.

Der Boß hat einen Neuen mitgebracht.

El Ringo wuchtet zwei Bierkästen rein.

Zur Feier des Tages. Spende von der Pommesbude an der Ecke, damit wir beim nächsten Mal die Theke in Ruhe lassen.

Lautes Gegröle.

4

Verstört steht Achim im Eingang. Hier läuft alles ohne ihn. Gina und Ina sitzen in ihren kurzen Röcken auf den Matratzen und zünden sich Zigaretten an. El Ringo macht an seiner Gürtelschnalle eine Bierflasche auf. Mick greift sich auch eine Flasche und versucht, einen Witz zu reißen: Kommt einer zum Doktor und sagt, Herr Doktor, alle übersehen mich. Sagt der Doktor, der nächste bitte …

Nur Bibi lacht.

Lee wirft sich zwischen Gina und Ina auf die Matratze. Das war ’n Tag, meinste, ich hätte irgendwo die Ersatzteile für meinen Ofen gekriegt? Über’n Dutzend Parkplätze bin ich gelatscht, aber nix. Nur dicke Schlitten und eine Suzuki. Davon hab ich mir den Tacho abgebaut. Immerhin, aber sonst war nix. El Ringo grinst. Du immer mit deiner Scheißkarre. Besorg dir doch ’ne neue.

Achim weiß nicht, ob er sich setzen soll, seine Hände sind ihm im Weg. Wenn ich wenigstens eine Zigarette hätte, dann ständ ich nicht ganz so blöd da, denkt er.

Aber er will keinen um Tabak anbetteln.

El Ringo zeigt auf Achim. Da, dem Kleinen kannste gleich ’n Ofen mitbesorgen.

Lee schüttelt den Kopf. Soll sich selber eine klauen.

Sei nicht so vorlaut, Leonhard, das ist der Neue – steht unter meinem persönlichen Schutz. Klar?

Lees Muskeln spannen sich. Seine Augen werden bedrohlich klein. Du sollst nicht immer Leonhard zu mir sagen! brüllt er. Heißt du nicht so?

Lee will aufstehen. Ina hält ihn fest, raunt ihm zu: Laß doch, der will dich nur aufziehen.

Eben! antwortet Lee laut.

Ob das klar ist? faucht der Boß.

Was?

Daß der Neue unter meinem Schutz steht?

Ach der …

Ob das klar ist?

Mick mischt sich ein. Braucht der keine Mutprobe ablegen, oder was? Ist das dein jüngster Sohn? Oder wie versteh ich das?

Schnauze! schreit El Ringo.

Achim wird unsicher. Er überlegt, ob es nicht klüger ist, einfach abzuhauen. Bibi weiß, daß Mick sich jetzt nicht anpflaumen läßt, er ist noch zu sehr in Rage. Da muß sich sogar der Boß in acht nehmen.

Gina will jetzt keine Keile in der Gruppe sehen, schließlich sollte es eine gemütliche Fete werden. Sie rutscht auf der Matratze rum und bemüht sich, den Boß mit ihrem neuen Slip auf andere Gedanken zu bringen, doch der sieht gar nicht hin. Er steht da, eine Hand am Gürtel, in der anderen eine Flasche Bier und fixiert abwechselnd Mick und Lee.

Wenn er sich die Angelegenheit recht überlegt, will er auch keinen Stunk. Aber er darf jetzt nicht nachgeben.

Lee steht auf. Also?

Was also?

Plötzlich kommt dem Boß der erlösende Gedanke. Er brüllt Achim an: Steh nicht rum wie Piksieben! Ich denk, du willst zu uns gehören!

Genau, sagt Lee und läßt sich wieder auf die Matratze fallen. Bibi geht hinter El Ringo zum Plattenspieler. Auch El Ringo weiß, daß Achim nicht so blöd stehenbleiben kann. Er wirbelt herum, schubst Bibi auf Achim. Sie knallen beide auf den Boden.

Das reißt die anderen zu einer Lachsalve hin. Endlich mal ein Gag!

Schönen Abend wünsch ich euch! El Ringo grinst.

Verdattert steht Achim auf. Bibi streckt sich lang aus und denkt: ihr könnt mich mal. Schweinebande, lachen sich kaputt, weil ich ’n Adler mach.

Schönen Abend wünsch ich euch! wiederholt der Boß.

Der meint, du kannst sie haben! schreit Lee.

Achim nimmt Bibis Arm und will ihr auf die Beine helfen.

Hast du dir wehgetan?

Widerwillig läßt sie sich hochziehen. Nee.

Sie geht zum Plattenspieler. Achim trottet hinterher.

Er tut, als sähe er hier die besten Platten, die man sich vorstellen kann. Irgendwas muß er ja sagen.

Alle amüsieren sich über ihn. Er tut Bibi ein bißchen leid, außerdem ist er so unbeholfen nett, noch nie hat ihr einer beim Aufstehen helfen wollen, sie wurde immer nur hingeknallt. Sie holt zwischen Ina und Lee eine Zigarette unter der Matratze vor.

Aha, ihr geheimes Lager, denkt Lee und entdeckt den Likör. Bibi hält Achim eine Zigarette hin. Dankbar nimmt er an. Sie gibt ihm Feuer.

Mick merkt an Bibis Augen, daß der Neue nicht ganz chancenlos bei ihr ist. Er geht nicht fest mit Bibi, aber es ärgert ihn trotzdem. Der kommt hier einfach rein, stört ihn und macht die Bibi an. Wenn wenigstens die anderen bald kämen.

Rauchen kannste aber schon selbst, oder? fragt Mick. Achim weiß, daß jetzt jede Antwort falsch ist. Er schweigt. Ina rückt zu Mick rüber. Du willst wohl unbedingt Stunk, was? Guck mich lieber an, ich hab ’n neuen Mini an!

Das ärgert Lee, denn an Gina kann er sich unmöglich ranmachen.

Hier ist ein Kerl zuviel oder eine Frau zuwenig, mault er. In dem Moment sagt Bibi laut, daß Achim nicht so einen Rubbelbart hat wie die anderen, sondern noch schönen, weichen Pflaum.

El Ringo kann darüber brüllend lachen, aber Mick steht auf, schüttelt Ina von sich ab, packt Bibi an der Schulter, zieht sie von Achim weg und verpaßt ihm einen Tiefschlag.

Achim schreit nicht. Stumm fällt er auf die Knie, hält sich die Bauchgegend und schließt die Augen. Gleich wird ihm der Schmerz die Tränen raustreiben. Mick geht zurück, will in aller Ruhe zu einem Schwinger auf Achims Gesicht ausholen. Bibi tritt dazwischen. Du spinnst wohl?

Mick legt eine Hand in Bibis Nacken, flüstert: Rattenkopf. Und zieht ihr Gesicht zu sich ran. Er küßt sie. Bibi preßt die Lippen fest aufeinander. Doch dann gibt sie nach, weil sie nicht will, daß Achim noch mehr Prügel kriegt. Arm in Arm geht sie mit Mick in eine Ecke. Sie setzen sich und lutschen sich ab.

So gefällt es mir! grölt Lee. Endlich wieder die richtige Stimmung.

Wenn er das noch einmal macht, polier ich ihm die Fresse, sagt der Boß zu Gina, schließlich steht er unter meinem Schutz. Achim muß sich jeden Moment übergeben. Er springt auf, steht mit wackligen Beinen im Raum, hält sich eine Hand vor den Mund und eine vor den Magen und will zur Tür.

Bibi knutscht weiter mit Mick, und weil Mick beim Knutschen immer die Augen schließt, kann sie getrost zusehen, was bei den anderen passiert, er merkt es nicht. Am liebsten würde sie jetzt mit dem Neuen an die frische Luft gehen. Aber das gibt nur wieder Ärger, denkt sie und bleibt sitzen.

Achim hat die Tür kaum auf, da spritzt der Mageninhalt aus seinem Mund heraus. Der muß noch viel lernen, sagt der Boß. Der Likör wird rumgereicht, und im Schuppen beruhigt sich die Lage.

Achim steht noch draußen und würgt. Er hat sich die Schuhe bekotzt und das rechte Hosenbein. Musikfetzen dringen zu ihm raus. Irgendwie zieht es ihn wieder rein in den Schuppen, obwohl er am liebsten abhauen möchte.

Du mußt es durchstehen, denkt er. Das ist nur am Anfang so. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Ein Lichtkegel fällt auf Achim. Er erkennt Ina. Rauchend lehnt sie sich gegen die Tür. Na? Sie blickt Achim an.

Achim antwortet nicht. Sein Magen zieht sich schon wieder zusammen.

Plötzlich steht Ina neben ihm, hält ihm ein Tempotaschentuch hin. Da, putz dir den Mund ab. Du hast dich ja ganz vollgesaut. Dankbar nimmt Achim das Tuch und wischt sich über den Mund. Er hat einen eklig sauren Geschmack auf der Zunge.

Der hat das nicht so gemeint, der ist eben so. Darfste dir nichts draus machen. Der war sauer wegen der Bibi. Die Bibi ist zwar kein belegtes Brötchen, sie gehört so mehr allen, einfach zur Gruppe – verstehste? Aber der Mick hängt ziemlich dran. Besser, du läßt die Finger von ihr. Der kann ganz eklig zuschlagen. Haste ja gemerkt. Wo der hinhaut, wächst kein Gras mehr.

Achim zerknüllt das Taschentuch und wirft es weg.

Besser?

Hm.

Komm wieder rein und trink ’n Schluck!

Hm.

Also, komm.

Ina packt Achim unter die Achseln und richtet ihn auf. Achim atmet tief durch. Es geht schon wieder.

Ina drückt sich für den Bruchteil einer Sekunde an ihn, berührt mit ihren Lippen seine Kinnspitze und schmatzt dazu. Achim schließt die Augen, er will Ina an sich ranziehen, aber da steht sie schon wieder im Türrahmen.

Komm!

Ja.

Auf wackligen Beinen bewegt Achim sich zu den anderen zurück. Ina hat ihn geküßt! Ihn, den Versager, über den alle lachen durften, weil er kein Mädchen hatte und nichts in den Armen. Wenn das die aus meiner alten Klasse gesehen hätten, denkt Achim. Er ist irgendwie stolz. Dafür läßt er sich glatt noch einen Tiefschlag verpassen.

Da bist du ja wieder! sagt El Ringo. Komm, trink dir ’ne Flasche Bier. Und wenn du groß bist, zahlst du dem Mick alles heim.

Mick lacht. Ja, wenn er groß ist.

Bibi nutzt die Gelegenheit, um Achim zuzuzwinkern.

Achim läßt sich auf eine Matratze fallen. Er versteht gar nichts mehr.

Ich mach hier alle Frauen an, ohne es zu wollen, denkt er. Aber er wagt es nicht, Bibis Blick zu erwidern. Hastig trinkt er sein Bier. Ina sitzt nicht weit von ihm, doch Lee fummelt an ihr rum, und das macht Achim eifersüchtig. Er weiß wieder nicht, wie er sich verhalten soll. Deshalb trinkt er.

Da fliegt die Tür auf. Lona steht im Rahmen. Hallo Fans!

Tag, Lona, wo hast du denn so lange gesteckt?

Lona bereitet die Arme aus und läßt sich fallen. Diese Show Hilfe-ich-werde-ohnmächtig! spielt sie oft. Lee läßt sofort die Finger von Ina und fängt Lona sicher auf. Lee hat Übung darin. Er stößt einen Tarzanschrei aus und wirbelt Lona durch die Luft. Sie spielt weiterhin ohnmächtig. Lee drückt Ina an die Seite und bettet Lona auf die Matratze. Ina sitzt jetzt ganz dicht bei Achim.

Danny und Franek stehen plötzlich mitten im Raum. Sie sind verschwitzt, in voller Motorradmontur, haben die Helme noch auf, nur die Visiere hochgeklappt. Danny lacht und fragt: Habt ihr Hunger?

Wieso?

Wir sind vorhin die Resserstraße runtergefahren, da sitzt am Waldrand ’ne Pfadfindergruppe oder sowas und grillt Hähnchen überm Lagerfeuer.

El Ringo lacht laut auf. Viele?

Vor dem Zelt saßen vier. Vielleicht noch ’n paar drin, weiß nicht.

Wer macht mit?

Fast gleichzeitig erheben sich alle. Nur Achim zögert. Er säße jetzt lieber bei Ina.

Nehmen wir die Frauen mit? fragt Mick.

El Ringo nickt.

Also los.

Franek nimmt Achim mit auf seine Maschine. Ina steigt bei Danny auf. Die Fahrt beginnt. Achim schließt die Augen. Sattelt die Hühner, wir reiten nach Santa Fee! grölt Lee. Es sind nicht mehr viele Autos auf der Straße. Die wenigen PKW-Fahrer halten gebührlichen Abstand zu den Motorrädern, die mit 80 Sachen durch die Stadt fahren.

Auf der Resserstraße stellen sie die Maschinen vor einem Kiosk ab. Sie pirschen sich an den Waldrand.

Im Schein eines Feuers sitzen vier Pfadfinder. Einer von ihnen spielt Gitarre. Die drei anderen halten die Hähnchen mit Stangen über die Flammen.

Mensch, das duftet aber gut.

Sollen wir warten, bis die Dinger knusprig sind?

Ruhe, sagt El Ringo. Er ist jetzt ganz Stratege. Mick und Franek, holt eure Maschinen. Ihr saust quer übers Feld. Wir kommen zu Fuß.

Okay.

Das wird ein Fest!

Auf mein Zeichen gehts los!

Klar.

Mick und Franek rennen zurück. Die anderen pirschen sich näher an das Lager ran. Etwa zwanzig Meter von dem Feuer und dem Zelt entfernt pressen sie sich flach auf die Erde. Gina liegt neben El Ringo. Er holt etwas ähnliches wie einen Kugelschreiber aus der Brusttasche, darauf schraubt er ein Metallstück. Achim hat so etwas noch nie gesehen.

Lee grinst. Endlich mal wieder ’n Feuerwerk.

El Ringo zielt mit seinem Kugelschreiber auf das Zelt. Plötzlich kommen Mick und Franek übers Feld geknattert. Sie lenken die Maschinen mit einer Hand. In der anderen schwingen sie eine Fahrradkette.

So ähnlich sieht es im Kino aus, wenn Indianer angreifen, denkt Achim. Nur, daß die reiten und Pferde haben – statt Motorräder.

Mick und Franek stoßen wilde Schreie aus.

Verwirrt springen die Pfadfinder vom Lagerfeuer auf. Jeder hält seine Stange mit einem Hähnchen in der Hand. Einer auch seine Gitarre.

In El Ringos Faust macht es „klick“. Aus dem Kugelschreiber löst sich ein grüner Feuerball, der sich langsam – wie in Zeitlupe – seinen Weg durch die Nacht bahnt.

Die Leuchtkugel läßt die Gesichter der vier Überfallenen phosphoreszieren.

Los! brüllt der Boß.

Alle springen auf, auch Achim, auch die Mädchen. Sie stürmen auf das Lagerfeuer zu.

Micks Fahrradkette landet in dem völlig überraschten Gesicht eines Pfadfinders. Die Haut über Backenknochen und Nase platzt auf. Blut quillt hervor. Mick stürzt mit seiner Maschine. Aber er steht sofort wieder auf den Beinen, schwingt die Kette. Die Räder seiner BMW drehen ins Leere. Franek fährt mitten durch das Feuer. Er reißt die Maschine hoch, schreit etwas Unverständliches und fühlt sich, als sei er in einen Western geraten.

Einer der Pfadfinder rennt los. Franek rast auf dem Motorrad hinterher. Ein anderer Junge packt den Hähnchenspieß mit beiden Händen, will sich damit verteidigen, schreit hilflos: Was wollt ihr? Wir haben euch doch nichts getan.

Aber El Ringo hat ihn im Genick, nimmt ihm die Waffe ab und stößt ihn in Lees Richtung. Lee hat Zeit, mit der Faust auszuholen. Er trifft den Pfadfinder mitten im Gesicht. Der Junge taumelt rückwärts zum Feuer. Achim ist dicht neben ihm. Der Boß nickt Achim zu. Achim schließt die Augen, ballt die rechte Faust und haut blindlings zu. Seine Faust landet auf dem Brustkasten des Jungen. Die Wucht des Schlages läßt den Pfadfinder rückwärts ins Feuer fallen.

El Ringo lacht gröhlend. Unser Neuer! Das ist ’n Ding.

Einige Meter von ihnen entfernt schlägt Franek den Jungen, der abhauen wollte, brutal zu Boden.