Drei Stücke - Wolfram Lotz - E-Book

Drei Stücke E-Book

Wolfram Lotz

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Wolfram Lotz schreibt Stücke von sagenhaftem Größenwahn – passend für unsere Zeit." Süddeutsche Zeitung DER GROSSE MARSCH, EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL und DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS – drei Stücke von Wolfram Lotz und zugleich drei Entwürfe für ein unmögliches Theater! "Alles ist ausgefallen übertrieben (…), die poesievollen Sätze, wortspielwahnwitzigen Szenen, die irrsinnstrunkenen Verse. Alles scheint aus dem Inneren einer Explosion zu stammen, einer Explosion der Wirklichkeit in Fiktion." Frankfurter Rundschau

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 237

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wolfram Lotz

DER GROSSE MARSCHEINIGE NACHRICHTEN AUS DEM ALLDIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS

Herausgegeben von Friederike Emmerling und Stefanie von Lieven

FISCHER E-Books

Inhalt

DER GROSSE MARSCHWidmung und allgemeine RegieanweisungVor dem StückPrologI. Über die RAF oder irgendwas anderesII. Kommt und esstIII. Lotz’ Kritik der reinen VernunftEINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALLWidmungI. Kleines VorspielII. Das Loch, das der Hund buddeltIII. Eine Astronomie des EntsetzensIV. Hilda und KleistV. Komm, großer WindVI. Der Raum dehnt sich ausVII. AporieDIE LÄCHERLICHE FINSTERNISAllgemeine RegieanweisungI. Prolog des somalischen PiratenII. Die Fahrt auf dem Fluss1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.20.21.22.23.24.25.26.AnhangRede zum unmöglichen Theater27 Forderungen an das TheaterNachweis der Druck- und Aufführungsrechte

DER GROSSE MARSCH

Für Felix Leu

 

 

Zwischen den drei Teilen des Großen Marsches sollen Pausen gemacht werden, damit ausgeruht werden kann für das jeweils Folgende. Die drei Teile dürfen jedoch in ihrer Reihenfolge nicht umgestellt werden, und auch keiner der Teile darf weggelassen werden: Der Große Marsch muss von Anfang bis Ende gegangen werden.

Vor dem Eingang des Theatersaals soll ein Fernseher aufgestellt sein. Über diesen wird vor der Vorstellung folgender Satz eingeblendet (die aufeinander folgenden Textsequenzen entsprechen dabei den einzelnen Zeilen):

 

Die meisten Theaterleute sind

(natürlich gibt es Ausnahmen)

Arschgesichter.

 

Falls dieser Satz nicht eingeblendet werden soll oder nicht zum Thema des Abends passt, so kann folgender Satz in oben angegebener Weise eingeblendet werden:

 

Für alles

hat man immer noch

einen Igel im Kühlschrank.

Prolog

Anna das Kind betritt von links die Bühne. Sie trägt ein Kleidchen und hat ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der von ihrem Kopf (wie eine kleine Palme) nach oben absteht.

ANNA DAS KIND

Ich sage jetzt den Prolog auf. Er geht so:

Das Theater ist ein Ort auf der Welt.

Die Welt ist ein Ort im All.

Das All ist eine zugeschissene Grube

finde ich.

 

Meine Mutter sagt:

Dein Zimmer ist unordentlich!

Räum es auf!

Ich räume es aber nicht auf.

 

Das Theater ist ein Punkt in der Zeit.

Die Welt ist ein Punkt in der Zeit.

Auf der Welt gibt es

Menschen und Tiere

und auch im Theater gibt es deshalb

Menschen und Tiere (unterschiedliche).

Es sind kleine Punkte in der Zeit

und sie haben Augen und Haare und Ohren

(nicht alle).

 

Meine Mutter sagt:

Dein Zimmer ist unordentlich!

Räum es auf!

Ich aber räume es nicht auf.

 

Meine Mutter sagt:

Das Theater ist ein Punkt oder ein Ort

oder sonst was

aber es ist wie die Welt

und die Welt ist so, wie sie ist

und das nennt man Wirklichkeit.

Und jetzt räum dein Zimmer auf!

Ich räume es aber nicht auf

und ich glaube ihr auch nicht.

Anna das Kind verlässt im Hüpfschritt die Bühne.

I.Über die RAF oder irgendwas anderes

Eine Schauspielerin und Lotz betreten die Bühne. Lotz kann entweder von Wolfram Lotz selbst gespielt werden oder aber von einem sehr fetten Schauspieler. Ist Letzteres der Fall, so sollte die Schauspielerin von einer magersüchtigen Person gespielt werden. Lotz hält in seiner rechten Hand einen tiefgefrorenen Aal, der in der Szene keinerlei Rolle spielen und auf den auch gestisch nicht im Geringsten hingewiesen werden soll.

SCHAUSPIELERIN

Hallo, Herr Lotz. Sie haben ja – oder vielleicht darf ich du sagen?

LOTZ

Ja, du, sehr gerne.

SCHAUSPIELERIN

Du hast ja das Stück geschrieben und also auch diese Szene hier, die wir beide gerade aufführen. Das Theater hat ja Vorgaben gemacht, es sollte ja etwas Politisches sein, und es sollte ja um Widerstand gehen?

LOTZ

Ja, Widerstand, und es sollte ja auch einen aktuellen Bezug haben …

SCHAUSPIELERIN

Und was ist dieser aktuelle Bezug in dieser Szene?

LOTZ

Naja, das ist eben ein bisschen das Problem gewesen. Ich wollte über etwas anderes schreiben, also um Widerstand in einem eher metaphysischen Sinn. Also darüber, dass der Tod als Faktum in der abendländischen Tradition so dasteht, und dass ich eben finde, dass er aufgehoben werden sollte …

SCHAUSPIELERIN

Wenn das möglich wäre!

LOTZ

Ich glaube ja eben, dass das schon möglich wäre, oder anders gesagt: dass es eben nicht mehr unmöglich wäre …

SCHAUSPIELERIN

Aber es sollte ja einen aktuelleren Bezug haben.

LOTZ

Ja, ich habe lange überlegt, aber ich habe immer ein – wie soll ich sagen – irgendwie ein Unbehagen, so ganz aktuelle Themen zu nehmen, weil die eben auch gleich wieder nicht aktuell sind. Deshalb dachte ich ja an die RAF.

SCHAUSPIELERIN

Ja, das ist ein sehr gefragtes Thema beim Theater.

LOTZ

Ja, es ist ja in dem Sinn nicht aktuell, aber es hat ja doch immer eine Art Aktualität, also, man hört ja ständig etwas darüber.

SCHAUSPIELERIN

Dann bedeutet es also, dass wir beide uns in dieser Szene, die wir gerade aufführen, über die RAF unterhalten.

LOTZ

Ja.

Pause.

SCHAUSPIELERIN

Und über welchen Aspekt der RAF unterhalten wir uns jetzt?

LOTZ

Das weiß ich nicht genau. Ich habe eben nicht so richtig Ahnung von der RAF, ich habe zwar einige Fernsehdokumentationen gesehen, aber ich finde es schwierig, darüber etwas zu sagen. Also ich meine, man kann natürlich einen Haufen darüber sagen, aber es sollte ja auch eine gewisse Überlegung dahinter stehen, und eben so, dass man nicht einfach nur darüber quatscht.

SCHAUSPIELERIN

Aber das muss man ja nicht!

LOTZ

Naja, aber die Szenen sollen ja kurz und präzise sein, hat man mir gesagt, und da kann man so ein komplexes Thema nicht so einfach entwickeln, weil die Szenen schnell viel zu lang werden, und ich habe schon versucht, auch diese Szene so kurz wie möglich zu halten.

Lotz verlässt die Bühne, weil es so ist. Währenddessen wird eine Regenmaschine am vorderen Bühnenrand in Gang gesetzt (aber nicht so, dass das Publikum nass wird), Stroboskoplicht setzt ein, und von der linken Seite her wehen Papierblätter, die vor einen gigantischen Ventilator geworfen wurden, apokalyptisch über die Bühne. Von der anderen Seite wird mit einer Nebelmaschine Rauch auf die Bühne geblasen. Laute und dramatische Musik erklingt, sodass die Szenerie dem Zuschauer zu Herzen geht. Auf den Einsatz einer Videoleinwand soll dabei verzichtet werden.

SCHAUSPIELERIN

Begrüßen wir nun den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank: Josef Ackermann!

Josef Ackermann betritt die Bühne. Es handelt sich dabei tatsächlich um Josef Ackermann.

Herzlich willkommen!

ACKERMANN

Vielen Dank und hallo!

SCHAUSPIELERIN

Herr Ackermann, sind Sie oft im Theater?

ACKERMANN

Nein, nicht so oft. Also, beziehungsweise, als Figur schon, als Figur bin ich in der letzten Zeit sehr oft im Theater gewesen, es gab ja wohl eine regelrechte Manie, einen Josef Ackermann im Theater auftreten zu lassen. Aus Gründen allerdings, die ich, wenn ich ehrlich sein darf, nicht so richtig gut finde. Als Mensch war ich in der letzten Zeit aber nicht so oft im Theater.

SCHAUSPIELERIN

Weil dort unbequeme Wahrheiten verkündet werden?

ACKERMANN

Nein, also, es ist eher – ich will da nicht so herumreiten drauf – mein Job – man hat sehr wenig Zeit, und deshalb komme ich als Mensch selten ins Theater.

SCHAUSPIELERIN

Empfinden Sie es nicht als merkwürdige Kluft, dass Sie als Figur so oft im Theater sind, aber als Mensch nicht? Hat man da nicht das Gefühl, man müsste auch als Mensch öfters ins Theater gehen, wo man ja als Figur sonst viel öfter da ist?

ACKERMANN

Ja, also, ich weiß nicht. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich würde gerne ab und zu ins Theater gehen! Ich habe ja nichts gegen das Theater!

SCHAUSPIELERIN

Obwohl das Theater noch die einzig kritische Institution ist?

ACKERMANN

Nein, ja, also: Ich habe da gar nichts dagegen, aber ich habe einfach nicht oft Zeit. Ich würde mich sonst sicher mehr mit Theater beschäftigen.

SCHAUSPIELERIN

Aber für Oper haben Sie Zeit und Interesse!

ACKERMANN

Wie meinen Sie das?

SCHAUSPIELERIN

In einem Interview haben Sie mal gesagt, Sie sängen unter der Dusche gelegentlich La Traviata!

ACKERMANN

Ja, das habe ich mal in einem Interview erzählt, das ist richtig.

SCHAUSPIELERIN

Die Oper ist Ihnen also lieber, weil sie vielleicht unpolitischer ist und sich nicht wie das zeitgenössische Theater derart stark engagiert?

ACKERMANN

Nein, also, das kann man so nicht sagen.

SCHAUSPIELERIN

Aber es wird doch kein Zufall sein, dass Sie Opern singen, während Sie unter der Dusche stehen!

ACKERMANN

Nein, Zufall, also: Es macht mir eben Freude!

SCHAUSPIELERIN

Aber Freude bedeutet doch vielleicht auch, dass man es sich eben leicht macht!

ACKERMANN

Ja, wahrscheinlich bedeutet es das auch, aber es ist eben so.

SCHAUSPIELERIN

Sie versuchen also das zeitgenössische Theater zu verdrängen!

ACKERMANN

Nein, ich denke nur eben nicht daran beim Duschen.

SCHAUSPIELERIN

Das ist ja dann eben Verdrängung!

ACKERMANN

Also – nein, ist es nicht!

SCHAUSPIELERIN

Es tut mir leid für Sie, dass ich Sie hier so hart befragen muss, aber wir sind politisch im Theater, und das hier ist keine Selbstdarstellungsplattform!

ACKERMANN

Ja, aber das ist ja doch auch in Ordnung! Nur wollte ich eben sagen …

SCHAUSPIELERIN

Aber Sie sind oft im Theater, andererseits singen Sie dann unter der Dusche La Traviata! Das ist doch eine merkwürdige Kluft!

ACKERMANN

Ja, aber ich bin ja nicht oft im Theater, weil ich wenig Zeit habe, nur als Figur eben bin ich oft im Theater!

SCHAUSPIELERIN

Ja, aber Sie sind doch eine Figur!

ACKERMANN

Ja, aber doch nur jetzt, in echt doch nicht!

SCHAUSPIELERIN

Also, wie dem auch sei! Wir wollen hier nicht mehr selbstreferentiell sein, sondern politisch agieren: Warum singen Sie – als Figur oder in echt oder wie auch immer – unter der Dusche eine Oper und nicht zeitgenössisches Theater!

ACKERMANN

Weil man das ja auch gar nicht singen kann!

SCHAUSPIELERIN

entrüstet Das ist nun wirklich eine unqualifizierte Aussage: Natürlich gibt es auch Musik, aber ich merke, dass Sie sich falsche Vorstellungen machen, nicht zuletzt deshalb vermutlich, weil Sie nicht oft ins Theater gehen!

ACKERMANN

Gut, das kann ja sein, ich habe aus Zeitgründen nicht so oft die Möglichkeit, ins Theater zu gehen, und vielleicht wird ja tatsächlich mehr gesungen, als ich es jetzt so erlebt habe!

SCHAUSPIELERIN

Abgesehen davon geht es im zeitgenössischen Theater aber nicht in erster Linie ums Singen, sondern wir versuchen, politisch zu sein!

ACKERMANN

Ja, ich weiß.

SCHAUSPIELERIN

Und trotzdem singen Sie unter der Dusche nur Oper – obwohl Sie es eigentlich wissen?

ACKERMANN

Ja.

SCHAUSPIELERIN

Das zeugt von einem gewissen Desinteresse gegenüber gesellschaftlichen und politischen Fragen!

ACKERMANN

Also … wie auch immer.

SCHAUSPIELERIN

Dann muss ich Sie jetzt bitten, die Bühne zu verlassen, wir wollen hier schließlich politisches Theater machen!

ACKERMANN

seufzt Na gut. Geht ab.

Die Internationale (Techno-Remix) wird eingespielt.

SCHAUSPIELERIN

Ich freue mich nun, Shakespeares Hamlet zu begrüßen!

Hamlet betritt in einem historischen Kostüm und mit einem Head-Set-Mikrofon eine Kanzel oder irgendeine höher gelegene Stelle der Bühne.

HAMLET

mit erhobenen Armen, huldvoll Nach der militärischen Niederlage folgt für die dezimierten Kader die Zeit des »Widerstands« in der Illegalität!

SCHAUSPIELERIN

Ist das Shakespeare?

HAMLET

sachlich Nein, Horst Mahler. Das ist aus »Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa«, dem einzigen RAF-Manifest. Diese Szene soll dokumentarisches Theater sein, weshalb ich nur Originalsätze aus dem Manifest sprechen werde.

SCHAUSPIELERIN

Ja, aber jetzt haben Sie ja schon andere Sachen gesagt!

HAMLET

Kurz Pause. Ja. Das ist richtig.

Hamlet geht von der Bühne. Die Musik des Game-Boy-Spiels Tetris wird eingeblendet.

SCHAUSPIELERIN

Begrüßen Sie nun den Arbeitgeberpräsidenten: Herr Hundt! Mit DT!

Der Arbeitgeberpräsident Herr Hundt tritt auf (er darf nicht von einem Schauspieler ersetzt werden). Er ist – in der Art des Kinderschminkens – als Katze geschminkt.

Herr Hundt, in den Siebziger Jahren wurde eine Umfrage gemacht, in der gefragt wurde, ob man – wenn die Baader-Meinhof-Bande für eine Nacht um Unterschlupf bitten würde, ob man dies dann gewähren würde. Dreißig Prozent der Befragten sollen darauf mit »Ja« geantwortet haben.

HERR HUNDT

Ja, das kann sein.

SCHAUSPIELERIN

Sie stimmen dem also zu!

HERR HUNDT

Also … ich weiß es nicht, aber ich kann mir das durchaus vorstellen!

SCHAUSPIELERIN

Halten Sie es nicht für notwendig, dazu eine Meinung zu haben!

HERR HUNDT

Naja, also wenn Sie es sagen, dass es … ich finde es auf jeden Fall interessant!

SCHAUSPIELERIN

Wir verstehen es hier im Theater nicht als unsere Aufgabe, den Leuten etwas zu sagen, sondern wir wollen Sie zum Nachdenken bringen!

HERR HUNDT

Ja, das finde ich gut.

SCHAUSPIELERIN

Ihnen scheint ja alles egal zu sein, Herr Arbeitgeberpräsident!

HERR HUNDT

Nein, ist es nicht, aber ich weiß es eben nicht, das mit den dreißig Prozent!

SCHAUSPIELERIN

Sie würden also mit »vielleicht« antworten? Aber die Frage wurde wohl so gestellt, dass man nur mit »Ja« oder »Nein« antworten konnte! So, wie ich sie eben verstanden habe, würden Sie eher zustimmen!

HERR HUNDT

Ich halte es für möglich, dass es in den Siebzigern so war, aber ich denke, es ist jetzt anders!

SCHAUSPIELERIN

Aber Sie waren doch auch in den Siebzigern!

HERR HUNDT

Ja, naja, klar.

SCHAUSPIELERIN

Aber dann müssen Sie doch wissen, wie Sie auf die Umfrage geantwortet haben!

HERR HUNDT

Ja aber mit mir hat man ja die Umfrage gar nicht gemacht!

SCHAUSPIELERIN

Das ist Klagen auf hohem Niveau, Herr Arbeitgeberpräsident! Ich habe Ihnen außerdem die Möglichkeit gegeben, sich jetzt dazu zu äußern!

HERR HUNDT

Ja, aber ich habe ja versucht, mich dazu zu äußern, und ich halte es für möglich, dass dreißig Prozent auf diese Umfrage mit »Ja« geantwortet haben, aber ich weiß es nicht!

SCHAUSPIELERIN

Ihnen ist es vielleicht auch egal, weil Sie sowieso abgeschirmt in einer Villa wohnen!

HERR HUNDT

Nein, ich finde es interessant!

SCHAUSPIELERIN

Also würden Sie auch erwägen, der Baader-Meinhof-Bande Unterschlupf für eine Nacht zu gewähren!

HERR HUNDT

Aber die Frage stellt sich doch gar nicht mehr!

SCHAUSPIELERIN

Es ist Ihnen gleichgültig, oder wie darf ich das verstehen!

HERR HUNDT

Nein, aber das war doch in den Siebzigern!

SCHAUSPIELERIN

Ja, aber Sie waren doch auch in den Siebzigern!

HERR HUNDT

seufzt Ja, aber da wurde mir die Frage nicht gestellt, und ich kann Ihnen sagen, dass ich in den Siebzigern wie auch heute grundsätzlich dagegen bin und war!

SCHAUSPIELERIN

Gegen was genau!

HERR HUNDT

Na gegen die RAF!

SCHAUSPIELERIN

Na jetzt beziehen Sie endlich mal Position! Sagen Sie es doch einfach gleich, anstatt sich hier herumzuwinden! Sie schwimmen also mit der Masse mit!

HERR HUNDT

Wie meinen Sie das?

SCHAUSPIELERIN

Na, Sie waren bei den siebzig Prozent der Befragten dabei!

HERR HUNDT

Ja, also, wenn man so will.

SCHAUSPIELERIN

Und Sie haben mit »Nein« geantwortet!

HERR HUNDT

Ja meinetwegen.

SCHAUSPIELERIN

Sie wissen, dass Sie damit auch eine gewisse Verantwortung für die Erschießung Benno Ohnesorgs tragen!

HERR HUNDT

Nein, das weiß ich nicht!

SCHAUSPIELERIN

So ist es aber!

HERR HUNDT

Wie Sie meinen …

SCHAUSPIELERIN

zum Publikum Es ist unter Historikern unstrittig, dass die RAF eine logische Folge aus den 68ern war!

Schauspielerin und Herr Hundt gehen von der Bühne. Irgendeine Hippiemusik wird währenddessen eingespielt, zum Beispiel »San Francisco«.

Die Schauspielerin kommt nun mit zerzausten Haaren und mit von Tränen zerlaufenem Lidschatten mit fuchtelnden Armen auf die Bühne gerannt.

Schreiend und heulend Ich sage jetzt, wie es wirklich ist!

Ich sage jetzt, wie es wirklich ist!

Ich sage jetzt, wie es wirklich ist!

Ich sage es jetzt!

Ich sage es jetzt!

Ich sage es jetzt!

Pause.

Wir müssen uns zu einer klaren Aussage durchringen!

Wir müssen uns zu einer klaren Aussage durchringen!

Wir müssen uns zu einer klaren Aussage durchringen!

Es bringt nichts, sich selbst zu sabotieren!

Es bringt nichts, sich selbst zu sabotieren!

Es bringt nichts, sich selbst zu sabotieren!

Ich sage es jetzt!

Ich sage es jetzt!

Ich sage jetzt, wie es ist!

Pause.

Die da oben sind Idioten!

Die da oben sind Idioten

Und die da unten sind Idioten!

Sie sind Idioten!

Wir sind Idioten!

Pause.

Ich sage jetzt, wie es ist!

Ich sage jetzt, wie es ist!

Zwei hässliche männliche Schauspieler treten aus dem Hintergrund hervor. Sie sprechen im Chor:

DIE ZWEI HÄSSLICHEN SCHAUSPIELER

Wir sagen jetzt, wie es ist!

Wir sagen jetzt, wie es ist!

Wir heben es im Chor hervor!

Wir heben es im Chor hervor!

Chor!

Hervor!

Chor!

Hervor!

Die zwei hässlichen Schauspieler treten wieder ab und sind still. Die Schauspielerin fährt fort.

SCHAUSPIELERIN

Es ist nämlich so:

Armut ist etwas Konkretes!

Armut findet statt!

Armut ist real!

Armut ist wirklich!

Armut ist in der Wirklichkeit angekommen!

Armut findet statt in unserer Wirklichkeit!

Armut ist in unserer Wirklichkeit Realität!

Sie findet konkret statt in unserer Wirklichkeit!

Sie ist nicht irgendwo sonst

Sondern in unserer Wirklichkeit!

Armut ist etwas Konkretes!

Pause.

Wir können nicht länger verdrängen, wie es ist!

Wir können nicht länger verdrängen, wie es ist!

Wir können nicht länger verdrängen, wie es ist!

Es ist so, und es kommt ständig vor!

Kommt ständig vor!

DIE ZWEI HÄSSLICHEN SCHAUSPIELER

treten hervor und rufen im Chor Chor!

Hervor!

Chor!

Hervor!

Die zwei hässlichen Schauspieler treten wieder ab und sind still. Die Schauspielerin fährt fort:

SCHAUSPIELERIN

So ist es!

So ist es!

Die da oben beuten uns aus!

Die da oben beuten uns aus!

Die da oben sind konkret!

Die da oben sind konkret!

Die da oben sind die Oberschicht!

Die da unten sind die Unterschicht!

Die da oben sind über denen da unten!

Die da unten sind unter denen da oben!

Ich sage nur, wie es ist!

Der Krieg ist real!

Der Krieg ist real!

Pause. Schauspielerin verschnauft.

Ich hasse den Krieg!

Ich sage nur, wie es ist!

Ich hasse den Krieg!

Ich sage endlich, wie es ist!

Ich hasse ihn!

Ich hasse die da oben!

Die da oben müssen nach da unten!

Die da unten müssen nach da oben!

Ich meine das ernst!

Es ist ernst!

Armut ist ernst!

Krieg ist ernst!

Krieg ist real!

Armut ist real!

Armut ist Krieg!

Krieg ist Armut!

Die da oben sind real!

Die da unten sind real!

Die da unten sind Armut!

Die da oben sind Krieg!

Ich sage nur, wie es ist!

Es findet statt!

Es ist nicht so, dass es nicht stattfindet!

Es findet statt!

Niemand kann sagen, dass es nicht stattfindet!

Es findet statt!

Es hört nicht auf!

Es hört nicht auf!

Es hört nicht auf!

Es hört erst auf

Wenn es beendet wird!

Es hört erst auf

Wenn es beendet wird!

Dann erst hört es auf!

Hört es auf!

Hört es auf!

Es hört auf!

Es wird beendet!

Es ist zu Ende!

Es ist jetzt zu Ende!

Das ist jetzt das Ende!

Das Ende!

Das Ende!

DIE ZWEI HÄSSLICHEN SCHAUSPIELER

treten hervor und rufen im Chor Ende! Ende! Ende!

Die zwei hässlichen Schauspieler treten wieder ab und sind still.

Pause.

Die Schauspielerin fährt fort:

SCHAUSPIELERIN

Ein kleiner Epilog sei mir aber noch gestattet!

Ein kleiner Epilog sei mir aber noch gestattet!

Ein kleiner Epilog sei mir aber noch gestattet!

Ein kleiner Epilog!

Ein kleiner

Epilog.

Die Schauspielerin geht nach hinten und kommt mit einer roten Fahne wieder und fährt fort:

Ich sage nur, wie es ist.

Sie wissen ja, ich sage nur, wie es ist.

Das wissen Sie doch.

Eigentlich wissen Sie es ja doch.

Eigentlich wissen Sie ja doch, wie es ist.

Eigentlich wissen Sie es ja doch.

Schauspielerin verlässt die Bühne. Die beiden hässlichen Schauspieler stehen im Hintergrund noch herum. Sie bleiben stehen. Das Licht geht an. Die beiden hässlichen Schauspieler stehen weiter herum. Dann klatscht das Publikum – zum Teil, weil es ihm gut gefallen hat, zum Teil aus Respekt vor der schauspielerischen Leistung.

II.Kommt und esst

Die Bühne ist durch einen hüfthohen hölzernen Gartenzaun vom Publikum abgetrennt, allerdings ist die Abtrennung nur symbolisch, das heißt, der Gartenzaun ist lediglich drei Meter lang und erstreckt sich somit – links beginnend – nur über einen kleinen Teil des Bühnenrandes. In der Mitte der rechten Bühnenhälfte steht das Buffet: ein vier Meter langer Tisch, der von einer weißen Tischdecke bedeckt ist. Der Tisch steht vertikal zum Publikum. Im Zentrum des Buffets steht eine große Platte mit Buletten, die pyramidal aufgehäuft sind. Neben der Bulettenpyramide sind folgende weitere Speisen angeordnet:

1

Korb mit Baguettescheiben

1

Platte mit Mozzarella- und Tomatenscheiben

1

Schälchen mit Senf

1

Schälchen mit Ketchup

1

Schälchen mit einer Ingwersauce oder einer anderen experimentellen Angelegenheit

1

große Schüssel mit Rucolasalat und französischem Dressing, garniert mit vertrockneten Brotwürfeln, Croutons genannt

1

Schälchen mit Labskaus

1

Platte mit Ciabattascheiben, auf denen sich ominöse Sachen als Garnierungen befinden

1

Schüssel Nudelsalat mit Schinkenstückchen, Gurkenstückchen und Erbsen

1

Schüssel Nudelsalat ohne Schinkenstückchen, aber mit Gurkenstückchen und Erbsen

1

Schüssel Nudelsalat mit Schinkenstückchen und Gürkchen, ohne Erbsen

1

Schüssel Nudelsalat mit Schinkenstückchen, Gurkenstückchen, Erbsen und Ei

1

Schüssel Nudelsalat ohne Schinken, aber mit Gürkchen und Ei, sowie wenigen Erbsen

1

Platte mit unterschiedlichen Käsesorten, die meisten gelb

1

Platte mit zusammengerollten Wurst- und Schinkenscheiben, die auf der Platte kunstvoll in Form einer Vagina angeordnet sind

1

Platte mit Gemüsebratlingen

sowie 1 Stapel Porzellanteller, Besteck und rote Servietten.

Der Autor des Stücks – Wolfram Lotz – betritt sodann die Bühne. Er hat ungewaschene Haare, trägt einen Strickpullover, eine verknitterte Bügelfaltenhose und riesige schwarze Schnabelschuhe, die als eine Art Blickfang fungieren. Er stellt sich neben das Buffet zur Bulettenpyramide, dem Publikum zugewandt.

LOTZ

Verehrtes Publikum!

In diesem – meinem – Stück soll es

Darum gehen

Dass

Liebe möglich

Sein kann

In einer Gesellschaft

Heutzutage

Die sich an anderen

Werten orientiert

Die unklar geworden

Sind.

Pause. Lotz nimmt zwei Buletten und steckt sie sich in die Hosentaschen.

Globalisierung!

Heutzutage …

Kurze Gedankenpause.

Immer mehr Dinge

Müssen formuliert werden.

Es ist Aufgabe der Schriftsteller

Es muss Aufgabe der Schriftsteller sein

Das

Zu formulieren.

Lotz nimmt weitere Buletten und steckt sie in die Hosentaschen.

Fragen, gestellt

Von einem neuen Jahrtausend.

Lotz seufzt. Dann nimmt er eine weitere Bulette, steckt sie jedoch noch nicht in die Hosentasche. Mit ernsterer Stimme.

Vielleicht werden Sie es komisch finden

Aber bei allem Klamauk

Den man macht, gibt es etwas

Das zu tun hat mit Schmerz

Und Traurigkeit.

Und man macht sich lächerlich

Wenn man es sagt …

Lotz steckt die Bulette in die Tasche.

Aber in dem großen Gefüge

Sei es die Gesellschaft oder die Natur

Ist der Einzelne, der Mensch,

Von der Vernichtung bedroht

Immerzu

Und wir können von der Gesellschaft reden

Oder von der Natur

Und es bringt nichts

Es spielt sich dort nicht ab

Sondern nur im Einzelnen

Im Menschen

Abends

Wenn er für sich ist.

Und wenn ich das hier sage

Wenn ich das so sage

Dann wird man es wahrscheinlich nicht verstehen

Und vermutlich werden Sie es sogar lächerlich finden

Aber es ist eine Tragödie …

SCHAUSPIELERIN

von der rechten Seite auf die Bühne stürmend Hau ab, du verschissener Idiot!

Lotz nimmt hastig noch zwei Buletten und humpelt – aufgrund der Schnabelschuhe – unbeholfen nach links von der Bühne. Die Schauspielerin nimmt den Löffel des Nudelsalatbestecks (von dem ohne Schinken, aber mit Gürkchen und Ei, sowie wenigen Erbsen) und droht Lotz damit.

Schreiend Du versoffener Affe! Mach, dass du davonkommst!

Zeitgenössisches Theater will der machen und schickt Manuskripte ein, die mit der Schreibmaschine geschrieben sind! Ein Trottel, ein stinkender Trottel!

Jetzt kommt das Theater! Der Regisseur, die Schauspieler – das Theater!

Dröhnende Musik wird eingespielt, von der rechten Seite kommen zwei Schauspielerinnen auf die Bühne, die Fahnen vor sich hertragen, auf denen das Logo des aufführenden Theaters zu sehen ist. Hinter ihnen fährt der Regisseur auf einem sogenannten Quad ein. Er ist – bis auf einen Lendenschurz - nackt, sein muskulöser Oberkörper ist eingeölt. Ihm folgen die übrigen Schauspieler, die allesamt in schlichten weißen Outfits auftreten. Der Regisseur fährt am Buffet vorbei in die Mitte der Bühne, wo er mit laufendem Motor hält. Die Schauspieler stellen sich am Bühnenhintergrund verteilt auf.

DER REGISSEUR

Das Theater muss etwas herausholen aus dem Stück!

Wir müssen es rausholen!

Der Regisseur stellt sich auf seinem Fahrzeug aufrecht hin und ruft:

Raus-ho-len!

DIE SCHAUSPIELER

im Chor Raus-ho-len! Raus-ho-len! Raus-ho-len!

Der Regisseur setzt sich wieder, gibt ordentlich Gas und fährt im Rückwärtsgang, ohne sich umzudrehen, in einem Satz zurück in die rechte hintere Bühnenecke, wobei er einer Schauspielerin über den Fuß fährt, ohne es zu merken. In der Ecke stellt er den Motor ab und macht es sich auf dem Gefährt bequem.

Kurze Pause.

SCHAUSPIELERIN

in ein Mikrofon Ach so, ja, rausholen. Holen wir Sie nun raus, die Wirklichkeit, meine Damen und Herren, Sozialhilfeempfänger aus dieser – unserer – Stadt! Keine Schauspieler, nein, wirkliche Menschen, Menschen mit einem wirklichen Schicksal!

Stille. Eine Gruppe echter Sozialhilfeempfänger betritt von rechts die Bühne. Um noch echter zu wirken, wurden jene Sozialhilfeempfänger, die ordentlich angezogen waren, vor dem Auftritt dazu gebracht, alte Jogginghosen und Strickjacken aus dem Fundus des Theaters anzuziehen. Eine ältere Frau wurde dazu gebracht, eine Bomberjacke und Springerstiefel zu tragen.

DER REGISSEUR

jubelnd Jawoll! Jawoll!

SCHAUSPIELERIN

Kommen Sie! Essen Sie! Ihre Armut ist nicht zu ertragen! Sie sind die Opfer der Gesellschaft! Um Sie geht es im Theater – greifen Sie zu!

Die Sozialhilfeempfänger werden von den Schauspielern zum Buffet gedrängt. Dort stehen sie verwirrt herum.

Greifen Sie zu, Sie armen Leute!

Kurze Pause.

ÄLTERE SOZIALHILFEEMPFÄNGERIN IN BOMBERJACKE UND SPRINGERSTIEFELN

schüchtern Vielen Dank, gerne, aber wir haben erst gegessen, wir haben uns vorhin was zu essen in der Theaterkantine gekauft.

SCHAUSPIELERIN

wütend der Sozialhilfeempfängerin zugewandt ins Mikrofon schreiend Du bist ein Nazi! Du bist ein Nazi! Du Nazi! Du missbrauchst die Armut und das Elend der Menschen für deine Zwecke, du verlogener Nazi!

DER REGISSEUR

Sehr gut, Schauspielerin, sehr gut! Klatscht begeistert in die Hände.

Stille.

SCHAUSPIELERIN

Wie auch immer, jetzt nimmt jeder einen Gemüsebratling, und dann dürft ihr wieder gehen!

Die Sozialhilfeempfänger nehmen – nach kurzem Zögern – einer nach dem anderen einen Gemüsebratling, dann gehen sie zur linken Seite hin von der Bühne.

Unser Angebot steht, liebe Sozialhilfeempfänger, falls ihr im Lauf des Stücks noch Hunger bekommen solltet, dann könnt ihr jederzeit wieder auf die Bühne kommen und euch etwas nehmen!

Das Publikum applaudiert.

So, kommen wir zum Nächsten.

Kurz Pause.

DER REGISSEUR

Ja, aber jetzt soll der Fette mal moderieren!

Einer der Schauspieler, der, im Gegensatz zu den anderen, sehr fett und hässlich ist, tritt vom Bühnenhintergrund hervor. Die Schauspielerin übergibt ihm das Mikrofon und bleibt neben ihm stehen.

DER FETTE SCHAUSPIELER

Wir begrüßen nun einen weiteren Armen, und zwar Patrick S., bekannt aus dem Fernsehen, weil er vier Kinder mit seiner Schwester gezeugt hat und dafür im Gefängnis saß, dann vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingelegt hat, aber – wie das manchmal so ist im Leben – war das nicht erfolgreich, und jetzt war er noch mal im Gefängnis. Wir wollen ihn mal fragen: erst Gefängnis, dann Arbeitssuche – gibt es einen Ausweg aus der Unterschicht? Patrick S., meine Damen und Herren!

Kein Applaus. Der echte Patrick S. aus Zwenkau bei Leipzig kommt von der linken Seite auf die Bühne.

Der fette Schauspieler zu Patrick S. Wie geht es Ihnen?

Patrick S. wirkt irritiert.

DER REGISSEUR

zornig Der Fette kann das nicht, die Schauspielerin soll das wieder machen!

Die Schauspielerin nimmt dem fetten Schauspieler das Mikrofon weg.

SCHAUSPIELERIN

Sie waren im Gefängnis, Patrick S., weil Sie mit Ihrer Schwester gefickt haben, und jetzt wollen Sie Arbeit, wie sieht das aus?

Regisseur nickt zustimmend im Hintergrund.

PATRICK S.

Ich will keine Arbeit im Moment, ich will Recht, ich werde Klage einreichen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

SCHAUSPIELERIN

Weil die Sozialhilfe nicht ausreicht zum Leben?

PATRICK S.

Nein. Weil ich im Gefängnis saß dafür, dass ich mit einer Frau, die ich liebe, Kinder habe und dass uns diese Kinder dann auch noch weggenommen wurden vom Staat.

SCHAUSPIELERIN

Eine Frau, die Sozialhilfeempfängerin ist, die in Armut lebt, einer Frau aus der Unterschicht! Wie ertragen Sie gemeinsam die Armut?

PATRICK S.

Die Armut?

SCHAUSPIELERIN

Die Armut und die damit verbundenen mangelnden Bildungschancen!

PATRICK S.

Aber es geht doch darum, dass ich ins Gefängnis musste, weil die Liebe zwischen mir und meiner Schwester verboten ist aufgrund von völlig überholten Moralvorstellungen, die letztlich durch eugenische Gesichtspunkte begründet werden!

SCHAUSPIELERIN

Und die mangelnde Bildung?

PATRICK S.

Welche mangelnde Bildung? Was meinen Sie?

SCHAUSPIELERIN

Die mangelnden Bildungschancen in der Unterschicht, nicht zuletzt die Ihrer Kinder, die aufgrund Ihres Inzestes behindert sind!

PATRICK S.

Aber unsere Kinder sind ja gar nicht behindert!

SCHAUSPIELERIN

Doch. Statistisch sind Ihre Kinder behindert. Die Wahrscheinlichkeit der Behinderung von Kindern, die bei inzestuösem Geschlechtsverkehr entstehen, ist deutlich höher als bei normalen Paaren. Deshalb kann man sagen, dass Ihre Kinder geistig und körperlich behindert sind!

PATRICK S.

Sind sie aber nicht!

SCHAUSPIELERIN

seufzt Die mangelnde Bildung!

PATRICK S.