Heilige Schrift I - Wolfram Lotz - E-Book

Heilige Schrift I E-Book

Wolfram Lotz

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Beschreibung

Und plötzlich dachte ich: Es wäre einmal tatsächlich über ALLES zu schreiben, genau an diesem Ort, an dem für mich erstmal so wenig ist. Das Dorf, das Flimmern des Internets, die Nachbarskatze, die kleinen Bewegungen, Donald Trump und die Schönheit, Miley Cyrus und Peter Handke, die spielenden Kinder, das Nachdenken über Theater und Literatur, der Himmel über dem Weinberg und das Überleben zwischen den alltäglichen Dingen, schreibend, Tag für Tag - die Heilige Schrift handelt von dem radikalen Versuch, das Leben möglichst vollständig und unmittelbar zu erfassen, mit allen literarischen Mitteln. In einem kleinen Dorf in Frankreich schreibt Wolfram Lotz ein Jahr lang mit, jeden Tag, von morgens bis nachts. Knapp 3000 Seiten. Kurz danach löscht er den entstandenen Riesentext wieder. Dennoch liegen nun über 900 Seiten vor, weil er im Frühjahr 2018, noch während der Arbeit, den Anfang des Textes per Mail an einen Freund geschickt hat. »Heilige Schrift I« ist das poetische Dokument eines wahnwitzigen Projektes, das sich dem puren Exzess öffnet und dabei zeigt, was es wirklich bedeutet, über die Gegenwart zu schreiben.

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Seitenzahl: 759

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Wolfram Lotz

Heilige Schrift I

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Inhalt

[Motto]8.8.20179.8.201710.8.201711.8.201712.8.201713.8.201714.8.201715.8.201716.8.201717.8.201718.8.201719.8.201720.8.201721.8.201722.8.201723.8.201724.8.201725.8.201726.8.201727.8.201728.8.201729.8.201730.8.201731.8.20171.9.20172.9.20173.9.20174.9.20175.9.20176.9.20177.9.20178.9.20179.9.201710.9.201711.9.201712.9.201713.9.201714.9.201715.9.201716.9.201717.9.201718.9.201719.9.201720.9.201721.9.201722.9.201723.9.201724.9.201725.9.201726.9.201727.9.201728.9.201729.9.201730.9.20171.10.20172.10.20173.10.20174.10.20175.10.20176.10.20177.10.20178.10.20179.10.201710.10.201711.10.201712.10.201713.10.201714.10.201715.10.201716.10.201717.10.201718.10.201719.10.201720.10.201721.10.201722.10.201723.10.201724.10.201725.10.201726.10.201727.10.201728.10.201729.10.201730.10.201731.10.20171.11.20172.11.20173.11.20174.11.20175.11.20176.11.20177.11.20178.11.20179.11.201710.11.201711.11.201712.11.201713.11.201714.11.201715.11.201716.11.201717.11.201718.11.201719.11.201720.11.201721.11.201722.11.201723.11.201724.11.201725.11.201726.11.201727.11.201728.11.201729.11.201730.11.20171.12.20172.12.20173.12.20174.12.20175.12.20176.12.20177.12.20178.12.20179.12.201710.12.201711.12.201712.12.201713.12.201714.12.201715.12.201716.12.201717.12.201718.12.201719.12.201720.12.2017

und also ging ich umher

8.8.2017

ACHTER AUGUST

ZWEITAUSENDSIEBZEHN

 

so

jetzt

mal hingeschrieben

 

 

Vor mir hier Fichten Fichten Fichten

der Wald, beim Blick aus – ja – meinem KINDERZIMMER

 

Die letzten Tage, als ich mich plötzlich entschieden hatte, hier für diese Form jetzt, für das Jahr, das wir in Frankreich sein werden, auf diesem Dorf, da war sofort klar, dass ich hier also im Schwarzwald schon damit beginnen werde, bei meinen Eltern, in diesen zwei Wochen, vorher

 

Weil es eher wahrscheinlich und vor allem darum geht: Von L jetzt fort zu sein, von dieser Finsternis dort im letzten Dreivierteljahr

 

Und schreibend hier jetzt etwas Anderes zu suchen, das Feld zu öffnen

nochmal neu

 

Nicht für irgendjemanden, sondern jetzt eben nur für mich

aber mit der Möglichkeit der Kommunikation, des Gehörtwerdens, das schon

Für mich, aber dadurch zu den anderen hin

 

So wie Schreiben ja immer sein soll, für mich jedenfalls

SELBSTGESPRÄCH BEI OFFENEM FENSTER

dieses merkwürdige Sowohlalsauch

 

Und deshalb auch die Idee, das hier eventuell doch auch ins Internet zu dingsen

irgendwo, wo es vielleicht nicht aufzufinden ist, aber potentiell doch

 

Oder dass es später die Freunde lesen können, damit sie wissen: Der sitzt da auf dem Dorf, aber der ist noch da

Heute hat er Brokkoli gegessen

Also: Als Lebenszeichen

 

Aber natürlich habe ich von diesem technischen Kram HOMEPAGE SERVER DOMAIN gar keine Ahnung, und alles liegt wieder angefangen da, bis wann –

 

Jetzt wird erstmal hier geschrieben, alles andere, wenn überhaupt, später

jetzt

SCHREIBEN

 

 

Immer, wenn möglich, vormittags hieran schreiben, neben dem FRANKFURT- und dem HAMBURG-Vortrag vor allem, so hatte ich es gedacht

 

Und abends, nachts vielleicht noch, neben dem Politiker-Stück, vielleicht, wenn das Stück das überhaupt zulässt

 

Und natürlich spüre ich sofort ein Bedauern, dass das hier keine EXZESS-Form sein kann, und zugleich denke ich auch: nein, ist genau richtig

Es soll eben keine Anti-Sozial-Form werden, sondern für mich und für die, die um mich herum sind, absolut gut erträglich

 

Weil O und E das auch nicht zulassen, die brauchen ihre Zeit, GEGEN das Schreiben, und das ist einerseits immer bedauerlich, weil sie den für’s Schreiben ja so wichtigen inneren Ständig-Durchlauf jedes Mal unterbrechen, andererseits aber eben halt aufbrechen zum Leben hin, was ja genau richtig ist –

 

 

Tobias vom Schauspielhaus will wissen per SMS, wann wir telefonieren können wegen – ach ach ach

Heute nicht, morgen, heute habe ich doch jetzt gerade hier begonnen, Tobias, du verstehst –

 

Ein bisschen festlich ist das schon auch

 

 

Für mich ist klar, dass das hier – im Gegensatz zu meinem Schreiben sonst – eine Form sein soll, die es total gut verkraftet, wenn O oder E zur Tür hereinkommen, mit ihrem Kram, ihren Lego-Autos, was auch immer

Das zerreißt mir ja sonst immer den Fluss

Aber hier soll das eben gerade der Modus sein! Nicht das wahnmäßige Reinbegeben in die eigene was, innere, vielleicht: Höhle?

Sondern schreibend noch immer und besonders: wach nach außen – Weitung, Leichtigkeit

 

Auch und gerade jetzt, wo ja die Gefahr der Verkniestelung in mir so stark ist, nach dem Finster-Wahnsinn in Leipzig mit der Jena-Bewerbung, der ganzen traurigen Zerstörung der Freundschaften

 

Seltsam, aber es ist klar, dass das jetzt einer Technik bedarf auch, dieses Schreibens, damit ich nicht noch mehr zu einem

 

 

Das soll auch ein Text sein, der immer mitläuft, damit ich an ihm sehen kann, wo ich zu Eisen werde, wo ich kalt werde, damit ich es merke, bevor es zu spät ist

 

Ich merke die Gefahr gerade, das war jetzt einfach alles zu viel, da ist in mir was kaputt gegangen, wenn ich das nicht alles bedenke und behandle und besehe, dann geht da wirklich was von mir verloren

 

 

Tobias: Ja, das geht gut. Bin bis morgen 14 Uhr erreichbar

Gut, also, dann bis morgen!

Danke

 

 

Heute in der NZZ

FATAL

Interview mit Daniel Kehlmann

er sagt zum Beispiel direkt am Anfang über einen gerade gemachten Schweiz-Urlaub:

 

Einfach das Gefühl

in den Bergen zu sein

und dieses gute alte Abendland

um sich zu haben

 

Als Anti-Trump-Beruhigungsgefühl meint er, aber sowas, als Reaktion, sich hier jetzt halt total wohlzufühlen, als Antwort

oh my, bitte nicht

 

 

Aber in London und New York habe ich lebendiges, originelles Gegenwartstheater erlebt

 

Was verstehen Sie darunter?

 

Stücke, die echte Geschichten erzählen und von Menschen handeln

 

Danke, Herr Kehlmann, ich danke Ihnen für das Gespräch

Tschüss

 

 

Hier rauscht der Fluss so laut

 

 

Weiter an der Notizensammlung für den Hamburg-Vortrag

Weniger schreiben, mehr Ordnung machen, ohne es kleinzuordnen, offen lassen

 

Das ist die Gefahr, jedes Mal, die Notizen erzählen ja vielmehr in ihrer Wirrheit, und dann müssen sie doch etwas geordnet werden, und das gibt jedes Mal auch diesen Verlust, der mich so deprimiert

 

Letztlich ist das der Realitätsverlust durch das Erzählen

 

Behutsam behutsam behutsam, da ist ja eine innere Logik drin, die ganz flirrend ist

 

Und deshalb hier, in diesem Ding, jetzt ja gerade auch diese Form: alles so, wie es hinkommt, nichts bearbeiten, keine Peinlichkeiten raus, keine nachträglichen Irgendwas rein

 

TEXT

VERTRAUEN

 

 

Muss hier jetzt auch rein, dass es regnet?

UNBEDINGT

 

 

In der Küche gerade

 

halbe Pflaume stiebitzt

 

Mein Vater liest den Schwarzwälder Boten

Headline heute:

Miau!

Der 8. August ist der internationale Tag der Katze

 

So, jetzt aber weiter an HAMBURG

 

 

O oder E oder beide hauen unten grad auf dem Klavier meiner Mutter rum

ganz wirr und mit größter Freude

 

Die verstehen was von den Dingen

Genauso will ich es doch hier auch machen, auf diese Art

 

Ich geh jetzt doch nochmal zu ihnen runter

 

 

O und E haben das Zimmer unten legomäßig schon KOMPLETTVERWÜSTET

 

 

E: Wo ist mein Superritter?

 

Wer?

 

Mein Superritter

 

Hier vielleicht, der?

 

Nein

 

Der hier?

 

Nein

 

 

Als Mathias hörte, dass wir für ein Jahr in dieses Dorf nach Frankreich ins Elsass gehen, hat er gesagt: Oh toll, dann wanderst du bestimmt da so durch die Wälder wie Peter Handke und schaust dir alle Pilze an

Und wie mich da sofort das Grauen überkam, natürlich vor allem vor mir selbst, weil die Gefahr dieser bestimmten Form der – ja, halt eben doch: Verblödung in mir massiv vorliegt

Und das weiß ich ja

Ich habe ja als Naturlyriker angefangen!

So, jetzt steht’s hier, aber bitte: Das muss trotzdem unter uns bleiben

 

Und jetzt schon hier, die Bäume im Schwarzwald, vor dem Fenster

Und klar habe ich Lust sie zu beschreiben, den Ort

trotz bzw. gerade wegen Verblödungsgefahr

 

Vielleicht morgen, übermorgen

 

 

Wie ich vor einigen Tagen glücklicherweise noch in die kleine Kiste mit den wenigen Büchern, die ich mitnehme nach Frankreich, hineingeworfen habe: M.L. Kaschnitz – Beschreibung eines Dorfes

 

Das war mir plötzlich noch eingefallen

Ein Buch, das zwar unter zahllosen Gesichtspunkten total mufft inzwischen

Das aber trotzdem SO TOLL ist, ein SUPERBUCH

 

 

Und jetzt, in diesem Moment, Tür auf, Mutter rein, Wolfi, hier, Post, gerade gekommen

 

Huch, schon da

Hatte ich mir bestellt, vor wenigen Tagen: Handke – Das Gewicht der Welt

(und gerade noch von Handke hier gesprochen ähm geschrieben)

 

Natürlich in Vorbereitung dieser Sache hier. Gedacht, ohne das geht’s nicht

Bei Handke muss ich zumindest reingucken

 

Der ist doch immer Referenz und Bezugspunkt, und klar: in all seiner Schrecklichkeit oft

Handke ist ja in den Texten immer so anwesend und zugleich als Person für mich eben nicht auszuhalten, was das Lesen so ambivalent macht, aber diese Anwesenheit des Schreibenden in den Texten, das ist so unangenehm, und andererseits: So unerlässlich, weil nur so erzählt das ja was

 

So, bin jetzt kurz mal beim Handke-Rein-Lektüren, vor dem Mittagessen

 

Das Gewicht der Welt – EIN JOURNAL

Muarmuarmuar, Ein Journal, aaaauh, so geht’s gleich los

 

 

Für dieses Schreiben hier einfach alles nehmen, klauen

 

jedes Mittel, jeden Sound, alles was brauchbar ist, Brinkmann, Chr. Wolf, Goetz, Handke, die Warhol-Tagebücher, Aichinger, Frisch, EGAL

 

 

Was für ein Schwachsinn wäre es, das ALLES nur mit der bisherigen sogenannten EIGENEN SPRACHE berühren zu wollen

 

DAS EIGENE ist wahrscheinlich eh die gewaltsamste Behauptung

 

 

Frikassee Reis Gurkensalat

 

 

Kurzes Nickerchen, E neben mir, schläft noch, total süß

Ich lese ein bisschen Handke

 

Natürlich schrecklich, natürlich UNFASSBAR TOLL

 

Auf den ersten Seiten eher Aufzählungen bzw. Beschreibungen von Gesten, wahrscheinlich gar nicht beobachtet, sondern ausgedacht

Erinnert mich an mein absolutes Handke-Lieblingsstück Ritt über den Bodensee

 

Aber dieses Buch ist eben auch SPRACHGEWALT

Handke will die Dinge zu packen kriegen, klar

und deshalb: KNEIFT er mit jeder Notiz die Wirklichkeit ganz fest

 

Da weiß ich auch, dass ich das zwar einerseits toll finde, das hat was Gedichtartiges

Aber so will ich es hier z.B. eben nicht haben

Der Sound soll leichter sein, nicht DICHT hier, lieber verhuschter, optionaler

 

 

20 Seiten, und schon ist’s mir zu viel

Aber trotzdem toll

 

Die Sätze wollen halt nur so unbedingt was festhalten bzw. irgendein Extrakt hervorbringen

konzentriert sein

 

Jetzt ist E aufgewacht

 

Kann ich spielen gehen?

 

Klar!

 

 

O und E spielen gerade folgendes Spiel: Sie kreischen PORTUGAL, und rennen dann weg

durchs Haus

 

Aha

warum Portugal?

 

Vermutlich, weil es für sie einfach ein cooles Gekling ist

 

 

Deutschlandfunkbeitrag, wieder der totale Wahnsinn

Irgendein Frankfurter Institut des totalen Wahnsinns

hat untersucht LYRIK UND HIRN

 

Und erstmals richtete er auch eine Kamera auf die Haut am Unterarm

 

Wenn Gänsehaut auftritt

– und das sehen wir in der GÄNSEHAUTKAMERA –

dann wissen wir, dass die Person gerade ein Höchstmaß an

Bewegtsein erlebt

 

Spitzenreiter auf der GÄNSEHAUTSKALA:

Schillers Gedicht die Bürgschaft

 

Wawawawa

 

Gefühl und Rhythmus sind im Hirn

eng verbunden

 

Jeder kann Gedichte genießen

 

Bla bla bla

Total irre

Sendezeitvernichtung

 

Aber wenn fünf Sekunden Stille ist in irgendeinem Hörspiel, dann drehen die Radioleute total am Rad

 

Aus aus aus jetzt

 

 

Der Abend hier über dem schwarz bewaldeten Berg: eingerötet

 

Obwohl hier nichts ist außer Wald Wald Wald, ist hier niemals Stille

 

Der Bach kracht ja das Tal hinab

 

Ich bin jetzt sehr froh, hier zu sein, gerade

 

Wenn es ganz dunkel ist, dann geh ich ans Politiker-Stück

gleich

9.8.2017

Wie wenig das Politiker-Stück diesen Text hier verträgt

das habe ich sofort gemerkt gestern Abend

 

Weil das Politiker-Stück unmittelbar nach dem ganz fröhlichen Schreibbeginn im letzten Oktober durch die Jena-Sache, die damit verbundenen Schuldfragen und die plötzlich gefühlte – ja: Einsamkeit

ins Dunkle gerissen wurde

 

Was bedauerlich war und ist

Und zugleich auch richtig, so ist ja das Schreiben, dass es immer auf die Gegenwart reagieren muss, und das Stück also auch mit Einsetzen dieser inneren Finsternis von der Finsternis handeln musste, wie wäre das anders gegangen

 

Und das Stück dadurch wirklich ganz zu einem NACHT-TEXT wurde, in der Nacht geschrieben, ganz konkret, aber auch in sonstiger Hinsicht

 

Und wie das Stück in diesem Sinn plötzlich sofort nach dem Beginn des Schreibens nicht mehr ausgewogen sein konnte, eben nicht von Tag und Nacht und sowohl als auch handeln konnte, sondern nur von dem einen Zustand erzählt, denn in dieser Zeit war ja ausschließlich Nacht

Und sich für mich meine Grundannahme, dass ein Text immer von allem erzählen soll, nie nur von einem, deshalb plötzlich so seltsam verdrehte

Die Zukunft war ja wirklich einfach verschwunden, nur noch Vergangenheit und Gegenwart

Dunkelheit, oder nein, nicht reine Dunkelheit

Eine Art WALDBRAND IN DER NACHT, Delirium, so hat es sich angefühlt

 

Und davon erzählt der Text jetzt

 

Nur spüre ich jetzt, dass diese Art der Nacht langsam endet, glücklicherweise, enden muss

Und gerade auch durch diesen Text hier soll sie ja ganz vertrieben werden, dieser Text soll eben in besonderem Maße ein TAGTEXT sein, Zukunftsdings, Öffnung

 

Und das Politiker-Stück ist aber noch nicht fertig, und was macht es nun mit dem am Ende der Dunkelheit einfallenden Licht

Es scheut sich davor, aber das will ich aufnehmen, so soll in diesem Nacht-Text eben der Tag enthalten sein, als Ahnung des Morgens

Und vielleicht zerstört es mir das Stück jetzt, das kann sein, aber ich kann es nicht rauslassen, kann es nicht durchziehen, gegen das, was ist, das fände ich ganz falsch

 

Es ist ja immer der Realität zu folgen, niemals der Logik des Erzählens

 

Tag, komm

jetzt

 

 

Tobias vom Schauspielhaus angerufen

 

Ich habe ja vor Kurzem für diese Dramatik Workshop Sache da

nachdem ich Tobias dafür schon mal abgesagt hatte

nachdem ich Tobias schon für so einiges abgesagt hatte

diesmal ganz einfach sofort spontan: Zugesagt

 

Und sofort gemerkt, dass ich mir dabei selbst auf den Leim gegangen bin, auch

weil die spontane Zusage vor allem aus der unmittelbaren Lust kam, Tobias einfach damit zu überrumpeln (was auch total gut funktioniert hat), einerseits

Andererseits auch der unmittelbar reinknisternde Gedanke: Wenn ich da jetzt auf dem Dorf sitze, ist es vielleicht gerade der Zeitpunkt, sowas zu machen, mal für zwei Wochenenden raus nach Wien, Menschen, Kaiserschmarrn, Theater, Gespräch, ist doch schön

 

Und das ist es ja auch

 

Aber natürlich bringt diese Nachwuchsautorinnenfördersache so dermaßen viel Klebrigkeit mit sich, dass dieses Telefonat hier jetzt dringend notwendig war, ein paar Dinge mussten geklärt werden:

 

Wie sind die Bedingungen für die Teilnehmenden? Werden ihnen die Dinge bezahlt vom Theater etc.?

Ja, werden sie

Gut, danke, Tobias

 

Wer gibt da wieder welches Unsinns-Thema vor, und ich steh da namentlich dabei

Naja, geklärt, nein, noch unklar, Tobias schickt einen Vorschlag

Da gibt’s bestimmt noch Gerumpel

Schlagwort ist schon gefallen: Durchlässigkeit, da wird mir tendenziell schon schlecht

 

Aber vor allem der Wahnsinn der bisherigen Konstruktion, dass ich da mit den Schreibenden zwei Wochenenden sitze und spreche, und dann soll ich in der Jury sein, die dann ein GEWINNER-Dings auswählt

Wie sick ist das denn

Nein, sicher nicht, das wird ja arschkriechmäßig die Hölle, scheußlich

 

Also Bedingung: Raus aus der Jury, nur im Gespräch mit den Schreibenden, dass die auch drauf scheißen können, was ich sage, das ist doch wichtig

Diese Autonomie-Sache wird von den Theaterleuten in Bezug auf das Schreiben immer völlig unterschätzt

Warum

Weil die Theaterleute das so schwer verstehen können, weil ihre Arbeit im Theater ja auf so schöne Weise aber eben auch so übergroß: von Gemeinschaft handelt

 

Jedenfalls mag ich nicht ÜBER die Schreibenden entscheiden

Hat Tobias dann auch sofort verstanden

 

Aber trotz allem ist mir der ganze Vorgang, diese ganze Sache UNANGENEHM

 

Es ist und bleibt ein Tümpel, und da habe ich mich jetzt reingesetzt

 

Für die Zukunft muss ich nochmal neu entscheiden, wie ich mit so einer Anfrage DANN umgehen werde, und mir ist beim Schreiben dieses Satzes sofort klar, wohin die Entscheidung sich jetzt im Moment wohl eher neigen würde

 

Bin mir nicht sicher, ob Tobias jetzt in allen Einzelheiten verstanden hat, was da in meinem kleinen Schreiber-Herzen herumwühlt

Aber verstanden hat er auf jeden Fall, dass ich da jede Menge Probleme habe

und darauf nimmt er jetzt doch sehr Rücksicht, bisher

 

So, jetzt aber an den Hamburg-Text, flux

 

 

Aber jetzt, aus den Hamburg-Notizen, nochmal zurück:

Wie es einen schon kaputtet, schreibmäßig, wenn man z.B. ein Textchen für ein Programmheft schreibt, das man eigentlich nicht schreiben wollte

 

Das geht ja am Schreiben nicht vorüber, jede eigentlich nicht gewollte Kleinigkeit, jedes hier nochmal kurz für’s Geld Radioessay zu Diesunddas oder Verwurstung Gedanke Auftrag Süddeutsche Zeitung oder Blabla zu Katalog von befreundetem Künstler Quatsch was weiß ich –

Das alles geht ja am eigenen Schreiben nicht vorüber, sondern verformt und verbeult es gegebenenfalls ganz unmittelbar

Ich verstehe immer gar nicht, wie man denken kann, dass das gehen könnte: spurlos, schadlos

Gerade diese kleinen, eher heimlichen Sachen fucken einen doch ab

 

Und so ist es auch mit dieser Schauspielhaussache, klar

 

Und das ist eben so eine so schwierige, aber trotz allem irgendwie auch äußerst freudige Aufgabe für mich:

Sich den Dingen nicht aus Angst vor der eigenen Zerstörung zu verschließen, sich dem immer wieder auszusetzen, aber vor allem NACH UND NACH zu lernen, was geht, was gut ist und was nicht, und sich immer besser entscheiden zu können, auch von mir aus mal extra falsch, wegen Bock auf das Falsche

Aber eben nicht gedankenlos, aus Routine

 

Und das Schöne daran ist doch: Das ist doch wirklich ein Bereich des Lebens – der konkrete Umgang mit solchen Dingen – in denen man durch die Beschäftigung damit auf jeden Fall WEITERKOMMT, ein wirklich selbst gestaltbarer Bereich, im Gegensatz zu anderen Bereichen, wo das vielleicht nicht immer so klar ist

 

AUFTRAG FÜRS LEBEN, das

Eine Arbeit, die aber auch so wahnsinnig Spaß macht: DAS LERNEN

 

 

E singt im Flur herum, aber was? Ich kann es nicht verstehen

 

 

Lecker die Schote

sagt E

über die Schote in der asiatischen Nudelpfanne aus der Tiefkühltruhe meines Vaters

 

Schote

Erbsschote

Erbschen

 

Und welches davon wird jetzt das Wort des Tages?

 

Das entscheidet die Akademie für Sprache und Dichtung

nach einem kurzen Nickerchen

 

 

E hat nicht geschlafen, er hat sich nur

herumgewälzt

 

 

Nachmittags kommt TRUDE zu Besuch, die Freundin meiner Mutter aus dem Dorf, die sich von meinen Eltern einfach nicht vertreiben lässt, eine sehr freundliche Person

Sie will O und E sehen

 

Und so spielen O und E

Und Trude und Mutter und Vater und die Akademie für Sprache und Dichtung sitzen dabei und essen Kuchen

 

Leider ist die Akademie für Sprache und Dichtung sehr müde, eine große Erschöpfung plötzlich, noch von den letzten Wochen, die jetzt hereinbricht, dass es zu keinem vernünftigen Gespräch kommt zwischen Trude und der Akademie

 

Schade, das nächste Mal

 

 

Später fährt die Akademie für Sprache und Dichtung Trude noch nach Hause, es ist ja alles so weit entfernt hier, Trude wohnt mit ihrem Mann Franz oben am Wald (wer wohnt hier nicht am Wald)

 

 

Draußen alles dunkel, keine Kraft mehr richtig

für das Stück

 

Totale Erschöpfung, die kommt mich aus den letzten Wochen also jetzt hier doch besuchen

Gut, dann leg ich mich hin

 

Bier

 

Seltsam warme Dunkelheit

10.8.2017

Beim Gottesdienst zum Bergfest am Sonntag

im Festzelt neben der evangelischen Kirche

predigt auch

Oberbürgermeister Julian Osswald

Beginn ist um 10 Uhr

 

Feuer, Wut und Macht

 

Kleine Vierbeiner kommen in Musbach ganz groß

raus

 

Was was was was

 

Toast

mit

Marmelade

 

 

Und ich habe natürlich auch kurz daran gedacht, in diesem Jahr, in dem ich da jetzt irgendwo ganz abseits lebe, dieses WALDDING, das also mit so einer Fröhlichkeit auch dahingehend durchzuexerzieren, einfach auch zu verwahrlosen, haar- und bartmäßig, ein Jahr lang eben einfach so zuzuwachsen und dann eben einfach so auszusehen, wie ich dann eben aussehe

Und das hier noch durch ein Davor-Foto und ein Danach-Foto zu kommentieren

Aber dann ist mir sofort klar geworden, dass ich dann ja auch nur aussähe wie ein HIPSTER, am Ende

Und also nein, bitte nicht, dumme Idee

 

Ich erinnere mich, dass Harald Schmidt mal nach einem Jahr (oder mehr oder weniger) Fernsehabstinenz zurückkam, auf genau diese Art zugewachsen

(da ist wirklich kurz alles aufgeleuchtet)

Da ging das aber noch, da waren derartige Vollbärte noch offiziell als herrliche maßlose Scheußlichkeit anerkannt, aber jetzt geht das nicht mehr, gerade

Schade

 

 

Entschuldigung, nochmal kurz zu der Harald-Schmidt-Bart-Sache:

Das Tolle daran war, als er da eben plötzlich mit diesem Bart wieder in so ein Fernsehstudio gelatscht kam – dass SOFORT klar war: genau für diesen Augenblick hat er ihn jetzt wachsen lassen

Sicherlich für ihn über gefühlte EWIGKEITEN in seinem Leben, und dann ist der Augenblick vorbei, alles auf einmal verbraucht, totale VERSCHWENDUNG, na und, ist ja gerade deshalb so toll

Der hat sich ja bestimmt DAS GANZE JAHR ganz aufgeregt auf diesen Augenblick GEFREUT

 

 

Judith

Dorothee

Roman

ich freue mich so, dass ihr jetzt in der Nähe seid

 

Dass ich jetzt in eurer Nähe bin, meine ich

 

Vielleicht komm ich wegen der Theatersache eh schon nächste Woche

nach Zürich

 

Judith ist nicht da, hat sie schon geschrieben, sie ist in Belgrad

Und Dorothee ist nur zeitweise da, das wäre aber schön, wenn sich das doch überschneiden würde

 

Und Roman, dich komme ich natürlich auch ganz bald besuchen, in Basel in deinem seltsamen Stipendien-Haus, ich freu mich drauf

 

 

Mir ist diese Zürich-Theater-Sache in den letzten Tagen durch den Umzug jetzt doch ganz schön weggerutscht

Aber jetzt muss ich darüber nachdenken

 

Diese seltsame Überschneidung, nach dem Theaterhaus-Jena-Desaster, dass plötzlich diese Anfrage kam von Heike (das ist jetzt ja gerade erst drei Wochen her), ob ich vielleicht Lust hätte, ein Theater mit zu machen

 

Und natürlich ist das Theater genau die richtige Größe, der Ort, der Zeitpunkt, der ganze Zufall, dass ich mich fast dazu verflucht fühle, wie so ein SCHICKSALSAUFTRAG

plötzlich

 

 

Aber trotzdem: Wie abgeschnitten mir die Zukunft doch vorkommt durch das Theaterhaus-Fiasko im Winter in Bezug auf eine eigene Arbeit an einem Theater. Da ist ja erstmal niemand mehr, mit dem es eine Art Grundübereinstimmung gibt – und damit meine ich nicht eine Übereinstimmung auf rein inhaltlicher Ebene, sondern eine Art gemeinsame Geschichte in der Hervorbringung der Inhalte. Und die ist für mich so wichtig, für das Vertrauen, dass man doch insgesamt tatsächlich von der gleichen Sache spricht, mit allen Abweichungen auch im Detail

Mein Vertrauen dahinein ist nicht weg, seltsamerweise, das ist schon richtig für die Zukunft, nur ist alle jahrelange Vorarbeit diesbezüglich natürlich wie gelöscht, in diesem Fiasko AUFGEBRAUCHT VERBRANNT worden

 

Jetzt muss alles neu begonnen werden, braucht alles vielleicht Jahre, mit wem, noch keine Ahnung, aber das beginnt jetzt eben

Es geht nur eben nicht schnell, aber Geduld

wird

kommt

 

Das Theatermachen müsste für mich ja eigentlich eben immer ganz von vorne beginnen, nicht einfach irgendwo einsteigen, das geht nicht

 

Egal welcher Laden, der muss ja ganz umgefaltet werden, denkend, erstmal, in Möglichkeiten hinein

 

Und jetzt denke ich natürlich doch kurz: Vielleicht geht das eben doch nicht mehr, weil das GEMEINSAME BEGINNEN mit der Sache eben so wichtig ist, das ist mir noch gar nicht klar, was das heißt

Jetzt wäre ich ja schon in einem WEITERMACHEN mit der Sache an sich, damit geht natürlich ein gigantischer Kraftverlust einher, das kann ich auch nicht leugnen

Aber da muss ich jetzt eben drüber hinweg, den muss ich vielleicht tatsächlich AKZEPTIEREN, kraftmäßig, nicht inhaltlich, hat aber beides natürlich miteinander zu tun

Auch wenn das irgendwie nicht geht, muss es halt doch gehen

 

Aus diesem Paradox ist ja auch Freude zu gewinnen, da kommt ja für mich glücklicherweise immer auch ein Antrieb raus

 

 

Ich muss jetzt nächste Woche einfach durch dieses kleine Züricher Theater laufen, und dann wird dieser Ort etwas machen, vielleicht einen Schlitz in die Zukunft aufreißen

 

 

Und jetzt hier, gerade die Post

mit einem winzigen Päckchen von Hansi

mit der ersten Urbanitätslieferung

für mich

 

Ich werd verrückt, das ist so schön

 

Vielen vielen Dank, Hansi

 

 

Balkontür offen, der Wald rauscht herein

 

 

Folgende Erzählung

gestern wieder eingefallen

 

Die ich nicht aufschreiben konnte, bisher, weil es eben keine richtige Erzählung ergibt, sie total formlos bleibt

 

Und hier kann sie vielleicht ihren Platz finden, weil hier nichts FERTIG werden muss, die Realität ganz unfertig stehenbleiben kann

 

Der Titel der Erzählung jedenfalls lautet

DIE TRUDE UND DER PAPST

 

Sie spielt noch im 20. Jahrhundert, ich weiß nicht mehr, wann genau

 

Der Gesangsverein der katholischen Kirchengemeinde Bad Rippoldsau

fährt zum Jahresausflug nach

Rom

 

Und also auch der Franz, Trudes Mann, und also auch Trude, denn die Partnerinnen fahren alle mit

in einem großen Bus

 

Weinproben, Besichtigungen, ich weiß nicht, was alles, und ein Besuch auch im Petersdom

 

Unfassbar viele Menschen dort, und der Papst, Johannes Paul der Zweite

hält einen Gottesdienst

geht umher und schüttelt auch einigen

Gläubigen

die Hand

 

Und zufällig auch an einer Absperrung

der Trude

 

Es ist ein Zufall

 

Die Trude und der Papst haben eine winzige, sehr freundliche Konversation

 

Ein Fotograf des Vatikans macht ein Foto davon, ich sehe es als Jugendlicher oder noch als Kind, ich weiß nicht mehr

im Wohnzimmer der Trude

 

Und da ist ein kleines, aber sehr schönes Leuchten zwischen der Trude und dem Papst in dem Moment

 

Es ist ein wirklich schönes Foto

aber dann verschwindet es aus dem Wohnzimmer, kurze Zeit danach

 

Wie ich später erfahre: Weil es zu Missgunst führt, bei allen anderen

weil die Trude nur als ANHÄNGSEL mit dabei war in Rom, gar nicht zum eigentlich ausflugmachenden Gesangsverein gehört

und der Papst schüttelt aber ihr die Hand

 

Und all das Licht dieses kleinen Wunders verwandelt sich hier im Dorf in eine Dunkelheit

 

Offenbar auch direkt danach schon, auf der ganzen restlichen Reise schon

und dann darüber hinaus, bis hier in den Wald hinein, über Jahre

 

Geschichte zu Ende

beschissene traurige Geschichte

 

Klar kann man diese Un-Geschichte nicht erzählen

aber jetzt steht sie hier wenigstens

 

Nur als was

 

 

O erzählt mir:

Da springt ein schwarzes Eichhörnchen ums Haus

da

hinten

war es

 

 

E sagt:

Leberflecken werden aus Leberwurst gemacht

 

 

Die feindlichen Panzer haben angehalten

 

Wieso?

 

Warum kostbare Panzer opfern, wenn sie uns von oben wie Fische im Netz erwischen können

 

Es sind vierhunderttausend Mann an diesem Strand

 

Er kommt wieder zurück

Er kommt wieder zurück

 

Wo fahren wir hin?

 

Dünkirchen

 

Ich geh nicht mehr zurück

 

Es lässt sich nicht vermeiden, Junge

 

Wir haben einen Auftrag zu erledigen

 

Dann sterben wir dort

 

Man kann sie von hier aus fast sehen

 

Was?

 

Die Heimat

 

 

Die irgendwie spastischen Bewegungen der Sängerin Lorde, bei einem Auftritt, gerade gesehen auf Youtube

Wie schön das ist

Diese Bewegungen, die eben aus etwas ganz eigenem kommen, NÄMLICH DEM EIGENEN KÖRPER

Und die deshalb ganz neu sind, egal wie ÄHNLICH sie strukturell anderen schon gesehenen Tanzbewegungen sind, was sie da tanzt, ist ja keine Neuerfindung von nichts

Das ist eben ihr Körper, der das nochmal tanzt, und alles nochmal fremd werden lässt

WEIL SIE SICH DA OFFENSICHTLICH UM IRGENDWAS NICHT SCHERT

(um anderes schon, aber das stört nicht)

 

So wäre mit der Sprache auch umzugehen, erneut

 

But I hear sounds in my mind

Brand new sounds in my mind

 

 

Am Politiker-Stück, ich komme hier jetzt langsam wieder rein, nach der Unterbrechung die letzte Woche

Aber es muss noch so viel Anderes kommen

 

Und ich weiß nicht, ob es für eine Bühne geht

immer noch nicht

 

Es rauscht es rauscht

 

 

Auch der Fluss rauscht in der Nacht

 

Der Fluss ra usch t in der Nacht

 

 

Ich lösch jetzt

die Lupinen

11.8.2017

Guten Morgen guten Morgen

Wolfram

 

Hose hoch Hose hoch

hoch hoch

hoch

 

Kaffee Kaffee

los los los

 

Und was ist das hier

Frischeiwaffel

rein rein rein

 

Los los los

 

Der Tag beginnt

der Autor spinnt

 

 

Hier, jetzt, also unbedingt

nach dem Aufblitzen des Namens Jan Fleischhauer auf Spiegel Online

der heute auch noch unter der Rubrik FUNDAMENTALISMUS schreibt

kurz zum TROTZ

Der ja für mich schon so wichtig ist

Als Antrieb, um sich aus der Konvention, in der man ja steckt, immer erneut

herauszuschießen

 

Und dafür ist er ganz unerlässlich

Aber zu was für einer Verblödung er führt, wenn durch ihn schon

eine Position eingenommen wird, ganz falsch falsch falsch

 

Der Trotz darf eben nur ein BEWEGUNGSGENERATOR sein, aber kein POSITIONSGENERATOR, nur raus erstmal

aber eben gerade nicht dahin, wo einen das dann einfach so hinpfeifen würde

schon alleine, weil diese Position sich ja ganz dämlich auf die vorherige Position als Antiposition bezieht

sondern im Rausfahren sofort gleich direkt abbiegen aufs Feld, nach sonst wohin, erstmal möglichst wirr und widersprüchlich

 

Und dann:

 

Suchen, von Neuem, nach der eigenen Position, ganz untrotzig

IN ALLER RUHE

 

 

O sagt, mit einer der Legotüren an der von uns gestern gemeinsam gebauten Tankstelle stimmt was nicht, da soll ich jetzt mal nachsehen

 

 

Mein Wunsch wäre natürlich gewesen, dass der Text hier von Anfang an von einer Offenheit handelt, aber nach dem letzten halben Jahr ist es klar, dass ich hier in relativer Verknitterung anfange

 

Und diesen Text schreibe ich ja auch, um mich zu beobachten, ob jetzt nicht eine Verbiesterung in mir einsetzt, ein kleiner Alters-Bitterkeit-Schub durch das Geschehene

Und der Text lügt diesbezüglich ja nicht, das ist klar, nur so, schreibend, kann ich mir wirklich zusehen und das eventuell verhindern

 

Die Sprache offenbart das ja auf jeden Fall, WAHRHEITSMEDIUM

 

 

Es wäre schön, wenn ich am Ende feststellen würde, dass die Dramaturgie des Textes wäre: Hinaus ins Offene, Helle

Aber das wird eben vielleicht auch nicht so ganz so sein, sehr wahrscheinlich, und das ist dann so, der Text wird dann eben auch teilweise ein Scheitern erzählen, diesbezüglich

LEBEN

 

 

Ich freue mich hier schreibend eigentlich auch besonders auf das eventuelle Entstehen kleiner FORMATE

ja ja: Formate

kleine rituelle Formen, die plötzlich entstehen und mit denen dann gespielt werden kann für eine Zeit

Wie schön das wäre, denen zuzusehen, wie sie aus dem Schreiben im ganz direkten Umgang mit dem Leben ENTSTEHEN

 

Und dann auch verbraucht werden

 

 

Wie schön ich das fand – das muss ich hier nochmal erwähnen – als mir, nach dem der Lehrauftrag im Frühjahr an der Hochschule für Musik und Theater Mendelssohn Bartleby Leipzig zu Ende war

(ich hatte da noch irgendeine postorganisatorische Mail an alle geschickt wegen irgendwas)

eine der Studierenden, die sehr stille sympathische Frederieke, einfach so nochmal zurückschrieb, wie sehr es Spaß gemacht hätte, meine Mails zu bekommen, weil man in ihnen immer gespürt hätte, wie das Schreiben Freude machen kann

 

Das war so schön, das EINFACH SO geschrieben zu bekommen

und irre wichtig, für mich, aus diesen Dingen kommt so wahnsinnig viel neue

 

Dankeschön nochmal, Frederieke

 

Und ja ja ja, darum geht es, dass die Spaß-Geste in den Text – egal was für einen – dass die da reingeht

 

Das ist in den Mails für mich viel einfacher, als in den Texten, die so sehr etwas sollen

Und vielleicht kann das Schreiben hier auch etwas davon haben, möglichst viel, von diesem Nicht-Sollen

 

 

Bei schweren Unwettern über Norditalien

sind mehrere

Menschen

verletzt worden

 

Zu den Opfern

gehört auch Brandenburgs

Sozialministerin

Golze

 

Sie war im Campingurlaub, nun liegt sie im Krankenhaus

 

 

Vorhin kurz bei Instagram geschaut

und wenn ich mich da durchklicke, über die Profile von so vielen tollen Leuten, die ich aus Leipzig kenne

 

Wie schnell ich da die Krise kriege, weil diese Bilder dort für mich so oft nur irgendwas absichern sollen, die eigene Existenz, und zwar durch GESCHMACK

 

Wirklich, nein, GESCHMACK ist das Langweiligste, es heißt doch nur: Ästhetische Hoheit über die Dinge

Sicherheit

 

Eben kein Risiko, aber die Kunst, alles, das ist ohne Risiko irgendwie

nichts

 

 

Deshalb auch meine von allen immer wieder völlig zu Recht verlachte Begeisterung für Miley Cyrus

 

Weil ich es einfach so toll finde, ihr zuzusehen, als Popstar

Der Verwirrtheit, der Aufgekratztheit, der bedingungslosen Emotionalität, der totalen Unkontrolle

die natürlich ununterbrochen auch Peinlichstes hervorbringt

 

Auch und besonders musikmäßig, na gut

 

Aber ich finde Miley trotzdem gerade deshalb sympathisch

 

Wie viel lieber mir das am Ende doch ist, als Beyoncé, die ja toll ist, jaja, sehe ich ja auch so

Aber halt doch so, wie ein Leder-Designersofa in irgendeiner Kuratorenwohnung toll und beneidenswert und ästhetisch ist

Und zugleich so deprimierend endgültig und langweilig, nein

 

Miley

 

Und zugleich muss ich mir natürlich eingestehen, dass ich das alles ja nicht aus der Musik-Perspektive sehe, wahrscheinlich war das leider nie meine Perspektive am Ende, sondern ich sehe es halt doch aus der THEATER-Perspektive, klar

ich Depp

 

Aber so ganz falsch ist das ja auch nicht beim POP

 

 

Jetzt völlig verspätet geantwortet einer Redakteurin der Theater-Kritik-Plattform Nachtkritik, die mich über den Verlag eingeladen hat zur 10-Jahres-Feier der ganzen Sache

Und nein, da kann ich doch unmöglich hingehen, unmöglich

 

Das würde mir wie der totale Wahnsinn vorkommen, da wäre man ja wirklich im Herzen des Betriebs, und es ist völlig klar, dass dort das Sprechen auch auf einen übergeht

So wie auch die zu ausgiebige Beschäftigung mit Nachtkritik für einen Theaterautor wirklich vernichtend sein kann, da bin ich mir sicher

Das ist eine gute Sache, ja, aber für einen Schreibenden ist es auf Dauer – davon bin ich überzeugt – völlig aushöhlend

Weil der Schreibende ja letztlich im Theater für das Außen des Theaters zuständig ist, das holt er doch hinein, und er sich deshalb nur begrenzt mit dem Innen des Theaterbetriebs beschäftigen kann

 

Ich kann auch nicht auf die Buchmesseparty meines Verlags

ich kann ja schon nicht auf die Buchmesse, wenn’s nicht unbedingt

nein, das halte ich so schwer aus

warum sollte ich auch

 

 

Das war so eine tolle Sache für mich, damals aus der Lyrik schreibend in den Theaterbereich zu hüpfen, eine totale Befreiung

Obwohl es natürlich nur ein Transit aus einem partiellen Wahn-Bereich in einen anderen ist

 

Die Lyrikszene ist ja auf bestimmte Weise hyperneurotisch totalverblödet, in ihrer Sprachverfitzelung, die eben auch total toll ist, dieses Superfixierte, aber eben auch ein Wahn und ein Stumpfsinn

 

Und der Theaterbereich, mit dem ganzen Politikquatsch, dem ganzen Gesellschaftsaufrissgetöse immer, dem Unbedingt-Mitquatschen-Wollen bei Zeitung und so usw. und deshalb auch immer wieder die Kunst so verleugnend, dafür natürlich doch auch anders der Gesellschaft zugewandt

 

Aber wie diese Bereiche einfach ihre Blindheiten erzeugen

(wie es jede Praxis gegenüber der Realität irgendwann tut)

die man in den Bereichen gar nicht mehr bemerkt, bemerken kann

 

Wie gut es deshalb ist, diese Bereiche zu wechseln, sie sind nicht besser oder schlechter, darum geht’s nicht, aber um den Übergang geht’s, der einem davon Autonomie geben kann

 

Ja: Springen

 

Und über diese Prosa-Roman-Feuilleton-Kultur

darüber ist hier noch gar nichts gesagt, das erscheint mir wirklich wie der totale Wahnsinn, ein Weitersprechen aus sich heraus, ein sich zu einem Metaquatsch-verselbstständigter BUCHMARKT, gipfelnd jedes Jahr im KLAGENFURTWAHNSINN

Da weiß ich wirklich am wenigsten, wozu das gut sein soll

Das ist ja wirklich total irre, wie da Bücher manchmal unter welchen Kriterien besprochen werden

CRAZIEST

 

So jetzt aber weg davon

weg weg

 

Gott sei Dank, unten vor dem Haus klappen die Autotüren

O und E waren mit meiner Mutter Lego kaufen in FREUDENSTADT

das wird jetzt also auf jeden Fall gleich

schön

 

 

Zwei wirklich coole

JEEPS

 

 

E ist nach dem Abendessen beim Quatschmachen mit O plötzlich auf den harten Küchenboden gefallen mit dem Kopf

ein sehr erschreckendes Geräusch

 

Aber es scheint ihm wieder gut zu gehen

sie toben jetzt weiter im Bett herum, die kleinen Spinner

 

 

Es regnet und regnet und regnet

 

Peter Handke geht morgen hier im Wald wandern

das kann ich euch sagen

 

Sonst bekommt Peter Handke hier den sogenannten

BUDENPIEPS

 

 

Hier jetzt eben, beim Lüften

ist ein dürres Falterchen ins Zimmer gekommen

und sitzt jetzt in der Falte meines aufgeschlagenen Notizbuches

unter der Schreibtischlampe

 

Und hat ganz große, dunkle Augen am winzigen Kopf außen dran

 

Irgendwie sehr sympathisch

 

Bleib so, ich schreibe jetzt einfach noch ganz behutsam

weiter

12.8.2017

Peter Handke hat jetzt doch keine Lust, im Wald wandern zu gehen, weil es immer noch regnet, die ganze Zeit

das ist Peter Handke einfach zu nass

 

Stattdessen ist Peter Handke mit dem Auto in den fünf Kilometer entfernten Ort einkaufen gefahren

 

Dort ist nach den goldenen Jahren der Kurzeit nur noch ein seltsamer Laden übrig, ein Laden mit dem sogenannten Notwendigsten

 

Es erinnert an einen Drugstore aus einem Western, nur ohne Hüte

 

Es gab nicht mal SALAT, heute

dafür aber Schleich-Tierfiguren, und kurz hat sich Peter Handke überlegt, für die Kinder zwei dieser Figuren statt Salat mitzubringen

aber dann doch nicht, den Kindern sind diese Tierfiguren eigentlich seit Jahren schon egal

 

Die Leute schauen einen hier merkwürdig an, aber im Gegensatz zu früher ist das nicht unangenehm gewesen, es ist eher eine Art freudiges Anschauen, dass da jemand Fremdes hier ist

 

Mit irgendwie doch einer klein bisschen anderen Hose an, oder so, ohne dass Peter Handke jetzt genau sagen könnte, was an der Hose anders ist

 

 

Heute Nacht bin ich kurz aufgewacht

nein, falsch

 

Heute Nacht ist Miley Cyrus kurz aufgewacht, ganz aufgeregt, und sie hat sofort an ihr Theaterstück gedacht

von dem ja gar nicht klar ist, ob es ein Theaterstück wirklich sein kann, es ist ja mehr ein Sprechgedicht für einen Chor, und Miley weiß immer noch nicht, ob das auf einer Bühne überhaupt funktionieren kann

 

Jedenfalls ist Miley Cyrus ganz aufgeregt gewesen und hat plötzlich gedacht, der Text müsste jetzt doch ausgeweitet werden, formal, obwohl dieser Gedanke von Anfang an tabu war, weil der Text ja als eine Art meditative Endlosigkeit des rhythmisch Immergleichen gedacht war, was natürlich nicht einfach unterbrochen werden kann, und wo sich vielleicht mit der Zeit etwas einstellt, und vielleicht auch nicht, das ist schreibend eben nicht zu sagen, das ist das schöne Risiko

 

Aber irgendwie hatte Miley heute Nacht kurz das Gefühl, da liegend in der Dunkelheit im Zimmer, dass diese Art von Beschränkung auch falsch sein könnte, dass es vielleicht jetzt tatsächlich einen Sprung geben müsste, hinein in etwas ganz Anderes, aus dem ganz lyrischen Singsang in etwas vielleicht teilweise sogar Episches

 

Aber klar war sofort, dass so ein Sprung etwas unerhört Unverfrorenes sein müsste, eine totale Zumutung aus der bisherigen Form heraus, ein ausgiebiges Reden über irgendwas Anderes plötzlich, das mit dem Bisherigen direkt gar nichts zu tun hat, aber auf der tiefen assoziativen Ebene natürlich ultrastimmig und genau das Bisherige fortsetzen müsste, dass also die Verweigerung, die der ganze Text bisher ja praktiziert, sich jetzt auf den Text als Ganzes beziehen müsste, sich der Text sich selbst verweigert und so in einen anderen Raum hineinschießt, um dann irgendwann doch wieder über eine Art verschlungenen Bergpfad wieder anders in das schon Vorhandene zurückzukehren

 

Und aus der Arbeit an den bereits geschriebenen Stücken weiß Miley, dass das eine ganz genaue und wahnsinnig anstrengende Suche ist, dass da etwas ganz Unpassendes gefunden wird, das trotzdem genau passt

 

Aber solche Aufgaben, gestellt vom Text, zunächst unmöglich erscheinende Aufgaben, versetzen Miley Cyrus jedes Mal in die allergrößte freudige Aufregung, und so hat sich Miley noch einige Zeit umhergewälzt, bevor sie wieder eingeschlafen ist

 

Und vom Strand von Malibu geträumt hat, vielleicht, wer weiß

 

 

Gerade lese ich, dass Julia einen Preis bekommen hat, schon habe ich den Namen des Preises vergessen, aber das ist egal

 

Sofort einen fröhlichen Quatsch geSMSt

 

Das ist doch alles sehr gut, Julia, und ich bin etwas deprimiert, dass ich gerade aus Leipzig fortgehe, wo du jetzt hergezogen bist

 

 

Das Äffchen der Gerechtigkeit

 

 

Mein Vater war heute Morgen mit einem extrem geschwollenen Fuß aufgewacht, wurde dann von meiner Mutter ins Krankenhaus gefahren

Davor kurz Tränen, mit seinen über achtzig Jahren natürlich auch bei solchen Dingen immer schon der in ihm heranbrausende Gedanke, eventuell nicht mehr zurück zu kommen

 

War aber eineinhalb Stunden danach wieder da, Medikamente, wird besser

 

 

Langholzer, fahr

 

Fahr, Langholzer

 

Bring uns all die Bäume weg

 

 

Heute mit Steffen aus Rostock telefoniert, seit Langem. Er erzählt nebenbei, wie es Uli ging, von seinem Kind

 

Das Kind

 

Wie mich das trifft, dass ich Uli so lange nicht mehr gesprochen habe, seit dieser Scheiße vor – ja – nun fast drei Jahren

 

Aber dass es nun vergessen sein soll, warum bin ich da so nachtragend gewesen bisher

 

 

Heute Abend wieder so erschöpft, warum, keine Ahnung

 

Aber ich wache ja oft am späteren Abend nochmal richtig auf

 

 

Wie die Wikinger genervt haben müssen: Immer kamen sie, einfach so, plünderten, vergewaltigten und zerhackten einen

 

 

Heute weiter Texte gelesen für den Edit-Essay-Preis, Mathias hatte mich gefragt

Und ich muss sagen: Das ist so eine große Freude

Wenn ich sonst immer in anderen Gegenwartsliteraturkontexten die große Müdigkeit bekomme, sind alle diese Texte auf irgendeine Weise: Richtig und gut

Und das liegt natürlich an der Form, dem VERSUCH

Dass da doch immer wieder vom ganz speziellen Ding, von der ganz speziellen Erfahrung ausgegangen wird, und die Sprache dann erst gesucht wird, einen im Detail doch immer neuen Weg

Da kommt nicht so schnell so ein abgelatschter Ton rein wie es meistens in Erzählungen der Fall ist

Die Erzählungen beginnen ja eben doch meistens bei ihrem Genre, auf irgendeine Weise, irgendeiner will eine Erzählung schreiben, hat dann irgendwie so eine Idee, furchtbar

 

Der Essay ist halt die genuin literarische Form, gerade, weil es keine feste Form ist, sondern DIE OFFENE: Es wird ganz neu nach der Sprache gesucht, das zu Beschreibende literarisch ganz unsicher hervorbugsiert

 

Und wie egal es ist, ob es gelingt, ob die Texte auch ihre Schwächen haben, aber das, was mich so begeistert, ist, diesem Versuch zusehen zu können

 

Da, beim Lesen dieser Texte, bin ich mit der Gegenwartsliteratur ganz ausgesöhnt:

Es gibt doch so viele tolle Schreiberinnen, eigentlich, das ist da zu sehen

13.8.2017

Dies ist eine Tasse Kaffee

Dies ist ein Stück Rhabarberkuchen

 

 

Gestern Abend in ein Video hineingeschaut, ein Gespräch mit: ja naja

Friedrich Dürrenmatt

der übers Dramenschreiben spricht, und gedacht, wie unfassbar das ist

wie der da saß, wie die da saßen, diese Nachkriegsautoren

und im Fall von Dürrenmatt, wie er seine komische Zigarre oder was das ist

mümmelt und schwadroniert, in dieser Zurückgelehntheit, unfassbar, unfassbar, das ist das Selbstverständnis der Moderne

der helle Ego-Dichter-Selbstverständnis-Wahnsinn

 

Und was er sagte, mit einigem kann ich übereinstimmen, aber trotzdem diese Grundenttäuschung, weil das Sprechen so grob bleibt, doch so ungenau den Schichten des Schreibens gegenüber

Es bezieht sich so sehr – das merke ich – auf die Grundannahmen, die es so über das Schreiben gibt in der Öffentlichkeit, und vom Vorgang des wirklichen Schreibens geht es schon sehr dorthin, spricht dahinein in diesen Bereich, durchaus mit Widerspruch, aber dennoch zu sehr darauf bezogen

 

 

Das habe ich ja auch gemerkt, bei den vielen Interviews zu Die lächerliche Finsternis, wie sehr ich nach und nach angefangen habe, ganz unbewusst, in das äußere Sprechen über das Stück – da also immer mehr hinzuquatschen, ins Medial-Politische-Gequassel, anstatt da erneut ganz von der (nicht so gut mit allen kommunizierenden Position der Kunst) immer wieder zu beginnen

 

Das sieht man ja an den tollen Interviews mancher guter Autorinnen – kürzlich Brasch gesehen in so einer alten Reportage – wie der immer wieder sprachlich schon ablehnt, was da an ihn herangetragen wird, sofort die andere, eigene Geste sucht und ins Gespräch damit hineingeht, das ist völlig richtig

 

Was aber natürlich auch so unfreundlich wirkt, weil die jeweilige Gesprächsrahmung, die Verfasstheit der Frage bzw. des zuvor vom Anderen Gesprochenen, eben nicht einfach akzeptiert wird

 

 

Noch schlimmer bei den Interviews zu Die lächerliche Finsternis

die ja TATSÄCHLICH IMMER aus den gleichen Fragen bestanden

dass ich da immer mehr die gleichen Antworten gegeben habe, und zwar sehenden Auges

bzw. zwar nicht absichtlich

aber die schon mal gegebenen Antworten kamen natürlich sofort immer direkt rein bei mir, gewissermaßen von der Frage getriggert, und ich habe es nicht geschafft, nochmal neu anzusetzen, ganz von Neuem, sondern höchstens, sie im Sprechen noch etwas zu verbeulen

Das alles vielleicht eben doch auch am Ende: Aus Bequemlichkeit

 

Schon ein Totalversagen

 

Langsame Entleerung des Sprechens, im Kern natürlich schon auf dem Weg zum sogenannten Politikersprechen

 

 

Nicht zu viele Gespräche, Verbot des schon mal Gesagten, dann lieber vielleicht sogar die Dinge nicht ganz richtig sagen, sondern Falsches riskieren

TROTZ, raus raus raus aus dem schon Vorhandenen

 

 

All diese Schritte in diese Richtung führen – das ist schon klar – auch in eine Art Divenhaftigkeit

 

Aber wie richtig ich das finde

 

Ich kann es ja immer nicht verstehen, wie die Leute sich aufregen, wenn – sagen wir mal – Mariah Carey eben nicht singen will, wenn sie in der Garderobe nicht ihr

ich weiß nicht was

wenn da was fehlt oder nicht stimmte

 

Oder bei diesem Auftritt, wo der Sound auf der Bühne nicht so ganz da war, und sie dann einfach aufgehört hat, scheißegal was die Leute denken, sofort Riesenskandal in allen Boulevardmagazinen des deutschen Fernsehens

 

Aber das ist doch völlig richtig, weil diese Dinge, all diese winzigen Lächerlichkeiten in der Vorbereitung, natürlich zwar minimal zu ihrer Kunst beitragen, aber auf diesen jeweils minimalen Beitrag kann nicht verzichtet werden, es geht da um diese Unbedingtheit, und wenn man es da an einem bestimmten Punkt nicht so genau nimmt, dann hat das ja Auswirkungen auf die Zukunft und potentiell auf alle anderen Punkte

Und wie einleuchtend das ist, dass so jemand wie Mariah Carey also in diesen Dingen immer terroristischer wird

Ja klar, wie denn sonst

 

Wegen dieser Unbedingtheit ist Mariah Carey ja die, die sie ist (wer auch immer sie ist)

 

 

POPO UND MOMO SITZEN IN DER KÜCHE, MACHEN KREUZWORTRÄTSEL. POPO FRAGT: KARTOFFELKLÖSSCHEN MIT ACHT BUCHSTABEN. MOMO RUFT: KRÖKOTTE. RUFNAME DES TRAINERS VOGTS, FRAGT POPO, KLAR, ANTWORTET ER SICH SOFORT SÖLBST, IST BÖRNI. GESTRAFFTES STEPPENTIER MIT ZET AM ANFANG IST ZOBEL, SAGT MOMO. UND GASTSTÜTTENANGESTALLTER? ABER, RUFT POPO, ODER? ABER WAS IST DACHTRAUFE MIT EINS ZWEI DREI VIER FÜNF SECHS SIEBEN ACHT NEUN ZEHN BUCHSTABEN? NA RONJARÖNNE, IST DOCH KLAR, RUFT MOMO. STÜMMT, KREISCHT POPO, PASST!

 

 

Jetzt hat Peter Handke gerade erwähnt, dass er mal für ein zwei Stunden im Wald ganz Peter-Handke-mäßig umherwandern möchte (denn heute regnet es nicht mehr), mit seinem Peter-Handke-Notizbuch, und sofort der Einspruch der Kinder, die wollen natürlich mit und zerstören damit dem Peter Handke sein Peter-Handke-Sein

wie wunderbar

 

Aber erst wollen sie noch mit Peter Handkes Mutter Kuchen backen

Also geht Peter Handke heute Nachmittag mit den Kindern im Wald dann umher, und zwar nicht als Peter Handke, sondern als ich

 

Ist eigentlich ganz gut

 

 

So, dann jetzt aber flink noch an das Hamburg-Wirrwarr, husch, habe ja gestern Nacht noch in der Vor-Schlaf-Unruhe Notizen dazu gemacht, die jetzt vielleicht irgendwo hinführen

zum Beispiel in den Abgrund

 

Unfug, ich meinte natürlich

Abhund

 

 

Wisst ihr denn wirklich nicht, was ein Abhund ist? Dann googelt es doch einfach

 

 

Ich merke, wie mir in den Notizen zum Hamburg-Text die Begriffsfelder sofort sehr eng werden, die Sprache dreht sich verzweifelt immer weiter zu auf den eben nicht sofort sprachlich genau gefundenen Punkt, und dabei verwende ich dann immer ganz schnell etwas grobe Metaphern. Aber ich möchte da eigentlich gar keine Metaphern verwenden, weil die immer so eine lyrische Schwere hineinbringen

 

Und die Verbindung zum konkret geführten Leben, zur Situation, wird dabei immer so schnell gekappt in diesem blöden – ja – Grabungsvorgang.

Der Alltag müsste näher dran bleiben, die tatsächliche Praxis, am Schreibtisch, aber auch das Wahrnehmen in anderen Situationen, aber das hat da dann keinen Platz mehr, leider

 

Ja, der Alltag müsste näher dran bleiben an dieser Art des Denkens durch die Arbeit mit der Sprache, aus den offeneren Wortfeldern müsste ich doch eine Konzentration und Klarheit kriegen

 

Es gelingt mir so schwer, in entspannter Sprache genau zu sein

 

Was natürlich mein Mangel an sprachlichem Talent ist, was immer so kokett klingt, aber ich kenne andere Autoren, die die Sätze hinwerfen können, klar und schön, ohne sie erst behauen und behauen zu müssen

Und dieses Behauen verknottert die Sprache leider viel zu schnell, das ist sehr deprimierend

 

Und ich merke es hier ja auch die ganze Zeit, wie die Sprache ungenau ist, bzw. eben nicht so schön und klar und genau, wie sie sein sollte, was ja eben doch daran liegt, dass mein Denken so unscharf ist, das zeigt sich ja immer IM AUGENBLICK DES SCHREIBENS – ach, so ungenau habe ich das bisher also gedacht, dass es in mir offenbar nicht mal als klarer Satz vorliegt

Ständige Schreiberfahrung

 

Aber andererseits weiß ich auch, dass diese Unschärfe bei mir auch dazu geführt hat, klar, dass ich eher die Schemen sehe und damit besser so eine Art von Struktur

Auch deshalb bin ich wohl Dramatiker und nicht Roman-Futzi

 

Aber das kann ja nicht so bleiben

 

Und hier eben der Versuch, die Sprache jetzt nicht an Ort und Stelle zu behauen, auch wenn ich die Unschärfe sofort spüre und so schwer aushalten kann

Sondern durch die Praxis dieses entspannten Schreibens hier mit der Zeit möglicherweise zu einer genaueren, klareren Sprache zu kommen, ohne Krampf

Mal schauen

 

 

O hat vorhin, ganz alleine für sich, auf ein riesiges Blatt Papier mit Wasserfarben zwei riesige brennende Wolkenkratzer gemalt

 

Wie eine Art retrospektive Wahrsagung

 

Oben in der linken Ecke scheint ganz klassisch die Sonne

 

 

Im Spinnweb am Geländer, also

 

da

unten dran

 

hing

 

ein langes

Haar

 

 

Vorhin also dann die kurze Wanderung gemacht (es ist ja wohl kein Spaziergang, wenn man Berge hoch muss, oder?), mit O und E und auch meine Mutter war dabei

 

Mein Vater zuhause, sein Fuß inzwischen doch wieder bedrohlich angeschwollen

 

Und jedenfalls da hinein in den Wald, und wie gut es war, dass O und E da die ganze Zeit laut trötend und flötend hindurch gezogen sind

Weil dieser Wald ja gar nicht anders auszuhalten ist, das ist ja im Grunde ein scheußlicher Wald

Als Kind konnte man ja auch nicht da einfach in den Wald gehen und spielen, da knistert ja der Tod durch diese Stille, das wird einem nach einer Minute als Kind schon klar, wenn man da alleine ist oder nur in einer kleinen Gruppe

Es sind ja auch keine Tiere da, seltsamerweise, keine Vogelrufe, nur hier und da mal irgendwelche Käfer auf dem Moos

Wie sehr sich dieser Wald zum Beispiel von dem Laubwald bei meiner Tante unterscheidet, wo man einfach den ganzen Nachmittag fröhlich drin spielen konnte

Aber hier, unter diesen Fichten, sind ja nur große leere Hallen, und die Bäume sind in diesen Hallen nur noch Gerippe, da wächst ja auch kein Ast mehr an ihnen unter diesen Dächern, sondern nichts, bzw. nur das Moos auf den verrottenden Dingen, und Farne, ja, Farne schon

Und kein Licht

Vorhin sofort wieder gemerkt, als wir raustraten auf so eine Weggabelung und das Sonnenlicht da drauf fiel, plötzlich, und O sofort deshalb sprachlich sehr genau rief: Eine Lichtung!

 

In diesen Fichtenhallen hängt ja eine Kälte, und man kann sagen, was man will, aber diese Kälte ist keine andere als die Kälte des Universums, wenn auch IN STARK VERDÜNNTER FORM

 

Und dahinein quietschten eben E und O und haben die Gespenster dieses Waldes damit völlig zu recht verspottet und verschreckt

 

Und dann sind wir also diesen Berg hoch, gar nicht weit vom Haus, wo dieser – das muss ich schon sagen – wirklich erstaunliche Wasserfall völlig versteckt den Felsen dann runterdonnert, ja doch: eine Art kleines Wunder, gerade, weil der da so ganz unbeachtet ist, einfach so

 

Und da sind wir dann hochgekraxelt, bis zu seinem Aufschlagsort, im ansonsten völlig leeren Wald, als meine Mutter plötzlich sagt: Wolfi, guck mal, ist das da oben eine Drohne?

Und ja, unfassbar, da stehen wir im Wald im Nichts und direkt über uns zwischen den Fichten eine kleine Drohne

 

Und später, beim Wiederrunterklettern, sitzt da dann auch ein Pärchen auf der einzigen Bank dort, er mit der Fernbedienung in der Hand

 

Und jetzt sage ich euch mal was: Ich fand das toll, diese Drohne plötzlich da in diesem Wald, das hat das alles gar nicht zerstört, sondern erst gut und erträglich gemacht, gewissermaßen diesen Naturirrsinn für mich sehr tröstlich abgelöscht mit schönster TECHNIK

 

 

Heute neigt sich der Text hier offensichtlich sehr, und zwar in Richtung Gespräch mit DEM MÖGLICHEN LESER

Interessant

 

Vielleicht will er doch ins Internet (ich hab keine Ahnung)

 

 

Ameisen im Haar

 

ging ich hinab

ins Tal

 

 

Mein Vater hat Google Earth auf seinem Tablet. Das wusste er gar nicht

E, O, er und ich schauen uns unser Haus zwischen den Wäldern an, danach Berlin, Paris, London, New York

 

Als ich danach den FOTOS-Ordner öffne, finde ich nur Aufnahmen, die mein Vater aus Versehen bei der Benutzung gemacht hat: Er selbst am Küchentisch, angestrengt schauend, manchmal nur halb drauf, eine Zeitungsecke vor ihm, sein Finger halb über der Linse usf.

 

Es sind die realsten Bilder, die ich von ihm kenne

 

 

O und E toben hier in ihren Betten nach dem Gute-Nacht-Sagen immer noch wie irre herum, und jetzt haben sie mir aber gesagt, dass es ein sehr genaues Spiel ist, was sie da betreiben, und wie es heißt: VORWÄRTS ATTACKE

 

Na dann

okay

 

 

Jetzt hier bei Youtube das Video »Interview mit Armin Meiwes (Kannibale von Rotenburg) in voller Länge« angeboten bekommen (Aha? Wieso eigentlich? Das muss tatsächlich aus irgendeinem Algorithmus heraus auf das gestern geschaute Dürrenmatt-Interview gefolgt sein), und angefangen zu schauen, auch weil Senthuran mir bei der gemeinsamen Veranstaltung in Freiburg kürzlich erzählt hatte, er wolle sein nächstes Buch darüber schreiben

 

Und weil mich das interessiert, diese nun wirklich von der Gesellschaft komplett unakzeptierte Lust, jemandes Penis in der Pfanne zu braten und zu verspeisen, diese geradezu vorbildliche ABNORM

 

Ja, gerade deshalb zu verstehen suchen

 

Jedenfalls habe ich mich sofort sehr darüber aufgeregt, weil nach ein paar Sekunden in diesem Interview bereits schon ein offensichtlicher Schnitt drin war, vielleicht nur winzig, vielleicht wurden da nur ein paar Sekunden gehüstelt oder der Stuhl zurechtgerückt, und das wurde weggelassen, egal, aber genau darauf kommt es doch an, wenn da angekündigt wird, es sei in voller Länge, wenn da auch nur das Winzigste –

ICH VERSTEH ES NICHT, ICH HALTE DAS NICHT AUS

Wie kann man denn so sein, so wurschtig, nachlässig, so alles scheißegal

Das ist doch gerade, weil es das Unwichtige weglässt, gerade so ein Eingriff, weil sich doch in dem sogenannten Unwichtigen, dem, was nebenbei geschieht, gerade die realitätsmäßig wichtigen Dinge passieren, das ist

 

 

So wie auch bei den Pressekonferenzen im Internet, aus dem Weißen Haus zum Beispiel, natürlich diese Minuten davor und danach, wie kommt da wer rein, wer steht da aufgeregt herum, wer guckt wie – das ist doch so wichtig, wenn man was verstehen will

Das ist doch das Wichtigste

 

 

Draußen leuchten die Sterne ganz klar

(Hier geht ja von nichts ein Gegenlicht aus)

 

 

Ich schaue dieses Interview jetzt noch weiter

14.8.2017

Glück im Unglück

hatten die Bewohner eines Hauses

 

und ihre Gäste

 

in Mülheim an

der Ruhr

 

Während einer Garten

party

 

stürzte ein 20 Meter hoher Baum

um

und

 

krachte

 

in das

eingeschossige

 

zum Großteil aus Holz

gebaute Haus

 

Die Bewohner und ihre Gäste befanden sich zum Zeitpunkt des

Unglücks

am Sonntagabend nicht im Haus

 

sie waren im Garten und grillten

 

 

Übrigens, 20 Meter, gerade nachgesehen im Internet: der Wasserfall hier im Wald hat eine Fallhöhe von 15 Metern (die Zahl fällt in mich hinein wie ein kleiner Stein und verschwindet, naja)

 

 

Diese kurzen Verse sind ja doch schön, aber sie kommen mir immer so deutsch vor

so krampfig und eng, aber natürlich können die auch was

 

Aber wie sehr ich mich eher nach einer weiteren Lyrik sehne, nach dem sogenannten Langvers

 

Wie er ja in der amerikanischen Lyrik häufig vorkommt, um wie viel entspannter ist der Sound da

Das muss mit der Landschaft zu tun haben: Wie kann man kurze Verse schreiben, wenn man ewig mit dem Bus von einem Ort zum nächsten fahren muss

 

Eine andere DAUER

 

 

Wie das auch die erste Freude war, hier im Text, dass er eben auch einfach ständig in so eine Art Vers gehen kann

Schon als Annahme: Dass die Sprache hier körperlicher ist als so eine reine Prosa, ich hier eher laber als schreibe, aus dem Körper raus

Dass so (auf jeden Fall: erstmal) die Verbindung zu meinem konkreten Hier-Sitzen besser gewährleistet wird, sich die Sprache nicht zu schnell in der Schrift verselbstständigt, wie es mir leider oft zu schnell passiert

 

Dass das hier von einer Art Sprechen handelt

 

 

Der Vers ist für mich das Allerschönste, und eigentlich habe ich ja jahrelang nichts anderes gemacht, als mich nur mit dem Vers beschäftigt

 

Und wie gut mir das vorkommt, denn für mich wird im Vers mehr verhandelt als in jedem anderen Mittel

Es geht da um Rhythmus und, ja: ATEM, also auch schon direkt um den Körper und seine Anwesenheit in der Schrift

Um die Vorstellung, dass die Schrift irgendwann ganz real auch im Raum erklingen soll, oder sie diese Möglichkeit in ihrem Schriftsein zumindest immer mitmeint

 

Von da ist es ja auch nicht weit zur Dramatik, zum Theater