Dreifach Genial - Tobias Schneider - E-Book

Dreifach Genial E-Book

Tobias Schneider

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Beschreibung

Amber saß am Tisch in ihrer Wohnung und starrte ins Leere. Sie stammte aus einer renommierten Forscherfamilie, die sich in einer großen Gentechnikfirma in der Nähe von London einen Namen gemacht hatte. Amber, die Tochter zweier großartiger Forscher, war mit ihren zarten 23 Jahren auf dem Weg, die Karriereleiter ebenfalls schnell hinaufzusteigen. Sie arbeitete mit zwei der weltweit genialsten Köpfe in der Gentechnik als deren Doktorandin zusammen. Alfred Kazmirek und Simon Finch waren in der Gentechnik das, was Maradona im Fußball und Einstein in der Physik waren. Doch dann geschah ein schreckliches Verbrechen. Amber, bei klarem Verstand, war mehr als überzeugt, das Richtige getan zu haben. Jeder in ihrer Situation hätte genauso gehandelt. Weltruhm würde sie erwarten. Einen Ruhm, den nie ein Wissenschaftler zuvor erreicht hatte und nie wieder erreichen würde. Einen Namen für die Ewigkeit: "Amber Wright". Doch in Amber brodelten andere Gefühle. Enttäuschung, Frust, Ärger, Wut. Denn eines hatte sie trotz allem nicht bekommen. Nämlich ein Kind.

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Seitenzahl: 324

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dreifach Genial

 

von Tobias Schneider

Über das Buch:

 

Amber saß am Tisch in ihrer Wohnung und starrte ins Leere. Sie stammte aus einer renommierten Forscherfamilie, die sich in einer großen Gentechnikfirma in der Nähe von London einen Namen gemacht hatte. Amber, die Tochter zweier großartiger Forscher, war mit ihren zarten 23 Jahren auf dem Weg, die Karriereleiter ebenfalls schnell hinaufzusteigen. Sie arbeitete mit zwei der weltweit genialsten Köpfe in der Gentechnik als deren Doktorandin zusammen. Alfred Kazmirek und Simon Finch waren in der Gentechnik das, was Maradona im Fußball und Einstein in der Physik waren. Doch dann geschah ein schreckliches Verbrechen. Amber, bei klarem Verstand, war mehr als überzeugt, das Richtige getan zu haben. Jeder in ihrer Situation hätte genauso gehandelt. Weltruhm würde sie erwarten. Einen Ruhm, den nie ein Wissenschaftler zuvor erreicht hatte und nie wieder erreichen würde. Einen Namen für die Ewigkeit: "Amber Wright". Doch in Amber brodelten andere Gefühle. Enttäuschung, Frust, Ärger, Wut. Denn eines hatte sie trotz allem nicht bekommen. Nämlich ein Kind.

 

Über den Autor:

Tobias Schneider, geboren 1976, war sechsundvierzig Jahre alt, als er beschloss, eine Idee, die in seinem Kopf herumspukte, niederzuschreiben. Es sollte sein erstes Buch werden. Der Autor lebt in Ludwigshafen am Rhein und arbeitet in der Pflege. Kapitel 1

 

In den siebziger Jahren, unweit von London, thronte auf einem kleinen Hügel das medizinische Forschungslabor einer renommierten Firma wie ein geheimes Reich der Wissenschaft. Alfred Kazmirek und Simon Finch, zwei visionäre Forscher, hatten sich einem gewagten Experiment verschrieben – der Verschmelzung von bis zu drei männlichen Samenzellen zu einem einzigen Wesen. Ein Kind, geboren mit 3 Vätern und einer Mutter. In den tiefen ihrer Labore hatten sie einen Durchbruch erzielt und erfolgreich einen Affen erschaffen, der dieses einzigartige genetische Erbe trug.

Die Kneipen der Umgebung schienen der ideale Ort für die Zusammenkunft der beiden Wissenschaftler zu sein, während sie über die weitere Zukunft ihrer Entdeckung berieten. Der Affe, der in den Laboren heranwuchs, schien ein Wunder der Wissenschaft zu sein, und die Frage drängte sich auf, ob es an der Zeit war, diesen Meilenstein der Menschheit zu enthüllen.

„Alfred, wir können das nicht einfach der Welt präsentieren,“ sagte Simon energisch, seine Stimme blieb in der lärmenden, überfüllten Kneipe für andere unhörbar.

„Warum nicht?“ fragte Alfred ruhig, seine Augen auf den Tisch gerichtet.

„Jede große Erfindung der Menschheit wurde geteilt. Das Rad, das Feuer…“

„Das hier ist anders,“ unterbrach Simon.

„Wir reden nicht über ein Werkzeug oder eine Energiequelle. Wir haben ein Wesen geschaffen, Alfred. Mit drei Vätern und einer Mutter!“ Alfred hob den Blick und sah Simon direkt an. „Das ist der nächste Schritt der Evolution, Simon. Wir müssen es teilen. Die Menschheit muss davon erfahren.“

„Und was ist mit den Gefahren?“ entgegnete Simon und schlug mit der Faust auf den Tisch.

„Denk an die Atombombe. Sie wurde auch als großer wissenschaftlicher Fortschritt betrachtet, und sie hat verheerende Folgen gehabt!“

„Du vergleichst unsere Arbeit mit einer Waffe?“ Alfreds Stimme wurde leiser, beinahe ein Flüstern.

„Ja, das tue ich,“ antwortete Simon bestimmt. „Wenn diese Technologie in die falschen Hände gerät, könnten die Konsequenzen katastrophal sein. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Hast du darüber nachgedacht? Die ethischen Grenzen der Wissenschaft?“

„Natürlich habe ich das,“ sagte Alfred leise. „Aber ich glaube an das Gute im Menschen. An die Möglichkeit, dass unser Werk zu Fortschritt und Wohlstand führt.“ Simon schüttelte den Kopf.

„Dein Optimismus ist bewundernswert, aber naiv. Die Welt ist nicht bereit für etwas von dieser Tragweite.“

Die beiden Männer schwiegen, während die Schwere ihrer Diskussion auf ihnen lastete. Es wurde klar, dass ihre Entscheidung die Welt verändern könnte. Und beide wussten, dass sie die Konsequenzen tragen müssten, egal welche Wahl sie trafen.

 

Die beiden Wissenschaftler beschlossen, das Thema für heute erst einmal ruhen zu lassen und begannen sich über ihre Leidenschaft für Musik auszutauschen. Alfred, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, begann enthusiastisch:

"Hast du schon das neue Album von 'Icewater Heart' gehört? „Noah Gillingher“ hat mal wieder geniale Songs geschrieben. Ich kann einfach nicht genug davon bekommen!"

Simon, mit einem leidenschaftlichen Funkeln in den Augen, antwortete. "Klar, ich liebe 'Icewater Heart', aber für mich schlägt nichts 'Kasperian'. Die Band um den charismatischen Mastermind „Serge Pizzaro“, hat eine Magie in seiner Musik, die mich einfach fasziniert. Hast du ihr Konzert letzte Woche gehört? Unvergesslich!" Die beiden Forscher, die normalerweise über wissenschaftliche Experimente und Hypothesen sprachen, fanden sich plötzlich in einem lebhaften Gespräch über ihre Lieblingsbands wieder. Inmitten dieser Diskussion kam Alfred plötzlich eine Idee, die ihre wissenschaftlichen Köpfe auf eine völlig neue Art in Bewegung setzte. "Stell dir vor", begann Alfred,

"was wäre, wenn wir die kreativen Gene von Serge Pizzaro und den musikalischen Genpool von Noah Gillingher kombinieren könnten?“ "Und wir brauchen noch einen Vater", sagte Simon und nippte an seinem Bier. Alfred überlegte einen Moment und schlug vor: "Wie wäre es mit Marlo Knoppler?“ Platze es aus Alfred hinaus. Simon grinste zustimmend.

"Der Typ hat seine Leben lang jeden Tag 15 Stunden Gitarre gespielt. Was für ein Ehrgeiz. Und dass er zusätzlich eine unglaubliche Gabe mitbringt, hört man an jeder Note, die er seiner Gitarre entlockt", fügte Alfred hinzu. Simon lachte laut auf.

"Du meinst, wir sollen das nächste Musikphänomen im Labor züchten? Das klingt verrückt, aber irgendwie auch verlockend. Wie würden wir das umsetzen? Und wer soll die Mutter sein?“ Am besten Daisy Chaplin, platzte es aus beiden gleichzeitig heraus und sie lachten. Daisy Chaplin war der wohl angesagteste Star in der Popszene, hatte die Musikwelt im Sturm erobert. Mit ihrer einzigartigen Stimme und beeindruckenden Bühnenpräsenz begeisterte sie nicht nur ihre treuen Fans, sondern gewann auch ständig neue Anhänger dazu. Ihre kreativen Texte und eingängigen Melodien waren der Schlüssel zu ihrem Erfolg.

 

Daisy Chaplin schaffte es, mit ihren Songs Emotionen zu wecken und Geschichten zu erzählen, die das Publikum mitrissen. Ihr Talent und ihre Leidenschaft für die Musik waren unverkennbar und machte sie zu einer Ikone der Popszene. Und bevor sich die beiden Forscher versahen, hatten sie sich in ein schillerndes Unterfangen gestürzt, das nicht nur ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten, sondern auch ihre moralischen Grenzen herausforderte. Alfred und Simon standen zusätzlich vor der Frage, ob ihr musikalisches Wunderkind trotz seiner musikalischen Gene auch virtuos musizieren könne. Alfred hatte sofort einen Gedanken. In seiner Lieblingsmannschaft der ersten englischen Fußballliga gab es einen neuen Star im Abwehrzentrum, der bereits für die Nationalmannschaft gespielt hatte – er hatte das gleiche geschafft wie sein Vater. Dieser war 25 Jahre zuvor beim gleichen Verein auf der gleichen Position erfolgreich gewesen. Ein weiteres Beispiel fiel Alfred ein. Zwei Brüder, die es beide in die höchste Spielklasse geschafft hatten. Einer von ihnen hatte sogar für das Nationalteam debütiert. Weitere Beispiele strömten aus ihm. Die Supersportlergene des Vaters und ähnlich gute Anlagen seitens ihrer Mutter, sowie Ehrgeiz und Fleiß - all dies führte zu großen Erfolgen, die Millionen anderen Jugendlichen mit weniger vorteilhaften Genen verwehrt blieben. Mit diesem Gedanken waren sich Alfred und Simon einig. Ihr musikalisches Wunderkind, von vier Eltern, die allesamt Musikgenies waren, könnte mit entsprechender Förderung Unglaubliches erschaffen. Nun überlegten die beiden, wie sie die Musiker mit viel Geld überreden könnten, ihnen ihren Samen zu geben. Und natürlich auch die Musikerin mit viel Geld dazu bringen, das Kind eines unbekannten Vaters auszutragen und den beiden Forschern anschließend zu überlassen. Alfred rieb sich nachdenklich das Kinn. Alfred und seine Frau Cindy hatten schon immer den innigen Wunsch, ein Kind zu bekommen. Sie träumten von einem kleinen Menschen, den sie aufwachsen sehen, dem sie ihre Liebe schenken und den sie in die Geheimnisse des Lebens einweihen könnten. Doch leider schien das Schicksal es nicht gut mit ihnen zu meinen. Trotz vieler Versuche und unzähliger Hoffnungen war Cindy nie schwanger geworden. Die Enttäuschung war jedes Mal groß und tief sitzend, wie eine unsichtbare Last, die sie beide trugen. Auch die Hoffnung auf eine Adoption hatte sich als schwieriger erwiesen, als sie zunächst gedacht hatten.

Bürokratische Hürden, lange Wartezeiten und immer wieder Absagen nagten an ihrer Zuversicht. Es schien, als würde ihr Traum, Eltern zu werden, unerreichbar bleiben.

"Wir brauchen viel Geld, um diese Idee in die Realität umzusetzen. Millionen Pfund!"

Simon nickte zustimmend.

„Und wie sollen wir das Geld auftreiben?“

Beide saßen da und überlegten. Wenn man die beiden betrachtete, wirk-ten sie wie ein ungleiches Paar.

Alfred, ein Mann von imposanter Erscheinung, dominierte jeden Raum, den er betrat. Seine Größe überragte die meisten Menschen, seine breiten Schultern verliehen ihm eine majestätische Präsenz. Im Alter von 35 Jahren strahlte Alfred eine ruhige und ausgeglichene Aura aus. Er war ein nachdenklicher Typ, der die leisen Momente des Lebens genoss und oft in seinen eigenen Gedanken versunken war. Seine Liebe zu Fernreisen prägte ihn ebenso wie seine Leidenschaft für Musik. Alfred konnte stundenlang über seine Reisen erzählen, von exotischen Orten, die er besucht hatte, bis hin zu den verschiedenen Kulturen und Menschen, die er kennengelernt hatte. Die Musik war seine ständige Begleiterin, und oft konnte man ihn dabei ertappen, wie er zu den Klängen seiner Lieblingsmelodien in eine andere Welt abdriftete. Im Gegensatz dazu stand Simon, ein Mann von kleiner und drahtiger Statur, der seine Größe durch Energie und Beweglichkeit kompensierte. Mit Mitte 30 war er im vollen Training für einen Marathon, und seine drahtigen Muskeln zeugten von seiner Ausdauer und Entschlossenheit. Simon war das genaue Gegenteil von Alfred - quirlig, eine Quasselstrippe, die ständig in Bewegung zu sein schien. Sein Lächeln war ansteckend, und er brachte Leben in jede Umgebung, die er betrat. Trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede vereinte die beiden Männer eine tiefe Freundschaft, die durch die Jahre gewachsen war. Ihre Gemeinsamkeiten waren ebenso faszinierend wie ihre Gegensätze. Beide teilten eine Leidenschaft für aktuelle Popmusik, und ihre Augen leuchteten auf, wenn sie über ihre Lieblingskünstler sprachen. Zudem verband sie die Sehnsucht nach fernen Ländern und kulturellen Entdeckungen. Fernreisen waren für sie nicht nur Urlaub, sondern eine Möglichkeit, die Vielfalt der Welt zu erleben. Zudem verband sie natürlich ihre gemeinsame wissenschaftliche Arbeit. Diese Freundschaft war ein harmonisches Zusammenspiel von Kontrasten, und sie sollten bald erkennen, dass ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten und Interessen der Schlüssel zu einer fesselnden Reise durch das Leben werden würden.

 

Amber starrte aus dem Fenster, die schweren Regentropfen trommelten rhythmisch gegen die Scheibe und zogen schimmernde Bahnen hinab. Sie dachte an ihre Eltern. Wissenschaftler von Weltruf, doch unfähig, die Geheimnisse eines Kinderherzens zu entschlüsseln. Amber erin-nerte sich, wie sie als Kind manchmal ihren Vater beim Experimentie-ren beobachtet hatte. Sein Blick, wenn er durch das Mikroskop sah, war voller Konzentration – ein Ausdruck, den er ihr nie geschenkt hatte. Stunden verbrachte sie mit dem Kindermädchen, einer jungen, freund-lichen, aber einfältigen Frau, die wenig mehr als vorgefertigte Höflich-keiten bieten konnte. Es war Amber schnell gelungen, deren blinden Gehorsam zu ihren Gunsten zu nutzen. Wenn sie sich daran erinnerte, wie einfach es gewesen war, ein falsches Lächeln aufzusetzen und ei-nen Wunsch als harmlosen Vorschlag zu tarnen, regte sich ein flüchti-ger Anflug von Stolz.

Ihre Mitschüler hatten sie "Icewater Heart" getauft, ein Spottname, den sie nach außen hin mit stoischer Gelassenheit hinnahm. Doch tief in ihrem Inneren war dieser Name mehr als nur eine Kränkung; er war eine Herausforderung. Sie hatten ihr eine Maske aufgesetzt, ohne zu ahnen, dass sie längst eine trug. Sollten sie doch glauben, sie sei ge-fühlskalt – das machte sie unberechenbar, unangreifbar. Amber war nicht groß, und ihre Figur wirkte leicht gedrungen, doch sie trug ihren Körper mit einer Haltung, die andere oft einschüchterte. Ihre dunklen, leicht gelockten Haare rahmten ein Gesicht, das auf den ersten Blick Wärme versprach, eine Illusion.

Herkunft war für Amber ein Werkzeug, wie so vieles in ihrem Leben. Sie wusste, dass ihr südländisches Aussehen Aufmerksamkeit erregen konnte, wenn sie es wollte. Ihre Mutter stammte aus einem kleinen kro-atischen Dorf, ihr Vater war ein waschechter Brite – eine kulturelle Mi-schung, die sie je nach Situation zu ihrem Vorteil ausspielte. Freunde waren für sie entbehrlich, eine Erkenntnis, die sie früh in ihrem Leben getroffen hatte. Sie beobachtete ihre Mitschüler mit der gleichen distanzierten Neugier, mit der ihre Eltern Forschungsprojekte betrach-teten. Bindungen bedeuteten Abhängigkeit, und Abhängigkeit war Schwäche. Trotzdem war sie sich ihrer Wirkung auf andere bewusst. Amber wusste, wie man Sympathie vortäuschte, wie man Menschen dazu brachte, sie zu unterschätzen – eine ihrer liebsten Strategien. Die Regentropfen am Fenster glitten weiter nach unten, unaufhaltsam. Amber lächelte kurz, kaum merklich. Der Spitzname „Icewater Heart“ war nicht mehr als ein Spiegelbild dessen, was sie ihnen zeigte. Sie wussten nicht, wie viel sie ihnen verbarg – und das machte sie überle-gen.

Amber saß oft allein an ihrem Schreibtisch, ein aufgeschlagenes Buch vor sich, das Licht ihrer Schreibtischlampe ließ ihre langen Haare wie einen dunklen Vorhang über ihren Schultern glänzen. Wissenschaft war für sie mehr als nur ein Pflichtfach – es war ein Weg, die Welt zu ord-nen, sie zu verstehen und letztlich zu beherrschen. Bereits als Teenager führte sie kleine Experimente durch, notierte akribisch Ergebnisse und zog präzise Schlussfolgerungen. Wenn sie einmal im Fluss war, konnte sie Stunden verbringen, ohne das Bedürfnis nach einer Pause. Doch es gab etwas, das nicht in dieses Bild zu passen schien: Musik. Es war eine Leidenschaft, die sie so sorgfältig verbarg wie ein Wissen-schaftler ein streng geheimes Projekt. Während ihre Mitschüler bei Ge-sprächen über die neuesten Hits lautstark ihre Begeisterung äußerten, blieb Amber stumm, den Blick ausdruckslos. Sie schaffte es mühelos, den Eindruck zu erwecken, als interessierte sie das alles nicht. In Wahrheit kannte sie nicht nur die Bands, über die sie sprachen, son-dern oft auch deren Werdegang und Hintergrundgeschichten besser als ihre Mitschülerinnen. Besonders "Icewater Heart", die Gruppe, deren Name sie als Spitznamen trug, faszinierte sie. Es war ein ironisches Spiel des Schicksals – jede Note, jeder Text dieser Band traf etwas in ihr, das sie niemandem zeigte. Nachts, wenn das Haus still war, legte sie die Kopfhörer an und ließ sich von den melancholischen Klängen ihrer Lieder einhüllen. Es war, als hätten sie Lieder nur für sie geschrie-ben, für jemanden, der verstand, wie isoliert Intelligenz einen machen konnten.

Neben "Icewater Heart" mochte sie auch Bands wie Kasperian, deren experimentelle Klänge sie an die Versuche erinnerten, die sie selbst im Labor durchführte.

Amber hatte einen Bruder. Frank war acht Jahre älter, und obwohl sie in demselben Haus aufgewachsen waren, hatten sie sich selten wirklich nahe gestanden – zumindest oberflächlich betrachtet. Frank war das Ge-genstück zu Amber, der Widerspruch zu allem, was ihre Eltern in ihren Kindern zu sehen hofften. Während sie akribisch ihre schulischen Er-folge sammelte und ihr Ehrgeiz auf einem geradlinigen Pfad zur akade-mischen Brillanz lag, war Frank das personifizierte Chaos. Schon früh hatte er sich für Motorräder begeistert. Der Klang von Mo-toren und das Gefühl der Geschwindigkeit zogen ihn magisch an. Am-ber erinnerte sich noch gut an die Tage, an denen er heimlich das alte Motorrad ihres Vaters reparierte, um es später ohne Erlaubnis zu fahren. Ihre Eltern tobten vor Wut, doch Frank ließ sich davon nicht beeindru-cken. Als er schließlich einer Bikergang beitrat, war das für ihre Eltern der endgültige Beweis, dass sie ihn verloren hatten. Sie versuchten, ihn mit allen Mitteln zurückzuholen, doch Frank entzog sich ihnen immer mehr.

Für Amber war Frank ein Rätsel, eines, das sie mit kühler Neugier be-obachtete. Er war das Beispiel, wie weit sich jemand vom vorgegebe-nen Pfad entfernen konnte, ohne vollkommen zu scheitern. Doch er war auch der Beweis, dass Freiheit einen Preis hatte – und das war eine Lek-tion, die sie nicht ignorierte.

Trotzdem hatten die beiden immer Kontakt gehalten, wenn auch auf ihre eigene, zurückhaltende Weise. Frank war oft unterwegs, doch wenn er in der Stadt war, ließ er Amber wissen, wo sie ihn finden konnte. In den Schatten einer abgelegenen Werkstatt oder an einem der verfallenen Treffpunkte seiner Gang. Diese Orte waren ihr fremd, doch sie erschienen ihr faszinierend.

Es gab Momente, in denen sie Frank bewunderte – nicht für die Ent-scheidungen, die er traf, sondern für seinen Mut, sie überhaupt zu tref-fen. Er hatte sich vom strengen Einfluss ihrer Eltern gelöst, hatte sich die Freiheit genommen, die sie nie gewagt hätte zu beanspruchen. Am-ber wusste, dass er ein gefährliches Leben führte, voller Risiken. Doch sie sah auch etwas in ihm, das ihre Eltern nicht sahen: eine unerschüt-terliche Loyalität.

Im Gegenzug wusste Frank, dass Amber anders war. Er war sich ihrer Intelligenz und ihrer eisernen Selbstbeherrschung bewusst und respek-tierte sie dafür, auch wenn er es selten aussprach. Es gab Zeiten, in de-nen er auf unerwartete Weise für sie da war. Einmal, als ein Mitschüler versuchte, sie zu demütigen, war Frank aufgetaucht und hatte die Sache mit einem einzigen Blick geregelt. Niemand sprach mehr über die Ein-zelheiten, doch Amber wusste, dass sie ihm diesen Moment nicht ver-gessen würde. Ihre Bindung war subtil, fast unsichtbar für Außenste-hende, aber sie war stark. Frank war einer der wenigen Menschen, die Amber nicht manipulierte oder kontrollierte. Nicht, weil sie es nicht konnte, sondern weil sie es nicht wollte. Er war einer der wenigen Men-schen, die sie wirklich als gleichwertig betrachtete, trotz – oder viel-leicht wegen – ihrer Unterschiede.

Wenn sie an ihren zukünftigen Partner dachte war sich Amber sicher, dass er ihre Leidenschaft für Wissenschaft teilten musste. Es hatte tatsächlich einmal jemanden gegeben, der dieses Bild erfüllte. Ein Junge aus einem Nachbarkurs, der in jeder Hinsicht ein wandelndes Klischee des "Super-Nerds" war. Sein Haar war zerzaust, seine Brille stets schief, und er sprach, als sei jede Unterhaltung eine Gleichung, die es zu lösen galt. Amber war von seiner Art fasziniert, zumindest an-fangs.

Er sprach in einer Art, die für andere befremdlich gewesen wäre. „Das Leben ist nichts anderes als ein unendliches Experiment“, hatte er einmal gesagt, ohne den Blick von seinem Mikroskop zu heben. Sie hatte sich in diesem Moment gefragt, ob sie ihn beneiden oder bemit-leiden sollte. Letztendlich waren beide keine Beziehung miteinander eingegangen.

Kapitel 2

 

Amber hatte gerade ihren 23. Geburtstag gefeiert. Es war ein unspekta-kulärer Tag gewesen, fast bedeutungslos. Geburtstage hatten für sie nie einen besonderen Stellenwert gehabt – sie waren bloß eine Erinnerung daran, dass die Zeit unaufhaltsam verstrich. Dennoch konnte Amber zu-frieden auf ihre Erfolge blicken. Mit einer kühlen Selbstverständlich-keit war sie auf dem Weg an die Spitze. Sie war nicht nur eine der Jahr-gangsbesten in ihrem Studium, sondern mittlerweile auch Doktorandin bei Alfred und Simon. Die beiden waren Ikonen in ihrer Disziplin, Na-men, die Respekt und Ehrfurcht hervorriefen. Und Amber war dieje-nige, die ihnen am nächsten stand – zumindest offiziell. Ihr Stolz auf diese Position war ebenso tief wie unnachgiebig, aber er war keine emotionale Befriedigung. Es war vielmehr das kalkulierte Wissen, dass diese Verbindung ihre Karriere unaufhaltsam vorantrei-ben würde. Jeder, der behauptete, sie hätte diese Stelle nur den Netz-werken ihrer Eltern zu verdanken, wurde von ihr mit einem müden Lä-cheln bedacht. "Neid," dachte Amber dann oft, "ist die Reaktion der Schwachen." Solche Kommentare rührten sie nicht – oder besser ge-sagt: Sie nutzte sie, um ihre Überlegenheit weiter auszubauen. Die meisten Menschen in ihrem Umfeld suchten ihre Nähe nicht aus Sympathie, sondern aus Eigennutz. Sie wollten profitieren, Kontakte knüpfen, ein Stück vom Glanz abhaben, den Alfred und Simon aus-strahlten. Amber ließ sie gewähren, solange es ihr nützte. Doch über ihre Gedanken und Absichten ließ sie niemanden etwas wissen. Ihr Pri-vatleben war eine perfekt verschlossene Festung. "Wie ist es, mit Alfred und Simon zu arbeiten?" wurde sie häufig ge-fragt. Amber hatte darauf stets eine perfekt einstudierte, neutrale Ant-wort parat, die weder zu enthusiastisch noch zu reserviert klang. Die Wahrheit jedoch war, dass sie die Zusammenarbeit eher als Schachspiel betrachtete. Alfred und Simon waren ihre Figuren – mächtig, aber nicht unschlagbar. Hinter ihren brillanten Ideen verbarg sich etwas, das Am-ber immer wieder in Alarmbereitschaft versetzte. Die Flüstereien, die plötzlichen Unterbrechungen von Gesprächen, wenn sie den Raum be-trat – all das sprach von Geheimnissen, die für sie unerreichbar zu sein schienen. Aber Amber hasste es, ausgeschlossen zu sein. Sie schmie-dete einen Plan. Alfreds Schlüsselbund, welcher sorglos auf dem La-bortisch liegen blieb, war für sie eine Einladung. Sie hatte seine Nach-lässigkeit schon lange bemerkt und nur darauf gewartet, dass sich die Gelegenheit bot. Ein sonniger Freitagmorgen brachte diese Gelegen-heit: Alfred war Kaffee holen gegangen, Simon war tief in ein Experi-ment vertieft. Ambers Augen analysierten die Szene. Mit einer Geschwindigkeit, die sie sich in unzähligen Simulationen vor-gestellt hatte, schnappte sie sich den Schlüsselbund und ließ ihn in ihrer Tasche verschwinden. Ihr Herz schlug nicht vor Nervosität, sondern vor der Aufregung einer Herausforderung, die sie meisterte. Sie hatte kein schlechtes Gewissen – wozu auch? Wer dumm genug war, solche Feh-ler zu machen, verdiente die Konsequenzen. Amber verabschiedete sich, scheinbar gelassen, um in die Mittagspause zu verschwinden. Doch ihre Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Der

Schlüsselbund war mehr als ein Werkzeug – er war der Schlüssel zu ihrem nächsten Zug. Was auch immer Alfred und Simon verbargen, Amber war entschlossen, es herauszufinden. Wenn sie dabei jemandem schaden musste, war das ein Preis, den sie bereit war zu zahlen. Über Leichen zu gehen war für sie keine Metapher – es war eine Möglichkeit. Im nahegelegenen Einkaufszentrum angekommen, nutzte sie ihre Mittagspause, um die Schlüssel nachmachen zu lassen. Das Klappern der Werkzeuge und das Summen der Maschinen wurden von ihrem Lachen begleitet. Eine Kopie des Schlüsselbunds war bald einsatzbereit. Mit dem frisch geprägten Schlüsselbund in der Tasche machte sie sich auf den Weg zurück ins Labor. Sie wusste, dass die Aufregung dort groß sein würde, wenn Alfred feststellen würde, dass sein Schlüsselbund verschwunden war. Im Labor angekommen beobachtete Amber, wie alle Kollegen, auch die der Nachbarlabore sich hektisch um Alfreds fehlenden Schlüsselbund kümmerten. Das war der perfekte Moment. Amber zog ein zusammengeknülltes Blatt Papier aus ihrer Tasche und legte es zusammen mit dem originalen Schlüsselbund in einen Mülleimer in der Nähe. Die Szene im Labor wurde immer hektischer. Alfred durchsuchte seinen Arbeitsbereich, fragte die anderen Kollegen, ob sie den Schlüsselbund gesehen hatten, und die allgemeine Verwirrung wuchs. Doch vorerst sollte er nicht gefunden werden. Am nächsten Morgen bemerkte die Putzfrau den Schlüsselbund im Mülleimer. Die Freude im Labor war groß. Irgendwo musste das blöde Ding ja sein. Nicht auszudenken, wäre er gestohlen worden. Amber blickte auf die nachgemachten Schlüssel in ihrer Hand, während sie überlegte wann ein guter Zeitpunkt sei, die stets verschlossenen, fast schon geheimen Schubladen von Alfred und Simon sich einmal etwas genauer anzuschauen.

Es war ein Donnerstagabend, als Simon und Alfred sich von Amber verabschiedeten.

„Bis morgen“, sagten sie und verließen das Labor. Ihre Kollegen in den Nachbarlaboren waren auch fast alle gegangen. Amber tat beschäftigt. Letztlich kam ein Kollege und sagte:

„Amber, ich bin jetzt der Letzte, der hier geht. Willst du nicht mitkommen?“

Amber antwortete:

„Ich bin hier auf etwas sehr Interessantes gestoßen und brauche noch ein paar Minuten.“

„Du weißt, du bist hier nur eine Doktorandin. Und dich hier alleine zu lassen, ist so nicht ganz okay“, sagte der Wissenschaftler. „Ich muss doch hoffentlich nicht meinen Eltern erzählen, dass ich, während ich hier an etwas sehr Wichtigem dran war, einfach das Labor verlassen musste“, sagte Amber schnippisch. „Ist schon in Ordnung“, antwortete der Wissenschaftler aus dem Nebenlabor.

„Grüße deine Eltern schön von mir“, fügte er hinzu und verabschiedete sich.

 

Amber war allein. Es war ein Zustand, den sie bevorzugte – keine Au-gen, die sie beurteilten, keine Stimmen, die sie ablenkten. Es war der perfekte Moment, ihre Karten auszuspielen. Verstohlen blickte sie sich um. Jeder Raum hatte Augen, das wusste sie. Sie zog den Schlüsselbund aus ihrer Tasche, ihre Bewegungen ruhig, beinahe mechanisch. Ein Schlüssel nach dem anderen glitt ins Schloss der obersten Schublade von Alfreds Schreibtisch. Klick.

Die Schublade öffnete sich widerstandslos. Ihre Augen scannten den Inhalt: Werbeprospekte mit handschriftlichen Notizen, eine Überwei-sung zur Hämorrhoidenentfernung. Nutzlos. Sie rümpfte die Nase, der Ausdruck eine Sekunde zu lang, um echt zu wirken, und wandte sich der nächsten Schublade zu.

Der gleiche Schlüssel passte. Eine Reihe von Cola-Dosen lächelte ihr entgegen – wie enttäuschend banal. Sie hatte kaum Zeit, das Nichts da-rin zu registrieren, als eine Stimme hinter ihr erklang: „Alles klar bei Ihnen?“

Amber zuckte innerlich, äußerlich blieb sie wie eingefroren. Ein geüb-tes Spiel. Langsam wandte sie sich um, ihre Miene ein Gemisch aus freundlicher Verwirrung und Unschuld. Die Putzfrau. „Alles klar bei mir“, antwortete Amber.

„Wann kann ich hier wischen?“

„Wischen Sie erst einmal bitte woanders.“ Ihr Ton war höflich, fast sanft, aber die Bestimmtheit darunter war unverkennbar. Die Putzfrau zuckte mit den Schultern und verschwand.

Die dritte Schublade öffnete sich mit einem leisen, metallischen Quiet-schen. Amber zog die sich darin befindlichen Akten heraus. Ihre Finger bewegten sich präzise und ohne jede Zögern, als hätte sie diesen Mo-ment tausend Mal durchlebt. Die Kanten der Mappen knisterten unter ihrer Berührung, die Stille im Raum war fast greifbar. Sie legte die erste Mappe auf den Tisch, öffnete sie langsam und las die ersten Zeilen. Ein Projekt, das selbst in den kühnsten Visionen der Wissenschaft kaum vorstellbar war. Drei männliche Samenzellen, miteinander verschmol-zen zu einer einzigen. Eine groteske, doch faszinierende Form der Schöpfung.

Amber hob eine Augenbraue, als die Worte vor ihren Augen aufblitz-ten. Ihr Blick war kühl, unbeteiligt. Keine Erschütterung. Nur eine stille, fast beängstigende Neugierde.

„Interessant“, murmelte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, das wie das leise Schnurren einer Katze.

 

Sie hatte einen kühlen, sachlichen Verstand, der nur eine Frage stellte: „Aber die Theorie ist das eine. Funktioniert das auch in der Praxis?“ Amber öffnete die zweite Mappe und las die Worte schnell, aber mit großer Präzision. Ein Affe. Mit drei Vätern und einer Mutter. Ihre Au-gen hielten an den Zeilen an, die den wissenschaftlichen Wahnsinn die-ses Experiments beschrieben. Ein biologisches Kuriosum, ein Albtraum für die Naturgesetze, und doch funktionierte dieser Affe – gesund, vital und vollkommen. Ein Geschöpf, das die Regeln der Evolution aushe-belte und die Grenzen des Machbaren auf den Kopf stellte. Ein Experi-ment am Rande des Wahnsinns, doch das Ergebnis war schlichtweg ein Wunder der modernen Wissenschaft. Sie legte die Mappe mit einer Geste zurück, als müsste sie den ungeheuerlichen Inhalt behutsam be-handeln. Amber wusste, dass dies nicht nur ein Forschungsergebnis war, sondern ein symbolischer Wendepunkt in der Menschheitsge-schichte. Ein Wesen, das den genetischen Tanz von vier Elternteilen beherrschte, ein neuer Anfang – oder der Beginn einer gefährlichen Ära. Doch es war die dritte Mappe, die ihre Hände tatsächlich zum Zittern brachte. Nicht aus Angst – Amber kannte keine Angst –, sondern aus einer tiefen, unkontrollierbaren Erregung. Sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass hier etwas Großes auf sie wartete. Und als sie die Seiten der dritten Mappe umblätterte, bestätigte sich ihre Vermutung. Sie las jede Zeile miteiner Akribie, die den Inhalt ohne Gnade aufnahm. Ein modifiziertes Verfahren zur Erschaffung eines Menschen. Eine prä-zise, gezielte Manipulation. Der Mensch, nicht mehr ein Produkt der Evolution, sondern ein Resultat von Wissenschaft und Willenskraft. Genetische Stränge, die neu kombiniert wurden, um einen neuen Orga-nismus zu erschaffen. Ein vollkommen neues Konzept des Lebens. Amber starrte auf die Worte, doch ihre Gedanken hatten längst die Kon-trolle übernommen. Die Implikationen dieses Verfahrens waren gewal-tig, unvorstellbar. Sie wusste sofort, dass diese Entdeckung alles verän-dern würde. Was sie in den Händen hielt, war nicht nur ein wissen-schaftlicher Durchbruch. Es war eine Macht, die über das Leben selbst entschied. Eine Macht, die unermesslich war. Und sie wusste auch, dass der Wert dieser Entdeckung unermesslich war – nicht nur für die Wis-senschaft, sondern für diejenigen, die sie kontrollierten. Simon und Alfred, die Namen hallten in ihrem Kopf wider. Sie hatten das Unvorstellbare geleistet, und jetzt war Amber diejenige, die das Wissen trug. Sie legte die Mappe mit äußerster Sorgfalt zurück und ver-schloss sie, als wollte sie einen schrecklichen Schatz in einem sicheren Versteck begraben. Sie schloss die Schublade, der Klang des Verschlie-ßens hallte in ihren Ohren, während sie sich von dem Tisch abwandte.

Ihre Bewegungen waren ruhig, fast mechanisch, und doch spürte sie die Spannung in ihrem Inneren.

Als Amber den Flur entlangging, spürte sie ein Kribbeln auf ihrer Haut. Ihre Schritte hallten in der leeren, sterilen Umgebung des Labors wider, aber ihre Gedanken rasten. Was sie gerade erfahren hatte, war mehr als nur eine Entdeckung. Es war der Anfang von etwas, das die Welt für immer verändern würde. Und sie wusste, dass sie als Erste das volle Ausmaß dieser Veränderung in ihren Händen gehalten hatte.

 

Und es vergingen die Wochen und Monate. Amber konnte Alfred und Simon anfangs kaum in die Augen schauen. Für sie waren beide Götter der Wissenschaft, die größten aller Zeiten. Aber wann würden sie die Welt von ihrem sensationellen Experiment erfahren lassen? Doch nichts geschah. Ambers Gedanken begannen immer weiter zu wirbeln. Klar, es konnte sein, dass Alfred und Simon die Präsenz in der wohl aufkommenden ethisch-moralischen Debatte um ihre Erfindung scheuten. Sie musste die Akten veröffentlichen. Das war sie der Welt schuldig. Und fast jeder auf der Welt würde ihren Namen kennen. Nicht als die Frau, welche die Forschung betrieben hatte – das hatten zwei feige Wissenschaftler geschafft, die nicht die Eier hatten, es der Welt mitzuteilen. Aber man würde sagen. Wenn einer ein Geheimnis ausgeplaudert hat, dies aber unbedingt notwendig gewesen ist, „Das hast du gemacht wie Amber Wright.“ Und einfach die Unterlagen, die sie gesehen hatte, der Presse zukommen lassen? Aber dann würden die die Lorbeeren der Enthüllung für sich einheimsen. Und was wäre, wenn es Alfred und Simon einfach nicht mehr gäbe und ihre Frauen auch nicht? Kein Mensch auf der Welt würde wahrscheinlich das Geheimnis um John wissen. Oder gab es doch noch Mitwisser? Die Gedanken von Amber schienen zu fliegen. Fast schon zwanghaft musste sie mittlerweile an John, das genetische Wunderkind, denken.

In einer schlaflosen Nacht entschied Amber, dass sie handeln musste. Sie konnte das nicht länger ertragen. Die Wahrheit musste ans Licht kommen, egal welche Konsequenzen es für sie haben würde. Also fasste sie einen Plan. Sie würde heimlich die Daten des genetischen Experiments aus dem Labor entnehmen und diese einem vertrauenswürdigen Journalisten zukommen lassen. Natürlich unter der Prämisse, dass ihr Name ins Licht rückte, welches es verdient hatte. Sie als die Überbringerin der Nachricht, was Wissenschaft alles unglaublich Tolles vollbringen kann.

Dafür musste sie zunächst einmal nachsehen, ob die Akten noch an ihrem Platz waren. Drei Sekunden, nicht mehr. Schublade auf, einen schnellen Blick hinein, Schublade zu. Die Zeit war ihre einzige Währung, und sie war geübt darin, sie effizient zu nutzen. Keine Sekunde zu viel. Amber wusste, wie sie ihre Ziele im Auge behielt, ohne dabei eine Spur zu hinterlassen.

Am nächsten Tag war die Gelegenheit gekommen. Die meisten Wis-senschaftler hatten sich in die Mittagspause zurückgezogen, die Labore war beinahe leer. Nur vereinzelt saßen ein paar Kollegen mit einem Stück Brot an ihrem Tisch, in belanglose Gespräche vertieft oder mit einem Buch beschäftigt. Perfekt. Amber wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war. Sie erhob sich ohne ein Zeichen von Hast und ging zum Schreibtisch von Alfred. Ihr Blick wanderte kurz durch den Raum – niemand in Sicht. Sorgfältig zog sie den Schlüssel aus ihrer Tasche, spürte das kalte Metall in ihrer Hand, als wäre es ein vertrauter Verbündeter. Der Schlüssel passte. Sie öffnete die Schublade mit den brisanten Akten.

Nichts.

Nur Cola-Dosen. Keine Akten. Kein Geheimnis. Keine Entdeckung. Amber schloss die Schublade mit einem kaum hörbaren Geräusch. Ihr Blick blieb starr. Ihre Handballen pressten sich für einen Moment auf den Tisch, die Finger, weiß vor Anspannung.Warum hatte sie die Gele-genheit damals verstreichen lassen? Warum hatte sie nicht schon früher gehandelt?

Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. Ihr Plan war gescheitert. Sollte sie eine neue Chance abwarten, nach den Akten wo anders im Labor zu suchen. Mit hoher Sicherheit wäre das Vergebens und sehr riskant. Wahrscheinlich waren die Akten bei Alfred oder Simon zu Hause im Tresor.

 

Währenddessen überlegten Alfred und Simon, wie sie zu viel Geld, am besten 5 Millionen Pfund hatten sich beide überlegt, kommen könnten. Diesen Betrag bräuchten sie, wenn sie jedem Musiker 1 Million Pfund für die Samenspende, sowie der Mutter 2 Millionen Pfund für das Austragen des Kindes bezahlen würden.

"Das ist doch eine lustige Spinnerei", begann Alfred mit einem sarkastischen Lächeln. "Vielleicht ist es realistischer, vier brillante aber recht unbekannte Musiker als Eltern zu nehmen." Simon runzelte die Stirn, während er über Alfreds Worte nachdachte. "Aber denkst du nicht, dass es ethische und moralische Bedenken gibt?" Die beiden Männer schwiegen einen Moment lang, als eine Stimme vom Nachbartisch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein Mann sprach ganz aufgeregt.

"Stell dir vor, mein Sohn arbeitet doch bei 'London Entertainment'", erklang die Stimme.

"Die machen das Catering für eine riesige Promiparty kurz vor Weihnachten. Und er belegt dort nicht nur Schinkenbrote. Er ist der Chef der Truppe die an diesem Abend die Gäste bedient. Ich bin so stolz auf ihn. Und er hat mir erzählt, wer da alles kommen wird. Du wirst es nicht glauben, Noel Gillingher wird anwesend sein und auch Serge Pizzaro. Von Daisy Chaplin hat er ebenfalls gesprochen und auch von Marlo Knoppler. Und noch viele andere Stars werden kommen." Alfred und Simon spürten, wie ihre Kehlen trocken wurden, als sie die Namen der Prominenten hörten.

Alfred sah Simon mit glänzenden Augen an. "Alfred, wir müssen auf diese Party. Das könnte unsere Chance sein." Simon nickte langsam.

"Wenn wir das machen, dann mit diesen Eltern. Wir müssen uns bei 'London Entertainment' einschleusen, um dabei zu sein." Die beiden Männer tauschten entschlossene Blicke aus. Alfred, mit seinem Bierglas in der Hand, blickt zu Simon und sagt. "Zurück zu den 5 Millionen Pfund. Ich habe doch Immobilien geerbt. Eigentlich ist das meine Altersvorsorge, aber ganz ehrlich, ich verdiene so viel. Als Altersvorsorge werde ich die wahrscheinlich kaum brauchen. Zusammen sind die bestimmt 2 Millionen Pfund wert." Simon, mit einem Lächeln auf den Lippen, nickt zustimmend. "Meine Frau hat doch einen Pferdehof außerhalb von London geerbt. Wir beide verdienen ebenfalls gut. Als Altersvorsorge brauchen wir den ebenfalls nicht. So oder so müssen wir mit unseren Frauen reden, was wir da vorhaben. Reden wir morgen auf der Arbeit, was dabei herausgekommen ist."

Die beiden Männer verabschiedeten sich euphorisch und gingen nach Hause.

 

Als die Uhr bereits 23 Uhr schlug, lag Alfred tief in seinem Buch versunken im Bett, das gedämpfte Licht der Leselampe war sein einziger Begleiter. Plötzlich öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer und das leise Klicken ließ Alfred aufblicken. Cindy trat ein, ihr Gesicht im sanften Schein des Flurs beleuchtet.

Alfred und Cindy hatten vor kurzem ihren 10. Hochzeitstag gefeiert. Beide hatten sich schon früh kennengelernt, nämlich bereits in der Schulzeit. Alfred war eine Jahrgangsstufe über Cindy und wohnte nicht weit von ihr entfernt. Sie trafen sich des Öfteren auf dem Schulweg, und so begann eine zarte Freundschaft, die immer stärker wurde, bis schließlich Liebe daraus entstand.

Alfred und Cindy waren ein ungleiches, aber perfekt harmonierendes Paar. Während Alfred sich auf eine Karriere in der Gentechnik konzentrierte, ging Cindy einem ganz anderen Weg nach: Sie war Floristin, und das mit Leib und Seele. Ihre Leidenschaft für Blumen zeigte sich in jedem ihrer kunstvollen Gestecke, mit denen sie bereits Preise bei verschiedenen Wettbewerben gewonnen hatte. Von ihrem Naturell her war Cindy erheblich quirliger als Alfred. Sie sprühte vor Energie und Lebensfreude, während Alfred eher ruhig und besonnen war. Diese Unterschiede machten ihre Beziehung jedoch nur stärker. Alfred bewunderte Cindys Enthusiasmus und Kreativität, und Cindy schätzte Alfreds Ruhe und Beständigkeit. Beide ergänzten sich hervorragend.

Ihr Zusammenleben war geprägt von liebevollen Gesten und gegenseitigem Respekt. Alfred unterstützte Cindy in ihrer floristischen Karriere, half ihr bei der Vorbereitung auf Wettbewerbe und stand ihr bei, wenn sie Zweifel hatte. Cindy wiederum brachte Farbe und Freude in Alfreds Leben, organisierte spontane Ausflüge und überraschte ihn regelmäßig mit kleinen Aufmerksamkeiten.

Der 10. Hochzeitstag war für beide ein besonderer Meilenstein. Sie planten eine Feier im kleinen Kreis, mit ihren engsten Freunden und der Familie. Cindy dekorierte den Garten mit ihren schönsten Blumenarrangements, und Alfred sorgte dafür, dass alles reibungslos verlief.

Am Abend, als die letzten Gäste gegangen waren, saßen Alfred und Cindy zusammen auf der Veranda und blickten auf die strahlenden Lichter und die duftenden Blumen, die den Garten in ein kleines Paradies verwandelten. Alfred nahm Cindys Hand und sagte. „Die letzten zehn Jahre mit dir waren die schönsten meines Lebens. Ich freue mich auf die nächsten zehn und alle weiteren, die folgen werden.“ Cindy lächelte und lehnte ihren Kopf an Alfreds Schulter. „Und ich freue mich, jeden Tag mit dir zu verbringen, mein lieber Alfred. Egal, was die Zukunft bringt, wir werden es gemeinsam meistern.“

In diesem Moment wussten beide, dass ihre Liebe und Partnerschaft nicht nur eine Dekade, sondern ein Leben lang halten würde.

 

"Du, Schatz", begann Alfred, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Ja?", antwortete Cindy, während sie sich langsam zu ihrem Kleiderschrank begab.

Alfred räusperte sich nervös und legte sein Buch beiseite. "Ich muss dir etwas erzählen." Cindy drehte sich um und sah Alfred an, ihre Augen voller Neugierde.

"Was ist los?" Alfred schluckte schwer, bevor er fortfuhr. "Es geht um unser Experiment mit dem Lebewesen." Cindy zog eine Augenbraue hoch.

"Ja, ich erinnere mich. Aber was ist damit?"

Alfred holte tief Luft, bevor er die Worte hervorbrachte und er ihr den Plan präsentierte.

Cindys Augen weiteten sich vor Überraschung, und sie trat näher, um Alfred genauer anzusehen. Das ist ja... das ist ja unglaublich." Alfred nickte eifrig.

"Ja, genau! Und denk mal darüber nach, Cindy. Wir haben uns immer ein Kind gewünscht. Nach all dem, was wir durchgemacht haben." Cindy seufzte und ließ sich auf das Bett sinken, während sie Alfreds Worte nachhallen ließ. "Ja", stimmte sie schließlich zu, "wir haben so viel durchgemacht. Und jetzt... jetzt könnten wir endlich ein Kind haben. Ein Wunderkind, das wir fördern können."

Alfreds Herz klopfte vor Aufregung, als er den Glanz der Hoffnung in Cindys Augen sah. Gemeinsam würden sie diesen neuen Weg beschreiten, voller Zuversicht und Liebe für das Kind, das sie erschaffen würden.

Cindy lächelte und legte ihre Hand auf Alfreds Wange. „Wir schaffen das zusammen.“ Die beiden saßen noch lange zusammen, redeten und schmiedeten Pläne. Die Nacht wurde später, aber ihre Begeisterung und Hoffnung ließen sie nicht müde werden. Die Welt draußen schlief, während in ihrem Schlafzimmer große Träume geboren wurden.

 

Es war gegen 20 Uhr, als Simon endlich nach einem langen Tag und einem Feierabendbier mit Alfred nach Hause kam. Die Luft war mild und ein leiser Wind wehte durch die Straßen. Als er die Tür öffnete, strömte ihm der Duft von Gewürzen entgegen. Seine Frau Mandy, die bereits mit dem Abendessen wartete, hatte etwas beim Inder um die Ecke geholt. Sie lächelte ihm entgegen, während sie die dampfenden Behälter auf den Tisch stellte.

Mandy arbeitete genau wie Simon in der Gentechnikfirma. Beide hatten sich im Studium kennengelernt. Simon, der offen auf die Menschen zuging, hatte sie auf dem Campus einfach angesprochen. Es war an einem sonnigen Nachmittag im Frühling, als Simon Mandy das erste Mal bemerkte. Sie saß unter einem blühenden Kirschbaum und vertiefte sich in ein Lehrbuch über Genetik. Simon, der immer neugierig und kontaktfreudig war, konnte nicht anders, als sich zu ihr zu setzen und ein Gespräch zu beginnen.

"Hey, du siehst aus, als ob du gerade eine schwierige Passage entschlüsselst", sagte er mit einem freundlichen Lächeln. Mandy blickte auf, überrascht von der plötzlichen Ansprache, aber sie erwiderte sein Lächeln schnell.