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Grumpy x Sunshine in der glitzernden Welt des Formel-1-Sports Ella sehnt sich nach einem Neuanfang, nachdem sie ihren Sport-Podcast verloren hat. Da kommt das Angebot, die Biographie des Formel-1-Weltmeisters Blake Hollis zu schreiben, genau richtig. Eine Saison lang wird sie den attraktiven Briten rund um den Globus begleiten und in seine glamouröse Welt eintauchen. Doch schnell erkennt sie, vor welcher Herausforderung sie steht: Blake sträubt sich, mit ihr zu sprechen und ihr einen tieferen Einblick in sein Leben zu gewähren. Aber so leicht gibt sie nicht auf! Und von Grand Prix zu Grand Prix entdeckt sie eine neue Facette an Blake und muss sich eingestehen, dass sie seine Nähe genießt – auch abseits der Rennstrecke … Turbulent und gefühlvoll – der erste Teil der »Drive Me«-Trilogie
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Seitenzahl: 460
Carly Robyn
Roman
Das war ein Skandal zu viel! Formel-1-Weltmeister Blake benötigt eine PR-Überholung. Um seinen Ruf aufzupolieren, hat sein Team eine drastische Lösung parat: ein Buch, das nicht nur seine glanzvolle Karriere zeigt, sondern auch seine wahre Persönlichkeit fernab des Playboy-Images präsentiert. Blake hat keine Lust, seine Gefühle vor der Öffentlichkeit auszubreiten. Und noch weniger will er mit der Autorin Ella zusammenarbeiten, die in ihrem Podcast wenig schmeichelhaft über ihn gesprochen hat. Während alle Ella mit offenen Armen empfangen, fügt er sich widerwillig seinem Schicksal. Aber je länger die Rennsaison dauert, desto mehr geht Ella ihm unter die Haut.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Carly Robyn schreibt Romances mit Herz und Humor. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, verbringt sie Zeit mit ihrer Familie, scrollt durch TikTok, erkundet die Restaurantszene in Chicago, schaut Formel-1-Rennen, schießt eine Million Fotos von ihren Hunden oder streamt alles, was mit True Crime zu tun hat, während sie Cola light trinkt. Auf Instagram und TikTok ist sie unter @carlyrobynauthor aktiv.
[Widmung]
[Hinweis]
[Anmerkung der Autorin]
Playlist
Ella
Blake
Ella
Blake
Ella
Blake
Ella
Ella
Blake
Ella
Blake
Ella
Blake
Ella
Blake
Blake
Ella
Blake
Ella
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Blake
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Ella
Blake
Ella
Ella
Blake
Ella
Blake
Ella
Danksagung
Für meine Mom.
Du bist der Grund, weshalb ich Geschichten liebe und hinreichend an mich geglaubt habe,
um diese zu schreiben.
Dieser Roman behandelt Themen, die potenziell belastend wirken können. Bitte beachtet dazu die Anmerkungen der Autorin, die jedoch Spoiler für die Geschichte beinhalten.
Anmerkung der Autorin
Dieses Buch ist in einem leichten, humorvollen Stil geschrieben, berührt allerdings Themen, die nicht für jeden geeignet sein mögen. Es kommen Erwähnungen von Angst- und Panikattacken (in der Handlung), freizügige Sprache, sexuelle Belästigung (aus der Vergangenheit berichtet), Selbstmedikation mit Alkohol und Tabletten, Anspielungen auf abwesende Eltern und den Tod eines Elternteils (in der Vergangenheit) vor. Es handelt sich um eine Slow-Burn- und Open-Door-Romance mit explizitem Inhalt.
Der Roman handelt von fiktiven Charakteren und Ereignissen in der Formel-1-Welt. Abweichungen vom gegenwärtigen Grand Prix sind aus erzählerischen Gründen beabsichtigt.
Late Night Talking | Harry Styles
Take a Chance on Me | ABBA
Kiss Me More | Doja Cat ft. SZA
Foreign Land | Emily James
Swim | Chase Atlantic
Feel Again | OneRepublic
I Don’t Care | Ed Sheeran & Justin Bieber
King of My Heart | Taylor Swift
We Are the Champions | Queen
No Control | One Direction
I Like Me Better | Lauv
Thinkin Bout You | Frank Ocean
Burnin’ Up | Jonas Brothers
Lasting Lover | Sigala James Arthur
Stronger (What Doesn’t Kill You) | Kelly Clarkson
Kapitel 1
Draußen ist es so eisig, dass ich für meine Nippel einen Waffenschein bräuchte. Ich bibbere in der beißenden Kälte, als sich eine dünne Schneeschicht auf meine Schultern legt. Meine Winterjacke ist entschieden besser darin, mich wie ein extrafluffiges Marshmallow aussehen zu lassen, als mich warmzuhalten.
Die Gebäude ragen hoch in den Abendhimmel auf und werfen unheimliche Schatten auf die Autos, die in halsbrecherischer Geschwindigkeit die Straße entlangrasen. Als ich neu in der Stadt war – ach was, noch vor wenigen Monaten –, zauberte mir der Anblick der Wolkenkratzer und der gelben Taxis ein Lächeln ins Gesicht. Jetzt dienen sie nur noch als hämische Erinnerung daran, dass mir der Betondschungel gründlich den Hintern versohlt hat. Und das nicht auf die sexy Art. Eher auf die »Das tut so weh, dass ich nie wieder sitzen will«-Art.
Liebend gern würde ich jeden in Manhattan ghosten, doch Poppy hat auf eine richtige Abschiedsparty bestanden. Nur deshalb schleppe ich mich bei minus sieben Grad zu ihrer Wohnung. Als ich endlich ankomme, bin ich so darauf konzentriert, meine eingefrorenen Finger aufzutauen, dass ich geradewegs mit einer Hot-Wheels-Piñata kollidiere.
O mein Gott.
Poppys gesamtes Apartment in Midtown wurde in den feuchten Traum eines Rennfans verwandelt. Schilder mit Aufschriften wie »Vorfahrt Party« und »Aktives Rennen« bedecken die Wände, und karierte Fahnen hängen von der Decke. Das Einzige, was hier nicht zu einer Feier für eine Vierjährige passt, sind die Unmengen Alkohol in der Küche.
Ich erspähe meine beste Freundin durch die roten, schwarzen und weißen Luftballons, die ziellos umherschweben. Mir fällt die Kinnlade herunter, doch es kommt kein Laut aus meinem Mund. Poppy stellt eine lebensgroße Pappfigur von der Formel-1-Legende Blake Hollis auf, der seinen Arm um eine Unbekannte gelegt hat. Eine Frau, deren Gesicht per Photoshop zufällig durch meines ersetzt wurde. Gott stehe mir bei.
Blake sieht wie üblich umwerfend aus, auch wenn nichts ein hübsches Gesicht so nachhaltig ruinieren kann wie mieses Verhalten. Kein Wunder, dass sein Team innerhalb nicht mal eines Jahres eine Biographie von ihm geschrieben und veröffentlicht haben will. Nach der katastrophalen Saison im letzten Jahr braucht er so viel gute PR, wie er kriegen kann.
Ich betrachte den Pappaufsteller und überlege, wie ich als großes Supermodel und mit Brüsten aussehen würde, die noch unechter sind als Monopoly-Geld, anstelle meiner gewöhnlichen Körbchengröße B. In diesem Moment zieht Poppy mich sehr fest in ihre Arme.
»Ella! Wie findest du es?« Sie dreht sich mit gereckten Armen im Kreis. »Perfekt, oder?«
»Auf jeden Fall dicht am Thema«, stimme ich zu und blicke mich abermals verblüfft um. Es ist übertrieben, allerdings hätte ich auch nichts anderes erwartet. Poppy verfügt über eine erstaunliche Fähigkeit, jedes Projekt so hyperfokussiert anzugehen, dass es am Ende die höchsten Erwartungen übertrifft. Was höllisch nervt, wenn ihre Projekte zufällig mein Liebesleben und meine taumelnde Karriere betreffen, doch ich gestehe, dass ihr Apartment gut aussieht. Dennoch hätte ich nichts dagegen, Blakes Pappkörper zu einer Dartscheibe umzufunktionieren.
Jack kommt von der Couch zu uns gehüpft. Mit seinem spöttischen Dauergrinsen sieht er aus, als wäre er soeben dem Cover einer Milliardär-Romance entstiegen. Er begrüßt mich mit einem einarmigen Drücken, bevor er zu Poppy schaut. »Darf ich jetzt aufhören, Ballons aufzupusten?«
»Ich dachte, du bläst gern.« Sie klimpert unschuldig mit den Wimpern. »Deshalb habe ich dir doch überhaupt nur den Auftrag gegeben.«
»Haha.« Er verdreht die Augen und zieht einen Mundwinkel nach oben. »Tue ich, mir sind aber muskulöse Blonde mit Vaterkomplex lieber als diese Luftballons.«
Hiermit wechselt die Unterhaltung zu Jacks letztem Dating-Desaster auf einer langen Liste von ebensolchen. Wahrscheinlich wird er Poppys neues Projekt, sobald ich weg bin. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und versuche, nicht daran zu denken, wie sehr sie mir fehlen werden.
Als könnte sie meine trüben Gedanken fühlen, seufzt Poppy dramatisch. »Es ist noch nicht zu spät, alles abzusagen und nach einem neuen Job in New York zu suchen«, sagt sie.
Ich weiß nicht, wie oft wir dieses Gespräch noch führen können, ehe mir der Kopf implodiert. Höchstens noch zweimal. Ich lege einen Arm um ihre Schultern und schüttle sie sanft.
»Dazu ist es definitiv zu spät. Ich verlasse die Stadt«, widerspreche ich. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. »Und es ist eine sagenhafte Chance.«
Als ich mich nach meinem Fortgang von PlayMedia ratsuchend an meinen Mentor George Phillips wandte, hatte ich auf berufliche Orientierung gehofft. Stattdessen hatte er mir einen Job als seine Co-Autorin bei Blakes Biographie angeboten. Seit mein Podcast Coffee with Champions geplatzt ist, habe ich nicht mehr geschrieben und freue mich darauf, zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Nach dem, was geschehen war, breche ich allein bei dem Gedanken daran, einen Podcast aufzunehmen oder bloß in einem Tonstudio zu sein, in Panik aus. Daran möchte ich nicht dauernd erinnert werden. Doch Schreiben? Das ist sicher. Und es schadet erst recht nicht, dass ich auf der anderen Seite des Globus sein werde.
»Na schön«, meint Poppy beleidigt und verschränkt die Arme vor der Brust. »Aber dann musst du mir versprechen herauszubekommen, mit wie vielen Sports Illustrated-Models Blake geschlafen hat.«
Ich schlage einen vorbeischwebenden Luftballon in ihre Richtung, und sie tippt ihn rasch weg von ihrem pechschwarzen Haar, um statische Nebenwirkungen zu vermeiden. Poppy hat nicht viel mit Sport am Hut, ist jedoch ein Fan von Promitratsch, und Blake ist eine jener Sportgrößen, die international genauso angesehen wie berüchtigt sind.
»So eine Frage wird er nicht beantworten wollen, Pop«, sage ich. Blake hält sein Privatleben extrem unter Verschluss. Es kann sogar sein, dass ich jetzt schon bei ihm unten durch bin, nachdem ich seine Party-Eskapaden im letzten Jahr mit denen von Paris Hilton um das Jahr 2006 herum verglichen habe. Den McAllister-Fahrer nach der Zahl seiner Affären zu fragen, brächte mir vermutlich keine Pluspunkte ein.
»Du bist eine Spaßbremse.« Sie schiebt die Unterlippe vor. »Dann bestätige wenigstens die Gerüchte, dass er einen riesigen Schwanz hat.«
»Ja, das würde ich auch gerne wissen.« Jack nickt energisch. »Ehrlich, könntest du eine Vergleichstabelle von Fahrer-Schwanzgrößen machen, wäre das wirklich hilfreich für uns alle.«
Stöhnend vergrabe ich das Gesicht in den Händen. »Kann ich bitte einen Drink haben, bevor noch einer von euch das Wort Schwanz sagt?«
Poppy grinst immer noch, als sie mich in die Küche führt. Sie hat eine Karte mit Drinks und Snacks gefertigt, die alle Namen mit Formel-1-Bezug haben. Ich nippe an meinem McAllister-Martini und verziehe das Gesicht, als das scharfe Getränk in meiner Kehle brennt. Das ist kein Martini, sondern ein Kater im Glas.
»Ich hasse ihn«, verkündet Poppy in den Raum hinein. »Es ist seine Schuld, dass du weggehst.«
Sie sagt es so beiläufig, dass ich einen Moment brauche, um zu begreifen, von wem sie spricht. Connor Brixton. Sie weigert sich, ihn beim Namen zu nennen, und ich wünschte, sie würde ihn überhaupt nicht ansprechen. Adios, au revoir und arrivederci, Arschloch.
»Ich habe PlayMedia auf eigenen Wunsch verlassen«, erinnere ich sie. Dabei bohre ich die Fingernägel in meine Handflächen und zucke mit den Schultern. Nicht, dass ich eine große Wahl gehabt hätte, aber letztlich hatte ich gekündigt; sie haben mich nicht gedrängt zu gehen. »Können wir nicht darüber reden?«
»Ella, komm schon. Du bist gegangen …«
»Poppy«, fällt Jack ihr warnend ins Wort. »Wir wollen Spaß haben, und Ella will das eindeutig nicht besprechen.«
Ich werfe ihm einen dankbaren Blick zu, doch er und Poppy starren einander an wie Eltern in einem Sorgerechtsstreit. Dies wäre eine prima Gelegenheit, um etwas von dem Boxenstopp-Popcorn oder den Crashtest-Chips zu naschen, doch die stehen auf der anderen Seite des Tresens.
»Du hast recht, sorry«, lenkt Poppy nach einer Minute ein. Sie wendet sich wieder mir zu. »Denkst du, Blake hat deinen Podcast gehört?«
Prompt verspanne ich die Schultern, spare mir aber die Mühe, ihr zu erklären, dass es nicht mehr mein Podcast ist. »Ich nehme an, dass er mich gegoogelt hat. Es ist nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.«
»Garantiert weiß er, dass es nur witzig gemeint war«, beruhigt Jack mich.
In meiner Sendung hatte ich nichts Unwahres oder Unverschämtes über Blake gesagt, mich allerdings schon über seine miese Performance im letzten Jahr lustig gemacht. Mein Podcast war ja nicht grundlos unter Sport und Comedy gelistet. Und wie konnte ich nicht darüber scherzen, dass er mehr Slips als Siege eingesammelt hatte? Ich kann nur beten, dass Jack recht hat und Blake egal ist, welche subjektiv witzigen Bemerkungen ich von mir gegeben habe.
»Pop, wollen wir El ihr Geschenk geben?«, wechselt Jack das Thema. »Ehe alle kommen?«
Er trinkt einen Schluck von seinem Drink, einem Starthilfe-Gin mit Saft, und ich bemerke ein Blitzen in seinen Augen. Poppy verschwindet und kehrt gleich darauf mit einer Geschenktüte zurück, die über und über mit Rennwagen bedruckt ist. Was mich wenig schockiert. Drinnen ist ein Sammelsurium an albernem Krimskrams; erst die letzten paar Sachen überraschen mich dann doch.
»Kondome.« Ich blinzle hektisch. »Ihr schenkt mir Kondome.«
Ich schaue genauer hin und sehe den Spruch Spare Benzin und reite den Rennfahrer auf die Verpackung gedruckt. Mir sprüht der Drink aus dem Mund und beinahe auf Poppys Brust.
»Und?«, fragt Jack, der mich amüsiert anschaut. »Was meinst du?«
»Dass ihr zwei sie nicht mehr alle habt.« Ich halte die Rolle vor mich. Die roten Kondome sind anscheinend mit Kirschgeschmack. Lecker. »Ich glaube nicht, dass ich die benutzen werde, aber ich weiß es sehr zu schätzen.«
Formel-1-Fahrer sind als Fuckboys verschrien. Nein danke. Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt. Wäre mir noch danach, Psychospielchen zu veranstalten und Orgasmen vorzutäuschen, müsste ich nur in irgendeine Bar im Umkreis von fünf Blocks um mein Apartment spazieren. Ich will umgehauen werden, nicht nach einem One-Night-Stand unter den Teppich gekehrt.
»Eines noch«, meint Poppy und holt einen Lippenstift unten aus der Tüte. »Mach auf!«
Ich bete, dass er nicht knallrot ist, denn ganz egal, was sie sagt, die Farbe passt einfach nicht zu meinem Teint. Ich staune, als ich das Unterteil des Stifts herausziehe, denn ich lag völlig daneben. Das ist ein verdammtes Messer.
Poppy klatscht in die Hände. »Jetzt bist du vor Geschlechtskrankheiten und Angreifern geschützt!«
»Kondome, um mit Männern zu vögeln« – lachend drehe ich das Ding um, ehe ich mich aus Versehen selbst absteche – »und ein Lippenstiftmesser, wenn sie mich verarschen wollen.«
Jack lacht und zwinkert mir zu. »London wird gar nicht wissen, wie ihm geschieht.«
»Belgien genauso wenig«, ergänzt Poppy. »Oder Australien. Oder Japan. Oder irgendeines der anderen Länder, in die du reist.«
Ich stoße meinen roten Plastikbecher zustimmend gegen ihren. Einundzwanzig Städte in zweiundfünfzig Wochen. Wenn mir so viel Zeit und Entfernung nicht hilft, hinter mir zu lassen, was passiert ist, weiß ich es auch nicht.
Kapitel 2
Mein Ärger äußert sich auf zweierlei Weise. Entweder verliere ich die Beherrschung und brülle Leute an, oder ich bleibe so ruhig, dass es sie nervös macht. Jetzt gerade ist es Letzteres. Ich sehe, wie sich die Stille einer kratzigen Decke gleich um Keith und George legt. Es würde mir ja leidtun, doch ich bin mir sicher, sollte ich reden, würde einer von ihnen dieses Meeting mit einem blauen Auge verlassen.
»Keith meint, dass du unzufrieden mit meiner Co-Autorin bist«, sagt George schließlich und trinkt ruhig von seinem Cappuccino. »Was hast du für Bedenken, Kumpel?«
»Das soll ein Witz sein, oder?« Mein scharfer Tonfall lässt keine Fragen offen. »Du hast sie doch nicht ernsthaft engagiert.«
George scheint meine Wut kaltzulassen. Vielmehr wirkt er ziemlich amüsiert. Er nimmt noch einen Schluck Kaffee und schaut mich mit kühlem Blick an. Am liebsten würde ich ihm den Becher aus der Hand reißen und in eine Million Scheißteile zerschlagen.
»Muss ich dich an Georges Vertrag erinnern?«, mischt sich mein Manager ein. »Er kann einstellen, wen er will, um die knappe Deadline zu halten.«
»Ich habe das verdammte Ding gelesen«, antworte ich. Na ja, mein Anwalt, aber das sind semantische Feinheiten. »Mein Team muss jedem, den er anheuert, mindestens zwei Monate im Voraus zustimmen.«
»Ella wurde im Dezember überprüft und abgesegnet, Blake«, bestätigt Keith. »Du hast dich bloß bisher geweigert, über das Buch zu reden.«
»Sie hat mein Können als Fahrer in Frage gestellt und dann gesagt, es sei kein Wunder, dass ich nicht bei der Sache bin, weil zu sehr damit beschäftigt, mir jenseits der Rennbahn einen blasen zu lassen«, erwidere ich. »Habt ihr gedacht, das stimmt mich fröhlich? Was hat sie für Erfahrung, abgesehen von einem blöden Podcast? Was qualifiziert sie auch bloß ansatzweise, eine Biographie zu schreiben? Wissen wir, ob sie überhaupt schreiben kann? Das ist komplett lächerlich. Ich verbringe die Saison nicht mit ihr, also müsst ihr jemand anderen finden.«
»Nein.« Keith schüttelt den Kopf. »Versuch nicht, das zu sabotieren. Wir würden dieses Gespräch gar nicht führen, wärst du nicht von dem Verlangen besessen, deine Karriere zu killen.«
»Ich habe die nicht ruiniert!« Ich sehe ihn mit verengten Augen an. Mir ist bewusst, dass ich mich im letzten Jahr nicht von meiner besten Seite gezeigt hatte, weder auf der Rennbahn noch sonst. »Noch bin ich bei McAllister und all meinen Sponsoren unter Vertrag. Und auch schlechte Presse ist gute Presse, nicht wahr?«
»Schlechte Presse? Blake, du hast so wild Party gemacht, dass du dich nicht mal erinnerst, wie du Hotelmobiliar in einen Pool geworfen hast. Die Paparazzi hatten dich beim Vögeln auf der Rückbank einer Limo erwischt, mit einer Frau, wie ich hinzufügen möchte, bei der es sich um ein Callgirl gehandelt haben könnte. Das ist keine schlechte Presse, sondern verdammt schlecht!« Keith presst die schmalen Lippen zu einer geraden Linie und zieht die Augenbrauen zusammen. Das tut er immer, wenn er erschöpft ist, und es sieht aus, als wären zwei wütende Raupen auf seinem Gesicht unterwegs. »Du magst noch deine Verträge haben, aber tu nicht so, als hätte man dich nicht gewarnt, dass du raus bist, wenn du dich diese Saison nicht am Riemen reißt. Denkst du nicht, Thompson lauert nur auf die Chance, deinen Platz einzunehmen?«
»Hör zu, Blake«, sagt George, ehe ich reagieren kann. »Keiner hat es auf dich abgesehen. Wir machen diese Biographie, weil wir die Welt und dein Team daran erinnern wollen, warum du der Beste bist und sie von Glück reden können, dich als Fahrer und Aushängeschild zu haben. Und du weißt, hätte ich keine anderen Verpflichtungen, würde ich die Saison mit dir verbringen, und dennoch bräuchte ich Hilfe. Alles soll binnen zwölf Monaten unter Dach und Fach sein, da wird jeder gebraucht. Und das schließt Ella mit ein.«
Ich kenne George schon seit meinen Anfangszeiten im Gokartrennen. Er ist einer der wenigen Journalisten, die ich wirklich mag, denn er respektiert mich und stellt keine ignoranten Fragen, nur um mich zum Ausrasten zu bringen. Im Laufe der Jahre haben wir uns angefreundet, und anstatt darüber zu schreiben, wie hinüber ich letztes Jahr war, tauchte er unangekündigt bei mir zu Hause auf und wollte wissen, wie er helfen könnte. Würde ich George nicht vertrauen und wäre er es nicht, der für dieses Projekt zuständig ist, würde dieses Buch nie erscheinen. »Sie hat behauptet, die Formel 1 muss von mir eine Genehmigung für besonders absurdes Benehmen verlangt haben«, erinnere ich die beiden.
Keith blickt hinab zu seiner Rolex, mein Wiedergutmachungsgeschenk nach dem letzten Jahr. »Bist du dann fertig mit deinem Trotzanfall?«
Ich beiße die Zähne zusammen und nicke, denn auch wenn ich gern schreien würde, möchte ich noch dringender wissen, warum zum Teufel sie die Frau angeheuert haben.
»Sie ist qualifiziert, Blake«, erklärt George. »Und sie ist gut. Richtig gut. Ella ist genau die Person, die du dir als Hilfe wünschst.«
Er zieht einen Ordner aus seiner Tasche und schiebt ihn über den Tisch. Misstrauisch schlage ich die Mappe auf und finde darin Ellas Lebenslauf. Ich nehme ihn heraus, lehne mich zurück und fange zu lesen an. Ella Gold. Aus Chicago, wohnhaft in New York City. Nun ja, wohnhaft, bis sie mir wie eine verdammte Mücke folgt. Den Bachelor in Journalismus mit summa cum laude abgeschlossen und danach ihren Master gemacht. Praktika bei Big Ten Network und The New Yorker. Als Sportredakteurin und Podcasterin bei PlayMedia gearbeitet, einer Marke für digitalen Sport, Unterhaltung und Medien – bis Ende letzten Jahres.
George hat sogar einige Sachen von ihr ausgedruckt, damit ich sie mir ansehen kann. Offensichtlich hat er sich auf dieses Meeting vorbereitet. Wichser. Ihr Interview mit der Olympiaschwimmerin Lilly King ist frustrierend phantastisch. Ihre Story über Rafael Nadals Niederlage gegen Novak Djokovic bei den French Open 2021 ist sogar unausstehlich phantastisch. Und ihr Artikel über meinen Grand Prix in Monaco vor wenigen Jahren ist einfach widerlich sagenhaft. Objektiv und subjektiv. Shit, shit, shit.
Keith sieht mich an, als hätte ich sie nicht alle. Die Liste ist tatsächlich nicht so lang; eher recht kurz.
»Du vertraust mir doch, oder? Deshalb haben wir uns hierbei zur Zusammenarbeit entschieden, nicht wahr?« George neigt den Kopf zur Seite, als wollte er mich herausfordern, ihm zu widersprechen. »Also vertrau mir auch, wenn ich dir sage, dass sie die Richtige für den Job ist.«
Ich hole tief Luft, um meinen Frust zu kontrollieren. »Woher kennst du sie überhaupt?«
»Sie hat hier ein Auslandsstudienjahr gemacht, als ich Gastdozent war, und war in meinem Kurs – Probleme in der medialen Sportberichterstattung des 21. Jahrhunderts. Wir sind in Kontakt geblieben, und ich wusste gleich, dass sie hierfür ideal ist.«
»Sie hat gesagt, ich wäre die Baku-Rennbahn letztes Jahr wie eine Runde Mario Kart angegangen.«
»Womit sie nicht falschliegt.« Er lacht leise. »Du bist wie eine gesengte Sau gefahren.«
Ich zeige ihm den Mittelfinger. Er hat recht, und ich hasse es, unrecht zu haben.
»Gib ihr eine Chance, Blake. Sie ist eine begnadete Schreiberin und einer der wenigen Menschen, von denen ich glaube, dass sie dich Klugscheißer eine Saison lang aushalten.« Jetzt schaut er mich sehr streng an.
Ich drücke die Daumen an meine Schläfen, um die Spannungskopfschmerzen zu verscheuchen, die mir diese Unterhaltung beschert. »Mir gefällt das nicht. Kein bisschen.« Ich hasse es, wie jammernd ich klinge. Wie mein Neffe, wenn ich ihm sage, dass Schlafenszeit ist, er aber noch weiter mit seinen Actionfiguren spielen will.
»Tja, mir macht es auch keinen Spaß, hinter dir aufzuräumen.« Keith zuckt mit den Schultern. »Komm drüber weg.«
Ein Anruf meiner Schwester unterbricht die nächste Tirade meines Managers. Sie ist der einzige Mensch, für den ich alles stehen und liegen lasse, und das wissen wir beide. Ich entschuldige mich und gehe aus dem Raum, um das Gespräch anzunehmen.
»Na, wenn das nicht meine Lieblingsschwester ist«, melde ich mich.
»Wenn das nicht mein Lieblingsbruder ist.« Keiner von uns hat große Konkurrenz, da es nur uns beide gibt, dennoch bringt mich die Begrüßung zum Lächeln. »Also … bald fängt die Saison an.«
»Was du nicht sagst.« Meine Stimme trieft vor Sarkasmus. »Beinahe hätte ich’s vergessen. Danke für die Erinnerung, Ashley.«
Ihr Seufzen am anderen Ende macht klar, dass sie genervt ist. »Sei kein Arsch.«
Ich muss grinsen, als meine Nichte im Hintergrund ruft, Arsch sei ein schlimmes Wort. Ein ganz schlimmes Wort, laut Millie.
»Entschuldige. Ich bin nur müde und angefressen wegen der Biographie.«
»Ich freue mich auf die«, sagt sie. »Sie wird den Leuten den echten Blake zeigen, nicht den A-R-S-C-H, als der du dich gibst.«
»Klar, kann sein.« Ich erwähne nicht, dass genau das mein Problem ist. Ich will nicht, dass die Leute mein wahres Ich kennenlernen.
»Wie geht es dir?«, fragt sie. »Und antworte nicht gut, denn das hast du letztes Jahr auch gesagt und dann eine Strafe dafür kassiert, dass du einen Unfall verursacht hast, Blake.«
Es war keine Absicht. Ich wollte bloß an Harry Thompson vorbei, und das ging nach hinten los. Übel. »Nicht das schon wieder, Ash.«
Sie bedrängt mich nicht weiter, denn zweifellos will sie einen lautstarken Konflikt vermeiden. Im letzten Jahr hatte ich eine verdammt kurze Zündschnur und bin bei den kleinsten Kommentaren in die Luft gegangen. Meine Schwester hat schon genug abbekommen. Wie sich herausstellt, ist der Mix von Antidepressiva und reichlich Alkohol keine gute Idee. Wer hätte das gedacht?
»Haben Finn und Millie meine Postkarte bekommen?«, frage ich sanfter. Meine Nichte und mein Neffe lieben es, Schneckenpost zu erhalten, und ich versuche, ihnen möglichst oft welche zu schicken, selbst wenn wir uns in derselben Stadt aufhalten. Die letzte war eine mit ihrem heißgeliebten Cartoon-Schwein, das vor Big Ben ein Macaron aß.
»Jap! Sie haben dir eben eine handgemalte Karte zurückgeschickt. Die ist sehr … einzigartig.«
Ich schnaube belustigt. Es ist eine nette Umschreibung ihrer künstlerischen Fähigkeiten. Finns Dreiecke dürften seinen künftigen Geometrielehrer in Richtung Herzinfarkt treiben, und Millie benutzt ausschließlich Orange, weil es ihrer Meinung nach »gemein ist, dass die Farbe den Namen mit einem Obst teilen muss«. Meine Schwester ist Innenarchitektin, doch ihr Gespür für Farbkoordination und klare Linien hat bisher nicht auf ihre Kinder abgefärbt.
»Finn hat versucht, dir zwei Zirkusjongleure zu malen, aber es sieht eher aus wie« – sie muss lachen – »du weißt schon. Ich will die Überraschung nicht verderben. Du wirst verstehen, was ich meine, wenn du es siehst.«
»Ich kann es kaum erwarten«, sage ich grinsend. »Jetzt muss ich aber zurück in mein Meeting. Ich komme bald mal zum Abendessen, okay? Grüß alle von mir.«
»Abendessen klingt gut«, antwortet sie. »Pass auf dich auf, okay?«
Ich verabschiede mich und lehne mich an die Wand. Ich wünsche mir, sie könnte mich einsaugen und in den Tiefen der Hölle wieder ausspucken. In dieser Saison geht es ums Ganze, und ich kann mir keinen Zusammenbruch leisten. Wenn mich die letzte Saison eines gelehrt hat, ist es, dass ich meine Gefühle besser im Griff haben muss.
Kapitel 3
Die wenigen Wochen nach meiner Abschiedsparty vergehen wie im Flug. Der nach London hingegen nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich die vollen sechs Stunden in Panik verbringe. Erst als die Räder auf der Rollbahn aufsetzen, habe ich mich beruhigt und daran erinnert, warum ich dies hier tue. Das Glas Champagner – okay, die drei – sind daran wahrscheinlich nicht ganz unschuldig.
George wohnt in einem Vorort außerhalb der Stadt, besitzt allerdings eine »Wohnung« mit drei Zimmern in Shoreditch – laut Poppy ein angesagtes, vornehmes Londoner Viertel –, wo ich zwischen den Rennen wohnen werde. Ich verbringe nur zwei Tage in London und fliege dann direkt zum ersten Rennwochenende nach Bahrain. Weil ich noch mit der Zeitumstellung kämpfe, ist Sport zu treiben das Allerletzte, was ich nach der Landung tun will. Trotzdem zerre ich meinen schweren Koffer einen endlosen Flur entlang. Ich habe ehrlich keine Ahnung, wo mein Zimmer ist. Auf dieses Hotel hätte mich kein noch so großes Maislabyrinth im Mittleren Westen vorbereiten können.
»Mom.« Ich seufze, als ich in einen weiteren Korridor einbiege, und habe das Gefühl, dass ich an diesen Türen schon einmal vorbeigekommen bin. »Schick Blake bitte keine Freundschaftsanfrage. Ich habe ihn noch nicht einmal getroffen. Und ich bin ziemlich sicher, dass der Facebook-Account, den du mir geschickt hast, fake ist. Ist dir klar, wie viele Leute sich wahrscheinlich für ihn ausgeben?«
»Er muss ja nicht annehmen!«, widerspricht sie. »Er soll nur wissen, dass du eine Mutter hast, die auf dich aufpasst, damit er sich benimmt.«
»Ja, Mom, weil du bei Facebook auch so super furchteinflößend rüberkommst.«
Sie postet inspirierende Zitate und teilt Wohlfühlvideos aus den Nachrichten. Nichts auf ihrer Facebook-Seite schreit »Ich trete dir in den Hintern«. Mein Dad hingegen? Kann sein. Aber Mom? Nie und nimmer. Sie kann bestenfalls an Halloween Kinder erschrecken, vorausgesetzt sie trägt eine Maske.
»Aha!« Ich bleibe vor Nummer 4033 stehen. »Endlich habe ich mein Zimmer gefunden.«
»Vergiss nicht, unter dem Bett und hinter den Vorhängen nachzusehen, ob es auch sicher ist.«
»Natürlich.« Ich habe viel zu viele Folgen Law & Order: Special Victims Unit gesehen, um mein Hotelzimmer nicht nach gruseligen sich hier versteckenden Männern abzusuchen. »Ich rufe dich später wieder an, okay? Hab dich lieb!«
»Ich dich mehr, Schatz.«
Ich drücke das Gespräch weg und öffne die Zimmertür. O mein Gott. Die Suite ist elegant, modern und um so viele Quadratmeter größer als mein Apartment in NYC, dass es schon peinlich wirkt. Dabei war es nach Manhattan-Maßstäben regelrecht groß. Jetzt komme ich mir vor wie in einer Folge von International House Hunters. Nur dass ich keine zwei Millionen Dollar Budget als Knöpfesammlerin vorweisen kann, sondern genau null Budget als Biographin! Aber keine Sorge. Ich bin bereit zu arbeiten, um mir das vermutlich sehr teure Zimmer in Bahrain zu verdienen.
Obwohl ich erste Klasse geflogen bin, tun meine Muskeln vom langen Sitzen weh. Der hohe Druck des warmen Wassers knetet die Anspannung aus meinen Schultern, und ich verlasse das Bad euphorischer Stimmung. Ich mache es mir in dem riesigen Bett bequem, bestelle mir ein Abendessen beim Zimmerservice und frage mich beim Einschlafen, ob das Hotel große Flaschen von seiner Lavendellotion verkauft.
Morgens wache ich mit einem Loch im Bauch so groß wie eine Wassermelone auf. Heute ist der Tag, an dem ich Blake begegne.
Ich schaffe das.
Hoffe ich.
Zum Essen bin ich zu nervös, gehe aber zum Frühstücksbuffet des Hotels, um mir einen Kaffee zum Mitnehmen zu holen. Mit meiner Koffeindosis – und den detaillierten Anweisungen, die Blakes Manager Keith mir gemailt hat – ist es leicht, den Konferenzraum zu finden, in dem wir uns treffen. Selbstverständlich ist Keith nirgends zu sehen, als ich den Raum betrete. Dort ist nur Blake. Und ich bin mir nicht sicher, ob der Jetlag aus mir spricht, aber, verdammt nochmal, ist der Mann umwerfend!
Ich hole tief Luft, um mich zu beruhigen und setze ein freundliches Lächeln auf. »Hi, ich bin Ella«, sage ich und strecke meine Hand aus. Blake starrt sie einige Sekunden lang an, bevor er sie sehr schnell schüttelt. Ich bete, dass er nicht merkt, wie feucht meine Handflächen sind.
Er mustert mich mit schokoladenbraunen Augen, als würde er mich im Geiste ausziehen. Der Augenkontakt ist aggressiv frech, aber irgendwie doch nicht unheimlich. Jemand muss hier sofort die Klimaanlage hochdrehen, denn ich beginne zu schwitzen. Die Fotos werden Blake nicht gerecht. Sein zerzaustes dunkelbraunes Haar lässt ihn aussehen, als wäre er eben von einem Nickerchen aufgewacht, und ich kann nur sagen, dass ihm der Look steht.
»Kaffee«, bringt er knurrend hervor. Na, wenigstens sagt er etwas.
Blake nimmt mir den Styroporbecher aus der Hand. Excusez moi? Bevor ich ihm sagen kann, dass ich ihm keinen Kaffee bringe und er mir eben meinen weggenommen hat, trinkt er einen großen Schluck. Sein Gesicht sagt alles, und er wischt sich mit dem Handrücken den Mund. Geschieht ihm ganz recht.
»Das ist meiner«, sage ich matt.
»Ich dachte, du hast mir Kaffee gebracht.«
»Wie kommst du darauf?« Ich bin nicht seine Assistentin. Wir kennen uns überhaupt nicht. Woher sollte ich wissen, wie er seinen Kaffee trinkt?
»Als Friedensangebot«, erklärt er schulterzuckend. »Da du gesagt hast, du seist nicht sicher, wie mir mein Helm passt, wo doch mein Ego allein meinen Kopf zwölf Nummern zu groß macht.«
Er gibt sich keine Mühe, seine eisige Verachtung zu verbergen. O Mann. So viel zu meiner heimlichen Hoffnung, dass er jene Folge von Coffee with Champions nicht gehört hat. Das wird ein Riesenspaß!
»Heute sieht dein Kopf ziemlich normalgroß aus«, bemerke ich cool.
»Dass du mich vor Millionen Leuten in der Luft zerrissen hast, hat ihn wohl ein bisschen schrumpfen lassen.«
Was ein bisschen zu hoch geschätzt ist. Mein Podcast hat es zwar mal auf Nummer fünf der Spotify Podcast-Charts geschafft, aber Millionen? Also ehrlich. Ich bin kein Joe Rogan … oder Connor Brixton.
»Ich habe auch darüber gesprochen, wie viel unbenutztes Talent du besitzt«, erinnere ich ihn.
»Was für mich nicht unbedingt etwas Neues war. Ich weiß, wie talentiert ich bin.«
Ich nehme zurück, was ich über seinen normalgroßen Kopf gesagt habe. Er schwillt vor meinen Augen an.
»Du hast mein Fahren beleidigt«, schimpft er, und sein gemeißeltes Kinn wirkt angespannt. »Und mich.«
»Ich habe in einer Folge eines Podcasts über dich geredet, der inzwischen niemanden mehr interessiert. Ich entschuldige mich, falls ich deine Gefühle verletzt habe, aber ich hätte diesen Job nicht angenommen, würde ich dich nicht für bemerkenswert talentiert halten.«
»Du hättest den Job nicht annehmen dürfen.« Er verengt die Augen. »Und ich bin mir nicht sicher, warum du es hast.«
Himmelherrgott! Man macht ein paar kritische Bemerkungen über einen Typen, und er benimmt sich, als hätte man ihn tödlich verletzt.
»Ist nicht böse gemeint, Blake, aber schaff dir mal ein paar Eier an und komm drüber weg. Ich weiß, dass es Frauen gibt, die schon weit Schlimmeres über dich gesagt haben. Ich lese die Klatschpresse.«
Ich möchte schwören, dass sein Mundwinkel zuckt, doch es ist gleich wieder vorbei. Blakes Presseagentin Marion kommt herein und trägt exakt den roten Lippenstift, von dem ich gebetet hatte, Poppy würde ihn mir nicht schenken. Ihre Bluse ist zerknittert, und es sind Reste von Mascara unter ihren Augen zu sehen. Ich kann es ihr nicht verdenken. Mir ist bekannt, dass sie Überstunden einlegt, um Blakes Image zu retten. Die Tatsache, dass sie so schnell einen Buchvertrag an Land ziehen konnte, ist verblüffend. Ich kann mir kaum ausmalen, wie heftig das alles für sie sein muss.
»Freut mich, dich persönlich kennenzulernen, Ella!« Die Krähenfüße in ihren Augenwinkeln werden ein wenig tiefer, als sie lächelt. »Schön, dass ihr euch schon bekanntgemacht habt.«
Blakes trotziger, finsterer Blick sagt etwas anderes. Lieber hätte er sich mit dem Sarg bekanntgemacht, in den er mich zu stecken hofft. Ich hätte etwas Stärkeres als Mandelmilch in meinen Kaffee tun sollen. Jameson vielleicht?
Wenig später erscheint Keith, der wie ein sehr gutaussehender Daniel Craig zu James-Bond-Zeiten daherkommt – ein bisschen verlebt, allerdings auf extrem anziehende Art. Er hat graumeliertes Haar, obwohl er erst Ende dreißig ist. Mich würde nicht wundern, sollte Blake sein Ergrauen ausgelöst haben. Falls mir das auch passiert, darf Blake meine künftigen Friseurrechnungen bezahlen.
Marion schaltet George per Video-Konferenz zu, bevor das »Team-Meeting« losgeht. Ich nicke, als sie spricht, und mache mir Notizen auf meinem Computer. Es ist nichts Neues. Zwar wurde ich von George eingestellt, doch ich musste mich noch mit Marion und Keith treffen, ehe ich offiziell an Bord bin. Schließlich ist Blake Hollis’ Leben nichts, worüber man Witze macht.
Blake sagt nicht viel, abgesehen von einigen »Hmpf« und »Ja, klar«. Es ist unmöglich, ihn nicht anzustarren. Ich frage mich, ob er sich mal die Nase gebrochen hatte. Da ist ein leichter Knick in der Mitte. Er ertappt mich, wie ich ihn anstarre, und zwinkert mir zu. Was zur Hölle hat das denn zu bedeuten? Obendrein nach unserer Unterhaltung, sofern man sie so nennen kann.
Es entwaffnet mich. Ich verdränge den Impuls, ihm zu sagen, dass ich nur starre, weil ich mich sorge, er bräuchte noch vor seinem Dreißigsten im nächsten Jahr Botox, wenn er weiter so die Stirn runzelt. Den Rest des Meetings vermeide ich es, in seine Richtung zu blicken, zumal ich fühle, dass er mich fixiert.
Das Team von McAllister ist mit gut zweihundert Leuten riesig. Und hier sind nicht einmal die in der Londoner Zentrale mitgezählt. Was bedeutet, dass ich eine Menge Leute kennenlernen werde und mir einen Haufen Namen merken muss. Ich werfe mir ein McAllister-T-Shirt über, das Keith mir gegeben hat, lege meine niedliche neue Halskette um – die genau genommen ein Schlüsselband mit einem Ausweis ist, das ich tragen muss, um Zugang zum Fahrerbereich zu bekommen – und mache mich auf den Weg. Tag zwei, und es geht los!
Die Luft ist elektrisiert, als sich alle für das erste Rennen der Tour fertig machen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Techniker, Mechaniker, Fahrer, Medien – alles und jeder scheint hier zu sein. Sie wuseln umher, halten sich nirgends länger auf. Schnell wird mir klar, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, um mich vorzustellen und die Leute zu stören. Das Team ist zu sehr auf die Aufgabe konzentriert, dies für Blake und McAllister zu einem erfolgreichen Grand Prix zu machen.
Ich wandere ziellos herum, als eine junge Frau in einem mit meinem identischen T-Shirt direkt auf mich zukommt. Ehe ich begreife, was geschieht, werde ich umarmt. Ähm, dir auch einen guten Tag, fremde Frau.
»Ella! Es ist so klasse, dich kennenzulernen! Ich hatte schon Angst, dass ich es nicht schaffe, mich dir vor dem Rennen vorzustellen. Keine Ahnung wie lange ich hier schon wie ein kopfloses Huhn rumrenne. Aber jetzt habe ich dich ja gefunden. Hier sind so viele Leute, trotzdem war es gar nicht so schwer dich zu finden. Allzu viele Frauen sind schließlich nicht unterwegs. Ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist. Du hast ja schon in der Sportbranche gearbeitet, da bist du sicher an diesen Testosteronoverkill gewöhnt. Wie läuft dein erster Tag? Oder bist du schon länger hier? Ich erinnere mich nicht.«
Sie redet so schnell, dass ich nur schwer mitkomme. Ebenso gut hätte sie mich fragen können, ob ich in ein Schneeballsystem einsteigen will, und ich hätte ahnungslos genickt. Ihr dunkelblondes Haar verschwimmt, als sie plötzlich einige Schritte zurücktritt und ein paar Jungs anhält, die an uns vorbeigehen. Was ist hier los? Blondie positioniert die zwei für ein Foto und macht einige Aufnahmen von ihnen mit ihrer Kamera. Ich nehme mir einen Moment, um sie mir genauer anzusehen. Mit ihrem herzförmigen Gesicht, den hohen Wangenknochen und dem perfekten Schmollmund wirkt sie, als sollte sie vor der Kamera stehen, nicht dahinter.
»Entschuldige!« Sie kommt zu mir zurückgesprungen, und ihr britischer Akzent ist unglaublich vornehm. »Die waren unmöglich zu finden, also musste ich das Foto machen, solange ich konnte. Ich bin übrigens Josie Bancroft. Ich mache das Markenmanagement für McAllister.«
Ich reiche ihr meine Hand. »Ich bin Ella Gold, aber anscheinend weißt du das bereits.«
»Jeder weiß, wer du bist, Babes.« Sie schenkt mir ein blendendes Lächeln. Wie zum Beweis winken einige der Mechaniker, die an uns vorbeikommen ihr zu und bedenken mich mit einem wissenden Kopfnicken. »Du bist die heilige Autorin-Schrägstrich-Journalistin, die diese Saison mit Blake zusammenarbeitet. Die, die gesagt hat, dass ihm jemand den Stock aus dem Hintern ziehen und ihm über den Schädel hauen sollte.«
Ja, die bin ich.
Josie übernimmt als meine Betreuerin und gute Fee und macht mich mit allen bekannt, die ich kennen muss. Sie selbst kenne ich nicht mal eine Stunde, begreife aber schon, dass sie eine wichtige Größe hier ist.
Nachmittags bringt sie mich zum Motorhome des Teams. In der Formel 1 sind die Teile sagenhaft teure Dinger, die extra aufgebaut, wieder in ihre Einzelteile zerlegt und für jedes Rennen neu konstruiert werden, jeweils im Wert von ungefähr einer Million Dollar. Hier hält sich das Team während der Rennwochenenden in einer ebenso produktiven wie unterhaltsamen Umgebung auf. Es gibt Sitzungsräume, eine Cafeteria, diverse Bars und einen Barista. Noch dazu hat jeder Fahrer seine eigene Gäste-Suite. Es ist wie ein Fünf-Sterne-Hotel auf zwei Ebenen mit Dachterrasse.
Wir sitzen auf besagter Dachterrasse, weit weg von dem Lärm und den Mengen, als Josie mich fragt, wie meine Begegnung mit Blake war. Ich erzähle ihr von unserem Gespräch.
»Ja, er ist so charmant wie ätzend«, meint sie und scheint kein bisschen überrascht. »Da gewöhnst du dich dran. Er hält seinen inneren Zirkel wirklich klein, deshalb dauert es, bis man mit ihm warm wird. Aber hast du ihn erst kennengelernt, ist er echt ein anständiger Kerl.«
»Ist er wirklich so ein Fuckboy, wie es in den Zeitungen rüberkommt?«
Sie fängt tatsächlich an, »Hound Dog« von Elvis zu singen, und ich muss lachen.
»Er schläft mit mehr Groupies als John Mayer«, sagt Josie gelassen. »Taylor Swift könnte über eine Nacht mit Blake glatt neun Alben schreiben. Ich weiß das nicht aus erster Hand, habe es aber gehört.«
Es ist offiziell: Josie ist mein neuer Lieblingsmensch.
»Aber die sind alle so«, fügt sie hinzu. »Theo – er ist Blakes Rennpartner – sagt, das Einzige, was sie im Leben brauchen, sind Punkte, Podien und Pussys.«
Ich pruste den Schluck Wasser, den ich eben getrunken habe, heraus. Ich bin die Letzte, die sich von expliziter Sprache schocken lässt, aber, iih! Stattdessen sage ich Josie, dass sie das zum Trend auf Twitter machen kann. #PunktePodienPussys. Los, Team!
»Mein Freund will, dass ich einen Keuschheitsgürtel trage, wenn ich bei diesen Typen bin, und ich kann es ihm nicht mal verübeln.« Sie zwinkert mir zu. »Ich merke schon, dass wir uns in dieser Saison ziemlich gut verstehen werden, Ella.«
Mir fehlen Poppy und Jack jetzt bereits, also bringt mich die Vorstellung, eine neue Komplizin zu haben, die auch noch schlagfertig ist, zum Lächeln. Ich habe das Gefühl, dass ich jemanden wie Josie brauchen werde, wenn ich dieses Jahr unbeschadet überstehen will.
Kapitel 4
In dem Moment, in dem ich bei der Sponsorenveranstaltung eintreffe, fühle ich es – die Luft pulsiert geradezu, und Energie fließt durch den Raum. Mann, ich liebe das! Jeder hofft auf seine Siegchance. Es sind noch keine Punkte verteilt, und die Rivalitäten vom letzten Jahr werden ignoriert, denn wir alle konzentrieren uns auf die laufende Saison, nicht die letzte. Lächelnd schaue ich mich im Raum um. Nach dem katastrophalen letzten Jahr bin ich bereit, wieder obenauf zu sein. Neue Saison, neue Einstellung. Ich werde den Thron verteidigen, der rechtmäßig meiner ist, und noch eine Weltmeisterschaft auf meiner Liste hinzufügen. Scheiß auf jeden, der mir das wegzunehmen versucht.
Das erste Event der Saison ist immer übertrieben. Limousinen und teure Wagen stehen in einer Schlange vor dem Hotel, während Gäste mit teuren Diamanten und Luxusuhren im Ballsaal Champagner trinken. Es ist die übliche Schar an versnobten, reichen weißen Männern, die in ihren zu engen Smokings wie Pinguine aussehen. Sie versuchen, ihre Jugend durch uns nachzuleben – sprich: Sie geben uns Geld. Nicht, dass ich mich beklage. Ihr Geld erlaubt mir, den besten Wagen für das beste Team zu fahren. Und es finanziert absurd große Eisskulpturen.
»Hey, du Ass«, ruft Theo von der Bar. »Lust auf einen Drink?«
Ich bahne mir meinen Weg zwischen Kellnern hindurch, die stumm Häppchen reichen, und stelle mich zu meinem Partner. Er trinkt schamlos einen Cosmo, und da liegt ein listiges Blitzen in seinen dunkelblauen Augen.
»Wenn das nicht mein liebster Formel-1-Fuckboy ist.« Zur Begrüßung klopfe ich ihm auf die Schulter. Manche finden es seltsam, dass Theo und ich so dicke sind. Formel 1 ist eine der wenigen Sportarten, bei denen der Teampartner zufällig auch der größte Konkurrent ist. Doch wir beide kennen uns schon von Kindheit an. Er ist ein hartnäckiger Mistkerl und hat mich nicht in Ruhe gelassen, bis ich zustimmte, sein Freund zu sein. Wir sind zusammen mit dem Rennfahren aufgewachsen, und anstatt zu erbitterten Rivalen zu werden, haben wir uns immer gegenseitig angespornt, besser zu sein.
Er reibt sich das Stoppelkinn. »Ich ziehe Formel-1-›Fuckman‹ vor, nicht ›Fuckboy‹.«
»Ich überleg’s mir, sobald du Eier in der Hose hast«, spotte ich.
Lucas, ein AlphaVite-Fahrer, erscheint auf Theos anderer Seite. Sein normalerweise zotteliges, blondes Haar ist nach hinten gegelt, und die Silberringe an seinen Fingern funkeln im Licht des Kronleuchters über uns. »Apropos Eier, wie war deine Winterpause, Theo?«
Theo wurde dabei beobachtet, wie er in Cannes mit einem berühmten Model geflirtet hat, nur um schon wenige Tage später mit einem jungen Filmstar in Paris rumzumachen. Zwischen den beiden Frauen war ein hässlicher Social-Media-Beef entbrannt, der es mit jedem Reality-TV-Format aufnehmen könnte. Theo fand das alles amüsant.
Nach dem Ende der letzten Saison zwang ich mich zum Winterschlaf, folglich war ich bei den Party-Runden meiner Freunde nicht dabei. Ich hatte Zeit für einen Neustart gebraucht und um mich neu zu fokussieren.
»Wen interessiert das, solange Blake uns immer noch nicht verraten hat, wer Georges reizender Co-Autor ist«, sagt Theo und blickt sich im Saal um.
Er und Lucas suchen nun beide die Menge ab und zeigen nacheinander auf eine Handvoll alter, mürrisch aussehender Männer. Ich habe ihnen bisher nichts von Ella gesagt, denn ich freue mich nicht direkt auf den Haufen Müll, den ich mir dann anhören darf. PlayMedia ist das A und O im amerikanischen Sport, und Luc ist ein Fan von Connor Brixtons Trash Talk und Ellas Coffee with Champions. Nur seinetwegen hatte ich überhaupt von ihrer Formel-1-Folge gehört.
»Ich wette, der ist es.« Lucas zeigt auf einen kleinen, untersetzten Glatzkopf.
»Ah! Gut geraten.« Theo nickt und fährt sich mit einer Hand durch sein nussbraunes Haar. »Sein Fahrradlenker-Schnauzer gefällt mir. Ich hatte auf den Typen an der Tür getippt. Den Schlaksigen, der irgendwie wie eine grüne Bohne aussieht.«
»Ihr liegt beide so falsch«, grummle ich resigniert.
Ich schaue mich nach Ella um und entdecke sie sofort. Sie ist ziemlich schwer zu übersehen, weshalb es mich wundert, dass ich sie jetzt erst bemerke.
»Warte mal.« Theo hüstelt und stellt seinen pinkfarbenen Drink auf dem Bartresen ab. »Sie ist das?«
Ich nicke kurz, kann aber den Blick nicht von ihr abwenden. In dem bodenlangen schwarzen Kleid und mit dem dunkelbraunen Haar, das ihr in losen Wellen über den Rücken fällt, sieht sie absolut umwerfend aus. Das Outfit, das sie zu unserem Meeting kürzlich trug, hatte verborgen, dass sie einen phantastischen Körper mit Kurven an all den richtigen Stellen besitzt. Ich hätte nichts dagegen, ihn nackt unter meinem zu haben. Sie ist die perfekte Kombination aus süß und sinnlich, und anscheinend bin ich nicht der Einzige, dem das auffällt.
In diesem Moment ist sie mit Josie ins Gespräch vertieft. Mich überrascht nicht, dass die sie unter ihre Fittiche genommen hat. Sie ist schon einige Jahre bei McAllister und kennt hier jeden und alles. Ich mag Josie. Obwohl wir nicht die besten Freunde sind, verstehen wir uns. Theo versucht es hin und wieder bei ihr, doch sie ist ihrem Freund Andrew treu. Und ich finde es immer lustig zu beobachten, wie sie meinen Partner abblitzen lässt.
»Dude!« Lucas fällt die Kinnlade herunter, und seine gewöhnlich coole, ruhige Haltung ist dahin. »Weißt du, wer das ist?«
»Ja, Blakes Autorin«, antwortet Theo und verdreht die Augen. »Das hat er doch eben gesagt. Hör mal hin.«
»Das ist Ella Gold … die Moderatorin vom Podcast Coffee with Champions.«
Ich spare mir den Hinweis, dass es den Podcast nicht mehr gibt, sie ihn also nicht mehr moderiert.
»Die, die unfassbar witzige Sachen über unseren Blake gesagt hat?« Theo boxt mich in die Seite. »Wann hattest du vor, uns das zu verraten?«
»Nie«, murmle ich. Was eindeutig Wunschdenken war.
Meine Freunde nippen an ihren Drinks und betrachten Ella mit einem Blick, den ich allzu gut kenne. Nein, verdammt! Sofort schaue ich die beiden warnend an. »Sie ist tabu, klar?«
Theo neigt amüsiert den Kopf zur Seite. »Erhebst du Anspruch?«
Ich verdrehe die Augen und ignoriere die Frage. Mit Beziehungen habe ich nichts am Hut, wie meine Freunde verdammt gut wissen. Ich wurde schon zu oft verlassen, um zu glauben, dass irgendjemand bleiben wollen würde. Daher ist meine Strategie eher Spaß haben und verschwinden. Womit ich mehr als zufrieden bin. Wo keine Erwartungen gehegt werden, wird auch niemand verletzt.
Lucas und Theo können mich nicht viel länger aufziehen, denn wir werden bald zu unseren jeweiligen Tischen gescheucht. Ich lande an einem Ende neben Marion, während Ellas Platz zwischen Theo und unserem Teamleiter Andreas ist. Ich beobachte, wie sie sich unterhalten.
Das Dinner ist genauso langweilig wie all die anderen zuvor. Der FIA-Chef hält eine Rede, einige Sponsoren sprechen, und mehrere Teamleiter bringen Toasts aus. Noch bevor das Dessert serviert ist, verschwindet Marion, woraufhin Ella ihren Platz einnimmt und mich mit einem höllisch sexy Lächeln begrüßt. Ihre Augen haben die Farbe von Karamelläpfeln, wie ich sie früher mit meiner Schwester auf dem Camden Market gekauft habe; eine verwirbelte Mischung aus Grün, Braun und Gold.
Anscheinend hat sie beschlossen, so zu tun, als hätte es unser Gespräch neulich nie gegeben. George hat keinen Witz gemacht, als er sagte, dass sie große Egos nicht ausstehen kann. Das möchte ich allerdings zu gern auf die Probe stellen.
»Ist es gut, wieder zurück zu sein?«, fragt sie.
»Mhm.« Ich blicke zu dem Glas in ihrer Hand. »Ich hätte dich gar nicht für eine Cola-Rum-Frau gehalten.«
»Nein, weil ich keine bin.« Sie schüttelt den Kopf und wird rot. »Das letzte Mal, dass ich Rum getrunken habe, hat es in einem kleinen Chaos geendet. Ich habe hinterher versucht, mit meiner Kreditkarte statt des Schlüssels in mein Apartment zu kommen.«
Ich muss leise lachen, so dass mein Brustkorb erbebt.
»Das ist Cola Zero«, bestätigt sie. »Ich bin mehr der Cola-Light-Typ, aber ich nehme, was ich kriegen kann. Da ich nicht sehr viel vertrage und dies mein erstes großes Event ist, halte ich es für das Beste, bei Pop zu bleiben und kein Risiko einzugehen.«
»Pop?«
»Limo. Sorry, eine Angewohnheit aus dem Mittleren Westen. Wahrscheinlich werde ich irgendwann auch deine Sportschuhe Turnschuhe nennen.« Sie trinkt einen Schluck, und ihr pinkfarbener Lipgloss hinterlässt einen Abdruck auf dem Glasrand.
»Also«, sagt sie und neigt sich vor, als wolle sie mir ein Geheimnis anvertrauen. »Hast du dir vorgestellt, ich wäre das Hühnchen?«
Ich starre sie fasziniert und verwirrt zugleich an. Hä? Ich hatte definitiv auf Brüste gestarrt, aber das waren ihre, nicht die des Hühnchens. Ihre Kleidung betont ihre Kurven, und es sieht aus, als hätte sie super Brüste. Ich frage mich, ob ihre Nippel klassisch pink, blass korallenrot oder kirschrot sind.
»Du hast ziemlich aggressiv auf das Hühnchen eingehackt«, erklärt sie und streicht sich energisch das Haar aus dem Gesicht. »Entweder hat dir nie jemand beigebracht, wie man mit Messer und Gabel isst, oder du hast das arme Tier als Voodoo-Puppe benutzt.«
Jetzt muss ich richtig lachen, was mich selbst erschreckt. »Nein, ich habe kein Voodoo mit dem Hühnchen gemacht. Ich hatte bloß keinen Hunger.«
Wobei ich auslasse, dass die Notfallpillen gegen Angstzustände, die ich vorhin genommen hatte, appetitlos machen. Die Erwartungen aller anderen lasten bleiern auf mir, und ich brauchte etwas, um den Druck zu lindern.
Ella nimmt das unangerührte Brötchen von meinem Teller, reißt ein kleines Stück ab und steckt es sich in den Mund. Sie buttert es nicht einmal.
Hektisch blinzele ich. »Woher willst du wissen, ob ich mir das nicht aufgehoben habe?«
»Hast du?«
»Na ja, nein. Aber wer klaut denn jemand anderem das Brötchen?«
Ella wirft lachend den Kopf in den Nacken, und es klingt vollkommen natürlich und verführerisch zugleich. »Du hast eben gesagt, dass du keinen Hunger hast, also ist das ja wohl nicht stehlen. Wir sind hier nicht in Les Misérables.«
Sie öffnet ihre Handtasche, um ihr Handy hervorzuholen, und ich kann nicht umhin, das Pfefferspray neben ihrem Lipgloss zu bemerken. Sie ist eine hübsche Frau, die rund um den Globus reist, also leuchtet es ein. Dabei habe ich Security um mich herum, und die kann weit mehr ausrichten als diese kleine Spraydose.
»Oh, wow, es ist spät«, murmelt sie vor sich hin. »Ich gehe mal rauf, damit ich noch etwas Schlaf bekomme. Jetlag und so. Sehen wir uns morgen?«
Ich nicke kurz, weil ich nicht unterdrücken kann, dass ich ungläubig und genervt zugleich bin. Mir bleibt ja kaum eine andere Wahl, als sie morgen wiederzutreffen.
Ihr Hintern sieht in dem Kleid verflucht phantastisch aus, als sie weggeht, wobei ihr überhaupt nicht bewusst zu sein scheint, wie viele bewundernde Blicke sie erntet. Wenigstens freue ich mich darauf, den morgen wiederzusehen.
Die letzte Stunde vor jedem Grand Prix ist die hektischste. Und die Stunde vor dem ersten Grand Prix der Saison? Totales Ausflippen! Was die Leute im Fernsehen sehen, sind die Fahrer, die lässig auf die Strecke rollen, bereit für das Rennen. Sie schauen nicht hinter die Kulissen. Dort gehen die Mechaniker nochmal alles durch, besprechen die Techniker die Strategie und wirbeln die Medienleute herum und stellen bescheuerte Fragen. Die Werkstatt ist das Herz des ganzen Teams, und in der rennen alle umher und rufen ins organisierte Chaos.
Sechzig Minuten: Ich strecke mich noch ein wenig und mache die Reaktionsübungen, während mein Team die Generatoren und die Kühlventilatoren für die Strecke durchgeht.
Vierzig Minuten: Die Boxengasse ist offen, und ich gehe mit meinen Mechanikern und ihrer Ausrüstung aus der Werkstatt. Der Fanjubel von den Tribünen ist Musik in meinen Ohren. Ich drehe eine Installationsrunde, mache mich mit der Rennstrecke vertraut und überprüfe alles ein letztes Mal.
Dreißig Minuten: Mein Motor wird abgeschaltet, und ich werde in meine Startposition geschoben. Dort springe ich aus dem Cockpit und gehe zum formellen Teil nach vorn, während die Mechaniker meinen Wagen durchsehen und alles messen und prüfen, was sie können. Mein Herzschlag beruhigt sich schnell, als die Nationalhymne von Bahrain erklingt.
Zwanzig Minuten: Josie und der Rest des McAllister Marketingteams laufen um meinen Wagen herum und schießen Fotos, die ich sicher später auf den Social-Media-Seiten von McAllister finden werde. Journalisten umkreisen meinen Wagen wie Geier und stellen Fragen, aber die kann ich dank meiner Kopfhörer ignorieren.
Fünfzehn Minuten: Ich steige wieder in meinen Wagen und lege meine verhüllten Hände aufs Lenkrad. Ruhe überkommt mich. Nirgendwo sonst auf der Welt fühle ich mich so ganz wie ich selbst.
Zehn Minuten: Alle außer den Fahrern, Crews und FIA-Offiziellen verlassen die Startaufstellung. Mein Brustkorb wird weiter, und Leichtigkeit durchströmt mich.
Sieben Minuten: Mein Team nimmt letzte Überprüfungen vor, ehe sie die Reifenwärmer abnehmen und meinen Wagen vom Gestell heben.
Fünf Minuten: Personal und Mitarbeiter verlassen die Startaufstellung, so dass nur noch die zwanzig Fahrer bleiben – meine Konkurrenten, meine Freunde, meine Feinde. Meine ganze Welt bündelt sich zu einer Zwei-Stunden-Strecke.
Drei Minuten: Wir machen unsere Formationsrunde und versuchen, gleichzeitig unsere Bremsen und Reifen anzuwärmen und unsere Motoren zu kühlen. Ich teste den Schleifpunkt, um sicherer zu kuppeln, bevor ich wieder in die Startaufstellung fahre. Vorn in die Pole Position, wo ich hingehöre.
Eine Minute: Die fünf roten Lichter der Startsequenz werden eingeschaltet. Das erste am Gerüst flackert auf. Der Countdown kann beginnen. Über Funk höre ich die Techniker. Los. Los. Los.
Fünfundvierzig Sekunden: Noch ein Licht geht an. Die aufgeregte Menge übertönt mein Motorengeräusch.
Dreißig Sekunden: Nun leuchten drei Lichter am Startgerüst. Mein Helm verdeckt das Lächeln, das sich auf meinem Gesicht ausbreitet. Ich bin bereit.
Fünfzehn Sekunden: Das vierte Licht geht an. Ich kann nicht sagen, ob der Wagen vor Energie vibriert oder ich.
Zehn Sekunden: Ich hyperfokussiere mich auf die Strecke vor mir, als das fünfte und letzte Licht aufleuchtet.
Fünf Sekunden: Die Ruhe vor dem Sturm. Ich trommle mit den Fingern auf dem Lenkrad. Ein Schwall nervöse Energie steigt in mir hoch und löst sich genauso schnell wieder auf.
Null Sekunden: Alle fünf Lichter erlöschen, was den Rennbeginn signalisiert. Es geht los, Baby. Ich bin bereit, die Welt daran zu erinnern, wer und zu was ich fähig bin.
Kapitel 5
Es ist der erste Grand Prix der Saison, und schon bin ich süchtig nach dem unbeschreiblichen Gefühl, das er in mir auslöst. Das Brummen der Wagen, das Vibrieren, wenn sie vorbeirauschen, der Fanjubel, der Geruch nach verbranntem Gummi und Benzin. Solch einen Rausch kann einem nichts anderes bescheren. Es ist hypnotisierend, wie die vorbeirasenden Wagen zu einem Durcheinander aus Farben verschwimmen.
Ich stehe mit der Boxencrew in der Werkstatt, um das Rennen anzuschauen. Mechaniker setzen ihre Helme auf und bewaffnen sich mit ihrem Werkzeug, um für Notboxenstopps parat zu sein. Gäste drängen sich vor dem Fernseher hinten, ringen um die beste Sicht. Die Action findet hauptsächlich im Mittelfeld statt, wo die Fahrer um Punkte für ihre Teams kämpfen, doch alle in der Werkstatt sind ganz auf die McAllister-Männer fixiert.
Der rücksichtslose Fahrer der letzten Saison ist weg, ersetzt von dem Blake Hollis, der die Fans zum Kreischen bringt und um den die Sponsoren wetteifern. Er ist unfassbar schnell. Sein charmantes Lächeln und das teuflisch gute Aussehen lenken leicht davon ab, dass er ein kaltblütiger Killer ist. Alle Fahrer hier sind beeindruckend, doch es kann nur einen Gewinner geben, und Blakes Talent spricht für sich.
Die ersten dreißig Runden hält er die Führung. Theo ist nicht weit hinter ihm, Harry Thompson von Everest und Lucas Adler von AlphaVite dicht auf ihren Fersen. Alle wollen sie in die Topposition. Letzte Saison schwang das Pendel zwischen Harry und Blake hin und her, und ein Sieg für Blake wird hoffentlich den Ton für diese angeben. Die Spannung in der Werkstatt verbietet jede Kommunikation, so dass nur gelegentlich Jubel oder Fluchen zu vernehmen ist. Auf 191,5 Meilen kann alles Mögliche geschehen, und keiner will etwas beschreien.
In der sechsunddreißigsten Runde legt Blake einen Boxenstopp ein. O Mann