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Friends-to-Lovers trifft auf Sports Romance Josie ist frischgebackener Single, aber von heißen Flirts will sie nichts wissen. Alles, was sie nach der Trennung möchte, ist sich auf ihre Arbeit bei dem Formel-1-Team McAllister zu konzentrieren. Klingt nach einer leichten Aufgabe, wenn da nicht der charismatische Rennfahrer Theo Walker wäre, an dessen Seite sie jedes Rennwochenende verbringt. Denn Theo ist nicht nur ihr bester Freund, sondern auch ein echter Weltmeister im Flirten und kann mit seinem sexy Lächeln einen Eisberg zum Schmelzen bringen. Josie fühlt sich immer stärker zu ihm hingezogen. Soll sie es riskieren, ihren Gefühlen nachzugeben, oder würde dies ihre Freundschaft für immer zerstören? Rasant und prickelnd – der zweite Teil der TikTok-Trilogie »Drive Me« Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großer Lesespaß.
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Seitenzahl: 476
Veröffentlichungsjahr: 2025
Carly Robyn
Theo Walker feiert nicht nur Erfolge auf der Rennstrecke, sondern auch bei den Frauen. Doch die neue Rennsaison wirbelt alles gehörig durcheinander. Plötzlich hat sein Rennteam einen neuen Besitzer, der wegen ihrer gemeinsamen Vergangenheit noch eine Rechnung mit ihm offen hat. Aber Theo muss nicht nur um seinen Platz in der Formel 1 kämpfen, sondern auch um eine Frau. Josie lässt ihn so viel mehr fühlen als nur Leidenschaft. Doch sie hat ihn in die Friendzone verbannt! Dabei kann er in ihren Blicken sehen, dass auch sie das heiße Knistern zwischen ihnen spürt. Schafft er es, sich die Poleposition in ihrem Herzen zu sichern und seine Karriere zu retten?
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Carly Robyn schreibt Romances mit Herz und Humor. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, verbringt sie Zeit mit ihrer Familie, scrollt durch TikTok, erkundet die Restaurantszene in Chicago, schaut Formel-1-Rennen, schießt eine Million Fotos von ihren Hunden oder streamt alles, was mit True Crime zu tun hat, während sie Cola light trinkt. Auf Instagram und TikTok ist sie unter @carlyrobynauthor aktiv.
[Widmung]
[Hinweis]
[Anmerkung der Autorin]
Playlist
[Motto]
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Theo
Josie
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Theo
Josie
Theo
Josie
Theo
Josie
Danksagung
[Anzeige Love at first Page]
Für Lauri,
meinen ewigen Schutzengel
Dieser Roman behandelt Themen, die potenziell belastend wirken können. Bitte beachtet dazu die Anmerkungen der Autorin, die jedoch Spoiler für die Geschichte beinhalten.
Anmerkung der Autorin
Dieses Buch ist in einem leichten, humorvollen Stil geschrieben, enthält allerdings stellenweise freizügige Sprache, Bezüge zum Tod von Elternteilen (in der Vergangenheit) und eine Hauptfigur, die als Neugeborenes adoptiert wurde. Es handelt sich um eine Slow-Burn-Open-Door-Romanze mit expliziten sexuellen Inhalten. Ich bitte dies zu beachten!
Im Zentrum der Handlung stehen fiktionale Figuren und Ereignisse innerhalb der Welt des Formel-1-Sports. Abweichungen vom aktuellen Grand-Prix-Kalender sind beabsichtigt und erfolgen aus erzählerischen Gründen.
Adore You | Harry Styles
The Boy is mine | Ariana Grande
Friendship? | Jordy Searcy
Always Been You | Jessie Murph
I Can See You (Taylor’s Version) | Taylor Swift
Love on the Brain | Rihanna
Wild Nights | Corey Harper
Belong Together | Mark Ambor
So High School | Taylor Swift
Boss Bitch | Doja Cat
Easier Said Than Done | Plested
BED | Joel Corry, RAYE, David Guetta
Dirty Thoughts | Chloe Adams
»Liebe ist Freundschaft, die Feuer gefangen hat.«
Ann Landers
Kapitel 1
Ich bin umzingelt von Bällen. Große Bälle, kleine Bälle, merkwürdig geformte Bälle. Weiße Bälle, orangefarbene Bälle, dunkelbraune Bälle. Ich habe noch nie so viele Bälle auf einem Haufen gesehen. Nicht mal, wenn ich mit einem Mann zusammengelebt habe, habe ich so viel mit Bällen zu tun gehabt. Zwei sind mehr als genug. Das hier ist definitiv übertrieben.
Ich drehe mich zu meiner besten Freundin um und werfe ihr einen panischen Blick zu. Als ich ihren Freund gebeten habe, ein paar Requisiten für unser Fotoshooting zu besorgen, dachte ich nicht, dass er ein komplettes Sportgeschäft leerkaufen würde. Was soll ich seiner Meinung nach denn bitte mit einem Suspensorium anfangen?
»Glaubt ihr, das reicht?«, fragt Blake und fährt sich mit der Hand durch sein unordentliches Haar. »Oder soll ich noch mehr besorgen?«
»Nein!«, antworten Ella und ich energisch im Chor.
Ich kicke einen Basketball zur Seite, damit ich nicht versehentlich darüber stolpere und mir die Knochen breche. Ich helfe Ella beim Relaunch ihres Podcasts, und eine Freundin kann man wohl schlecht auf Schmerzensgeld verklagen.
»Das ist mehr als genug«, beteuere ich rasch. »Danke, Babes.«
Ich schaue mich in dem Fotostudio um, das Ella angemietet hat, und beginne mir einen Plan zurechtzulegen. An einer Wand hängt ein weißer Fotohintergrund, während die anderen drei aus rotem Backsteinmauerwerk bestehen. Mehrere Fenster unter der Decke lassen jede Menge Tageslicht herein – damit müsste sich meine Idee für ihr Podcast-Cover und die Promo-Fotos perfekt umsetzen lassen.
Ich reiche Blake einen weißen Porzellanbecher mit dem Coffee-with-Champions-Logo darauf.
»Wärst du so lieb, da Kaffee reinzugießen? In der Küche müsste noch welcher sein. Ich will ein paar Fotos von El machen, wie sie den Becher in der Hand hält.«
Außerdem könnte ich auch eine Tasse vertragen.
Er zuckt mit den Schultern. »Klar.«
McAllister ist einer der weltbesten Formel-1-Rennställe, und während meiner Zeit als Mitarbeiterin des Marketing-Teams habe ich einiges gelernt. So weiß ich nicht nur, wie man die Zuschauerinteraktion steigert und mit dreißigsekündigen Videos Aufmerksamkeit generiert, sondern auch, dass Blake – der es normalerweise nicht ausstehen kann, wenn ihm jemand Vorschriften macht – bereitwillig alles tut, was man ihm sagt, sobald es um seine Freundin geht.
Er beugt sich zu Ella und küsst sie, als wäre ich gar nicht im Raum – ein intimer Moment, an dem ich allein aufgrund meiner Anwesenheit teilhabe, ob ich will oder nicht. Muss das sein? Die beiden sind ein tolles Paar, aber ich bin frisch getrennt, und ihr verliebtes Getue erinnert mich ständig daran. An Andrew und den Mietvertrag für meine Zweizimmerwohnung, den ich kürzlich verlängert habe, nachdem ich mich entschieden hatte, doch nicht bei ihm einzuziehen.
O nein. Daran denkst du heute nicht. Daran denkst du nie wieder.
Ich zücke mein Handy und aktiviere das Bluetooth, damit wir während der Arbeit ein bisschen Musik hören können. Meistens bin ich die DJane und Soundtrack-Beauftragte, weil ich – ganz objektiv betrachtet – den besten Musikgeschmack besitze.
Ich weiß nicht genau, woher meine Liebe zur Musik kommt. Auf jeden Fall nicht von meinen Eltern, die Justin Bieber für ein ehemaliges Mitglied von One Direction halten. Vielleicht habe ich sie von meinen leiblichen Eltern geerbt, auch wenn ich diesbezüglich wohl nie Gewissheit erlangen werde. Ein cooler Bonus, wenn man adoptiert ist: Meine Vergangenheit ist genauso ein Mysterium wie meine Zukunft. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb ich früher ein Astrologie-Nerd war: Die Sterne gaben mir einen Rahmen für all meine Macken und Vorlieben, die ich nicht an meiner Herkunft festmachen konnte. Skorpione mögen Musik, die tiefe Empfindungen weckt und es ihnen ermöglicht, Verbindung zu ihren Emotionen aufzunehmen: check.
Ich tippe auf eine Playlist mit dem Titel »Cigarettes and Sex«. Sie enthält eine Menge rockiger Weltschmerz-Songs, die man am liebsten aus vollem Halse mitgrölen möchte. Songs, bei denen man sich so richtig schön abreagieren kann. Und die dafür sorgen können, dass das Pärchen, das da gerade vor meinen Augen knutscht, seine Aktivitäten einstellt.
»Bad Reputation« von Joan Jett And The Blackhearts erfüllt seinen Zweck. Ella und Blake lösen sich endlich voneinander. Ellas Wangen glühen, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, was der Grund dafür ist: Erregung oder Scham. Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, dass ein notorischer Formel-1-Fuckboy sich mal zum König öffentlicher Liebesbekundungen wandeln würde, hätte ich denjenigen vermutlich gefragt, was er geraucht hat.
»Coole Songauswahl, Jos«, lobt Ella mich mit immer noch geröteten Wangen. »Ich schwöre, du bist ein musikalisches Genie.«
Ich bedanke mich flüchtig bei ihr, bevor ich mich mit einem breiten Lächeln an Blake wende. »Der Kaffee?«
Schuldbewusst reibt er sich den Nacken, ehe er den Raum verlässt. Ella und ich fangen an, die Sportartikel zu arrangieren, und machen ein paar Probeaufnahmen, um zu sehen, was am besten aussieht. Im Gegensatz zu den McAllister-Fahrern hört Ella auf mich, wenn ich ihr einfache Anweisungen gebe. Kein Augenrollen, kein halblautes Gebrummel, keine Verweigerungshaltung. Hust, hust, Blake.
»Remi hat mir noch mal geschrieben«, meint sie beiläufig. »Sie würde deine Mom gerne in ihren Podcast einladen.«
Ich unterdrücke ein Stöhnen. Remi Barnes ist die Gastgeberin meines Lieblingspodcasts Dating and Dildos und neuerdings auch Ellas Mentorin, die ihr dabei hilft, in der Welt unabhängiger Podcasts Fuß zu fassen. Als Ella ihr erzählt hat, dass meine Mum die Caroline Bancroft, Londons führende Sexualtherapeutin, ist, hat sie fast einen Herzinfarkt bekommen.
Meine Mum hat nicht ohne Grund eine siebenmonatige Warteliste nur für ein Erstgespräch. Sie ist die Beste auf ihrem Gebiet. Das heißt aber nicht, dass ich Zeuge werden möchte, wie sie vor Millionen von Zuhörern Sexratschläge gibt. Vor allem weil sie dazu neigt, mich – wenngleich »anonymisiert« – als Beispiel zu verwenden. Keine Ahnung, warum. Meine bisherigen sexuellen Erlebnisse waren größtenteils … gewöhnlich. Nicht schlecht, ganz und gar nicht, aber auch nicht so bemerkenswert, dass man sie ins Kamasutra aufnehmen müsste. Ich habe noch nie den »Magic Mountain« ausprobiert oder Sex in komplizierten Stellungen gehabt, die alle möglichen Verrenkungen erfordern.
»Nein«, sage ich. »Ich mag ihre Show gerade deshalb so sehr, weil es guttut, jemanden über Sex und Dating reden zu hören, der nicht meine Mutter ist. Und sobald auch nur die geringste Chance besteht, dass sie das Wort ›Schwanz‹ sagt, lege ich ein Veto ein. Das ist in den Top fünf meiner Liste der Dinge, die ich hoffentlich niemals erleben werde. Streng genommen sogar in den Top drei.«
Ich liebe meine Mum von ganzem Herzen, aber für sie ist Sex ein ganz normales Gesprächsthema – etwas, worüber man am Abendbrottisch redet. Gibst du mir bitte die Brötchen, Schatz? Ach, und übrigens … hattest du heute schon einen Orgasmus? Während andere Kids etwas über Bienchen und Blümchen lernten, musste ich mir Vorträge über Brustkrebsvorsorge und persönliche Grenzen anhören. Ich bin froh, dass sie so offen ist, aber manchmal kann es auch zu viel werden. Ich bin immer noch traumatisiert von der einen Stunde Sexualkundeunterricht, die sie mal an meiner Schule gegeben hat und während der sie uns an einer Banane demonstrierte, wie man ein Kondom richtig überzieht. Sie betonte dabei immer wieder, dass die Banane keine adäquate Repräsentation der Größe des männlichen Penis darstelle. Ich kann bis heute keine Bananen essen.
»Darf ich ihr wenigstens ausrichten, dass du darüber nachdenkst?«, fragt Ella und hebt einen verirrten Tennisball auf. »Wenn ich ganz lieb Bitte sage?«
Statt einer Antwort stimme ich den Refrain von Meghan Trainers »NO« an. Ich will nicht, dass meine Mum vor aller Welt verkündet, dass Vibratoren ihre Love Language sind. Nur über meine Leiche.
Ich halte erst in meinem Privatkonzert inne, als mir ein genialer Geistesblitz kommt.
»El, lass uns mal ein Testfoto von den Fußbällen zusammen mit den Footballs machen. Das könnte doch ganz cool aussehen.«
Ihre Augen funkeln vor Begeisterung. »Verrat Blake nicht, dass ich das gesagt habe …« Sie senkt verschwörerisch die Stimme. »Aber dein Talent ist bei McAllister echt verschwendet, Jos.«
Ich zucke die Achseln, dann schnappe ich mir einen Ball und lege ihn neben den Stuhl, auf dem Ella sitzen soll. Sie hat nicht ganz unrecht. Mittlerweile beherrsche ich meinen Job praktisch im Schlaf. McAllister ist in Sachen Marketing nicht besonders kreativ, trotzdem denke ich nicht über einen Jobwechsel nach. Ja, meine Arbeit könnte erfüllender sein, aber eine Trennung ist für die absehbare Zukunft genug. Im Moment ist es mir vor allem wichtig, mich auf mich selbst zu konzentrieren und rauszufinden, wer ich bin, wenn ich keinen festen Partner habe.
Ich werfe Ella einen vielsagenden Blick zu. »Wer würde sich mit deinem Freund rumschlagen, wenn ich gehe?«
Lachend wirft sie mir einen Rugbyball zu. »Neuerdings benimmt er sich tadellos.«
Blake ist der beste Formel-1-Fahrer, den der Motorsport jemals hervorgebracht hat, allerdings ist er auch berüchtigt für seine brummige, manchmal sogar offen feindselige Art. Erst Ella hat seine harte Schale aufgeweicht und ihn etwas zugänglicher gemacht. Die Welt ist ihr dankbar dafür.
»Ich weiß, ich weiß.« Ich atme tief durch. »Ich habe mit Rhys darüber gesprochen, ob wir vielleicht mal was mit Influencern machen könnten«, gestehe ich.
Ironischerweise hatte ich meine aus achtzehn Folien bestehende Präsentation in einem Konferenzraum mit dem Namen Rückenwind gehalten. Die Besprechungsräume bei McAllister – sowohl im Fahrerlager als auch im Hauptquartier außerhalb Londons – sind alle nach positiven Eigenschaften benannt, die uns »inspirieren und beflügeln« sollen. Teamwork. Gelassenheit. Agilität. Flexibilität. Ein bisschen lächerlich, wenn man mich fragt.
Ella lässt einen Tischtennisball fallen. Wieso um alles in der Welt hat Blake Tischtennisbälle besorgt? »Schau dich an, du kleine konfrontative … Lady. Nein, warte, das klingt komisch. Selbstbewusste Boss Bitch? Ja. Gefällt mir besser.«
»Das war keine Konfrontation«, sage ich. Eine Maus flößt mir mehr Angst ein als der Marketingchef von McAllister. »Und er hat nur gesagt, dass er drüber nachdenken will, mehr nicht.«
»Hey, das ist immerhin besser als neulich, wo er deine Idee eines Fan-Takeovers gleich abgeschmettert hat«, ruft Ella mir ins Gedächtnis. »Wenn irgendwer es schafft, ihn zu überzeugen, dann du, Jos. Nur dank dir ist McAllister letztes Jahr auf TikTok so groß geworden. Für so was braucht man Talent.«
Das Kompliment lässt mich erröten. »Abwarten. Ich mache mir keine allzu großen Hoffnungen. Kannst du mir bitte den Ball geben, der hinter deinem linken Fuß liegt?«
Ella grinst mich an, so dass man ihr Grübchen sieht. »Meinst du den Football oder den Fußball?«
Ich halte mir die Ohren zu. »Blasphemie!«
Blake kommt zurück. In einer Hand hält er die randvoll gefüllte Kaffeetasse, in der anderen sein Handy. Ich wappne mich schon für Verbrennungen dritten Grades, aber dann drückt er mir statt des Bechers sein Smartphone in die Hand. »Für dich.« Er verdreht seine dunklen Augen. »Ein Notfall.«
Es gibt nur eine Person, die Blake anrufen würde, wenn sie mit mir sprechen will: Theo Walker, der zweite Fahrer im Team McAllister. Wenn Blake Schatten ist, ist er der Sonnenschein dazu, und das meine ich auf strikt platonische Art und Weise.
Ich ziehe mich auf die andere Seite des Raums zurück, damit ich Theo besser hören kann, während Blake mit seiner tiefen Stimme Ella etwas über Kaffeebohnen erzählt, das er in einer BBC-Doku gesehen hat.
»Walker, was gibt’s?«, frage ich, als ich sein Gesicht auf dem Display sehe. Wenn Adonis und Casanova zusammen Nachwuchs gezeugt hätten, wäre Theo Walker dabei rausgekommen. Er ist umwerfend attraktiv mit dunkelblauen Augen, dichten geschwungenen Wimpern, für die so manche Frau viel Geld bezahlen würde, Haar in der Farbe von Espresso und einem permanenten Dreitagebart. Von seinem Sixpack will ich gar nicht erst anfangen. Seine Bauchmuskeln sind dermaßen definiert, dass man Käse darauf reiben könnte. »Blake sagt, es gibt einen Notfall?«
Mein Tonfall ist eher belustigt als besorgt. Theos »Notfälle« sind meistens nicht echt. Normalerweise will er nur wissen, welches Foto von sich er auf Social Media posten soll oder ob einem übel wird, wenn man eine ganze Familientüte Chips auf einmal isst.
Er schiebt die Unterlippe vor. »Ist es auch! Außerdem vernachlässigst du mich.«
»Ich war damit beschäftigt, auf deine fünf Millionen Nachrichten zu antworten.« Ich halte das Handy in die Richtung, wo Blake und Ella, umgeben von Bällen, im Set sitzen. »Du bist ganz schön bedürftig, weißt du das?«
Er zuckt mit den Schultern, als wäre das nichts Neues für ihn. »Sag Blakey Blake, ich hatte immer schon den Verdacht, dass er gern mit anderer Leute Bällen spielt.«
Ich warte einen Moment, ehe ich mir die Kamera wieder vors Gesicht halte, damit Theo nicht merkt, dass ich mir ein Lachen verkneifen muss. »Du hast fünf Sekunden Zeit, um mir von diesem sogenannten Notfall zu erzählen, bevor ich auflege.«
»Weißt du, wie man eine Textnachricht löscht?«
Ich runzle die Stirn. »Du hast noch nie eine Textnachricht gelöscht?«
»Doch, natürlich«, beteuert er nickend. »Aber kann man sie auch zurückziehen, nachdem man sie schon abgeschickt hat? So wie dieses Unsend-Feature bei Gmail, das du mir letztens gezeigt hast?«
»Nein, du kannst das Senden nicht ungeschehen machen. Wenn du schnell genug bist, bevor der andere es gelesen hat, kannst du den Inhalt löschen, aber dann bekommt er trotzdem den Hinweis, dass du ihm was geschickt – und es eben wieder gelöscht – hast.«
Theo legt den Kopf in den Nacken und stößt eine Reihe von Flüchen aus – einige von ihnen sind australischer Slang, den ich nicht verstehe. »Du müsstest doch wissen, wie man so was macht, Jos.«
Anscheinend muss sich ein Adobe-Photoshop-Genie mit allem auskennen, was irgendwie mit moderner Technik zusammenhängt. »Textnachrichten sind nicht dasselbe wie Social-Media-Algorithmen, Babe.«
»Aber du bist doch ein Millenial«, protestiert er stöhnend.
»Du bist auch ein Millenial!«
Das lässt ihn innehalten. »Genau genommen bin ich Schütze.«
Das zaubert mir ein Schmunzeln ins Gesicht. Theo ist ein paar Jahre älter als ich, allerdings erstreckt sich das nicht auf seine innere Reife. »Wieso musst du denn überhaupt eine Textnachricht löschen?«
»Ich habe Andreas aus Versehen ein ziemlich pikantes Foto von mir geschickt«, nuschelt er so undeutlich, dass ich ihn nur mit Mühe verstehen kann. Ich lache schallend. Theo hat schon viele dumme Sachen gemacht, aber dem McAllister Teamchef ein Dickpic zu senden, toppt alles.
»Wie kann man so was aus Versehen machen?«, frage ich japsend, mir den Bauch haltend.
Er schnauft laut und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Zu meiner Verteidigung: Andrea und Andreas unterscheiden sich nur durch einen einzigen Buchstaben. Es ist doch wohl logisch, dass ich es nicht an ihn schicken wollte.«
Normalerweise mache ich mir nicht die Mühe, mir die Namen von Theos Frauenbekanntschaften zu merken. Sobald ich mir einen eingeprägt habe, hat er schon wieder die Nächste am Start. Die einzige Möglichkeit, seine ständig wechselnden Affären auseinanderzuhalten, sind die diversen Bauch-weg-Tees oder Haar-Vitamine, für die sie im Internet Werbung machen.
»Wow«, sage ich kopfschüttelnd. »Du überraschst mich immer wieder, Walker.«
Sein tiefes Lachen vibriert durch den Lautsprecher von Blakes Handy. »Ich halte dich eben gern auf Trab, Bancroft. Was hast du gestern Abend gemacht? In einem Pub die Sau rausgelassen? Ich habe keine Storys auf Instagram gesehen.«
»Wahrscheinlich weil ich einfach nur Sushi bestellt, Wein getrunken und MasterChef geschaut habe. Wusstest du, dass man Coke auch für Marinaden verwenden kann? Die Säure darin macht das Fleisch angeblich zarter oder so was Ähnliches.«
»So was zeigen sie im Fernsehen? Das kann doch nicht legal sein …«
Ich brauche einen Moment, bis ich begriffen habe, was er meint. »Nicht Koks, du Blödmann. Das Getränk! Coca Cola, Pepsi. Mein Gott, Walker.«
Er zuckt mit seinen breiten Schultern. »Klingt genauso illegal. Warum verbringst du deinen Samstagabend zu Hause? Du bist frisch getrennt, Jos. Du solltest einen draufmachen, statt wie eine fünfundfünfzigjährige geschiedene Frau Kochsendungen anzuschauen, damit du deine Gäste beim nächsten Dinner beeindrucken kannst.«
Ich strecke ihm die Zunge raus. »Ich möchte, dass du weißt, dass ich …«
»Mit ›einen draufmachen‹ meinte ich Sex, Princess«, fällt er mir ins Wort. »Gönn dir ein paar Schwänze. Die Auswahl ist riesig! Andere Mütter haben auch schöne Söhne. Meine zum Beispiel.«
»Ach, hast du einen Bruder?« Ich grinse über meinen eigenen Witz. »Also, war’s das dann? Ich bin beschäftigt.«
Und zwar mit Tätigkeiten, bei denen ich nicht über mein Sexleben reden muss. Genauer: dessen Nichtexistenz.
Er schürzt die Lippen. »Wenn ich wieder in London bin, kannst du dich dann auch mal mit mir beschäftigen?«
»Auf gar keinen Fall.«
Ehe er das Lächeln sehen kann, das meine Lippen umspielt, beende ich das Gespräch. Ich würde gerne behaupten, Theos Charme gegenüber immun zu sein, aber wem mache ich was vor? Wir haben in unserer Freundschaft immer gerne geflirtet, im Wissen, dass es niemals zu mehr führen würde. Ich habe nur kurz nach unserem Kennenlernen Grenzen gesetzt, und die hat Theo immer respektiert. Ich war die ganze Zeit in festen Beziehungen, und er hatte immer zwei bis fünf Frauen in der Pipeline.
Ich will nicht, dass er irgendetwas in unser zweideutiges Geplänkel hineininterpretiert, nur weil ich jetzt Single bin. Ich muss mich wieder in mich selbst verlieben, nicht in einen neuen Mann. Soll heißen: keine Bananen. Weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne.
Kapitel 2
Wahrscheinlich ist es nicht die beste Idee, die Definition von »Fuckboy« zu googeln, während die Frau, mit der ich gerade geschlafen habe, sich noch im Zimmer befindet. Klar, ich habe keine Lust auf was Festes, aber das bedeutet nicht, dass ich grundsätzlich gegen die Liebe bin. Ich verehre den weiblichen Körper einfach zu sehr, um mich auf einen einzigen festzulegen.
Nur, dass keine Missverständnisse aufkommen: Die Frauen, mit denen ich was anfange, kennen die Regeln. Ich achte strikt darauf, keine falschen Versprechungen zu machen oder irgendwelche Erwartungen in ihnen zu wecken. Sie wissen, dass ich nicht an etwas Langfristigem interessiert bin.
Momentan bin ich ohnehin zu sehr auf meine Karriere fokussiert, um eine Beziehung führen zu können. Ich will eine Frau, die schreit, dass ich sie härter vögeln soll, nicht eine, die sich beschwert, weil ich zu spät zum Abendessen komme. Wie soll ich mich in meinem Sport an der Spitze halten, wenn ich nicht zu hundert Prozent bei der Sache bin? Ich will eine weitere Weltmeisterschaft gewinnen, und das geht nicht, wenn ich ständig abgelenkt werde, weil ich auf Textnachrichten meiner Freundin reagieren muss. Aus all diesen Gründen muss die Liebe bis auf weiteres auf der Rückbank Platz nehmen.
Zum Glück sieht Jenna – die Brünette, die mir gerade einen Blowjob gegeben hat, der einige Tricks beinhaltete, die ich bislang nur aus Pornos kannte – das genauso wie ich. Mein Verhältnis mit ihr ist wahrscheinlich das längste, das ich je hatte, auch wenn wir dabei nie irgendetwas außerhalb meines geräumigen Betts unternommen haben. Sie ist Reiseleiterin, und wann immer sie in London ist, stehe ich auf ihrer To-do-Liste. Wir haben ein paarmal im Jahr bombastischen Sex. Mehr nicht.
Wenn nur alle Frauen so locker drauf wären wie sie.
»Du musst erst am Dienstagabend weg, richtig?«
»Mm-hmm.« Sie ist bereits wieder im Arbeitsmodus und tippt mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihrem Handy. Ihr Outfit allerdings sieht so gar nicht nach Arbeit aus. Sie trägt eine enge Lederhose, die sich um ihre wohlgeformten Beine schmiegt wie eine zweite Haut, und eine Seidenbluse, der jetzt ein paar Knöpfe fehlen, weil ich es so eilig hatte, sie ihr auszuziehen.
»Wir können noch mal was trinken gehen, bevor du abreist – wenn du möchtest«, schiebe ich hastig hinterher.
Sie reißt den Blick von ihrem Display los und sieht mich zum ersten Mal seit zehn Minuten mit ihren graublauen Augen an. Einem echten Fuckboy würde doch ihre Augenfarbe nicht auffallen, oder?
»Theo, du bist total nett, aber mach es nicht unnötig kompliziert. Du musst mir keinen Drink ausgeben, damit ich wieder mit dir ins Bett gehe, wenn ich das nächste Mal in der Stadt bin.«
Ich schnaube geräuschvoll. Mehr über Jenna wissen zu wollen als ihren Instagram Handle und ihren Nachnamen, geht ihr offenbar einen Schritt zu weit. Dabei habe ich sie ja nicht nach ihrer Blutgruppe gefragt. Ich mag Sex einfach am liebsten, wenn ein Minimum an emotionaler Bindung im Spiel ist – vielleicht ist das mein Problem. Na ja, letztendlich ist Sex gleich Sex. Ich werde mich nicht mit ihr streiten.
»Kann ich dir wenigstens ein Uber rufen?«
Sie hat den Blick schon wieder auf ihr Handy geheftet, während sie sich die Schuhe anzieht. »Nein!«, sagt sie auf dem Weg aus meinem Schlafzimmer. »Bis bald, Theo.«
»Bye«, rufe ich ihr nach, doch sie ist bereits verschwunden.
Ich ziehe mir was an und mache mich auf die halbstündige Fahrt ins McAllister-Hauptquartier. Bis zum ersten Grand Prix der Saison dauert es noch einen Monat, aber William McAllister, der Besitzer des gleichnamigen Rennstalls, hat darauf bestanden, dass Blake und ich heute vorbeikommen. Ich musste sogar eine Woche früher aus Australien abreisen, weil er angeblich »aufregende« Neuigkeiten für uns hat. Er verwendet nicht oft positive Adjektive, deshalb bin ich gleichermaßen gespannt wie misstrauisch.
Am Empfang zeige ich meinen Ausweis vor – als würde das Sicherheitspersonal mich nicht kennen – und schlage den Weg in die Cafeteria ein, um mir erst mal was zum Frühstück zu holen. Der lange Gang von der Lobby zum Café ist gesäumt mit Fotos ehemaliger wie aktueller McAllister-Fahrer. Mein Foto hängt direkt gegenüber von dem meines Vaters, und wenn ich es betrachte, ist es, als sähe ich mich selbst in fünfzehn Jahren. Mein Dad ist für McAllister gefahren, bis seine Multiple Sklerose so schlimm wurde, dass er den Sport aufgeben musste, und es war immer sein größter Traum, dass ich einmal für sein ehemaliges Team fahre. Mein Magen krampft sich zusammen, als ich mit den Fingern über sein Bild streiche. Rasch gehe ich weiter zur Cafeteria. Ich will nicht daran denken, wie sehr er mir fehlt, das macht mich nur traurig.
Vor mir in der Schlange erspähe ich ein Hinterteil, das ich sogar blind erkennen würde. Ich stehe auf Josie, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, widerstehe jedoch dem Drang, diesen Po mit beiden Händen zu drücken, und tippe ihr stattdessen lediglich von hinten auf die Schulter. Ein echter Gentleman eben.
»Morgen, meine Schöne.«
Josie wirbelt herum und formt mit ihren fülligen Lippen ein perfektes O. Irgendwie bringt sie es fertig, selbst in einem grauen Pulli und schwarzen Jeans sexy auszusehen. Ich wette, Levi’s hat ihre Maße verwendet, um dieses Modell zu schneidern, denn sie sieht aus wie ein perfekt eingepacktes Geschenk.
»Walker!«, ruft sie quietschend aus, schlingt mir die Arme um den Körper und drückt mich so fest, dass sie fast meine Organe zerquetscht. »Ich dachte, du kommst erst nächste Woche aus Melbourne zurück. Was machst du schon hier?«
»Planänderung«, stoße ich mühsam hervor, während sie mir die Luft abdrückt.
»Warum hast du nichts gesagt?« Sie gibt mich frei und rückt die Spange zurecht, mit der sie sich die blonden Haare zurückgesteckt hat. Ich habe weiß Gott nichts dagegen, mich an ihre Brüste zu schmiegen, aber es ist auch schön, wieder atmen zu können. »Wir hätten den Videodreh für …«
Stöhnend halte ich mir die Ohren zu. »Darf ich wenigstens erst mal einen Kaffee trinken, bevor du anfängst, mir auf den Geist zu gehen?«
Statt einer Antwort singt sie die ersten Takte von CeeLo Greens »Fuck You«. Josies Eigenart, Songtexte in Unterhaltungen einzustreuen, bringt mich immer wieder zum Grinsen. Wahrscheinlich fände ich diese Eigenart nicht ganz so süß, wenn sie eine gräusliche Stimme hätte, aber sie singt gut genug, dass ich sie an einem Karaokeabend nicht ausbuhen würde.
Sie verstummt und mustert mich kurz. »Also, was machst du hier?«, fragt sie dann. »Hast du ein Meeting?«
»Mit dem Boss höchstpersönlich«, antworte ich.
Josie wackelt mit den Augenbrauen. »Ich dachte schon, mit Andreas – von dem du Ärger kriegst, weil du ihm einen Beautyshot deiner Eier gesendet hast. Du weißt schon.«
»Meine Eier sind wirklich schön«, teile ich ihr mit einem schelmischen Augenzwinkern mit. »Ich kann sie dir gerne mal zeigen …«
»Ach, Mensch, schon so spät!« Sie hebt beide Hände, wie um meine Worte abzuwehren. »Ich komme zu spät zu meinem Termin!«
Als ich einen Blick auf meine Armbanduhr werfe, wird mir klar, dass auch ich spät dran bin. Schnell hole ich mir einen Chocolate-Chip-Muffin und einen Matcha Latte und mache mich dann auf den Weg zum Konferenzraum namens Innovation. Josie behauptet immer, McAllister hätte einen Guru auf Magic Mushrooms angeheuert, der sich die Zimmernamen ausgedacht hat.
Als ich reinkomme, sitzt Blake bereits am Tisch. Seine dunklen Haare sind wie immer ungekämmt, was den Anschein erweckt, als käme er gerade aus dem Bett, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass er schon seit vielen Stunden wach ist.
»Morgen«, grüßt er mich. Gleich darauf stutzt er. »Du siehst so aus, als hättest du eine harte Nacht gehabt.«
»Der Sex war hart.« Ich zwinkere ihm zu. »Aber die Nacht war phantastisch.«
Er verdreht die Augen – als wäre er vor einem Jahr, ehe seine Freundin Goldy (das ist mein Spitzname für Ella) ihn gezähmt hat, nicht genauso drauf gewesen. Es ist das Beste, was ihm hätte passieren können, doch seine Kritik kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen.
»Irgendeine Ahnung, worum es bei der Besprechung gehen soll?«, fragt er, als ich mich auf einen freien Stuhl sinken lasse.
Ich zucke die Achseln. »Keinen Plan.«
»Vielleicht wollen sie uns mitteilen, dass wir nicht mehr auf die ganzen gottverdammten Sponsoren-Dinner gehen müssen«, sagt Blake mit einem hoffnungsvollen Leuchten in den Augen. Blake hasst Smalltalk und Kontaktpflege, aber die Formel 1 ist ein kostspieliger Sport. Wenn wir von unseren Sponsoren erwarten, dass sie jährlich mehr als zweihundert Millionen Pfund auf den Tisch legen, damit wir Rennen fahren können, müssen wir im Gegenzug brav sein und tun, was sie wollen. Mir macht es nichts aus, solche Veranstaltungen zu besuchen. Die Leute sagen mir dort immer, wie großartig sie mich finden, und damit habe ich kein Problem.
Ich beiße von meinem Muffin ab und stöhne hörbar. O Mann. Wenn ich mich zwischen einer Wiederholung der Performance von heute Morgen und diesem Muffin entscheiden müsste, würde ich den Muffin wählen. Nichts gegen Jenna, aber er schmeckt einfach unfassbar gut.
»Willst du was abhaben?«, frage ich Blake und wische mir einen Krümel von der Hose. »Der ist echt lecker.«
Er schüttelt den Kopf. »Danke, aber ich habe schon gegessen.«
Ich widerstehe dem Drang, ihn zu fragen, ob sein Frühstück aus seiner Freundin bestand. Blakes Sinn für Humor erlaubt es nicht, Scherze auf Kosten von Goldy zu machen.
»Wie du willst«, sage ich achselzuckend.
Als die Tür aufgeht, rechne ich damit, dass William allein ist. Ich rechne nicht damit, dass der Mann, der mir vor Jahren damit gedroht hat, mein Leben zu zerstören, hinter ihm den Raum betritt. Ein Schokostück gerät mir in die Luftröhre, und ich fange an zu röcheln. Ich huste mir fast die Lunge aus dem Leib. Es klingt, als hätte ich dreißig Jahre lang Kette geraucht.
Was zum Teufel hat James Avery hier verloren?
»Alles klar, Mann?«, erkundigt sich Blake und macht Anstalten, von seinem Stuhl aufzustehen. Ich weiß, dass er das Heimlich-Manöver beherrscht, aber wenn er es bei mir anwendet, wird er mir garantiert die Rippen brechen.
Ich hebe abwehrend die Hand. »Bloß verschluckt«, krächze ich. »Kein Drama.«
Es dauert noch eine Minute, ehe ich wieder atmen kann. Wobei »atmen« ein sehr weit gefasster Begriff ist, wenn man bedenkt, dass ich fast hyperventiliere. Ich habe Avery seit mehreren Jahren nicht gesehen. Er hat inzwischen einen kleinen Bierbauch, aber abgesehen davon sieht er noch genauso aus wie damals: wie ein Stück Scheiße mit Augen und Ohren. Geistesabwesend betaste ich meine linke Braue. Die kleine Narbe dort habe ich ihm zu verdanken. Arschloch. An diese Phase meines Lebens denke ich nicht gerne zurück.
»Theo. Blake«, sagt William. »Darf ich euch James Avery vorstellen?«
Als ich den Namen höre, rutscht mir das Herz die Hose, von dort aus weiter auf den Boden und landet schließlich in den Tiefen der Hölle. Dort bewahre ich all meine Erinnerungen an diesen Drecksack auf.
Blake steht auf und streckt ihm die Hand hin. »Freut mich.«
»Mich ebenfalls, Blake«, sagt James und schüttelt energisch seine Hand. »Kaum zu glauben, dass es so lange gedauert hat, bis ich die Formel-1-Legende persönlich kennenlernen darf.«
Will er auch noch, dass Blake die Hose runterlässt, und ihm einen Blowjob geben?
Blake winkt ab, als wäre der Umstand, dass er sechs Weltmeistertitel errungen hat, nicht weiter bemerkenswert. Dabei ist das mit ein Grund, weshalb die ganze Stadt über seine Biographie spricht. Ich korrigiere mich: die ganze Welt. Sie ist noch nicht mal erschienen – die Book-Release-Party soll erst in ein paar Wochen stattfinden –, trotzdem ist sie bereits in aller Munde. Blake dies, Blake das. McAllister hat zwei Fahrer, aber anscheinend gebührt derzeit nur einem von ihnen die öffentliche Aufmerksamkeit.
»Walker«, sagt er kurzangebunden, während er die Lippen schürzt, als würde mein Name ihm Übelkeit verursachen. »Lange her.«
Nicht lange genug.
Ich nicke. »Avery«, brumme ich.
Blake beobachtet mich, um dahinterzukommen, was hier los ist. Dummerweise haben wir Publikum, außerdem würde ich ungefähr sechs Stunden brauchen, um ihm alles zu erklären.
William und Avery nehmen uns gegenüber am Tisch Platz. Sobald William anfängt zu reden, wird klar, was er uns zu sagen hat.
Ich bin nicht religiös, bete aber trotzdem zu Gott, dass ich mich irren möge.
Meine Gebete werden nicht erhört.
Vielleicht hätte ich doch lieber einen Pakt mit dem Teufel schließen sollen.
Zum dritten Mal hämmert jemand gegen die Tür zur Toilettenkabine. Es klingt, als würde ein Presslufthammer in meinem Kopf Cha-Cha-Cha tanzen. Hört er denn nicht, dass ich gerade den Inhalt meines Magens von mir gebe? Wie unhöflich.
»Ich bin’s. Blake«, dringt eine vertraute Stimme durch die Tür.
Als hätte ich das nach zwanzig Jahren Freundschaft nicht selbst gemerkt.
»Ich bin beschäftigt«, rufe ich mit matter Stimme. Ich dachte, ich wäre fertig mit dem Kotzen, aber dann wird mir bewusst, dass ich auf dem Fußboden sitze und mein Gesicht nur wenige Zentimeter von einer Klobrille entfernt ist, auf der zig haarige Ärsche gesessen haben. »Ist das nicht offensichtlich?«
Ich würge übertrieben laut und wünschte, er würde mich in Ruhe lassen. Ich vermisse den alten Blake. Der hätte mir ein Bier ausgegeben und mich ansonsten in Frieden schmollen lassen. Der gezähmte Blake hat Gefühle.
»Mach die verfluchte Tür auf, bevor ich sie eintrete«, stößt er knurrend hervor.
Okay, na ja. Manchmal hat er Gefühle.
Sein Tonfall lässt mich zusammenzucken. Da würde jeder Hund den Schwanz einziehen. Angesichts dessen, dass Blakes Hitzköpfigkeit seinen Arbeitgeber schon Tausende Dollar für Reparaturen gekostet hat, zweifle ich nicht daran, dass er seine Drohung wahrmachen würde.
Ich betätige die Spülung, dann rapple ich mich auf und öffne die Tür der Kabine. Blake quetscht seinen imposanten Körper durch den winzigen Spalt. Jetzt ist mir schlecht, und ich habe Klaustrophobie.
Wunderbar.
»Was zur Hölle war das?«, fragt er und piekst mir einen Finger gegen die Brust.
»Was war was?«
Er verengt seine dunklen Augen. Offenbar findet er das nicht witzig. »Lass mich rekapitulieren. William sagt: ›Ich freue mich, verkünden zu dürfen, dass James unser neuer CEO ist. Wir wollten euch miteinander bekanntmachen, bevor die Presseerklärung rausgeht.‹ Dann sage ich: ›Willkommen im Team.‹ Und du spuckst Matcha und einen halben Muffin quer über den Tisch.«
Sollte Blake je mit dem Rennfahren aufhören, könnte er sich mit so einer darstellerischen Leistung einen Namen in Hollywood machen. Vielleicht wird er der nächste Bradley Cooper.
Ich seufze abgrundtief. »Wieso fragst du mich, was los war, wenn du es doch selber weißt?«
Er fährt sich mit der Hand durchs Haar und sieht mich missmutig an. »Bist du dann fertig mit deiner Arschloch-Nummer?«
»Ärgert es dich etwa, dass du ausnahmsweise mal nicht das größte Arschloch im Raum bist?«, gebe ich hitzig zurück. Mein Schädel pocht, und ich möchte über alles reden, nur nicht darüber. Als ich sehe, wie ein Muskel in Blakes Kiefer zu zucken beginnt, mache ich mir kurz Sorgen um meine Sicherheit.
»Spuck’s schon aus, Walker«, sagt er seufzend nach einer kurzen Pause. »Was ist los?«
»James Avery will mich umbringen«, stoße ich schnell hervor, als würde ich ein Pflaster abreißen.
Blakes tiefes Lachen erfüllt den Raum. Er denkt, ich hätte einen Scherz gemacht. Wenn dem nur so wäre.
»Es ist mein Ernst, Hollis«, meine ich nervös. »Er hat mir damit gedroht, mich zu töten.«
Sogar mehrmals.
Als Blake sich endlich wieder eingekriegt hat, neigt er den Kopf zur Seite und zieht die Brauen zusammen. »Okay, tu mir den Gefallen und erklär es mir, Theo. Weshalb will er dich töten?«
»Ich habe mal jemanden gedatet, den er kennt … Sagen wir einfach, es ist unschön zu Ende gegangen.«
Ich erwähne nicht, dass es sich bei diesem Jemand um seine Tochter Christina gehandelt hat. Ich denke nicht gern an diese Zeit in meinem Leben zurück, denn jedes Mal, wenn ich es tue, überkommen mich schreckliche Schuldgefühle. Deshalb habe ich Blake auch nie von ihr erzählt.
Christina Avery und ich waren uns nicht einig über die Natur unseres Verhältnisses. Es war, als wären wir in zwei völlig unterschiedlichen Geschichten unterwegs. Bei ihr war es ein Nicholas-Sparks-Roman, bei mir eher Stephen King. Sie ist der Grund, weshalb ich mittlerweile jede Frau, mit der ich ins Bett gehe, vorher dreimal frage, ob was Zwangloses für sie okay ist.
Er lehnt sich gegen die Tür und atmet langsam aus. »Du glaubst, er trägt dir das nach?«
»Ja«, antworte ich, ohne zu zögern. Natürlich trägt er es mir nach. Ich habe seine Tochter nicht nur gevögelt, sondern ihr auch noch das Herz gebrochen.
»Okay, na ja, aber der CEO kommt ja nicht zu allen Rennen. Aus den Augen, aus dem Sinn, weißt du? Ich glaube nicht, dass er dir Probleme machen wird.«
Wenn es doch nur so einfach wäre.
»Mein Vertrag läuft Ende der Saison aus«, rufe ich ihm angespannt lächelnd ins Gedächtnis.
Bis jetzt habe ich noch kaum darüber nachgedacht. Ich habe von Anfang an viele Rennen und Wertungspunkte für McAllister gewonnen. Mehr noch, ich habe zwei Weltmeistertitel geholt. Aber jetzt sitzt der neue CEO am Drücker, ein Mann, der einst geschworen hat, mein Leben zu zerstören so wie ich angeblich das seiner Tochter zerstört hatte. Er kann darüber bestimmen, ob mein Vertrag erneuert wird oder nicht. Und ich ahne schon, wie seine Entscheidung ausfallen wird.
»Fuck, Walker«, flucht er.
»Was glaubst du, warum ich die letzten zwanzig Minuten auf dem Fußboden einer Toilettenkabine verbracht habe?«
Ich mag Bäume. Aber ich sitze nicht gerne zwischen Baum und Borke.
»Auf einer Skala von eins bis zehn, wie schlimm ist es?«, hakt er nach und spannt seinen markanten Kiefer an. »Sieben? Acht?«
Ich nehme mir einen Augenblick Zeit, um darüber nachzudenken. »Dreizehn, würde ich sagen.«
Blake rammt seine Faust gegen die Klotür. Das laute Geräusch wird vom Fliesenboden zurückgeworfen, und ich bin erstaunt, dass das Holz nicht splittert. Und dass Blake sich nicht die Hand gebrochen hat.
Ich habe zu hart gearbeitet, um mir jetzt alles von Avery kaputtmachen zu lassen. Wenn man für McAllister fährt, zählt man zu den Besten, das wissen alle. Trotzdem besteht immer die Gefahr, dass man ersetzt wird, und das werde ich auf keinen Fall zulassen. Ich muss einfach beweisen, dass ich mir meinen Platz im Team verdient habe. Denn das habe ich. Mein Dad wusste es, und ich weiß es auch.
Kapitel 3
Blakes und Theos Rennwochenenden sind bis auf die letzte Minute exakt durchgetaktet. Pressekonferenzen, Strategiesitzungen mit dem Team-Management, Zeit in der Werkstatt, Training, Interviews, Fantreffen. Wenn es irgendwo zu Verzögerungen kommt oder etwas verschoben wird, hat das Auswirkungen auf alle anderen Termine.
Deshalb versuche ich verzweifelt, die beiden zurück in die Spur zu bringen, während wir Content für unseren YouTube-Kanal produzieren. Ich will nicht der Grund sein, dass Blake zu spät zu einem Interview kommt oder Theo ein Meet & Greet verpasst. Oder – Gott bewahre – dass sie nicht genug Zeit fürs Mittagessen haben, denn ihre Mittagspause ist die einzige Stunde, in der sie zwischendrin mal kurz runterkommen können. Ich versuche immer, mehr Zeit einzuplanen, als wir aller Wahrscheinlichkeit nach brauchen werden, weil Theo dazu neigt, sich von allem und jedem ablenken zu lassen, und Blake ist oft bockig.
»Nenn mir die drei Schikanen in Monza«, sage ich zum nunmehr dritten Mal, wobei ich mir keinerlei Mühe gebe, meinen gereizten Ton zu verbergen. Normalerweise würde einer der beiden erklären, was eine Schikane ist – eine Aufeinanderfolge enger Links-Rechts-Kurven –, aber derzeit käme es einem Wunder gleich, wenn ich sie überhaupt dazu bringen könnte, mitzuspielen.
Keiner von ihnen gibt mir eine Antwort. Stattdessen diskutieren sie über die Performance eines Porschefahrers im ersten Training. Also gehe ich zum Tisch und haue auf den Buzzer, der vor ihnen steht. Das laute Geräusch lässt beide vor Schreck verstummen. Endlich. Ich bin eine der wenigen Personen, die über die nötige Geduld verfügen, mit Blake und Theo Long Form Content zu drehen, deshalb kümmere ich mich in der Regel um alles, was irgendwie mit Videos zu tun hat.
»Jetzt, wo ich eure Aufmerksamkeit habe«, sage ich zuckersüß, die Hände in die Hüften gestemmt, »könnte mir einer von euch bitte die drei Schikanen in Monza nennen?«
Blake drückt den Buzzer, noch ehe Theo die Frage überhaupt verarbeitet hat. Es ist völlig ausgeschlossen, dass Blake die Antwort weiß. Die meisten Fahrer kennen die Elemente des Kurses als Zahlen: zweite Schikane, dritte Gerade, erste Kurve. Theo ist einer der wenigen Fahrer, die mit den tatsächlichen Namen vertraut sind. Das ist ziemlich beeindruckend.
Ich mache eine Handbewegung, um Blake zu signalisieren, dass er antworten darf.
»Okay, als Erstes kommt Schikane eins, und die heißt …« Er verstummt.
»Variante del Rettifilo«, hilft Theo ihm aus. Er macht sich nicht die Mühe, seine diebische Freude zu verbergen, weil er es besser weiß. Die zwei mögen beste Freunde sein, aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, den anderen zu übertrumpfen, lässt sich keiner von beiden die Chance entgehen.
»Genau das wollte ich auch sagen. Wenn du mir mehr als fünf Sekunden Zeit gegeben hättest.« Blake sieht seinen Teampartner aus zusammengekniffenen Augen an. »Und deine italienische Aussprache ist beschissen.«
Theo zuckt mit den Schultern. »Die zweite Schikane heißt Variante della Roggia und die dritte Variante Ascari, wobei du das mit Sicherheit ebenfalls wusstest, stimmt’s, Blake?«
»Leck mich«, gibt der zurück und funkelt Theo böse an.
Ich schlage die Hände vors Gesicht und stöhne. Wenn das so weitergeht, sitzen wir noch den ganzen Nachmittag hier. Theo und Blake beginnen eine hitzige Debatte darüber, wie die Schikanen anderer Rennstrecken heißen, also zücke ich mein Handy, um derweil ein paar E-Mails zu beantworten.
Mein Magen krampft sich zusammen, als ich eine Messenger-Nachricht von Andrew sehe.
Von: Andrew Caffrey
Hey! Wollte euch nur viel Glück für den ersten Grand Prix wünschen.
Welcher Ex ist so nett zu einem, obwohl man sich nach zweieinhalbjähriger Beziehung völlig überraschend von ihm getrennt hat? Meiner. Eine Woge der Schuldgefühle steigt in mir hoch. Die Sache ist die: Andrew hat nichts falsch gemacht. Er ist nicht fremdgegangen, hat mich nicht schlecht behandelt, und wir hatten auch keinen großen Streit, durch den unsere Beziehung in die Brüche gegangen ist.
Ich konnte einfach nicht länger in einer Beziehung sein, in der ich kein Leben außerhalb dieser Beziehung mehr hatte. Ich war so sehr in unser Leben als Paar vertieft, dass ich gar nicht mehr auf meine eigenen Bedürfnisse geachtet habe, sondern nur noch auf seine. Ich wusste nicht, wie ich das Kunststück fertigbringen sollte, mich ganz auf ihn einzulassen und gleichzeitig unabhängig zu bleiben. Ich verlor mich selbst aus dem Blick.
Meine Finger schweben über dem Display, während ich hin und her überlege, ob ich ihm zurückschreiben soll. Am Ende siegt mein schlechtes Gewissen, und ich tippe eine knappe Antwort.
Von: Josie Bancroft
Danke. Das ist nett von dir.
»Jos.« Theos Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Als ich in seine Richtung schaue, lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück, und sein T-Shirt rutscht hoch, so dass ich einen Blick auf sein Sixpack und die Spur dunkler Haare auf seinem Bauch erhasche. »Du siehst gestresst aus.«
Ich stecke das Handy zurück in meine Gesäßtasche und setze ein Lächeln auf. »Alles prima, Babes.«
Theo schenkt mir ein Filmstarlächeln. »Ich habe es bereits mehrfach angeboten, und ich sage es gerne noch mal: Ich bin jederzeit bereit, dir dabei zu helfen, deinen Stress durch ein bisschen guten, alten Se…«
Er bricht ab, als Blake ihm einen Schlag auf den Hinterkopf gibt.
Ich bin Einzelkind, aber wenn ich einen großen Bruder hätte, würde ich mir jemanden wie Blake wünschen. Er besitzt einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, und das weiß ich zu schätzen, auch wenn es jedem Mann, der bis auf drei Meter an Ella herankommt, vermutlich anders geht.
»Daraus wird nichts, Walker.« Ich lache betont beiläufig und ignoriere das Spiel seiner Armmuskeln unter seinem Shirt. »Momentan will ich mich emotional auf niemanden einlassen, aber vielen Dank.«
»Emotionen?« Theo lacht rau, so dass ich eine Gänsehaut auf den Armen bekomme. »Es geht mir einzig und allein um Orgasmen, Baby Girl. Um wilden, ungehemmten Sex. Das ist das Theo-Walker-Versprechen.«
Blake stöhnt laut und lässt den Kopf auf den Tisch sinken. »Ich schwöre, wenn du nicht die Klappe hältst, schlage ich dich k.o.«
Theo verzieht angewidert das Gesicht. »Weißt du, wie viele Keime sich da auf der Tischplatte tummeln, Mann? Hast du eine Ahnung, wann die zuletzt geputzt wurde? Wahrscheinlich in den Neunzigern.«
Für jemanden, der mit der Hälfte der weiblichen Weltbevölkerung Sex hatte, ist er überraschend ängstlich, was Bakterien angeht. Wir haben nur noch eine Dreiviertelstunde bis zum Mittagessen, und dass Theo den Gesundheitsminister raushängen lässt, beschleunigt die Sache nicht gerade.
»Konzentration, bitte«, sage ich, während ich mit den Fingern schnippe, als wären wir in einem Musical. »Nächste Frage.«
Wir sind gerade fertig, als meine Kollegin Wes reinkommt. Ihre blondierten Haare sind zu zwei Knoten gebunden, und Sommersprossen zieren ihre hohen Wangenknochen. Blake funkelt mich an, als hätte ich schweren Verrat begangen, indem ich ihr erlaubt habe, den Raum zu betreten. Wes ist toll, aber nach einem etwas unangenehmen Zwischenfall letztes Jahr, bei dem eine explodierende Dose LaCroix, eine deutsche Wurst und die Worte »Zwillingsbruder des Satans« eine Rolle spielten, arbeiten die beiden kaum noch zusammen.
Ich beachte ihn nicht weiter und begrüße sie mit einem warmherzigen Lächeln. »Hi, Wes.«
»Hallo«, erwidert sie. Der Essex-Dialekt verleiht ihrer von Natur aus melodiösen Stimme einen leichten Singsang. »Wie läuft’s?«
»Ach, bestens.« Ich schiele zur Tür, wo Theo und Blake versuchen, sich gleichzeitig aus dem Weg zu schubsen, um vor dem anderen in die Cafeteria zu kommen. »Wie war dein Meeting?«
»Na ja, es fand in Teamwork statt, falls das was zu bedeuten hat.« Wes schnaubt und verdreht ihre himmelblauen Augen. »Hast du das TikTok gesehen, das AlphaVite gemacht hat?«
»Ja.« Ich seufze widerwillig, als wir uns gemeinsam auf den Weg nach unten machen, um zu Mittag zu essen. »Es trendet.«
Falls ich verbittert klinge, dann weil ich es bin. Ja, ich habe McAllister letztes Jahr über fünfundzwanzig Millionen Views auf TikTok eingebracht, aber dann wurde mir gesagt, dass wir unsere Energie und unser Geld lieber in andere Plattformen stecken sollten. Man solle nichts reparieren, was nicht kaputt sei und ähnliche abgedroschene Phrasen. Wenn Thomas Edison nicht mit Kohlefäden experimentiert hätte, würden wir immer noch Kerzen statt Glühbirnen benutzen. Aber was weiß ich schon?
»Das heißt einfach, dass wir uns noch mehr anstrengen müssen, um die Innovation voranzutreiben«, sagt sie in Anlehnung an den McAllister-Slogan Innovation ist unser Antrieb. »Obwohl ich aus der Haut fahre, wenn ich diesen Spruch noch einmal aus Rhys’ Mund hören muss.«
Ich grinse sie an, als wir die Cafeteria betreten. Nahezu jeder Platz ist von Leuten besetzt, die das McAllister-Kirschrot tragen, und eine Unterhaltung ist lauter als die andere. Die einzige Person in Blau fällt auf wie ein bunter Hund – umso mehr weil auf dem Oberteil der Blitz von AlphaVite, McAllisters größtem Konkurrenten, prangt.
»Suchst du uns einen Tisch?«, frage ich Wes. »Ich sage nur kurz Hallo.«
Ich schlängle mich zwischen Konstrukteuren und Mechanikern hindurch, die Tabletts mit Sandwiches und Salaten tragen, und bleibe neben Lucas stehen.
»Na, spionierst du den Feind aus?«, necke ich ihn.
Lucas Adlers Status als dritter Musketier neben Blake und Theo ist der einzige Grund, dass seine Anwesenheit hier kein Misstrauen erregt. Niemand zuckt auch nur mit einer Wimper, wenn er kommt und nach seinen Freunden sieht. Wenn hingegen Harry Thompson reinkäme, der für Everest fährt – eine andere erstklassige Mannschaft –, das wäre Anlass zur Sorge.
»Ah, meine McAllister-Lieblingsmitarbeiterin.« Lucas’ dunkelgrüne Augen funkeln belustigt. »Aber sag das Dumm und Dümmer nicht.«
Ich lache über den Spitznamen für die McAllister-Fahrer und umarme ihn. »Wie war die Winterpause? Du warst in Boston, oder?«
Die ersten Takte von »Boston« kommen mir über die Lippen, ehe ich mich bremsen kann.
Er lacht leise und fährt sich mit einer Hand durch seine dunkelblonden Locken, die immer genau das richtige Volumen haben. »Eine Zeitlang, ja, danach bin ich nach Monaco geflogen. Wie läuft es bei dir? Blake meinte, du hilfst Ella bei ihrem Podcast?«
»M-hm. Es macht eine Menge Spaß. Ehrlich gesagt, hatte ich schon lange nicht mehr so viel Freude an der Arbeit.« Ein Hauch von Hitze steigt mir in die Wangen, als ich ihm dieses Geständnis mache. »Nicht dass ich die Arbeit für McAllister nicht mögen würde, aber Blake und Theo sind wie Kleinkinder auf Zucker, die permanente Aufmerksamkeit und Fürsorge brauchen. Das kann manchmal ein bisschen anstrengend werden, weißt du?«
Lucas lacht, ehe er einen Schluck von seinem Wasser trinkt. »O ja, ich weiß. Theo hat mich um drei Uhr nachts angerufen. Er wollte Säureblocker, weil er auf der Party gestern Abend zu viel von dem Krabbencocktail gegessen hat.«
Ja. Das hört sich ganz nach Theo an. »Er verschlingt das Zeug, als hätte er noch nie in seinem Leben was zu essen bekommen. Ich weiß nicht, wie oft ich ihn noch daran erinnern muss, dass sein Mund kein Staubsauger ist.«
»So ist Theo eben«, sagt Lucas schlicht. »Er ist … na ja, er ist, wie er ist.«
»Amen.« Ich stoße mit meiner McAllister-Wasserflasche gegen seine AlphaVite-Trinkflasche. »Aber ja, es ist schön, mal ein bisschen Abwechslung zu haben. Ich habe mehr über Baseball gelernt, als ich je wissen wollte. Aber ich werd’s überleben.«
»Bist du an weiteren Nebenjobs interessiert?«, fragt Lucas mit zur Seite geneigtem Kopf. »Ein Bekannter von mir sucht nach einem neuen Marketing-Berater. Wenn du Interesse hast, kann ich dich bei ihm ins Gespräch bringen.«
»Oh«, sage ich überrumpelt. »Also … ja, vielleicht? Ich habe noch nicht wirklich darüber nachgedacht, was anderes als Coffee with Champions zu machen. Und das ist streng genommen nicht mal richtige Arbeit, weil ich nicht dafür bezahlt werde. Ella hat es mir natürlich angeboten, sie besteht sogar darauf, aber ich will kein Geld nehmen, wenn ich ihr bei etwas helfe, das mir Spaß macht, weißt du? Ich möchte einfach, dass sie Erfolg damit hat. Sie kann mich mit Eiscreme oder Eiskaffee bezahlen. Ich bin leicht zu haben. Nicht in sexueller Hinsicht. Ich meine, ich hatte auch schon mal einen One-Night-Stand, aber ich hänge keine Poster auf, auf denen ich Werbung für meine Brüste mache. Wenn die Leute Spaß an so was haben, nur zu. Freiheit den Nippeln, stimmt’s? Ich, äh, ich meinte damit, dass ich ganz unkompliziert bin.« Ich atme scharf aus und dann wieder ein. »Und ich glaube, ich höre jetzt besser auf zu reden. Danke, dass Sie meinen TED-Talk besucht haben.«
Sein freundliches Lächeln nimmt mir meine Verlegenheit. »Ach, wie ich deine sinnfreien Exkurse vermisst habe, Jos. Ich sage dir Bescheid, sobald er anfängt, sich nach jemandem umzusehen. Und …«
Er verstummt jäh, und als ich seinem Blick folge, sehe ich Theo und Blake in die Cafeteria kommen. Theo schlägt Blake mehrmals mit einer Dose Sourcream-and-Onion-Pringles auf den Arm … während seine Hand in der Dose feststeckt.
Lasset die Saison beginnen.
Kapitel 4
Punkte, Podiumsplätze, Pussys. Was will ein Formel-1-Fahrer mehr? Na ja, ich für meinen Teil möchte all das haben, während ich für McAllister fahre.
Es ist erst das Auftaktrennen der Saison, aber ich glaube, ich muss mir bald eine Taucherausrüstung zulegen, ich weiß nämlich jetzt schon, dass ich in allen dreien ertrinken werde.
Das Scheppern von Metall, jaulende Motoren und sich drängelnde Mechaniker empfangen mich, als ich die Box betrete. Ich bin spät dran für die Besprechung mit den Technikern, aber einige aus dem Team habe ich seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen, und ich will auf jeden Fall alle begrüßen. Ein guter Eindruck ist ein bleibender Eindruck. Das hat mein Dad immer gesagt.
Wenn die Leute an McAllister denken, denken sie an mich und Blake, aber Fakt ist, dass wir ohne die Mechaniker, Konstrukteure und zahllosen anderen Mitarbeiter, die unermüdlich daran arbeiten, unsere Autos zu verbessern und instand zu halten, niemals so gut wären.
»Walker!«
Die Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken, und ich überlege kurz, ob ich mich totstellen soll. Bisher ist es mir gelungen, Avery aus dem Weg zu gehen, doch jetzt scheint mich mein Glück verlassen zu haben. Er steht vor mir, ehe ich mir einen Fluchtplan zurechtlegen kann. Das McAllister-Shirt, das er trägt, spannt sich über seinem Bauch, und die Adern in seinem Hals treten hervor, als könnte er jeden Moment explodieren wie ein Geysir.
»Tag«, sage ich bemüht neutral. »Wie geht’s?«
Meine Haut juckt, als er mich von oben bis unten taxiert. Mit seinen geschürzten Lippen und der faltigen Stirn sieht er aus wie eine wütende Bulldogge.
»Ich habe den Vormittag damit verbracht, mir die Statistiken anzuschauen. Kann nicht behaupten, dass ich überrascht bin. Sieht ganz so aus, als wäre Blake besser als Sie. Mehr Siege, mehr Punkte, mehr Interesse von Sponsoren. Man könnte sagen, dass der Erfolg von McAllister allein von ihm abhängt.«
Alle meine Muskeln verkrampfen sich. Ich bin es gewohnt, mit Blake verglichen zu werden. Die Formel 1 ist ein Sport, in dem der Teamkamerad zufälligerweise auch der größte Rivale ist. Man arbeitet zusammen, um die Konstrukteurswertung zu gewinnen, kämpft aber gleichzeitig gegeneinander um den Weltmeistertitel in der Fahrerwertung. Aber nur weil ich daran gewöhnt bin, verglichen und beurteilt zu werden, heißt das nicht, dass es mir gefällt. Vor allem nicht, wenn Avery es macht.
»Man könnte auch sagen, dass McAllister ohne meine Punkte und meinen aggressiv-defensiven Fahrstil als Team nicht da wäre, wo es heute ist.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, Ihren Fahrstil zu verteidigen«, sagt er grinsend. »Ich muss Entscheidungen treffen, die dem Team nutzen. Und nur weil Ihr Vater eine McAllister-Legende war, muss aus seinem Sohn nicht auch eine werden.«
Die Knie drohen unter mir nachzugeben, und ich kämpfe gegen den Drang an, mich auf ihn zu stürzen und ihn zu Brei zu schlagen. Am liebsten würde ich ihm eine verpassen, so dass es ihn schnurstracks zurück nach Mailand befördert. Aber ich will weder eine zweite Platzwunde an der Braue noch ein weiteres Veilchen kassieren. Ich bin ein besserer Liebhaber als Kämpfer. Zugegeben, genau das scheint die Wurzel des Übels zu sein. Deshalb sah ich vor all den Jahren so aus, als wäre ich von einem gottverdammten Boxer vermöbelt worden, nicht von einem Mann mittleren Alters.
»Reden Sie ja nicht über meinen Dad«, fauche ich. »Sie könnten froh sein, wenn Sie auch nur ein Viertel so viel Mann wären wie er.«
Wir starren einander an.
Verstehe ich, weshalb er mich hasst? Klar. Ich an seiner Stelle würde mich wahrscheinlich auch nicht mögen. Doch ich kann die Vergangenheit nun mal nicht ungeschehen machen.
»Oh, ich bin auch froh.« Er macht einen Schritt auf mich zu, und sein würziges Eau de Cologne steigt mir in die Nase. »Aber nur weil ich weiß, dass dies hier die letzte Saison ist, in der sich McAllister mit Ihnen herumschlagen muss.«
Mit diesen Worten geht er davon, um jemand anderen zu terrorisieren. Scheiße. Das kann er doch nicht machen, oder?
Dann atme ich lang aus und schiebe sämtliche Gedanken an Avery in einen abgelegenen Winkel meines Gedächtnisses. Über ihn kann ich mich später noch aufregen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man während eines Rennwochenendes nicht richtig bei der Sache ist. Ich konzentriere mich auf meine Atmung, während ich mich im Laufschritt auf den Weg zum Besprechungsraum im Motorhome mache. Durch diskrete Nachforschungen habe ich in Erfahrung gebracht, dass Avery nur bei wenigen der insgesamt zweiundzwanzig Rennen dieser Saison dabei sein wird, ich werde ihm also die meiste Zeit aus dem Weg gehen können. Ich muss mich einfach nur möglichst unauffällig verhalten. Das wäre deutlich leichter, wenn ich nicht so gerne im Mittelpunkt stünde.
Ich brülle gerade in mein Headset, als Russell in meine Suite geplatzt kommt. Ich wende den Blick nicht vom Bildschirm ab, weil ich unbedingt einen Weg finden will, das Spiel noch zu retten. Aber es ist hoffnungslos. Mein »Teamkamerad« lässt sich immer abknallen, während er seine Waffe lädt. Call of Duty: Black Ops 4 macht nicht besonders viel Spaß, wenn man es mit Anfängern spielen muss.
»Deinetwegen können wir die Runde vergessen«, sage ich knurrend in mein Headset, ehe ich die Xbox ausschalte. Gaming ist meine Methode der Wahl, vor einem Rennen Stress abzubauen, aber diesmal fühlt es sich so an, als wäre jeder Quadratzentimeter meiner Haut entzündet. Ich bin froh, dass ich das Game nicht live auf Twitch gestreamt habe, was ich mehrmals die Woche tue. So haben meine Follower immerhin nichts von meiner miesen Laune mitbekommen.
Ich lasse mich in die Kissen des Plüschsofas sinken und schließe die Augen. Vielleicht sollte ich es mal mit Yoga oder Meditation oder so probieren. Russell räuspert sich für den Fall, dass ich nicht mitbekommen haben sollte, dass er mit seiner muskelbepackten Gestalt jegliches Sonnenlicht blockiert.
Seufzend öffne ich die Augen. »Ja?«
»Wann hast du zuletzt gegessen, Theo?« Er verengt seine moosgrünen Augen und mustert mich.
»Wahrscheinlich als du dir zuletzt einen runtergeholt hast.« Ich kratze mir die Stirn, ehe ich ihn angrinse. »Also irgendwann gestern Abend?«
Ich kenne Russell schon seit Jahren. Seinem Schwiegervater gehört Pegasus, mein größter – und beliebtester – Sponsor. Ohne ihre Unterstützung und ihr Geld, vor allem zu Beginn meiner Karriere, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Als für mich der Traum eines jeden jungen Fahrers wahr wurde und ich einen Vertrag in der Formel 1 unterschrieb, habe ich Russell als meinen Performance Coach mitgenommen. Unsere langjährige Arbeitsbeziehung und Freundschaft bedeutet, dass er an meine vulgäre Ausdrucksweise gewöhnt ist. Als ich ihm erzählte, wie ich mir einmal beim Sex die Eier am Teppichboden aufgescheuert habe, hat er nur gefragt, ob er mir Wundsalbe besorgen soll. Trotzdem muss ich in seinen Augen auch positive Eigenschaften haben, denn ich bin der Patenonkel seiner Tochter Rosalie.
»Das Rennen beginnt in wenigen Stunden«, sagt er, meine Bemerkung ignorierend. »Du musst jetzt was essen, zwischen der Pressekonferenz und dem Weg in die Box hast du keine Zeit.«
»Ach.« Ich lache. »Deshalb