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Drüben am Markt ist eine Erzählung von Theodor Storm. Auszug: Schon wieder stand der Herr im blauen Frack an der Wehle, unterhalb des Deiches zu fischen. Vier Angelruten hatte er ausgelegt; die Korke mit den Federposen schwammen auf der blanken Wasserfläche, während die Stöcke in dem üppigen Marschgrase ruhten. Auch der kleine schwarze Hund saß wieder daneben, wie es schien, in die Betrachtung des vor ihm liegenden Netzes versunken, das schon zur Hälfte mit Weißfischen und Aalen gefüllt war; nur zuweilen warf er den Kopf herum und schnappte nach den Schmeißfliegen, die um seine Nase schwärmten. Sein Herr hatte die ausgerauchte Meerschaumpfeife neben sich gelegt und blickte, die Hände auf den Rücken gefaltet, aus seinen kleinen runden Augen gleichgültig vor sich hin; bald auf die schwimmenden Korke, bald über die Wehle nach dem spitzen Turm der nicht gar fernen Stadt. Die Sonne blitzte in den blanken Knöpfen seines Fracks und vor ihm auf dem stillen Wasser; mitunter zog er ein blaugedrucktes Schnupftuch aus der Tasche und trocknete sich damit den Schweiß aus seinen schon ergrauten Haaren. Das Schilf duftete, es war ein heißer Septembernachmittag.
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Seitenzahl: 37
Schon wieder stand der Herr im blauen Frack an der Wehle, unterhalb des Deiches zu fischen. Vier Angelruten hatte er ausgelegt; die Korke mit den Federposen schwammen auf der blanken Wasserfläche, während die Stöcke in dem üppigen Marschgrase ruhten. Auch der kleine schwarze Hund saß wieder daneben, wie es schien, in die Betrachtung des vor ihm liegenden Netzes versunken, das schon zur Hälfte mit Weißfischen und Aalen gefüllt war; nur zuweilen warf er den Kopf herum und schnappte nach den Schmeißfliegen, die um seine Nase schwärmten. Sein Herr hatte die ausgerauchte Meerschaumpfeife neben sich gelegt und blickte, die Hände auf den Rücken gefaltet, aus seinen kleinen runden Augen gleichgültig vor sich hin; bald auf die schwimmenden Korke, bald über die Wehle nach dem spitzen Turm der nicht gar fernen Stadt. Die Sonne blitzte in den blanken Knöpfen seines Fracks und vor ihm auf dem stillen Wasser; mitunter zog er ein blaugedrucktes Schnupftuch aus der Tasche und trocknete sich damit den Schweiß aus seinen schon ergrauten Haaren. Das Schilf duftete, es war ein heißer Septembernachmittag.
Aus dem Häuschen, das droben auf dem Deiche lag, trat ein bejahrtes Frauenzimmer und stieg eilig an dem abwärts führenden Fußwege hinunter. Der alte Herr hatte sie nicht bemerkt; denn an der einen Angel begann eben die Federpose zu zucken. Als aber jetzt die Frau laut redend und jammernd auf ihn zukam, wandte er sich um und winkte ihr heftig mit der Hand. »Schrei Sie nicht so, alte Person!« sagte er und bückte sich nach seiner Angel. »Hat denn die Mixtur von gestern noch nicht angeschlagen?«
Das Weib schwieg plötzlich und strich sich verlegen mit der Hand über ihre Schürze.
»Ja so,« sagte er, »ich kann's mir denken; Ihr habt wieder einmal selbst gedoktert! – Da habt Ihr mir nun auch den Fisch verjagt!«
Indem hatte er sich aufgerichtet; und in seine kleinen Augen trat ein Ausdruck von Schelmerei, der vor Zeiten diesem unschönen Antlitz eine vorübergehende Anmut mochte verliehen haben. »Kleine Frau,« sagte er, »kennt Ihr das Gebet der Ärzte?«
Die Frau sah ihn verdutzt an. »Nur das Vaterunser, Herr Doktor, und die hinterm Gesangbuch.«
»Nun, so will ich es Euch sagen: Gott behüte uns vor den alten Weibern!«
Die Alte lächelte. »Herr Doktor sind allzeit so spaßig.«
»Und nun,« fuhr der Doktor fort, indem er seinen alten Hut aus dem Grase aufsammelte, »nun bleib Sie hier und paß Sie mir auf meine Fischerei!« – Der kleine Hund sprang gegen ihn empor. »Leg dich, Pankraz!« sagte er und bückte sich, um ihn zu streicheln, mit jener hastigen Innigkeit, womit in Gegenwart anderer einsame Menschen den an sie gewöhnten Tieren zu begegnen pflegen. Dann, während der Hund sich legte, und das Weib, seinem Befehl gehorchend, sich vor den Angelruten an das Wasser stellte, stieg er langsam den Deich hinauf und verschwand in der Tür des kleinen Hauses.
Es war tiefe Dämmerung, als der Doktor, aus seinem Meerschaumkopfe rauchend, auf dem Fahrweg des Deiches nach der Stadt zurückkehrte. Neben ihm ging die alte Frau, in der einen Hand ein Rezept, in der andern das schwergefüllte Fischnetz; der kleine Hund sprang kläffend hin und wider. – So erreichten sie die Stadt. Im Schifferhause am Hafen brannten schon die Lichter und warfen ihren Schein auf die Gasse. Der Doktor tat einen Blick in die Gaststube, wo an dem rot angestrichenen Tisch schon ein Frühgast dem Wirte gegenüber saß; dann beschleunigte er seinen Schritt und ging durch die dunkle Twiete dem Markte zu, wo er mit seiner Begleiterin in ein schmales altertümliches Haus trat, vor dem eine Linde ihre Zweige bis an die Fenster des oberen Stocks hinaufstreckte.
Während noch die Hausglocke läutete, öffnete sich im Hintergrund der Diele eine Tür, und ein schon ältliches bürgerlich gekleidetes Mädchen leuchtete mit einer Schirmlampe den Kommenden entgegen. »Bist du es, Onkel?« fragte sie.
»Freilich; nimm nur der Frau die Fische ab.«
Dann, nachdem die Alte gute Nacht gewünscht, gingen beide in das geräumige Hinterzimmer. Das Mädchen trug ihr Spinnrad in die Ecke und setzte die Lampe auf des Onkels Schreibtisch, während dieser seine Taschen von dem mitgenommenen Angelgeräte leerte. »Ist jemand dagewesen?« fragte er.
»Ja, Onkel, die arme Frau, der du das Kleid von selig Tante schenktest.«
»Sonst wer?«
»Die alte Kammerherrin hat geschickt, sie hat wieder ihren Zufall.«
Der Doktor setzte sich auf den harten lederbezogenen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand. »So?« sagte er. »Schicken die feinen Leute auch noch! Nun,« fügte er brummend hinzu, »der andere wird nicht um den Weg gewesen sein. – Wann war der Diener hier?«
»Du warst nur eben fort.«
»So – nun, da brauchen Ihro Gnaden mich schon nicht mehr.«
»Der Justizrat«, sagte das Mädchen, »ist auch da gewesen; du hättest doch nicht vergessen, daß es heute der Geburtstag seiner Frau sei.«