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Zueinanderstehen, Kameraden sein, sich verzeihen. Keine Flausen machen, sich lieb haben, dankbar sein. Die Heimat im anderen finden. Der Sehnsucht nachgeben und viel verlangen. Mehr bekommen, als man zu verdienen glaubt. Und heillos Geduld miteinander haben. Leidenschaftlich, verzweifelt, charmant, verschlagen, hoffend, frech und manchmal bodenlos ungerecht, zeugen Glausers Briefe an die Frauen in seinem Leben von Liebe, von Freiheitsdrang, vom ständig Unsteten und von dem Gefühl, dass manche Dinge so schwer zu sagen sind, dass man fast verzweifeln möchte.
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Seitenzahl: 151
Kameraden sein, keine Flausen machen, die Heimat im anderen finden. Der Sehnsucht nachgeben, viel verlangen und heillos Geduld miteinander haben. Leidenschaftlich, verzweifelt, verschlagen und frech zeugen Glausers Liebesbriefe vom ständig Unsteten und von dem Gefühl, dass manche Dinge so schwer zu sagen sind, dass man fast verzweifeln möchte.
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Friedrich Glauser, geboren 1896 in Wien, führte ein rastloses Leben. Unzählige Orte und Stationen säumten seinen Weg, darunter Gefängnisse und psychiatrische Kliniken. Er lebte in Frankreich, Belgien und Italien, verbrachte einige Jahre in der Fremdenlegion. Er starb 1938 in Nervi bei Genua.
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Manfred Papst (*1956) ist Ressortleiter Kultur der NZZ am Sonntag. Er hat zahlreiche Publikationen zu Literatur und Musik verfasst.
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Friedrich Glauser
Du wirst heillos Geduld haben müssen mit mir
Liebesbriefe
Mit einem Vorwort und Steckbriefen der Empfängerinnen von Manfred Papst
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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© des Vorworts by Manfred Papst, 2021
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Channarongsds (Vectorstock)
Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz
ISBN 978-3-293-31113-8
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
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Inhaltsverzeichnis
DU WIRST HEILLOS GEDULD HABEN MÜSSEN MIT MIR
VorwortGrete RothenhäuslerAn Grete RothenhäuslerAn Grete RothenhäuslerElisabeth von RuckteschellAn Elisabeth von Ruckteschell Seegartenstraße 2 ZürichAn Elisabeth von Ruckteschell [Seegartenstraße 2] [Zürich]An Elisabeth von Ruckteschell [Ronco / Locarno]Städtische Polizeidirektion BernRapport in Sachen Städt. Polizeidirektion II. Abteilung gegen Glauser, Friedrich KarlBurghölzli-Tagebuch für Elisabeth von RuckteschellAn Elisabeth von RuckteschellHandfärbereiTalstraße 20, ZürichAn Elisabeth von RuckteschellTalstraße 20ZürichAn Elisabeth von RuckteschellTalstraße 20ZürichEmilie RaschleAn Emilie RaschleAn Elisabeth Goetz-von Ruckteschell [Überlingen]Beatrix GutekunstAn Beatrix GutekunstMiggi SennAn Miggi SennBerthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAuszug aus der Waldauer Krankengeschichte, 08.01.1935An Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Berthe BendelMartha RingierAn Martha RingierAn Martha RingierAn Berthe BendelLeni WullschlegerAn Leni WullschlegerElse Leuthold-FrischknechtAn Else Leuthold-FrischknechtAn Berthe BendelAn Berthe BendelAn Martha RingierFriedrich Glauser über sich selbstNachweisAbbildungsverzeichnis
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Wenige Schriftstellerleben sind so genau dokumentiert wie dasjenige Friedrich Glausers. Nachdem der Autor auf Betreiben seines Vaters bereits als 21-Jähriger »wegen liederlichen und ausschweifenden Lebenswandels« entmündigt worden war, bewahrte die Vormundschaftsbehörde Aberhunderte von Dokumenten auf, die ihn betrafen: nicht nur die gesamte amtliche, sondern auch einen großen Teil der privaten Korrespondenz. Zu ihr gehören zahlreiche Liebesbriefe.
Frauen spielten in Glausers Leben immer wieder eine wichtige Rolle: als Geliebte oder mütterliche Freundinnen, als Gesprächspartnerinnen, Unterstützerinnen in der Not und hilfreiche Geister in allen praktischen Dingen. Neun von ihnen werden in diesem Band vorgestellt. Ein begnadeter Briefschreiber war der Autor ohnehin, wie etwa seine Briefe an den Journalisten Josef Halperin, den Schriftsteller Rudolf Jakob Humm, den Psychiater Max Müller oder die Amtsvormünder Walter Schiller und Robert Schneider zeigen; nie aber lief er zu größerer Form auf, als wenn er Frauen umgarnte. Manchmal wollte er sie nur unterhalten oder entzücken, sich an sie anlehnen oder sie zu Komplizinnen seiner Gedanken und Fantasien machen. Oft aber hatte er durchaus seine Absichten.
Da spielte er auf allen Registern, auch wenn im Hintergrund immer die gleichen Themen Glausers Alltag prägten: die anhaltende Drogensucht und die damit verbundene chronische Finanznot sowie die durch innere und äußere Zwänge bestimmte Unmöglichkeit, eine halbwegs gesicherte Existenz zu führen. In dieser Hinsicht gab es eine seltsame Ambivalenz: Wenn Glauser in psychiatrischen Anstalten oder Gefängnissen einsaß, und das tat er während neun Jahren in seinem 42-jährigen Leben, sehnte er sich nach Freiheit. Doch sobald er draußen war, fehlte ihm die Sicherheit, in der andere für ihn sorgten, und er trug dazu bei, wieder interniert zu werden. In der stationären Psychiatrie war die materielle Grundversorgung gesichert, und an Opiate war dort damals fast leichter heranzukommen als »draußen«. Die Anstalt bot ihm am ehesten den Rahmen, in dem er zum Schreiben kam. Zudem konnte er sich dort eine bessere Zukunft erträumen, statt die Gegenwart zu gestalten. Ihm selbst waren diese Mechanismen vollkommen bewusst. Er durchschaute sie und blieb doch in ihnen gefangen.
Verfehlung, Zerknirschung, Beteuerung guter Vorsätze: In diesem Dreischritt bewegte Glauser sich zeit seines Lebens. Das alles klingt nach einer trostlosen Existenz, nach einer typischen Suchtkarriere, und es lässt bedrückende, eintönige oder gar larmoyante Briefe vermuten. Doch dem ist nicht so. Glausers Briefe sind nicht nur Dokumente von existenzieller Dringlichkeit, sondern auch literarische Meisterstücke. Zum einen war Glauser ein Filou, ein Fuchs, ein Taktiker; zum andern konnte er auch von einer ganz unverstellten Lauterkeit sein. Wenn ihm die Sucht nicht im Nacken saß, war er aufmerksam, feinfühlig, witzig: einer, der sich aufs Zuhören wie aufs Erzählen verlegen konnte, der alles verstand und alles verzieh – und der dadurch bezauberte, dass er sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellte, sondern sich als Causeur in der Kunst des vollendeten Kompliments übte. Vor allem aber war er mit einer Vorstellungskraft begabt, die ihm ein reiches Innenleben bescherte und die auch immer wieder in seiner Korrespondenz aufscheint. Er versteht es auf unvergleichliche Weise, aus seiner Not in einen souveränen Plauderton zu finden. »Briefe hat er mir geschickt, gerade so, als ob er mit mir reden würde«, schreibt Berthe Bendels Schwester Hulda Messmer in ihren Erinnerungen an Glauser.
In Friedrich Glausers Briefen verbinden sich bisweilen Wiener Schmäh, französischer Charme und helvetisches Understatement. Als sensibler und humorvoller Mensch, der mit mehreren Sprachen und also auch zwischen ihnen aufgewachsen ist, entwickelt er eine besondere Aufmerksamkeit für ungewöhnliche Wendungen und findet so zu einem hinreißenden Personalstil. Bauchige berndeutsche Wörter schaut er mit der gleichen Neugierde an wie die ziselierten Sätze von Pariser Edelfedern. Nachdem er den Expressionismus durchlitten und überwunden hat wie eine Kinderkrankheit, gelangt er als Erzähler zu einem klaren, an Georges Simenon geschulten Stil. Der sieben Jahre jüngere Belgier wird sein großes Vorbild. Nicht dass ihm Pathos und Sentimentalität deshalb gänzlich fremd würden; meist weiß er sie jedoch dosiert einzusetzen. Er liebt literarische Anspielungen und kleinere oder auch größere Bosheiten. Nie prunkt er mit seiner enormen Belesenheit, doch er lässt sie gern aufblitzen. Sein literarisches Urteil ist unbestechlich und von sicherem Instinkt geprägt. Er hat in fast allen Lebenslagen Bücher um sich, auch in Angles bei Chartres, wo er sich mit Berthes Unterstützung als Kleinbauer versucht, die Nächte durchschreibt, bis zum Mittag schläft und die Schwester seiner Gefährtin mit ominösen Bestellzetteln in die Apotheke schickt.
In seinen Briefen gibt sich Glauser ganz. Er hat meist auch nichts anderes zu geben als sich, seine Menschlichkeit, seine Sehnsucht, seine Liebe. Mit saturierten Verhältnissen kann er nicht aufwarten, meist ist er auf Unterstützung und Nachsicht angewiesen. Sein Anlehnungsbedürfnis hat indes etwas seltsam Unkörperliches. Das mag – neben einer grundlegenden Schüchternheit, die er mit Franz Kafka und Robert Walser teilte – ganz lapidar damit zusammenhängen, dass seine Libido durch den jahrelangen Drogenmissbrauch stark eingeschränkt ist. Er macht denn auch bei den seltenen Gelegenheiten, in denen er über die körperliche Liebe spricht, keinen Hehl daraus, dass sie nicht der Motor seiner Zuwendung ist.
Menschen, die Glauser nahestanden, haben ihn übereinstimmend als sanften Menschen geschildert. Weiche, zarte Hände habe er gehabt, wie die einer Frau, notiert seine vierundzwanzig Jahre ältere mütterliche Freundin Martha Ringier, die er reicher mit Briefen beschenkt hat als jede andere. »Er schien mir nicht das mindeste Geltungsbedürfnis zu haben«, schreibt Emmy Ball-Hennings im Rückblick auf die Asconeser Zeit. »Er wusste oder dachte nicht daran, dass er etwas konnte.« Die Ideologie bürgerlicher Tüchtigkeit war ihm zuwider, und er wandte sich gegen sie, indem er sie unterlief. Seine Form der Weltveränderung war die Flucht. Als er das erste Mal von zu Hause ausriss, war er dreizehn Jahre alt und kam immerhin von Wien bis Pressburg.
In seinem Wesen lag nichts Brachiales. »Der Theologieprofessor Karl Barth soll einmal gesagt haben«, schreibt er, »die Weltgeschichte der letzten paar Tausend Jahre sei von Männern gemacht worden. Sie ist auch danach!« Die Beschaffungsdelikte, zu denen seine Sucht ihn trieb, beging er mit List, nie mit Gewalt, und bei manchen seiner Streiche, die er selbst lakonisch zu schildern wusste, kann man ihm schmunzelnde Sympathie nicht versagen. Bisweilen konnte er aufbrausen, weil er wusste, dass er als Schriftsteller mehr Talent hatte als die Spießer um ihn, und phasenweise auch außerordentlich fleißig war, doch seine Wutausbrüche entschärfte er alsbald wieder durch Selbstironie. Frauen konnten mit seinem schillernden Wesen offensichtlich besser umgehen als Männer. Er weckte einen Beschützerinstinkt in ihnen, während Herren der Schöpfung wie der Münsinger Anstaltsdirektor Ulrich Brauchli ihn bloß als haltlosen, verlogenen Kriminellen ansahen.
Der Psychiater Max Müller, einer der wenigen, die Glauser auf Augenhöhe begegneten und die er deshalb auch akzeptierte, schrieb: »Eigentümlich war es in der Tat, wie Glauser es verstand, mit seiner Weichheit, der Haltung des geprügelten Hundes, seinem Anlehnungsbedürfnis und seinen gescheiten Reden stets neue Gönner zu finden.« Glausers Einsamkeit und Verlorenheit wirkten auf viele Menschen guten Willens anziehend, doch wenn sie sich von ihm enttäuscht fühlten, war ihre Ablehnung umso stärker.
An Glausers Situation änderte sich auch nichts Entscheidendes mehr, als um 1935 sein literarischer Erfolg einsetzte. Zwar erschienen zu seinen Lebzeiten nur zwei seiner sechs Romane – Wachtmeister Studer (Schlumpf Erwin Mord) und Matto regiert – in Buchform, doch mit seinen teilweise in Fortsetzungen gedruckten Texten in Zeitungen und Zeitschriften zählt Glauser in seinen letzten drei Lebensjahren zu den erfolgreichsten Schweizer Schriftstellern dieser Ära. In Otto Kleiber, dem Feuilletonchef der Basler National-Zeitung, fand er einen tatkräftigen Förderer, weitere folgten. Doch sein Leben blieb schwierig, in der Anstalt wie draußen, in Angles und La Bernerie wie in Nervi. Der Zusammenbruch am Vorabend der geplanten Heirat mit Berthe Bendel scheint das Bild des ewigen Pechvogels zu zementieren, doch die Umstände seines Todes bleiben ungeklärt. Natürlicher Tod, Suizid, versehentliche Überdosis? Wir werden es nie erfahren. Was bleibt, ist ein singuläres, vielgestaltiges Werk, zu dem die Briefe und namentlich die Liebesbriefe nicht minder zählen als die Romane, die Erzählungen und die autobiografischen Essays. »Grüble deinem Lebenshunger nicht zu sehr nach«, schreibt Glauser am 27. Juli 1936 aus Angles an Martha Ringier, »das Leben ist gewöhnlich so, wie es hat sein müssen. Sehr lieb hat dich dein mulet und ist dir sehr dankbar für alles.«
Manfred Papst
Grete Rothenhäusler (1896–1984) war die Frau des Psychiaters Oskar Rothenhäusler (1883–1972). Dieser trat in der Klinik Münsingen seine Arztstelle an, als Glauser 1918/19 dort interniert war, und lieh dem Patienten nicht nur Bücher, etwa von Dostojewski und Franz Werfel, sondern lud ihn an einem Sonntag auch zum Tee zu sich nach Hause ein und stellte ihn seiner Frau vor. Glauser charakterisiert in einem Brief vom 6. Januar 1919 an Robert Binswanger Grete Rothenhäusler mit der ihm eigenen Ironie: »Diese ist klein, mit weißer, gewölbter Stirn, einem sehr unregelmäßigen, aber lieben Gesicht. Sie versteht, gute Kuchen zu backen, auf der Handharmonika und auf dem Klavier zu spielen, zu sticken und zu lesen. Das letzte ist selten und alles zusammen fast nirgends zu treffen. Darum verehre ich sie auch aus tiefstem Herzensgrunde und habe ihr Mallarmé zitiert, was die Höhe meiner Begeisterung am besten zeigt.«
Grete Rothenhäusler war die Mutter des Werbefachmanns und patriotischen Kleinverlegers Paul Rothenhäusler (1923–2006). Die beiden Briefe Glausers an sie, die sich erhalten haben, sind nicht im engeren Sinne Liebesbriefe, aber gleichwohl höchst aufschlussreich, weil sie Glausers Kunst einer alle Konventionen ignorierenden Zuwendung und charmanten Übergriffigkeit zeigen: Der 23-Jährige wendet sich nach seinem Entweichen aus Münsingen an sie (und nicht etwa an ihren von Berufs wegen zuständigen Mann), erklärt ihr die Gründe für seinen Schritt, versichert ihr, sie sei die Person, von der ihm der Abschied am schwersten falle, macht sie zur Komplizin in der Frage der heimlichen Nachsendung seiner in der Klinik zurückgelassenen Sachen an seinen Fluchtort im Tessin und ermahnt sie gleichzeitig, ihm die Bücher zurückzuschicken, die er ihr geliehen hat.
Münsingen, 1.7.1919
Liebe Frau Doktor,
»Muss es sein? Es muss sein«, schreibt Beethoven über ein sonderbares Thema. Böse Zungen behaupten, es habe sich in diesem Falle bloß um den Wechsel seiner Haushälterin gehandelt. Ich bin zwar nicht Beethoven, aber es muss sein. Nämlich das Durchbrennen. Ich hätte ein schöneres Wort wählen können, ein pathetischeres vielleicht, aber es ist irgendein Lausbubenton an das Wort geknüpft, der es mir lieb macht. Ich habe Sehnsucht nach Abwechslung, nach Unruhe und sonstigen romantischen Dingen, die der Psychiater und auch Ihr Herr Gemahl (mit oder ohne ›h‹?) mit den Worten »mangelndes Anpassungsvermögen« abtun wird. Die Worte sind ja schließlich gleichgültig, die Hauptsache ist das Gefühl, wieder einmal Mensch zu sein und nicht ein registriertes Ding mit Krankengeschichte in Schreibmaschinenschrift. Ob ich wieder eingefangen werde, ist mir nach langer Überlegung ziemlich gleichgültig. Ich werde wenigstens versucht haben, mit eigener Hand einen Knoten zu durchhauen, der zwar kein gordischer ist, aber für mich ebenso wichtig und bedeutungsvoll ist wie der des großen Alexander. Es ist immer unsympathisch, [als] eine Drahtpuppe zu figurieren, die von Psychiatern, Vormunden und Vätern zu gemessenem Tun gezogen wird.
Offen gesagt fällt mir der Abschied von Ihnen am schwersten. Dies darf man wohl sagen, ohne bei Ihnen in den Verdacht der Phrasenhaftigkeit zu kommen. Es ist eine glänzende Ironie der sonderbaren Macht, die wir Schicksal nennen, dass ich Sie im Irrenhaus habe treffen müssen. Vielleicht haben Sie mehr Einfluss gehabt, als Sie selber denken und als ich es jetzt noch fühlen kann. Auf alle Fälle sind Sie ein sehr helles Licht in diesem düsteren Grau gewesen. Das darf ich Ihnen wohl auch noch sagen. Und um Ihnen für all dies Dank zu sagen, schreibe ich Ihnen noch diesen Brief. Was die »anderen« über mich denken, ist mir herzlich gleichgültig. Ich weiß wenigstens, dass Sie mich verstehen werden. Es ist mehr, als ich eigentlich verdiene.
Wenn Sie es erlauben, gebe ich Ihnen hin und wieder Nachricht von mir. Und wenn einmal ein Buch von mir erscheint, sollen Sie es auf Pergament bekommen.
Ich küsse Ihnen in Dankbarkeit die Hand
F. Glauser.
P. S. Alle Bücher, die Sie mir geliehen haben, liegen auf dem Tisch des Besuchszimmers. Ich habe noch zwei Bücher dazugelegt, die Sie vielleicht interessieren werden.
Ascona, Casa Günzel, Juli 1919
Liebe Frau Doktor,
Damals in Münsingen habe ich Ihnen einen langen Brief versprochen und löse nun mein Versprechen ein. Meine Adresse brauche ich nun nicht irgendwie zu verheimlichen, da Binswanger an meinen Vormund geschrieben hat. Dieser fragte nämlich nach meinem Aufenthaltsort.