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"Und als er die Dorfstraße entlangging, vorbei an den vielen Schildern, die sich folgten, fiel ihm eine zweite Eigentümlichkeit dieses Gerzensteins auf. Aus jedem Hause drang Musik: manchmal unangenehm laut aus einem geöffneten Fenster, manchmal dumpfer, wenn die Fenster geschlossen waren. 'Gerzenstein, das Dorf der Läden und Lautsprecher', murmelte Studer, und es war ihm, als sei mit diesen Worten ein Teil der Atmosphäre des Dorfes charakterisiert…" Für viele Krimiliebhaber gilt Friedrich Glauser als der Begründer de modernen deutschsprachigen Kriminalromans. Nicht zuletzt deswegen benennt die von Fred Breinersdorfer gegründete Kriminalautorenvereinigung Syndikat ihren jährlich vergeben Preis nach ihm.Legendär sind vor allem die Wachtmeister Studer Roman. Trotzdem gab es bis jetzt keine ungekürzten Hörbücher von Friedrich Glauser. Wir beginnen mit dem ersten Studer-Roman Wachtmeister Studer eine kleine Reihe von Glausers Werken. Das eBook enthält ein Glossar und eine Kurzbiografie.
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Seitenzahl: 258
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Friedrich Glauser
Wachtmeister Studer
Der Gefangenenwärter mit dem dreifachen Kinn und der roten Nase brummte etwas von »ewigem G'stürm1«, – weil ihn Studer vom Mittagessen wegholte. Aber Studer war immerhin ein Fahnderwachtmeister von der Berner Kantonspolizei, und so konnte man ihn nicht ohne weiteres zum Teufel jagen.
Der Wärter Liechti stand also auf, füllte sein Wasserglas mit Rotwein, leerte es auf einen Zug, nahm einen Schlüsselbund und kam mit zum Häftling Schlumpf, den der Wachtmeister vor knapp einer Stunde eingeliefert hatte.
Gänge… Dunkle lange Gänge… Die Mauern waren dick. Das Schloss Thun schien für Ewigkeiten gebaut. Überall hockte noch die Kälte des Winters.
Es war schwer, sich vorzustellen, dass draußen ein warmer Maientag über dem See lag, dass in der Sonne Leute spazieren gingen, unbeschwert, dass andere in Booten auf dem Wasser schaukelten und sich die Haut braun brennen ließen.
Die Zellentüre ging auf. Studer blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Zwei waagrechte, zwei senkrechte Eisenstangen durchkreuzten das Fenster, das hoch oben lag. Der Dachfirst eines Hauses war zu sehen – mit alten, schwarzen Ziegeln – und über ihm wehte als blendend blaues Tuch der Himmel. Aber an der unteren Eisenstange hing einer! Der Ledergürtel war fest verknüpft und bildete einen Knoten. Dunkel hob sich ein schiefer Körper von der weißgekalkten Wand ab. Die Füße ruhten merkwürdig verdreht auf dem Bett. Und im Nacken des Erhängten glänzte die Gürtelschnalle, weil ein Sonnenstrahl sie von oben traf.
»Herrgott!« sagte Studer, schoss vor, sprang aufs Bett – und der Wärter Liechti wunderte sich über die Beweglichkeit des älteren Mannes – packte den Körper mit dem rechten Arm, während die linke Hand den Knoten aufknüpfte.
Studer fluchte, weil er sich einen Nagel abgebrochen hatte. Dann stieg er vom Bett und legte den leblosen Körper sanft nieder.
»Wenn Ihr nicht so verdammt rückständig wäret«, sagte Studer, »und wenigstens Drahtgitter vor den Fenstern anbringen würdet, dann könnten solche Sachen nicht passieren. – So! Aber jetzt spring, Liechti, und hol den Doktor!«
»Ja, ja!« sagte der Wärter ängstlich und humpelte davon.
Zuerst machte der Fahnderwachtmeister künstliche Atmung. Es war wie ein Reflex. Etwas, das aus der Zeit stammte, da er einen Samariterkurs mitgemacht hatte. Und erst nach fünf Minuten fiel es Studer ein, das Ohr auf die Brust des Liegenden zu legen und zu lauschen, ob das Herz noch schlage. Ja, es schlug noch. Langsam. Es klang wie das Ticken einer Uhr, die man vergessen hat aufzuziehen; Studer pumpte weiter mit den Armen des Liegenden. Unter dem Kinn durch, von einem Ohr zum andern, lief ein roter Streifen.
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