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Als sich Saul Dunkelstein als Leiter der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde in den Dienst der Nazis stellt, wird seine Tätigkeit von vielen Wiener Juden mit Angst und Misstrauen betrachtet. Das Verdienst des einstigen Rabbiners Dunkelstein ist zwiespältig. Aus Sicht der Nazis sorgt er für eine reibungslose Deportation der Juden nach Osten, er selbst ist überzeugt, lebensrettende Maßnahmen zu setzen, indem er die Juden zur raschen Emigration drängt - bleibt die alles entscheidende Frage: Paktiert Dunkelstein mit den Nazis oder hat er sich zugunsten der jüdischen Gemeinde mit ihnen arrangiert? Robert Schindel überlässt die Beantwortung dieser Frage dem Leser. Ausgewogen, aber mit Vehemenz stellt er den Rabbiner in einem ausweglosen historischen Dilemma dar. Partei ergreift Schindel höchstens für die Judenräte, zu jener Zeit Instanzen der Ohnmacht, die jeden Augenblick unter Lebensgefahr zwischen Pest und Cholera zu entscheiden hatten.
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Seitenzahl: 133
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Robert Schindel
Eine Realfarce
© 2010HAYMON verlagInnsbruck-Wienwww.haymonverlag.at
Textausschnitte aus „Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes“ von Friedrich Torberg (S. 14, 18–20, 81): © 1975 by LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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ISBN 978-3-7099-7750-7
Umschlag- und Buchgestaltung:Kurt Höretzeder, Büro für Grafische Gestaltung, Scheffau/TirolMitarbeit: Ines GrausCoverfoto: Deutsches Bundesarchiv
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Für Christa Prokisch
In MemoriamFranziska Löw-DannebergMignon Langnasdie mir 1944–1945 das Leben gerettet haben
Dank an Doron Rabinovicifür Rat und Tat
Saul DunkelsteinViktor Leonhardt, AmtsdirektorIsidor WinterAdele, seine FrauNathan, sein SohnGisa, seine TochterDer alte SchwarzTheres, seine TochterVater KlangWilly Klang, sein SohnDer junge Willy KlangEsther RebenwurzelEdith GoldSchorschi RosenbluthBlum, InseratenhändlerMoritz SingerAlfred PolgarEgon FriedellNeugröschlOber im Kaffeehaus NeugröschlKarl Kalterer, KriminalkommissarReinhold Linde, SturmbannführerBrauner, HauptsturmführerAumann, Leiter für Judenangelegenheiten
Portier, Hausherr, Junger Bursch, Jüdische Frau, JungesMädchen, Junger Bridgepartner, Erster Kiebitz, ZweiterKiebitz, Der Herr, SS-Wache, Gestapobeamter
RaffiAlter HäftlingJunger HäftlingAufnahmeleiterEin Häftling, Regieassistent, Rotarmist
Dunkle Bühne. Ouvertüre.
DUNKELSTEIN:(in einem Sessel, zum Publikum) Ich bin Saul Dunkelstein, Rabbiner, Funktionär. In mir sehen Sie den Letzten der Ungerechten, ich bin der Übriggebliebene, auf den euer Hass geht. Und das ist die Geschichte:
Dunkel.
Um einen Holztisch sitzen Männer in KZ-Kluft mit gelben Winkeln über dem Herzen. Es sind Willy Klang, der Israeli Raffi, ein alter Häftling, ein junger Häftling. Sie sind Komparsen eines Films: UND GOTT SCHAUT WEG, gedreht von der amerikaischen Produktionsfirma GLOBUS. Sie befinden sich im Warteraum und harren des nächsten Drehs.
RAFFI: … sag ich euch, versteht ihr, sag ich euch, wie sag ich, dass ihr versteht: Nie würde ich in die Gaskammer marschiert sein. Niemals.
WILLY KLANG: Für dich besteht also die Möglichkeit, dich schon davor in Luft aufzulösen.
RAFFI: Ich geh mit einer Kugel, versteht ihr. Mit einer Kugel in meiner Pistol. Sechs Kugeln in der Pistol. Fünf nehm ich mit, die sechste für mich. Vor der Gaskammer. Als Fanal.
ALTER HÄFTLING: A Makkabäer. A Held.
JUNGER HÄFTLING: Yeah. So hätten wir es damals alle tun sollen. Nicht mir nichts, dir nichts …
ALTER HÄFTLING: Mir nichts, dir nichts?
JUNGER HÄFTLING: Also so ohneweiters …
ALTER HÄFTLING: Ohneweiters?
WILLY KLANG: Wie die Lämmer zur Schlachtbank.
RAFFI: Genau so. Ohneweiters und mir nichts, dir nichts sind wir wie die Schafe zur Schlachtung marschiert. Im Gänsemarsch. Kein Kampf. Ein ganzes Volk ohne Kampf. Ich bin Israeli. Hör zu. Wozu bin ich Israeli? Ich schäme mich.
ALTER HÄFTLING: Aha. Er schämt sich. Er schämt sich für sein ganzes Volk.
RAFFI: Für jene, jawoll, dafür schäme ich mich. Nicht ich allein. In Israel sagen das die meisten: Nicht so, wie jene damals. Mit einer Kugel, baffbaff. Erst die SS, dann wir.
JUNGER HÄFTLING:(zu Willy Klang) Was sagst ’n du, Willy? Du warst doch damals dabei. Die ganze Zeit.
Aufnahmeleiter kommt herein.
AUFNAHMELEITER: Achtung! Fertig machen zum Todesappell! Zehn Minuten. (Ab.)
WILLY KLANG: Sofort. (Zu Raffi:) Wenn das Ziel deiner Feinde nicht Unterdrückung ist, sondern Vernichtung, physische Vernichtung, dann ist bereits Überleben Widerstand.
RAFFI: Ach was.
ALTER HÄFTLING: Du weißt genau, wie das war, damals.
RAFFI: Und wie ich das weiß. Ihr selbst habt euch noch auf die Deportationslisten geschrieben. Ein Jud hat den andern ins Gas geschickt. (Pause.) Meine Generation wäre in die Wälder gegangen.
ALTER HÄFTLING: In den Wienerwald.
RAFFI: Egal. In die Wälder.
WILLY KLANG: Damals hat, das weißt du ja, denn du weißt ja alles, der Wienerwald zum deutschen Wald gehört. Dort hast du blaue Blumen suchen können, aber keine Verstecke finden. Jede Fichte, jede Buche – von Eichen nicht zu reden – hätte alle Verstecke an die Försterei verraten.
RAFFI: Blödsinn. (Er zündet sich eine Zigarette an.) Du, Herr Klang. Hast du nicht auch mitgeholfen?
ALTER HÄFTLING: Jetztn ists aber genug. Ihn hätte ich sehen wollen am Morzinplatz bei der Gestapo, wenn der Kalterer oder der Brauner begonnen hätte, sich mit dir zu unterhalten. Wie ein Wickelkind hättest geschrien …
RAFFI: Möglich. Doch so weit wärs gar nicht gekommen. Ich hätt die Pistol immer bei mir gehabt.
ALTER HÄFTLING: Freilich, bei jeder Razzia als Ausweis …
RAFFI: Ich hab gegen die Araber gekämpft. Was willst du mir erzählen?
WILLY KLANG: Mit Gewehren und Panzern?
RAFFI: Sicher. Aber ich hätt mit allem gekämpft. Auch mit der Steinschleuder.
WILLY KLANG: Unser Gewehr war ein gutes Versteck. Unser Panzer ein Affidavit, unsere Stalinorgel ein Einreisevisum nach Amerika. Und unsere Steinschleuder war die Güte eines Gestapobeamten, eines SS-Mannes, eines Wehrmachtsoffiziers.
RAFFI: Und die Handgranate war der Verrat der eigenen Leut.
ALTER HÄFTLING:(brüllt) Bist du verrückt? Scheißt du auf uns? Scheißt ihr auf uns? Ich war in Ebensee, hörst du, Ebensee. Du Grünschnabel. Keine Ahnung hast du. Ihr alle nicht. Ihr Superzionisten. Auf unsren Knochen habt ihr euer Landel errichtet. Jetzt scheißt ihr auf uns? Bist du völlig verrückt geworden?
RAFFI: Niemand scheißt auf euch. Beruhige dich.
ALTER HÄFTLING: Wegen solchenen wie dir haben wir den Hitler überlebt?
JUNGER HÄFTLING: Schon. Auch. Oder?
RAFFI: Jawoll. Wenigstens wegen solchenen wie wir. Was tätst du ohne Israel?
ALTER HÄFTLING: Was tu ich mit Israel?
RAFFI: Was ist mit ihm? (Zeigt auf Klang.)
WILLY KLANG: Der IHM ist schon gestorben.
RAFFI: Also mit dir, Doktor Willy Klang. Ich hab mich erkundigt. Beamter der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien bis fünfundvierzig, bis zum Schluss. Assistent von Doktor Saul Dunkelstein, den sie Dunkelschwein genannt hatten.
WILLY KLANG:(müde) Ich war nicht sein Assistent.
AUFNAHMELEITER:(hereinschreiend) Zum Set. Todesappell. Gemma, gemma.
Die Häftlinge verlassen den Holztisch, gehen hinaus. Willy Klang bleibt sitzen. Stille. Alter Häftling kommt zurück.
ALTER HÄFTLING: Willy, was ist?
Junger Häftling kommt zurück.
JUNGER HÄFTLING: Willy, wir müssen.
WILLY KLANG: Jaja, wir müssen. Immer müssen wir. Wir müssen immer.
Dunkel.
Eine Zelle im Landesgericht. Wien, Frühling 1936. Einige weibliche Häftlinge, darunter Gisa Winter und Edith Gold.
EDITH: Gisa. Letztes Klogerücht.
GISA:(laut) Auf das geben wir gar nichts.
Ein weiblicher Häftling hat sich den beiden genähert.
GISA: Schau, Edith, wie dieser deutschen Frau die Reichsohrwascheln wachsen. (Zieht sie ins Eck der Zelle.) Ach, Edith.
EDITH: Ich freu mich so. Wir werden amnestiert.
GISA: Aha. Wir zwei?
EDITH: Die andern auch. Alle Politischen.
GISA: Wo ist das Ksiberl?
EDITH: Kein Ksiberl. Unsere wissens noch nicht.
GISA: Und du schon?
EDITH: Ja, ich. Und ist gar kein Klogerücht.
GISA: Wen hast du diesmal wieder bestrickt?
EDITH: Den blonden Mistelbacher.
GISA:(lächelnd) Wann denn?
EDITH: Ziemlich bald. Warum, glaubst, lassens uns denn raus?
GISA: Was sagt denn dein Mistelbacher?
EDITH: Der hat keine Ahnung, warum, aber er ist sicher, dass. Mag der Schuschnigg auf einmal uns Kommunisten?
GISA: Wenns nach dem Schuschnigg ginge, könnten wir hier eh verfaulen. Wegen der da.
EDITH: Was, wegen der Nazis lassens uns raus?
GISA: Ach nein, Edith, bloß wegen deines Hinterns.
EDITH:(lachend) Gibts einen besseren Grund?
Dunkel.
Willy Klang, Alter Häftling im Wartesaal um den Holztisch.
ALTER HÄFTLING: Halb blind waren wir oder jedenfalls ich im Ständestaat, in der Systemzeit, wie die Nazis sagen. Es kommt mir von jetzt gesehen nahezu paradiesisch vor.
WILLY KLANG: Das Paradies der Arbeitslosen, der Ausgesteuerten.
ALTER HÄFTLING: Eine bittere Zeit – damals. Und die Deutschen aus dem neuen Hitlerreich in Salzburg mit den Marmeladestullen, und die Österreicher fressen den Kitt aus dem Fenster.
WILLY KLANG: Die Piefkes, die Marmeladinger.
ALTER HÄFTLING: Und wir, famose Luftschlucker.
WILLY KLANG: Meiner Familie ist es gar nicht so schlecht gegangen. Zwar war die Arbeiterbewegung am Boden, aber ich als Arztkind habs ganz gut gehabt. Ich erinnere mich genau, wie ich mit Papa sonntags ins Josephstal jausnen gegangen bin. Die Ausgesteuerten sind draußen vorbeigeschlichen; die Nasen haben sie sich platt gedrückt, und mit den Augen habens meiner Buttersemmel nachgeschaut bis in’ Schlund. Papa hat rausgeschaut. „Arme Hunde, unverschuldet arme Hunde, Willy, schau sie dir nur an. Der Hitler schaut ihnen bereits aus den Augen heraus.“
ALTER HÄFTLING: Ihr wart im Café Josephstal? Ihr habt dort tarockiert. Ich bin auch draußen vorbeigegangen.
WILLY KLANG: Aus deinem Ponem hat aber der Hunger herausgeschaut oder was?
ALTER HÄFTLING: Hoffnungslosigkeit, Willy. Ich hab ja auf keinen Führer hoffen können, nach den Rassengesetzen, die der im Reich verkünden hat lassen. Du warst also ein feiner Pinkel, bist es geblieben. Tarockierst du noch immer gelegentlich?
WILLY KLANG: Tarockieren? Unsereiner hat Bridge gespielt. Ich hab gewohnt in der Pfeilgasse, gleich gegenüber vom Josephstal.
Musik. Dunkel.
Café Josephstal. Bridgetisch. Der alte Schwarz, Vater Klang, junger Bridgepartner, später Schwarzens Tochter Theres, Gäste, Ober.
DER ALTE SCHWARZ: Na, auf was warten wir denn noch?
VATER KLANG: Auf wen schon. Auf deine Tochter.
DER ALTE SCHWARZ: Nicht nur kann sie nicht spielen, rechtzeitig kommen kann sie schon gornicht. (Zündet sich eine Zigarre an und hustet dabei.)
JUNGER BRIDGEPARTNER: Großer Gott, old Blacky.
DER ALTE SCHWARZ: Was ist denn?
JUNGER BRIDGEPARTNER: Du rauchst zu viel, du hustest zu viel.
DER ALTE SCHWARZ: Das ist Kismet.
JUNGER BRIDGEPARTNER:(zu Vater Klang) Braucht dein Patient nicht eine Kur?
VATER KLANG: Solche Zigarren braucht er wie einen Kropf.
DER ALTE SCHWARZ: Doktor Ossi. Gibst jetzt a Ruh?
VATER KLANG: Na freilich. Hast eh nur die Bronchitis mit doppeltem Resonanzboden. Aus der Lunge naturgemäß und …
DER ALTE SCHWARZ: … aus der Gruft, ich weiß. Müder Witz.
VATER KLANG: Geh wenigstens nach Gastein, old Blacky. Schöne, wilde Natur.
DER ALTE SCHWARZ: Natur?
JUNGER BRIDGEPARTNER: Gepflegte Parkanlagen. Ruhige, ältere Leut.
VATER KLANG: Sogar Bridgespieler.
DER ALTE SCHWARZ: Wer in Bad Gastein auf Kur geht, spielt ka Bridge.
JUNGER BRIDGEPARTNER: Vergönns dir!
DER ALTE SCHWARZ: Das ist doch kein Gönnen, das ist … (Hustenanfall.) Ich fahr nicht nach Gastein.
VATER KLANG: Er fährt nicht nach Gastein.
DER ALTE SCHWARZ: Ich werd euch das erklären. Also gut, ich bin in Gastein. Was tu ich? Ich steh in der Früh auf und geh a bissel spazieren auf nüchternen Mogn, weil ich bin ja auf Kur. Was kommt dann? Na, dann kommt das Frühstück. Danach, was tu ich? Ich geh a bissel spazieren. Dann komm ich zurück, geh zur Trinkhalle, schlemper das gesunde Wasser, denn ich bin ja auf Kur. Was tu ich dann? Spazieren geh ich. Dann komm ich zurück, und die Post war schon da. Ich lese also sämtliche Zeitungen. Dann mach ich für die Gesundheit noch einmal das, was man einen ausgedehnten Spaziergang nennt. Ich bin auf Kur. Dann könnt das Mittagessen kommen, aber es ist erst drei viertel zehn Vormittag. Ich fahr nicht nach Gastein.
JUNGER BRIDGEPARTNER: Aha. Er fährt nicht nach Gastein.
VATER KLANG: Dafür kommt jetzt deine Tochter.
Theres tritt ein.
THERES: Servus Moskowitz, grüß dich, Doktor Klang. Servus, Papa.
BEIDE BRIDGEPARTNER: Fräulein Theres.
DER ALTE SCHWARZ: Das Fräulein Tochter glaubt, ich leb ewig.
THERES: Entschuldige, Papa, aber die Tante war so in Rage, da konnt ich nicht …
DER ALTE SCHWARZ: Sämtliche Tanten sind entweder in Rage oder im Geplärr. Hier aber wird gewartet.
VATER KLANG:(spöttisch) Fanget an! Fanget an!
Sie beginnen zu spielen. Theres wird zu ihrem Vater gelost. Sie teilen aus. Sie lizitieren. Theres spielt aus.
DER ALTE SCHWARZ:(legt die Karten weg) Thesi! Was soll denn solches? Hast du nichts vernommen?
THERES: Ich spiel nach meiner Raison, Papa.
DER ALTE SCHWARZ: Du meinst, nach deiner Bledheit.
THERES:(schmeißt die Karten weg) Jetzt reichts mir aber. Seit Wochen immer dasselbe mit dir, Papa. Ich bin doch nicht auf deine Herrenpartie angewiesen.
DER ALTE SCHWARZ: Dann hebe dich hinweg. (Hustet.) Geh und spiel mit deinen Weibern Wäschekluppen aufhängen.
JUNGER BRIDGEPARTNER: Old Blacky, beruhige dich.
DER ALTE SCHWARZ: Wer kann sich bei so einer Tochter beruhigen. Pathologische Phlegmatiker möglicherweise.
THERES:(wütend zu allen) Man dankt. (Verlässt den Tisch.)
DER ALTE SCHWARZ:(ruft ihr nach) In diesem Café spielst du mir nicht mehr, so lang ich leb.
THERES: Hab dach in der Erd! (Ab.)
JUNGER BRIDGEPARTNER: Wie redest du eigentlich mit deinem Kind?
DER ALTE SCHWARZ: Wer weiß.
VATER KLANG: Und sie, bitte gor schön, mit ihrem Vater?
DER ALTE SCHWARZ: Wer weiß. Dabei, sie war so was von einem süßen Mädl, bis sie bekommen hat diese dumme Leidenschaft fürs Bridge.
VATER KLANG: No, die Leidenschaft ist nicht dumm.
DER ALTE SCHWARZ: Für die Thesi ist sie die dümmste. (Hustet.) Soll sie sich nehmen an Ganef als Mann. Einen, der ihr das Bridgespielen verbietet für ewig. Ah, da kommt der Warschowitz. (Zum jungen Bridgepartner:) Moskowitz, der spielt doch ganz passabel, oder?
JUNGER BRIDGEPARTNER: Warschowitz. Wir flehen dich an. Warschowitz setzt sich achselzuckend auf den Platz von Theres.
DER ALTE SCHWARZ: Wer kommt?
Dunkel.
Wartesaal. Um den Holztisch. Die KZ-Häftlinge kommen zurück, als Klang und der alte Häftling eben hinausgehen wollen.
EIN HÄFTLING: Jetzt haben sie den Todesappell verschoben. Das Wetter ist zu prachtvoll.
WILLY KLANG:(setzt sich wieder nieder) Filmen ist Nasenbohren.
RAFFI: Wolltest du nicht erzählen von deinem Freund Dunkelstein, dem Helden?
WILLY KLANG: Also erstens war er nicht mein Freund, zweitens will ich gornix erzählen.
RAFFI: Schau, Doktor Klang, ich bin doch nur ein blöder Israeli, ein Tembel.
WILLY KLANG: Das ist nicht mein Problem.
JUNGER HÄFTLING: Ich täts aber auch gern hören.
WILLY KLANG:(zu den andern) Ihm was erzählen heißt zu den Schwalben reden, bloß um den Wind pfeifen zu hören.
RAFFI: Ist ja schon gut, Sir Willy. Nimm mich nicht so ernst!
WILLY KLANG: Na, da werd ich mich hüten.
RAFFI: Also was war mit dem Dunkelstein? Was hat er getan außer gefressen und gebetet und kollaboriert? Was war das für ein Jud?
WILLY KLANG: Ein Jud halt. (Zum hereinkommenden Aufnahmeleiter:) Was ist jetzt, Herbertl?
AUFNAHMELEITER: Order ist unterwegs. (Ab.)
WILLY KLANG: Aha. Order ist unterwegs. Tja, gegessen hat er gern, der Saul. Sehr gern. Außerordentlich gern. (Zum alten Häftling:) Erinnerst du dich an das Neugröschl in der Heinestraße?
ALTER HÄFTLING: Stadtgutgasse.
WILLY KLANG: Kleine Stadtgutgasse.
ALTER HÄFTLING: Und wie. Wenn wir beim miesen Rappaport gesessen sind und aufs Essen gewartet haben, und es ist nicht gekommen, hat der Torberg geschrien: Was is? Was is? Der Fraß ist noch nicht da? Beim Neugröschl rülpsen sie bereits.
WILLY KLANG: Welcher Torberg?
Dunkel.
Das Speiselokal Neugröschl, Sommer 1936. Neugröschl, ein Ober, Dunkelstein, Esther Rebenwurzel, zwei Kiebitze, Egon Friedell, Alfred Polgar.
Im vorderen Saal, vollbesetzt bis auf einen Tisch. Neben diesem sitzt Dunkelstein mit einer jungen Frau. Abgetrennt und gegen den Hintergrund zu ein Raum mit Kartenspielern, Kiebitzen. Dort sitzen Friedell und Polgar. Ein Gast betritt das Lokal, nimmt den freien Tisch.
DER GAST: Ober! Das Wiener Schnitzel.
DUNKELSTEIN: In der Rembrandtstraße, Esther Rebenwurzel.
ESTHER: Fünfzehn russische Burschen. Dem Stalin entkommen. Wollen jetzt hier Bar Mitzwa nachholen.
DUNKELSTEIN: Na und?
ESTHER: Sie haben Moire.
DUNKELSTEIN: Und wieso fürchten sie sich?
ESTHER:(lächelnd) Sie haben keine Ahnung, wo Gott wohnt. Um den Kartentisch Friedell und Polgar. Ein Herr stürzt herein.
DER HERR: Grüße Sie, Herr Friedell. Verehrung, Herr Polgar. Wissen Sie, wer gestorben ist?
POLGAR: