Ein Bekenntnis - Theodor Storm - E-Book

Ein Bekenntnis E-Book

Theodor Storm

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Beschreibung

Ein Bekenntnis ist eine Erzählung von Theodor Storm. Auszug: Es war zu Ende des Juni 1856, als ich eine alte Verwandte zu ihrem gewöhnlichen Sommeraufenthalt in der Brunnenstadt Reichenhall begleitet hatte, diesem zwischen Felsen eingekeilten Brutnest, von dem man sich nur wundern muß, daß die Ortsleute nicht die Brunnengäste allein dort wohnen lassen. Trotzdem - wir waren gegen Mittag angekommen - als ich nach beendigter Hoteltafel erfuhr, daß meine gute Tante sich zunächst einem Mittagsschläfchen und danach dem Auspacken ihrer hohen Koffer und der Einrichtung in dem neuen Quartiere widmen wollte, trieb mich die Langeweile ins Freie, wenn auch der Sonnenschein wie Glut herabfiel. Ich nahm den einfachsten Weg und ging auf der den Ort durchschneidenden Chaussee einige tausend Schritte durch den Paß Lueg, der hier nach Tirol hineinführt. Aber der Tag wie der Ort waren heute zu heiß, zwischen den engen Felswänden waren selbst die Schatten unerträglich; ich kehrte wieder um und ging den Weg zurück. Am Ausgange des Passes durchschnitt ein strudelnder Wasserstrom den Weg; auf der Brücke, die darüber war, stand ich lange und blickte wie zur Kühlung in die unter mir sich vorüber wälzenden Wasser. Dann entschloß ich mich und ging wieder in den unerbittlichen Sonnenschein hinaus; der weiße Staub der Chaussee schimmerte und blendete, daß mir die Augen schmerzten. Als ich wieder im Orte war, bemerkte ich mir zur Rechten eine halb offene Gittertür in einer breiten Laubwand, dahinter einen weiten, mit vielen Bänken und Gartenstühlen besetzten Platz. »Ist das ein öffentlicher Garten?« frug ich einen mir entgegen schlendernden Burschen.

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Ein Bekenntnis

Ein BekenntnisAnmerkungenImpressum

Ein Bekenntnis

Es war zu Ende des Juni 1856, als ich eine alte Verwandte zu ihrem gewöhnlichen Sommeraufenthalt in der Brunnenstadt Reichenhall begleitet hatte, diesem zwischen Felsen eingekeilten Brutnest, von dem man sich nur wundern muß, daß die Ortsleute nicht die Brunnengäste allein dort wohnen lassen. Trotzdem – wir waren gegen Mittag angekommen – als ich nach beendigter Hoteltafel erfuhr, daß meine gute Tante sich zunächst einem Mittagsschläfchen und danach dem Auspacken ihrer hohen Koffer und der Einrichtung in dem neuen Quartiere widmen wollte, trieb mich die Langeweile ins Freie, wenn auch der Sonnenschein wie Glut herabfiel. Ich nahm den einfachsten Weg und ging auf der den Ort durchschneidenden Chaussee einige tausend Schritte durch den Paß Lueg, der hier nach Tirol hineinführt. Aber der Tag wie der Ort waren heute zu heiß, zwischen den engen Felswänden waren selbst die Schatten unerträglich; ich kehrte wieder um und ging den Weg zurück. Am Ausgange des Passes durchschnitt ein strudelnder Wasserstrom den Weg; auf der Brücke, die darüber war, stand ich lange und blickte wie zur Kühlung in die unter mir sich vorüber wälzenden Wasser. Dann entschloß ich mich und ging wieder in den unerbittlichen Sonnenschein hinaus; der weiße Staub der Chaussee schimmerte und blendete, daß mir die Augen schmerzten. Als ich wieder im Orte war, bemerkte ich mir zur Rechten eine halb offene Gittertür in einer breiten Laubwand, dahinter einen weiten, mit vielen Bänken und Gartenstühlen besetzten Platz. »Ist das ein öffentlicher Garten?« frug ich einen mir entgegen schlendernden Burschen.

»Der Kurgarten,« war die Antwort.

Ich trat hinein und blickte um mich her: es schien jetzt nicht Besuchszeit hier zu sein, nur einige Kindermägde mit ihren kleinen Scharen saßen drüben im vollen Sonnenschein; was sie mit den Kindern sprachen oder sich gegenseitig zuriefen, tönte hell über den weiten Platz. Da es aber ein gut Stück über Mittag war, so hatte derselbe auch bereits seine Schattenseite, und dort weiter hinauf unter einem der umgebenden Bäume saß auch schon einer der Brunnengäste, Grau in Grau gekleidet, mit einem breitrandigen Hut von derselben Farbe. Er hatte die Hände auf seinen Stock gestemmt und blickte unbeweglich in die weiße Luft, die über den Akazien an der gegenüber stehenden Seite flimmerte, als ob kein Leben in ihm wäre.

Ich hatte mich, ein paar Bänke vor ihm, unter eine breitblätterige Platane gesetzt und unwillkürlich eine Weile zu ihm hinüber gesehen. Plötzlich durchfuhr es mich, und meine Augen wurden groß: die stattliche Gestalt meines liebsten Universitätsfreundes, von dem ich über ein Jahrzehnt nichts gesehen und gehört hatte, war auf einmal vor mir aufgestanden. »Franz! Franz Jebe!« rief ich unwillkürlich. Er schien es nicht gehört zu haben; es war wohl auch eine Torheit von mir gewesen: der da drüben war wohl fast ein Fünfziger, ich und mein Freund aber waren immerhin noch in den letzten Dreißigern, an denen noch ein Glanz der Jugend schimmert.

Wir waren Landsleute, aber wir hatten uns erst als Studenten kennen gelernt. Er war einer von den wenigen, die schon auf der Universität von den Gleichstrebenden als eine Autorität genommen werden, was bei ihm, besonders hinsichtlich der inneren Medizin, auch von den meisten Professoren bis zu gewissem Grade anerkannt wurde. Im letzten Jahre war er noch Assistenzarzt auf einer Klinik für Frauenkrankheiten, wo es ihm einmal gelang, eine schon aufgegebene Operation glücklich zu vollenden. Was mich mit ihm verbunden hatte, war zum Teil ein von wenigen bemerkter phantastischer Zug in ihm, dem in mir etwas Ähnliches entgegenkam; die Arbeiten von Perty und Daumer über die dunklen Regionen des Seelenlebens ließ er, wenn auch unter manchem Vorbehalte, nicht verspotten. Nähere Freunde besaß er, außer etwa mir, fast keine. Die meisten, welche seiner Fakultät angehörten, schien es zu drücken, daß er so schnell und ruhig mit seinem Urteil fertig war, während sie noch an den ersten Schlußfolgerungen klaubten. Einen einfachen Menschen, in dem aber ein tüchtiger Mediziner steckte, frug ich eines Tages: »Was hast du gegen Franz Jebe, daß du ihm immer aus dem Wege gehst? Ich meine, daß er dich besonders respektiert.«

– Er schüttelte den Kopf.

»Du wenigstens«, fuhr ich fort, »brauchst dich doch durch seine Tüchtigkeit nicht zurückschrecken zu lassen!«

»Meinst du?« erwiderte er; »das ist ein eigen Ding einem Gleichalterigen gegenüber; aber das ist es doch eben nicht bei mir.«

– »Nun, und was sonst noch?«

»Er ist hochmütig!« versetzte er; »das sind keine Leute für mich. Noch gestern in der Klinik, es war ein eigentümlicher Fall von Diphtherie an einem Kinde, das die Mutter uns gebracht hatte. Ich hatte untersucht, und da Jebe dabeigestanden und zugesehen hatte, teilte ich ihm einfach, aber eingehend meine Ansicht mit. Meinst du aber, daß er mich dann auch der seinigen würdigte? Mit einem herablassenden Lächeln sahen mich seine scharfen Augen an; der Zug um seinen schönen Mund wollte mir nicht gefallen.«

So stand er zu den meisten seiner Fakultät; mit mir war es ein anderes: der Mediziner und der Jurist hatten keine Veranlassung, sich an einander zu messen, und so hatte ich denn bald herausgefunden, daß hinter jener Schwäche ein warmes und wahrhaftiges Herz geborgen sei.

Der graue unbewegliche Mann dort, es konnte kaum Franz Jebe sein; aber was war es denn, daß meine Augen sich immer wieder unwillkürlich zu ihm wandten. Es hielt mich nicht länger, ich sprang auf und schritt langsam ihm entgegen; so mußte er doch mich erkennen, der ich über die gewöhnlichen Veränderungen während reichlich eines Jahrzehntes eben nichts erlitten hatte.

Als ich zwischen ihn und das Stück Himmel trat, in das er wie ins Nichts hineinstarrte, wandte er, wie erschreckt, seine Augen auf mich, und ich fühlte, daß er mich erkenne; dann aber berührte er schweigend, wie zum Gruße gegen einen Unbekannten, den Rand seines Hutes und ließ plötzlich mit einer eigentümlichen Bewegung den Kopf herabsinken, die mir mit einem Mal jeden Zweifel nahm. Wie oft hatte ich dies an meinem Freunde wahrgenommen, wenn wir unter andern waren und ein Gespräch sich aufgetan hatte, von dem er nichts mehr hören wollte.

Ich trat auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter: »Franz!« rief ich; »du bist es doch; ich lasse mich nicht so leicht vertreiben!«

Langsam erhob er sein mageres Gesicht, und wieder sah er mich an, aber ohne Hast; und bald fühlte ich die Innigkeit, mit der seine Augen an den meinen hingen. »Du hast recht, Hans,« sagte er mit einer mir fast fremden Stimme und griff nach meiner Hand; »ich weiß es wohl noch, wir hielten damals ein Stück auf einander.«

»Ich denke, Franz, es ist wohl noch heute so!«

Er nickte und zog mich neben sich auf die Bank. »Du hattest mich überrascht, Hans; ich pflege hier allzeit allein zu sein; weiter war es nichts. Aber sprich, wie kommst du hierher, so weit von unserer Heimat, der du als echter Sohn eines alten städtischen Geschlechts so unerbittlich anhingst; bist du nicht mehr dort?«

»Doch – ich habe nur eine alte Tante hergebracht, die ebenso unerbittlich dem hiesigen Brunnen zugetan ist; das sind Herzensgeheimnisse. Aber du, Franz, du hast verspielt, wie man bei uns zu Haus sagt, seit wir uns nicht gesehen haben. Bist du krank und suchst du Heilung in diesem Höllenkessel?«

»Nun, nun,« entgegnete er; »es ist nicht alle Tage so! Ich bin nur hier, um allein zu sein, was zu Haus nicht möglich ist; und ob ich krank bin, das, mein Freund, ist so kurz nicht zu beantworten.«

»So laß es lang sein; wir haben uns ja fast fünfzehn Jahr nicht sprechen hören!«

»Ich fürchte, Hans,« erwiderte er, mich mit halbem Lächeln ansehend, »ich stehe wieder unter dem Bann deiner Liebenswürdigkeit; ich fühle auch: dir kann ich's sagen, ja, ich muß es, was kein Mensch von mir weder je erfahren hat, noch wird. Gehen wir nach meiner Wohnung; in meinem stillen Zimmer wird uns niemand stören, die grauen Schatten der Erinnerung können ungehindert um uns sen.«

Er blickte mich mit ernsten, trüben Augen an: »Nur einem nächsten Freunde kann ich es erzählen; denn Freude ist nicht dabei, ich kann nur eine Last auf deine Schultern legen.«

»So gehen wir,« sagte ich; »ich bin derselbe, den du seit lange kennst.«

Er stand mit einer elastischen Bewegung von seinem Sitze auf, und ich sah mit Freuden, die Gestalt zum mindesten war noch fast dieselbe wie in unserer Jugend. Was mich vor allem an ihm erschreckt hatte, verschwand freilich nicht, und während wir schweigend durch die Gassen schritten, grübelte ich vergebens, was seiner einst so metallreichen Stimme einen Laut beigemischt haben könne, der mich immer wieder an den traurigen Ton einer zersprungenen Glocke erinnerte.

Ich sollte es bald erfahren, denn schon waren wir in eins der ältesten Stadthäuser getreten, das mir Franz als sein zeitweiliges Heim bezeichnete. Sein Zimmer lag zu ebener Erde hinter einem kleinen Korridor; als wir eintraten, blendete mich fast die Dämmerung, die hier herrschte: ein paar Fenster mit kleinen Scheiben gingen auf einen scheinbar außer Gebrauch gestellten Hof, von dem die Seitengebäude jeden Sonnenstrahl abzuhalten schienen; altes Gerümpel, Zuber und Bretter und was noch sonst lagen umher und schienen trotz der draußen kochenden Sonnenhitze feucht zu sein von dem fortdauernden Mangel des Lichtes. In der einen Ecke stand ein alter dürftig belaubter Holunderbusch, auf einem seiner Zweige saß, in sich zusammengekrochen, eine Dohle und beschäftigte sich damit, die Augen bald zu schließen, bald wieder aufzumachen. Ich machte meinen Freund darauf aufmerksam.

»Störe sie nicht,« sagte er; »sie ist satt und will nun schlafen.« Dann tat er einen Schritt zur Tür, als wolle er den daneben hängenden Klingelzug ergreifen. »Du willst doch etwas trinken?« frug er.

Ich schüttelte den Kopf. »Wenn du dessen nicht bedarfst?«

»Ich nicht,« erwiderte er hastig und warf sich auf das harte Sofa; »und nun setze dich, Hans!«

Ich drückte mich neben ihm in die andere Ecke, aber er begann noch nicht. »Ich weiß nicht recht,« sagte er, sich mit der Hand über die Stirn fahrend, »wo ich mein schweres Bekenntnis ansetzen soll, nicht recht, wie früh das Leid begonnen hat.«

– »Bist du so zweifelhaft geworden, Franz?«

»Darüber, mein Freund,« entgegnete er, »magst du später urteilen; aber da du alles wissen sollst, so muß ich weit zurück, bis in meine letzte Primanerzeit.