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Regina hatte es in ihrer Kindheit nicht leicht. Als uneheliches Kind eines farbigen Vaters hatte sie viele Anfeindungen zu ertragen. Nun, da sie zu einer hübschen und tüchtigen jungen Frau herangewachsen ist, scheint man sie zu akzeptieren. Doch als sich der Erbe vom Reinerhof und Regina ineinander verlieben, sind alle alten Vorurteile wieder da. Die Situation wird bald so schlimm, dass Regina lieber das Dorf verlässt.
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LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2005
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titel der Originalausgabe: »Der Schandfleck von Perchta«
Titelfoto: Michael Wolf, München
Bearbeitung und Lektorat: Dr. Elisabeth Hirschberger, München
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
eISBN 978-3-475-54741-6 (epub)
Hans Ernst
Ein Kind der Liebe
Regina hatte es in ihrer Kindheit nicht leicht. Als uneheliches Kind eines farbigen Vaters hatte sie viele Anfeindungen zu ertragen. Nun, da sie zu einer hübschen und tüchtigen jungen Frau herangewachsen ist, scheint man sie zu akzeptieren. Doch als sich der Erbe vom Reinerhof und Regina ineinander verlieben, sind alle alten Vorurteile wieder da. Die Situation wird bald so schlimm, dass Regina lieber das Dorf verlässt.
Tobias Schuregger, der Bauer vom Rain, ging langsam, den Körper leicht dem sanften Streicheln des Septemberwindes entgegengeneigt, den schmalen Wiesenweg entlang. Ihm zur Rechten lag in einer sanften Mulde das Pfarrdorf Perchta mit dem überaus schlanken Kirchturm in der Mitte. Hinter ihm war das weite Land, mit den Moorwiesen dazwischen, und links zog sich sanft der Bergwald hinauf, über dem die blauen Felsen im Sonnenlicht schimmerten. Vor sich aber hatte er den sanften Hügelrücken, auf dem sein Hof, der »Rainerhof«, breit hingebettet lag.
Obwohl es schon Ende September war, waren die Tage noch warm durchglüht. In den Bauerngärten schimmerten in dem schon müd gewordenen Laub die reifen Äpfel und Birnen. Es war ein gesegneter Sommer gewesen, der seine Kraft noch mild ausströmte und sie an die Herbsttage verschenkte, so dass die Kinder um diese Zeit noch im Dorfweiher baden konnten. Freilich, über Nacht konnte diese Herrlichkeit schon zu Ende sein. Eine Reifnacht konnte die Wärme jäh dämpfen und die Tage nicht mehr zu solch lodernder Schönheit aufsteigen lassen.
Ein Bild von einem Mann war dieser Tobias Schuregger, obwohl er schon auf den Sechziger zuging. Sehnig, mehr Weidenrute als knorriger Baum, so schritt er dahin, ganz langsam, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Kopf gesenkt, als hätte er über etwas nachzudenken. Er dachte aber eigentlich über gar nichts nach, höchstens darüber, dass man morgen vielleicht in die Streu gehen könnte, da heute die letzten beiden Fuder Heu eingefahren waren. Es konnte auch sein, dass er darüber grübelte, wie friedlich sein Lebensabend nun doch geworden war nach all den Erschütterungen, die ihn heimgesucht hatten.
Er kam von den Apostelwiesen, die außerhalb des Dorfes lagen und wo sie heute das letzte Heu geerntet hatten. Diese Wiesen hatte er vor vielen Jahren billig als Moorgrund erworben. Einen großen Teil hatte er kultiviert, ein Drittel vielleicht war noch Moor, in dem sie in jedem Frühjahr ihren Bedarf an Torf stachen.
Es war etwa vier Uhr nachmittags. Die Sonne stand schon schräg über den Bergen. Marienfäden schwammen durch die Luft, und von irgendwo kam der Klang von Rinderglocken. Der Rainer sah die blau gestrichene Bank unter den Haselnussbüschen leuchten und setzte sich, nicht ohne vorher das blanke Messingschild auf der Lehne zu lesen, auf dem geschrieben stand, dass diese Ruhebank vom Raiffeisenverein Perchta gestiftet worden sei. Er selber, der Rainer, hatte auch so eine Bank gestiftet, die stand drunten im Dorf unter den Lindenbäumen in der Nähe des Pfarrgartens. Ach ja, man musste doch irgendwie auch mittun. Man musste sozusagen mit der Zeit gehen, man konnte nicht im alten Trott bleiben. Die Zeit hatte auch das Gesicht der kleinen Dörfer verändert. Man brauchte ja bloß hinschauen: auf jedem Dach blinkte eine Fernsehantenne oder eine Satellitenschüssel, die die ferne Welt in diese abgeschiedenen Dörfer hereinzauberten.
Die Hände zwischen den Knien gefaltet, schaute der Rainer über das Dorf hinweg in die dunstige Ferne. Dort zog sich der Schienenstrang der Eisenbahn hin, daneben schlängelte sich das breite Band der Straße. Von einer Seitenstraße bog jetzt ein Traktor mit zwei Fudern Heu auf das Dorf zu, am Lenkrad der Max, sein jüngster Sohn, ein schlank gewachsener Bursche, der einmal den Hof übernehmen sollte. Ein Sohn, der Anton, war bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der zweite Bub, der Andreas, der nach ihm auf den Hof Anspruch gehabt hätte, hatte in die Kreisstadt hineingeheiratet und betrieb dort ein Fuhrunternehmen mit drei Lastzügen und zwei Omnibussen. Er glaubte, mitleidig auf die armselige Bauernwelt herunterschauen zu können, in der es noch einen Vierzehnstundentag gab, trotz der modernen Maschinen, die man sich angeschafft hatte. Die Maschinen hatte Andreas besorgt, zu dessen Fuhrunternehmen eine große Reparaturwerkstätte und eine Vertretung für Landmaschinen gehörten.
Ja, ganz schön hatte sich Andreas in dieses renommierte Geschäft hineingesetzt. Die einzige Tochter, Gabriele Moser, hatte den stämmigen Bauernsohn vom Rainerhof zu Perchta geheiratet, der vom Fach genug verstand, weil er eine Mechanikerlehre abgeschlossen hatte. Zudem war Andreas ein heller Kopf und hatte einen Riecher für Geschäft und Geld.
Dem Rainer wäre es zwar lieber gewesen, wenn Andreas Bauer geworden wäre und die Steinhauser Margret geheiratet hätte. Na ja, zum Glück war der Max noch da, der mit großer Liebe am Bauernleben hing. Dreiundzwanzig Jahre war er im Mai geworden, und wenn er die richtige Bäuerin für die Einöde Rain fand, so konnte er jederzeit den Hof übernehmen. Tobias Schuregger gehörte nicht zu jenen Bauern, die das Heft erst aus der Hand geben wollen, wenn es gar nicht mehr anders ging. Er wollte von seinem Alter noch etwas haben, er und auch die Bäuerin, die stille und sanfte Julia Schuregger, geborene Kaffl, die er sich einst aus dem Loisachtal geholt hatte.
Das Heufuhrwerk bog jetzt beim Stecherbräu um die Ecke auf Rain zu. Der Traktor tuckerte lauter, weil es bergauf ging und Max auf einen kleineren Gang geschaltet hatte. Auf dem zweiten Wagen saß die neunzehnjährige Regina, »Regerl« genannt. Wie eine Königin auf einem Thron saß sie da, nur dass sie statt der Krone ein buntes Kopftuch trug.
Als sie aus der Schule gekommen war, hatte der Schuregger sie aus dem Häusl ihrer Großmutter, das außerhalb des Dorfes am Waldrand stand, auf seinen Hof geholt. Zuerst in die Küche zur Bäuerin, dann hatte Regina alle Stationen durchlaufen, und nun war sie eben die junge Magd auf Rain. Ein seltsames, unruhig getriebenes Geschöpf und doch ein ganz klarer, einfacher Mensch. Es waren nur die Leute, die so viel in sie hineindichteten und allerhand von ihr erwarteten, obwohl eigentlich gar nichts zu erwarten war, denn diese Regina Stadler lebte ihr Leben nicht anders als andere. Sie arbeitete von früh bis spät, war immer guter Dinge, sang mit ihrer etwas rauen Stimme und doch benahm sie sich in allem anders als die anderen. Sie war für Perchta lange Zeit nur der »Schandfleck« gewesen, und erst der Tobias Schuregger hatte sich mit seinem ganzen Gewicht und mit seiner ganzen Persönlichkeit vor ihr von allen Dörflern schief angesehenes Leben gestellt, vor ihre fremdländische Abstammung, vor ihre braune Haut, für die sie doch gar nichts konnte. Klara Stadler, ihre Mutter, war bald nach ihrer Geburt nach München verzogen, hatte sich dort recht gut verheiratet und den kaffeebraunen Wurm der Großmutter zurückgelassen. Mochte die nur sehen, wie sie zurechtkam mit dem Kind.
Schwere, dunkle Kinderjahre lagen hinter Regina, dem Mischlingskind. In der Schule hatte man sie gemieden, sie hatte nie Spielkameraden gehabt. Erst später, als sie schon zur Kommunion gegangen war und der Pfarrer sich ganz offensichtlich zu dem Mischlingsmädchen bekannte und ein paar Mal von der Kanzel herunter die Unvernunft und den Rassismus der Menschen scharf geißelte, wurde es besser. Als Regina dann zur Firmung gehen sollte, wollte sich kein Pate finden. Die alte Stadlerin hatte schon gar nicht erst den Mut, jemanden im Dorf zu bitten. Und doch bedurfte es nur eines Wortes des Herrn Pfarrers zur Rainerbäuerin und Regina hatte ihre Firmpatin, eine goldene Uhr und einen herrlich schönen Tag. Von da ab lag dann immer irgendwie schützend die Hand der Rainer über der Regina Stadler, bis man sie dann ganz auf den Hof holte. Dort wurde sie gleich von Anfang an nicht wie ein Dienstbote behandelt, sondern eher wie ein eigenes Kind.
Und so war Regina herangewachsen, war nun neunzehn Jahre alt und eine besondere Schönheit. Ihr Haar war nur leicht gekraust, schimmerte bläulich schwarz und ließ sich im Nacken zu einem Knoten winden. Ihre Haut war nicht brauner als die eines Menschen, der ständig in Luft und heißer Sonne stand. Die Augen standen fast hell in ihrer Bläue in dem schmalen, ovalen Gesicht mit der zierlichen Nase und dem vollen Mund, bei dem die Unterlippe ein klein wenig stärker war. Wenn sie lachte, hatte sie niedliche Grübchen in den Wangen und zeigte zwei Reihen so herrlich schöner Zähne, als wären sie aus kostbarem Porzellan.
Ja doch, sie war eine Schönheit geworden, ohne dass sie selbst oder die Leute am Rainerhof es gemerkt hätten.
Bei den Leuten im Dorf, bei den älteren wenigstens, blieb sie aber, wenn auch nicht mehr der »Schandfleck«, so eben doch die »andere«, von der man stets drei Schritte Abstand hielt, denn wer wüsste schon, was in »so einer« drinsteckt.
Immer noch saß der Schuregger auf der Bank, obwohl der Wind schon kühler geworden war. Wenn er zurückblickte, sah er über den Bergen schon die leise Ahnung des kommenden Abends wehen. Noch leuchtete zwar das Licht über den Gipfeln in hellem Glanz, aber es war schon nicht mehr so klar, ein rötlicher Schimmer, ein sanfter Goldhauch, erwartete seine Stunde, um sich in einem brennenden Abendrot über die Berge zu werfen.
Drunten im Dorf zeichneten sich schon die Schatten ab. Das Lärmen der Kinder im Dorfweiher wurde leiser, die drei Dorfratschen hatten sich von der Bank unter den Lindenbäumen erhoben und wanderten heimwärts. Das Lehrmädchen vom Kaufhaus Beermoser trieb mit einer Handkurbel den schützenden Sonnenschutz aus Segeltuch zurück. Das Kindermädchen vom Dr. Rambacher schob das hohe Kinderwägelchen über die Dorfstraße, stellte es beim Metzger Rambold ab und ging in den Laden.
Auf dem Friedhof sah der Schuregger eine alte Frau an einem Grab Unkraut jäten. Dann saß sie still auf dem Steinsockel und faltete die Hände, indessen der Wind ein paar welke Blätter des Ahornbaumes über die Friedhofsmauer hereinwehte.
Ja, alles war schon feierabendlich. Immer leiser wurden die Geräusche des Dorfes, und den Schuregger mutete es an, als wolle auch ihn Feierabendstimmung überkommen, so abendlich war die Ruhe in ihm, so ausgeglichen sein ganzes Leben. Es war alles so erfüllt, es harrten keine großen Aufgaben mehr auf ihn, der junge Baum, den er in die Welt gepflanzt hatte, sein Max, spross verheißungsvoll, und das beglückte den Vater bis in sein tiefstes Inneres. Es konnte ja gar nichts Bedrückendes mehr über ihn kommen, und wenn ihm jetzt der Max noch die passende Schwiegertochter ins Haus brächte, dann wäre von nirgendwoher noch ein Schatten oder eine Aufregung zu befürchten, gegen die er sich in altbewährter Weise zu stemmen hätte.
Er erhob sich und schlüpfte in den Wolljanker, den er bisher nur lose über die Schultern gehängt hatte, und ging heimwärts. Der Weg zog sich ganz sacht bergan, führte dann durch den weiten Obstgarten zum Hof hinauf. Hin und wieder blieb er stehen und betrachtete die bereits herabgefallenen Äpfel. Es waren noch nicht viele, immerhin, dachte er, muss morgen früh die Regina dieses Fallobst gleich auflesen. Das gab gutes Apfelmus.
Als er den Hof betrat, kam das Regerl gerade mit zwei gefüllten Eimern aus dem Haus und ging über den Hof, wo auf der anderen Seite bei der Remise der Schweinestall lag. Sie trug die schweren Kübel wie spielend, der rot karierte Rock schlug lustig um die braunen Beine, die weiße Bluse blähte sich fröhlich im Abendwind.
Die große Stube auf dem Rainerhof hatte fast das Ausmaß des Nebenzimmers beim Klinglwirt, in dem der Trachtenverein »Edelweiß« seine Plattler- und Tanzproben abhielt. Die Wände waren bis zur Hälfte hinauf mit Lärchenholz getäfelt. Vom gleichen Holz war auch die Decke, die von wuchtigen Balken getragen wurde. Der Boden war erst im Frühjahr neu gelegt worden und mit Schafwollteppichen bedeckt. Vom Herrgottswinkel her zog sich kleinblättriger Efeu bis weit über den Tisch hinaus an der Decke hin. Neben dem Tisch an der Wand hingen ein paar Fotografien, die die Eltern des Schureggers zeigten und in der Mitte den verunglückten Sohn Anton. Unter seinem Bild hing an einem schmiedeeisernen Haken ein handgroßes Kupferkesselchen mit Blumen.
Im Hintergrund, auf dem Sims des großen Bauernschrankes aus Eichenholz, blitzten Zinnteller. Rechts neben der Eingangstüre stand der große, wuchtige dunkelbraune Kachelofen mit der weißen Kuppel, der von der Küche aus geheizt wurde. Zwischen dem Ofen mit der um ihn herumlaufenden Bank und dem Lederkanapee stand auf einem Tischchen der Fernsehapparat, und über dem Kanapee hing zwischen zwei Jagdgewehren ein Ölgemälde vom Königsee mit dem Kirchlein von St. Bartholomä. Alles zusammen wirkte blitzsauber, und es war nicht übertrieben, wenn die Leute sagten, auf dem Rainerhof könne man vom Boden essen.
Der Rainer saß am Tisch und las die Zeitung, den »Rottenbacher Heimatboten«.
Durch das kleine Fenster im Hintergrund, durch das man aus der Küche die Speisen hereinreichen konnte, hörte man das Scheppern von Geschirr, eine Schlagermelodie aus dem Radio, deren Text die Regina mitsang. Ihre Stimme klang immer so, als wenn sie ein wenig heiser wäre.
Da kam der Max in die Stube, frisch gewaschen und gekämmt und in Hemdsärmeln. Er setzte sich an den Tisch.
»Hast ein Stück von der Zeitung für mich, Vater?« Der Alte schob ihm ein Blatt hinüber.
»Der Birkl von Mosbach ist gestorben. War gar nicht so alt. Vierundfünfzig erst. Hat halt immer gern ein bissel zu viel getrunken, der gute Birkl.«
»Was kann man da schon sagen«, meinte der Max. »Der eine trinkt und raucht und wird alt dabei, und den anderen erwischt’s halt früher. Wenn für einen Menschen die Zeit aus ist, dann ist sie halt aus.«
Der Max begann zu lesen, hob aber nach einer Weile schon wieder den Kopf und horchte.
»Singt die falsch! Grad wie ein verrostetes Reibeisen!« Der Schuregger lachte. »Ja, im Chor könnten sie’s nicht brauchen, unser Regerl. Aber alles muss ja der Mensch nicht können.«
Jetzt kam die Bäuerin herein. Sie war groß, ein bisschen füllig, aber immer noch eine schöne Frau mit ihrem Silberhaarscheitel und den über der Stirn gewundenen Zöpfen, um die ein schmales, schwarzes Samtband lag. Die Zöpfe waren noch nicht ganz so silbern wie das Haar an den Schläfen und der Scheitel, aus ihnen schimmerte noch etwas dunkel, und man konnte erraten, dass die Bäuerin Julia einmal pechschwarzes Haar gehabt haben musste.
»Wie wär’s jetzt mit euch zwei?«, fragte sie freundlich lächelnd. »Kann ich den Tisch decken?«
Die beiden zogen ihre Zeitung zurück, und die Mutter breitete ein weißes Tischtuch aus. Teller und Bestecke wurden auf ihren Platz gelegt, und dann kam auch schon das Regerl herein mit der dampfenden Suppe. Hinter ihr her schlich, krumm und gebeugt, der alte Sepp, lehnte seine Pfeife beim Ofen an eine der Kacheln und dann schob er sich hinter den Tisch.
Weit über die Siebzig war er schon, der Sepp. Er hatte auf dem Rainerhof freie Kost und Logis, hatte seine Rente und verrichtete noch so kleine Arbeiten. Außer ihm war nur die Theres noch da, ebenfalls schon alt, die zur Zeit noch auf der Alm war mit dem Vieh. Aber in etwa vierzehn Tagen würde sie heimkommen.
Sie aßen schweigend und nur der Bauer warf zuweilen ein Wort hin.
»Morgen früh gehen wir in die Streu«, sagte er einmal. »Ich denke, dass es trocken ist, sodass wir mit der Maschine mähen können.«
Der Max nickte und nahm sich noch einen Schöpflöffel voll Kraut heraus. Dazu gab es frische Leber- und Blutwürste vom Metzger Rambold.
»Dazu braucht ihr aber das Regerl nicht?«, fragte die Bäuerin.
»Nein, die kannst du schon fürs Haus haben. Hast Waschtag?«
»Die oberen Zimmer müssen wieder einmal gestöbert werden.«
Das Essen war nun beendet und das Regerl trug das Geschirr in die Küche.
Der Max drehte jetzt den Fernseher an. Die Abendschau war recht interessant und auch die Nachrichten. Danach schaute man noch ein bisschen in die folgende Sendung hinein, dann streckte sich der Schuregger und gähnte.
»Stell doch den Schmarrn ab.« Für ihn war so ziemlich alles ein Schmarren, was nicht mit Landwirtschaft zusammenhing. Der Sepp schlief sowieso schon bei den Nachrichten immer ein. Bloß die Frauen konnten sich oft nur schwer von der Mattscheibe trennen, wenn ein Film kam. Heute konnte aber die Rainerin dem Fernsehspiel »Leuchtende Spuren« auch kein rechtes Interesse abgewinnen und stand nach einer Viertelstunde schon auf.
»Bleibt nicht gar zu lang auf«, sagte sie und nestelte vor dem Spiegel das schwarze Samtband herunter. »Morgen heißt’s früh aufstehen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Mutter.«
»Gute Nacht, Bäuerin«, flüsterte das Regerl.
Der Max und das Regerl saßen nun allein in der Stube nebeneinander auf der Bank. Die große Lampe beim Tisch war ausgedreht, nur eine Wandleuchte brannte noch. Sie starrten auf den Bildschirm.
Ein Mädchen mit langem Haar ging zum Strand und legte sich in den Sand. Ein groß gewachsener Mann folgte ihr, setzte sich neben sie und verschränkte seine Hände um die aufgezogenen Knie. Ganz allein waren sie. Das Meer rauschte und schlug seine Wellen heran. Ganz weit draußen zog ein Segelboot dahin, und einmal flatterte eine Möwe über die beiden hin.
»Sabine«, sagte jetzt der Mann, »so geht das doch nicht weiter. Du hast meine ganze Leidenschaft geweckt, und nun weichst du mir dauernd aus.«
Das Mädchen am Strand hatte die Augen geschlossen und sprach jetzt sehr viel. Sie beschuldigte den Mann des Treuebruchs. Er leugnete es. Sie stritten miteinander, versöhnten sich und küssten sich. Das dauerte lang, und der Max sagte: »Friss sie nur nicht auf!«
Das Regerl getraute sich kaum zu atmen. Sie war bis ins Innerste angerührt von dem Geschehen auf dem Bildschirm. Ihre Augen leuchteten im zagen Dämmerlicht, ihr Mund war leicht geöffnet.
»Ich liebe dich unendlich«, flüsterte der Mann am Meer. Das Regerl nickte dazu. Und als der Mann jetzt noch hinzufügte: »Ich wüsste nicht, wie ich ohne dich noch leben sollte«, da knurrte der Max:
»Wie man nur so hirnrissig sein kann! Gibt doch andere genug.«
Später speisten die beiden vom Bildschirm in einem feinen Restaurant. Das Mädchen hatte ein wunderschönes Kleid an und der Mann trug einen schwarzen Anzug mit einer Fliege am Hals. Sehr elegant war alles. Sie fuhren in einem Fahrstuhl hinauf, der Mann begleitete das Mädchen bis vor ihre Zimmertür. Dort küssten sie sich wieder. Dann ging das Mädchen hinein, und man hörte, wie ein Schlüssel umgedreht wurde.
»Ich hab mir schon gedacht, sie lässt ihn mit hinein«, sagte der Max. »Aber sie ist, scheint’s, doch nicht so leicht zu haben.«
In diesem Augenblick wurde um die Ecke des Hotelflurs eine Hand mit einem Revolver sichtbar, auf den Mann gerichtet.
Erschrocken stieß das Regerl einen Schrei aus und barg ihr Gesicht an Max’ Schulter. Sie sah nicht mehr hin, als der Schuss krachte, nur ihre Hände krallten sich angstvoll an die Schulter des Burschen, der auf einmal dasaß wie zu Stein erstarrt und erst nach einer Weile sagen konnte:
»Geh, Regerl, das ist doch bloß ein Film! Und überhaupt, er hat ihn ja gar nicht getroffen.«
Vorsichtig löste das Regerl ihr Gesicht wieder von seiner Schulter. Aber merkwürdigerweise schaute sie nicht auf den Bildschirm hin, sondern direkt in Max’ Augen hinein, so, als wollte sie erforschen, was er nun darüber dächte, dass sie sich voller Angst an seine Schulter gepresst hatte.
Es war merkwürdig. Eine leise Verwirrung hatte den Max befallen. Er spürte den Atem des Mädchens in seinem Gesicht, ihre Augen sahen ihn so sonderbar an, wie Hilfe suchend vor etwas, was sie selber nicht begriff. Er hatte aber auch nicht den Mut und auch nicht den Wunsch, ihre Hände von seinen Schultern zu lösen. Er spürte sie jetzt auch kaum mehr. Sie lagen ganz sanft, wie müde Vögelchen, auf ihm. Bis er sich endlich aufraffte und mit einem befreienden Lachen sagen konnte:
»Nein, so was Komisches!« Er stand auf und zog seine Bundhose hoch, eine Angewohnheit, die ihn immer überfiel, wenn er verlegen war.
Die Regina saß noch wie angewurzelt. »Lässt mich jetzt allein?«, fragte sie schüchtern.
»Ja, weil ich weiß, wie es ausgeht. Zum Schluss kriegen sie sich doch. Das ist halt einmal so im Film.« Ja, recht altklug redete er, mit vorgespielter Sicherheit, denn irgendetwas Fremdes hatte ihn berührt.
»Immer kriegen sie sich nicht«, sagte das Regerl leise.
»Aber meistens. Sonst sind die Leut nicht zufrieden, wenn es kein Happy-End gibt.«
Er verglich jetzt seine Taschenuhr mit der Wanduhr. Dann ging er, um wie jeden Abend im Stall noch einmal nachzuschauen. Als er zurückkam, war das Licht in der Stube ausgeschaltet und das Regerl bereits nach oben in ihre Kammer gegangen. Für ihn hatte sie nur das Flurlicht brennen lassen. Als er an ihrer Kammertür vorbeiging, sah er das Licht durch eine Spalte am Boden scheinen. Und wieder musste er vor sich hinlächeln.
»Nein, so was Komisches! Was kann denn das bloß gewesen sein? Und wie sie gezittert hat.«
Der Max lag schon lange im Bett und konnte doch nicht einschlafen. Er schimpfte sich selber einen Narren, weil er immerzu an das denken musste, was da drunten in der Stube gewesen war, und dass er den Duft ihrer Haut noch nie so wahrgenommen hatte.
Wieder wälzte er sich auf die andere Seite.
Nein, er wurde nicht so leicht fertig, der Max, mit dem, was da so unverhofft auf ihn zugekommen war. Noch nie war ein Mädchen in seinen Armen gelegen, und es war alles voll beunruhigender Fremdheit für ihn; der leuchtende Blick ihrer Augen, ihre warme Haut an der seinen, ihr junger, blühender Mund. Irgendwie war er aufgeschreckt worden, der Max Schuregger.
Die Glocken von Perchta schickten ihren harmonischen Klang über die Hügel und riefen die Menschen zum sonntäglichen Hochamt. Der Rainer saß in der Küche und las Zeitung. Er hörte die Glockenklänge am Fenster vorüberschweben, aber es pressierte ihm nicht, er hatte noch Zeit.
Hinter ihm hantierte das Regerl am Herd. Die Bäuerin war in die Frühmesse gegangen. Darin wechselten sie immer ab, die Bäuerin und das Regerl.
Die Küche war groß und um den Herd herum weiß gekachelt. Die Kupferkannen und Tiegel, die über dem Herd an der Wand hingen, dienten heute mehr der Zierde als dem Gebrauch. Sie funkelten wie altes Gold.
»Du bist halt eine«, lobte der Rainer Regina wieder einmal. »Auf dich ist halt Verlass in allem.«
»Geh«, lachte sie. »Ich tu doch auch bloß meine Arbeit.«
»Ja, aber wie du sie tust, das ist es, Regerl! Die Bäuerin sagt oft, wie sehr sie sich auf dich in allem verlassen kann. Wenn ich dran denk, dass sich einmal einer in dich verliebt und dich dann heiratet. Du – da wären wir sauber aufgeschmissen!«
Das Regerl starrte einen Augenblick wie erschrocken vor sich hin. Dann lachte sie schon wieder.
»Geh, wer sollt denn mich schon mögen hier in der Gegend, mit meiner braunen Haut!«
»Sag das nicht! Bei dir muss man schon zweimal hinschaun, um zu erkennen, dass es nicht Sonnenbräune ist. Hast halt doch auch viel von deiner Mutter mitgekriegt.«
»Trink jetzt Kaffee«, unterbrach das Regerl ihn. Der Max kam auch gerade herein, schon fertig angezogen für den Kirchgang. Er hängte die graue Lodenjacke an die Tür und rieb sich die Hände.
»Gibt’s schon Kaffee?«
»Als ob das Regerl uns schon einmal hätt warten lassen!«
Zu dritt saßen sie dann am Tisch, als die Bäuerin von der Frühmesse zurückkam.
»Ah, ihr sitzt schon beim Kaffee? Das ist recht.« Sie legte Gebetbuch und Hut ab und setzte sich auch an den Tisch. Das Regerl schenkte ihr ein und schob ihr den Teller mit dem Gugelhupf hin.
»Was gibt’s denn Neues?«, wollte der Rainer wissen. »Hab nicht viel erfahren heut«, meinte die Bäuerin. »Beim Schuler ham s’ gestern eine Kuh notschlachten müssen, und die alte Bernhuberin hat der Pfarrer versehen.«
»Muss ja schon bald neunzig sein?«, meinte der Rainer.
»Zweiundneunzig«, wusste die Rainerin. »Den Neunziger hat sie doch schon gefeiert, als unser Andreas geheiratet hat.«
»Richtig! Schau nur grad, wie die Zeit vergeht! Zwei Jahr ist das schon wieder her.«
Sie hatten das Frühstück beendet. Der Max war der Erste, der ins Dorf hinunterging. Der Rainer folgte ihm wenig später, und als Letzte machte das Regerl sich auf den Weg.
Sie trug ein bläulich schimmerndes, eng anliegendes Kostüm mit einer hellen seidenen Bluse. Der dunkle Schopf im Nacken war mit ein paar Silbernadeln zusammengehalten.
»Dann geh ich jetzt, Bäuerin.«
Die Rainerin nickte wohlgefällig. »Gut schaust aus, Regerl! Und wenn du nach der Kirch zu deiner Großmutter gehen willst, bleib nicht zu lang, um zwölf Uhr wird gegessen.«
»Zur Großmutter geh ich erst am Nachmittag. Ich komm nach der Kirch gleich heim und helf dir den Salat putzen.«
Vom Fenster aus schaute die Rainerin dem zierlichen Geschöpf nach und musste sich unwillkürlich fragen, warum die Hautfarbe eines Menschen eine so große Rolle spielte. Hier wirkte so ein kaffeebraunes Geschöpf wie ein Fremdkörper. So ein Mensch stand doch irgendwie außerhalb der Gemeinschaft. Darum war die Rainerin diesem Regerl in aller Güte zugetan. Es war ihr immer so, als müsse sie dieses Mädchen für ihre armselige Kindheit entschädigen und für alles, was sie in ihrem Leben aufgrund ihrer Hautfarbe erleiden musste.
Seufzend wandte sich die Rainerin vom Fenster ab und nahm das Fleisch aus dem Kühlschrank.
Das Regerl war auch längst schon hinter der ersten Hügelwelle verschwunden.
Das Hochamt war zu Ende, die ersten Männer kamen aus dem Portal, setzten ihre Hüte auf und strebten eilig dem Stecherbräu zu, weil sie wussten, dass die Wirtin schon ums Wandlungsläuten die Weißwürste einlegte, damit danach keiner lange zu warten brauchte. Wie leicht konnten die Würste aufreißen, wenn man sich nicht beeilte.
Das waren zunächst die Bauern und diejenigen, die über ein gewisses Alter schon hinaus waren und es nicht mehr passend fanden, sich nach der Kirche beim Kaufhaus Beermoser auf die Staffeln zu stellen, um die »Parade« abzunehmen.
Ja, dort stand eine ganze Traube von jungen Burschen beieinander, darunter auch der Rainer Max. Wortführer schien hier der Flori vom Mechaniker Straßer zu sein, ein untersetzter, sommersprossiger Bursch, mit lustigen Augen und einem schlagfertigen Mundwerk.
Darin stand ihm der Valentin Herbst von der Molkerei nicht viel nach. Er machte seinem Namen insofern Ehre, als er dreinschauen konnte wie ein regnerischer Herbsttag, wenn er die schweren Milchkübel von der Molkereirampe in den Milchwagen, der dem Frühzug angekoppelt war, hinüberwuchtete. Sein Gesicht hellte sich nur auf, wenn er dann beim Vorüberfahren des Zuges die blonde Fini Tanzer am Fenster lächeln sah. Er war ein bisschen von sich eingenommen und bezog das Lächeln auf sich, obwohl es dem Molkereiverwalter galt, der hinter dem Fenster der Molkerei stand und ein Kusshändchen andeutete.
Dazu hatten sich der Moser Pepi gesellt, dessen Vater eine kleine Limonadenfabrik hatte, der Simon Leimer, seines Zeichens Landbriefträger, und der Schildberger Franz.
So standen sie also da und redeten durcheinander, als das Regerl vorbeikam, den Kopf schüchtern gesenkt, die Handtasche fest unter den Arm geklemmt. Eigentlich ging sie sonst immer durch das schmale Gässchen zwischen Mesnerhaus und Stecherbräu. Doch heute hatte sie die Auslagen im Kaufhaus Beermoser anschauen wollen. Als sie aber das Rudel Burschen dort stehen sah, ging sie vorbei. Sie schenkte nur dem Max ein zaghaftes Lächeln, so dass sich der Flori gleich nach dem Max umdrehte.
»Hat das jetzt mir gegolten oder dir?«
»Vielleicht hat sie deine Sommersprossen angelacht«, meinte der Moser Pepi.
Alle lachten, und der Flori sagte:
»Frag halt den Max, der muss es ja wissen.« Interessiert schauten sie alle hinter der Regina her, die jetzt schneller zu gehen begonnen hatte. Der Valentin Herbst seufzte vernehmlich.
»Wie die wohl küssen kann!«
»Das müsste eigentlich der Max wissen«, stichelte der Flori.
Dem Max war zumute, als hätte er einen Schlag eingesteckt. Er schluckte ein paar Mal und merkte gleich, dass er es doch nicht hinunterschlucken konnte. Mit dem Ellbogen schob er den Valentin zur Seite und stand dann vor dem Flori.
»Was soll ich wissen?«
»Geh«, meinte der Flori und schielte auf Max’ geballte Fäuste nieder. »Man wird doch noch einen Spaß machen dürfen.«
»In solchen Sachen versteh ich keinen Spaß«, zischte der Max. »Von dir schon gleich gar nicht, Florian! Und wenn du dein dreckiges Maul schon wetzen willst, dann aber nicht beim Regerl.«
»Ist schon recht«, sagte der Flori kleinlaut.
»Anschaun wird man sie doch noch dürfen«, maulte der Moser Pepi. »Mehr darf man sich sowieso nicht erlauben bei so einer.«
Max’ Stirn zog sich in Falten. »Was heißt bei so einer?«, fragte er scharf.
»Na ja, schließlich weiß man ja, von wo sie abstammt«, sagte der Valentin Herbst und reckte sich in den Schultern. »Du brauchst dich gar nicht so aufzuregen, Max. Die ist genau wie jede andere. Vielleicht heißblütiger. Das liegt halt an ihrer Abstammung, weißt. Und das ist, wenn man es richtig betrachtet, eine Tragödie. Da wächst so ein Geschöpf her, braun wie Nussbaumholz und schön wie eine fremde Blume, und man darf sie nicht pflücken. Oder doch pflücken und danach gleich wieder wegwerfen, bevor etwas bekannt wird und weil man ja schließlich seinen Charakter wahren muss, nicht wahr?«
»Da brauchst du nicht recht viel zu bewahren«, sagte der Max voller Verachtung. »Du bringst deinen Charakter leicht in einem Fingerhut unter.«
Der Valentin drehte sich mit einem Ruck herum.
»Was sagst du da?«
Der Max schob ihn wütend beiseite.
»Geh mir aus dem Weg, du Hanswurst!«
Der Valentin riss den Arm hoch, aber blitzschnell versetzte der Max ihm einen Wischer auf die Nase. Dann schob er seinen Hut aus der Stirn und ging davon.
Verdutzt standen die anderen da. Der Valentin hob die Hand unter seine Nase und fing das Blut auf. Der Moser Pepi riet ihm:
»Lass dir einen Eisbrocken geben und leg ihn ins Genick, dann hört das Bluten gleich auf.«
»Das zahl ich ihm heim«, schwor der Valentin.
»Geh, was willst denn, der zerdrückt dich ja zwischen Daumen und Zeigefinger!«, spöttelte der Simon und der Flori zog seine Schlüsse auf seine Art.
»Wenn ihr mich fragt, dann hat der Max die kaffeebraune Schönheit schon im Arm gehabt. Umsonst hat er sich nicht so aufgeregt. Wär ja kein Wunder, Gelegenheit haben sie ja genug!«
Sie lachten, und der Valentin hatte nun endlich mit dem Taschentuch das Blut zum Stillen gebracht.
»Da trinkst jetzt ein paar Schoppen Rotwein, dann hast das verlorene Blut gleich wieder ersetzt«, riet ihm der Moser Pepi.
»Milch wär noch besser«, lachte der Flori.
Der Max ging langsam bergauf. Er hatte den Hut abgenommen, und der Wind fächelte in seinem Haar. Es war kein überwältigend schöner Tag heute. Lange, dünne Wolkenfahnen zogen am Himmel dahin, die Berge standen ganz nah und dunkelblau. Der Weg führte ein kurzes Stück neben einem Bach entlang, dann durch einen kleinen Fichtenschlag, und genau dort saß das Regerl auf einem Holzstangenhaufen und schaute in das klare, sprudelnde Wasser des Baches.
Ab und zu war Max stehen geblieben und hatte mit gefurchter Stirn vor sich hingeschaut. Er war nicht mehr ganz so unbeschwert wie vorhin. Seit er mit dem Regerl in der abendlichen Stunde in der Stube vor dem Fernseher gesessen war, hatte sich etwas in ihm geändert. Seitdem hatte er sich manchmal ertappt, wie er heimlich hinter ihr herstarrte, wie er auf ihre Bewegungen achtete, auf den Klang ihrer Stimme horchte, die sich manchmal anhörte, als spräche ein Bub, der im Stimmwechsel war. Auch war nicht zu leugnen, dass er sich dem Gedanken hingegeben hatte, das Regerl zu küssen und von ihr wiedergeküsst zu werden. Er wunderte sich dann, dass er das noch nie getan hatte, dass erst diese seltsame Abendstunde hatte kommen müssen, um plötzlich wie verwandelt zu sein und voller Wünsche.
Wie hatte der Valentin gesagt? Eine fremde, schöne Blume, die man pflückt und danach gleich wegwirft.
Gerade das war es doch, was ihn so in Zorn versetzt hatte. Und sie konnten es nun schon ahnen, dass er sich nicht umsonst schützend vor die Ehre des Regerl gestellt hatte, dass doch etwas dahinter sein musste. Aber waren denn der Flori und der Simon, und wie sie alle hießen, schon so abgebrüht, dass sie über die Liebe in solch einem wegwerfenden Ton reden konnten? Er hatte sich darunter immer was anderes vorgestellt. Nichts himmelhoch Jauchzendes, weil das nicht hineinpasst in seine nüchterne Bauernwelt, aber immerhin etwas Starkes und Schönes, das den Menschen aus seinem Alltag heraushebt.
Max ging weiter und sah auf einmal das Regerl auf dem Holzstangenhaufen sitzen. Im ersten Augenblick erschrak er.
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