Ein Physiker und eine Philosophin spielen mit der Zeit - Harald Lesch - E-Book

Ein Physiker und eine Philosophin spielen mit der Zeit E-Book

Harald Lesch

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Beschreibung

Zeit: wo geht sie hin? Sie umgibt uns und ist doch schwer zu erklären. Sie strukturiert Privatleben und Beruf durch Terminvereinbarungen, Produktionsvorgaben und halbjährliche Zeitumstellung. In diesem faszinierenden und kurzweiligen Buch werden Fragen rund um das rätselhafte Phänomen "Zeit" erörtert und durchgespielt. Der Astrophysiker Harald Lesch, der Zeitforscher Karlheinz Geißler und die Philosophin Ursula Forstner besprechen anschaulich Fragen der Quantenmechanik, Relativitätstheorie und Kosmologie, aber auch kulturhistorische Aspekte: Seit wann und wie messen wir eigentlich die Zeit, wie hat sie unser Wirtschaften ermöglicht und welche Folgen hat das bis heute? Und es kommt der Naturphilosoph Alfred N. Whitehead ins Gespräch. Er hat sich auch mit den Teilen der Realität befasst, die sich nicht messen lassen, die zeitunabhängig sind. Es geht um "Zeit" im Mittelalter und in der Neuzeit, um Sonnenuhren und Computer an unseren Handgelenken, um Kulturen, die ohne Uhr auskommen, um Dauer und Augenblick. Nehmen Sie Teil an diesen spielerischen, dabei höchst alltagsrelevanten Gesprächen. Sie werden danach befreit mit Ihrer Zeit umgehen! >> Annäherungen an das rätselhafte Phänomen Zeit >> physikalisch, philosophisch und alltagsrelevant

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Harald Lesch

Ursula Forstner

Ein Physiker und eine Philosophin spielen mit der Zeit

Mit einem Vorwort von Karlheinz A. Geißler

Patmos Verlag

Inhalt

Eine Frage der Zeit Vorwort von Karlheinz A. Geißler

Gespräche über Zeit

Aus der Zeit gefallen

Zeit gibt es nicht

Zeit gibt es doch – aber anders

Wo ist die Zeit?

Die Zeit muss landen!

Zeit im »Hochstapelregal« der Physik

Noch im Mittelalter?

Wir leben in Zeiträumen, nicht in Zeitpunkten!

Im Märzen der Bauer …

Ist die Zeit teilbar?

Zeit ist aufeinanderfolgendes Werden

Zeit ist atomar!?

Kommt die Zeit in Paketen?

Was wir messen können – oder auch nicht

Jetzt aber mal exakt!

Die Zeit ist grau geworden

Die Zeit ist bunt!

Unsterbliche Vergangenheit: Einheitsbrei oder Abenteuer?

Vom kreativen Sturz in die Zukunft

Es wird schon irgendwas kommen …

Der Blick in die Zukunft

Zukunft 4.0 – die Abstraktion wird immer abstrakter

Fußnoten zu Platon

Alles fließt: Teil I

Stehende Gewässer der Zeit

Alles fließt: Teil II

Irgendetwas passiert immer!

Die Gottesfrage? Vertagt!

Takt und Rhythmus

Es dauert, solange es dauert!

Whitehead, warum er? Schlusswort von Harald Lesch

Literatur

Glossar

Anmerkungen

Über die Autorin und die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Eine Frage der Zeit Vorwort von Karlheinz A. Geißler

Zeit ist eine Trivialität. Keine Trivialität aber ist es, über sie nachzudenken, sie zu diskutieren und von ihr zu reden.

Zeit ist für die Menschen, was das Wasser für die Fische ist. Sie schwimmen darin, ohne sich Gedanken zu machen, in was sie sich da eigentlich bewegen. Was die Menschen jedoch von den Fischen unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, sich über jenes ­Element, in dem sie sich bewegen, Gedanken zu machen.

Nichts ist uns selbstverständlicher als die Zeit, und trotzdem machen wir uns nur relativ selten grundlegende Gedanken über sie. Wer das jedoch tut und sich traut, den eigenen Zeit­horizont dabei zu überschreiten, wird relativ rasch feststellen, dass »Zeit«, wie auch die Liebe und das Vertrauen, zu jenen flimmernden, undurchschaubaren und unfassbaren Phänomenen gehört, deren Gehalt und Bedeutung einem mehr und mehr entgleitet, je näher man ihnen kommt.

Der Mensch besitzt keinen Zeitsinn. Ein Mangel, der ihn zwingt, sich von der Zeit Bilder zu machen, sich die Zeit vorstellen zu müssen. Die Vorstellungen von der Zeit, die nicht nur Vorstellungen bleiben, sondern auch das Zeithandeln prägen und beeinflussen, haben sich im Laufe der Zivil­isationsgeschichte immer wieder verändert. Diese Ver­änderungen gingen von unterschiedlichen Mächten aus, von der weltlichen Herrschaft, den Kirchen und jenen einflussreichen Personen, die im Bereich der Wirtschaft das Sagen hatten. Wer in der abendländischen Zeitkultur in den letzten 500 Jahren nach einem Ab- und einem Vorbild für Zeit Ausschau hielt, wurde regelmäßig darauf verwiesen, dass die Zeit in der Uhr abgebildet ist. Was schließlich u. a. dann dazu führte, dass Zeiterfahrungen, die nicht mit der mechanisch hergestellten Zeit der Uhr in Einklang standen, zu Zeitproblemen wurden.

Zwischen dem, was wir uns unter Zeit vorstellen, und dem, was Zeit tatsächlich ist, liegt ein breites Feld weitreichender Unbestimmtheit. Wie bis dato niemandem der Nachweis gelang, dass es Engel wirklich gibt, so fehlt auch der abschließende Beweis für die Existenz der Zeit. Bewiesen ist bis heute jedoch ebenso nicht, dass es die Zeit und die Engel nicht gibt. Kurzum: Geht’s um Zeit, ist noch vieles offen und ein ganze Menge unklar.

Meine sechsjährige Enkelin Lou erklärt mir auf meine Frage, wie sie sich »Zeit« vorstellt: »Die Zeit, die gibt’s gar nicht, die gibt’s nur im Gehirn – gleich neben den Träumen.« Besser kann man nicht beschreiben, dass Zeit eine Vorstellung ist. Der italienische Kulturjournalist Armando Torno sieht in ihr ein trügerisches Phänomen: »In der Schweiz wird sie hergestellt, in Frankreich steht sie still, in Italien verschwendet man sie, in Amerika gilt sie als Geld, in Indien gibt es sie nicht. Für mich ist die Zeit ein Trug« (La truffa del tempo, Milano 2000). »Trug oder nicht Trug?«, das ist die Frage, die die Zeit uns immer wieder von Neuem stellt. Deshalb müssen wir über sie reden und diskutieren und uns über sie streiten, obgleich es wahrscheinlich ist, dass sich, was »Zeit« wirklich ist, erst aus dem Grab heraus genauer beschreiben lässt. Von dort aber ist bisher noch keine Hilfe angekommen. Halten wir es daher weiterhin mit Aristoteles, für den die »Zeit« das ist, was nicht gedacht werden kann, aber zu denken gibt.

Whitehead ist einer jener Geistesgrößen, der Gedanken, Vorstellungen und Begriffe entwickelte, die die Tiefe, die Vielfalt und die Reichhaltigkeit unseres Zeitverständnisses und unserer Zeitsicht aufschließen und erweitern. Er zählt zu den heute rar gewordenen Personen, die Diskussionen und Gespräche nicht dann für gelungen halten, wenn sie schnell beendet sind. Deshalb auch, und das macht das Anregungspotenzial von Whiteheads Überlegungen und Ausführungen aus, überschreitet sein Nachdenken über »Zeit« häufig die Grenzen zwischen Wissenschaft und Leben und hin und wieder auch die zwischen Wissenschaft und Kunst. Dogmatische Wahrheitsansprüche sind ihm fremd. Zeit ist für ihn keine einfache Reihe von Zeitpunkten, wie wir uns diese, verführt durch die Uhrenlogik und auch zuweilen durch die Naturwissenschaften, gewöhnlich vorstellen. Whitehead revidiert unser wirkmächtiges mechanistisches Bild von »Zeit« mit dem Hinweis, dass diese sich nicht unabhängig von Ereignissen betrachten und verstehen lässt. Zeit ist mehr als das, was die Uhr misst, und auch mehr, als der »Uhrzeitmensch« daraus macht.

Whitehead ist ein Liebhaber des Dazwischen. Sein Denken oszilliert zwischen Abstraktem und Konkretem, zwischen Ernsthaftigkeit und Humor und zuweilen auch zwischen Wissenschaft und Unterhaltung. Zwischenzeiten gliedern die Zeit und das Leben, das Tun, die Wahrnehmung und die Gefühlswelten. Sie organisieren Zeiterfahrungen, schaffen Differenzen und rhythmisieren Handlungsvollzüge.

Zwischenzeiten verkehren wie Flussfähren zwischen einem Hüben und einem Drüben. Sie verbinden, wie eine Brücke, die festen Ufer des Diesseits mit jenen des Jenseits und trennen sie zugleich. Die Zeiten des Dazwischen siedeln in den Leerräumen, in den Leerstellen zwischen dem »nicht mehr« und dem »noch nicht«. Diese Zwischenzustände des Vagen und Schwebenden erschließen den Menschen die Möglichkeit, zwischen Vergangenem und Zukünftigem, zwischen Diesseits und Jenseits, Altem und Neuem, hier und dort unterscheiden zu können.

Räume und die Zeiten des »Dazwischen« geben dem Alltag einen Rhythmus, verleihen ihm Klang, Farbe und Atmosphäre. Das »in between« gliedert die Zeit, organisiert und ordnet Zeit­erfahrungen, setzt Schlusspunkte, markiert Anfänge und schafft damit Frei- und Spielräume. In diesen zeitlichen Zwischenwelten, in diesen Faltungen siedeln sich Tagträume, Fantasien und kreative Kräfte an und breiten sich dort aus. Durch den Zwischenraum, den der Riss im festen Mauerwerk bildet, scheint das Licht. Whitehead wörtlich: »Das Leben liegt in den Zwischenräumen jeder lebenden Zelle (…) verborgen.«1Gesungen von Leonard Cohen: »There is a crack in everything, that’s how the light gets in.«

Wir haben die Welt inzwischen zur Genüge beschleunigt. Es kommt jetzt darauf an, sie zu begreifen und zu lieben. Whitehead ist dabei ein guter und ein äußerst angenehmer Begleiter. Wenn es stimmt, was Heimito von Doderer behauptet, dass uns »das Leben vor die Wahl stellt, als Philosophen belehrt oder als Tiere dressiert werden zu wollen«, und wenn einem die Dressur nicht allzu attraktiv erscheint, dann sollte man sich Whitehead zum Lehrer nehmen.

Gespräche über Zeit

Aus der Zeit gefallen

Whitehead: Wie haben Sie mich gefunden?

Forstner: Einfach war es nicht!

Whitehead: Das kann ich mir vorstellen! Umso mehr freut es mich, dass Sie da sind. Ich habe nur noch selten Besuch.

Forstner: Dann haben Sie nichts dagegen?

Whitehead: Ganz und gar nicht! Was kann ich für Sie tun?

Forstner: Ich möchte mit Ihnen reden.

Whitehead: Tun wir das nicht schon?

Forstner: Über Ihre Philosophie.

Whitehead: Sie kennen sie? Gibt es meine Bücher denn noch?

Forstner: Ja, natürlich! Ihre Bücher wurden mittlerweile in viele Sprachen übersetzt. Allen voran Ihr Hauptwerk Process and Reality.

Whitehead: Ach, die armen Übersetzer! Sprache habe ich immer als Hemmschuh empfunden, nur mit Metaphern und Wortneuschöpfungen konnte ich so einigermaßen aus­drücken, was ich eigentlich meinte.2

Forstner: Für Ihre technischen Begriffe sind Sie ja fast schon berühmt-berüchtigt.

Whitehead: So schlimm? Oh je …

Forstner: Nun ja, wenn ich an Begriffe wie actual entity oder extensive continuum denke …, die sind nicht ohne Weiteres zu verstehen, und sie zu übersetzen, ist vielleicht sogar unmöglich.

Whitehead: Nein, nein, vom Unmöglichen sollte man nicht ausgehen. Sprache ist ohnehin immer nur eine Annäherung an Gedanken. Da gilt es, kreativ zu bleiben! Letztlich ist es belanglos, in welcher Sprache man sich einem Gedanken nähert.

Forstner: Ihren Gedanken! Das eben möchte ich versuchen: Ihre Gedanken in meiner Sprache ausdrücken.

Whitehead: Aber Sie sagten doch, dass es mittlerweile Übersetzungen gibt.

Forstner: Das schon, aber …

Whitehead: … wenn das Original unverständlich ist, bleibt es die Übersetzung zwangsläufig auch.

Forstner: Ich wollte Sie nicht beleidigen.

Whitehead: Keine Angst, das haben Sie auch nicht. Ich höre diesen Vorwurf nicht zum ersten Mal, und er ist ja auch berechtigt.

Forstner: Ihre Bescheidenheit ist uns übrigens auch im Gedächtnis geblieben …

Whitehead: Das nehme ich gerne als Kompliment!

Forstner: Ja, bitte! Was mir vorschwebt, ist so etwas wie »Whitehead ohne technische Begriffe«.

Whitehead: Es käme auf einen Versuch an …

Forstner: Helfen Sie mir dabei?

Whitehead: Gerne! – Was haben Sie da mitgebracht?

Forstner: Ein Aufnahmegerät, damit kann man Gespräche aufzeichnen und wiedergeben.

Whitehead: So klein? Zu meiner Zeit hätte man daran schwer geschleppt.

Forstner: Ja, es hat sich einiges getan … Und damit wären wir eigentlich auch schon beim Thema.

Whitehead: Veränderung?

Forstner: Zeit!

Whitehead: Ein Begriff, der oft mehr verschleiert als erklärt.

Forstner: So ähnlich sieht das Professor Karlheinz Geißler auch.

Whitehead: Karlheinz Geißler?

Forstner: Ein Zeitforscher aus meiner Zeit.

Whitehead: Schade, dass ich nicht mehr mitreden kann.

Forstner: Ja, normalerweise nicht. Aber gibt es nicht immer den Einzelfall, die Ausnahme? Und deswegen bin ich hier!

Whitehead: Das klingt spannend. Dann sind wir sozusagen aus der Zeit gefallen?

Forstner: In gewissem Sinne …, und dieses Aufnahmegerät hilft uns dabei.

Whitehead: Um unser Gespräch aufzuzeichnen?

Forstner: Das auch, aber ich habe Ihnen ein Gespräch zwischen Karlheinz Geißler und Harald Lesch mitgebracht.

Whitehead: Kenne ich leider auch nicht.

Forstner: Professor Harald Lesch ist Astrophysiker. Er schätzt Ihre Philosophie sehr.

Whitehead: Wirklich? Die Physik ist doch eher der Meinung, dass sie keine Philosophie braucht. Hat sich daran etwas geändert?

Forstner: Im Großen und Ganzen wohl nicht …

Whitehead: Ideen müssen oft lange schlummern, bis ihre Zeit kommt. – Sind Sie sicher, dass dieses Gerät hier auch funktioniert?

Forstner: Sollen wir es ausprobieren?

Whitehead: Nur zu!

Zeit gibt es nicht

Lesch: Erst gestern in einem Seminar über den Urknall ist mir wieder aufgefallen, dass es einen riesen Unterschied gibt zwischen Raum und Zeit. Ich kann die Leute prima wegschicken, wenn ich ein Raumproblem habe, also wenn ich merke, ich hab keine Plätze mehr, dann sag ich: »Tut mir leid, Sie müssen jetzt gehen!« Ein Zeitproblem ist viel schwieriger zu lösen.

Geißler: Wenn du mit Leuten die Zeit nicht verbringen willst?

Lesch: Ja, zum Beispiel.

Geißler: Dann musst du auch sagen, es geht nicht. Aber dann verlässt er nicht die Zeit, sondern den Raum.

Lesch: Genau. Die Zeitdimension hat bei uns Physikern ja das große Problem, dass sie nicht so ordentlich mit dem Raum, mit den Raumdimensionen zusammengebracht werden kann, es sei denn, du multiplizierst sie mit einer Geschwindigkeit. Zum Beispiel legt Licht in einer Sekunde 300.000 Kilometer zurück. Das Licht der Sonne braucht acht Minuten für die Entfernung zwischen Erde und Sonne. Und wenn wir 100 km/h hören, dann wissen wir, da fährt jemand 100 Kilometer in einer Stunde.

Geißler: Aber wir bringen Zeit doch permanent mit Raum in Verbindung. Das ist unsere Form, sich Zeit vorzustellen, und wir können uns die Zeit sowieso nur metaphorisch vorstellen. Die Uhr zeigt ja nichts anderes an als räumliche Veränderung. Räumliche Veränderungen werden in Zeitkategorien ausgedrückt.

Lesch: Das ist interessant, denn in der Physik machen wir es ­genau umgekehrt. Für uns geht es ja immer um den Abstand zwischen Ereignissen: Es gibt ein Ereignis A, und das mag ein ­Ereignis B verursachen. Das heißt, wir haben einen Abstand ­zwischen diesen beiden Ereignissen, und der ist nicht nur ­räumlich, sondern natürlich auch zeitlich.

Geißler: Es gibt früher und später.

Lesch: Genau. Damit wir aber damit rechnen können – und wirklich gut rechnen können wir mit Länge, Höhe und Breite –, versuchen wir die Zeit, die zwischen zwei Ereignissen vergeht, ebenfalls in eine Länge zu verwandeln, indem wir sie mit einer Geschwindigkeit multiplizieren. Wie schon gesagt, Lichtsignale laufen mit 300.000 Kilometer pro Sekunde, deshalb braucht die Strahlung eines Sterns, der vier Lichtjahre von uns entfernt ist, eben vier Jahre bis zu uns. Und so verbinden wir die Zeit eben immer auch mit Raum, wir verräumlichen die Zeit ständig, wir können gar nicht anders.

Geißler: Ja, um die Länge dann zurück in Zeit zu verwandeln. Weil man sich die Zeit gar nicht anders vorstellen kann, deshalb muss sie verräumlicht werden. Das macht jeder normale Mensch auch, nicht nur ihr Physiker.

Lesch: Ja, genau. Aber woran liegt das? Liegt das daran, dass es keine andere Möglichkeit gibt, sich Zeit vorzustellen als eben in Raumform?

Geißler: Ja, das ist richtig, denn die Zeit gibt es nicht, das hat ja Einstein auch schon sehr deutlich gesagt: Zeit gibt es nicht! Zeit ist nur eine Vorstellung von Zeit!

Lesch: Zeit ist nur eine Vorstellung von Zeit …

Geißler: … und die Frage ist dann, an was du die Vorstellung festmachst. Die ganze Zeitgeschichte besteht darin, dass du die Vorstellung veränderst. Und zwar verändern die Mächtigen die Vorstellungen, und die anderen müssen dran glauben.

Lesch: Wir können uns dann die Zeit auch nicht nehmen?

Geißler: Nein, dazu sind wir zu ohnmächtig.

Lesch: Also, da kann man nichts machen …

Zeit gibt es doch – aber anders

Forstner: Ich halte die Aufnahme hier mal an.

Whitehead: Geht das denn so einfach? Das Gerät hat ja nicht einmal richtige Knöpfe!

Forstner: Klar!

Whitehead: Erstaunlich …

Forstner: Zeit gibt es nicht! Zeit ist nur eine Vorstellung von Zeit! Sehen Sie das auch so?

Whitehead: Nun, wir müssen unterscheiden zwischen dem, was konkret in der Welt vorkommt, und dem Abstrakten, das nur in unserem Denken vorkommt. Das heißt meiner Ansicht nach aber nicht, dass es das Abstrakte nicht gibt, denn unser Denken gibt es ja. Zeit ist solch eine Abstraktion und als ­solche gibt es sie. Konkret in der Natur ist sie jedoch nicht. Konkret sind nur Ereignisse.

Forstner: Sie sind immer sehr kritisch gewesen, wenn es um ­Abstraktionen ging, Stichwort Fallacy of Misplaced Concreteness.

Whitehead: In Ihrer Sprache wird daraus wohl der Trugschluss der deplatzierten Konkretheit. Für diesen sperrigen ­Begriff sollte ich mich vermutlich nachträglich noch ent­schuldigen. Wer denkt schon an die Übersetzbarkeit, während er noch mit der eigenen Sprache kämpft …

Forstner: Was hat es mit diesem Fehler oder Trugschluss auf sich? Was ist falsch an Abstraktionen?

Whitehead: