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Jack Londons 'Ein Sohn der Sonne' ist ein faszinierender Abenteuerroman, der die abenteuerliche Reise von Elam Harnish durch Alaska und die Südseeinseln beschreibt. London, bekannt für seinen packenden Schreibstil und seine präzise Beobachtungsgabe, entführt die Leser in eine Welt voller Gefahren und Wunder. Das Buch bietet nicht nur spannende Abenteuer, sondern auch eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Themen wie Kolonialismus, Naturgewalten und menschlicher Stärke. Mit seiner lebendigen Sprache und seinen detailreichen Beschreibungen hebt sich 'Ein Sohn der Sonne' deutlich von anderen Abenteuerromanen seiner Zeit ab. Jack London, selbst ein erfahrener Abenteurer und Schriftsteller, bringt seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen in dieses Werk ein. Als passionierter Reisender und Forscher war London in der Lage, authentische Einblicke in die entlegenen Regionen, die er beschreibt, zu geben. Seine Fähigkeit, die Welt durch die Augen seiner Protagonisten zu sehen, macht 'Ein Sohn der Sonne' zu einem inspirierenden und unvergesslichen Leseerlebnis. Für Leser, die nach einem mitreißenden Abenteuer suchen, das sie gleichzeitig zum Nachdenken anregt, ist dieses Buch von Jack London ein absolutes Muss.
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Seitenzahl: 279
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Books
Die Willi-Waw lag in der Durchfahrt zwischen Küstenriff und Auenriff, wo das leise Murmeln der trägen Brandung erklang; aber die Wasserfläche, die keine hundert Schritt weit bis zu dem weißen Strande aus feingemahlenem Korallensand reichte, war glatt wie ein Spiegel. In der engen Durchfahrt lag das Schiff an einer Stelle verankert, die ihm kaum erlaubte zu schwojen, und seine Ankerkette lag auf einer Strecke von hundert Fuß in Windungen auf dem aus lebenden Korallen bestehenden Grunde. Wie eine riesige Schlange wand sich die rostige Kette über den Boden des Ozeans, ging mehrmals über ihre eigenen Glieder hinweg, um schließlich in einem nutzlosen Anker zu enden. Große, dunkle, gesprenkelte Schellfische spielten vorsichtig Verstecken zwischen den Korallenzweigen. Andre Fische von grotesken Formen und Farben zeigten kecke Gleichgültigkeit, selbst wenn ein großer Fischhai langsam vorbeiglitt und die Schellfische in wilder Flucht in ihre Schlupfwinkel jagte.
Vorn an Deck waren ein Dutzend Schwarze eifrig beschäftigt, die Teakholzreling abzuschrubben. Sie benahmen sich dabei so ungeschickt wie Affen. Tatsächlich erinnerten sie stark an Affen von irgendeiner riesigen prähistorischen Art. In ihren Augen lag die jammervolle Kläglichkeit des Affen, ihre Gesichter waren sogar noch unsymmetrischer, und mit ihren unbehaarten Körpern wirkten sie noch nackter als Affen, denn sie waren gänzlich unbekleidet. Dafür waren sie aber geputzt, wie kein Affe es je gewesen. In den durchlöcherten Ohren trugen sie kurze Tonpfeifen, Schildpattringe, riesige Holzpflöcke, rostige Nägel und alte Patronenhülsen. Die kleinsten Löcher, die ein Ohr aufwies, hatten das Kaliber einer Winchester-Büchse, einige der größeren einen Durchmesser von einem Zoll, und jedes einzelne Ohr war durchschnittlich mit drei bis sechs Löchern versehen. Durch ihre Nasen waren lange Nägel und Pfriemen aus polierten Knochen oder Muschelschalen gesteckt. Einem hing ein weißer Türknauf auf der Brust, einem andern der Henkel einer Porzellantasse und einem dritten das kupferne Zahnrad einer Weckuhr. Sie schwatzten mit sonderbaren Fistelstimmen, und alle zusammen leisteten nicht mehr als ein einziger weißer Matrose.
Achtern, unter einem Zeltdach, saßen zwei Weiße. Sie trugen jeder ein Sechs-Penny-Hemd und einen schmalen Lendenschurz. Um den Leib hatten sie einen Riemen mit einem Revolver und einem Tabaksbeutel geschnallt. Der Schweiß stand ihnen in Myriaden von Kügelchen auf der Haut. Hier und dort flossen die Kügelchen zu winzigen Strömen zusammen, die auf das erhitzte Deck tropften und fast sofort verdampften. Dem mageren, dunkeläugigen Mann wurden vom Abwischen der Stirn die Finger naß, und er schleuderte die Tropfen mit einem Fluch von sich. Er ließ den Blick matt und hoffnungslos über das Außenriff bis zu den Kronen der Palmen am Strande gleiten.
»Acht Uhr«, klagte er, »und dabei wird es erst mittags richtig warm. Ich bitte Gott um ein bißchen Wind. Sollen wir denn nie von hier wegkommen?«
Der andere, ein schlanker, fünfundzwanzigjähriger Deutscher mit der breiten Stirn eines Gelehrten und dem weichenden Kinn eines Degenerierten, gab sich nicht die Mühe, zu antworten. Er war damit beschäftigt, Chininpulver in ein Stück Zigarettenpapier zu schütten. Als er etwa 50 Gramm genommen hatte, rollte er das Papier zu einem Kügelchen zusammen, schob es in den Mund und verschluckte es ohne Wasser.
»Wenn ich nur etwas Whisky hätte«, keuchte der erste Mann nach einer Pause von einer Viertelstunde.
Es verging etwa dieselbe Zeit, bis der Deutsche ohne besonderen Anlaß äußerte: »Ich verbrenne vor Fieber. Sobald wir nach Sydney kommen, werde ich Sie verlassen, Griffiths. Ich habe genug von den Tropen. Ich hätte klüger sein und mich nicht heuern lassen sollen.«
»Ein guter Seemann sind Sie gerade nicht«, erwiderte Griffiths, dem es selbst zu warm war, als daß er sich ereifert hätte. »Als es am Strande von Guvutu bekannt wurde, daß ich Sie an Bord genommen hätte, wurde allgemein gelacht. ›Was? Jacobsen?‹ sagten sie. ›Du kannst keinen Fingerhut voll Brennsprit oder Schwefelsäure an Bord verstecken, ohne daß er es wittert!‹ Und den Ruf haben Sie wahrhaftig nicht zuschanden gemacht! Ich habe selbst seit vierzehn Tagen keinen Tropfen mehr geschmeckt, weil Sie meinen ganzen Vorrat ausgesoffen haben.«
»Wenn Ihnen das Fieber ebenso schlimm zugesetzt hätte wie mir, würden Sie es besser verstehen«, klagte der Steuermann.
»Ich mache Ihnen ja gar keinen Vorwurf«, antwortete Griffiths. »Ich wünschte nur, der Himmel schickte mir etwas zu trinken oder ein bißchen Wind. Morgen habe ich meinen Fieberanfall, das kann ich merken.«
Der Steuermann bot ihm von seinem Chinin an und rollte ihm eine Dosis von 50 Gramm, die Griffiths trocken verschluckte.
»Herrgott«, stöhnte er. »Ich möchte in irgendeinem Lande sein, wo es kein Chinin gibt. Verdammtes Zeug! Ich glaube, ich habe es schon tonnenweise gefressen.«
Wieder spähte er fragend über das Meer nach irgendeinem Anzeichen von Wind. Die gewöhnlichen Passatwolken waren fort, und die Sonne, die ihre Mittagshöhe noch nicht erreicht hatte, verwandelte den ganzen Himmel in glühendes Erz. Man schien die Hitze ebensosehr zu sehen wie zu fühlen, und Griffiths wandte vergebens den Blick nach dem Lande, um Trost zu finden. Der weiße Sand bereitete seinen Augen stechende Schmerzen. Die völlig unbeweglichen Palmen wirkten vor dem Hintergrunde des Dschungels mit seinem unfrischen Grün fast wie eine Ansichtskartenlandschaft. Die kleinen schwarzen Kinder, die nackt in dem blendenden Weiß von Sand und Sonne spielten, erschienen dem sonnenkranken Manne als ein schmerzender Hohn. Er fühlte etwas wie Erleichterung, als eins von ihnen beim Laufen strauchelte und auf allen vieren in das laue Wasser fiel. Ein Ausruf der Schwarzen ließ die beiden Männer plötzlich seewärts blicken. Um die nahe Landspitze, kaum eine Viertelmeile entfernt, kam ein Kanu gepaddelt.
»Gooma-Leute von der nächsten Bucht«, meinte der Steuermann.
Einer der Schwarzen kam nach achtern; ruhig trat er auf das heiße Deck, er spürte offenbar die Hitze nicht. Auch das verursachte Griffiths Schmerz, und er schloß die Augen; aber im nächsten Augenblick waren sie weit geöffnet.
»Weiß fella Herr steuern mit Gooma-Jungens«, hatte der Schwarze gesagt.
Beide Männer sprangen auf und blickten auf das Kanu. Im Stern konnte man den unverkennbaren Sombrero eines Weißen sehen. Eine plötzliche Bestürzung spiegelte sich auf dem Gesicht des Steuermanns.
»Das ist Grief«, sagte er. Griffiths überzeugte sich durch einen Blick, daß der andre recht hatte, und stieß einen zornigen Fluch aus.
»Was hat der hier zu suchen?« fragte er, indem er sich an den Steuermann, das schmerzende Meer, den erbarmungslosen Glanz der Sonne und das ganze überhitzte Universum wandte, mit dem sein Geschick verknüpft war.
Der Steuermann begann zu glucksen.
»Ich sagte Ihnen ja, daß Sie ihm nicht entgehen könnten.«
Aber Griffiths hörte ihn nicht.
»Kommt hier an mit all seinem Gelde wie ein Steuereinnehmer«, platzte er in einem Wutanfall zornig heraus. Er ist mit Geld vollgepfropft, trotzt geradezu von Geld. Ich weiß mit Sicherheit, daß er die Yringa-Plantage für 300 000 Pfund verkauft hat. Bell hat es mir selbst erzählt, als wir uns das letztemal in Guvutu betranken. Er ist Millionen über Millionen schwer, und da ist er wie ein Shylock hinter mir her wegen einer Bagatelle, die für ihn nicht mehr wert ist als eine Pfeife Tabak.« Er wandte sich zu dem bestürzten Steuermann: »Gewiß, Sie haben es gesagt. Sagen Sie es nur noch einmal und so oft, wie Sie wollen. Was haben Sie doch gesagt?«
»Ich sagte, Sie kannten ihn nicht, wenn Sie meinten, von den Salomoninseln wegzukommen, ohne ihn zu bezahlen. Dieser Grief ist der reine Teufel, aber er ist reell. Ich kenne ihn. Ich sage Ihnen, er würde Tausende aus reinem Vergnügen zum Fenster rausschmeißen, aber gleichzeitig um ein Sechs-Pence-Stück kämpfen wie ein Hai um eine rostige Blechdose. Ich sage Ihnen, ich kenne ihn. Hat er nicht seine Balakula der Queensland-Mission geschenkt, als sie die Evening Star bei San Christobal verloren hatte? – Und die Balakula war ihre 3000 Pfund wert, mindestens. Und hat er nicht Strothers verprügelt, daß er vierzehn Tage zu Bett liegen mußte, nur weil er ihm zwei Pfund zehn zuviel auf die Rechnung schrieb und noch dumm dazu tat?«
»Ich will blind werden –!« schrie Griffiths in ohnmächtiger Wut.
Der Steuermann fuhr fort:
»Ich sage Ihnen, nur ein anständiger Mensch kann mit einem anständigen Menschen wie ihm fertig werden, und die Salomoninseln hat noch keiner passiert, der es konnte. Männer wie Sie und ich können ihm nicht beikommen. Wir sind zu morsch, zu faul von innen und außen. Sie haben mehr als zwölfhundert Sovereigns unten liegen. Bezahlen Sie und versuchen Sie, darüber hinwegzukommen.«
Aber Griffiths knirschte mit den Zähnen und preßte die dünnen Lippen fest zusammen.
»Ich will schon mit ihm fertig werden«, murmelte er – mehr für sich und zu dem funkelnden Sonnenball als zu dem Steuermann. Dann wandte er sich um und schickte sich an, nach unten zu gehen, besann sich aber und kam wieder zurück. »Hören Sie, Jacobsen, er kann erst in einer Viertelstunde hier sein. Halten Sie zu mir? Kann ich mich auf Sie verlassen?«
»Selbstverständlich halte ich zu Ihnen. Habe ich nicht all Ihren Whisky ausgetrunken? Was wollen Sie tun?«
»Totschlagen werde ich ihn nicht, wenn ich es vermeiden kann. Aber bezahlen will ich auch nicht. Darauf können Sie Gift nehmen!«
Jacobsen zuckte die Achseln und ergab sich in sein Schicksal, während Griffiths in die Kajüte hinunterstieg.
Jacobsen beobachtete das Kanu, das um das Riff herumkam und sich dem Eingang der Durchfahrt näherte. Mit Tintenflecken an Daumen und Zeigefinger erschien Griffiths wieder an Deck. Eine Viertelstunde später lag das Kanu längsseits. Der Mann mit dem Sombrero stand auf.
»Hallo, Griffiths!« rief er. »Hallo, Jacobsen!« Die Hände auf der Reling, wandte er sich an seine dunkelfarbige Mannschaft. »Ihr fella Jungens bleiben im Kanu allzusammen.«
Mit katzenartiger Geschwindigkeit schwang er seinen scheinbar schweren Körper über die Reling an Deck. Gleich den beiden andern Weißen war er nur spärlich bekleidet. Das billige Hemd und der Lendenschurz konnten den wohlgebauten Körper nicht verbergen. Seine Muskeln waren gut entwickelt, ohne doch massig und knotig hervorzuspringen. Sie spielten sanft gerundet unter der weichen, gebräunten Haut. Sonnenglut hatte sein Gesicht gebräunt, bis es dunkel wie das eines Spaniers war. In diesem dunklen Gesicht wirkte der blonde Bart seltsam, während die blauen Augen etwas Schreckeinflößendes hatten. Man konnte sich schwer vorstellen, daß die Haut dieses Mannes einmal weiß gewesen war.
»Wo hat der Wind Sie hergetrieben?« fragte Griffiths, als sie sich die Hände schüttelten. »Ich glaubte, Sie seien bei Santa Cruz.«
»Da waren wir auch«, antwortete der andre. »Aber wir kamen schnell vorwärts, und jetzt liegt die Wonder eben hier in der Gooma-Bucht und wartet auf Wind. Ein paar Buschleute erzählten mir, daß ein Kutter hier läge, und da kam ich, um nachzusehen. Nun, wie steht's?«
»Mäßig. Die Kopraschuppen sind beinahe leer, und es ist kein halbes Dutzend Tonnen Elfenbeinnüsse aufzutreiben. Alle Frauen hatten Fieber und rückten aus, und die Männer können sie nicht in die Sümpfe zurücktreiben. Es ist das reine Elend. Ich würde Sie bitten, ein Gläschen mit mir zu trinken, aber der Steuermann hat meine letzte Flasche ausgetrunken. Ich flehe zum Himmel um ein bißchen Wind.«
Grief blickte mit großem Gleichmut von einem zum andern und lachte.
»Ich freue mich,« sagte er, »daß die Windstille so lange anhielt. Das hat es mir ermöglicht, Sie zu besuchen. Mein Superkargo hatte noch eine kleine Rechnung für Sie, und ich habe sie mitgebracht.« Der Steuermann blickte diskret zur Seite und überließ es seinem Schiffer, wie er sich herausbeißen wollte.
»Es tut mir leid, Grief, tut mir verdammt leid,« sagte Griffiths, »aber ich kann nicht; Sie müssen mir noch etwas Zeit lassen.«
Grief lehnte sich gegen das Treppengeländer; unangenehme Überraschung malte sich auf seinen Zügen.
»Es ist doch wirklich toll,« meinte er, »wie die Leute auf den Salomons das Lügen lernen. Man kann ihnen aber auch nichts mehr glauben. Sie kennen doch Kapitän Jensen. Ich hätte auf seine Wahrheitsliebe geschworen. Und da erzählte er mir – es ist erst fünf Tage her – soll ich Ihnen sagen, was er mir erzählte?«
Griffiths fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Lassen Sie hören.«
»Nun, er erzählte mir, daß Sie ausverkauft hätten – alles ausverkauft, aufgeräumt, und daß Sie jetzt unterwegs nach den Neuen Hebriden wären.«
»Er ist ein verdammter Lügner!« rief Griffiths wütend.
Grief nickte: »Ja, das scheint mir auch. Er hatte sogar die Stirn, mir zu erzählen, daß er zwei Ihrer Stationen – Mauri und Kahula – von Ihnen gekauft hätte. Sagte, er habe Ihnen siebzehnhundert Sovereigns in Gold bezahlt für Lagerschuppen und Fässer, Waren, Kredit und Kopra.«
Griffiths Augen zogen sich blitzend zusammen. Er wußte es selber nicht, aber Grief beobachtete ihn. »Und Parsons, Ihr Aufkäufer in Hickimavi, erzählte, daß die Fulcrum Kompanie diese Station von Ihnen gekauft hätte. Wieso lügt der nun auch?« Überreizt von Sonne und Krankheit, brach Griffiths jetzt los. Die ganze Bitterkeit seines Herzens trat in sein Gesicht und verzog seinen Mund zu einem Knurren.
»Sagen Sie, Grief, was für einen Sinn hat es, mir so zuzusetzen? Sie wissen ebensogut Bescheid wie ich, was sollen wir uns weiter vormachen? Ich habe ausverkauft und gehe fort, und Sie können mich nicht daran hindern.«
Grief zuckte die Achseln, und auf seinen Zügen zeigte sich auch nicht der Schatten eines Entschlusses. Er sah eher aus wie ein Mann, der sich in Verlegenheit befindet.
»Hier gilt kein Gesetz«, bemerkte Griffiths, um sein Übergewicht zu betonen. »Tulagi ist hundertfünfzig Meilen entfernt. Ich habe meine Zollscheine in Ordnung, bin hier auf meinem eignen Schiff. Nichts kann mich hindern, abzufahren. Sie haben kein Recht, mich zurückzuhalten, nur weil ich Ihnen ein bißchen Geld schulde. Und bei Gott, Sie können mich gar nicht halten! Machen Sie sich das mal klar!«
Der Ausdruck schmerzlicher Überraschung auf Griefs Gesicht vertiefte sich. »Also, Sie wollen mich um die zwölfhundert bringen, Griffiths?«
»Ja, soviel macht es wohl gerade, Alter. Und schimpfen hat gar keinen Zweck. Jetzt kommt der Wind auf. Es ist am besten, wenn Sie machen, daß Sie von Bord kommen, sonst könnte Ihr Kanu leicht kentern.«
»Wirklich, ich muß Ihnen recht geben, Griffiths. Ich kann Sie nicht halten.« Grief suchte in der Tasche, die über seinem Revolvergurt hing, und zog ein zerknittertes Papier heraus. »Aber das kann Sie vielleicht halten. Jetzt können Sie sich das mal klar machen. Bitte!«
»Was heißt das?«
»Ein Vollstreckungsbefehl der Admiralität. Eine Flucht nach den Neuen Hebriden würde Sie nicht retten. Dies hat überall Gültigkeit.«
Griffiths zauderte. Er prüfte das Dokument und schluckte seine Wut herunter. Mit hochgezogenen Brauen erwog er die neue Phase der Situation. Dann hob er plötzlich den Kopf, und jetzt drückte sein Gesicht volle Offenheit aus.
»Sie sind klüger, als ich dachte, Alter«, sagte er. »Sie haben mich fest am Kragen. Ich hätte Sie besser kennen sollen, ehe ich den Versuch machte, Sie zu prellen. Jacobsen sagte gleich, daß ich es nicht könnte, aber ich wollte nicht hören. Er hat recht behalten – und Sie auch. Ich habe das Geld unten. Kommen Sie mit, dann bringen wir's in Ordnung.« Er schickte sich an, hinunterzugehen, und trat beiseite, um seinem Besucher den Vortritt zu lassen. Gleichzeitig blickte er über das Wasser nach einer dunklen Wolke, wo das Meer jetzt in Bewegung kam. »Holen Sie ein!« sagte er zum Steuermann. »Setzen Sie die Segel, und machen Sie alles klar.«
Als Grief sich auf die Kante der Koje vom Steuermann ganz dicht vor den winzigen Tisch setzte, bemerkte er einen Revolver, dessen Kolben unter den Kissen hervorlugte. Auf der Tischplatte, die an Scharnieren von der Decke herabhing, befanden sich Tinte und Feder sowie ein abgenutztes Logbuch. »Wissen Sie, ich nehme es nicht so genau mit einem schmutzigen Streich«, begann Griffiths verächtlich. »Ich bin zu lange in den Tropen gewesen. Ich bin ein kranker, ein verdammt kranker Mann. Und Whisky, Sonne und Fieber haben mich auch moralisch krank gemacht. Nichts ist zu gemein und zu niedrig für mich. Ich kann gut begreifen, wenn die Nigger sich gegenseitig auffressen, die Köpfe rauben und dergleichen mehr. Ich könnte es auch. Und wenn ich Sie um den kleinen Betrag gebracht hätte, so würde ich es als einen hübschen Trick angesehen haben. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nichts zu trinken anbieten kann.«
Grief antwortete nicht, und der andre machte sich geschäftig daran, eine große, verbeulte Schatulle aufzuschließen. Von Deck erklangen das Schreien von Fistelstimmen und das Knarren und Rasseln der Blöcke, da die schwarze Mannschaft jetzt Großsegel und Besan setzte. Grief beobachtete eine große Küchenschwabe, die über die gestrichene Holzbekleidung lief. Mit einem gereizten Fluch trug Griffiths die Schatulle zur Treppe, um besser sehen zu können. Er neigte sich, seinem Besucher den Rücken zukehrend, über die Schatulle. Plötzlich streckte er die Hand nach der an die Treppe gelehnten Büchse aus und drehte sich schnell um.
»Rühren Sie sich nicht vom Fleck!« kommandierte er. Grief lächelte, hob spöttisch die Augenbrauen und gehorchte. Seine Linke ruhte auf der Koje neben ihm, während seine Rechte auf dem Tische lag. Sein Revolver hing offen an der rechten Hüfte. Aber seine Gedanken flogen zu dem andern Revolver unter dem Kissen.
»Huh!« höhnte Griffiths. »Jeden auf den Salomons haben Sie hypnotisiert, aber mich haben Sie doch nicht gekriegt. Jetzt werde ich Sie samt Ihrem Vollstreckungsbefehl von meinem Schiff herunterwerfen – das heißt, sobald Sie getan haben, was ich von Ihnen verlange. Heben Sie das Logbuch auf ... Ich habe Ihnen gesagt, Grief, daß ich ein kranker Mann bin; ich würde Sie niederschießen, wie ich eine Schabe zerquetsche. Heben Sie das Logbuch auf, sage ich.«
Krank sah er wirklich aus; sein mageres Gesicht arbeitete nervös, so groß war die Wut, die ihn beherrschte. Grief hob das Buch auf und legte es beiseite. Es lag das beschriebene Blatt eines Briefblocks darunter.
»Lesen Sie«, befahl Griffiths. »Lesen Sie laut.«
Grief gehorchte; während er las, begannen sich jedoch die Finger seiner Linken unendlich langsam und geduldig nach dem Revolverkolben unter dem Kissen zu bewegen.
Er las: »An Bord des Kutters Willi-Waw, Bombi-Bucht, Anna-Insel, Salomon-Archipel. Hiermit erkläre ich, mein volles Guthaben, welcher Art es immer sei, von Harrison J. Griffiths mit zwölfe hundert Pfund Sterling heute erhalten zu haben.«
»Wenn ich diesen Wisch in der Hand habe,« grinste Griffiths, »ist Ihr Vollstreckungsbefehl von der Admiralität nicht einmal das Papier wert, worauf er geschrieben ist. Unterschreiben Sie.«
»Das hat gar keinen Zweck, Griffiths«, sagte Grief. »Ein unter Zwang unterschriebenes Dokument hat keine gesetzliche Gültigkeit.«
»Dann haben Sie ja auch wohl nichts dagegen einzuwenden, es zu unterschreiben.«
»Allerdings nicht; ich möchte Ihnen nur eine Menge Ärger ersparen, indem ich es nicht tue.«
Unterdessen hatten Griefs Finger den Revolver erreicht, und während er sprach, spielte seine Rechte mit dem Federhalter, und die Linke begann langsam und unauffällig die Waffe hervorzuziehen. Als seine Hand sich endlich um den Kolben schloß, und er den Mittelfinger auf den Drücker und den Zeigefinger auf den Zylinder gelegt hatte, überlegte er, wie er es machen sollte, schnell und ohne zu zielen mit der linken zu schießen.
»Zerbrechen Sie sich meinetwegen nur nicht den Kopf«, stichelte Griffiths. »Und vergessen Sie nicht: Jacobsen wird bezeugen, daß ich Ihnen das Geld gegeben habe. Jetzt unterschreiben Sie, unterschreiben Sie Ihren vollen Namen David Grief und das Datum.«
Vom Deck erklang das Rasseln der Blöcke und das Knattern der Seisinge gegen die Leinwand. In der Kajüte merkten sie, wie die Willi-Waw sich auf die Seite legte und sich dann in den Wind schwang und wieder aufrichtete. Noch zögerte David Grief. Von vorn kam das ruckweise Stoßen der Vorsegelfalle in den Scheibengatts. Das kleine Fahrzeug krengte wieder, und man hörte das Glucksen und Schlagen der Wellen gegen die Kajütwände.
»Los, beeilen Sie sich jetzt«, rief Griffiths. »Der Anker ist schon drin.«
Die Büchsenmündung war aus einer Entfernung von vier Fuß gerade auf ihn gerichtet, als Grief sich entschloß, zu handeln. Griffiths mußte bei einem plötzlichen Windstoß um sein Gleichgewicht kämpfen, und die Büchse schwankte. Diesen Augenblick benutzte Grief. Er tat, als wolle er unterzeichnen, und gleichzeitig vollführte er mit katzenartiger Gewandtheit und Schnelligkeit etwas sehr Schwieriges. Er duckte sich tief, warf seinen Körper vorwärts, und zugleich tauchte seine Linke über dem Tisch auf. So genau war der Stoß berechnet, daß der Schuß in derselben Sekunde abging. Aber Griffiths war nicht weniger schnell. Er senkte, als der andre sich duckte, den Büchsenlauf und schoß, ohne zu zielen. Büchse und Revolver knallten gleichzeitig. Grief fühlte das brennende Stechen einer Kugel, die ihm die Schulter streifte, und war sich klar, daß er selbst nicht getroffen hatte. Sein Vorstürzen brachte ihn Griffiths auf den Leib, bevor er einen zweiten Schuß abfeuern konnte, und ehe sein Gegner noch die Büchse losgelassen hatte, umklammerte er ihn schon mit beiden Armen und rannte ihm den Revolver in den Bauch. Zorn und Schmerz übermannten Grief, er wollte schon zum zweiten Male abdrücken, als er sich jedoch plötzlich faßte. Über die Treppe herunter konnte man das empörte Rufen seiner Gooma-Leute im Kanu hören. Dies alles hatte nur Sekunden gedauert, und die Ereignisse folgten sieh Schlag auf Schlag; er packte und umklammerte Griffiths und trug ihn mit reißender Schnelligkeit die steilen Stufen hinauf in den blendenden Sonnenschein. Ein Schwarzer stand grinsend am Steuer, und die Willi-Waw krengte im Winde und durchschnitt schäumend die Wellen. Das Gooma-Kanu fiel schnell ab. Grief wandte den Kopf. Mittschiffs sah er den Steuermann, der, den Revolver in der Hand, auf ihn zusprang. In zwei Sprüngen – immer noch den hilflosen Griffiths umklammert – war Grief an der Reling und über Bord.
Eng umklammert versanken die beiden Männer, aber Grief machte sich mit einem Stoß seines Knies gegen die Brust des andern frei und zwang ihn tiefer hinunter, während er selbst an die Oberfläche kam. Kaum hatte sich sein Kopf im Sonnenschein gezeigt, als zwei Spritzer in rascher Folge und keine zwei Fuß entfernt ihn belehrten, daß Jacobsen mit einem Revolver umzugehen verstand. Zu einem dritten Schuß fand er keine Gelegenheit mehr, denn Grief füllte seine Lunge mit Luft und tauchte wieder. Unter Wasser schwamm er rasch fort und kam erst wieder hoch, als er das Kanu mit seinen plätschernden Paddeln über sich sah.
Als er hineinkletterte, sah er, wie die Willi-Waw in den Wind ging, um den Versuch zu machen, ihn vom Strande abzuschneiden.
»Washee-washee!« rief Grief seinen Leuten zu. »Ihr fella machen schnell an Strand kommen. Schnell, ihr fella!«
Ohne sich zu schämen, gab er den Kampf auf und ergriff das Hasenpanier. Da die Willi-Waw beidrehen mußte, um ihren Kapitän aufzufischen, erhielt Grief einen Vorsprung. Von allen Paddeln mit voller Kraft getrieben, schoß das Kanu hoch auf den Strand. Sie sprangen heraus und liefen schutzsuchend hinter Bäume. Ehe sie die Deckung jedoch erreichten, sahen sie dreimal den Sand vor ihren Füßen von den Kugeln des Feindes aufstieben. Dann hatte das grüne Dschungel sie aufgenommen.
Grief beobachtete, wie die Willi-Waw jetzt ihren Kurs änderte, durch die Durchfahrt hinausfuhr und dann, da sie den Wind jetzt dwars hatte, Leinwand einholte. Als das Schiff die Landspitze passierte, konnte er noch sehen, wie das Großsegel Überschwang, dann war es seinem Blick entschwunden. Einer der Gooma-Leute, ein fast fünfzigjähriger, durch Hautkrankheiten und Narben abscheulich entstellter Schwarzer, blickte ihm grinsend ins Gesicht: »Mein Wort, das fella Kapitän zu böse auf dich.« Grief lachte und führte seine Leute zum Kanu zurück.
Wieviel Millionen David Grief schwer war, wußte keiner auf den Salomoninseln, denn in der ganzen Südsee konnte man seine Plantagen und Schiffe treffen. Von Samoa bis Neuguinea, ja, bis nördlich vom Äquator waren seine Besitzungen verstreut. Er besaß die Konzession für Perlenfischerei auf den Paumotus, und obgleich sein Name nicht genannt wurde, war er doch in Wirklichkeit identisch mit der deutschen Gesellschaft, die auf den französischen Marquesas Handel trieb. Seine Handelsstationen lagen wie auf Schnüren aufgereiht auf allen Inselgruppen, und er besaß unzählige Schiffe, die die Verbindung zwischen ihnen unterhielten. Ihm gehörten Atolle, die so entlegen und klein waren, daß seine kleinsten Schoner und Kutter die einsamen Verwalter nur einmal jährlich besuchten.
Seine Bureaus nahmen drei Stockwerke in der Castlereagh Street in Sydney ein. Aber nur selten war er hier zu treffen. Er zog es vor, stets von einer Insel nach der andern zu fahren, neue Möglichkeiten aufzuspüren, zu inspizieren und aufzurütteln, immer dort zu sein, wo das Leben am abenteuerlichsten war. Er kaufte das Wrack der Gavonne, eines großen Dampfers, für ein Ei und ein Butterbrot. Mit ihrer Bergung vollbrachte er fast Unmögliches, steckte aber einen Reinverdienst von einer Viertelmillion in die Tasche. Auf den Louisiaden pflanzte er die ersten Gummibäume, und in Bora-Bora rottete er die Südsee-Baumwolle aus und ließ die fröhlichen Insulaner statt dessen Kakao pflanzen. Er war es auch, der von der öden Insel Lallu-Ka Besitz ergriff und sie mit Polynesiern vom Ontong-Java-Atoll bevölkerte, die er viertausend Morgen mit Kokospalmen bepflanzen ließ. Und er war es ebenfalls, der die streitsüchtigen Häuptlinge von Tahiti miteinander versöhnte, und der den Handel auf der Phosphatinsel Hikiku in Schwung brachte. Seine eigenen Schiffe warben Arbeiter für seine Plantagen. Sie brachten Leute von Santa Cruz nach den Neuen Hebriden, Neu-Hebriden-Leute nach den Banksinseln und Kopfjäger von Malaita nach Neugeorgien. Von Tonga bis zu den Gilbertinseln, ja bis zu den Louisiaden versorgte er die Inseln mit Arbeitskräften. Seine Kiele pflügten alle Meere. Er besaß drei Dampfer, die regelmäßig die Inseln anliefen, aber er selbst fuhr selten mit ihnen, da er die primitiveren Segler vorzog.
Obgleich mindestens vierzig Jahre alt, wirkte er doch wie ein Dreißigjähriger. Alte Küstenbewohner erinnerten sich noch seiner Ankunft vor einigen zwanzig Jahren, und damals schon hatte der blonde Bart seidenweich seine Lippen umspielt. Im Gegensatz zu den meisten andern Weißen liebte er die Tropen. Seine Haut mußte ein glänzendes Schutzpigment enthalten. Er war geboren, um unter der Sonne zu leben. Nicht einer von Zehntausenden war so widerstandsfähig gegen die Sonnenstrahlen wie er. Es war, als ob die unsichtbaren, unendlich schnellen Lichtstrahlen nicht die Macht hatten, sich in ihn einzubohren wie in andre weiße Männer. Denen durchdrangen sie die Haut und zerrissen und zermürbten ihnen Gewebe und Nerven, bis sie, krank an Körper und Seele, die meisten der zehn Gebote über Bord warfen und zum Tier herabsanken, sich früh ins Grab tranken oder so verwilderten, daß man zuweilen Kriegsschiffe schickten mußte, um sie zu zähmen.
David Grief aber war ein wahrer Sohn der Sonne, er gedieh in jeder Beziehung. Er wurde kaum brauner mit den Jahren, aber seine Haut erhielt den Hauch eines goldenen Schimmers, wie er den Polynesiern eigen ist. Die blauen Augen jedoch behielten ihre Farbe, sein Bart blieb blond, und seine Züge waren unverkennbar die, welche seit Jahrhunderten die englische Rasse kennzeichnen. Englisches Blut strömte durch seine Adern, obwohl Leute, die genau Bescheid wissen wollten, behaupteten, daß er von Geburt Amerikaner sei. Nicht wie andre war er nach der Südsee gekommen, um sich ein Heim zu gründen. Er war überall zu Hause. Zuerst war er auf den Paumotus aufgetaucht, und zwar auf einer winzigen Schonerjacht, deren Besitzer er war, ein Jüngling auf der Jagd nach Romantik und Abenteuern an den sonnigen Tropenküsten. Seine Ankunft fand in einem Orkan statt, der ihn mit seiner Jacht und allem, was darinnen war, durch eine riesige Woge dreihundert Schritt landeinwärts mitten in ein Kokospalmenwäldchen setzte. Sechs Monate später wurde er durch einen Perlenfischer gerettet, aber da war ihm die Sonne schon ins Blut gedrungen. Statt mit einem Dampfer heimzufahren, kaufte er sich in Tahiti einen Schoner, befrachtete ihn mit Waren und begab sich auf einen Zug durch den gefährlichen Archipel.
Und das Gold, das sich ihm ins Gesicht brannte, floß ihm geschmolzen zu den Händen wieder heraus. Es war, als ob das Gold an ihm hängenbliebe, aber er spielte das Spiel nicht um des Goldes, sondern um des Spieles selbst willen. Es war Männerspiel, dieser rauhe Verkehr mit Abenteurern vom selben Schlage wie er, Menschen von allen Rassen, und es war ein gutes Spiel. Aber mehr noch bedeutete ihm alles übrige, was das Leben eines Südseevagabunden ausmacht – der Geruch der Riffe; das endlos wimmelnde Leben der Korallen unter dem blanken Spiegel der Lagunen; die schreienden Farben des Sonnenaufgangs, die sich mit gesetzloser Willkür über den Himmel ausbreiteten; die palmenbekränzten, ins tiefste Türkisblau gestreuten Inselchen; die befeuernde Trunkenheit des Passats, das regelmäßige Auf und Nieder der schaumgekrönten Wogen, das sich wiegende Deck unter seinen Füßen, die straff gespannten Segel über seinem Haupte; die blumengeschmückten, goldhäutigen Männer und Frauen Polynesiens, halb Kinder und halb Götter; und selbst die heulenden Wilden Melanesiens, die Kopfjäger und Menschenfresser, halb Teufel und ganz wilde Tiere.
Und dieser Lieblingssohn der Sonne, dieser vielfache Millionär ließ sich aus reinem Überfluß an Energie und Lebensfreude auf seinen weiten Fahrten aufhalten, um sich mit Harrison J. Griffiths um einer elenden Summe Geldes willen zu messen. Es war dies eine seiner Launen, ein Einfall, der Ausdruck seines Ichs und der ihn durchströmenden Sonnenwärme. Es war ein Scherz, ein Witz, eine Aufgabe, ein bißchen Spielerei, aber er setzte aus reinem Vergnügen das Leben dabei aufs Spiel.
Der frühe Morgen fand die Wonder dicht unter der Küste von Guadalcanar. Vor dem ersterbenden Hauch des Landwindes glitt sie ganz träge durchs Wasser. Im Osten versprachen schwere Wolkenmassen die Auferstehung des Passats mit heftigen Windstößen und Regenböen. Vor ihr segelte in derselben Richtung ein kleiner Kutter, den die Wonder langsam überholte. Es war jedoch nicht die Willi-Waw, und Kapitän Ward von der Wonder meldete, als er das Glas vom Auge sinken ließ, daß das Fahrzeug Kauri hieße.
Grief, der gerade an Deck gekommen war, seufzte bedauernd. »Schade, daß es nicht die Willi-Waw ist«, sagte er.
»Sie lassen sich auch nicht gern schlagen«, bemerkte Denby, sein Superkargo, mitfühlend.
»Nein, weiß Gott!« Grief lachte fröhlich. »Es ist meine feste Überzeugung, daß Griffiths ein Lump ist, und daß er mich gestern niederträchtig behandelt hat. ›Unterschreiben Sie,‹ sagte er, ›unterschreiben Sie Ihren vollen Namen David Grief und das Datum. Und Jacobsen, diese kleine Ratte, war mit ihm im Bunde. Es war glatte Seeräuberei, ganz wie in den Tagen von Bully Hays.«
»Wenn Sie nicht mein Brotherr wären, Herr Grief, würde ich Ihnen mal meine Meinung sagen«, fuhr es aus Kapitän Ward heraus.
»Genieren Sie sich nicht und legen Sie los«, ermunterte ihn Grief.
»Na schön –« Der Kapitän zögerte und räusperte sich. »Wenn man soviel Geld hat wie Sie, muß man ein Narr sein, um sich so in Gefahr zu begeben, wie Sie es bei diesen beiden Halunken getan haben. Weshalb taten Sie es eigentlich?«
»Offen gestanden, Kapitän, weiß ich es selber nicht. Ich glaube, ich mußte es tun. Haben Sie einen andern Grund, wenn Sie etwas tun?«
»Er wird Ihnen noch eines schönen Tages eine Kugel durch den Kopf jagen«, brummte Kapitän Ward zur Antwort, dann ging er ins Kompaßhäuschen, um ein Vorgebirge zu peilen, das soeben sein Haupt durch die Wolken steckte, die Guadalcanar bisher eingehüllt hatten.
Der Landwind machte noch eine letzte Anstrengung, und die Wonder glitt durchs Wasser und legte sich neben die Kauri. Grüße wurden gewechselt, dann rief David Grief:
»Habt Ihr was von der Willi-Waw gesehen?«
Der Kapitän, im Schlapphut und barfüßig, zog den Strick fester, der ihm den blauen Lendenschurz zusammenhielt und spuckte den Tabaksaft über Bord. »Aber sicher«, antwortete er. »Griffiths lag letzte Nacht vor Savo, nahm Schweine, Jams und frisches Wasser über. Es sah aus, als hätte er eine lange Fahrt vor, aber er sagte nein. Warum meinen Sie? Wollen Sie ihn sprechen?«
»Ja – wenn Sie ihn aber früher sehen sollten als ich, dann sagen Sie ihm nichts davon.«
Der Kapitän nickte und dachte ein wenig nach, dann ging er schnell nach vorn, um möglichst neben dem andern zu bleiben, dessen Schiff schneller fuhr. »Halt!« rief er plötzlich. »Jacobsen sagte mir, daß sie heut nachmittag nach Gabera kommen würden, sagte, sie würden über Nacht dort liegenbleiben, um Bataten zu laden.«
»Gabera hat doch das einzige Leuchtfeuer im Salomonarchipel, nicht wahr?« sagte Grief, während der Kutter immer mehr abfiel. »Stimmt das nicht, Kapitän Ward?«
Der Kapitän nickte.
»Und die kleine Bucht hinter dem Vorgebirge hier ist doch ein schlechter Ankerplatz?«
»Überhaupt keiner, nur Korallenklippen und Sandbänke. Die Molly wurde dort vor drei Jahren vollkommen erledigt.«
Grief starrte eine ganze Minute mit glanzlosen Augen vor sich hin, dann umspielten Fältchen seine Augen, und seine blonden Schnurrbartspitzen hoben sich mit einem Lächeln.
»Wir ankern vor Gabera«, sagte er. »Aber laufen Sie erst die kleine Bucht an, ich möchte gern mit dem Boot an Land, wenn wir das Vorgebirge passieren. Geben Sie mir sechs Mann mit Gewehren mit. Morgen früh werde ich wieder an Bord sein.«
Das Gesicht des Kapitäns nahm zuerst einen mißtrauischen, dann einen Vorwurfs vollen Ausdruck an.
»Ach, nur ein kleiner Scherz, Kapitän«, entschuldigte sich Grief wie ein Schuljunge, der bei einem Streich ertappt wird.
Kapitän Ward grunzte, Denby aber war sichtlich belebt.
»Ich möchte gern mitkommen, Herr Grief«, sagte er. Grief nickte zustimmend.
»Holen Sie ein paar Beile und Messer«, sagte er. »Ja, halt, auch ein paar helle Laternen. Und sorgen Sie dafür, daß sie genügend mit Öl versehen sind.«
Eine Stunde vor Sonnenaufgang zog die Wonder an der kleinen Bucht vorbei. Der Wind hatte aufgefrischt, und die See wurde bewegt. Die Sandbänke dicht vor der Küste waren schon weiß vor Schaum, die draußen liegenden zeichneten sich durch die Färbung des Wassers ab. Während der Schoner in den Wind ging und Klüver und Stag braßte, wurde das Walboot ausgeschwungen. Sechs fast nackte Santa-Cruz-Leute sprangen hinein, jeder mit einer Büchse bewaffnet. Denby ließ sich mit den Laternen auf dem Achtersitz nieder. Grief folgte ihm, blieb aber einen Augenblick auf der Reling sitzen.
»Jetzt beten Sie, daß wir eine dunkle Nacht kriegen, Kapitän«, sagte er.
»Die kriegen wir«, erwiderte Kapitän Ward. »Der Mond scheint nicht, so daß die Wolken am Himmel nicht zu sehen sind. Übrigens müssen wir auf stürmisches Wetter gefaßt sein.«
Diese Prophezeiung ließ Griefs Gesicht aufleuchten, so daß der Goldschimmer seiner sonnengebräunten Haut noch deutlicher wurde. Mit einem Sprung stand er neben dem Superkargo.
»Loswerfen!« befahl Kapitän Ward. »Rad über! So! Los!«