Ein Volksfeind - Henrik Ibsen - E-Book

Ein Volksfeind E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

Dieses eBook: "Ein Volksfeind" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Ein Volksfeind ist ein gesellschaftskritisches Drama des norwegischen Schriftstellers Henrik Ibsen aus dem Jahr 1882. Leitmotive sind Wahrheit und Freiheit sowie Mehrheit und Recht. Besonders beanstandet Ibsen die öffentliche Meinung, die oft als Wahrheit akzeptiert werde. Er schrieb Ein Volksfeind als Antwort auf die Kritik an seinen Dramen Nora oder Ein Puppenheim und Gespenster. Beide wurden zu seiner Zeit als skandalös betrachtet, da sich Ibsen gegen die herrschenden Konventionen wandte. Ibsens letztes Gesellschaftsdrama Ein Volksfeind hatte, wie von ihm erwartet, trotz des brisanten Themas beim Publikum und der Theaterkritik Erfolg und wird auch heute noch häufig aufgeführt und als Schullektüre eingesetzt. Henrik Ibsen (1828-1906) war ein norwegischer Dramatiker und Lyriker, der gegen die Moral und "Lebenslüge" seiner Zeit zu Felde zog und im "Kampf der Geschlechter" im Gegensatz zu August Strindberg den Standpunkt der Frau vertrat. Seine bürgerlichen Dramen zeigten ethischen Ernst und großes psychologisches Einfühlungsvermögen.

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Henrik Ibsen

Ein Volksfeind

Der Kampf für die Wahrheit und Freiheit
Übersetzer: Wilhelm Lange
e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-5028-1

Inhaltsverzeichnis

Ein Volksfeind
Biografie

Ein Volksfeind

Inhaltsverzeichnis
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt

Personen

Inhaltsverzeichnis

Doktor Thomas Stockmann, Badearzt Frau Stockmann Petra, beider Tochter, Lehrerin Ejlif, Morten, beider Söhne, im Alter von dreizehn und zehn Jahren Peter Stockmann, der ältere Bruder des Doktors, Stadtvogt und Polizeimeister, Vorsitzender der Badeverwaltung usw. Morten Kiil, Gerbermeister, Frau Stockmanns Pflegevater Hovstadt, Redakteur des »Volksboten« Billing, Mitarbeiter des Blattes Horster, Schiffskapitän Aslaksen, Buchdrucker

Erster Akt

Inhaltsverzeichnis

Wohnzimmer des Doktors.

Abend. Das Zimmer ist sehr einfach, aber nett eingerichtet und möbliert. An der rechten Seitenwand sind zwei Türen, von denen die hintere ins Vorzimmer und die vordere in das Arbeitszimmer des Doktors führt. An der entgegengesetzten Wand, der Vorzimmertür gerade gegenüber, ist eine Tür, die zu den übrigen Zimmern der Familie führt. In der Mitte dieser Wand steht der Ofen, und weiter nach dem Vordergrund zu ein Sofa mit Spiegel; vor dem Sofa ein ovaler Tisch mit Decke. Auf dem Tische eine brennende Lampe mit Schirm. Im Hintergrund eine offene Tür, die ins Speisezimmer führt. Der Tisch drinnen, mit der Lampe darauf, ist zum Abendessen gedeckt.

Billing sitzt drin am Eßtisch mit einer Serviette unter dem Kinn. Frau Stockmann steht am Tisch und reicht ihm eine Schüssel mit einem großen Stück Rinderbraten. Die übrigen Plätze am Tisch sind leer; das Tischzeug ist in Unordnung wie nach einer beendeten Mahlzeit.

Frau Stockmann. Ja, wenn Sie eine Stunde zu spät kommen, Herr Billing, dann müssen Sie mit kaltem Essen vorlieb nehmen.

Billing essend. Es schmeckt ganz ausgezeichnet, – ganz großartig.

Frau Stockmann. Sie wissen ja, wie genau Stockmann auf pünktliche Mahlzeiten hält –

Billing. Das macht mir gar nichts. Ich glaube fast, es schmeckt mir noch besser, wenn ich ganz allein dasitzen und ungestört essen kann.

Frau Stockmann. Na ja, wenn es Ihnen nur schmeckt, so – Horcht nach dem Vorzimmer hin. Da kommt gewiß auch Hovstad.

Billing. Schon möglich.

Stadtvogt Stockmann, im Paletot mit Amtsmütze und Stock, tritt ein.

Stadtvogt. Ergebensten guten Abend, Frau Schwägerin.

Frau Stockmann tritt ins Wohnzimmer. Ei sieh da, guten Abend; Sie sind's? Das ist hübsch von Ihnen, daß Sie sich mal bei uns sehen lassen.

Stadtvogt. Ich bin gerade vorbeigegangen und da – Mit einem Blick auf das Speisezimmer. Aber – Sie haben Gesellschaft, wie es scheint.

Frau Stockmann etwas verlegen. O, durchaus nicht; das ist reiner Zufall. Rasch. Wollen Sie nicht eintreten und einen Bissen mitessen?

Stadtvogt. Ich? Nein, vielen Dank. I Gott bewahre; warmes Abendbrot; das ist nichts für meine Verdauung.

Frau Stockmann. Ach, einmal ist doch keinmal –.

Stadtvogt. Nein, nein, das wäre noch schöner; ich bleibe bei meinem Tee und meinem Butterbrot. Das ist doch gesünder auf die Dauer, – und auch ein bißchen haushälterischer.

Frau Stockmann lächelt. Sie halten doch wohl nicht Thomas und mich für ausgemachte Verschwender?

Stadtvogt. Sie nicht, Frau Schwägerin; das sei fern von mir. Deutet auf das Arbeitszimmer des Doktors. Er ist am Ende nicht zu Hause?

Frau Stockmann. Nein, er macht einen kleinen Spaziergang nach dem Essen, – er und die Jungen.

Stadtvogt. Ob das gesund sein mag? Horcht auf. Da kommt er wohl.

Frau Stockmann. Nein, das ist er schwerlich. Es klopft. Herein!

Hovstad kommt aus dem Vorzimmer.

Frau Stockmann. Ah, Sie sind's, Herr Hovstad –?

Hovstadt. Ja, – Sie müssen entschuldigen; aber ich wurde in der Druckerei aufgehalten. Guten Abend, Herr Stadtvogt.

Stadtvogt grüßt etwas steif. Herr Redakteur. Sie kommen vermutlich in Geschäften?

Hovstadt. Zum Teil. Es handelt sich um etwas, das ins Blatt soll.

Stadtvogt. Kann es mir denken. Mein Bruder, höre ich, soll ein enorm fruchtbarer Mitarbeiter des »Volksboten« sein.

Hovstadt. Ja, er ist so frei, für den »Volksboten« zu schreiben, wenn er aus diesem oder jenem Anlaß die Wahrheit sagen will.

Frau Stockmann zu Hovstad. Aber wollen Sie nicht –? Zeigt nach dem Speisezimmer.

Stadtvogt. I, ich verdenke es ihm durchaus nicht, daß er für den Leserkreis schreibt, wo er hoffen darf, den meisten Anklang zu finden. Übrigens habe ich persönlich ja gar keinen Grund, auf Ihr Blatt ungehalten zu sein, Herr Hovstad.

Hovstadt. Nein, das scheint mir auch.

Stadtvogt. Im großen ganzen herrscht ein schöner Geist der Verträglichkeit in unserer Stadt; – ein Bürgersinn, wie er sein soll. Und das kommt daher, weil wir uns um eine große, gemeinsame Angelegenheit scharen können, – eine Angelegenheit, die in gleich hohem Grade alle rechtschaffenen Mitbürger angeht –

Hovstadt. Das Bad, jawohl.

Stadtvogt. Allerdings. Wir haben unser großes, neues, prächtiges Bad. Passen Sie auf! Das Bad wird die vornehmste Lebensquelle der Stadt, Herr Hovstad. Unbestritten!

Frau Stockmann. Dasselbe sagt Thomas auch.

Stadtvogt. Welchen Riesenaufschwung hat der Ort nicht in den letzten paar Jahren genommen! Hier ist Geld unter die Leute gekommen; Leben und Bewegung! Haus- und Grundbesitz steigen im Wert mit jedem Tage.

Hovstadt. Und die Arbeitslosigkeit nimmt ab.

Stadtvogt. Auch das, jawohl. Die Armenlast hat sich für die besitzenden Klassen in erfreulichem Maße vermindert, und das wird in noch höherem Grade der Fall sein, wenn wir dies Jahr nur einen recht guten Sommer bekommen; – einen recht regen Fremdenverkehr, – eine hübsche Menge Kranker, die dem Bad einen Namen machen.

Hovstadt. Und dazu ist ja Aussicht vorhanden, wie ich höre.

Stadtvogt. Es läßt sich vielversprechend an. Jeden Tag laufen Anfragen wegen Wohnungen und dergleichen ein.

Hovstadt. Na, da kommt ja der Aufsatz des Herrn Doktors gerade gelegen.

Stadtvogt. Hat er wieder etwas geschrieben?

Hovstadt. Es ist ein Manuskript vom letzten Winter; eine Empfehlung des Bades, eine Darstellung der günstigen Gesundheitsverhältnisse hier bei uns. Aber damals ließ ich den Aufsatz liegen.

Stadtvogt. Aha, vermutlich hatte die Sache in irgend welcher Beziehung einen Haken.

Hovstadt. Nein, das nicht; aber ich meinte, lieber bis zum Frühjahr damit warten zu sollen; denn jetzt beginnt ja das Publikum Anstalten zu treffen und an die Sommerfrische zu denken –

Stadtvogt. Sehr richtig; ungemein richtig, Herr Hovstad.

Frau Stockmann. Ja, Thomas ist wirklich unermüdlich, wenn es sich um das Bad handelt.

Stadtvogt. Na, er steht doch auch im Dienste des Bades.

Hovstadt. Ja, und dann ist ja auch er es gewesen, der die Grundlage dazu geschaffen hat.

Stadtvogt. Er? So? Ich höre allerdings zuweilen, daß man in gewissen Kreisen dieser Ansicht ist. Ich glaubte nun freilich, ich hätte auch einen bescheidenen Anteil an diesem Unternehmen.

Frau Stockmann. Ja, das sagt Thomas immer.

Hovstadt. Wer leugnet denn das, Herr Stadtvogt? Sie haben die Sache in Gang gebracht und sie praktisch durchgeführt; das wissen wir doch alle. Aber ich meinte nur, daß die ursprüngliche Idee vom Herrn Doktor stammt.

Stadtvogt. Ja, Ideen hat mein Bruder gewiß Zeit seines Lebens genug gehabt – leider. Wenn aber etwas ins Werk gesetzt werden soll, so werden Männer von anderem Schlage gebraucht, Herr Hovstad. Und ich glaubte wirklich, daß man am allerwenigsten in diesem Hause –

Frau Stockmann. Aber, lieber Schwager –

Hovstadt. Wie können Sie nur, Herr Stadtvogt –

Frau Stockmann. Jetzt gehen Sie aber hinein, Herr Hovstad, und nehmen Sie etwas zu sich; inzwischen kommt auch wohl mein Mann.

Hovstadt. Danke sehr; einen kleinen Bissen nur! Ab ins Speisezimmer.

Stadtvogt mit etwas gedämpfter Stimme. Es ist was Merkwürdiges mit den Leuten, die direkt von Bauern abstammen; taktlos sind und bleiben sie nun einmal.

Frau Stockmann. Aber lohnt es sich denn, Aufhebens davon zu machen? Können Sie und Tomas sich nicht brüderlich in die Ehre teilen?

Stadtvogt. Ja, man sollte es meinen; offenbar aber ist nicht jeder mit dem Teilen zufrieden.

Frau Stockmann. Ach Unsinn! Sie und Thomas kommen doch ganz vortrefflich miteinander aus. Horcht. Ich glaube, da ist er.

Geht hin und öffnet die Tür des Vorzimmers.

Doktor Stockmann lacht und lärmt draußen. Sieh, Käte, da kriegst Du noch einen Gast! Famos, was? Bitte, Kapitän. Hängen Sie den Rock nur da an den Kleiderriegel. Ach so – Sie tragen keinen Paletot? Du, Käte, ich habe ihn auf der Straße abgefangen; er wollte durchaus nicht mit herauf.

Horster tritt ein und begrüßt Frau Stockmann.

Stockmann in der Tür. Hinein, Ihr Jungens. Du! Sie haben schon wieder einen Mordshunger! Kommen Sie, Kapitän; Sie sollen einen Rinderbraten kosten, der –

Nötigt Horster ins Speisezimmer. Ejlif und Morten gehen ebenfalls hinein.

Frau Stockmann. Aber Thomas, siehst Du denn nicht –?

Stockmann wendet sich in der Tür um. Ach, Du bist's, Peter! Geht auf ihn zu und reicht ihm die Hand. Nein, das ist aber reizend.

Stadtvogt. Ich muß leider gleich wieder fort –

Stockmann. Unsinn! Gleich kommt der Toddy auf den Tisch. Du hast den Toddy doch nicht vergessen, Käte?

Frau Stockmann. I bewahre. Das Wasser kocht schon. Ab ins Speisezimmer.

Stadtvogt. Toddy auch –!

Stockmann. Ja, laß Dich nur nieder, und dann machen wir es uns gemütlich.

Stadtvogt. Ich danke. Ich beteilige mich niemals an Toddygelagen.

Stockmann. Aber das ist doch kein Gelage.

Stadtvogt. Mir scheint doch – Sieht nach dem Speisezimmer. Merkwürdig, was die alles vertilgen können.

Stockmann reibt sich die Hände. Ja, ist's nicht eine wahre Wonne, junge Leute essen zu sehen? Immer Appetit, Du! So ist's recht. Das Essen gehört mit dazu! Kräfte! Das sind die Leute, die den gärenden Zukunftsstoff aufwühlen sollen, Peter.

Stadtvogt. Darf ich fragen, was es hier »aufzuwühlen« gibt, wie Du Dich ausdrückst?

Stockmann. Ja, das mußt Du die Jugend fragen – wenn es so weit ist. Wir erleben es natürlich nicht mehr. Selbstverständlich. So ein paar alte Knaben, wie Du und ich –

Stadtvogt. Na, na! Das ist doch eine höchst ungewöhnliche Bezeichnung –

Stockmann. Du darfst es nicht so genau mit mir nehmen, Peter. Denn Du mußt wissen, ich bin so riesig froh und vergnügt. Ich fühle mich ganz unsagbar glücklich inmitten dieses keimenden, sprießenden Lebens. Es ist doch eine herrliche Zeit, in der wir leben! Es ist, als ob eine ganz neue Welt aufblühen wolle um einen her.

Stadtvogt. Findest Du wirklich?

Stockmann. Ja, Du kannst das natürlich nicht so gut sehen wie ich. Bist Du doch Dein Leben lang mitten drin gewesen; da stumpft sich der Eindruck ab. Aber ich, der ich die langen Jahre da oben im Norden in meinem einsamen Winkel sitzen mußte und fast nie eines fremden Menschen ansichtig wurde, der ein ermunterndes Wort für mich gehabt hätte, – auf mich wirkt das, wie wenn ich mitten in das Gewimmel einer Weltstadt versetzt wäre –

Stadtvogt. Hm; Weltstadt –

Stockmann. Ich weiß ja wohl, daß die Verhältnisse hier klein sind im Vergleich zu vielen anderen Orten. Aber hier ist Leben, – Verheißung, eine Unzahl von Dingen, für die man wirken und kämpfen kann; und das ist die Hauptsache. Ruft: Käte, ist der Postbote nicht da gewesen?

Frau Stockmann im Speisezimmer. Nein; es ist keiner da gewesen.

Stockmann. Und dann das gute Auskommen, Peter! Das lernt man schätzen, wenn man wie wir nichts zu brechen und zu beißen gehabt hat –

Stadtvogt. Na, na –

Stockmann. O ja, glaub' nur, daß bei uns da oben oft Schmalhans Küchenmeister gewesen ist. Und nun leben zu können wie ein Grandseigneur! Heut, zum Beispiel, hatten wir Rinderbraten zu Mittag; ja, und abends hatten wir auch noch davon. Willst Du nicht ein Stück probieren? Oder soll ich ihn Dir nicht wenigstens zeigen? Komm mit –

Stadtvogt. Nein, nein, keinesfalls –

Stockmann. Na, so komm hierher. Sieh mal, wir haben eine Tischdecke gekriegt.

Stadtvogt. Ja, das habe ich bemerkt.

Stockmann. Und auch einen Lampenschirm. Siehst Du? Das alles hat Käte zusammengespart. Und das macht die Stube so gemütlich. Findest Du nicht auch? Stell' Dich nur mal hierher; – nein, nein, nein; nicht so. So. Ja! Siehst Du, wenn das Licht so konzentriert darauf fällt –. Ich finde, es sieht wirklich elegant aus. Was?

Stadtvogt. Ja, wenn man sich solchen Luxus gestatten kann –

Stockmann. O ja; den kann ich mir jetzt schon gestatten. Käte sagt, daß ich fast schon so viel verdiene, wie wir brauchen.

Stadtvogt. Fast – jawohl!

Stockmann. Aber ein Mann der Wissenschaft muß doch auch ein bißchen vornehm leben. Ich bin überzeugt, daß ein gewöhnlicher Amtmann weit mehr im Jahre braucht als ich.

Stadtvogt. Ja, das glaube ich schon! Ein Amtmann, eine obrigkeitliche Person –

Stockmann. Na, und ein einfacher Großkaufmann! So einer braucht noch xmal so viel –

Stadtvogt. Ja, das liegt nun einmal in den Verhältnissen.

Stockmann. Übrigens gebe ich wirklich nichts unnütz aus, Peter. Aber ich kann mir denn doch nicht die Herzensfreude versagen, Menschen bei mir zu sehen. Das brauche ich, siehst Du. Ich war so lange in der Verbannung, – es ist mir ein Lebensbedürfnis, mit jungen, flotten, mutigen Leuten, mit freigesinnten, unternehmungslustigen Leuten zusammen zu sein –; und das sind sie alle, alle, die da drin sitzen und so tapfer zulangen. Ich wünschte, Du lerntest diesen Hovstad etwas näher kennen –

Stadtvogt. Hovstad, – ja, richtig, – er hat mir erzählt, daß er wieder einen Aufsatz von Dir drucken will.

Stockmann. Einen Aufsatz von mir?

Stadtvogt. Ja, über das Bad. Einen Aufsatz, den Du schon im Winter geschrieben hast.

Stockmann. Ach den, ja! – Aber den will Ich jetzt vorläufig nicht hinein haben.

Stadtvogt. Nicht? Mir scheint denn doch, gerade jetzt wäre die günstigste Zeit.

Stockmann. Ja, da hast Du schon recht; unter gewöhnlichen Verhältnissen –

Geht durchs Zimmer.

Stadtvogt sieht ihm nach. Was sollte denn jetzt wohl Ungewöhnliches an den Verhältnissen sein?

Stockmann bleibt stehen. Ja, Peter, das kann ich Dir in diesem Augenblick noch nicht sagen, wenigstens heut abend nicht. Vielleicht ist sehr vieles ungewöhnlich an den Verhältnissen; oder vielleicht auch gar nichts. Leicht möglich, daß es nur eine Einbildung ist.

Stadtvogt. Ich muß gestehen, das klingt höchst rätselhaft. Ist denn was los? Etwas, wovon ich nichts wissen soll? Ich sollte doch meinen, daß ich, als Vorsitzender der Badeverwaltung –

Stockmann. Und ich sollte meinen, daß ich –; na, Peter, wir wollen einander nicht in die Haare fahren.

Stadtvogt. I Gott, – es ist nicht meine Art, einem in die Haare zu fahren, wie Du sagst. Aber ich muß auf das entschiedenste darauf bestehen, daß alle Maßregeln auf dem geschäftsordnungsmäßigen Weg erledigt werden und durch die gesetzlich dazu bestellten Behörden. Ich kann nicht gestatten, daß man krumme Wege und Hintertreppen betritt.

Stockmann. Pflege ich je krumme Wege und Hintertreppen zu betreten?

Stadtvogt. Jedenfalls hast Du von Natur den Hang, Deine eigenen Wege zu gehen. Und das ist in einer wohlgeordneten Gesellschaft beinahe ebenso unstatthaft. Der einzelne muß sich durchaus dem Ganzen unterordnen, oder, richtiger gesagt, den Behörden, die über das Gemeinwohl zu wachen haben.

Stockmann. Mag sein. Aber was zum Henker geht mich das an?

Stadtvogt. Ja, mein guter Thomas, das eben scheinst Du nie lernen zu wollen. Aber paß nur auf; Du wirst schon noch einmal dafür büßen müssen, – früher oder später. Ich habe es Dir nun gesagt. Leb' wohl.

Stockmann. Aber bist Du denn ganz verrückt? Du bist auf ganz falscher Fährte –

Stadtvogt. Das pflege ich doch sonst nicht zu sein. Übrigens muß ich mir verbitten – Grüßt ins Speisezimmer. Adieu, Frau Schwägerin. Adieu, meine Herren. Ab.

Frau Stockmann kommt ins Wohnzimmer. Ist er gegangen?

Stockmann. Ja, und zwar in Wut und Ärger.

Frau Stockmann. Aber, lieber Thomas, was hast Du ihm denn wieder angetan?

Stockmann. Nicht das allergeringste. Er kann doch nicht verlangen, daß ich ihm Rechenschaft gebe, ehe die Zeit gekommen ist.

Frau Stockmann. Über was solltest Du ihm denn Rechenschaft geben?

Stockmann. Ach, laß mich damit in Ruhe, Käte. – Es ist doch sonderbar, daß der Postbote nicht kommt.

Hovstad, Billing und Horster sind vom Tische aufgestanden und kommen ins Wohnzimmer. Gleich darauf auch Ejlif und Morten.

Billing, reckt die Arme. Ah! nach solch einer Mahlzeit ist man, Gott verdamm' mich, ein ganz neuer Mensch.

Hovstadt. Der Stadtvogt, scheint mir, war heut nicht grade in rosigster Laune.

Stockmann. Das kommt vom Magen her; er leidet an schlechter Verdauung.

Hovstadt. Besonders uns vom »Volksboten«, die konnte er nicht verdauen.

Frau Stockmann. Sie sind, meine ich, doch noch leidlich gut mit ihm ausgekommen.

Hovstadt. Na ja, aber es ist doch immer nur eine Art Waffenstillstand.

Billing. Das ist's! Das Wort erschöpft die Situation.

Stockmann. Wir dürfen nicht vergessen, daß Peter ein einsamer Mann ist, der arme Kerl. Er hat kein Heim, wo er sich behaglich fühlt; nur Geschäfte, und immer wieder Geschäfte. Und dann der verdammte dünne Tee, den er fortwährend in sich hineingießt. Na, Jungens, so stellt doch Stühle an den Tisch. Käte, kriegen wir nicht bald unsern Toddy?

Frau Stockmann geht nach dem Speisezimmer. Ich bringe ihn gleich herein.

Stockmann. Setzen Sie sich zu mir aufs Sofa, Kapitän. Ein so seltener Gast wie Sie –. Bitte schön, nehmen Sie Platz, meine Freunde.

Die Herren setzen sich um den Tisch. Frau Stockmann bringt einen Präsentierteller, auf dem Teekessel, Gläser, Karaffe und Zubehör stehen.

Frau Stockmann. So. Hier ist Arrak, und das da ist Rum; und hier steht der Kognak. Jetzt muß sich jeder selbst bedienen.

Stockmann nimmt das Glas. Ja, das werden wir machen. Während der Toddy gemischt wird. Und nun die Zigarren! Ejlif, Du weißt sicher, wo die Kiste steht. Und Du, Morten, kannst mir meine Pfeife bringen. Die Knaben gehen rechts ins Zimmer. Ich habe Ejlif im Verdacht, daß er dann und wann eine Zigarre maust; aber ich lasse mir nichts merken. Ruft. Und dann mein Käppchen, Morten! Käte, kannst Du ihm nicht sagen, wo ich es hingelegt habe. Na, er hat es schon! Die Knaben bringen das Verlangte. Bitte schön, meine Freunde. Ihr wißt ja, ich bleibe bei der Pfeife; die hat da oben in Nordland mit mir manchen Sturm erlebt. Stößt an. Prosit! Ach, es ist schon ein ander Ding, hier mollig und sicher zu sitzen.

Frau Stockmann strickend. Gehen Sie bald in See, Herr Kapitän?

Horster. Nächste Woche hoffe ich fertig zu werden.

Frau Stockmann. Und dann fahren Sie wohl nach Amerika?

Horster. Ja, das ist meine Absicht.

Billing. Aber dann können Sie ja nicht bei den städtischen Neuwahlen mittun.

Horster. Sind hier Neuwahlen?

Billing. Das wissen Sie nicht?

Horster. Nein, von solchen Sachen lasse ich die Finger weg.

Billing. Aber um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern Sie sich doch?

Horster. Nein, ich verstehe mich auf so etwas nicht.

Billing. Immerhin, – mitstimmen muß man doch wenigstens.

Horster. Die auch, die gar nichts davon verstehen?

Billing. Verstehen? Ja, wie meinen Sie das? Die Gesellschaft ist wie ein Schiff. Alle Mann müssen mittun am Steuerruder.

Horster. Fürs Festland mag das angebracht sein; aber an Bord würde es nicht gut gehen.

Hovstadt. Sonderbar, daß die Seeleute im allgemeinen sich so wenig um die Dinge auf dem Lande kümmern.

Billing. Ganz merkwürdig.

Stockmann. Die Seeleute sind wie die Zugvögel; sie fühlen sich im Süden wie im Norden zu Hause. Aber darum müssen wir andern um so tätiger sein, Herr Hovstad. Steht morgen was von allgemeinem Interesse im »Volksboten«?

Hovstadt. Nichts über städtische Angelegenheiten. Doch übermorgen dachte ich Ihren Aufsatz zu bringen –

Stockmann. Donnerwetter ja, der Aufsatz! Nein, hören Sie, damit müssen Sie warten.

Hovstadt. So? Jetzt haben wir aber just so schönen Platz, und ich meinte, der Augenblick wäre gerade sehr günstig –

Stockmann. Jawohl, da mögen Sie schon recht haben; Sie müssen aber trotzdem warten. Ich werde Ihnen später erklären –

Petra kommt in Hut und Mantel mit einem Stoß Schreibhefte unter dem Arm aus dem Vorzimmer.

Petra. Guten Abend.

Stockmann. Guten Abend, Petra; bist Du da?

Gegenseitige Begrüßung; Petra legt Hut, Mantel und Hefte auf einen Stuhl an der Tür.

Petra. Und hier sitzt man und tut sich gütlich, während ich draußen bin und mich abschufte.

Stockmann. Na, so tu Dir doch auch gütlich, Du.

Billing. Soll ich Ihnen ein Gläschen anmachen?

Petra kommt an den Tisch. Danke, das tue ich lieber selbst; Sie machen ihn mir immer zu stark an. Richtig ja, Vater! Ich habe einen Brief für Dich. Geht zu dem Stuhl, wo ihre Sachen liegen.

Stockmann Einen Brief! Von wem?

Petra sucht in der Manteltasche. Der Postbote hat ihn mir gegeben, gerade als ich das Haus verließ –

Stockmann steht auf und geht zu ihr. Und da gibst Du ihn erst jetzt ab!

Petra. Ich hatte wirklich nicht Zeit, wieder herauf zu laufen! Bitte schön, hier ist er.

Stockmann nimmt schnell den Brief. Laß mich sehen; laß mich sehen, mein Kind. Sieht die Aufschrift an. Ja, ganz recht –!

Frau Stockmann. Ist das der, auf den Du so gewartet hast, Thomas?

Stockmann. Ja freilich; jetzt muß ich gleich hinein –. Wo kriege ich ein Licht her, Käte? Es ist schon wieder keine Lampe in meinem Zimmer!

Frau Stockmann. Doch; die Lampe steht auf dem Schreibtisch und brennt.

Stockmann. Gut, gut. Entschuldigen Sie einen Augenblick – Ab in das Zimmer rechts.

Petra. Was kann das nur sein, Mutter?

Frau Stockmann. Ich weiß nicht. In den letzten Tagen hat er so oft nach dem Postboten gefragt.

Billing. Vermutlich ein auswärtiger Patient –

Petra. Armer Vater; es wird bald zu viel, was er zu tun hat. Bereitet sich den Toddy. Ah, das soll schmecken!

Hovstadt. Haben Sie heut auch Abendunterricht gehabt?

Petra nippt an ihrem Glase. Zwei Stunden.

Billing. Und vormittags vier Stunden im Institut –

Petra setzt sich an den Tisch. Fünf Stunden.

Frau Stockmann. Und heut abend hast Du noch Hefte zu korrigieren, wie ich sehe.

Petra. Ja, einen ganzen Haufen.

Horster. Sie haben auch alle Hände voll zu tun, wie mir scheint.

Petra. Ja, aber das ist famos! Man wird hernach so himmlisch müde.

Billing. Und das mögen Sie?

Petra. Ja, weil man dann so gut schläft.

Morten. Du, Petra, Du mußt mächtig sündhaft sein.

Petra. Sündhaft?

Morten. Ja, weil Du so viel arbeitest. Herr Rörlund sagt, das Arbeiten, das ist eine Strafe für unsere Sünden.

Ejlif pfeift. Pah! Wie dumm Du bist, so etwas zu glauben.

Frau Stockmann. Na, na, Ejlif!

Billing lacht. Nein, das ist ausgezeichnet.

Hovstadt. Du möchtest wohl nicht gern so viel arbeiten, Morten?

Morten. Nein, das möchte ich nicht.

Hovstadt. Ja, aber was willst Du denn einmal werden?

Morten. Ich möchte am liebsten Wiking werden.

Ejlif. Aber dann müßtest Du ja Heide sein!

Morten. Ja, dann könnte ich ja Heide werden.

Billing. Darin halte ich es mit Dir, Morten! Ich sage genau dasselbe.

Frau Stockmann macht ihm ein Zeichen. Das ist doch Ihr Ernst nicht, – nein, Herr Billing.

Billing. Ja, Gott verdamm' mich –! Ich bin ein Heide, und darauf bin ich stolz. Passen Sie mal auf, bald werden wir alle Heiden, einer wie der andere.

Morten. Und dürfen wir dann alles tun, was wir wollen?

Billing. Ja, sieh mal, Morten –

Frau Stockmann. Nun macht aber, daß Ihr hineinkommt, Ihr Jungens; Ihr habt gewiß noch Schularbeiten für morgen.

Ejlif. Ich könnte doch ganz gut noch ein bißchen bleiben –

Frau Stockmann. Auch Du nicht; Ihr sollt jetzt beide gehen.

Die Knaben sagen Gutenacht und gehen in das Zimmer links.

Hovstadt. Glauben Sie wirklich, es könnte den Jungens schaden, wenn sie so etwas hören?

Frau Stockmann. Ja, ich weiß nicht; aber ich habe es nicht gern.

Petra. Aber, Mutter; mir scheint, das ist von Dir so verkehrt wie möglich.

Frau Stockmann. Mag sein; aber ich habe es nicht gern; wenigstens nicht hier zu Hause.

Petra. Zu Hause wie in der Schule ist so viel Unwahrheit. Zu Hause soll geschwiegen werden, und in der Schule müssen wir den Kindern vorlügen.

Horster. Vorlügen?

Petra. Ja, meinen Sie nicht, wir trügen sehr vieles vor, woran wir selbst nicht glauben?

Billing. Ja, das ist nur allzu wahr.

Petra. Hätte ich nur die Mittel, ich würde selber eine Schule gründen, und da sollte es anders zugehen.

Billing. Ach was, Mittel –

Horster. Wenn's weiter nichts ist, Fräulein Stockmann, so stelle ich Ihnen gern bei mir ein Lokal zur Verfügung. Das große Haus meines seligen Vaters steht ja so gut wie leer; zu ebener Erde ist ein riesiger Speisesaal –

Petra lacht. Ja, ja – ich danke Ihnen recht schön; aber es wird wohl nichts draus werden.

Hovstadt. Ach nein, Fräulein Petra geht wohl eher unter die Zeitungsschreiber, meine ich. Doch daß ich es nicht vergesse, – haben Sie Zeit gehabt, ein bißchen in die englische Erzählung hinein zu gucken, die Sie für uns übersetzen wollten?

Petra. Nein, noch nicht. Aber Sie bekommen sie rechtzeitig.

Stockmann kommt aus seinem Zimmer mit dem offenen Brief in der Hand.

Stockmann schwingt den Brief. Jetzt, paßt mal auf, soll die Stadt eine Neuigkeit hören!

Billing. Eine Neuigkeit?

Frau Stockmann. Was ist das für eine Neuigkeit?

Stockmann. Ein große Entdeckung, Käte!

Hovstadt. So?

Frau Stockmann. Die Du gemacht hast?

Stockmann. Ich, allerdings. Geht auf und ab. Laßt sie nur kommen und, wie gewöhnlich, sagen, daß es Grillen und Einfälle eines verrückten Kerls sind. Aber sie werden sich wohl hüten! Haha! Sie werden sich hüten, denke ich!

Petra. Aber Vater, so sag' doch, was es ist.

Stockmann. Ja, ja, laßt mir nur Zeit, dann sollt Ihr alles erfahren. Ach, hätt' ich jetzt nur den Peter da! Da sieht man, wie wir Menschen herumlaufen und urteilen können wie die blindesten Maulwürfe –

Hovstadt. Wie meinen Sie das, Herr Doktor?

Stockmann bleibt am Tisch stehen. Ist es nicht die allgemeine Ansicht, daß unsere Stadt ein gesunder Ort ist?

Hovstadt. Ei freilich.

Stockmann. Ein ganz außerordentlich gesunder Ort obendrein – ein Ort, der unseren kranken wie unseren gesunden Mitmenschen nicht warm genug empfohlen werden kann –

Frau Stockmann. Aber, lieber Thomas –

Stockmann. Und empfohlen und gepriesen haben wir ihn denn auch! Ich habe geschrieben und geschrieben, im »Volksboten« wie in Flugschriften –

Hovstadt. Nun ja, und –?

Stockmann. Dieses Bad, das man die Pulsader der Stadt und den Lebensnerv der Stadt und – und weiß der Teufel wie sonst noch nennt –

Billing. »Das pochende Herz der Stadt« habe ich mir mal in einer festlichen Stunde erlaubt zu –

Stockmann. Na ja, das auch. Aber wissen Sie denn, was es in Wirklichkeit ist, dieses große, prächtige, gepriesene Bad, das so viel Geld gekostet hat, – wissen Sie, was es ist?

Hovstadt. Nein, was denn?

Frau Stockmann. Ja, was ist denn?

Stockmann. Das ganze Bad ist eine Pesthöhle.

Petra. Das Bad, Vater!

Frau Stockmann zu gleicher Zeit. Unser Bad!

Hovstadt ebenso. Aber Herr Doktor –

Billing. Ganz unglaublich!

Stockmann. Das ganze Bad ist ein übertünchtes, vergiftetes Grab, sag' ich. Gesundheitsgefährlich im allerhöchsten Grade! Der ganze Unrat da oben im Mühltal, – alles, was da so eklig riecht, – es infiziert das Wasser in den Zuflußröhren des Brunnenhauses, und dieser selbe verdammte, vergiftete Dreck sickert auch hinunter zum Strande –

Horster. Wo die Seebäder liegen?

Stockmann. Eben dahin.

Hovstadt. Woher wissen Sie denn das alles so genau, Herr Doktor?

Stockmann. Ich habe die Verhältnisse so gewissenhaft wie nur denkbar untersucht. Ach, ich hatte schon lange einen solchen Verdacht gehegt. Voriges Jahr kam eine Reihe auffallender Krankheitsfälle unter den Badegästen vor, – Fälle von Typhus und gastrischem Fieber –

Frau Stockmann. Ja, das ist freilich wahr.

Stockmann. Damals glaubten wir, die Fremden hätten die Ansteckung mitgebracht; hernach aber – in diesem Winter – bin ich auf andere Gedanken gekommen; und dann machte ich mich dran, das Wasser zu untersuchen, so gut es sich tun ließ.

Frau Stockmann. Das war es also, was Dir so viel zu schaffen gemacht hat?

Stockmann. Ja, Käte, Du darfst schon sagen, daß es mir zu schaffen gemacht hat. Aber hier fehlten mir ja die nötigen wissenschaftlichen Hilfsmittel; und so schickte ich Proben vom Trinkwasser wie vom Seewasser an die Universität, um von einem Chemiker eine exakte Analyse zu erhalten.

Hovstadt. Und die haben Sie jetzt erhalten?

Stockmann zeigt den Brief. Hier habe ich sie! Das Vorhandensein verfaulter organischer Stoffe ist im Wasser nachgewiesen – Infusorien in Massen. Das Wasser ist absolut schädlich für die Gesundheit, ob es nun innerlich oder äußerlich gebraucht wird.

Frau Stockmann. Es ist ein wahres Glück, daß Du noch beizeiten dahinter gekommen bist.

Stockmann. Ja, da hast Du recht.

Hovstadt. Und was werden Sie jetzt tun, Herr Doktor?

Stockmann. Natürlich versuchen, Wandel zu schaffen.

Hovstadt. Das ist also möglich?

Stockmann. Es muß möglich sein. Sonst ist das ganze Bad unbrauchbar, – ruiniert. Aber damit hat es keine Not, Ich bin vollständig mit mir im reinen darüber, was hier zu tun ist.

Frau Stockmann. Aber, bester Thomas, daß Du dies alles so geheim gehalten hast.

Stockmann. Ja, hätte ich vielleicht in der Stadt herumrennen und es ausposaunen sollen, ehe ich noch volle Gewißheit hatte? Ich werde mich hüten – so dumm bin ich nicht.

Petra. Na, aber Deiner Familie –

Stockmann. Keiner Menschenseele. Doch morgen kannst Du zum »Dachs« laufen –

Frau Stockmann. Aber Thomas –!

Stockmann. Na, also zum Großvater. Ja, der Alte, der wird ein Gesicht machen! Er glaubt ja, ich bin verrückt; na ja, ich weiß schon: es gibt noch mehr Leute, die das glauben. Jetzt sollen die Herrschaften aber sehen –; jetzt sollen Sie sehen –! Geht umher und reibt sich die Hände. Was wird das für einen Krach in der Stadt geben, Käte! Davon kannst Du Dir gar keinen Begriff machen. Die ganze Wasserleitung muß umgelegt werden.

Hovstadt steht auf. Die ganze Wasserleitung –?

Stockmann. Ja, versteht sich. Das Aufnahmebecken liegt zu niedrig; es muß nach einer weit höheren Stelle verlegt werden.

Petra. So hast Du also doch recht gehabt.

Stockmann. Ja, Du erinnerst Dich, Petra? Ich habe dagegen geschrieben, als man den Bau beginnen wollte. Aber damals wollte kein Mensch auf mich hören. Na, glaubt mir nur, ich werde ihnen die volle Ladung geben; – denn ich habe natürlich eine Eingabe an die Badeverwaltung aufgesetzt; sie liegt seit einer ganzen Woche fertig da; ich habe nur noch auf das da gewartet. Zeigt den Brief. Aber nun soll sie auch auf der Stelle fort. Geht in sein Zimmer und kommt mit einem Paket Schriftstücke zurück. Da seht! Vier engbeschriebene Bogen voll! Und der Brief soll mit dazu. Eine Zeitung, Käte! Gib mir etwas zum Einwickeln! Gut; so; gib's der – der –; stampft mit dem Fuß auf. Donnerwetter, wie heißt sie doch gleich? Na, also gib's dem Mädchen und sag' ihr, sie soll es sofort zum Stadtvogt bringen.

Frau Stockmann mit dem Paket durch das Speisezimmer ab.

Petra. Vater, was, glaubst Du, wird Onkel Peter sagen?

Stockmann. Was sollte er denn sagen? Er wird doch wohl froh sein, denke ich, daß eine so wichtige Wahrheit an den Tag kommt.

Hovstadt. Darf ich eine kleine Notiz über Ihre Entdeckung im »Volksboten« bringen?

Stockmann. Ja, dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Hovstadt. Es ist doch wünschenswert, daß das Publikum so schnell wie möglich davon unterrichtet wird.

Stockmann. Ja, gewiß.

Frau Stockmann kommt zurück. Sie ist schon fort damit.

Billing. Bald sind Sie – Gott verdamm' mich – der erste Mann der Stadt, Herr Doktor!

Stockmann geht vergnügt umher. Ach was! Im Grunde habe ich ja doch nur meine Pflicht getan. Ich bin ein glücklicher Schatzgräber gewesen; das ist alles; trotzdem aber –

Billing. Hovstad, was meinen Sie, müßte die Stadt nicht dem Doktor einen Fackelzug bringen?

Hovstadt. Ich will es wenigstens befürworten.

Billing. Und ich werde mit Aslaksen drüber reden.

Stockmann. Nein, liebe Freunde, solche Narreteien, die laßt nur bleiben; von solchen Veranstaltungen will ich nichts wissen. Und wenn es der Badeverwaltung vielleicht einfallen sollte, mir eine Gehaltszulage zu bewilligen, so nehme ich sie nicht an. Käte, das sag' ich Dir, – ich nehme sie nicht an.

Frau Stockmann. Das ist recht von Dir, Thomas.

Petra erhebt ihr Glas. Prosit, Vater!

Hovstadt und Billing. Prosit, prosit, Herr Doktor!

Horster stößt mit dem Doktor an. Mögen Sie nur Freude an der Geschichte erleben!

Stockmann. Danke schön, danke schön, meine lieben Freunde! Ich bin so herzensfroh –; ach, es ist doch etwas Herrliches, das Bewußtsein: sich um seine Vaterstadt und seine Mitbürger verdient gemacht zu haben. Hurra, Käte!

Schlingt beide Arme um ihren Hals und wirbelt mit ihr im Kreise herum. Frau Stockmann schreit und sträubt sich. Lachen, Händeklatschen und Hochrufe. Die Knaben stecken den Kopf durch die Türe.

Zweiter Akt

Inhaltsverzeichnis

Wohnzimmer des Doktors.

Die Tür zum Speisezimmer ist zu. Vormittag.

Frau Stockmann kommt, einen versiegelten Brief in der Hand, aus dem Speisezimmer, geht rechts durch die vorderste Tür und guckt hinein. Bist Du da, Thomas?

Stockmann drinnen. Ja, ich bin eben gekommen. Tritt ein. Was ist?

Frau Stockmann. Ein Brief von Deinem Bruder. Reicht ihm den Brief.

Stockmann. Aha, laß sehen. Öffnet ihn und liest: »Das übersandte Manuskript folgt anbei zurück –« Liest murmelnd weiter. Hm –

Frau Stockmann. Was sagt er denn?

Stockmann steckt das Papier in die Tasche. Nichts, er schreibt nur, daß er gegen Mittag selber mit herankommen wird.

Frau Stockmann. Dann vergiß ja nicht, zu Hause zu bleiben.

Stockmann. Es paßt gut; denn mit meinen Morgenbesuchen bin ich fertig.

Frau Stockmann. Ich bin riesig neugierig, wie er die Sache aufnimmt.

Stockmann. Du sollst sehen, es wird ihm nicht recht sein, daß ich diese Entdeckung gemacht habe, und nicht er selbst.

Frau Stockmann. Das fürchtest Du also auch?

Stockmann. Na, im Grunde wird es ihn ja freuen, weißt Du. Trotzdem aber –; Peter hat eine Heidenangst, es könnten noch andere Leute etwas für das Wohl der Stadt tun.

Frau Stockmann. Weißt Du was, Thomas, Du solltest nett sein und die Ehre mit ihm teilen. Könnte es nicht heißen, er habe Dich auf die Spur gebracht –?

Stockmann. Na meinetwegen schon. Wenn ich die Sache nur ins Lot bringe, so –

Morten Kiil steckt den Kopf durch die Tür des Vorzimmers, sieht sich forschend um, lacht in sich hinein und fragt pfiffig: Ist's – ist's wahr?

Frau Stockmann ihm entgegen. Vater, – Du bist es?

Stockmann. Seh' einer an, Schwiegervater! Guten Morgen, guten Morgen!

Frau Stockmann. Aber so komm doch herein.

Kiil. Ja, bloß wenn es wahr ist, sonst gehe ich wieder.

Stockmann. Was soll denn wahr sein?

Kiil. Der Blödsinn mit dem Wasserwerk. Ist das wahr?

Stockmann. Ei natürlich. Aber wie haben Sie denn das erfahren ?

Kiil tritt ein. Petra war auf einen Sprung da, als sie zur Schule ging –

Stockmann. So, wirklich?

Kiil. Ja, haha, und da hat sie denn erzählt –. Ich dachte, sie wollte mich bloß zum Narren haben, obgleich das Petra auch wieder nicht ähnlich sieht.

Stockmann. Nein, wie konnten Sie nur so etwas denken!

Kiil. Ach, man soll keinem trauen; ehe man sich dessen versieht, ist man hinters Licht geführt. Es ist also doch wahr?

Stockmann. Ganz gewiß doch. Aber so setzen Sie sich doch, Schwiegervater. Nötigt ihn aufs Sofa. Und ist es nicht ein wahres Glück für die Stadt –?

Kiil kämpft mit dem Lachen. Glück für die Stadt?

Stockmann. Daß ich diese Entdeckung noch beizeiten gemacht habe –

Kiil wie vorher. Ja, ja, ja! – Aber nie und nimmer hätte ich geglaubt, daß Sie Ihren leiblichen Bruder hineinlegen würden.

Stockmann. Hineinlegen –!

Frau Stockmann. Aber lieber Vater –

Kiil stützt Hände und Kinn auf die Stockkrücke und zwinkert dem Doktor listig zu. Wie war das doch? Es sollten ja wohl Tiere in die Wasserröhren hineingekommen sein?

Stockmann. Jawohl, Infusionstierchen.

Kiil. Und es sollten ja viele solche Tiere hineingekommen sein, sagt Petra. Eine ganz riesige Masse.

Stockmann. Freilich, es können wohl an die hundert-, hunderttausende sein.

Kiil. Aber kein Mensch kann sie sehen, – was?

Stockmann. Nein, sehen kann man sie nicht.

Kiil mit leisem, glucksendem Lachen. Hol' mich der Teufel, dies ist das Großartigste, was ich noch von Ihnen gehört habe.

Stockmann. Wie denn?

Kiil. Aber so etwas können Sie doch dem Stadtvogt im Leben nicht weiß machen.

Stockmann. Na, das werden wir schon sehen.

Kiil. Meinen Sie, er wäre so verrückt?

Stockmann. Ich hoffe, die ganze Stadt wird so verrückt sein.

Kiil. Die ganze Stadt! I, das kann schon sein. Aber das schadet den Leuten nicht; das ist ihnen ganz recht. Sie wollten ja immer so sehr viel klüger sein als wir Alten. Sie hundsfottierten mich aus dem Stadtrat heraus. Wie einen Hund haben sie mich herausvotiert, die Leute! Aber jetzt kriegen sie ihr Fett. Legen Sie sie nur ordentlich hinein, Stockmann.

Stockmann. Aber, Schwiegervater –

Kiil. Ordentlich hinein, sag' ich. Steht auf. Wenn Sie es dahin bringen, daß der Stadtvogt und seine Freunde in die Patsche zu sitzen kommen, dann gebe ich auf der Stelle hundert Kronen für die Armen.

Stockmann. Ei, das wäre nett von Ihnen.

Kiil. Ich habe das Geld auch nicht so dick, wissen Sie wohl, aber wenn Sie es dahin bringen, so kriegen die Armen von mir zu Weihnachten 'n halb hundert Kronen.

Hovstad durchs Vorzimmer.

Hovstadt. Guten Morgen! Bleibt stehen. Ach, Pardon –

Stockmann. Kommen Sie nur; kommen Sie.

Kiil gluckst wieder. Der! Ist der auch mit dabei?

Hovstadt. Was meinen Sie?

Stockmann. Gewiß ist er mit dabei.

Kiil. Hätt's mir auch denken können! Es muß ja in die Zeitungen. Ja, Sie sind mir schon der rechte, Stockmann. Na, überlegen Sie sich's nur; jetzt gehe ich.

Stockmann. Ach was, Schwiegervater, bleiben Sie noch ein bißchen.

Kiil. Nein, ich gehe jetzt. Und denken Sie nach, wie Sie sie am besten hineinlegen. Donnerwetter ja, Sie sollen es nicht umsonst getan haben. Ab; Frau Stockmann begleitet ihn hinaus.

Stockmann lacht. Denken Sie bloß, der Alte glaubt kein Wort von der Geschichte mit dem Wasserwerk.

Hovstadt. Ach, das war's –!

Stockmann. Ja, davon haben wir gesprochen. Und Sie kommen am Ende in derselben Sache?

Hovstadt. Allerdings. Haben Sie einen Augenblick Zeit, Herr Doktor?

Stockmann. So lange Sie wollen, mein Lieber.

Hovstadt. Haben Sie schon etwas vom Stadtvogt gehört?

Stockmann. Noch nichts. Er kommt später her.

Hovstadt. Ich habe seit gestern viel über die Sache nachgedacht.

Stockmann. Nun, und?

Hovstadt. Für Sie als Arzt und Mann der Wissenschaft steht dieser Fall mit dem Wasserwerk da als eine Sache für sich. Ich meine, es fällt Ihnen nicht auf, daß sie mit einer Menge anderer Dinge im Zusammenhang steht.

Stockmann. Ja, wie –? Setzen wir uns, mein Lieber. – Nein, da aufs Sofa.

Hovstad setzt sich aufs Sofa, der Doktor in einen Lehnstuhl auf der anderen Seite des Tisches.

Stockmann. Nun? Sie meinen also –?

Hovstadt. Sie haben gestern gesagt, das verdorbene Wasser käme von Unreinlichkeiten im Erdboden her.

Stockmann. Ja, ohne Zweifel kommt es aus dem verpesteten Sumpf da oben im Mühltal.

Hovstadt. Pardon, Herr Doktor, aber ich glaube, es kommt aus einem ganz anderen Sumpf.

Stockmann. Was sollte das für einer sein?

Hovstadt. Der Sumpf, in dem unser ganzes kommunales Leben steht und fault.

Stockmann. Aber, zum Henker, Herr Hovstad, was sind das für Reden?

Hovstadt. Alle städtischen Angelegenheiten sind nach und nach in die Hände einer Beamtengruppe gekommen –

Stockmann. Na, es sind doch nicht alle zusammen Beamte.

Hovstadt. Nein, – aber die, die nicht Beamte sind, die sind jedenfalls Freunde und Anhänger von den Beamten, es sind die reichen Leute, die alten angesehenen Namen der Stadt, die sind es, die unser Wohl und Wehe in der Hand haben.

Stockmann. Ja, aber diese Leute, die sind doch auch wirklich tüchtig und intelligent.

Hovstadt. Haben sie Tüchtigkeit und Intelligenz bewiesen, als sie die Wasserleitung da anlegten, wo sie jetzt liegt?

Stockmann. Nein, das war natürlich eine große Dummheit von ihnen. Aber die soll ja nun wieder gut gemacht werden.

Hovstadt. Glauben Sie, daß das so glatt gehen wird ?

Stockmann. Glatt oder nicht, – gehen wird es auf alle Fälle.

Hovstadt. Ja, wenn die Presse eingreifen darf.

Stockmann. Wird gar nicht nötig sein, mein Lieber. Ich bin überzeugt, daß mein Bruder –

Hovstadt. Pardon, Herr Doktor, aber ich will Ihnen nur sagen, ich beabsichtige, die Sache selber in die Hand zu nehmen.

Stockmann. In der Zeitung?

Hovstadt. Jawohl. Als ich den »Volksboten« übernahm, da war mein Gedanke, diesen Ring von alten, eigensinnigen Rechthabern zu sprengen, die über allen Einfluß geboten.

Stockmann. Aber Sie haben mir doch selbst erzählt, was das Ende davon war; Sie hatten das Blatt damit ja fast ruiniert.

Hovstadt. Ja, damals mußten wir den Degen einstecken – das ist wahr. Denn es war Gefahr, daß das Bad nicht zustande kommen würde, wenn jene Männer fielen. Aber jetzt steht es da, und nun sind die hohen Herren überflüssig.

Stockmann. Überflüssig, ja; aber wir schulden ihnen doch großen Dank.

Hovstadt. Der soll ihnen auch werden, wie es sich gebührt. Aber ein Zeitungsschreiber von meiner volkstümlichen Richtung kann eine Gelegenheit wie diese nicht vorübergehen lassen. Es muß gerüttelt werden an der Fabel von der Unfehlbarkeit der leitenden Männer. So etwas muß ausgerottet werden wie jeder andere Aberglaube.

Stockmann. Darin pflichte ich Ihnen von ganzem Herzen bei, Herr Hovstad; ist es ein Aberglaube, dann weg damit!

Hovstadt. Dem Stadtvogt möchte ich ungern zunahe treten, weil er Ihr Bruder ist. Aber Sie sind doch gewiß mit mir der Ansicht, daß die Wahrheit allen anderen Rücksichten vorgeht.

Stockmann. Das versteht sich ja von selbst. – Erregt. Ja, aber –! Aber –!

Hovstadt. Sie dürfen nicht schlecht von mir denken. Ich bin weder eigennütziger noch ehrgeiziger als die Menschen im allgemeinen.

Stockmann. Aber, mein Lieber, – wer behauptet denn das?

Hovstadt. Ich stamme von geringen Leuten ab, wie Sie wissen; und ich habe hinreichend Gelegenheit gehabt, zu sehen, was den unteren Volksschichten am meisten not tut. Und das ist: teilzuhaben an der Leitung der allgemeinen Angelegenheiten, Herr Doktor. Das eben entwickelt Fähigkeiten und Kenntnisse und Selbstgefühl. –

Stockmann. Das leuchtet mir außerordentlich ein –

Hovstadt. Ja, – und dann meine ich auch, daß ein Journalist eine schwere Verantwortung auf sich ladet, wenn er eine günstige Gelegenheit versäumt zur Befreiung der Menge, der Geringen, der Unterdrückten. Ich weiß wohl, – im Lager der Großen wird man das Aufwiegelei und so weiter nennen; mögen sie das meinetwegen tun, wenn sie wollen. Wenn ich nur mein Gewissen rein fühle, so –

Stockmann. Recht so! Recht so, lieber Herr Hovstad. Trotzdem aber – Donnerwetter–! Es klopft. Herein!

Aslaksen in der Vorzimmertür. Er ist schlicht, aber anständig gekleidet, in schwarz, mit einer weißen, etwas zerknitterten Halsbinde; Handschuhe und Filzhut hat er in der Hand.

Aslaksen verbeugt sich. Verzeihung, Herr Doktor, daß ich mir herausnehme –

Stockmann steht auf. Ei, sieh da – da ist ja der Herr Aslaksen!

Aslaksen. Ja, freilich, Herr Doktor.

Hovstadt steht auf. Suchen Sie mich, Aslaksen?

Aslaksen. Nein, das nicht; ich wußte nicht mal, daß ich Sie hier treffen würde. Nein, ich suche den Herrn Doktor selbst –

Stockmann. Na, was steht zu Diensten?

Aslaksen. Ist es wahr, Herr Doktor, was ich von Herrn Billing gehört habe, daß Sie uns ein besseres Wasserwerk schaffen wollen?

Stockmann. Ja, für das Bad.

Aslaksen. Jawohl; verstehe schon. Na, so komme ich, um zu sagen, daß ich die Sache nach meinen Kräften unterstützen werde.

Hovstadt zum Doktor. Sehen Sie!

Stockmann. Meinen herzlichsten Dank; aber –

Aslaksen. Es könnte ja doch vielleicht nützlich sein, uns Kleinbürger im Rücken zu haben. Wir bilden hier in der Stadt sozusagen eine kompakte Majorität, – wenn wir wollen. Und es kann nie schaden, die Majorität auf seiner Seite zu haben, Herr Doktor.

Stockmann. Das ist unzweifelhaft wahr; aber ich kann nur nicht begreifen, daß hier besondere Vorkehrungen vonnöten sein sollten. Ich meine, eine so klare und einfache Sache –

Aslaksen. O doch, das könnte immerhin nicht schaden; die lokalen Behörden, die kenne ich doch gründlich. Die Machthaber gehen nicht gern gutwillig auf Vorschläge ein, die von anderen Leuten kommen. Und deshalb, meine ich, wäre es nicht unangebracht, wenn wir ein bißchen demonstrierten.

Hovstadt. Sehr richtig.

Stockmann. Demonstrierten, sagen Sie? Ja, wie wollen Sie denn eigentlich demonstrieren?

Aslaksen. Natürlich mit Maß und Ziel, Herr Doktor; ich befleißige mich immer der Mäßigung; denn Mäßigung, das ist die erste Bürgerpflicht, – meines Erachtens.

Stockmann. Dafür sind Sie ja auch bekannt, Herr Aslaksen.

Aslaksen. Ja, ich glaube schon, das darf ich sagen. Und diese Sache mit dem Wasserwerk, die ist für uns Kleinbürger enorm wichtig. Das Bad verspricht eine kleine Goldgrube für die Stadt zu werden. Vom Bade wollen wir alle zusammen leben, zumal wir Hausbesitzer. Deshalb wollen wir auch das Unternehmen mit allen Kräften unterstützen. Und da ich nun Vorsitzender des Vereins der Hausbesitzer bin –

Stockmann. Ja –?

Aslaksen. – und außerdem eine Rolle im Mäßigkeitsverein spiele, – Sie wissen doch, Herr Doktor, daß ich für die Mäßigkeitssache tätig bin?

Stockmann. Ja, versteht sich.

Aslaksen. Na, – so ist es doch begreiflich, daß ich mit einer ganzen Masse Leute zusammenkomme. Und da ich als besonnener und gefügiger Staatsbürger bekannt bin, wie Herr Doktor selbst sagten, so habe ich ja einen gewissen Einfluß in der Stadt, – eine Art kleiner Machtstellung, – wenn ich es selbst sagen darf.

Stockmann. Das weiß ich sehr wohl, Herr Aslaksen.

Aslaksen. Ja, sehen Sie – drum wäre es eine Leichtigkeit für mich, eine Adresse zusammenzubringen, wenn die Sache schief gehen sollte.

Stockmann. Eine Adresse, sagen Sie?

Aslaksen. Ja, eine Art Dankadresse seitens der Bürgerschaft, weil Sie diese gemeinnützige Sache ans Licht gebracht haben. Selbstverständlich müßte sie mit der gebührenden Mäßigung verfaßt sein, so daß sie weder bei den Behörden noch bei den andern Machthabern Anstoß erregt. Und wenn wir darauf nur genau achten, so kann es uns niemand übelnehmen, denke ich.

Hovstadt. Na, und selbst wenn sie nicht so sehr nach dem Geschmack dieser Leute wäre, so –

Aslaksen. Nein, nein, nein! Keine Kränkung der Obrigkeit, Herr Hovstad. Keine Opposition gegen Leute, die uns so dicht auf den Hacken sitzen. Davon weiß ich ein Liedchen zu singen; und es kommt auch nie etwas Gutes dabei heraus. Aber die besonnenen und freimütigen Äußerungen eines Staatsbürgers, die können keinem verdacht werden.

Stockmann schüttelt ihm die Hand. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, lieber Aslaksen, wie aufrichtig ich mich freue, bei meinen Mitbürgern einem solchen Verständnis zu begegnen. Ich bin so froh – so froh! Sie, wie wär's mit einem Gläschen Sherry? Was?

Aslaksen. Nein, danke sehr; ich nehme nie Spirituosen dieser Art.

Stockmann. Aber ein Glas Bier? Was meinen Sie dazu?

Aslaksen. Danke sehr, auch das nicht, Herr Doktor; so früh am Tage nehme ich nie etwas zu mir. Nun will ich aber in die Stadt und mit etlichen Hausbesitzern reden und die Stimmung bearbeiten.

Stockmann. Das ist außerordentlich liebenswürdig von Ihnen, Herr Aslaksen; aber es will mir durchaus nicht in den Kopf, daß alle diese Vorkehrungen notwendig sein sollten; ich meine, die Sache müßte sich ganz von selbst machen.

Aslaksen. Die Behörden arbeiten ein bißchen schwerfällig, Herr Doktor. Gott behüte, ich sage das nicht, um sie zu tadeln –

Hovstadt. Morgen werden wir sie munter machen, im Blatt, Aslaksen.

Aslaksen. Aber bloß nicht gewaltsam, Herr Hovstad. Gehen Sie mit Mäßigung vor, sonst kriegen Sie die Leute nicht vom Fleck; hören Sie nur auf meinen Rat, denn ich habe in der Schule des Lebens Erfahrungen gesammelt. – Jetzt muß ich mich aber empfehlen, Herr Doktor. Sie wissen nun, daß wir Kleinbürger jedenfalls wie eine Mauer hinter Ihnen stehen. Sie haben die kompakte Majorität auf Ihrer Seite, Herr Doktor.

Stockmann. Danke schön, mein lieber Herr Aslaksen. Reicht ihm die Hand. Adieu, adieu!

Aslaksen. Kommen Sie mit in die Druckerei, Herr Hovstad?

Hovstadt. Ich komme nach; ich habe noch eine Kleinigkeit zu erledigen.

Aslaksen. Gut, gut. Er grüßt und geht; Stockmann begleitet ihn ins Vorzimmer.

Hovstadt, während Stockmann ins Zimmer zurückkommt. Na, was sagen Sie nun, Herr Doktor? Glauben Sie nicht, daß es endlich an der Zeit ist, hier auszulüften und all diese Schlaffheit und Halbheit und Feigheit aufzurütteln?

Stockmann. Meinen Sie damit den Aslaksen?

Hovstadt. Allerdings. Er gehört mit zu denen, die im Sumpf stecken, – so ein braver Mann er auch sonst sein mag. Und so sind die meisten hier bei uns; sie schwanken und wanken nach beiden Seiten; vor lauter Rücksichten und Bedenken wagen sie nie, einen ganzen Schritt zu tun.

Stockmann. Ja, aber Aslaksen scheint mir doch recht anständige Gesinnungen zu haben.

Hovstadt. Es gibt was, das ich noch höher stelle; und das ist: dazustehen als ein unabhängiger, selbstsicherer Mann.

Stockmann. Da gebe ich Ihnen vollständig recht.

Hovstadt. Deshalb will ich jetzt die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, zu versuchen, ob ich die besseren Elemente bei uns nicht dahin bringen kann, sich aufzuraffen mit einem Mal. Der Autoritätsdusel hier muß aufhören. Dieser unverantwortliche Mißgriff mit dem Wasserwerk muß allen stimmberechtigten Mitbürgern zu Gemüte geführt werden.

Stockmann. Gut; wenn Sie meinen, daß es für das allgemeine Beste ist, so mag es geschehen; aber nicht eher, als bis ich mit meinem Bruder gesprochen habe.

Hovstadt. Inzwischen schreibe ich für alle Fälle einen Leitartikel. Und wenn dann der Stadtvogt für die Sache nicht zu haben ist –

Stockmann. Ach, wie können Sie das nur denken?

Hovstadt. Das kann ich mir sehr wohl denken. Dann also –?