Ein Zimmer, Küche, Bart - Oliver Kneip - E-Book
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Ein Zimmer, Küche, Bart E-Book

Oliver Kneip

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Beschreibung

»Mit deiner Lunge solltest du besser am Meer oder in den Bergen wohnen.« Das sind die Worte, mit denen Olis Arzt ihn nach seiner dritten Lungen-OP aus dem Krankenhaus entlässt. An diesem Tiefpunkt angekommen, fasst er den radikalen Entschluss, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Er gibt seine Wohnung auf und zieht in einen Camper-Van – für vorerst unbestimmte Zeit. Ab diesem Moment fährt er als Vollzeit-Vanlifer und freiberuflicher Werbetexter quer durch Europa. Zwischen frostigen - 30° C und sengender Hitze erlebt er Freiheit und Einsamkeit, Liebe und Nordlichter, wilde Störche und sabbernde Rottweiler. Nach fast fünf Jahren, in denen inzwischen auch eine Frau und ein Hund in den Van gezogen sind, kann er das behaupten, was sein Kennzeichen verspricht: »BIN OK«!

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Oliver Kneip

EinZimmer,Küche,Bart

Die Kunst desstilvollen Verwahrlosensin fünf JahrenVollzeit-Vanlife

Impressum

© 2024 Bruckmann Verlag GmbH

Infanteriestraße 11a

80797 München

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-95889-481-5

eISBN: 978-3-95889-498-3

Autor: Oliver Kneip

Verantwortlich: Matthias Walter

Produktmanagement: Svenja Müller

Partnermanagement: Thomas Nehm

Lektorat: Britta Mentzel

Korrektorat: Simona Fois

Umschlaggestaltung: Mathias Frisch

Satz: Röser MEDIA, Karlsruhe

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Vielen Dank an Alb Filter und an die JvM Academy für die freundliche Unterstützung!

Umschlagabbildung: © Oliver Kneip und © Patrick Häfner

Nachweise Bildtafel: © Oliver Kneip & Stephanie Kolkmann, mit Ausnahme von S. 2

»Winter-Vanlife To-dos« (© Peter Kneer), S. 6 »Schiebetür-Romantik« (© Patrick Häfner)

Inhalt

Der Tag, an dem ich fast meinen Van in die Luft gejagt hätte

Das Vorwort – die Worte, mit denen alles anfing

Kapitel 1: Einsteigen für Aussteiger

Kapitel 2: Vanlife-ABC

Kapitel 3: Inspiration – das halbsynthetische Getriebeöl der Umtriebigen

Kapitel 4: Der Autokauf

Kapitel 5: Der Aufbruch

Kapitel 6: Sich schließende Kreise

Alex – der Kabeljau-Kreis

Kinderarbeit – Zunge am Spieß

Milan – Nordkap–Algarve

Patrick – Kindergarten-Nomaden

Kapitel 7: Wandern

Reinebringen

Preikestolen

Kvalvika Beach

Barranco Beach

Skuleskogen

Monfragüe

Gerês –Nami, Cathrin und João

Björn und Waldgeister

Fulufjället

Reinebringen II

Kapitel 8: Going north – Winter-Vanlife

Intro

Winterreifen mit Spikes

Hammerfest

Mit einem Rentier geschlafen

Orcas und ein vereistes Becken

Hotel Catogården

Walfleisch zum Frühstück

Kapitel 9: Nordlicht

Mein erstes Nordlicht

Beelzebus – Katja und Björn

Peter

Steffi

Alex und Joan

Oli

Nordlicht-Fazit

Kapitel 10: Going south – Sommer-Vanlife

Sommer-Vanlife versus Winter-Vanlife

Adjø Norge! Farväl Sverige!

Andorra kommt man nicht vorbei

Picos de Europa

Tierisches Frankreich

Tier Nummer 1 – le chat

Tier Nummer 2 – le chien

Kapitel 11: Portugal

Vanlife Portugal

Biarritz – Peniche

D’Raiz – Restaurant. Freundschaft. Familie.

Quinta das Lameiras

Die Höhlen von Benagil – Hippie-Camp II

Frisch verliebt auf sechs Quadratmetern?

Kapitel 12: Italien

Vanlife Italien

Rom

Mailand

Fabio Savini – die Legende von Cesenatico

Kapitel 13: Mein Fazit nach fünf Jahren Vollzeit-Vanlife

Herzlichen Dank an Alb Filter!

Herzlichen Dank an die JvM Academy!

Für Edith und Jupp.

Für Steffi und Tobi.

Der Tag, an dem ich fast meinen Van in die Luft gejagt hätte

Die Geschichte ereignete sich im April 2020 in Portugal, als ich bereits seit knapp acht Monaten Vollzeit im Van lebte. Doch ich erzähle sie bewusst zu Beginn des Buchs, denn wäre sie nur ein wenig anders verlaufen, wäre ich gar kein Vanlifer mehr. Ich wäre zwar vermutlich noch alive, aber ohne Van. Und somit auch ohne Van-Freundin, Van-Hund und genug Van-Erlebnisse für ein Buch, das von fünf Jahren im rollenden Nomaden-Kfz erzählen soll. Neben der generellen Entscheidung, in den Van zu ziehen, war es der zweitwichtigste Moment, in dem mir das Universum seinen Segen gab.

Bevor ich jetzt fast ohne weiteren Kontext in diese Puls erhöhende Geschichte einsteige – der Kontext folgt dann später noch –, möchte ich wenigstens kurz die Location vorstellen, an der sich alles zutrug: Praia do Malhão ist ein wunderschöner Strand- und Klippenabschnitt an der Südwestküste Portugals. Ich stand hier im April und Mai 2020 für einige Wochen auf einem großen Schotterparkplatz. Nicht ganz legal, doch überwiegend geduldet. Eigentlich ist wildes Campen da verboten, aber wenn man sich ordentlich benimmt, geht das schon klar. Außerdem war off-season. Es parkten dort viele Camper aus diversen Ländern. Manchmal zehn, manchmal 20, manchmal 30. Eine bunte Mischung von jungen bis alten Exemplaren – bei den Fahrzeugen ebenso. Manche sahen so aus, als wäre der TÜV längst überfällig – bei den Fahrzeugen ebenso.

Etwa drei Kilometer abseits des großen Schotterparkplatzes schlugen ein paar wilde Menschen zwischen 27 und 63 Jahren eine Art »Hippie-Camp« auf, das ich nachfolgend auch so nennen werde. Es lag mitten im Dickicht und war ohne Geländewagen nicht zu erreichen. Seine Bewohner waren moderne Hippies mit ansehnlichen Land Rovern, aber ohne Schuhe oder Ambitionen für Frisuren oder ein geordnetes Leben. Eines Abends kamen sie zum Sonnenuntergang auf den Schotterparkplatz bei den Klippen. Meine Vannachbarn Lisa und Pascal kannten die Gang schon. Ich saß in der offenen Schiebetür, nuckelte an einem eiskalten Sagres und beobachtete das Treiben. Sie deuteten in die Ferne, gestikulierten und erzählten Geschichten von UFO-Sichtungen der lokalen Anwohner im rot- bis lilafarbenen Abendhimmel, der mit seinen gewaltigen Wolken und dem Farbenspiel ohnehin schon wie ein Tor zu einer anderen Welt aussah. Sie diskutierten hörbar über die UFO-Storys. Nicht etwa, ob sie wahr waren, sondern darüber, wie und woher die Besucher gekommen sein mögen. Genau so etwas liebe ich. Genau so etwas brauchte ich in dem Moment. Unter anderem deshalb hatte ich mein normales Leben, dem es zunehmend an fantastischen Geschichten und Dimensionen fehlte, hinter mir gelassen. Ich sehnte mich nach barrierefreien Unterhaltungen, nach mehr Fantasie, nach Lagerfeuergeschichten und offenen Gesprächen ohne »Neins« und »Abers«. Während ich der schuhlosen Nomadenkommune beim Philosophieren zuhörte, murmelte ich eine ikonische Zeile vom zeitgenössischen Autor und Filmemacher Tom Gerhardt vor mich hin: »Endlich normale Leute!«

Wir freundeten uns an jenem Abend an und verbrachten fortan viel Zeit zusammen. Zumeist saßen wir im entlegenen »Hippie-Camp«, doch Tahar besuchte mich ganz gern auch mal vorne, in der Zivilisation. Zum Quatschen, Kaffeetrinken, Kochen oder Schlauchbootfahren. Tahar ist Marokkaner, lebte lange in Deutschland und ist immer für eine Überraschung gut. Im Camp lebten außerdem noch Luca und seine spanische Freundin mit Sonnenallergie sowie ein älterer Mann, den alle nur »Onkelchen« nannten. Neben seiner Aura verrieten auch die Länge und Konsistenz von Bart und Haaren, dass er bereits ein Hippie war, als die Hippies erfunden wurden. Er besaß nur eine dünne Isomatte und ein Päckchen Tabak – abgesehen von Tausenden interessanten Geschichten.

So viel zum Setting, jetzt folgt die Story: Es erblühte, wie jeden Morgen, ein schöner neuer Tag am Praia do Malhão. Die Sonne lachte und der Wind wehte sanft. Das anbrandende Meer unterhalb der nahen Klippen rundete das kostenlose Mental-Spa auditiv wie olfaktorisch ab. In den benachbarten Vans zeigte sich langsam ebenfalls die erste Lebensfreude am noch frischen Tag. Auch heute wollte ich meinem etablierten Startritual nachkommen und einen großen Becher Kaffee auf dem schönen Holzgeländer sitzend an den Klippen trinken, von wo aus man Strand, Meer und Horizont bestens bestaunen konnte.

Ich hatte gerade die Flamme am Gasherd unter meinem Edelstahl-Mokkakännchen entzündet, als vor meiner offenen Schiebetür ein großer silberner Berg hielt. Die abrupte Bremsung verursachte einige Staubschwaden, die wie künstlicher Bühnennebel über die Szenerie waberten. Es war Tahar mit seinem silbermetallicfarbenen Land Rover Discovery 3. Ich hatte keine Ahnung, wo er so früh morgens schon herkam. Jedenfalls nicht aus Richtung des Camps, denn das lag hinter meinem Van. Er sprang heraus und legte wieder mal mehr Energie an den Tag als jeder andere Mensch um diese Uhrzeit. Sein breites Grinsen passte gerade so durch meine Schiebetür: »Oliiiiii, Maaaann, was geht, Junge? Auch schon auf oder was?« Ich nickte und erzählte ihm von meiner Vorfreude auf den werdenden Kaffee. Doch Tahar hatte bereits andere Pläne: »Ach was, komm mit ins Camp. Ich nehm dich mit! Wir frühstücken dort alle zusammen.« Nach einem kurzen Austausch von Kontra-Argumenten, wie zum Beispiel meiner anstehenden Arbeit, sah ich ein, dass Tahar eh nicht lockerlassen würde und dass ein Frühstück unter sympathisch Verrückten auch ein guter Start in den Tag sein könnte. Also sprang ich aus meiner Tür, schob sie zu und verriegelte den Van beim Einsteigen in Tahars Auto per Fernbedienung. Ich freute mich aufs Camp, auch wenn ich mich auf der Fahrt irgendwie so fühlte wie Kevin McCallisters Mutter in den ersten Minuten im Flieger. Für Ablenkung von meinen unguten Gedanken sorgte eine mir fremde junge Frau auf dem Rücksitz, die von ihrer Entscheidung, mit ins Hippie-Camp zu kommen, offensichtlich nicht so angetan war wie ich. Ich glaube, sie war Holländerin und parkte am anderen Ende des großen Parkplatzes. Ich hatte sie jedenfalls noch nie gesehen. Tahar konnte eben gut überzeugen.

Tahars Disco-3 wühlte sich durch die hellbraune, tiefsandige Piste, die mittig ihren braungrünen Irokesen-Grasstreifen zur Schau trug. Hier hinten waren alle Anarchos und Alternative, sogar die Feldwege. Am Camp angekommen, nahmen wir rund um die Freiluftkochstelle Platz und entspannten uns unter dem Einfluss der wohligen Benzindämpfe des uralten Benzinkochers, dessen gelber Originallack wie Inseln in einem Meer aus Flugrost schwamm. Das Camp stand neben Benzindämpfen noch unter anderen Einflüssen, aber bei mir waren es lediglich diese. Die Stimmung war wie gewohnt locker, skurril und irgendwie völlig losgelöst vom Rest der Welt. Das Wort »Camp« ist vielleicht ein wenig hochgegriffen. Im Grunde waren es nur drei geparkte Autos, um die sich im Radius von etwa fünf Metern diverse Campinggegenstände ohne erkennbare Ordnung verteilten. Aus der Vogelperspektive hätte es vermutlich wie ein früher Jackson Pollock ausgesehen. Nur die Kochstelle im Zentrum ließ sich als solche erkennen. Ich saß, ich schaute, ich genoss, ich lachte, während der duftende Kaffee im Zentrum der Runde blubbernd in seiner Entstehung begriffen war. Damit wir nicht nur schnöde herumsaßen, überprüften wir zwischendurch mit einem Stock den Gesundheitszustand einer durchaus großen, aber regungslosen Schlange im Gebüsch neben der »Küche«. Wir alle, einschließlich des Stocks, kamen zu dem Schluss, dass sie tot war. Komisch, sie sah so intakt aus. Vielleicht hatte sie irgendwo im Lager LSD-Kontakt, sah danach zu viele pinke Mäuse und hatte auf der wilden bunten Jagd ihr kleines Schlangenherz verausgabt.

Bei einer vollmundigen Tasse Benzinkocher-Kaffee erzählte mir Onkelchen von seinen ersten, leicht überdosierten LSD-Trips mit Anfang 20 und was ihm seitdem die alten Veden in Sanskrit bedeuteten. Ich höre gern zu und genoss seine Erzählungen; eine perfekte Achtsamkeitsübung, um die Zeit zu vergessen. Doch gerade, als wir uns darauf verständigen wollten, dass die Sonne so etwas wie ein Gott für uns Menschen sein könnte, fuhr mir urplötzlich eine andere Erkenntnis in derart hoher Dosierung durch den Körper, dass mich sogar Timothy Leary zur Mäßigung gemahnt hätte. Ich sprang auf, als ob die Schlange von den Toten zurückgekehrt wäre, und rannte zu Tahar: »Fahr mich zurück! Sofort! Ich muss zum Van! Fuck!«

Tahar saß im Gras, blickte fragend von seinem Longpape auf und forderte mit dem eindringlichen Glanz seiner großen dunklen Augen wortlos einen guten Grund von mir ein, warum ich ihn so plötzlich aus seiner Idylle reißen wollte. »Ich hab noch Kaffee auf dem Gaskocher! Meine Flamme im Van ist an! Der explodiert gleich!«, rief ich. »Bist du sicher?«, fragte er. »Ja, klar, Mann!«, schrie ich, während ich zu seinem Auto rannte: »KOMM JETZT!«

Wie gedopte Sandwürmer mit steinernen Mienen hinter unseren verspiegelten Sonnenbrillen flogen wir über die knapp drei Kilometer lange Staubpiste. Als wir uns dem großen Parkplatz näherten, war ich erleichtert, noch keine schwarze Rauchsäule aufsteigen zu sehen. Dafür erblickte ich endlich meinen metallic-orangenen Lebensinhalt auf vier Rädern völlig unversehrt und an einem Stück. Doch noch war ich nicht da. Wir mussten einen kleinen Holzzaun umfahren, der kein Ende nahm.

Am Van angekommen sah ich durch meine getönte Seitenscheibe die blaue Gasflamme des Herds leuchten. Die schmiedefähige Mokkakanne glühte rot. Ganz langsam öffnete ich die Schiebetür, um kein gefährliches Sauerstoff-Irgendwas-Gemisch zu provozieren, dessen gewaltiger Wums Portugals Küstenlinie verändert hätte. Ja, ich habe früher zu viele schlechte Filme geschaut, und ja, ich hatte in der Mittelstufe mal eine 6 in Physik. Aber hey, lieber doof als Küstenterrorist!

Die heiße Luft im glühenden Inneren des staubtrockenen Kännchens entwich mit einem leisen Pfeifgeräusch, während ich behutsam, wie ein Bombenentschärfer, den Drehknopf am Gasherd schloss. Auch der war schon ungesund heiß geworden. Mit zittrigen Händen hob ich das Kännchen mit einem dicken Handtuch um die Hand gewickelt aus der stirnschweißheißen Gefahrenzone der kleinen Spontan-Esse und stellte es vorsichtig draußen auf den Schotter. In mein erleichtertes Durchschnaufen fragte Tahar: »Nix passiert, Mann. Wollen wir wieder los?« Ich schaute ihn entgeistert an, aber stieg dabei schon wieder bei ihm ein. Denn ansonsten hatte der Morgen im Camp ja echt gemütlich angefangen. Und außerdem gab es dort Rotwein, von dem ich nun wirklich ein Schlückchen gebrauchen konnte.

Später an jenem Tag kam noch meine neue Portugalbekanntschaft und spätere Freundin Steffi vorbei. Sie blieb das ganze Wochenende bei mir im Van am Strand von Malhão und zog danach nie wieder aus. Wäre es an jenem Tag zu einer Explosion gekommen, hätte ich eventuell zwei Schätze verloren – beziehungsweise einen davon gar nicht erst bekommen. Da ich dank dieser Geschichte gerade in Portugalerinnerungen schwelge, fallen mir spontan noch zwei weitere Situationen ein, in denen ich in dem schönen Land fast gestorben wäre. Über sie hätte ich zum Auftakt ebenfalls schreiben können. Warum liebe ich dieses Land eigentlich so sehr? Es will mich scheinbar irgendwie loswerden?

Immerhin hat mich die Fast-Explosionserfahrung Folgendes gelehrt: Kaffee macht einen dann besonders wach, wenn man ihn nicht trinkt, aber glaubt, dass er einem den Van in die Luft jagt.

Und jetzt viel Spaß mit dem Rest des Buchs.

Das Vorwort –die Worte, mit denen alles anfing

10. August 2022, Barreiro bei Lissabon, Portugal:

Prokrastination sei Dank entstehen jetzt diese Vorworte für mein erstes Buch – anstatt zu arbeiten. Ich habe keine Ahnung, was dabei herauskommen wird, aber sie entstehen endlich. Egal, wie schlecht, absurd, inhaltsleer oder mit wie viel Fremdscham-Potenzial für zukünftige Rückblicke sie entstehen mögen, ich werde sie nicht mehr ändern: Genau diese Worte werden es sein. Mental mach ich mir gerade eine Flasche Sekt auf – aber nur mental. Erstens ist es zu heiß für Sekt, zweitens geht mir die Post-Sekt-Aufstoßerei auf den Keks und drittens habe ich gar keinen Sekt da. Und dreieinhalbstens warten eigentlich drei Aufträge von zwei neuen Kunden auf mich. Doch immer öfter komme ich an einen Punkt, an dem ich die ganze Werbeblase, den unerträglichen Social-Media-Müll und die generelle Sinnfreiheit meiner Arbeit als freiberuflicher Werbetexter nur schwer aushalte. Das sind dann die Momente, in denen ich mich leidenschaftlich danach sehne, etwas anderes mit Worten zu machen. Etwas Besseres. Etwas Großes. Etwas, das Freude am Tun mit schnödem Broterwerb so lange Löffelchen liegen lässt, bis reine Selbsterfüllung entsteht. Das Schreiben der ersten Worte meines ersten Buches könnte der erste Schritt von vielen in die falsche Richtung sein. Egal! Hauptsache, ich komme heute aus der zuvor erwähnten Marketing-Mühle. Meistens reichen mir ein bis zwei freie Tage, und ich kann die wallenden Werbe-Wellen wieder reiten, ohne bei der Sinn- oder Spaßsuche vom Brett zu fallen. Manchmal brauche ich auch mehrere Wochen. Und auf dem Höhepunkt meines Werbefrust-Gesülze-Burn-outs, im Frühling und Sommer 2021, waren es sogar mehrere Monate. Vielleicht hätte das Buch auch »Die Leiden des jungen Werbers« heißen können? Sorry, Goethe! Die lange Pause hätte bereits ein guter Startpunkt fürs Buch sein können, aber ich hatte schreibtechnisch wirklich auf nichts Bock. Auf! Gar! Nichts!

»Lasst mich doch einfach mal alle in Ruhe!« lautete meine Botschaft. Und meinte damit irgendwie auch mich selbst. Meinem Wunsch kam ich selbstverständlich nach.

Uff, ganz schön viel Gejammer für das Vorwort eines Buchs, das den jüngst erfüllten Lebenstraum vom Wohnen im mobilen Heim besingen soll. In Wahrheit ist Vanlife (eine Schweigeminute für die deutsche Sprache) eine sehr erfüllende Art zu leben. Als digital nomad (zwei Schweigeminuten) kann ich überall arbeiten und viel reisen. Mein Dasein als freelance copywriter (und noch mal zwei) ermöglicht mir das Leben, das ich mir bereits mit 16 Jahren erträumt hatte, aber an dessen Wahrwerdung ich damals nicht vollends glauben konnte: Einfach ein paar Sachen packen, alles ins Auto werfen, immer unterwegs sein, frei sein und ständig irgendwo ankommen, ohne wirklich ganz anzukommen. Letztendlich wurde mein Autoleben noch schöner als erwartet. Aber auch wilder, komplexer, verrückter, auf-und-abiger, härter, leichter, heißer, kälter und viel, viel unerwarteter als gedacht.

Ich gab am 1. August 2019 meine Wohnung auf und zog in meinen Van (eine Schweigeminute). Seither habe ich keine einzige Sekunde, keinen einzigen Kilometer, keine Begegnung und erst recht keine Emotion bereut.

Ich gestehe, dass ich weder irgendwo angeschossen wurde noch auf Tibets Passstraßen einen platten Reifen hatte oder bis Südafrika gefahren bin, um beim First-World-Surfen einen Weißen Hai per Fausthieb in die Flucht zu schlagen. Nein, so krass bin ich nicht. Ich war in den letzten fünf Jahren aus vielen Gründen nur in einer Handvoll Länder, von denen man fast bis nach Deutschland spucken konnte, aber ich bin vollends zufrieden mit meinen Entscheidungen. Ich hatte ja auch absolut nichts geplant und freue mich nun darüber, dass so tolle Ziele wie Sarajevo, Marrakesch oder der Baikalsee noch vor mir liegen. Ich habe mich unterwegs als slow traveller (zwei Minuten) entpuppt, der gern auch mal länger an einem Ort bleibt, wenn er schön ist. Ich arbeitete jahrelang als Koch in der gehobenen Gastronomie und danach in einer der besten Werbeagenturen Deutschlands. Meinen zahlreichen Druck- und Stress-Traumata konnte ich nicht entfliehen, indem ich besonders weit fuhr. Sondern nur, indem ich besonders langsam fuhr.

Eine Kleinigkeit noch: Da ich viele Stunden am Steuer verbringe und unter einer Art unkontrollierbarem Wortspiel-Reflex leide, der mir als Werbetexter sowohl Fans als auch Feinde beschert hat, entstehen auf langen Fahrten oftmals kleine Witze in meinem Kopf. Vor allem in den meditativen Momenten, wenn ich keinen Bock auf Musik oder Podcasts habe und sich meine Freundin als verlässliche K.-o.-Pilotin ins Land der Träume verabschiedet hat. Dann produziert mein verspieltes Hirn kleine Witze auf schwankendem Niveau. Dennoch möchte ich sie hier teilen. Selbst wenn nur eine Person am anderen Ende dieser Buchseiten für einen kurzen Moment schmunzeln musste, würde dieser Akt meine unschuldigen kleinen Witze in den heiligen Zustand der Sinnhaftigkeit überführen. Ich bin den Witzen einiges schuldig, da sie viel Langweile verhindert haben – daher möchte ich sie in die Freiheit entlassen.

Kapitelabschluss-Witz

Ein jugendfreier Hihi-Moment zum Einstieg:

Was hat acht Arme und fährt übern Hauptbahnhof?

Der Octobus.

Kapitel 1

Einsteigen für Aussteiger

Randnotiz: Der kleine, pseudotiefgründige Gag mit den Schweigeminuten für die Deutsche language ist jetzt offiziell over. Warum? Wie man im Verlauf des Buches merken wird, ist Englisch die offizielle Vanlife-Sprache. Anglizismen-Overload in the making! Abgesehen davon, dass man in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen reist, sprechen auch alle anderen Reisenden, Vanlifenden und Locals zumeist unterschiedliche Sprachen. Der Konsens ist Englisch.

Mainz, Anfang März 2019:

»Mit dieser Lunge solltest du lieber am Meer oder in den Bergen leben«, sagte mir ein Arzt von insgesamt vieren, die um mein Bett standen. Ich kannte sie fast alle und mochte sie, schließlich lag ich nicht das erste Mal auf dieser Station. Die große Lungen-OP, von der ich mich gerade erholte, hatte ich einige Jahre zuvor schon in ähnlicher Form erhalten. Allerdings etwas abgespeckter – gestern ging es in meinem Torso so richtig zur Sache, aber dafür schien heute die lang ersehnte Frühlingssonne ins Zimmer.

Abgesehen von den magischen Sonnenstrahlen freute ich mich auch darüber, dass ich die OP hinter mir hatte und wieder neue Lebensenergie und Tatendrang verspürte. Immerhin war dies mein fünfter Pneumothorax (Lungenkollaps) in knapp sieben Jahren und der dritte in zehn Monaten. Deshalb war ich zu dem anatomisch kontroversen Schluss gekommen, dass mir diese ständigen Vorfälle nicht nur auf die Lunge, sondern auch auf den Sack gingen. Vor allem, weil ich mich erst vor Kurzem als Werbetexter selbstständig gemacht hatte und die ständigen Unterbrechungen dazu führten, dass auch meinem Konto die Luft ausging.

Was der behandelnde Arzt im März 2019 nicht wusste, war, dass er mir mit seinem motivierenden Meer-Berge-Ratschlag ein großes Geschenk gemacht hatte. Denn er gab mir damit, zumindest in meiner Wahrnehmung, die medizinische Verordnung zum Vollzeit-Vanlife. Selten vereinten sich Worte mit Ideen und Emotionen in mir so schnell zu einem unerschütterlichen Manifest. In meiner noch heißen, schlauchbehangenen Brust schmiedete sich sofort der finale Sargnagel für mein bisheriges Leben, während ich grinsend den letzten Schluck Krankenhauskaffee schlürfte.

Das Meer und die Berge waren schon immer meine Sehnsuchtsorte, doch jetzt würden sie sogar noch meiner Gesundheit zuträglich sein. Wie geil war das denn? Doch anstatt dort zu wohnen, wollte ich die schönsten Plätze lieber per Van anfahren. Schon länger träumte ich davon, einen Van auszubauen und ihn nach meinen Vorstellungen ganz individuell und verrückt zu gestalten. Ich wollte der Wohntristesse stationärer Neubaugebiete, Eigenheime und sonstiger Siedlungsformen trotzen und mich fortan nur noch nomadisch fortbewegen, um auf dem fahrtwindverwöhnten Weg zu meiner persönlichen Lebenserfüllung den schwäbisch-hallischen Bausparfuchs zu überfahren! Das klingt natürlich rebellischer als es ist, denn ein Lotterleben im Auto, das vor nicht allzu langer Zeit noch als modernes Vagabundieren galt, hat längst seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden. Campervans in freier Wildbahn etablieren sich als die neuen Reihenhäuser, und eine freie Onlinearbeit von unterwegs wird das zeitgemäße Pendant zum sicheren Job in der nächstgelegenen Sparkassenfiliale.

Trotz meiner fünf Jahre als Vanreisender bin ich weder ein Vollblut-Abenteurer noch ein besonders mutiger Mensch oder gar ein Survival-Experte. Und erst recht keine Vollzeit-Susi-Sorglos! Obwohl Ängste keinen unerheblichen Teil meines Lebens und meiner Person ausmachen, haben mir Leute oft gesagt: »Du bist aber mutig, dass du das gemacht hast.« Leider muss ich meine Bewunderer enttäuschen. Mit Mut hatten die Aufgabe meiner Wohnung und der Schritt zum Vollzeit-Vanlife nichts zu tun. Ich musste an keiner Stelle Angst überwinden, was ja die Definition von Mut ist. In dem Moment, als ich alles aufgab und losfuhr, hatte ich zur Abwechslung mal keine. Jede Zelle in meinem Körper hatte sich so sehr nach diesem neuen Leben gesehnt und wollte es so sehr beginnen, dass Mut keine Rolle spielte. Ich hatte keine Angst vor dem, was kommen mochte oder nicht kommen mochte. Und auch keine Angst davor, ob ich alles richtig machen würde – oder alles falsch. Es endlich zu tun war die einzige Handlung und pure Freude die einzige Emotion – gewürzt mit einer Prise von positiver Aufregung. Ehrlich gesagt, hatte ich eher davor Angst, nichts im Leben zu verändern und mich verfrüht in mein vermeintliches Schicksal zu fügen.

Abgesehen davon gibt’s über mich nicht viel zu erzählen. Ich habe gar nicht viele Hobbys im klassischen Sinn, mit denen ich mich hier beschreiben könnte. Das Vanlifer-Dasein bringt an sich schon viele unerwartete und zeitintensive »Hobbys« mit sich, wie etwa stundenlanges Autofahren oder das Finden von Schlafplätzen, Toilettenausleerstationen und Frischwasserquellen. Hinzu kommen das konstante Aufrechterhalten der Internetverbindung für die Arbeit sowie das regelmäßige Jagen von Moskitos oder Nordlicht. Auch das ständige Planen, Navigieren, Arbeiten, Schwimmen (zur Körperpflege!) oder die Reparaturen an Auto und Fahrrad kosten Zeit.

Aber ein bisschen Zeit für Hobbys im althergebrachten Sinne bleibt dennoch. Bereits während meiner ersten Tage auf Achse habe ich mich in Schweden als mittelschlechter Angler entpuppt. Außerdem liebe ich es, mit dem Fahrrad durch echte Dörfer zu fahren. So richtig echte Dörfer, ohne Show, ohne Tourismusfilter, wo man wirklich sieht, wie die Menschen in Frankreich, Spanien, Portugal, Schweden oder Norwegen leben: Wenn einem dann der Duft von frisch gewaschener Wäsche, einem leckeren Abendessen oder geräuchertem Fisch um die Nase weht, wenn Hunde bellen, Kinder spielen, Mopeds qualmen und einem fremdländische Omas in ihren jeweils landestypischen Kittelschürzen nach einem freundlichen Gruß hinterherschauen, dann habe ich das Gefühl, dass ich wirklich dort bin.

Kurzum: Ich stieg am 1. August 2019 sehr single, sehr unglücklich und gesundheitlich sehr angeschlagen einfach ins Auto, nickte mir selbst kurz zu und fuhr los. Seitdem fahre ich und lasse dabei einen negativen Zustand nach dem anderen hinter mir. Inzwischen bin ich viel glücklicher, viel gesünder und viel weniger single als davor.

Kapitelabschluss-Witz:

Ein phonetisch-interaktiver Witz, der zum Mitmachen einlädt. Am besten laut lesen:

Was lebt am Südpol und macht Krach?

Ein PENG!-uin.

Kapitel 2

Vanlife-ABC

Für das folgende Kapitel, das direkt in den Vanlife-Alltag führt, mache ich mir das gute alte Alphabet zunutze und haue in einem kleinen, lexikonartigen »Vanlife-ABC« zu jedem unserer 26 Buchstaben die ersten zwei Vanlife-Begriffe aus meinem Alltag der letzten Jahre raus, die mich besonders geprägt oder begleitet haben. Oder die eine Voraussetzung sind, um im Buch manche Dinge besser verstehen oder einordnen zu können. Dieses Kapitel ist, sozusagen, ein geschriebenes Amuse-Gueule, ein semiliterarischer Gruß aus der Schreibküche, bevor das eigentliche Geschichtenmenü serviert wird.

A wie

ANGELN

Obwohl ich die Rute allein nicht sehr regelmäßig auswerfe, sondern eher in Gesellschaft, ist das Angeln eine 100-prozentige Vanlife-Beschäftigung. Für unterwegs hatte ich mir die erste eigene Rute im September 2019 irgendwo in Mittelwestschweden zugelegt. Ich wollte beim Kauf Ahnung vortäuschen, doch der kernige Betreiber des Waldcampings samt Angelshop ließ mich spüren, dass ich keine hatte. Seine Stimme war freundlich, aber sein Blick verriet mir, dass er hart dagegen ankämpfen musste, die Augen nicht zu verdrehen. Meine amateurhafte Anwesenheit in diesem wilden Teil Schwedens, wo sonst nur erfahrene Outdoorprofis hinkommen, um ihr Revier zu markieren, juckte ihn. Doch, ein gutes Geschäft witternd, beriet er mich Route um Route, Spule um Spule, Köder um Köder und Spinner um Spinner sehr geduldig. Ich kaufte das notwendige Equipment, erwarb noch eine lokale Angellizenz und stand kurze Zeit später breitbeinig am Flussufer, um mich wie ein ganzer Kerl zu fühlen.

Aber mal Spaß beiseite: Das meditative Warten inmitten unfassbar schöner Natur hat mich holistisch überwältigt und war genau das, was ich dringend gebraucht hatte. Auf den ersten Auswurf folgten noch viele schöne Angelstunden in Schweden und Norwegen. Ich erinnere mich auch gut daran, wie ich mit drei Freunden aus drei verschiedenen Ländern auf den Lofoten eines kühlen, klaren Winterabends 15 Köhler aus dem Nordmeer zog und wir tagelang Varianten vom Köhler aßen, sogar auf der selbstgemachten Pizza.

Allerdings haben mich alles andere als MSC-konforme Kabeljau-Momente auf den Lofoten das Angeln stark hinterfragen lassen. Einen Kabeljau zog ich am Ausleger eines kleinen Industriehafens nahe Ramberg heraus. Hinter mir arbeiteten ein paar kernige Neuzeit-Wikinger an einem Schiff, und ich stand nebenan mit meiner Anfänger-Angel auf einem Haufen aufgeschütteter Felsbrocken. Der Blick auf den Fjord und die Berge war großartig. Plötzlich hatte ich Fischkontakt und holte behutsam einen Kabeljau ein. Ich entfernte den Haken, bewunderte das prächtige Tier und warf es dann über die Felsbrocken zurück ins Wasser. Mit langsamen Bewegungen verschwand der weiße Fisch im Blauschwarz des Fjords. Während ich den Mix aus Euphorie und Aufregung genoss, entdeckte ich vor mir am Boden plötzlich ein zeigefingerlanges und -dickes Stück Fischfleisch samt Haut. Wie mit einem Skalpell herausgetrennt, lag es einfach vor mir. Scheinbar streifte der Fisch beim Einholen einen der scharfkantigen Felsbrocken, obwohl ich genau das vermeiden wollte. Einige Zeit später sah ich in einiger Entfernung etwas Weißes an der unruhigen Oberfläche des dunklen Spiegels meiner Seele treiben. Ich weiß bis heute nicht, ob es der arme Kabeljau war, der meiner Arroganz zum Opfer gefallen war. Aber die Chancen sind hoch.

Neben meiner Überheblichkeit offenbart jener Vorfall auch folgendes Problem: In Europa sind alle Meere frei vom Ufer aus befischbar für Amateure wie mich. Dadurch kommen Fische oftmals sinnlos zu Schaden. Deshalb meine ich mit folgender Ansage vor allem mich selbst: Wer ohne Angelschein angelt, ist ein Idiot! Ich werde fortan nicht mehr angeln, bis mir eine entsprechende Institution nach Prüfung meiner theoretischen und praktischen Fähigkeiten die Lizenz erteilt hat. Fürs Karma sammele ich seither Angelmüll wie Leinen, Haken und Schwimmer an den Küsten aller Länder ein, die ich bereise. Davon liegt mehr rum, als man denkt.

Wie kam es zu diesem fatalen Angelfehler? Ich habe mich in Skandinavien einfach vom omnipräsenten Geist der Selbstversorgung mitreißen lassen. Die Menschen in Nordeuropa jagen, angeln, sammeln und essen ihre gesamte Umgebung – vielfach in Form eines netten Familien-Events für Groß und Klein. Ich wollte ein Teil dieser Kultur sein, habe aber verkannt, dass man dafür echte Fähigkeiten braucht.

Danke, Selbsterkenntnis!

ARBEIT

Es gibt fast nichts anderes an Bord, das ich so kontrovers betrachte und fühle wie meine Arbeit. Manchmal gibt sie mir Erfüllung, manchmal hasse ich sie. Und manchmal vergesse ich, dass es das ortsunabhängige Arbeitsmodell ist, das mir das alles ermöglicht. Dennoch wirkt die Arbeit, wenn man an besonders schönen Orten ist, die man einfach nur den ganzen Tag lang erkunden will, oft wie eine Last. Wie ein Hindernis. Dann muss man sich zusammenreißen und sich mit ihr versöhnen. Ich tendiere aber dazu, so wenig wie möglich zu arbeiten. Sorry, Leitungsgesellschaft!

In den meisten Momenten finde ich in meinem Tun als Werbetexter fast so etwas wie Erfüllung, aber manchmal auch nicht. Doch fürs Schreiben bezahlt zu werden, ist ein echter Segen. Erst recht, weil ich für meine Aufträge überall sein kann – sogar im Zweifel.

Danke, Arbeit!

B wie

BERGE

Berge, das wusste ich schon vor dem Vanlife, besitzen diese ganz besondere Fähigkeit, einen komplett abzuschirmen, einen voll aus dem Alltag zu holen und einfach nur im Moment sein zu lassen. Oft bin ich überrascht, wo man überall welche findet. Sogar richtig hohe! Und ganz egal, in welchem Land man ist, es begeistert mich stets das gleiche Phänomen in Bergregionen, in Bergdörfern oder auf Passstraßen. Immer herrscht der eine gleiche Berg-Vibe vor: Man ist physisch und mental näher an der Sonne, die Menschen sind kerniger, aber sie sind stets herzlich-freundlich, und es riecht fast immer nach Rauch, Schinken, Kühen oder Schafen und Wiese. Und ebenfalls fast immer rauscht von irgendwoher ein Bach.

Ich liebe Berge. Berge können einem viel beibringen. Zum Beispiel, dass man keine Kondition hat. Oder dass es auch in Portugal schneien kann und dass es dort sogar Skigebiete gibt. Zum Glück liegt mein Snowboard schon in Portugal, denn das musste ich 2020 ausmisten und dort deponieren, als meine Freundin ganz spontan einzog, nachdem sie noch spontaner zu meiner Freundin wurde.

Danke, Berge!

BIN OK

»BIN-OK« ist der unterhaltsame, viele Menschen begeisternde, nicht nummerische Teil meines Nummernschilds. Nichts fühlt sich deutscher an, als sein Nummernschild zu designen. Da ich aus dem Kreis Mainz-Bingen komme, hatte ich die Wahl zwischen »MZ« und »BIN«, um meinem Van schwarz auf weiß Wurzeln zu verpassen. Natürlich ging ich in Kombination mit meinen Initialen, »OK«, den »BIN«-Weg.

Mein Freund Tahar ist bei unserer ersten Begegnung am Strand von Malhão in Portugal wegen des Nummernschilds komplett ausgerastet und hat sich minutenlang nicht wieder eingekriegt. Ich genoss das natürlich. Genau da will man als ambitionierter StVO-Künstler und Nummernschild-Designer ja hin.

»BIN OK« wurde seit meinem Aufbruch zu einer Art inoffiziellem Titel für mein Vanlife. Erstens, weil ich gesundheitlich wieder ziemlich OK, und zweitens, weil ich als Mensch auch ganz OK bin. Sicherlich habe ich einige Defizite und Baustellen, aber für ein solides »OK« reicht es allemal.

Danke, Zulassungsstelle!

C wie

CHAOS

Es entsteht täglich auf so engem Raum. Als reisender Junggeselle war es kein Problem, eine gewisse Grundordnung aufrechtzuhalten. Aber jetzt, zu dritt, mit zwei Menschen und einem Hund, ist Chaos vorprogrammiert. Das liegt überwiegend daran, dass man seinen kompletten Hausrat samt Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer plus Hobbykeller auf knapp sechs Quadratmetern dabeihat.

Im täglichen Meistern von Chaos steckt nicht nur ein zen-buddhistischer Quell innerer Ruhe und geistiger Befriedigung, sondern auch eine gnadenlose Notwendigkeit, um nicht zwischen Schuhen, Hundespielzeug, Klamotten, Kabeln, Sandmassen, nassen Handtüchern sowie ungespülten Geschirrbergen verschollen zu gehen. Zum Glück gehört die Chaosbeseitigung zu unseren liebsten Hobbys. Man fühlt sich danach wie eine Mischung aus Monk und Tine Wittler.

Nebst vollem Körpereinsatz sind ein Handfeger plus Schaufel sowie ein Handstaubsauger unsere Waffen im Kampf gegen den wanderlustigen Hausrat mit mysteriösem Eigenleben. Gefegt wird täglich mehrfach. Besonders, wenn man gerade am Strand wohnt, denn dann wohnt der Strand grundsätzlich mit im Van. Küche und Bad wollen hin und wieder auch mal feucht liebkost werden, und das Ausschütteln der Bettwäsche sollte vor allem mit einem bettschläfrigen Hund zur Gewohnheit werden.

Anfangs bin ich das Thema »Sauberkeit« im Van etwas philosophischer angegangen. Besonders im Bereich Koch- und Essgeschirr tauchte wiederkehrend die Frage auf: »Ab wann ist eine Pfanne eigentlich wirklich dreckig? Oder ein Teller?« Das fragte ich mich aus drei Gründen: 1. Faulheit; 2. Wissenschaftliche Neugier; 3. Wassermangel wegen konstanter Minusgrade, die ein entleertes Wassersystem nötig machten. Nur ein 20-Liter-Kanister stand mir zur Verfügung, um neben dem Küchengeschirr auch Körperstellen aller Art zu reinigen. Woraus sich natürlich eine weitere, gesellschaftlich noch relevantere Folgefragestellung ableitete: »Ab wann ist ein Körper eigentlich wirklich dreckig?« An der Antwort philosophiere ich bis heute.

Haushaltstechnisch kam ich zu dem Ergebnis, dass man Pfannen, Teller und Bestecke locker bis zu sieben Tage lang wiederholt benutzen kann. Ich entwickelte Methoden, um ohne Wasser und Spülmittel zu spülen. Die Pfanne, in der ich mir im kalten Norden fast ausschließlich Lachs und Fleisch zubereitete, reinigte ich nach dem Anbraten der Hauptkomponenten gern mit einem Rührei, das dann alle Fette, Aromen und kross gebratenen Minipartikel zu einer köstlichen Beilage veredelte. Den Teller reinigte ich mit meinem Zeigefinger, und wo der Finger partiell versagte, konnte die Zunge durch direktes Reinigen punkten. Fazit: Satt. Sauber. Zero Wasser benutzt.

Danke, Faulheit!

CHEMIETOILETTE

Das Herzstück eines jeden Vans ist, wie in jedem stationären Zuhause auch, die Toilette. Man kommt zur Ruhe, man entlässt Altlasten und schafft Raum für neue Lebensenergie. In meinem Vanmodell (siehe »V«) nutzen wir eine althergebrachte Chemietoilette.

»Was ist eine Chemietoilette?«, höre ich viele fragen. Sie ist ungefähr das: Übertage dient einem eine bequeme Kunststoff-Kloschüssel mit angenehmem Brillenquerschnitt als Sitzgelegenheit, so wie ihre Keramik-Cousins in stationären Heimen. Untertage empfängt eine geräumige Feuchtraum-Toilettenkassette ehemalige Nahrungsmittel. In so einem Toiletten-Orkus befinden sich als Basiseinlage immer vier bis fünf Liter Wasser und ein Schuss »Chemie«, die bestenfalls zu 100 Prozent aus natürlichen Stoffen wie Duftharzen, ätherischen Ölen und Fruchtsäuren besteht. Die Biobrühe erledigt ihre Arbeit echt gut und ist deutlich weniger bis gar nicht umweltschädlich im Vergleich zu wirklicher Chemie. Allerdings haben wir jüngst auf eine Trenntoilette umgerüstet. Was das ist? Nachdem der erste Partner drauf war, trennt sich der andere. Nein, Spaß, sie separiert Pipi in einem Kanister im vorderen Bereich vom Kot, der im hinteren Bereich, also unter dem Po, in ein Bett aus Sägespänen oder anderen Pflanzenchips fällt, um dann mit einer Handvoll mehr davon bedeckt zu werden. Der Laie staunt, und der Fachmann riecht nichts. Trenntoiletten nennt man auch Trockentoiletten, und die Trockenheit sorgt dafür, dass kein Geruch entsteht. Man braucht auch kein Wasser. Genial! Mehr Fäkal-Anekdoten stehen unter »K«.

Danke, Trennung!

D wie

DIEBSTAHL

Leider ein Thema, mit dem man sich fast täglich auseinandersetzen muss. Nein, nein, es bricht natürlich nicht täglich jemand ein, aber man muss täglich dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Spannende Storys über kuriose Einbrüche werden unterwegs erzählt wie anderswo Sichtungen von Loch Ness oder Big Foot. Neben dem Interesse an wertvollen Inhalten wuchs in den letzten Jahren auch die Gier auf die Fahrzeuge selbst. Ich sorge auch an sicheren Orten immer dafür, dass ich meine umfangreiche Van-Absicherungsroutine konsequent durchziehe, damit weder der Schlendrian, noch sonst jemand Einzug hält.

Danke, Vorsicht!

DISCO-2

Nein, Disco-2 ist kein muffiges 90er-Jahre-Tanzlokal im rheinhessischen Hinterland. Mit Disco-2 meine ich meine erste, zwar nur dreiwöchige, wenngleich lebensverändernde vanlifeähnliche Erfahrung aus dem Spätsommer 2018. Ich hatte mir damals einen leicht verranzten, knapp 20 Jahre alten Land Rover Discovery 2, aka Disco-2, gekauft. Ein Klassiker. Ein Monument. Eine Legende. Und ein Schnäppchen! Für rund 4.000 Euro wurde ich der neue Eigentümer der rollenden Kfz-Historie. Hätte ich die Mühle nach dem Trip behalten und nicht gleich verkauft, bekäme ich gegenwärtig das Zwei- bis Dreifache dafür. Klassischer Anfängerfehler. Bedauerlicherweise war ich zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht mehr ganz so jung, brauchte aber trotzdem das Geld. Für meinen Van.

Disco-2-Piloten sind automatisch verbündet und verbrüdert. Sie grüßen sich, ohne sich zu kennen. Mein silberner Allrad-Allrounder hatte deutliche Gebrauchsspuren, stand aber insgesamt gut da. Kein Ölleck, wenig Rost, nur im Innenraum roch es leicht nach Pferd. Sein erster Besitzer war ein Jägersmann von Adel, hieß es, über die Besitzer zwei bis drei weiß ich nichts und die vierten Besitzer machten scheinbar irgendwas mit Pferden, wie mir der fünfte Besitzer bei der Fahrzeugbesichtigung verriet. Doch wen juckt so ein bisschen Pferdegeruch, wenn der Rest geil ist? Mich tatsächlich, wegen einer leichten Pferdehaar-Allergie. Egal! Um darin »wohnen« zu können, baute ich die Rückbank mit einem Freund aus und setzte einen 60er-Jahre-Kleiderschrank horizontal als Bett ein. Der Schrank war sozusagen die Zwischendecke, die das Schlafzimmer vom Erdgeschoss mit Küche und Keller trennte. Sowohl mein Freund als auch der Kleiderschrank und seine Vorbesitzer sind für mich von besonderer Bedeutung.

Isomatte und Schlafsack rein, Duffelbag mit Klamotten, Campingkocher, Zigarettenanzünder-Kühlbox, Outdoorzeugs und anderen Kleinkram hineingeworfen und ab ging’s ans Nordkap. Nach diesem Jungfern-Trip gab es kein Zurück mehr: So mobil und frei wollte ich fortan immer leben. Die Vorbereitungen für mein neues Nomadenleben begannen noch unterwegs.

Der Kleiderschrank gehörte den sehr lieben, leider verstorbenen Eheleuten Weiand aus Wackernheim, die ich schon fast mein ganzes Leben kannte – sowie ihre gesamte Familie. Liebe Großfamilie Weiand, ob vergangen oder noch anwesend, ich hoffe von Herzen, dass Ihr Freude daran findet, dass der (groß-)elterliche Kleiderschrank gemeinsam mit mir am Nordkap war. Er machte aus meinem Disco-2 ein echtes Zuhause mit zwei Stockwerken und war mir ein treuer Freund. Auf ihm liegend träumte ich bereits damals vom freien Leben, das ich heute wirklich führen darf.

Der Schrank für mein Offroad-Etagenbett landete schließlich bei meinem Freund Winni. Er war nicht nur der Nachbar der ehemaligen Schrankbesitzer, sondern auch ein begabter Bau- und Holzkünstler, Allesverwerter und echter Van-Weltreisender, lange bevor es en vogue wurde. Bei ihm hieß das noch »Bus« und »reisen«, auch wenn er manchmal bis zu zwei Jahre unterwegs war. Statt nach Portugal fuhr er durch Afrika, Indien, Pakistan und den Kashmir-Konflikt. Sein Bus bestand aus mehreren zusammengeschweißten Bussen (einmal Mercedes, zweimal VW-Bus) und war als Baukunst auf Rädern eher Material fürs Museum als für den TÜV. Letzterer empfand das ähnlich, doch nach viel gutem Zureden bekam der ikonische Camper doch immer wieder aufs Neue die Plakette, die in Deutschland die Welt bedeutet. Leider lebt auch mein Freund Winni nicht mehr. Er verstarb nur wenige Wochen vor meinem Aufbruch in mein – in seinen Augen – Spießer-Vanlife mit kalkulierbarer Remote-Arbeit am Laptop im jungfräulichen Neuwagen. Er verkaufte seinerzeit besondere Reifen aus Deutschland in der Sahara, um diese dann mit etwas Geld in der Tasche als Solotraveller zu durchqueren. Doch zum Glück konnte er meinen fix und fertig gekauften Van noch ausgiebig mustern und die Nase über den Neuwagengeruch rümpfen, um sich dann aber trotzdem recht herzlich mit mir zu freuen, dass ich diesen Weg wirklich gehen wollte. Also fahren.

Danke, Winni!

Danke, Weiands!

E wie

ELEKTRONIK