Eine Liebe in Dänemark - Hanna Meyer - E-Book

Eine Liebe in Dänemark E-Book

Hanna Meyer

0,0

Beschreibung

- Eine deutsch-dänische Liebesgeschichte - Die Buchhändlerin Gesa, eine Frau um die Fünfzig, Mutter von drei Kindern und verwitwet, sehnt sich nach der Nähe eines Mannes, scheut aber eine neue Bindung. Doch längst haben ihr Vater und ihre Söhne für sie entschieden. Sie wollen Gesa im Urlaub in Dänemark mit einem Freund der Familie zusammenbringen, einem dänischen Sportdozenten. Da tritt ein Mann in ihr Leben, ein Schriftsteller, mit dem sie einst eine tiefe Sehnsucht verband. Beide Männer sind nicht ganz frei und ungebunden. Erst als das Schicksal ihr die Fäden aus den Händen nimmt, kann Gesa sich entscheiden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 230

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bremen. Sie hat Politikwissenschaft und Germanistik studiert und war viele Jahre an einem Gymnasium in Verden an der Aller tätig, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Eine Liebe in Dänemark ist ihr zweiter Roman.

2015 erschien ebenfalls bei BoD ihr Prag-Roman Jenseits der Flut – Eine Liebe in Prag.

Autorenseite: www.hanna-meyer.de

Ich sehe keine Ehen schneller im Nebel verschwinden und scheitern als jene, die auf Schönheit und Liebessehnsucht beruhen. Es bedarf festerer und beständigerer Fundamente sowie eines besonnenen Blickes; all das Ungestüm führt zu nichts.

Michel de Montaigne

(1533-1592)

Inhaltsverzeichnis

Sonntagabend

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Montag

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Dienstag

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

Mittwoch

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

Donnerstag

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

Freitag

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

Sonntagabend

1.

Kurz bevor es dämmerte, erreichte sie das Sommerhaus. Es lag am Ende der Straße. Gleich dahinter begann der Wald.

Sie war noch gar nicht ausgestiegen, schon meldete sich ihr Vater.

„Mads Sørensen wird auch für ein paar Tage in Juelsminde sein, das hatte ich ganz vergessen, Gesa. Ich rufe dich noch einmal an, wenn Jakob dann im Bett ist.“

Sie wusste nicht, ob sie nun lachen sollte oder weinen. Mads Sørensen! Der hatte sie schon im Frühjahr einige schlaflose Nächte gekostet. Und dann war er genauso sang- und klanglos, wie er in ihr Leben getreten war, auch wieder verschwunden. Ohne Abschied.

Kopfschüttelnd legte sie das Telefon zur Seite und entschied sich für ein Lächeln.

Anders als sonst parkte sie nicht vor der reetgedeckten Scheune, sondern links von der Einfahrt hinter der hohen Lärchenhecke, die das weitläufige Grundstück umgab. Schließlich war sie allein hier. Ganz allein.

Ohne Kinder. Ohne Max.

Der Svanevænget wirkte wie ausgestorben. Was hatte sie erwartet? Das weekend war vorbei, und in dieser Gegend gab es kaum noch Touristen. Die meisten Dänen, die hier direkt an der Ostsee ein Sommerhaus besaßen, vermieteten nicht mehr. Auch war der August bisher viel zu kühl gewesen, und für die nächsten Tage wurde mit Regen gerechnet.

Sie stieg aus, reckte sich und sog die frische Meeresluft ein.

Kurzentschlossen, ohne das Gepäck und die Lebensmittel ins Haus gebracht zu haben, marschierte sie durch den von Heckenrosen gesäumten Pfad zum Wasser.

Nur noch das Meer und die Bucht. Max’ Bucht!

Sie sah eine Weile vom Deich aufs Meer und ging hinunter an den Strand. Sie tauchte ihre Hände ins Wasser. So kühl? Es war höchstens siebzehn Grad. Für einige Schwimmzüge würde es reichen, gleich am nächsten Morgen vor dem Frühstück.

So lange würde sie nicht warten. Rasch zog sie ihre Schuhe aus, krempelte die Shorts ein bisschen höher und setzte mutig einen Fuß ins Meer, das wie ein silberner Spiegel vor ihr lag.

Nun war sie angekommen.

Immer noch angezogen von dem weichen Licht ging sie noch tiefer ins Wasser. Und dann sah sie hinunter.

Bis auf den Grund.

Das Herz wuchs ihr so sehnsuchtsvoll.

„Stop it, Jeesa! Stop it!“, schrie jemand.

Hastig drehte sie sich um. Da war es schon zu spät!

Wie aus dem Nichts erfasste sie eine heftige Welle, warf sie um und zog sie mit sich ins Meer hinaus.

„I can’t swim! I can’t swim!“, ertönte es vom Ufer.

Mit ein paar kräftigen Zügen gelang es ihr, an den Strand zurückzuschwimmen.

Durchnässt bis auf die Haut kroch sie zu ihren Sachen zurück.

Sie zitterte am ganzen Körper!

Dabei hatte das Meer nahezu platt vor ihr gelegen.

Sie stand auf und warf einen Blick auf die verwitterte Bank oberhalb des Strandes.

Von hier waren die Rufe gekommen.

Die Bank war leer.

2.

Inzwischen war es dunkel geworden.

Ihr war immer noch kalt, obwohl sie heiß geduscht und gleich den Kaminofen angezündet hatte. Auch die warme Leberpastete von Brugsen hatte nicht geholfen.

Bei Kerzenschein und Glühwein zappte sie eine Weile durch die deutschen TV-Programme und blieb bei einer Nachrichtensendung hängen. Ein Anschlag in Afghanistan und Flüchtlinge im Mittelmeer. Als dann auch noch die täglichen Schreckensmeldungen über Syrien kamen, wählte sie einen anderen Sender. Danmarks Radio, DR1, ein britischer Film, im Original mit dänischen Untertiteln. Dabei könnte sie sogar ihr Englisch etwas auffrischen.

Über den Weltfrieden wollte sie jetzt nicht nachgrübeln. Das wäre eher eine Aufgabe für Erik Laursen, doch der arbeitete schon seit Jahren nicht mehr für die NATO. Der hatte anderes zu tun. Er musste eine Hochzeit vorbereiten.

Erik Laursen. Der Vater ihrer achtzehnjährigen Zwillinge, dem sie die Kinder aus verletztem Stolz so lange vorenthalten hatte. Zum Glück war es noch nicht zu spät gewesen, als sie ihm schließlich die Wahrheit gesagt hatte.

Und nun, nach all den Jahren, wollte er die beiden in die Gesellschaft einführen und in seine große Familie.

Am Donnerstag. Auf einer Hochzeit in Århus.

Sie hatte ein ungutes Gefühl. Der Laursen-Clan, das war nicht ihre Welt. Und auch nicht die der Zwillinge.

Vergeblich hatte sie bisher versucht, ihre Söhne davon abzubringen, die Feier zu besuchen.

Sie schüttelte sich bei dem Gedanken an dieses Fest und goss noch etwas Glühwein in ihr Glas. Glühwein mitten im Sommer!

Da sie sich auf den Film nicht konzentrieren konnte, stellte sie den Fernseher aus und beschloss, etwas zu arbeiten.

Sie hatte einige Neuerscheinungen und Vorabexemplare aus ihrem Geschäft dabei, darunter allein fünf Luther-Biografien, eine sogar von einer Australierin mit über siebenhundert Seiten. Damit würde sie beginnen.

Bevor sie sich ans Werk machte, warf sie noch einen Kaminanzünder in den Ofen. In diesem Moment klingelte das Telefon. Der neue Festnetzanschluss. Das würde ihr Vater sein.

„Hallo, Gesa. Da bin ich wieder. Bist du gut angekommen in Juelsminde?“

„Keine Staus, Vater, weder vor dem Elbtunnel noch vor den kilometerlangen Baustellen auf der A7, und an der Grenze haben sie mich durchgewunken.“

„Mit deinen hellen Haaren und deinen blauen Augen siehst du aus wie eine Dänin.“

Jetzt knisterte das Feuer und brannte lichterloh.

„Du hest inböten1?“

„Allens good, Vadder, allens good!“

„Jakobs Siebensachen stehen schon unten im Flur.

Wie die Kinder wohl ohne Smartphone auf der Klassenfahrt zurechtkommen wollen?“

„Es ist alles abgesprochen, das weißt du doch. Ich habe deine Nachricht gelesen. Was ist nun mit Mads Sørensen?“

„Er wird sich morgen bei dir melden und dir alles erklären. Høg hat ihm eines der neuen Ganzjahreshäuser am Hafen vermittelt. Sørensen ist Wikinger, der zieht nicht so leicht die Ruder ein.“ Jetzt lachte ihr Vater.

„Schließlich ist er ein erfolgreicher Trainer.“

„Sportdozent, Vater. Das mit dem Handballtrainer war einmal!“

„Noch ist er nicht zu alt dafür. Sei nicht wieder so spröde zu ihm wie in Barkenstedt. Er ist ein feiner Kerl.“

Was mischte ihr Vater sich da in ihr Leben ein? Das war doch sonst nicht seine Art. Er war kein lauter Vater.

„Ich bin in den letzten Jahren auch ohne Mann ganz gut zurechtgekommen. Ich bin noch nicht so weit.“

„Die Zwillinge werden nach England gehen. Warte erst einmal ab, was Sørensen dir zu sagen hat.“

„Da ist etwas anderes, was mir Sorgen bereitet. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken auf der Fahrt hierher.

Ich habe Bedenken wegen der Hochzeit.“

Endlich war es heraus!

Für einen Moment verstummte Johann Jakobsen.

„Das musst du mit dir selbst ausmachen, Gesa“, sagte er mit belegter Stimme, und sie fuhr zusammen.

Wie konnte ihr Vater das von ihr denken!

„Darum geht es nicht. Ich habe Angst, dass meine Söhne mir verloren gehen. Ein Leben, wie es die Laursens führen, das können wir ihnen nicht bieten.“

„So wie ich die beiden einschätze, Gesa, wissen Jan und Felix das inzwischen gut zu unterscheiden.“

Wenn er sich da nur nicht täuschte.

„Sie waren in letzter Zeit so häufig in Kopenhagen und kamen jedes Mal verändert zurück. Und die vielen Reisen, die Erik mit ihnen unternimmt! Dabei hat er sich früher so selten um sie gekümmert.“

„Sie sind erwachsen, Gesa, und Laursen ist ihr Vater.

Kinder gehen ihre eigenen Wege, damit musst du dich abfinden. Früher mussten die jungen Männer in ihrem Alter zur Bundeswehr. Was soll schon groß passieren auf dem Fest? Die Dänen sind freundliche, tolerante Menschen. Wenn Jan und Felix zum Laursen-Clan dazugehören wollen, müssen sie da durch. Du solltest die Dinge etwas gelassener nehmen.“ Er hielt kurz inne. „Sei stolz auf das, was du erreicht hast. Du hast es in deiner Heimat zu etwas gebracht und dich nicht irgendwo in Berlin versteckt. “

Sie dachte an ihre Buchhandlung. „Das bin ich auch, Vater. Und ich bin auch stolz auf dich. Aber da ist wieder diese Grundunruhe.“

„Ich weiß, die letzten Jahre haben Kraft gekostet. Versuch doch einfach, etwas abzuschalten und die paar Tage in Juelsminde zu genießen.“

3.

Nun blätterte sie bereits in der dritten Luther-Biografie, ohne sich darauf einlassen zu können. Wenn da nur nicht diese langen Vorworte und Einleitungen wären.

Immer noch konnte sie nicht verstehen, was ihr da vorhin im Wasser widerfahren war. Der Schreck steckte ihr noch in Gliedern, und sie spürte ihre Arme und besonders ihr lädiertes Knie. Es war alles so schnell gegangen und hatte doch mehr Kraft gefordert, als sie zunächst vermutet hatte. Wenn sie sich nur genauer erinnern könnte. Und Boote waren auch nicht in der Nähe gewesen.

Es ist ja nichts geschehen, versuchte sie sich zu beruhigen, legte die Bücher beiseite und stellte das Radio an.

Traummusik vor Mitternacht. Das würde sie entspannen.

Ihr Vater hatte recht. Einiges hatte sie bewältigen müssen in den letzten Jahren, und manches Problem war ihr wohl auch größer erschienen, als es in Wirklichkeit gewesen war.

Sie dachte an die anonyme SMS. Ihr Vater wusste nichts davon.

Sie sah noch einmal auf ihr Smartphone.

Finden Sie sich damit ab, dass wir mit Eriks Kebsweib und seinen Kegeln nichts zu tun haben wollen.

Wer schickte ihr eine solche Botschaft? Noch dazu in einem so altertümlichen Deutsch? Das kam nicht von Eriks Enkeln.

Und sie war zu der Hochzeit gar nicht eingeladen.

Wahrscheinlich hatte sich da jemand einen Scherz erlaubt. Einen bösen Scherz. Einer von Jan und Felix` neuen Kopenhagener Freunden?

Schnell drückte sie die Nachricht wieder weg. Einfach ignorieren.

Sie horchte auf.

Im Radio lief ein Lied, das sie von früher kannte.

Wonderful life.

Sie hatte es lange nicht mehr gehört.

Nicht mehr allein?

Ein sehr sentimentales Lied, und es gefiel ihr immer noch.

Was war das nur für ein Abend?

Meistens las sie vor dem Einschlafen einen nordischen Krimi oder einen Liebesroman. Dabei würde sie heute keine Ruhe finden. Obwohl sie wusste, dass auch das nicht funktionieren würde, nahm sie Den lille havfrue2 von H. C. Andersen aus dem Regal. Zwar konnte sie nicht mehr so gut Dänisch wie früher, als sie noch für Erik gearbeitet hatte, aber sie musste ja nicht jedes Wort verstehen. Ebenso wie der opholdsrum lag auch ihr Zimmer im Erdgeschoss. Vor fünf Jahren, kurz vor Max` Tod, war das geräumige, reetgedeckte Haus von Grund auf renoviert und auf den neuesten technischen Stand gebracht worden, inklusive Luxusbad und WLAN. Allerdings stand in ihrem Raum anders als früher statt der schmalen Doppelliege nur noch ein komfortables Einzelbett.

Sie sah auf Max` Foto.

Sie war noch nie alleine hier gewesen in diesem schönen, viel zu großen Haus.

Kurzentschlossen lief sie die kleine Treppe zur Galerie hinauf. Max’ Tochter Theresa war Ärztin und hatte Tabletten jeglicher Art in ihrem Notköfferchen gebunkert. Morgen kamen die Zwillinge. Da wollte sie ausgeschlafen sein.

1 nd: Feuer gemacht

2 dän.: Die kleine Meerjungfrau

Montag

4.

Sie hatte das Hämmern schon vom Deich aus gehört.

Und nun stand sie hinter der anderen in Max’ viel zu großem Bademantel, den Badeanzug unterm Arm und um die Haare einen Handtuchturban gewickelt.

Die große, grauhaarige Frau, die mit dem Rücken zu ihr auf einer Leiter stand, trug einen Handwerkeroverall, Marke Engelbert Strauss, wie Gesa ihn von ihrem Bruder Heinrich kannte.

Die Fremde hatte sie offenbar noch nicht bemerkt.

Das war keiner von Høgs Handwerkern. Vielleicht eine Norwegerin? Manchmal vermietete Heinrich das Haus an Freunde oder Bekannte aus seiner neuen Heimat.

Vorsichtig, um die andere nicht zu erschrecken, meldete sie sich zu Wort.

„God morgen.“

Die Frau zuckte zusammen und wäre beinahe von der Leiter gefallen. Immer noch sagte sie nichts, während sie langsam auf den mit Backsteinen gepflasterten Boden herunterstieg.

Und nun verschlug es Gesa die Sprache!

Da hingen sie, aufgereiht an einer Edelstahlkonstruktion im hinteren Teil der Scheune! Fünf übergroße Marionetten! Seejungfrauen, Nixen und Sirenen, weich und wunderschön und anscheinend alle miteinander verwandt. Eine von ihnen, die jüngste, war besonders schön.

Kostbare Kleider von Seide und Musselin! Sie konnte kaum die Augen von den Gewändern lassen.

Nicht alles war nach nordischer Manier.

Langsam drehte sich die Fremde zu ihr um, legte den Hammer und die Haken zurück auf den Resopaltisch, auf dem eine braun-getigerte Katze lauerte, und lächelte sie an.

Und wieder fehlten Gesa die Worte. Die Frau, die einen Kopf größer war als sie und auch wohl ein paar Jahre jünger, war eine Schönheit und trug dieselben Züge wie die Meerprinzessinnen.

„Gefallen sie Ihnen?“

Eine Engländerin?

Natürlich erkannte sie die Stimme sofort. Die Stimme vom Strand. Doch sie ließ sich nichts anmerken.

„Gesa Jakobsen. Hat mein Bruder Ihnen die Hütte und den Schuppen vermietet?“

„Advokat Høg hat es vermittelt. Sie sind die Eigentümerin?“ Nun fuhr sich die Frau mit der rechten Hand durch ihr edel gesträhntes Haar. Dann deutete sie auf die Vorräte, die Weine und den Karton mit Bremer Kaffee. „Siri Mortensen. Von den Sachen habe ich nichts angerührt.“

Das hatte sie ihr gar nicht unterstellt.

Katzenfutter hatte dort sonst nicht gestanden.

„Die beiden Häuser und die Scheune gehören mir und meiner Familie. Eigentlich vermieten wir nicht an Fremde“, erklärte Gesa mit einem höflichen Lächeln.

Die Frau und ihre Puppen gefielen ihr, dennoch wollte die Angelegenheit geklärt sein.

„Ich dachte, Deutsche könnten hier keine Sommerhäuser kaufen.“

„Meine Schwiegermutter war Dänin. Entschuldigen Sie mich einen Moment.“

Sie warf den Badeanzug vor die Katze auf den Tisch, ging um die Ecke und nahm ihr Smartphone aus der Bademanteltasche. Drinnen fauchte die Katze.

Sollte Ludvig Høg, Max’ alter Freund und Segelpartner, der sich in ihrer Abwesenheit um das Anwesen kümmerte, etwa ein paar Kronen nebenher verdient haben?

Nein, das würde er nicht tun.

„Ich bin noch gar nicht richtig wach, Gesa“, meldete er sich mit verschlafener Stimme. Es war gerade mal halb acht. „Sie suchte ein Sommerhaus, das sich als Schneiderwerkstatt eignet und kommunikationstechnisch auf dem neuesten Stand ist. Heinrich hat mir freie Hand gelassen. Er kommt nicht mehr so oft zum Arbeiten nach Dänemark. Ich habe die Hütte schon häufiger für ihn vermietet. Das Geld geht auf euer gemeinsames Konto.“

Darum hatte sie sich in der letzten Zeit nicht mehr gekümmert, das hatte sie ganz ihrem Bruder überlassen.

Irgendwie war sie erleichtert, dass alles seine Richtigkeit hatte. Die Frau hatte etwas Besonderes an sich.

„Entschuldige bitte die Störung, Ludvig“, sagte sie etwas kleinlaut. „Und schöne Grüße an Lene. Wir sehen uns, hej hej.“

„Ha’ det godt, Gesa.“

5.

Nun würden die Zwillinge doch erst einen Tag später kommen.

Island hatte mehr zu bieten für zwei achtzehnjährige Jungs als dieser kleine Urlaubsort an der Ostsee, den sie seit ihrer frühesten Kindheit kannten.

Nahezu eine halbe Stunde hatte sie darauf verwendet, sich zurechtzumachen, lässig-elegant, wie Max es gemocht hatte und wie auch Erik es mochte.

Da stand sie nun, herausgeputzt, als wollte sie zum five o’clock tea gehen, und drehte sich noch einmal vor dem Spiegel. Und was sie sah, gefiel ihr nicht. Nicht für diesen Anlass. Was war los mit ihr? Sie war zum Frühstück verabredet. In ihrem eigenen Haus. Noch dazu mit einer Frau, die Heinrichs Arbeitsoverall trug.

Schnell zog sie sich nun wieder aus und nahm den kurzen, blauen Urlaubs-Rock sowie das hellgraue Viskoseshirt aus dem Schrank. Auch die hochhackigen Silbersandaletten stellte sie zurück. Die weißen Turnschuhe mit den dicken Sohlen würden reichen.

Jetzt passte der Rock auch wieder. Sie hatte etwas abgenommen in der letzten Zeit und trug nun wieder dieselbe Größe wie während ihrer Zeit mit Max. Doch anders als früher musste sie inzwischen etwas dafür tun und konnte nicht mehr nach Belieben essen. Die Wechseljahre forderten ihren Tribut. Sie sah noch einmal in den Spiegel. Sie wirkte zierlicher, als sie sich fühlte. Ihre langen, schlanken Beine zeigte sie sonst eher selten. Meistens trug sie Hosen im Geschäft. Das war wesentlich praktischer. Und die Zeiten, wo ihr die Bauarbeiter hinterhergepfiffen hatten, waren mit über fünfzig vermutlich ohnehin vorbei. Die Männer spürten instinktiv, ob da noch etwas ging.

Nachdem sie ihre schulterlangen Haare wieder glatt gekämmt hatte, legte sie ein dezentes Make-up auf.

Nur der Lippenstift, der durfte etwas auffälliger sein.

In einem kräftigen Rosenquarz.

Jetzt brauchte sie nur noch ein Gastgeschenk. Weil es drüben im Männerreich keine Blumen gab, schnitt sie auf der Terrasse drei rosa Kletterrosen ab und steckte sie in eine kleine Vase. Auch so etwas gab es dort nicht.

Und dann holte sie noch ein Pfund Bremer Kaffee aus dem Schuppen. Kaffee war teuer in Dänemark, und die meisten Künstler, die sie kannte, verdienten nicht viel Geld.

Sie sah auf ihre Uhr. Da blieb ihr sogar noch Zeit für Hausarbeit.

Gerade wollte sie die Jacke aus dem Trockner nehmen und kräftig durchschütteln, als das Telefon klingelte.

Wieder war es der neue Festnetzanschluss. Vielleicht kamen die Zwillinge doch früher zurück.

„Gesa Jakobsen“, meldete sie sich mit Singsang in der Stimme.

„Mads Sørensen hier. Sie scheinen guter Laune zu sein, Gesa. Bitte legen Sie nicht auf.“

Zwar hatte ihr Vater sie vorgewarnt, aber auf diesem Apparat hätte sie nicht mit dem Dänen gerechnet.

„Ich bin ganz in Ihrer Nähe, am anderen Ende des Ortes. Zwei Kilometer Luftlinie. Ich würde Sie gerne treffen.“

Kein Wort der Entschuldigung? Auch in seinen Mails hatte sie vergeblich nach einer Erklärung gesucht.

„Was versprechen Sie sich davon?“, hörte sie sich dennoch mit ihm reden.

„Vielleicht den ersten Kuss!“ Er lachte. „Alt genug dafür wären wir.“

Da musste auch sie auf einmal lachen. Recht hatte er!

Da war bisher nichts, rein gar nichts zwischen ihnen gewesen. Nicht einmal ein Kuss. Er war ihr keinerlei Rechenschaft schuldig. Und Blumen hatte er ihr nie geschenkt.

Nur einmal auf dem Frühlingsfest am Weserhang in Barkenstedt hatte er mit ihr getanzt. Und sie mit ihm.

Nur einen Tanz. Danach nie wieder.

„Mir ist nicht entgangen, dass Ihr Vater und die Zwillinge uns miteinander verkuppeln wollen. Dabei war es so gut angelaufen zwischen uns, rein freundschaftlich, und ich hatte den Eindruck, dass es auch Ihnen gefallen hat, wenn wir ab und zu einen Vortrag über Bremer Stadtgeschichte besucht oder eine Runde Golf gespielt haben. Was ist geschehen?“

„Sie waren plötzlich verschwunden.“

Zwei Monate hatte sie nichts von ihm gehört. Und nun war er ihr hinterhergereist, obwohl er sie kaum kannte?

„Ich musste in den Iran.“

„Nach Persien? Als Handballtrainer?“

Er hielt kurz inne. „Es gab tatsächlich einen Kurs der Olympischen Solidarität in Teheran, aber deshalb war ich dieses Mal nicht da. Meine Frau und meine beiden Kinder leben dort. Unser Sohn hatte einen kleinen Unfall. Es ist alles gut gegangen, und anschließend haben wir anlässlich meines fünfzigsten Geburtstags ein großes Fest gefeiert.“

Im Frühjahr hatte er nichts von einer Frau erzählt.

„Ihre geschiedene Frau?“

„Nein, wir sind verheiratet.“

Das hatte sie nicht erwartet. Ich lebe allein, hatte er im Frühling behauptet. Und schon spürte sie, wie der Ärger in ihr hochkroch. Auch Erik Laursen war von Anfang an verheiratet gewesen.

„Und in Deutschland haben Sie eine Zweitfrau?“, warf sie ihm hin und war gespannt, wie er sich da wohl herauswinden würde.

„Wie kommen Sie darauf?“

Sie entschloss sich, nicht lange darum herumzureden.

„Nach unserem letzten Besuch an der Uni Bremen habe ich zufällig beobachtet, wie Sie an der Straßenbahnhaltestelle vor dem Hauptgebäude von einer jungen Frau mit zwei kleinen Kindern überschwänglich begrüßt wurden. Die Frau zeigte Ihnen ihre Einkäufe.

Sie wirkten sehr vertraut miteinander!“

„Gut beobachtet.“ Wieder lachte er. „Deshalb haben Sie nicht auf meine Nachrichten geantwortet! Da kann ich Sie beruhigen, das war meine Schwester mit ihren beiden Kindern. Wir waren zum Essen in der Mensa verabredet.“

Seine Schwester!

Sie merkte, wie sie entspannte.

Auch ihr hatte es gefallen, sich mit ihm zu treffen, und anders als andere Männer war er ihr nicht gleich nach kurzer Zeit auf die Nerven gegangen. Nicht einmal, wenn er ihr etwas über mittelalterliche Geschichte erzählt hatte. Er kam aus Sønderborg. Sie mochte, wie er Deutsch sprach mit seinem dänischen Akzent.

„Sie hatten mir mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie keine neue Beziehung wünschen. Und daran habe ich mich zunächst gehalten.

Außerdem -“

„Ja, Mads?“

„Auch ich war im Frühjahr noch nicht so weit.“

Das hatte sie gespürt. Er war so zögerlich gewesen.

„Und jetzt?“

„Ich konnte Sie nicht vergessen.“

Sie zuckte zusammen. Warum hatte sie auch nachgehakt! Ein Mann mit einer Frau und Kindern? Das hatte sie nie mehr gewollt.

„Und dann habe ich wieder Kontakt zu Ihrem Vater aufgenommen.“

„Was hat er gesagt?“

„Da sei noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich solle es noch einmal versuchen! Was ist nun, machen wir heute Nachmittag eine kleine Radtour, das Wetter wäre ideal, neunzehn Grad, trocken und nahezu windstill? Mit Regen wird auch nicht gerechnet.“

Da hatte sie anderes gelesen.

„Meine Frau und ich, wir leben getrennt.“

Zeit hätte sie, nun, da die Zwillinge erst am nächsten Tag kommen würden.

Und der Iran war weit weg.

„Heute Nachmittag“, gab sie vorsichtig zurück. „Aber nicht auf den Troldemose Bakke, das macht mein Knie nicht mit! Und versprechen Sie sich nicht zu viel davon.“

„Seit wann haben Sie Maleschen mit dem Knie? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

„In Barkenstedt oder in Bremen habe ich keine Probleme damit. Doch hier, wo es gleich von null auf hundertzehn geht, ist das etwas anderes.“

„As Vig, ginge das?“

Nun zögerte sie einen Moment.

„Eine schöne Strecke. Ich bin dort oft mit meinem Mann und den Kindern langgeradelt.“

Wieder entstand eine kleine Pause.

„Wo treffen wir uns?“

„Bei Ihnen an der Tankstelle? Um drei?“

„Ich freue mich, Gesa. Ab kurz vor drei werde ich auf Sie warten.“

6.

Die andere hatte sich zum Frühstück nicht umgezogen. Immer noch in Heinrichs Hosen hockte sie auf dem Rasen vor der Terrasse und fütterte die Katze.

„Sie ist mir zugelaufen!“ Als sie sich erhob, verweilten ihre Augen kurz auf den Beinen ihres Gastes.

„Hübsch“, sagte sie, während sie die Rosen entgegennahm.

War da ein Lächeln über Siri Mortensens Gesicht gehuscht?

„Ozeanblau!“

Augenblicklich schlug die Stimmung um. Die Frau deutete auf Gesas Schultertuch, und die Vase landete im Gras. „Ozeanblau! Genau wie Ihre Jacke! Sie sind die Frau, die gestern Abend beinahe ertrunken wäre!“

Ungläubig starrte die andere sie an. „Und gleich am nächsten Morgen fordern Sie das Schicksal erneut heraus!“

„Ich war nicht allein, heut Morgen. Um diese Zeit treffen sich dort die Frühschwimmer aus dem Gebiet. Außerdem bin ich eine gute Schwimmerin.“

„Sie sind ins Wasser gefallen wie ein Stein. Fast wären Sie nicht wieder aufgetaucht!“

„Eine große Welle hat mich umgeworfen, ganz nah am Ufer, da bestand keine Gefahr“, sprach es aus ihr, obwohl sie selbst nicht mehr so recht daran glaubte.

„Das habe ich anders erlebt!“

„Weil Sie nicht schwimmen können, Siri Mortensen.

Oder wie immer Sie auch heißen mögen!“, entfuhr es ihr. „Überhaupt waren Sie es doch, die mich erschreckt hat mit ihrem Geschrei.“

Ihre Stimme klang jetzt viel zu laut.

„Ich bin eine gute Beobachterin“, beharrte die Frau.

„Keine Hand haben Sie gerührt. Sie sind einfach verschwunden! Einfach weggelaufen!“

Sie spürte, wie sie die Beherrschung zu verlieren begann.

Ins Wasser gefallen wie ein Stein?

Lächerlich!

Ganz ruhig atmen! Ganz ruhig.

Netzt’ ihr den nackten Fuß.

Da war etwas!

Du stiegst hinunter!

Wie der Fetzen einer Erinnerung!

Jemand hatte sie gerufen!

Und würdest erst gesund… Max’ Gedicht!

Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden, und dann überkam sie eine heftige Übelkeit.

„Keine Angst, ich halte Sie. Lehnen Sie sich bei mir an“, sagte die andere. „Und nun schauen Sie mir in die Augen. Ich bin Siri Mortensen aus London und wohne in dem kleinen Haus. Wie heißen Sie?“

„Oh!“

Lächelnd wandte sie sich zu der Frau, die eine so sanfte Stimme besaß und sie nun fest in ihren Armen hielt.

„Gesa Jakobsen. Mir war so ganz anders zumute.

Ganz so, als erwachte ich aus einem schönen Traum.“

7.

„Da haben wir wohl ordentlich Hunger gehabt.“ Gesa deutete auf die leere Brötchentüte und lächelte.

„Die kleine Pause hat mir gut getan. Meistens vergesse ich das Essen, wenn ich an einem so wichtigen Projekt arbeite. Wussten Sie, dass einige arabische Golfstaaten inzwischen mehr Geld für Bildung als für Waffen ausgeben, Gesa?“

„Sie wollen ihre klugen Köpfe im Land halten, nicht wahr?“

„Uns geht es um die vielen kleinen Mädchen aus ärmeren, bildungsfernen Familien. Die Puppen stammen aus Prag, und ich bin für ihre Kleidung zuständig.“

„Mode und Märchen? Ob das reicht? Die Meerjungfrau dürfte auch im Morgenland bekannt sein, zumindest in der Version von Walt Disney?“

„Puppen sind sinnlicher als Filme. Man kann sie anfassen, mit ihnen spielen und Geschichten erzählen. Die Tochter eines Emirs hatte die Idee. Eine gute Kundin von mir.“

Gesa sah hinüber zu der Packung mit dem Kaffee und schmunzelte. Eine brotlose Künstlerin?

Die andere lächelte ihr einvernehmlich zu, stand auf und ging zu dem Gestell neben der Arbeitsplatte hinüber, an dem drei fremdländisch gekleidete Marionetten hingen.

Neugierig folgte sie ihr.

„Wir beginnen mit H. C. Andersen, und dann ziehen wir die schwedische Karte!“ Mit einem breiten Grinsen und ein paar geschickten Handgriffen nahm die Künstlerin zwei der Puppen das Kopftuch und den Umhang ab. „So sehen diese beiden ohne Hidschab und Abaya aus!“

Und nun lachte auch Gesa. „Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter! Kulturimperialismus im Kinderzimmer! Darf ich sie wieder anziehen?“

Lächelnd reichte ihr die Frau einen der kleinen Umhänge. „Sehen Sie, Gesa, und schon sind Sie neugierig geworden auf die Bildungsoffensive der Emirate! Achten Sie auf die Fäden und die kleinen Klettverschlüsse!“

„Raffiniert“, staunte sie, und dann lachten sie miteinander, weil Pipis Mantel nun ganz schief saß.

„Die dritte Figur ist die böse Meerhexe. Mit der lassen Sie sich besser nicht ein, Gesa.“

„Und die Puppe dort in der Ecke auf dem Sofa? Sie ähnelt der kleinen Meerjungfrau.“

„Das ist ihre fünfte Schwester. Da ist ein Malheur passiert, als wir sie ausgeladen haben. Die Fäden haben sich verdreht und ineinander verknotet. Das ist nicht wieder aufzulösen, es sein denn, man hätte ganz viel Zeit. Oder man müsste vom Kreuz aus neue Fäden spannen. Auch das ist auf die Schnelle nicht zu machen. Vier Schwestern müssen vorerst reichen.“

„Wie schade, dabei ist auch sie wunderschön.“