Eine Malerarbeit - Theodor Storm - E-Book

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Theodor Storm

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Beschreibung

Eine Malerarbeit ist eine Erzählung von Theodor Storm. Reinlesen: Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wider gesprochen und Partei genommen: »Mit der ist nicht zu leben,« riefen einige, »man kann's ihm nicht verdenken!«

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Eine Malerarbeit

Eine MalerarbeitAnmerkungenImpressum

Eine Malerarbeit

Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wider gesprochen und Partei genommen: »Mit der ist nicht zu leben,« riefen einige, »man kann's ihm nicht verdenken!«

Der bisher schweigsame Hausarzt, der sich erst seit einigen Jahren in unserem Städtchen niedergelassen, räusperte sich und nahm eine Prise. »Man muß sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat,« sagte er, »und damit basta!«

»Wenn's aber nichts taugt?« wurde dagegen gesprochen.

»Und wenn es krumm und knorrig wäre!« erwiderte er.

»Doktor,« rief die jugendliche Hausfrau, »ich merke schon, dahinter steckt wieder eine Geschichte, aber die Contes moraux sind aus der Mode gekommen.«

»Nun,« versetzte er, »Sie wissen, wir Ärzte liegen oft im Streite mit dieser Göttin.«

»Laßt unsern Doktor erzählen,« entschied eine junge Dame. »Wenn's nur eine Geschichte ist; es kommt auf die Moral nicht an!«

»Erst ein paar Scheite noch in den Kamin!« sagte der Doktor. »So! – und nun – ich weiß nicht, ob einer der verehrten Anwesenden den kleinen Maler Edde Brunken kennt?«

Die meisten aus der Gesellschaft hatten wohl von ihm gehört, auch einzelne seiner Bilder gesehen, persönlich kannten sie ihn nicht. Nur einer sagte: »Ich habe ihn lange nicht gesehen, aber wir sind aus derselben Stadt gebürtig. Obgleich gänzlich verkrüppelt, hatte ich keinen tolleren Kameraden als ihn. Er war der Sohn eines Seekapitäns, und manches Mal bin ich mit dem kleinen Teufel auf seines Vaters Brigg umhergeklettert; ich seh ihn noch, wie er gleich einem Klümpchen Unglück oben in dem Takelwerke hing.«

»Den also meine ich,« fuhr der Doktor fort, »auch als ich ihn kennen lernte, obgleich ein Mann an die Dreißig, galt er noch immer für einen ziemlich wilden Burschen; es war so recht ein Stückchen der erbarmungslosen Mutter Natur, ein solches Temperament auf dieses Körperchen zu pfropfen. Aber er besaß jenen hülfreichen Freund, den Humor, mit dem er schließlich alles überwand. Dagegen war ihm, vielleicht weil er die körperlichen Hemmnisse stets nur jenseit der äußersten Grenze respektiert hatte, weniger jener schlagfertige Spott eigen, der sich sonst fast bei allen auszubilden pflegt, welche mit der Natur in Zwiespalt leben. Zuweilen, wenn sein Herz ins Spiel kam – und dieser Muskel war bei ihm sehr stark vertreten –, ließ er sich zu einem für seine äußere Erscheinung bedenklichen Pathos hinreißen und konnte dadurch einem wohlgewachsenen Gegner die gefährlichsten Blößen geben.

Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich ihn kennen.

Wir saßen eines Abends, eine bunte Gesellschaft von Künstlern, jungen Juristen und Regierungsbeamten, in einem Kaffeehause, und wie gewöhnlich bildeten Politik und soziale Fragen das Thema des Gespräches. An meiner Seite saß der mir damals noch wenig bekannte kleine Maler, ihm gegenüber ein Regierungsassessor, ein junger Mann mit einer Brille und einem blonden Fuchskopf, den ich mitunter in dem gastfreien Hause meines Onkels gesehen hatte. Dieser – er ist seitdem übrigens mein Vetter geworden – schien auf die eifrigen Verhandlungen der andern nur wie auf eine Art Komödie herabzusehen, die ihn in einem müßigen Augenblick unterhalten durfte. Im Laufe des Gespräches kam man auf den Paß- und Reisezwang, vermöge dessen die jungen Handwerker noch immer als präsumtiv verdächtige Subjekte von einem Polizeiamt an das andere geschickt würden, und es erhob sich ein lebhafter Sturm dagegen. Als auch mein kleiner Nachbar seine sittliche Entrüstung in gleichem Sinne kund gegeben, bemerkte der Assessor, nachdem er ihn erst eine Weile durch seine Brillengläser fixiert hatte: »Aber, soviel ich weiß, Herr Brunken,« – und er sprach den Namen, als fasse er ihn mit einer Zange an – »sind die Kunstmaler diesem Zwange nicht unterworfen.«

Der Kleine sah mit einem raschen Blick zu ihm auf. »Wenn Sie damit mein Interesse zur Sache bezeichnen wollen,« erwiderte er, und seine Stimme wurde scharf, »so bin ich in der Lage, Ihnen mitzuteilen, daß ich ein ganzes Jahr als Stubenmalergeselle gewandert bin.«

»Das wäre,« meinte der andere, »da sprechen Sie denn freilich aus Erfahrung.«

Aber der Kleine war noch nicht zur Ruhe. Indem er sich in seiner ganzen nicht eben beträchtlichen Höhe aufrichtete, fiel er in sein schwunghaftes Pathos, wobei ihm die Stimme ins Falsett überschlug. So sprach er von verletzter Menschenwürde und dergleichen erhabenen Dingen.

Was half es ihm, daß er die Wahrheit sprach! Der Assessor behielt ruhig seine Hände in den Hosentaschen und betrachtete den kleinen aufgeregten Mann ihm gegenüber, als ob er etwas höchst Amüsantes vor sich habe. – »So,« sagte er endlich, nachdem jener sich erschöpft auf seinen Platz gesetzt hatte, »Herr Brunken, halten Sie so viel auf Menschenwürde?«

Die Sache war weit genug gediehen; der kleine Maler, indem ihm der Atem mühsam aus der Brust hervorkeuchte, erwiderte mit einem Worte, das selbst der Assessor nicht kaltblütig zu hören vermochte, und am andern Morgen gab es ein Pistolenduell, bei dem ich selbstverständlich als Arzt zugegen war. Trotz der geringeren Schußfläche, die er zu bieten hatte, wurde der Maler in der linken Schulter verwundet, und da die übrigens ungefährliche Verletzung eine sorgfältige ärztliche Behandlung nötig machte, so wurden wir dadurch näher mit einander bekannt und bald befreundet. Noch während seiner Genesung, wo ich darauf denken mußte, seinen ungeduldigen Arbeitstrieb zu zügeln, hatte ich ihn in das Haus meines Onkels eingeführt, mit dessen einziger Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen war.