Einmal noch mit Hans - Ulja Krautwald - E-Book

Einmal noch mit Hans E-Book

Ulja Krautwald

4,4

Beschreibung

So kann es in Hamburg Ottensen gehen, wenn die Liebe einfällt und alles auf den Kopf stellt. Wespen statt Schmetterlinge, ein fliegender Teppich als Liebesnest und Krokodile, die im Keller der Bäckerei hausen. Ist das noch Verliebtheit oder schon Besessenheit? Gelingt es der Erzählerin, Hans für sich zu gewinnen? Und wenn nicht: Wie kann sie sich wieder von ihm befreien? Schonungslos und aus einer entschieden weiblichen Perspektive erzählt Ulja Krautwald von der Liebe, wie sie jeden plötzlich befallen kann - Beglückung und Fluch zugleich.

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Über die Autorin:

Ulja Krautwald ist waschechte Hamburgerin, sie hat Soziologie studiert und lebt in Hamburg. In ihrer Wohnung in der Nähe der Elbe sitzt sie nicht nur am Schreibtisch, sondern beschäftigt sich auch mit den energetischen Zuständen des Menschen und den Wirkungen von Meditation, Kräuter-Elixieren und Gedanken. Nach Sachbüchern und verschiedenen Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien ist „Einmal noch mit Hans“ ihre erste literarische Publikation im eigenen Verlag.

Weitere Titel:

„Der Weg der Kaiserin“, Scherz; Fischer.

„Der Tanz des Schamanen“, Fischer.

„Die Geheimnisse der Kaiserin“, Piper.

„Die Elixiere der Kaiserin“, Krautwaldverlag.

„Der Werkdachs und seine Freunde“, Krautwaldverlag.

Inhaltsverzeichnis

Teil I

Kapitel 0

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Wespen I

Teil II

Kapitel 0

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Wespen II

Teil III

Kapitel 0

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Wespen III

Teil I

0

Hans stört schon lange meine Gedanken. Hans soll endlich verschwinden, soll sich verwandeln, in Papier. Soll ausgeschieden, ausgetrieben sein, dorthin gehen, wo der Pfeffer wächst.

Alles sollte heil bleiben. Hans kann nichts dafür. Hans steht auf seinem Ponton, nahe der Strandperle, bei jedem Wetter. Er schaukelt in den Wellen und schaut elbauf.

Ansonsten bewegt er sich nicht.

Es gibt ein Foto aus dieser Zeit. Auf dem Foto sitze ich am Schreibtisch und lache. Durch meine Augen schaut Hans. Er sitzt nicht nur in meinen Eingeweiden, er sitzt auf dem Grund meiner Augen zwischen Seegras und Herzmuscheln. Wenn Sonnenstrahlen zu ihm durchdringen, reflektiert er das Licht mit einem dreieckigen Dorschblinker. Es ist die Sorte Blinker, die im Kielwasser tanzen und bei Stillstand in die Tiefe sinken.

1

Am Tag bevor Hans Hamburg verließ und nach Madagaskar reiste, traf ich ihn auf dem Markt in Ottensen. Es fiel feiner Nieselregen, und er trug seinen Hut. Hans sah mich versonnen an, und ich wusste, woran er dachte.

Ich gehe durch den Garten und denke Hans. Ich zupfe Unkraut und denke Hans. Ich sitze neben meinem Mann im Auto. Schweigend fahren wir durch den Elbtunnel. Ich denke Hans. Eine junge Meise, auf ihrem ersten Ausflug, landet auf meiner Schulter, während ich unter dem Pflaumenbaum Unkraut zupfe. Sie ist so leicht, dass ich sie kaum spüre. Sie piepst und läuft meinen Nacken entlang. Ich weine und halte still. Als der Vogel wegfliegt, sehe ich, wie klein er ist.

Die Bauernrosen sind im Laufe des Tages aufgegangen, und ich denke Hans. Wenn ich ein Bild malen würde, überall stände sein Name. In Rot. Malte ich ein Selbstbildnis, so wäre mein ganzer Körper angefüllt von diesen vier Buchstaben. Mein Mann fragt, ob wir grillen wollen. Ich sage ja und denke Hans. Überallhin möchte ich seinen Namen schreiben. Immer wieder. Ihn entlassen aus meinem Leib, aber es hätte keinen Sinn.

Schon als ich im Kurs das Streifenkleid trug und seinen Blick auf meinen Beinen spürte, brannte in mir der Wunsch, er möge ihn heben, den Rock, und zwischen meine Beine kriechen.

Hans schickt mir Bilder. Ohne Pause. Keuchend rase ich durch die Wohnung. In allen Räumen laufen Filme. Ich schließe die Augen, aber es hört nicht auf. Ich verlasse die Wohnung, laufe durch die Straßen zur Elbe. Überall sehe ich Hans. Sehe ihn mich fragen, ob ich Wasser möchte, ihn die Flasche öffnen und mir eingießen. Sehe ihn mir den Zeitungsausschnitt über Fische bringen und ein Buch über Wespen aufschlagen. Sehe ihn neben mir stehen und mit den anderen scherzen. Die Scherze gehen, bevor sie die anderen erreichen, durch mich hindurch, sodass mein ganzer Körper voll ist mit Hans. Er steht neben mir. Dicht sein Gesicht. Noch Stunden später spüre ich, wie der Strom zwischen uns fließt und mitten durch den Raum.

Ich kann nichts essen, den ganzen Tag.

Ich gehe durch Altona, und Hans kommt mir auf seinem Rad entgegen. Das Rad hat die Farbe gewechselt, und er trägt eine neue Jacke. Überall läuft Hans herum, nur wenn wir uns nähern, nimmt er die Gestalt eines Unbekannten an.

Einmal erkennt er mich nicht rechtzeitig, er sitzt mit einer Frau und einem kleinen Mädchen im Eiscafe. Als ich Hallo sage und auf ihn zutrete, kann er nur noch schnell die Brille wechseln und sich die Haare lang wachsen lassen.

2

Willkommen zum Fachzeitschriftenredakteurslehrgang, sagt Frau Blume. Frau Blume lacht sehr viel, sie hat große rote Lippen und malt sich ihr Gesicht bunt an. Ich habe einen der begehrten Plätze erhalten. Fachzeitschriftenredakteurslehrgang. Dampfschifffahrtskapitänsmütze. Ich sitze mit neunundzwanzig Menschen in einem Raum, der ungefähr zwanzig Quadratmeter groß ist. Die Stühle stehen im Kreis, und die Tische sind draußen im Flur gestapelt. Ich schaue mich um. Keine interessanten Männer. Frau Blume leitet den Kurs. Sie hat einen gefleckten Hund, der mich an einen Leoparden erinnert. Vielleicht ist der Hund auch eine Katze. Er bellt nie und bewegt sich sehr geschmeidig. Am ersten Tag stehen Kennenlernspiele auf dem Programm.

Stellen Sie sich der Größe nach auf, bitte, sagt Frau Blume.

Und jetzt dem Alter nach, Frau Blume lacht. Schon bevor wir uns alle sortiert haben, kommt die nächste Anweisung:

Alle Fahrradfahrer hierher. Frau Blume ist fröhlich und zeigt ihre roten Lippen. Ich weiß nicht, ob ich zu den Fahrradfahrern gehöre.

Am zweiten Tag lerne ich Hans kennen. Unser Dozent, Herr Helgoland, verteilt Pressemappen zu verschiedenen Themen. Ich entscheide mich für Fische und Fischfang. Wir sollen alles durchlesen und dann zu viert einen Artikel über Frischfisch schreiben. Hans ist in meiner Gruppe.

Wer schreibt, bleibt, sagt Hans und setzt sich an den Computer. Er glaubt, dass er damit einen stärkeren Einfluss darauf hat, was wir schreiben.

Frischer Fisch, sagt Hans, ist gar nicht frisch. Die Filets, die du im Laden kaufen kannst, sind mindestens drei Tage alt oder waren wochenlang eingefroren.

Das glaube ich nicht.

Wollen wir wetten, sagt Hans. Wer verliert, lädt den anderen zum Essen ein. Ich sage nichts. Ich weiß nicht recht, ob ich mit Hans essen gehen möchte.

Frischer Fisch hat klare Augen, sage ich. Hans sitzt nicht mehr vor dem Bildschirm. Wir sitzen uns gegenüber, und seine Knie stoßen an meine Knie. Der Rest der Arbeitsgruppe ist gegangen. Da sehe ich Hans. Es gibt diesen Ausdruck: kein Wässerchen trüben. So guckt Hans. Und mit seinem Blick reist sein Begehren.

3

Jeden Tag, morgens um neun, trete ich die steinmelierten Stufen. Ich gebe der Glastür Schwung und sehe Hans. Er lehnt an einem der Marmorstehtische oder läuft mit seinem Kaffeebecher über den Flur. Wenn ich mit dem Rad fahre, treffe ich ihn manchmal schon auf dem Weg. Hans trägt einen Helm, er fährt schnell. Wenn Hans mit dem Auto kommt, sind seine Haare nass und die Hosenbeine nicht aufgekrempelt. Einmal komme ich mit dem Auto. Ich parke nicht vor der Tür. Hans fährt seinen roten Lastwagen. Mein Haustürschlüssel ist im Auto. Was, wenn Hans mich fragt, ob ich mit ihm zurückfahren möchte? In der Mittagspause gehe ich zum Auto und hole den Schlüssel.

Bist du mit dem Fahrrad hier, fragt Hans, als an diesem Tag der Kurs vorbei ist.

Nein, sage ich.

Dann kann ich dich mit nach Altona nehmen, sagt er. Und ich verstecke meinen Autoschlüssel und folge ihm. Er läuft mir voran, trägt schwer an zwei Plastiktüten voller Gelierzucker. Auf der Ladefläche seines roten Autos Sachen, die aussehen, als gehörten sie zu mir: Gummistiefel in verschiedenen Größen, leere Flaschen, ein Spaten, an dem Erde mit getrockneten Grashalmen klebt, und eine alte Wolldecke, unter der ein Krokodil verborgen ist. Im Innern seines Wagens trennt ein Gittergürtel vorn von hinten.

Hans, frage ich, hast du einen Hund?, und sehe ein schwarzes zotteliges Tier vor mir.

Nein, sagt Hans, aber ich habe Kinder, zwei Söhne. Hans will Erdbeermarmelade machen. Er rechnet mir vor, wie viele Gläser er einkochen muss, damit es bis zum nächsten Frühjahr reicht.

Jede Woche wird ein Glas leer, sagt er. Ich sehe seinen jüngsten Sohn den Inhalt des Marmeladenglases übers Brot kippen, als Hans gerade nicht guckt.

Es ist unglaublich, was so ein Zweijähriger alles weghaut, sagt Hans stolz. Am Altonaer Bahnhof hält er an und lässt mich aussteigen.

Ich warte, bis Hans außer Sicht ist, dann gehe ich in den Bahnhof und kaufe mir eine Fahrkarte zurück zum Büro.

4

Ich will mit Hans zwischen den Erdbeeren sitzen.

Hans, hast du schon Erdbeeren gepflückt, frage ich am nächsten Tag.

Nein, sagt er, ich fahre morgen.

Fährst du mit deiner Familie, frage ich.

Nein, die sind in Italien, ich fahre wohl allein.

Ich habe auch Lust, sage ich.

Dann komm doch mit, sagt er und hält den Blick.

Wenn du mich mitnimmst. Ich schaue in sein Gesicht. Hans ist verwirrt, er läuft los zu seinem Schreibtisch.

Ich gebe dir meine Telefonnummer, sagt er und will Zettel und Bleistift holen.

Deine Nummer ist doch auf der Liste, sage ich. Frau Blume hat uns allen eine Liste gegeben mit Namen und Anschriften und Berufen und Telefonnummern. Auf dieser Liste stehen alle, die Fachzeitschriftenredakteure werden wollen. Hans wohnt auch in Altona. Seine Telefonnummer kenne ich auswendig. Hans erzählt mir in die Verlegenheit hinein, wie er Marmelade gekocht hat im letzten Jahr.

Weißt du, sagt er, letztes Jahr hatte ich eine Babybadewanne voll mit Erdbeeren schon mit Gelierzucker vermischt. Dann ging der Stöpsel raus, und die ganze Soße lief aus. Ich sehe ihn, wie er mit einer türkisfarbenen Babybadewanne fluchend durch die Küche zum Spülbecken läuft, während der rote Saft in einem dicken Strahl auf seine Hose und auf den Fußboden platscht.

Die ganze Küche klebte, sagt er, ich habe ewig gebraucht, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Ich hole dich dann ab, morgen früh um fünf. Morgen früh um fünf, er denkt wohl, wir wollen angeln gehen.

Morgen früh um fünf, frage ich.

Hans will mich abholen, nachmittags um fünf. Den ganzen Tag über habe ich Herzklopfen. Den ganzen Tag kann ich nichts tun. Wie ein aufgeschrecktes Tier laufe ich durch die Wohnung. Was ziehe ich an? Die weiße Hose, aber was, wenn wir uns zwischen den Erdbeeren wälzen? Eine kurze Hose? Das gestreifte Kleid? Den ganzen Tag probiere ich Kleidungsstücke an. Als der Fußboden mit Hosen, Kleidern und Höschen bedeckt ist, klingelt es. Ich ziehe mich schnell an und laufe nach unten. Hans steht zwischen den Mauern des Hauseingangs und drückt immer wieder auf den Klingelknopf. Vielleicht wäre er gerne in meine Wohnung gekommen. Die grüne Aufreißersonnenbrille habe ich nie zuvor an ihm gesehen.

An der Ampel neben uns wartet ein Mann in einem Wagen mit offenem Verdeck. Mit schneeweißen Handschuhen streichelt er immer wieder sein Mahagoni-Lenkrad.

Sieh mal diesen Lackaffen, sagt Hans.

Erdbeerfelder. Suchen zwischen den Blättern, raschelt wie unter den Rock gegriffen. Hans greift unter die Blätter, sucht nach Erdbeeren. Ich hocke mich dicht zu ihm. Er steht auf und sucht sich einen anderen Platz. Es ist windig, die Haare wehen mir ins Gesicht und stören beim Pflücken. Süße Früchte, Hans sammelt fünf Kilo davon. Wir bezahlen die Erdbeeren, Hans hat viel mehr gesammelt als ich.

Ich habe Lust, noch ein bisschen spazieren zu gehen, sage ich.

Können wir machen, sagt Hans.

Wir gehen auf dem Feldweg. Drüben auf der Landstraße fährt ein Feuerwehrwagen nach dem anderen vorbei. Früher war Hans bei der Freiwilligen Feuerwehr.

Wenn da jetzt Wasser drin wäre, würde ich dich hinübertragen, sagt Hans und zeigt auf die ausgetrockneten Pfützen, die den ganzen Weg einnehmen. Aber so lohnt es sich ja nicht.

Mein größter Wunsch ist, getragen zu werden, von einem Mann. Wie es wohl wäre auf seinen Armen? Den Kopf an seinem Hals, ihn einatmen.

Auf der Wiese frisches Heu. Er schmeißt sich hin, liegt da, groß und fremd, und ich lege nicht meinen Kopf auf seine Brust. Er schnarcht leise, und ich wecke ihn nicht mit einem Kuss.

Der Himmel zieht Wolken vor die Sonne. Hans nimmt die Brille ab und zählt die Tropfen auf den Gläsern. Nebeneinander stehen wir unter einem Blätterschirm. Mehr Regen wünsche ich mir, um dort für immer zu stehen, mit Hans. Geräusche von Tropfen. Hans spricht von Gletschern hinter dem Wald. Vor 300.000 Jahren. Hans möchte zurück und schauen. Eiszeit. Kein Feuer. Auf der Rückfahrt schweigen wir.

Glaubst du an frühere Leben, frage ich.

Nein, sagt Hans, aber an Gespenster. Vor meiner Haustür parkt er in der zweiten Reihe, und er gähnt, als er die Tür zur Ladefläche öffnet und mir den Korb reicht, darum frage ich ihn nicht, ob er noch mit hochkommen möchte.

Abends um neun sitze ich mit einem halbvollen Korb Erdbeeren allein in der Küche. Ich sitze allein in meiner Küche, auf dem Tisch steht der Korb, er ist nicht einmal halb voll.

5

Wenn ich mit dem Rad zum Fachzeitschriftenredakteurslehrgang fahre, sehe ich Hans. Sein Gesicht, seinen Helm, seine Haltung auf dem Rad. An jeder Ampel, an der ich halten muss, spüre ich, wie er an mich heranfährt und dann zu mir spricht.