Emilia Galotti - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book + Hörbuch

Emilia Galotti E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Emilia Galotti Gotthold Ephraim Lessing - Emilia Galotti ist ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Das Stück ist ein Drama der Aufklärung, das dem damals vorherrschenden französischen Vorbild widerspricht und sich auch von der durch Johann Christoph Gottsched formulierten Regelpoetik absetzt. Obwohl die Liebe ein Zentralthema dieser Tragödie ist, gilt Emilia Galotti vor allem als politisches Stück. Der willkürliche Herrschaftsstil des Adels steht der neuen aufgeklärten Moral des Bürgertums gegenüber. Alte feudale Vorstellungen von Liebe und Ehe treffen auf das neue bürgerliche Liebesverständnis der Empfindsamkeit. Diese konfliktgeladene Kombination machte das Stück so brisant.Mit dem 1772 erschienenen und uraufgeführten Drama "Emilia Galotti" schuf Gotthold Ephraim Lessing eines der bedeutendsten Beispiele für die Gattung des bürgerlichen Trauerspiels. Das Stück, das zu den Schlüsselwerken der Aufklärung und Empfindsamkeit gehört sowie als eines der ersten politischen Dramen der deutschen Literatur gilt, übt scharfe Kritik an der Willkürherrschaft des Adels.

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Gotthold Ephraim Lessing
Emilia Galotti

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Personen:

Emilia Galotti Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla Marinelli, Kammerherr des Prinzen Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten Conti, Maler Graf Appiani Gräfin Orsina Angelo und einige Bediente

Erster Aufzug

Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.

Erster Auftritt

Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft). Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften!—Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch!—Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden.—Emilia? (Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) Eine Emilia?—Aber eine Emilia Bruneschi—nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti!—Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel gefodert, sehr viel.—Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?

Der Kammerdiener. Nein.

Der Prinz. Ich habe zu früh Tag gemacht.—Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)—Ich kann doch nicht mehr arbeiten. —Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig—Auf einmal muß eine arme Bruneschi Emilia heißen:—weg ist meine Ruhe, und alles!—Der Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina.

Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin.

Der Kammerdiener. Ihr Läufer wartet.

Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.—Wo ist sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?

Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen.

Der Prinz. Desto schlimmer—besser, wollt' ich sagen. So braucht der Läufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine teure Gräfin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)—Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber—ich habe!

Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; laßt ihn hereinkommen. —Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.)

Zweiter Auftritt

Conti. Der Prinz.

Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?

Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot.

Der Prinz. Das muß sie nicht; das soll sie nicht—in meinem kleinen Gebiete gewiß nicht.—Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.

Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen kann ihn um den Namen Künstler bringen.

Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber mit Fleiß.—Sie kommen doch nicht leer, Conti?

Conti. Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient.

Der Prinz. Jenes ist?—Kann ich mich doch kaum erinnern.

Conti. Die Gräfin Orsina.

Der Prinz. Wahr!—Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.

Conti. Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die Gräfin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschließen können zu sitzen.

Der Prinz. Wo sind die Stücke?

Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie.

Dritter Auftritt

Der Prinz. Ihr Bild!—mag!—Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.—Und vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke.—Ich will es aber nicht wiederfinden.—Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.—Wär' es auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen andern Grund gemalet ist—in meinem Herzen wieder Platz machen will: —Wahrlich, ich glaube, ich wär' es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen.—Nun bin ich von allem das Gegenteil.—Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht behäglicher: ich bin so besser.

Vierter Auftritt

Der Prinz. Conti mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen einen Stuhl lehnet.

Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, daß Sie die Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben. —Treten Sie so!

Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung). Vortrefflich, Conti—ganz vortrefflich!—Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem Pinsel.—Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!

Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur—wenn es eine gibt—das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit dagegen ankämpfet.

Der Prinz. Der denkende Künstler ist noch eins soviel wert.—Aber das Original, sagen Sie, fand demungeachtet.

Conti. Verzeihen Sie, Prinz. Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen.

Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!—Und was sagte das Original?

Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht häßlicher aussehe.

Der Prinz. Nicht häßlicher?—O das wahre Original!

Conti. Und mit einer Miene sagte sie das—von der freilich dieses ihr Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.

Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die unendliche Schmeichelei finde.—Oh! ich kenne sie, jene stolze, höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! —Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei dieser Gräfin. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen—Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.

Conti. Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen.

Der Prinz. Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht.—Redlich, sag ich? —Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerei in sanfte Schwermut verwandelt.

Conti (etwas ärgerlich). Ah, mein Prinz—wir Maler rechnen darauf, daß das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe müßten uns auch nur beurteilen.

Der Prinz. Je nun, Conti—warum kamen Sie nicht einen Monat früher damit?—Setzen Sie weg.—Was ist das andere Stück?

Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand hält). Auch ein weibliches Porträt.

Der Prinz. So möcht' ich es bald—lieber gar nicht sehen. Denn dem Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)—oder vielmehr hier (mit dem Finger auf das Herz) kömmt es doch nicht bei.—Ich wünschte, Conti, Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern.

Conti. Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen bewundernswürdigern Gegenstand als diesen.

Der Prinz. So wett ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebieterin ist.—(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantasie?—Emilia Galotti!

Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?

Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem Bilde zu verwenden). So halb!—um sie eben wiederzukennen.—Es ist einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. —Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen—wo das Angaffen sich weniger ziemet.—Auch kenn ich ihren Vater. Er ist mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf Sabionetta am meisten widersetzte.—Ein alter Degen, stolz und rauh, sonst bieder und gut!

Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.

Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein Lob vergißt.

Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir gelassen.—Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst.—Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wieviel geht da verloren!—Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler bin, daß es aber meine Hand nur nicht immer ist.—Oder meinen Sie, Prinz, daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie, Prinz?

Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie, Conti? Was wollen Sie wissen?

Conti. O nichts, nichts!—Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.

Der Prinz (mit einer erzwungenen Kälte). Also, Conti, rechnen Sie doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten unserer Stadt?

Conti. Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten unserer Stadt?—Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze Zeit ebensowenig, als Sie hörten.

Der Prinz. Lieber Conti—(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,) wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur allein ein Maler von der Schönheit zu urteilen.

Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines Malers warten?—Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne, diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schönheit.—Die Schilderei selbst, wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese Kopie.

Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist doch nicht schon versagt?

Conti. Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.

Der Prinz. Geschmack!—(Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem meinigen zu machen?—Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder mit—einen Rahmen darum zu bestellen.

Conti. Wohl!

Der Prinz. So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. Es soll in der Galerie aufgestellet werden.—Aber dieses bleibt hier. Mit einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand.—Ich danke Ihnen, Conti; ich danke Ihnen recht sehr.—Und wie gesagt: in meinem Gebiete soll die Kunst nicht nach Brot gehen—bis ich selbst keines habe. —Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf Ihre Quittung, für beide Porträte sich bezahlen—was Sie wollen. Soviel Sie wollen, Conti.

Conti. Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch etwas anders belohnen wollen als die Kunst.

Der Prinz. O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch!—Hören Sie, Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)

Fünfter Auftritt

Der Prinz. Soviel er will!—(Gegen das Bild.) Dich hab ich für jeden Preis noch zu wohlfeil.—Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß ich dich besitze?—Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur!—Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!—Am liebsten kauft' ich dich, Zauberin, von dir selbst!—Dieses Auge voll Liebreiz und Bescheidenheit! Dieser Mund!—Und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn er lächelt! Dieser Mund!—Ich höre kommen.—Noch bin ich mit dir zu neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird Marinelli sein. Hätt' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen Morgen könnt' ich haben!

Sechster Auftritt

Marinelli. Der Prinz.

Marinelli. Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen.—Ich war mir eines so frühen Befehls nicht gewärtig.

Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön. —Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen. —(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?

Marinelli. Nichts von Belang, das ich wüßte.—Die Gräfin Orsina ist gestern zur Stadt gekommen.