Die Erziehung des Menschengeschlechts - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Die Erziehung des Menschengeschlechts E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Gotthold Ephraim Lessings Skizze von 1777/1780 bot seinen Zeitgenossen eine Bestimmung ihres Standorts in der Neuzeit an und begründete das im Rahmen einer Kultur- und Religionsgeschichte der ganzen Menschheit. Das war philosophisch und theologisch riskant, weil es den revolutionären Wechsel eines basalen Paradigmas bedeutete: Die zeitlich geschlossene Heilsgeschichte wird zu einer offenen Entwicklungsgeschichte, geprägt durch humanen Fortschritt und göttliche Pädagogik zugleich. Der Kommentar erklärt die Logik und das Pathos des Textes und stellt ihn in den Kontext der Debatten über Aufklärung, Bildung und Christentum. Insbesondere kontrastiert er mit Lessing das traditionelle Modell und das Modell I. Kants und seiner idealistischen bzw. materialistischen Nachfolger. Schließlich werden Aktualität und Ambivalenz des chiliastischen Paradigmas Lessings diskutiert. Gotthold Ephraim Lessing's sketch of 1777/1780 offered his contemporaries a clarification of their position in the modern age; he justified this in the context of a cultural and religious history of whole humankind. This was risky from philosophical and theological points of view, because it meant the revolutionary change of a basal paradigm: the temporally finite history of salvation now becomes a history of open evolution, characterized by human progress and divine pedagogy equally. The commentary explains the logic and the pathos of the text and sets it in the context of the debates on Enlightenment, Education and Christianity. In particular, it contrasts with Lessing the traditional paradigm and the one of Immanuel Kant and his idealistic resp. materialistic successors. Finally, the current relevance and ambivalence of Lessing's chiliastic paradigm are discussed.

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Große Texte der Christenheit

5

Herausgegeben von Dietrich Korsch und Johannes Schilling

Gotthold Ephraim Lessing

Die Erziehungdes Menschengeschlechts

Herausgegeben und kommentiertvon Walter Sparn

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: makena plangrafik, Leipzig

Satz: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-374-05671-2

www.eva-leipzig.de

Vorwort

Dieser stilistisch brillante und thematisch provokante Text aus den letzten Lebensjahren Lessings wurde oft als sein philosophisches Vermächtnis, ja als religiöses Bekenntnis angesehen. Zweifellos bündelt Lessing hier, obgleich er nur als Herausgeber auftritt, seine intellektuelle Arbeit an den Herausforderungen, die ihm das Christentum sowie die Aufklärung stellten. Die „Erziehungsschrift“ verfolgt wichtige Anliegen des „pädagogischen Jahrhunderts“ und der protestantisch-aufklärerischen Transformation des Christentums im 18. Jahrhundert. Ebenso steht ihre Bedeutung für die Entwicklung des Konzepts der Weltgeschichte als religiös-kulturellen Fortschritts unter christlichem Vorzeichen außer Zweifel. Freilich sah Lessing seinen Wirkungsort nicht auf dem Katheder des Professors und nicht auf der Kanzel des Pfarrers, sondern auf seiner „Kanzel“, dem Theater. So wäre sein Vermächtnis vielleicht eher in „Nathan der Weise“ zu vermuten. Doch ist es vielsagend, wie Lessing sich in der diskursiven Kommunikation als erklärter „Liebhaber der Theologie“ in Szene setzt.

Lessing stellt sich auf die Bühne der heftigen öffentlichen Debatten, die er mit der auch persönlich riskanten Publikation der „Wolfenbütteler Fragmente“ 1774 ausgelöst hatte. Im „Fragmentenstreit“, der auch Lessings eigene Frage nach der Wahrheit der christlichen Religion verhandelt, erreichte die aufklärerische Entwicklung in Deutschland einen neuen Höhepunkt. Die Geister schieden sich jetzt an der Frage, ob die Ansprüche des Projekts „Aufklärung“ auf rationale Wahrheitserkenntnis verträglich seien mit dem Wahrheitsanspruch des Christentums in seiner bekenntnismäßigen und staatskirchlichen Form. Die Antwort darauf musste in Gestalt einer aufklärerisch nachvollziehbaren Auslegung der Heiligen Schrift erfolgen. Der anonyme Autor jener „Fragmente“ hatte eine solche Möglichkeit vehement bestritten, aber Lessing wollte sie aus dem gut aufklärerischen Grund offenhalten, dass auch vernünftige Urteile stets nachgeprüft werden müssen; und er stellte eine neue Sicht des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung zur kritischen Prüfung. Allerdings machte die Erziehungsschrift dabei einen Gebrauch von der Bibel, der sich erheblich unterschied vom Fragmentisten, vom orthodoxen Establishment und auch von den frommen Aufklärern, den „Neologen“, die, nach Lessings Vermutung, nur scheinbar noch von Offenbarung sprachen.

Das emphatische Votum, mit dem die Erziehungsschrift endet, beglaubigt die Kritik Lessings an der orthodoxen und an der neologischen Theologie, beglaubigt aber auch seinen Verzicht auf Wahrheitsbesitz zugunsten der irrtumsfähigen Suche nach der Wahrheit. Gerade die Ambivalenz seiner nicht „dogmatischen“, sondern „gymnastischen“ Hypothesen vermittelte der neuzeitlichen Transformation des Christentums neue Impulse. Lessings spezifische Version der Idee einer göttlichen Erziehung des Menschengeschlechts integrierte wichtige Aspekte der Debatten über die Wahrheit des Christentums seit der Reformation. Obwohl Lessing seiner lutherischen Herkunft nie abschwor, modifizierte er diese theologische Tradition in wichtigen Aspekten erheblich, ohne doch jemals auf eine endgültig richtige Lehre zu pochen.

Walter Sparn

Im August 2018

Gotthold Ephraim Lessing, nach Anton Graff 1771. © AKG5837586.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

A Der Text

B Erläuterungen

1. Zur Textgestalt

2. Zu den philosophisch-theologischen Kontexten

3. Zum Diskurs des Textes

4. Nachwirkungen der Erziehungsschrift

5. Nachwort: Warum Lessing

C Anhang

1. Gliederung des Textes

2. Literatur

3. Zeittafel

4. Nachweise

Weitere Bücher

A Der Text

Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: [M: Lo 4628]

Die Erziehungdes Menschengeschlechts

Haec omnia inde esse in quibusdam vera,unde in quibusquam falsa sunt. Augustinus

Vorbericht des Herausgebers

Ich habe die erste Hälfte dieses Aufsatzes in meinen Beiträgen bekannt gemacht. Itzt bin ich im Stande, das Übrige nachfolgen zu lassen.

Der Verfasser hat sich darin auf einen Hügel gestellt, von welchem er etwas mehr, als den vorgeschriebenen Weg seines heutigen Tages zu übersehen glaubt.

Aber er ruft keinen eilfertigen Wanderer, der nur das Nachtlager bald zu erreichen wünscht, von seinem Pfade. Er verlangt nicht, daß die Aussicht, die ihn entzücket, auch jedes andere Auge entzücken müsse.

Und so, dächte ich, könnte man ihn ja wohl stehen und staunen lassen, wo er steht und staunt!

Wenner aus der unermeßlichen Ferne, die ein sanftes Abendrot seinem Blicke weder ganz verhüllt noch ganz entdeckt, nun gar einen Fingerzeig mitbrächte, um den ich oft verlegen gewesen!

Ich meine diesen. – Warum wollen wir in allen positiven Religionen nicht lieber weiter nichts, als den Gang erblicken, nach welchem sich der menschliche Verstand jedes Orts einzig und allein entwickeln können, und noch ferner entwickeln soll; als über eine derselben entweder lächeln, oder zürnen? Diesen unsern Hohn, diesen unsern Unwillen, verdiente in der besten Welt nichts: und nur die Religionen sollten ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bei allem im Spiele: nur bei unsern Irrtümern nicht?

Die Erziehung des Menschengeschlechts

§ 1

Was die Erziehung bei dem einzeln Menschen ist, ist die Offenbarung bei dem ganzen Menschengeschlechte.

§ 2

Erziehung ist Offenbarung, die dem einzeln Menschen geschieht: und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschengeschlechte geschehen ist, und noch geschieht.

§ 3

Ob die Erziehung aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten, in der Pädagogik Nutzen haben kann, will ich hier nicht untersuchen. Aber in der Theologie kann es gewiß sehr großen Nutzen haben, und viele Schwierigkeiten heben, wenn man sich die Offenbarung als eine Erziehung des Menschengeschlechts vorstellet.

§ 4

Erziehung giebt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie giebt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwinder und leichter. Also giebt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und giebt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher.

§ 5

Und so wie es der Erziehung nicht gleichgültig ist, in welcher Ordnung sie die Kräfte des Menschen entwickelt; wie sie dem Menschen nicht alles auf einmal beibringen kann: eben so hat auch Gott bei seiner Offenbarung eine gewisse Ordnung, ein gewisses Maß halten müssen.

§ 6

Wenn auch der erste Mensch mit einem Begriffe von einem Einigen Gotte sofort ausgestattet wurde: so konnte doch dieser mitgeteilte, und nicht erworbene Begriff, unmöglich lange in seiner Lauterkeit bestehen. Sobald ihn die sich selbst überlassene menschliche Vernunft zu bearbeiten anfing, zerlegte sie den Einzigen Unermeßlichen in mehrere Ermeßlichere, und gab jedem dieser Teile ein Merkzeichen.

§ 7

So entstand natürlicher Weise Vielgötterei und Abgötterei. Und wer weiß, wie viele Millionen Jahre sich die menschliche Vernunft noch in diesen lrrwegen würde herumgetrieben haben; ohngeachtet überall und zu allen Zeiten einzelne Menschen erkannten, daß es Irrwege waren: wenn es Gott nicht gefallen hätte, ihr durch einen neuen Stoß eine bessere Richtung zu geben.

§ 8

Da er aber einem jeden einzeln Menschen sich nicht mehr offenbaren konnte, noch wollte: so wählte er sich ein einzelnes Volk zu seiner besondern Erziehung; und eben das ungeschliffenste, das verwildertste, um mit ihm ganz von vorne anfangen zu können.

§ 9

Dies war das Israelitische Volk, von welchem man gar nicht einmal weiß, was es für einen Gottesdienst in Aegypten hatte. Denn an dem Gottesdienste der Aegyptier durften so verachtete Sklaven nicht Teil nehmen: und der Gott seiner Väter war ihm gänzlich unbekannt geworden.

§ 10

Vielleicht, daß ihm die Aegyptier allen Gott, alle Götter ausdrücklich untersagt hatten; es in den Glauben gestürzt hatten, es habe gar keinen Gott, gar keine Götter; Gott, Götter haben, sei nur ein Vorrecht der bessern Aegyptier: und das, um es mit so viel größerm Anscheine von Billigkeit tyrannisieren zu dürfen. – Machen Christen es mit ihren Sklaven noch itzt viel anders? –

§ 11

Diesem rohen Volke also ließ sich Gott anfangs bloß als den Gott seiner Väter ankündigen, um es nur erst mit der Idee eines auch ihm zustehenden Gottes bekannt und vertraut zu machen.

§ 12

Durch die Wunder, mit welchen er es aus Aegypten führte, und in Kanaan einsetzte, bezeugte er sich ihm gleich darauf als einen Gott, der mächtiger sei, als irgend ein andrer Gott.

§ 13

Und indem er fortfuhr, sich ihm als den Mächtigsten von allen zu bezeugen – welches doch nur einer sein kann, – gewöhnte er es allmählig zu dem Begriffe des Einigen.

§ 14

Aber wie weit war dieser Begriff des Einigen, noch unter dem wahren transcendentalen Begriffe des Einigen, welchen die Vernunft so spät erst aus dem Begriffe des Unendlichen mit Sicherheit schließen lernen!

§ 15

Zu dem wahren Begriffe des Einigen – wenn sich ihm auch schon die Besserern des Volks mehr oder weniger näherten – konnte sich doch das Volk lange nicht erheben: und dieses war die einzige wahre Ursache, warum es so oft seinen Einigen Gott verließ, und den Einigen, d. i. Mächtigsten, in irgend einem andern Gotte eines andern Volks zu finden glaubte.

§ 16

Ein Volk aber, das so roh, so ungeschickt zu abgezognen Gedanken war, noch so völlig in seiner Kindheit war, was war es für einer moralischen Erziehung fähig? Keiner andern, als die dem Alter der Kindheit entspricht. Der Erziehung durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen.

§ 17

Auch hier also treffen Erziehung und Offenbarung zusammen. Noch konnte Gott seinem Volke keine andere Religion, kein anders Gesetz geben, als eines, durch dessen Beobachtung oder Nichtbeobachtung es hier auf Erden glücklich oder unglücklich zu werden hoffte oder fürchtete. Denn weiter als auf dieses Leben gingen noch seine Blicke nicht. Es wußte von keiner Unsterblichkeit der Seele; es sehnte sich nach keinem künftigen Leben. Ihm aber nun schon diese Dinge zu offenbaren, welchen seine Vernunft noch so wenig gewachsen war: was würde es bei Gott anders gewesen sein, als der Fehler des eiteln Pädagogen, der sein Kind lieber übereilen und mit ihm prahlen, als gründlich unterrichten will.

§ 18

Allein wozu, wird man fragen, diese Erziehung eines so rohen Volkes, eines Volkes, mit welchem Gott so ganz von vorne anfangen mußte? Ich antworte: um in der Folge der Zeit einzelne Glieder desselben so viel sichrer zu Erziehern aller übrigen Völker brauchen zu können. Er erzog in ihm die künftigen Erzieher des Menschengeschlechts. Das wurden Juden, das konnten nur Juden werden, nur Männer aus einem so erzogenen Volke.

§ 19

Denn weiter. Als das Kind unter Schlägen und Liebkosungen aufgewachsen und nun zu Jahren des Verstandes gekommen war, stieß es der Vater auf einmal in die Fremde; und hier erkannte es auf einmal das Gute, das es in seines Vaters Hause gehabt und nicht erkannt hatte.

§ 20

Während daß Gott sein erwähltes Volk durch alle Staffeln einer kindischen Erziehung führte: waren die andern Völker des Erdbodens bei dem Lichte der Vernunft ihren Weg fortgegangen. Die meisten derselben waren weit hinter dem erwählten Volke zurückgeblieben: nur einige waren ihm zuvorgekommen. Und auch das geschieht bei Kindern, die man für sich aufwachsen läßt; viele bleiben ganz roh; einige bilden sich zum Erstaunen selbst.

§ 21

Wie aber diese glücklichern Einige nichts gegen den Nutzen und die Notwendigkeit der Erziehung beweisen: so beweisen die wenigen heidnischen Völker, die selbst in der Erkenntnis Gottes vor dem erwählten Volke noch bis itzt einen Vorsprung zu haben schienen, nichts gegen die Offenbarung. Das Kind der Erziehung fängt mit langsamen aber sichern Schritten an; es holt manches glücklicher organisierte Kind der Natur spät ein; aber es holt es doch ein, und ist alsdann nie wieder von ihm einzuholen.

§ 22

Auf gleiche Weise. Daß, – die Lehre von der Einheit Gottes bei Seite gesetzt, welche in den Büchern des Alten Testaments sich findet, und sich nicht findet – daß, sage ich, wenigstens die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, und die damit verbundene Lehre von Strafe und Belohnung in einem künftigen Leben, darin völlig fremd sind: beweiset eben so wenig wider den göttlichen Ursprung dieser Bücher. Es kann dem ohngeachtet mit allen darin enthaltenen Wundern und Prophezeiungen seine gute Richtigkeit haben. Denn laßt uns setzen, jene Lehren würden nicht allein darin vermißt, jene Lehren wären auch sogar nicht einmal wahr, laßt uns setzen, es wäre wirklich für die Menschen in diesem Leben alles aus: wäre darum das Dasein Gottes minder erwiesen? stünde es darum Gotte minder frei, würde es darum Gotte minder ziemen, sich der zeitlichen Schicksale irgend eines Volkes aus diesem vergänglichen Geschlechte unmittelbar anzunehmen? Die Wunder, die er für die Juden tat, die Prophezeiungen, die er durch sie aufzeichnen ließ, waren ja nicht bloß für die wenigen sterblichen Juden, zu deren Zeiten sie geschahen und aufgezeichnet wurden: er hatte seine Absichten damit auf das ganze Jüdische Volk, auf das ganze Menschengeschlecht, die hier auf Erden vielleicht ewig dauern sollen, wenn schon jeder einzelne Jude, jeder einzelne Mensch auf immer dahin stirbt.

§ 23

Noch einmal. Der Mangel jener Lehren in den Schriften des Alten Testaments beweiset wider ihre Göttlichkeit nichts. Moses war doch von Gott gesandt, obschon die Sanktion seines Gesetzes sich nur auf dieses Leben erstreckte. Denn warum weiter? Er war ja nur an das Israelitische Volk, an das damalige Israelitische Volk gesandt: und sein Auftrag war den Kenntnissen, den Fähigkeiten, den Neigungen dieses damaligen Israelitischen Volks, so wie der Bestimmung des künftigen, vollkommen angemessen. Das ist genug.

§ 24

So weit hätte Warburton auch nur gehen müssen, und nicht weiter. Aber der gelehrte Mann überspannte den Bogen. Nicht zufrieden, daß der Mangel jener Lehren der göttlichen Sendung Mosis nichts schade: er sollte ihm die göttliche Sendung Mosis sogar beweisen. Und wenn er diesen Beweis noch aus der Schicklichkeit eines solchen Gesetzes für ein solches Volk zu führen gesucht hätte! Aber er nahm seine Zuflucht zu einem von Mose bis auf Christum ununterbrochen fortdaurenden Wunder, nach welchem Gott einen jeden einzeln Juden gerade so glücklich oder unglücklich gemacht habe, als es dessen Gehorsam oder Ungehorsam gegen das Gesetz verdiente. Dieses Wunder habe den Mangel jener Lehren, ohne welche kein Staat bestehen könne, ersetzt; und eine solche Ersetzung eben beweise, was jener Mangel, auf den ersten Anblick, zu verneinen scheine.

§ 25

Wie gut war es, daß Warburton dieses anhaltende Wunder, in welches er das Wesentliche der Israelitischen Theokratie setzte, durch nichts erhärten, durch nichts wahrscheinlich machen konnte. Denn hätte er das gekonnt; wahrlich – alsdenn erst hätte er die Schwierigkeit unauflöslich gemacht. – Mir wenigstens. – Denn was die Göttlichkeit der Sendung Mosis wieder herstellen sollte, würde an der Sache selbst zweifelhaft gemacht haben, die Gott zwar damals nicht mitteilen, aber doch gewiß auch nicht erschweren wollte.

§ 26

Ich erkläre mich an dem Gegenbilde der Offenbarung. Ein Elementarbuch für Kinder, darf gar wohl dieses oder jenes wichtige Stück der Wissenschaft oder Kunst, die es vorträgt, mit Stillschweigen übergehen, von dem der Pädagog urteilte, daß es den Fähigkeiten der Kinder, für die er schrieb, noch nicht angemessen sei. Aber es darf schlechterdings nichts enthalten, was den Kindern den Weg zu den zurückbehaltnen wichtigen Stücken versperre oder verlege. Vielmehr müssen ihnen alle Zugänge zu denselben sorgfältig offen gelassen werden: und sie nur von einem einzigen dieser Zugänge ableiten, oder verursachen, daß sie denselben später betreten, würde allein die Unvollständigkeit des Elementarbuchs zu einem wesentlichen Fehler desselben machen.

§ 27

Also auch konnten in den Schriften des Alten Testaments, in diesen Elementarbüchern für das rohe und im Denken ungeübte Israelitische Volk, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und künftigen Vergeltung gar wohl mangeln: aber enthalten durften sie schlechterdings nichts, was das Volk, für das sie geschrieben waren, auf dem Wege zu dieser großen Wahrheit auch nur verspätet hätte. Und was hätte es, wenig zu sagen, mehr dahin verspätet, als wenn jene wunderbare Vergeltung in diesem Leben darin wäre versprochen, und von dem wäre versprochen worden, der nichts verspricht, was er nicht hält?

§ 28

Denn wenn schon aus der ungleichen Austeilung der Güter dieses Lebens, bei der auf Tugend und Laster so wenig Rücksicht genommen zu sein scheinet, eben nicht der strengste Beweis für die Unsterblichkeit der Seele und für ein anders Leben, in welchem jener Knoten sich auflöse, zu führen; so ist doch wohl gewiß, daß der menschliche Verstand ohne jenem Knoten noch lange nicht – und vielleicht auch nie – auf bessere und strengere Beweise gekommen wäre. Denn was sollte ihn antreiben können, diese bessern Beweise zu suchen? Die bloße Neugierde?

§ 29

Der und jener Israelite mochte freilich wohl die göttlichen Versprechungen und Androhungen, die sich auf den gesamten Staat bezogen, auf jedes einzelne Glied desselben erstrekken, und in dem festen Glauben stehen, daß wer fromm sei auch glücklich sein müsse, und wer unglücklich sei, oder werde, die Strafe seiner Missetat trage, welche sich sofort wieder in Segen verkehre, sobald er von seiner Missetat ablasse. – Ein solcher scheinet den Hiob geschrieben zu haben; denn der Plan desselben ist ganz in diesem Geiste. –

§ 30

Aber unmöglich durfte die tägliche Erfahrung diesen Glauben bestärken: oder es war auf immer bei dem Volke, das diese Erfahrung hatte, auf immer um die Erkennung und Aufnahme der ihm noch ungeläufigen Wahrheit geschehen. Denn wenn der Fromme schlechterdings glücklich war, und es zu seinem Glücke doch wohl auch mit gehörte, daß seine Zufriedenheit keine schrecklichen Gedanken des Todes unterbrachen, daß er alt und lebenssatt starb: wie konnte er sich nach einem andern Leben sehnen? wie konnte er über etwas nachdenken, wornach er sich nicht sehnte? Wenn aber der Fromme darüber nicht nachdachte: wer sollte es denn? Der Bösewicht? der die Strafe seiner Missetat fühlte, und wenn er dieses Leben verwünschte, so gern auf jedes andere Leben Verzicht tat?

§ 31

Weit weniger verschlug es, daß der und jener lsraelite die Unsterblichkeit der Seele und künftige Vergeltung, weil sich das Gesetz nicht darauf bezog, gerade zu und ausdrücklich leugnete. Das Leugnen eines Einzeln – wäre es auch ein Salomo gewesen, – hielt den Fortgang des gemeinen Verstandes nicht auf, und war an und für sich selbst schon ein Beweis, daß das Volk nun einen großen Schritt der Wahrheit näher gekommen war. Denn Einzelne leugnen nur, was Mehrere in Überlegung ziehen; und in Überlegung ziehen, warum man sich vorher ganz und gar nicht bekümmerte, ist der halbe Weg zur Erkenntnis.

§ 32

Laßt uns auch bekennen, daß es ein heroischer Gehorsam ist, die Gesetze Gottes beobachten, bloß weil es Gottes Gesetze sind, und nicht, weil er die Beobachter derselben hier und dort zu belohnen verheißen hat; sie beobachten, ob man schon an der künftigen Belohnung ganz verzweifelt, und der zeitlichen auch nicht so ganz gewiß ist.

§ 33

Ein Volk, in diesem heroischen Gehorsame gegen Gott erzogen, sollte es nicht bestimmt, sollte es nicht vor allen andern fähig sein, ganz besondere göttliche Absichten auszuführen? – Laßt den Soldaten, der seinem Führer blinden Gehorsam leistet, nun auch von der Klugheit seines Führers überzeugt werden, und sagt, was dieser Führer mit ihm auszuführen sich nicht unterstehen darf? –

§ 34