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In einer Minute liebevoll, in der nächsten eiskalt: Jeff rettet Ashley und ihre Tochter aus höchster Not, danach ist er abweisend und kühl? aus Angst vor zu viel Nähe? Ashley will dem Millionär zeigen, was Liebe bedeutet. Und versinkt selber in einem Strudel der Gefühle...
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Seitenzahl: 200
© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe by MIRA Taschenbuch in der Verlagsgruppe Harper Collins Deutschland GmbH, Hamburg © 2001 by Susan Mallery, Inc. Originaltitel: »Shelter in a Soldier's Arms« Erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. / SARL Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer Covergestaltung von Deborah Kuschel / Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH Coverabbildung von PeopleImages, radenmas, -strizh- / Getty Images ISBN E-Book 9783745753592
Cover
Impressum
Inhalt
Entscheidung des Herzens
Titel
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
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Contents
Es gab Probleme.
Jeffrey Ritter spürte es, noch bevor er das blinkende Lämpchen am Armaturenbrett seines Wagens sah. Um fünf Uhr morgens hätten die Büroräume des Sicherheitsdiensts Ritter & Rankin verlassen sein sollen. Das Blinklicht verriet jedoch, dass das nicht der Fall war.
Jeff betätigte mehrere Tasten an der Konsole, um die Sachlage zu prüfen. Die Eingangstüren waren verschlossen, aber Innentüren waren offen. Außerdem brannten Lichter, wie er erkannte, als er den Haupteingang erreichte. Die Glastüren wirkten zerbrechlich, hätten aber sogar einer kleinen Bombe standgehalten.
Probleme, dachte er erneut, als er den Motor abschaltete und hinaus auf den nassen Asphalt stieg. Es regnete nicht, aber die Luft war drückend und feucht, als ob sich die Schleusen des Himmels jeden Augenblick über Seattle öffnen würden.
Jeff ging zum Kofferraum, nahm seine Spezialfeuerwaffe heraus und steckte sie in das extra angefertigte Halfter. Dann griff er zu dem schwarzen Betäubungsgerät, das geschaffen war, um einen Angreifer zu lähmen, ohne ihm dauerhaften Schaden zuzufügen. Er schaltete seinen Piepser auf Standby, so dass er mit einem einzigen Knopfdruck seinen Partner wie auch die Obrigkeiten verständigen konnte. Für gewöhnlich zog er die Behörden nicht hinzu, doch sein Büro lag in der Innenstadt von Seattle, und die örtliche Polizei hätte eine Schießerei im Morgengrauen nicht unbedingt begrüßt.
Er wandte sich dem stillen Gebäude zu. Nichts sah ungewöhnlich aus. Aber das war seiner Erfahrung nach gewöhnlich. Die Gefahr kündigte sich selten mit einem Neonschild an.
Leise ging er zum Seiteneingang, der kein Türschloss aufwies. Nur ein kleiner Tastenblock gewährte Zugang. Er tippte den Code ein und wartete. Wenn jemand in dem kleinen Vorraum lauerte, öffnete sich die Tür nicht. Doch ein leises Klicken verriet die Entriegelung des Schlosses, und er trat ein.
Der kleine Raum bestand an drei Seiten aus Spiegelglas. Jeff duckte sich und spähte den Korridor zur Linken entlang. Nichts. Aus den Augenwinkeln erhaschte er eine Bewegung zur Rechten. Doch als er den Kopf wandte, regte sich nichts mehr. Verdammt.
Immer noch in geduckter Haltung drückte er auf einen verborgenen Knopf, um sich Zugang zum Korridor zu verschaffen. Lautlos lief er in die Richtung der Bewegung. Er zückte Feuerwaffe und Betäubungsgerät, bog um die Ecke – und blieb abrupt so reglos stehen, als wäre er von seiner eigenen Waffe betäubt worden.
Während er die Waffen hinter dem Rücken versteckte, richtete er sich auf. Er war sich nicht bewusst, einen Laut von sich gegeben zu haben, doch der Eindringling drehte sich um und blickte ihn an.
„Du musst leise sein, weil Mommy schläft.“
Im Bruchteil einer Sekunde hatte er die nähere Umgebung abgecheckt und erkannt, dass keinerlei Gefahr drohte, zumindest nicht im üblichen Sinne, und das war unangenehm. Er wusste, wie er sich zu verhalten hatte, wenn er es mit Aufständischen oder Terroristen zu tun hatte. Aber er hatte absolut keine Erfahrung mit Kindern, und schon gar nicht mit kleinen Mädchen mit großen blauen Augen.
Die Kleine erschien ihm winzig, reichte ihm gerade bis zur Oberschenkelmitte. Dunkle Locken glänzten im Schein der Deckenbeleuchtung. Sie trug einen pinkfarbenen, mit Kätzchen bedruckten Pyjama und flauschige Hausschuhe, und sie hielt eine weiße Plüschkatze im Arm.
Er blinzelte, fragte sich halb, ob sie nur ein Trugbild war. Doch sie blieb starrsinnig real, ebenso wie die Frau, die neben ihr auf dem Boden lag.
Mit Erwachsenen vermochte Jeff umzugehen. Er sah den Reinigungswagen neben ihr, ihre abgetragene Kleidung, ihre geschlossenen Augen, ihre geröteten Wangen und ihre schweißnasse Stirn. Selbst auf die Entfernung von mehreren Metern spürte er ihr Fieber.
„Mommy arbeitet ganz doll“, teilte das kleine Mädchen ihm mit. „Sie ist echt müde. Ich bin vorhin aufgewacht und wollte mit ihr reden, aber dann habe ich mir gedacht, dass ich lieber ganz leise bin und sie schlafen lasse.“
Sie lächelte zu ihm auf, so als erwartete sie ein Lob für ihre Entscheidung. Stattdessen sicherte Jeff verstohlen seine Pistole, schaltete das Betäubungsgerät ab und hockte sich neben die Frau.
„Ich bin Maggie“, verkündete das Kind unaufgefordert. „Arbeitest du hier? Es ist schön hier. Da ist ein ganz großes Zimmer, das mag ich besonders. Es hat riesige Fenster, und ich kann bis zum Himmel gucken. Manchmal, wenn ich aufwache, zähle ich die Sterne. Ich kann schon über hundert zählen. Willst du es hören?“
„Im Moment nicht.“ Er ignorierte das unaufhaltsame Geplapper, befühlte die Stirn der Frau und nahm gleichzeitig ihren Puls. Ihr Herzschlag war stetig und kräftig, aber sie hatte eindeutig Fieber. Gerade als er sich anschickte, ein Augenlid zu heben und die Reaktion ihrer Pupillen zu testen, erwachte sie und starrte ihn mit entsetzter Miene an.
Ashleys erster Gedanke war, dass Damian in ihr Leben zurückgekehrt war. Dann wurde ihr bewusst, dass der Mann vor ihr zwar mit dem Teufel verwandt sein mochte, aber er war nicht ihr Exmann.
Ihr Kopf fühlte sich schwer an, und sie sah nichts anderes als graue Augen und ein völlig regloses Gesicht. Sie blinzelte mehrmals. Ihre Gehirnzellen nahmen allmählich ihre Tätigkeit wieder auf. Ihr wurde bewusst, dass sie auf einem Korridor lag, der ihr irgendwie vertraut war. Sicherheitsdienst Ritter & Rankin, dachte sie vage. Sie war bei der Arbeit oder hätte es zumindest sein sollen.
„Ich war so müde“, murmelte sie. „Ich habe mich hingesetzt, um mich etwas auszuruhen, und dann muss ich eingeschlafen sein.“ Sie blinzelte erneut und bereute es sogleich, als sie den Mann erkannte, der neben ihr hockte. Er war ihr im Korridor begegnet, als sie sich um die Stellung beworben hatte. Der Bürovorsteher hatte ihr mitgeteilt, dass er Jeffrey Ritter war, Sicherheitsexperte und Exsoldat. Ihr Boss.
„Mommy, du bist ja wach!“
Die vertraute Stimme ließ Ashleys Herz normalerweise höher schlagen, erweckte nun jedoch nur Entsetzen. Sie blickte zur Uhr und stöhnte. Es war bereits nach fünf.
„Es tut mir leid, Mr. Ritter“, sagte sie und zwang sich aufzustehen, obwohl ihre Knie weich waren. „Normalerweise schlafe ich nicht während der Arbeitszeit. Maggie hatte letzte Woche eine Grippe und muss mich angesteckt haben.“ Sie war sich dessen sicher, doch das kümmerte ihren gestrengen, ernsten Chef sicherlich nicht.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Maggie, und Ashley seufzte. Sie wusste, dass es schlecht stand. Niemand hatte ihr ausdrücklich verboten, ihre Tochter mitzubringen, aber zweifellos hatte es auch niemand für nötig gehalten. Vierjährige gehörten einfach nicht an einen Arbeitsplatz.
„Mommy sagt, dass der Kindergarten wie ein Magnet für Ba … Bazellen ist“, verkündete Maggie.
„Bazillen“, korrigierte Ashley automatisch. Sie wischte sich eine Hand an ihrer Jeans ab und reichte sie dem Mann, der sie vermutlich feuern würde. „Mr. Ritter, ich bin Ashley Churchill. Ich reinige die Büroräume. Normalerweise bin ich um zwei Uhr wieder weg.“
„Ich schlafe, wenn Mommy arbeitet“, erklärte Maggie. „Sie macht mir ein richtig tolles Bett mit meiner Lieblingsdecke und dann singt sie mir was vor.“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu und fügte leise hinzu: „Eigentlich soll ich gleich schlafen, aber manchmal steh ich wieder auf und guck mir die Sterne an.“
Ashley schluckte ihre Angst hinunter. „Ja, nun, es ist nicht so schlimm, wie es klingt“, sagte sie lahm und wusste, dass es viel schlimmer war.
„Ihre Sachen sind in meinem Büro?“
Es waren die ersten Worte, die Jeff Ritter von sich gab. Seine Stimme war leise und perfekt moduliert. Sie hatte keine Ahnung, was er dachte, und das ließ sie das Schlimmste annehmen.
„Ja.“
„Wohin gehören die Reinigungsmittel?“
„Am Ende des Flurs ist ein Schrank. Ich war fast fertig. Nur Mr. Rankins Büro fehlt noch.“
Er nahm sie am Ellbogen und führte sie den Gang entlang. Sein Griff wirkte stählern. Als sie sein Büro betraten, lagen überall Beweise ihres dreisten Verhaltens herum.
Eines der Ledersofas war in ein Bett verwandelt worden. Ein halbes Dutzend Plüschtiere lagen auf dem Laken verstreut. Ein Saftkarton und Krümel kündeten von einem nächtlichen Imbiss, während ein Babymonitor den Ehrenplatz mitten auf dem Glastisch einnahm.
Er ließ sie los und ging zum Tisch. Als er zum Monitor griff, holte Ashley den kleinen Empfänger aus ihrer Tasche. „Damit ich sie hören kann“, erklärte sie unnötigerweise, denn als Sicherheitsexperte kannte er vermutlich Abhörgeräte. „Ich bringe Maggie nicht aus einer Laune heraus mit, Mr. Ritter. Ich besuche tagsüber ein College und arbeite deshalb nachts. Ich kann mir keinen Babysitter über Nacht leisten. Das würde fast meinen ganzen Lohn kosten, und den brauche ich für Miete und Lebensmittel.“
Sie schloss die Augen, als sich der Raum um sie zu drehen begann. Das ist ihm egal, dachte sie düster, er wird mich feuern. Sie würde ihren Lohn wie ihre Krankenversicherung verlieren. Doch sie wollte nicht kampflos aufgeben.
„Sie hat nie Probleme gemacht. Es ist fast ein Jahr, und bisher hat es niemand gemerkt. Ich sage das nicht als Entschuldigung für mein Verhalten. Ich möchte nur betonen, dass sie sehr artig ist.“
Maggie trat zu ihr und nahm ihre Hand. „Mach dir keine Sorgen, Mommy. Der nette Mann mag uns.“
Ja, bestimmt, dachte Ashley, vielleicht zum Frühstück. Er hatte etwas Beängstigendes an sich. Etwas, das sie nicht genau definieren konnte. Eine bedrohliche Stille vielleicht? Oder vielleicht war es die Kälte in seinen Augen. Er musterte sie wie ein Raubtier eine potenzielle Beute.
Jeff Ritter war hoch gewachsen. Sein Anzug sah teuer und gut geschnitten aus, vermochte aber nicht die Kraft seines Körpers zu verbergen. Er wirkte wie eine ausgefeilte Kampfmaschine.
Er war blond, mit schiefergrauen Augen. In einem anderen Leben hätte er als gut aussehend bezeichnet werden können, nicht aber in diesem. In seiner Haltung lag zu viel Argwohn, zu viel Bedrohung.
Wegen ihrer nächtlichen Arbeitszeit kam sie nicht viel in Kontakt mit den Büroangestellten. Aber sie hatte in der Zeitung über den Sicherheitsdienst gelesen. Mehrere Artikel waren erschienen, als der Sohn eines Computerfachmanns gekidnappt worden war. Jeff hatte die Täter aufgespürt und mehr tot als lebendig der Polizei ausgeliefert. Der Junge war unverletzt geblieben.
Ein Schauer rann durch ihren Körper. Es hatte nichts mit Angst und alles mit ihrem Fieber zu tun.
Jeff musterte sie flüchtig und ging zum Sofa. „Sie sehen aus, als würden sie gleich umkippen. Sie müssen nach Hause und ins Bett.“
Bevor sie protestieren konnte, faltete er die Bettwäsche und steckte sie in die Tasche auf dem Fußboden, ebenso wie den Babymonitor. Maggie half ihm und sammelte ihre Plüschtiere ein.
„Sonst noch etwas?“, fragte er.
Nur mein letzter Lohn, dachte sie, doch der würde ihr überwiesen werden. „Nein. Danke, Mr. Ritter. Sie waren sehr freundlich.“
Wortlos wandte er sich ab und eilte zur Vorderseite des Gebäudes.
„Mein Auto steht hinten!“, rief sie ihm nach und musste sich am Türrahmen festhalten, als sie ihm folgte.
„Sie sind zu krank, um zu fahren“, entgegnete er. „Ich bringe Sie nach Hause. Ihr Auto wird Ihnen später gebracht.“
Sie fühlte sich zu schwach, um zu widersprechen, was bewies, dass sie nicht in der Verfassung war, ein Fahrzeug zu lenken.
Maggie nahm ihre Hand. „Snowball sagt, dass sie bei dir schlafen will“, murmelte sie schläfrig, während sie durch das Gebäude gingen. „Sie kann zaubern und macht dich wieder gesund.“
Ashley wusste, dass es Maggie nicht leicht fiel, ihr Lieblingsplüschtier abzutreten. Gerührt von der Geste, lächelte sie. „Ich glaube eher, dass du zaubern kannst.“
Maggie kicherte. „Ich bin noch viel zu klein dafür.“
Ashley war zu müde, um einzuwenden, dass Snowball noch viel kleiner war.
Sie traten hinaus in die feuchte Morgenluft. Jeff öffnete die hintere Tür einer eindrucksvollen schwarzen Limousine. Sie brauchte das BMW-Emblem nicht erst zu sehen, um zu erkennen, dass es ein teurer Wagen war.
Sie zögerte, bevor sie auf den weichen grauen Ledersitz glitt. Sie schnallte Maggie und sich selbst an und schloss die Augen. Nur noch ein paar Minuten, dachte sie erschöpft, dann bin ich zu Hause und kann ins Bett kriechen.
„Ich brauche Ihre Adresse.“
Ashley schreckte aus ihren Gedanken auf. Das Sprechen fiel ihr schwer. Sie schickte sich an, ihm Richtungsanweisungen zu geben, doch er ließ sie wissen, dass er die Gegend kannte. Sie bezweifelte es nicht. Er war ein Mann, der so ziemlich alles wusste.
Das sanfte Schnurren des Motors lullte sie ein, ebenso wie Maggie.
Doch nach einer Weile hielt Jeff abrupt an und verkündete: „Es scheint ein Problem zu geben.“
Ashley zwang sich, die Augen zu öffnen. Sie standen in der Nähe des vierstöckigen Wohnblocks, in dem ihr Apartment lag. Normalerweise war genügend Parkfläche direkt vor dem Haus vorhanden. Nicht so an diesem Morgen. Feuerwehrautos und Polizeiwagen standen in der Auffahrt. Lichter blinkten im schwachen Regen. Fassungslos starrte Ashley auf den Sturzbach, der sich über die Stufen des Haupteingangs ergoss. Ihre Nachbarn standen zusammengekauert auf dem Bürgersteig.
Nein, dachte sie fassungslos, das darf nicht sein, nicht ausgerechnet heute.
Sie löste Maggies Sicherheitsgurt, mit ihren eigenen und öffnete die Tür. Bevor sie ausstieg, nahm sie Maggie auf den Arm, denn deren Hausschuhe boten keinerlei Schutz vor den Wassermassen.
„Mommy, was ist passiert?“
„Ich weiß es nicht.“
Mrs. Gunther, die ältliche blauhaarige Frau, die das Gebäude verwaltete, eilte herüber. „Ashley, Sie werden es nicht glauben! Das Hauptrohr ist vor einer Stunde geborsten. Es ist furchtbar. Soweit ich gehört habe, wird es eine Woche dauern, den Schaden zu beheben. Man wird Sie in die Wohnung führen, damit Sie holen können, so viel Sie tragen können. Dann müssen wir woanders unterkommen.“
Jeff beobachtete, wie der letzte Rest Farbe aus Ashleys Gesicht wich. Niedergeschlagenheit verdüsterte ihre Augen, ließ sie zittern. Oder vielleicht war es auch das Fieber.
„Ich weiß nicht, wohin“, flüsterte sie.
Die alte Dame tätschelte ihren Arm. „Mir geht es nicht anders. Aber keine Sorge. Es wird eine Notunterkunft eingerichtet.“
„Was ist eine Notunterkunft, Mommy?“, wollte Maggie wissen. „Gibt es da Kätzchen?“
„Das weiß ich nicht.“ Ashley starrte zu dem überströmenden Gebäude. „Ich muss meine Bücher holen, und Kleidung und Spielzeug.“
„Ich passe so lange auf Maggie auf“, bot Mrs. Gunther an.
Plötzlich schien Ashley sich wieder an Jeff zu erinnern. „Danke, Mr. Ritter. Ich sollte jetzt meine Sachen aus dem Kofferraum holen.“
Sie ging zum Heck des Wagens und wartete, bis er den Kofferraum öffnete. Als sie sich die Tasche über die Schulter hängte, taumelte sie ein wenig.
„Werden Sie zurechtkommen?“
Seine Frage überraschte beide. Er hatte nicht geplant, sie zu stellen. Er sagte sich, dass ihre Lage nicht sein Problem war. Bestimmt war sie gut aufgehoben in einer Notunterkunft. Sein Blick glitt zu dem kleinen Mädchen ganz in Rosa. Was sie betraf, war er sich nicht so sicher.
„Ja, danke.“ Sie schenkte ihm ein mühsames Lächeln. „Sie waren wirklich sehr freundlich.“
Es war das Stichwort für seinen Abgang. Normalerweise wäre er im Nu in der Menge verschwunden. Doch er blieb stehen. Leise und dennoch eindringlich entgegnete er: „Sie können die Kleine nicht in ein Asyl bringen. Es wäre nicht richtig.“
„Sie wird es überstehen“, versicherte Ashley. „Wir beide zusammen werden es gut überstehen.“
Er sagte sich, dass er sich nicht weiter engagieren sollte. „Ich zahle Ihnen ein Hotelzimmer, wenn Sie möchten.“
Ihre Augen nahmen einen seltsamen Ton an. Nicht blau, nicht grün und auch nicht braun, sondern eine Mischung aus allen drei Farben. „Sie waren bereits überaus freundlich“, wehrte sie erneut ab. „Auf Wiedersehen, Mr. Ritter.“
Sie wies ihn ab. Er akzeptierte ihre Entscheidung. Doch bevor sie sich entfernte, steckte er ihr eine seiner Visitenkarten in die Jackentasche. Es war eine impulsive Handlung, völlig untypisch für ihn. Nun tat er, worauf er sich verstand: Er tauchte unter.
„Willst du dich vielleicht irgendwann an dem Gespräch beteiligen?“
Jeff blickte zu seinem Freund und Partner, Zane Rankin, und zuckte die Achseln. „Ich bin dabei.“
„Körperlich schon, aber nicht in Gedanken. Das sieht dir gar nicht ähnlich.“
Wortlos richtete Jeff seine Aufmerksamkeit auf die Pläne auf dem Tisch. Er hatte wirklich Probleme, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Er kannte die Ursache: Er konnte die Frau und das Kind nicht vergessen, ohne zu wissen, warum.
Lag es an ihren Lebensumständen? Er hatte Schlimmeres gesehen. Verglichen mit einem vom Krieg zerstörten Dorf, dessen Wintervorräte vernichtet worden waren, war Ashley Churchills Notlage unbedeutend. Lag es an dem Kind? Maggie in dem rosa Pyjama, mit dem strahlenden Lächeln und dem kindlichen Vertrauen, war so weit entfernt von seiner Welt, als gehörte sie in ein anderes Universum.
Er fand keine Antworten auf diese Fragen. Daher verdrängte er sie und studierte das Layout der luxuriösen Villa am Mittelmeer, in der eine Geheimkonferenz internationaler Geschäftsleute stattfinden sollte, die für die Herstellung der tödlichsten Waffen auf der Welt verantwortlich waren. Die Gefahr von Industriespionage, Terroranschlägen oder Kidnapping war sehr hoch. Er und Zane sollten für Sicherheit sorgen. Dazu mussten sie zunächst die Schwachpunkte herausfinden.
Jeff deutete mit dem Kugelschreiber auf einen üppigen tropischen Garten. „Der muss weg.“
„Einverstanden. Wir lassen nur ein paar Sträucher stehen, in denen wir die Sensoren anbringen können.“
Die neuesten High Tech-Sensoren waren so konzipiert, dass sie die Wachposten ignorierten, aber die Bewegungen einer Feldmaus im Umkreis von vierzig Metern registrierten.
„Was ist mit …“
Die Gegensprechanlage summte. Jeff runzelte die Stirn. Seine Assistentin Brenda wusste es besser, als ihn und Zane in einer schwierigen Besprechung zu stören. Also musste es sich um einen Notfall handeln. Er drückte eine Taste am Telefon. „Ja?“
„Jeff, da ist ein Anruf von einem Obdachlosenasyl. Es geht um eine Mrs. Churchill und ihre Tochter. Willst du ihn annehmen, oder soll ich eine Nachricht aufnehmen?“
„Stell das Gespräch durch“, wies er an. Als es in der Leitung klickte, sagte er: „Hier ist Jeff Ritter. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Hallo, Mr. Ritter. Ich bin Julie und arbeite im Obdachlosenasyl. Ashley und Maggie Churchill sind hier bei uns. Ashley ist sehr krank, und wir können sie hier nicht versorgen. Aber sie weigert sich, ins Krankenhaus zu gehen. Ich habe Ihre Visitenkarte in ihrer Tasche gefunden und dachte mir, dass Sie vielleicht ein Freund der Familie sind.“
Jeff wusste, was sie wissen wollte – ob er bereit sei, die Verantwortung zu übernehmen. Er rief sich in Erinnerung, dass Ashley sein Angebot abgelehnt hatte, ihr ein Hotelzimmer zu zahlen. Dann erinnerte er sich an die Niedergeschlagenheit in ihren Augen. Sie war krank, hatte ein Kind und wusste nicht, wohin.
Es ist nicht mein Problem, sagte er sich. Er engagierte sich nie. Laut seiner Exfrau besaß er so viel Mitgefühl wie der Teufel persönlich und ein Herz aus Stein. Das einzig Vernünftige war zu erwidern, dass er nichts mit den Churchills zu tun hatte.
„Ja, ich bin ein Freund der Familie“, sagte er jedoch. „Ich komme sofort.“
Ashley konnte sich nicht erinnern, dass sie sich jemals so furchtbar gefühlt hatte. Es war nicht nur das flaue Gefühl im Magen, die Kopfschmerzen und die Schwäche. Sie hatte einen absoluten Tiefpunkt erreicht. In einer einzigen Nacht hatte sie ihren Job und ihr Zuhause verloren, und nun wurden sie auch noch aus dem Asyl geworfen. Vom Verstand her wusste sie, dass es falsch war, zu bleiben und die anderen Bewohner der Ansteckungsgefahr auszusetzen. Doch im Herzen fühlte sie sich im Stich gelassen. Wohin sollten sie und Maggie gehen? Sie hatte kein Geld für ein Hotel. Außerdem war sie einem Zusammenbruch nahe, und wenn es dazu kam, wer sollte sich dann um Maggie kümmern?
Ungewollt fielen ihr die Augen zu. Sie sehnte sich verzweifelt nach Schlaf. Sie wollte, dass dieser Albtraum endete, und ausnahmsweise ersehnte sie sich, dass sich irgendjemand um sie kümmerte. Sie wollte gerettet werden, wie es in den Märchen geschah, die sie Maggie vorlas. Doch es war sehr unwahrscheinlich, dass ein hübscher Prinz auftauchte und ihr all die Sorgen abnahm.
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. Es kostete sie Mühe, die Augen aufzuschlagen. Die Person, die sich über sie beugte, war nicht wie erwartet die Studentin Julie, die ihr sanft erklärt hatte, dass sie nicht länger bleiben könne. Es war auch kein hübscher Märchenprinz, sondern ein mächtiger und erschreckend vertrauter Mann.
Offensichtlich halluzinierte sie, denn es erschien unmöglich, dass ihr ehemaliger Boss sie tatsächlich auf die Arme hob.
„Sie kommen mit zu mir, bis es Ihnen besser geht“, verkündete er.
Die Stimme klang verblüffend real, und sie glaubte seinen Atem auf der Wange und den weichen Wollstoff seines Anzugs unter ihrer Hand zu spüren, die auf seiner Schulter ruhte. Sie blinzelte verwirrt. „Tragen Sie mich wirklich?“
Graue Augen blickten ihr ins Gesicht. „Sie sind kränker, als ich dachte.“
„Wir können nicht …“ Sie presste die Lippen zusammen. Was konnten sie nicht? Sie wusste nicht, was sie hatte sagen wollen.
„Sie werden in meinem Haus in Sicherheit sein“, entgegnete er.
Sehr unwahrscheinlich, schoss es ihr durch den Kopf, während er sie auf einen Stuhl setzte.
„Packen Sie ihre Sachen“, hörte sie ihn zu jemandem außerhalb ihres Blickfelds sagen.
„Ich hole ihre Schuhe.“
Diese Aussage, gesprochen mit der piepsigen, fröhlichen Stimme ihrer Tochter, brachte sie schneller zurück in das Reich der Lebenden, als jedes Medikament es vermocht hätte. Sie atmete tief durch, und dann gelang es ihr, sich auf den Mann zu konzentrieren, der vor ihr hockte. Es war tatsächlich Jeff Ritter. Er trug noch immer den maßgeschneiderten Anzug, und er wirkte noch immer distanziert und ein klein wenig einschüchternd. „Warum sind Sie hier?“, wollte sie wissen.
„Weil Sie zu krank sind, um hier im Asyl zu bleiben. Ich bringe Sie zu mir nach Hause, bis Sie wieder auf den Beinen sind.“
„Das geht nicht“, protestierte sie. „Wir kennen Sie doch gar nicht.“
Seine stahlgrauen Augen blickten sie durchbohrend an. Sie suchte nach einem Anflug von Wärme, von Menschlichkeit, aber sie sah nur ihr winziges Spiegelbild in seinen Pupillen.
„Was wollen sie von mir wissen?“, fragte er. „Soll ich Ihnen eine Liste mit Referenzen geben?“
Das wäre nicht schlecht, dachte sie, aber sie wagte nicht, es auszusprechen.
Unvermittelt streckte er eine Hand aus und berührte ihre Wange mit den Fingerspitzen. Es war nur ein flüchtiger Moment des Kontakts, doch sie spürte Wärme und erstaunliche Sanftheit.
„Haben Sie keine Angst“, sagte er leise. „Ich werde Ihnen oder Maggie nichts antun. Sie sind krank. Sie brauchen eine Unterkunft. Ich biete Ihnen eine. Ende der Geschichte. Ich werde Ihnen nicht wehtun und Sie nicht unter Druck setzen.“
„Aber …“
„Können Sie woanders unterkommen?“
Sie schüttelte den Kopf. Durch ihre einsame Nachtarbeit kannte sie keine Arbeitskollegen. Da sie sich außerhalb der Öffnungszeiten des Kindergartens um Maggie kümmern musste, blieb ihr keine Zeit, Freundschaften an der Universität zu knüpfen. Ihre einzigen Bekannten waren ihre Nachbarn, und die befanden sich in derselben misslichen Lage wie sie.
„Mommy, hier sind deine Schuhe.“
„Danke, mein Engel.“
Bevor Ashley sich vorbeugen konnte, nahm Jeff ihr die Schuhe aus der Hand und zog ihr den rechten an.
Die Berührung seiner Hand auf ihrem Knöchel wirkte erstaunlich intim. Sie fühlte sich verlegen und benommen. Letzteres mochte auf das Fieber zurückzuführen sein, und doch glaubte sie es nicht. Aber es war ebenso unwahrscheinlich, dass es von seinem Verhalten herrührte. Er war lediglich hilfsbereit. Er war ein Fremder, und dazu ein beängstigender Fremder. Sie hielt ihn für einen eiskalten Killer, nicht für einen attraktiven Mann.
„Mommy hilft mir auch immer mit den Schuhen“, verkündete Maggie. „Bei den rosa Schuhen muss sie zwei Schleifen machen, weil die Bänder so lang sind.“
„Ich glaube, ich komme mit einer Schleife aus“, erwiderte Jeff, während er Ashley den zweiten Schuh anzog. „Bist du fertig?“
„Ich brauche noch meinen Mantel.“
„Weißt du denn, wo er ist?“
Maggie nickte und ging zu einem Schrank in einer Ecke, wo zwei freiwillige Helfer bereits ihre Sachen einpackten.