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Eine historische Erzählung aus der Zeit der Eroberung Finnlands durch die Russen im Jahre 1808.
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Seitenzahl: 1361
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Erich Randal
Theodor Mügge
Inhalt:
Theodor Mügge – Biografie und Bibliografie
Erich Randal
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiter Theil.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebenzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Erich Randal, T. Mügge
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849632267
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Roman- und Reiseschriftsteller, geb. 8. Nov. 1806 in Berlin, gest. daselbst 18. Febr. 1861, war zuerst Kaufmann, dann kurze Zeit Soldat, studierte darauf seit 1826 in seiner Vaterstadt Naturwissenschaften, Geschichte und Philosophie und widmete sich schließlich ganz der Literatur, indem er zugleich Mitarbeiter an mehreren politischen Journalen wurde. 1848 war er an der Gründung der Berliner »Nationalzeitung« beteiligt, deren Feuilleton er eine Zeitlang redigierte. Am bekanntesten machte er sich durch seine zahlreichen Romane und Novellen, die sich durchgängig durch Reichtum der Erfindung, durchdachte Behandlung des Stoffes und leichte und gefällige Darstellung auszeichnen. Wir erwähnen als die vorzüglichsten: »Der Chevalier« (Leipz. 1835); »Die Vendéerin« (Berl. 1837); »Toussaint« (Stuttg. 1840); »Der Vogt von Sylt« (Berl. 1851); »Der Majoratsherr« (das. 1853); »Afraja« (Frankf. 1854); »Erich Randal« (das. 1856); »Der Prophet« (Leipz. 1860) und die letzte Novellensammlung: »Leben und Lieben in Norwegen« (Frankf. 1858). Wie die Romane mit dem Hintergrund nordischen Lebens Mügges beste poetische Leistungen waren, so ragten auch unter seinen Reisebildern die Schilderungen aus dem Norden, wie: »Skizzen aus dem Norden« (Hannov. 1844, 2 Bde.), »Streifzüge in Schleswig-Holstein« (Frankf. 1846, 2 Bde.) und »Nordisches Bilderbuch. Reisebilder« (das. 1858; 3. Aufl., Bresl. 1862), hervor. Gesammelt erschienen seine Romane in 33 Bänden (Berl. 1862–67, teilweise in neuen Auflagen).
An einem schönen Septembertage des Jahres 1807 segelte ein kleiner Lugger, der aus den Scheren von Stockholm kam, über den Bottnischen Meerbusen und näherte sich, als es Abend werden wollte, dem weit zerstreuten Gewirr größerer und kleiner Eilande und Felsklippen, welche unter dem Namen »Aland-Inseln« bekannt sind. Damals war eine bewegte Zeit auf Land und Meer. Die schwedische Hauptstadt lag voll Soldaten, welche nach Süden und Westen zogen, denn klägliche Nachrichten waren aus Pommern eingelaufen. Stralsund war von den Franzosen erobert, der Feldmarschall Toll hatte auch Rügen an den Marschall Brune übergeben müssen, die ganze schwedisch-deutsche Provinz befand sich somit in den Händen der Franzosen und zahllose Gerüchte liefen umher, daß diese siegreichen Feinde schon dabei seien, die dänischen Inseln zu besetzen, Kopenhagen von den Engländern zu befreien und dann in Schweden einzudringen. – Der König Gustav Adolph der Vierte war krank vor Zorn und Ärger aus Rügen zurückgekehrt und lag in Karlskrona danieder, was aber mehr Gelächter und Spott als Theilnahme in Stockholm bewirkte. Eben war auch die Nachricht eingetroffen, daß Kopenhagen sammt der Flotte von den Engländern erobert worden sei und obwohl man dies Schicksal den Dänen aus alter Erbfeindschaft von Herzen gönnte, stimmten doch viele in das Geschrei über die englische unerhörte Gewaltthat und Schandthat, das bald in ganz Europa wiederhallte. – Die Gesellschaft jedoch, welche in dem kleinen Lugger der finnischen Küste entgegenfuhr, ließ sich von aller dieser Trübsal nicht anfechten. Sie hatte einen fröhlichen Tag verlebt ohne sich um andre Dinge, als um ihr vergnügliches Beisammensein zu kümmern. Das Wetter blieb schön und hell, nur wurde der Wind mit der Abendnähe schwach und trieb das flinke Boot langsam noch vorwärts, während die Sonnenkugel rothfunkelnd ihre Bahn beschleunigte, die See mit ihrer Gluth übergoß und den unermeßlichen Halbkreis dunkelnder Küsten und Kuppen in Gold und Feuer tauchte. Der kleine Lugger glitt noch eine Zeit lang näher an die äußersten Vorposten dieser nackten und verworrenen Massen, welche, aus dem Schooße des Meeres aufsteigend, ihre rothen Arme und Köpfe in den glänzenden Himmel streckten und den Schiffern zu winken schienen, dann aber fielen seine hohen lateinischen Segel zusammen, die Raaen schwankten an den Masten und das Fahrzeug taumelte nach rechts und links, ohne sich weiter vorwärts zu bewegen.
Am Bord befanden sich drei junge Herren und eine schöne junge Dame, welche gemeinsam eine Lustreise nach Abo und weiter in's finnische Land machen wollten. Der älteste der Herren war der Baron Arwed Bungen, die Dame seine Schwester Ebba. Ihr Vetter, Gustav Lindström, Lieutenant in der königlichen Marine, hatte den Lugger und die Mannschaft gestellt; der vierte endlich war ein russischer Graf, Alexei Serbinoff, welcher seit längerer Zeit in Stockholm verweilte und durch den russischen Gesandten Alopäus mehreren edlen schwedischen Familien befreundet wurde. Mit dem Baron Bungen stand er im innigen Verhältniß und da er zugleich als ein feuriger Verehrer des schönen Fräuleins galt, mochte er um so lieber die Einladung angenommen haben, beide Geschwister nach Finnland zu begleiten, zu einem Edelmann und Verwandten, der lange schon diesen Besuch erwartete.
Als das Boot nicht weiter vorwärts wollte, befanden sich die drei Herren auf dem schmalen Hinterdeck, wo sie unter Scherz und Gelächter den Lehnstuhl der jungen Dame umringten. Die Diener, welche sie auf die Reise mitgenommen, waren zwei Tage zuvor mit dem Marktschiff nach Abo gefahren und sollten dort ihre Herrschaften anmelden. Die Herren hatten es übernommen, die Dame zu beschützen, zu bedienen und zu unterhalten, und da man am Abend wenigstens in Satingo oder in einem andern guten Hafenplatz zu landen dachte, auch überzeugt war, am folgenden Tage in Abo zu sein, vermehrte dies Alles die heitere Reiselust der kleinen, ganz auf sich selbst gewiesenen Gesellschaft.
Das milde sommerliche Wetter und der leichte günstige Wind hielten alle Unannehmlichkeiten einer Seefahrt entfernt. Man konnte fortgesetzt auf dem Verdeck bleiben, das Mittagsmahl dort aus den mitgenommenen Vorräthen halten und in zwangloser Freiheit sich allen Einfällen guter Laune überlassen. Erst als das kleine Schiff immer matter fortschlich und endlich seine Flügel ganz hängen ließ, während die Inseln zurückzuweichen schienen, unterbrachen einige ernsthaftere Betrachtungen die unbekümmerte Munterkeit.
Ein kühlerer, feuchterer Hauch wehte über das Wasser und in duftiger Ferne bildete sich eine Nebelbank, die am westlichen Horizont leise heraufstieg. Die junge Dame legte den Mantel um ihre Schultern und beobachtete einige Minuten lang aufmerksam das Meer, die fallende Sonne und die beleuchteten Landstücke. Ihre stolzgewölbte Stirn paßte zu den großen dunkelblauen Augen voll Geist und Leben, welche das ganze Gesicht beherrschten. Ein muthwilliges Lächeln schwebte um ihre Lippen, rasche Bewegungen zeigten von leichter Erregbarkeit ihrer Empfindungen und der gesammte Ausdruck ihrer Züge war ein glücklicher und wohlthuender.
Ich bin der Meinung, sagte sie, nachdem sie ihre Beobachtungen beendigt hatte, daß wir statt vorwärts rückwärts gehen. Wo bleibt Satingo, mein tapferer Admiral, und was bedeutet dies Geschaukel unseres Linienschiffes?
Der Seeoffizier gab keine sehr trostreiche Antwort. Der Wind ist viel zu sehr nördlich geworden um den Strich auf Satingo halten zu können, erwiederte er. Wir befinden uns weit davon und werden von der Deining geschaukelt, während keine Kraft mehr in unsern Segeln ist. Somit treiben wir zurück, weil die Strömung aus allen diesen Inselkanälen uns entgegen kömmt.
Und welche Folgen, mein lieber Vetter Gustav, werden deine weisen und wahren Belehrungen für uns haben?
Der Seemann bemühte sich nachdenklich umherzuschauen und sagte dann: Wir werden eine Sommernacht auf dem Meere umherschwimmen und wenn es morgen, wie ich aus den Windstreifen vermuthe, stark aus Norden bläst, statt in Abo in Gustavsvärn oder in Ekenäs landen.
Eine Sommernacht, wie diese, in so vortrefflicher Gesellschaft wachend und fastend zu verleben, ist so verlockend, daß ich nichts dagegen einzuwenden habe, rief Ebba, die sich schalkhaft verbeugte. Wie malerisch sind diese feurigen und rosigen Inseln, die, in der Ferne betrachtet, sehr viel paradiesischer aussehen, als es in der Nähe der Fall sein mag.
Trotz der Scherze, welche diesen Äußerungen folgten, waren die Aussichten auf die Nacht doch nicht besonders einladend. Der kleine Lugger bot geringe Bequemlichkeiten, Feuer ließ sich nicht anmachen. Die Kajüte konnte allein der jungen Dame eine Schlafstätte bieten.
Es wäre sehr fatal, sagte Baron Arwed endlich, wenn wir morgen nicht in Abo anlangten. Wagen und Pferde würden uns vergebens erwarten, unser ganzer Reiseplan würde zerstört sein; auch hat es wenig Angenehmes in dieser Nußschale schlechtes Wetter zu erleben. Das Lachen würde dir vergehen, du übermüthiges Mädchen.
Nichts Warmes zum Mittag haben, nicht einmal vier oder fünf armselige Schüsseln, ist ein schrecklicher Gedanke, erwiederte sie mit komischem Ernst.
Das hat gar nichts zu sagen, fiel der Seemann ein. Wenn man in solchem Loch von Kajüte eingesperrt wird, vor Übel und Weh nicht den Kopf aufheben kann und bald in die Wolken fliegt, bald in Abgründe stürzt, vergeht alle Sehnsucht nach irdischen Genüssen.
Still, still! winkte ihm Ebba zu. Siehst du nicht, wie Graf Serbinoff bei dem Gedanken daran schon erblaßt?
O! sagte der junge Cavalier lächelnd, wir Russen sind allerdings nicht für dies unbeständige, treulose Element geboren, dennoch versuchen wir es, bis es gelingt es zu beherrschen. Wo wir feststehen können, sei es im Eis und Schnee des Nordens oder unter dem Sonnenbrand der Steppe, wird uns so leicht Niemand übertreffen; für das Salzwasser jedoch, so hat schon Peter der Große gesagt, taugen die Russen nicht, obwohl –
Nun? fragte das Fräulein, als er inne hielt.
Obwohl aus jedem Russen Alles gemacht werden kann, was der Czar befiehlt, rief Arwed lachend.
Nein, obwohl Peter der Große selbst bewiesen hat, daß ein kräftiger Wille Alles vermag, erwiederte Serbinoff. Man muß sein Ziel nur immer fest verfolgen, dem Glücke vertrauen und alle Mittel benutzen, fuhr er mit einem vielsagenden Blick auf die schöne Dame fort, so wird man siegen und überwinden. In unserer gegenwärtigen Lage scheint es mir daher das Beste zu sein, wenn Herr Lindström, unser Admiral, die Segel ganz einziehen und seine Mannschaft zu den Rudern greifen läßt. Es kommt mir vor, daß wir eines jener Eilande dann erreichen könnten, ehe uns die Nacht völlig überfällt.
Der junge Seemann gestand lachend ein, daß dies auch seine Absicht gewesen und daß er nur zu seiner Belustigung allerlei Besorgnisse aufgestellt habe. Auf seinen Wink fielen die Segel und vier lange Ruder setzten das Boot in Bewegung. Seid ohne Furcht, sagte er dann, in einer Stunde werden wir Land haben. Alle diese kleinen Inseln besitzen gute Hafenplätze und unsere Ruder bringen uns bald an irgend einen sichern Ort.
Wohin aber? fragte Arwed.
Wer weiß es? erwiederte Lindström. Dort in der nebligen Tiefe, die Insel mit der Doppelspitze, ist wahrscheinlich Kokar, die größte von allen, und wenn es möglich wäre dahin zu gelangen, träfen wir beim Voigt oder Schreiber ein gutes Nachtquartier, allein wir werden auf einer der nähern Landbrocken bei einem Fischer oder Kathenmann wenigstens einen Heusack und einen Feuerherd finden.
Das ernsthafte Schweigen des Barons wurde mit einem Ausbruch allgemeiner Lustigkeit auf seine Kosten beantwortet und während dessen näherte sich das Boot langsam den schwarzen Punkten, die in großer Zahl aus der See aufstiegen. Waldleisten wurden sichtbar, einzelne hohe Bäume standen auf Hügelkronen und schwebten in der violetten Bläue der durchsichtigen Luft und deren falbem Schimmer; dann aber wurden die dunkelnden Schleier, welche sich leise darüber deckten, immer fester und dichter. Nähe und Ferne verschmolzen darin und endlich lag Alles eingewickelt in denselben lichtlosen Mantel der Nacht; nur die Ruder schlugen Funken aus dem Wasser. Jemehr die Finsterniß zunahm, um so mehr stockten auch die Gespräche der Reisenden, alle Gedanken richteten sich auf den Ausgang ihrer Irrfahrt und alle Augen strengten sich an, etwas von einer nahen Küste zu erkennen oder andere ähnliche Entdeckungen zu machen, welche, als ergötzliche Täuschungen erkannt, die Munterkeit belebten.
Was ist das! rief endlich Serbinoff. Ich sehe einen hellen Schein.
Alle betrachteten den matten Punkt, der bald klarer wurde, bald wieder verschwand. – Es ist ein Licht, sagte der Seeoffizier, das in einem Hause brennt, und grade aus laufen wir in eine Bucht ein. Ich erkenne deutlich rechts und links die Schatten der Hügel, welche sie einfassen.
Wahrlich, das Schicksal meint es gut mit uns! rief Baron Arwed nach einer langen Beobachtung. Es ist wirklich ein Licht und vor uns liegt ein Haus, in welchem ein höher civilisirtes Wesen seinen Wohnsitz nahm, da die Fischer umher dergleichen Luxus nicht treiben, sondern sich von ihren Herdfeuern leuchten lassen.
Und Arwed wittert schon die Behaglichkeit dieser höheren Civilisation, lachte seine Schwester. Er riecht die wohlthuende Nähe eines guten Bratens und fühlt die behagliche Wärme eines Dunenlagers voll weicher Kissen.
Der Baron ließ sie spotten, er wußte, daß jeder damit zufrieden war, als das Boot ein Pfahlwerk berührte, an welchem einige Fischerkähne lagen. Wenige Minuten später stiegen die vier Reisenden erwartungsvoll ein steiles Ufer hinauf, das sie zwanzig oder dreißig Fuß hoch auf einen ziemlich ebenen Platz führte. Das Licht, das noch immer leuchtete, gab ihnen an, wohin sie sich zu wenden hatten, und bald befanden sie sich an einem Gehege, das einige Bäume, Strauchwerk und Gras enthielt; hinter diesem aber lag das Haus, dessen Anblick, so weit es sich erkennen ließ, ihre Erwartungen bedeutend herabstimmen mußte. Es war ein unbedeutendes Balkenhaus, nicht viel anders wie die Wohnungen der Bauern und Fischer im Norden gewöhnlich sind; allein es hatte doch ein oberes Stockwerk, das den allermeisten Hütten dieser Art fehlt, und eben aus einem der kleinen viereckigen Fenster in der Höhe schimmerte das Licht herab. So viel war jedenfalls gewiß, daß es das Beste blieb, nicht unfruchtbar zu philosophiren, sondern so bald als möglich Einlaß zu begehren, und dies Gefühl begleitete die praktische Entschiedenheit des Seeoffiziers, der ohne langes Bedenken die Thüre schüttelte und sein lautes Hollah! hören ließ.
Nach einigen Augenblicken schon zeigten sich die guten Wirkungen. Das kleine Fenster wurde geöffnet und Jemand, der sich herausbeugte, fragte, wer da sei?
Vier Leute von einem Boot, die um Aufnahme bitten, rief Lindström zurück.
Der Eigenthümer schien sich zu bedenken. Meine lieben Freunde, sagte er dann mit sanfter Stimme, dies Haus ist dürftig und klein, es kann Euch wenige Gastfreundschaft gewähren.
Wir sind auch mit Wenigem zufrieden, versicherte Lindström.
Wer seid Ihr denn? fragte die Stimme nach einem neuen Besinnen.
Macht nur auf! schrie der Seemann ungeduldig. Wir wollen Euch unsern Faden schon abspinnen.
Meine lieben Freunde, erwiederte der Eigenthümer in derselben bittenden Weise, stört nicht meinen Frieden. Ich bin ein alter Mann, ein beinahe achtzigjähriger Greis. Solltet Ihr es nicht wissen, so sage ich Euch, ich bin der Pfarrer Axel Jönsson. Wenn Ihr ein Boot in der Bucht habt, so bleibt bei diesem. Es ist eine milde Nacht, in welcher der Mensch keines Hauses bedarf.
Alle Wetter! rief der Offizier lachend, er hält uns für Landstreicher oder Freibeuter.
Ehrwürdiger Herr, sagte sein Verwandter, der es für Zeit hielt sich einzumischen, Ihr Rath wäre ohne Zweifel der richtigste und beste, wenn wir gewöhnliche Seeleute wären. Dies ist jedoch nicht der Fall, obenein aber begleitet uns eine Dame, welche wir Ihrer Obhut und Hilfe empfehlen.
Eine Dame, wiederholte der Geistliche, und es sind keine gewöhnlichen Seeleute? O, ja – ja! ich höre es an ihrer Sprache. Warten Sie einen Augenblick, ich will thun, was ich kann.
Das Licht verschwand, dann knarrten die Stufen einer Treppe, harte Schritte polterten darauf.
Es lebe die Schönheit! rief Serbinoff. In dem entlegensten Winkel der Erde wird ihr gehuldigt. Selbst dieser alte zähe Priester empfindet ihre Macht und eilt herbei, ihr seine Thür zu öffnen.
Dafür, erwiderte Ebba, will ich auch die Erste sein, ihm zu danken, und die Kappe ihres Mantels vom Kopf nehmend, trat sie auf die Schwelle, eben als die Thür sich aufthat. Der Lichtschein fiel in ihr anmuthiges Gesicht, allein die Wirkung entsprach nicht ihren Erwartungen. In seinen groben langen Rock gehüllt, stand der alte Priester, das Licht vor sich ausgestreckt, und starrte das schöne Fräulein an, als erblickte er etwas Schreckliches. Klein und ausgedörrt von Gestalt, fiel sein langes weißes Haar bis auf seine Schultern nieder. Doch in seinen faltigen verwitterten Zügen schien das Blut lebendig zu werden und seine weit geöffneten Augen blieben vor Bestürzung oder Erstaunen so unbeweglich, als er selbst.
Wir haben Sie erschreckt, ehrwürdiger Herr, sagte Ebba. Vergeben Sie unser störendes Eindringen.
Wir kommen von Stockholm, fiel ihr Bruder ein, die Nacht hat uns überrascht. Ich bin der Kammerherr Baron von Bungen. Diese Dame ist meine Schwester. Diese Herren sind meine Freunde. Gewähren Sie uns ein Obdach, Herr Jönsson, wir werden Ihnen dankbar sein.
Der Greis verbeugte sich und während er seine Gäste beleuchtete, wurde sein Gesicht mild und demüthig. Er zweifelte nicht daran, daß sie die seien, für die sie sich ausgaben. Ihre Gestalten und Mienen sagten ihm eben so wohl, wie ihre modischen Kleider, daß sie zu der oben stehenden Gesellschaft gehörten. Die Herren in ihren weiten Überwürfen von niederländischem Tuch mit großen Stahlknöpfen, den kleinen Hüten, um welche eine Goldschnur lief, und den gebundenen zusammengerollten Haaren, sahen eben so ungewöhnlich vornehm aus, wie die stolzblickende junge Dame in ihrem reichbesetzten kurzen Mantel. Sein starres Erstaunen machte einer bittenden Freundlichkeit Platz und indem er sein Wohnzimmer öffnete, sagte er: Halten Sie meinem Alter die Unbehilflichkeit zu Gute und seien Sie willkommen in meinem armen Hause. Alles, was es bieten kann, soll Ihnen gern zu Diensten stehen.
So leuchtete er voran und die Gäste folgten ihm nach. Geschäftig zündete er noch ein schmales Licht an, das er auf einen Drahtleuchter stellte, und beantwortete dabei die Fragen, welche an ihn gerichtet wurden.
Haben Sie keine Familie, Herr Jönsson? fragte Arwed.
Ich wohne allein hier mit einer Magd, die mit mir alt geworden ist, erwiderte er. Ein Streckchen davon stehen ein paar andere Wohnungen, welche gute Nachbarn inne haben.
Dann muß es einsam genug hier sein, fuhr Arwed fort. Auch Reisende und Verirrte wie wir, werden nicht oft bei Ihnen ansprechen.
Lange Zeit ist vergangen, sehr lange Zeit, wiederholte der Greis mit seinem sanften Lächeln, seit Fremde hier einsprachen. Diese kleine Insel liegt zu entfernt von der Straße, welche Schiffe und Boote gewöhnlich berühren. Erlauben Sie, daß ich jetzt gehe und meine Dienerin benachrichtige. Sie hört ein wenig schwer und wird in ihrer Kammer sitzen, ohne etwas von Ihrer Ankunft zu wissen. Wir wollen sorgen, was wir Ihnen vorsetzen können, aber – es schien ihn etwas zu überkommen, woran er bis jetzt noch nicht gedacht hatte, und während er verlegen vor sich niederblickte, fuhr er leiser fort: Sie werden Nachsicht haben müssen, es wird wenig sein – sehr wenig, denn unser Leben ist genügsam; doch, fuhr er muthiger fort, Sie werden in der Hütte der Armen keine reichbesetzte Tafel suchen. Ein wenig Hammelfleisch, ein paar Fische, auch Brod – ich glaube nicht, daß Karina mehr in ihrem Schranke besitzt; nein, ich glaube wirklich nicht.
Er bot seine kleinen Vorräthe mit liebenswürdiger Güte an, während Arwed's Augen durch das Zimmer schweiften. Es war niedrig, seine Holzwände schienen einmal blau angestrichen, was freilich schon lange her sein mußte. Allein es sah doch reinlich darin aus. Ein Tisch von Fichtenholz stand in der Mitte, schwerfällige Stühle aus demselben Stoff und ein großer brauner Schrank bildeten das übrige Geräth. An den Wänden, nahe der Decke, liefen Bretter hin, auf denen Bündel trockener Pflanzen und Kräuter lagen; auf dem Schrank aber stand die Bibliothek des Pfarrers, eine bescheidene Zahl dunkler und vergilbter Bücher und Hefte. Alle diese Schätze musterte der Kammerherr mit scharfen raschen Blicken; sie besaßen jedoch weit weniger Anziehungskraft für ihn, als die Reihe Tassen, Gläser und Geschirre, welche er über dem niedern Herd in der Ecke neben der Thür entdeckte. Irre ich nicht, rief er erheitert, so erblicke ich dort ein Ding, das wie eine Theekanne aussieht?
Es ist eine solche, erwiederte der Pfarrer, der sie mit dienstfertiger Hast herunter holte. Als ich zum letztenmal in Abo war, ja damals vor fünfzehn Jahren, als unser glorreicher König Gustav die große Berathung der Geistlichkeit in Abo über Kirchenverbesserung halten ließ und Bischof Wallquist, der Staatssecretär, selbst zu uns kam, damals habe ich sie gekauft. Allein, fuhr er sich besinnend zögernd fort, Thee, meine lieben Herren, nein, damit wird es nichts sein. Meine guten Nachbarn bringen mir zur Winterzeit wohl dergleichen vom Krämer aus Satingo mit, doch jetzt – ich fürchte wirklich – er lächelte demüthig vor sich hin.
Sorgen Sie nicht darum, ehrwürdiger Herr, fiel Ebba ein. Wir sind mit Thee und Speisen hinlänglich versorgt. Alles, was wir bedürfen, beschränkt sich auf heißes Wasser.
Herrliches, wohlschmeckendes, süßes Wasser besitze ich in Fülle! rief der alte Priester voller Freude, daß er etwas zu geben hatte, das er rühmen konnte. Durch Gottes Güte haben wir einen so schönen Quell in der Nähe, wie er weit umher nicht gefunden wird. Karina soll den großen Kessel sogleich aufsetzen. Als er sich mit diesem Versprechen entfernt hatte, brach die Belustigung der Gesellschaft über die verschwenderische Großmuth des Pfarrers und über ihre eigenen Bedrängnisse los.
Auf mein Wort! lachte der Baron, der alte Graf Fersen, der die beste Tafel in ganz Stockholm führt, hätte uns seine feinsten Weine nicht lüsterner empfehlen können.
Welch ein Glück, daß der glorreiche König Gustav die finnische Geistlichkeit nach Abo berief, fiel Serbinoff ein. Würden wir sonst eine Theekanne hier gefunden haben?
Ein prächtiger alter Bursche! rief der Seeoffizier. Bei diesem vortrefflichen Wasser und der gesunden Luft dazu, ist er ausgetrocknet wie ein October-Häring.
Richten wir uns ein, sagte Arwed, und lege ein Jeder Hand an's Werk, um diese Hütte in einen Feenpalast zu verwandeln. – Ich hoffe, unsere Abenteuer werden uns noch lange Stoff zum Lachen geben.
Dienen wir unsrer schönen Gebieterin und erfüllen wir ihre Befehle, erwiederte Serbinoff. Sollen wir die Sessel, Decken und Geräthe aus dem Lugger holen?
Den Speisekorb nicht zu vergessen, rief Arwed.
Und die Flaschen vor allen Dingen! fügte Lindström hinzu.
Unter Lärm und Gelächter wurde Serbinoff's Vorschlag verworfen und mit dem Frohsinn der Jugend und der übermüthigen Sicherheit des Reichthums, der sich daran ergötzt, einmal des Spasses wegen die Entbehrungen der Armuth zu theilen, der Beschluß gefaßt, sich mit den vorhandenen Bequemlichkeiten zu begnügen. Die jungen Männer vereinigten sich, den breitesten dieser plumpen Holzschemel mit Seegraskissen zu polstern, dann führten sie Ebba im Triumph zu diesem Throne der Schönheit und nun eilte Lindström in die Bucht hinab und kehrte von zwei Männern begleitet zurück, welche den Korb mit allen Resten des Schiffsproviants, sammt Weinflaschen und Arrak trugen. – Bald war die Tafel geordnet und als Alles bereit war, schleppte die taube Magd einen Eisenkessel voll dampfenden Wassers herbei, das jubelnd empfangen, sich nach wenigen Minuten in Thee, Grog und Punsch verwandelte. Die Theekanne, Gläser und Tassen des Pfarrers und seine grob bemalten irdenen Teller, welche manches Jahr in ihren stillen Winkeln ein beschauliches Dasein verträumt hatten, wurden zu ihrem Erstaunen herunter geholt und zum Klingen und Springen genöthigt; endlich aber erhöhte Karina abermals die Lust, welche sie nicht begreifen konnte, durch einen hölzernen Korb voll harter Brodkuchen und eine Schüssel voll geräucherter Flundern und Makrelen. Über alle diese Leckerbissen waltete das schöne Fräulein als sorgsame Wirthin und die arme Hütte, die trüben Binsenlichte, sammt allen andern Schattenseiten dieser Irrfahrt waren vergessen.
Erst nach einiger Zeit fiel es der frohen Gesellschaft ein, daß der greise Hausherr bei ihrem Mahle fehlte. – Ein seltsamer alter Kauz ist es jedenfalls, sagte der Seemann. Als ich aus der Bucht zurückkehrte, stand er oben in seiner Kammer am Fenster und sah so still und starr in die Nacht hinaus, als wolle er Eulen fangen.
Er ist christlich arm und demüthig, meinte der Kammerherr, und hat aus Bescheidenheit sich zurückgezogen. Schwerlich hat er jemals in seinem Leben andern Besuch gehabt, als von Fischern und ähnlichen Burschen.
Er scheint zu der Klasse von Narren zu gehören, spöttelte Serbinoff, die mit der besten Laune Alles genießen, was der Herr ihnen gegeben, und ihm so dankbar dafür sind, daß sie ein patriarchalisches Alter erreichen.
Ebba nahm sich des verlachten Greises an. Er sieht so ehrwürdig und gut aus, sagte sie, daß ich gewiß bin, er kann uns Alle mit seinen Tugenden beschämen. Wenn er uns erzählen wollte, was er sein langes Leben über gethan, würden wir dies ein reiches und thatenvolles nennen müssen, dem jeder nacheifern sollte, so viel er vermag.
Ein neues Gelächter antwortete ihr. Wir wollen ihn rufen lassen, erwiederte Arwed, er wird wenig genug zu erzählen wissen. Du sollst erfahren, kleine Schwärmerin, wie er sein eintöniges Dasein hingebracht hat; allein ich sage es dir im Voraus, es wird nichts darin sein, was selbst für dich des Bemerkens werth wäre. Unser Besuch, fuhr er dann fort, soll aber wenigstens für ihn, so lange er noch lebt, ein Quell freudiger Erinnerungen bleiben. Wir wollen ihn speisen und tränken, und wollen ihn achten und ehren, wie sein Alter und seine Tugenden es verdienen. Geh' hin, Gustav, und bitte ihn, unser Mahl und unsre Gesellschaft zu theilen.
Ich will ihn in aller Höflichkeit aus seinem Neste holen, lachte der Seemann. Vielleicht weiß der alte Bursche uns dafür mit einigen alten Geschichten und Schnurren aufzuwarten.
Bald darauf kehrte er mit dem Pfarrer zurück, den er in der obern Kammer vor einer Kiste gefunden hatte, in welcher er umher suchte. Als der Greis die Thür öffnen hörte, richtete er sich auf und steckte etwas in seine Tasche, das Lindström nicht erkennen konnte. Bescheiden dankte er für die Einladung und ging hinab zu seinen Gästen, die ihn zuvorkommend empfingen. Arwed rückte ihm selbst einen Stuhl an seine Seite, der junge Offizier mischte ihm ein großes Glas Portwein, Serbinoff schob die Flasche mit dem Arrak vor ihn hin und Ebba bot ihm Thee und Speisen, auch dankte sie dabei mit herzlichen Worten für seine Güte und seinen Beistand.
Wenn die muntern Herren jedoch die Meinung hegten, mit diesem demüthigen alten Mann sich belustigen und Scherze treiben zu können, so hatten sie sich geirrt. Er war mild und furchtsam in seinem Wesen, lächelte sanftmüthig zu ihren Äußerungen, die ihn heimlich aufziehen sollten, zu ihren Witzeleien, deren Sinn er vielleicht nicht verstand; allein was er sagte blieb immer verständig und ohne zu wollen, gab er manche Antworten, welche treffend genug ihn vertheidigten. Dabei sah er sich von der schönen Dame unterstützt, die zu seinem Beistand immer bereit war, und deren Blicke und Mienen so viele Theilnahme und Wohlwollen ausdrückten, daß er mit dankbarer Freudigkeit oft lange seine Augen auf ihr ruhen ließ.
Sie leben jedenfalls geraume Zeit schon an diesem abgelegenen Orte? fragte der Kammerherr nach einer Weile.
Länger als ein halbes Jahrhundert, antwortete er.
Wie haben Sie diese Abgeschiedenheit ertragen können? fuhr Arwed fort. Sind Sie hier geboren?
Auf Notö, einer anderen kleinen Insel, welche näher an der finnischen Küste liegt.
Aber Ihrem Namen nach, sind Sie nicht vom finnischen, sondern von gutem schwedischen Blut, fiel der Offizier ein.
Alle Menschen sind Gottes Kinder, erwiederte der alte Mann sanft lächelnd. Ich freilich bin von schwedischer Abkunft, wie manche Andre, die hier wohnen. Seit die See einst diese große Einspülung bildete und mehr als tausend kleine Fels- und Landbrocken übrig ließ, haben sich nach und nach viele schwedische Familien hier angesiedelt.
Die Ureinwohner der Alandinseln sind also nicht von schwedischem Stamme? fragte Serbinoff.
Nein, mein Herr, es sind Finnen, und vor der Zeit Erich des Heiligen sollen diese Inseln ein eigenes freies Reich gebildet haben.
Einen Seeräuberstaat, sagte Arwed. Es waren die ärgsten Räuber in der Ostsee, und diese zahllosen Felsnester und Schlupfwinkel ganz dazu geschaffen, um sich und ihre Beute zu verbergen.
Zu ihnen kam jedoch auch die heilige Lehre Christi am frühesten und machte sie besser und menschlicher, fiel der alte Pfarrer ein. Als in Finnland und Carelien noch Jahrhunderte lang blutgierige Heiden hausten, wurde hier das göttliche Wort schon gepredigt, und die frommen Könige Schwedens bauten Kirchen und Bethäuser. Auch die kleine Kirche, welche mir anvertraut ist, stammt aus dieser eifrigen Zeit.
Dafür, lachte Arwed Bungen, haben diese frommen Könige auch immer die Alandinseln als eine Art Kammergut betrachtet, mit deren Einkünften sie ihre Prinzen ausstatteten.
Ein treuer und anhänglicher Sinn ist überall zu finden, erwiederte der Geistliche. Große Herren aus reichen und mächtigen Familien sind auf diesen meist sehr dürftigen kleinen Landstückchen nicht angesessen, doch niemals hat es hier Verräther gegeben, die mit den Landesfeinden sich eingelassen und ihres Königs Macht und Leben bedroht hätten.
Der Kammerherr lächelte und blickte seinen Freund Serbinoff an, der einen scharfen Blick auf den alten Mann warf. Der junge Seemann aber rief lebhaft: Es ist wahr, unsre besten Matrosen kommen von den Alandinseln, und wo es je gegolten hat zuzuschlagen, sind sie immer mit voran gewesen. So rauh und unfruchtbar diese Klippengewinde sind, steckt doch ein Schatz für uns darin. Was sollten die guten Hausfrauen in Stockholm anfangen, wenn die kecken Burschen nicht ihre Küche mit den besten Fischen und ihre Öfen mit dem besten Holze versorgten?
Arwed unterbrach dies Gespräch, das ihm nicht zu behagen schien, mit der Frage an den Pfarrer, ob er immer so allein gelebt habe?
O, nein! erwiederte dieser sanftmüthig den Kopf schüttelnd, ich hatte eine liebe gute Frau, hatte auch zwei schöne Kinder. Der Herr hat sie zu sich genommen, und ich warte nun, bis er mich wieder mit ihnen vereint.
Erzählen Sie uns etwas aus Ihrer Lebensgeschichte, Herr Jönsson, sagte der Baron. Alt wie Sie es sind, müssen Sie Manches zu berichten wissen.
Mein Leben, erwiederte der Greis demüthig, ist so still verlaufen, daß ich wenig davon zu erzählen weiß. Mein Vater war Kirchenmann in Notö, meine Mutter trieb einen Kramhandel, ich selbst hatte von jung auf die Sehnsucht, einmal ein Diener Gottes zu werden, und ich wurde darin bestärkt durch den alten Pfarrer in Notö, der mich lieb gewann und mich unterrichtete. Mit seiner Hilfe gelang es mir die Schule in Abo zu besuchen, während dessen aber rief ihn der Tod ab, und seine Tochter, mit der ich aufgewachsen, fand eine Zufluchtstätte bei meiner Mutter. Als ich mein Studium beendigt und meine Prüfung bestanden hatte, machte es sich, daß ich bald auf dieser entlegenen Außeninsel mein jetziges Amt erhielt. Es war ein geringes Einkommen damit verbunden, darum meldeten sich wenige Bewerber, allein es genügte, daß ich meine liebe Natta hierher führen konnte und Gottes Güte war mit uns. Zwanzig Jahre voll Glück und Frieden habe ich hier mit ihr verlebt. Niemals haben wir Noth gelitten, immer hat der Herr uns Zufriedenheit und Herzensstille geschenkt.
Und wie ertrugen Sie es, als Ihnen dies Glück genommen wurde? fragte Ebba voll mitleidiger Theilnahme.
Warum wurden Sie nie an einen andern bessern Platz versetzt? rief Arwed zu gleicher Zeit.
Ich hatte es einigemale versucht, erwiederte der Pfarren, allein es gelang mir nicht. Später als Natta und meine Kinder mich verlassen hatten und man mir eine andere Stelle anbot, schlug ich diese aus. Wohin sollte ich gehen? Ich mochte mich nicht mehr von diesem armen Hause trennen, das all mein Glück gesehen hatte, und dann, mein liebes Fräulein, sagte ich mir, daß ich Gottes Schickungen standhaft ertragen müsse, als ein Mann und als ein Christ, gehorsam Seinem Willen und andern Mühseligen ein Beispiel. – Und gnädig hat Er mich geleitet auf allen meinen Wegen! fuhr er freudig fort. – Noch bin ich rüstig bis in mein hohes Alter. Wenn Seine Hand mich schlug hat sie mich auch gesegnet und mir manche Freude geschenkt. Meine Gemeine liebt mich wie einen Vater, die Geplagten wie die Glücklichen kommen zu mir und öffnen mir ihre Herzen, in Freude und Leid suchen sie mich. So gehen meine Tage hin. Zur Sommerzeit erfreut mich mein Gärtchen und mein kleines Feld. Ich kenne jede Knospe und jeden frischen Halm und meine Augen sind noch so klar und stark, daß ich manche Schrift und manches Blatt lesen kann, welche ich mir für den Winter aufspare.
Aber fühlen Sie nicht dennoch zuweilen die Qualen der Einsamkeit, die Ungeduld der Ermüdung, die Unzufriedenheit mit solcher Abgeschiedenheit von aller Welt? fragte der Baron.
Muthig im Glauben und geduldig im Vertrauen sollen wir Alle sein, sagte der Greis mit seinem stillen Lächeln. Wer aber in diesem einsamen Lande wohnt, wo die Meisten mit einer harten Natur und harten Schickungen um ihr täglich Brod ringen, der darf nicht zweifeln und nicht verzagen. Nein, ich habe niemals Ermüdung und Verlassenheit empfunden. Wenn mein Herz seine schwachen, schweren Stunden hatte, habe ich es aufgerichtet durch Glauben und Vertrauen. Die in der großen Welt leben, setzte er mild hinzu, umringt von vielen andern Menschen, mancher irdischen Hilfe nahe, die wissen nicht wie in Einsamkeit und Verlassenheit der Glaube an Gottes allmächtige Nähe ein Hort ist, der ihnen große Kraft verleiht.
Ich kann es wohl denken! rief der Kammerherr, und um seine Lippen zuckte ein verächtliches Lächeln. Dieser Glaube hat von jeher Wunder gethan, dennoch aber muß ein strebsamer, geistigregsamer Mensch in solcher Lage oft nicht wissen, was er beginnen soll, und an der Eintönigkeit eines solchen Daseins verzweifeln.
Nicht wissen, was er beginnen soll? erwiederte der alte Pfarrer lebhafter, denn der starke Wein regte ihn an. O! mein lieber Herr, ich habe sehr viel zu thun, kein Tag vergeht mir ohne Arbeit. Wenn das Wetter es erlaubt, besuche ich meine Nachbarn weit umher auf allen den kleinen Inseln, wo oft nur eine Familie oder auch zwei oder drei wohnen. Zur Winterzeit kommen sie zu mir und der Versammlungsort für Alle ist dann die Kirche, welche ein halbes Stündchen von hier am Strande liegt. Dort sehen und sprechen sich dann alle fernen und nahen Freunde, da wird berathen und abgethan, was Jeder dazu aufsparte, und wenn das Wetter nicht gar zu wild ist, die Schneestürme und das eisige Meer nicht gar zu arg wüthen, bleibt so leicht Keiner zu Haus.
Und was thut der Herr Pfarrer, wenn die Schollen draußen aneinander rasseln und bersten, oder Schnee und Eis, Nebel und Finsterniß sich zu einem schrecklichen Brei zusammenrühren und das Tageslicht kaum eine Stunde dauert? lachte der Seemann.
Ei, mein lieber junger Herr, sagte der alte Mann, auch dann gibt es nicht selten viel für mich zu thun. Es kommt wohl, daß ein armer Leidender mich begehrt, der unter Schmerzen auf seinem Lager liegt, und ich mache mich auf und habe unter Gottes Schutz wohl manches Mal in Nebel und Nacht bei dem Krachen des Eises und dem Donner der See einen schlimmen Weg zurückgelegt. In diesem Lande gibt es auf viele Meilen keinen Arzt, so thue ich denn auch als solcher was ich vermag. Und damit, fuhr er fort, seine freundlichen Augen hell und groß aufmachend und glückselig lächelnd, habe ich manchen Trost und manche Hilfe gebracht. Sehen Sie dort oben auf den Brettern die Kräuter und Pflanzen, welche ich in der Sommerzeit sammle. Durch Gottes Hilfe gedeiht auch hier allerlei Heilsames, das kranken Menschen wohl thut. Meine gute Karina reinigt und trocknet die Blätter, Blumen und Wurzeln und wir bereiten daraus Wundbalsam und Frostsalbe, Mittel gegen Fieber und Gliederschmerzen. Da laufe ich an guten Tagen, suche umher in Wald und Felsspalten, die Kinder begleiten mich, helfen mir und ich lehre sie Manches verstehen und begreifen, was sich ihren jungen Gemüthern einprägt. So vergeht meine Zeit sehr schnell und das ist mein Leben. Arm und gering zwar, allein wir können ja nichts thun, als getreulich erfüllen, wozu uns der Herr bestimmt hat.
Nein, ehrwürdiger Mann! rief Ebba, bewegt von dieser Herzensmilde, Ihr Leben ist weder arm noch gering zu achten, denn es ist der edelsten Menschenliebe geweiht. Welche Entsagung, welche Opferfreudigkeit gehören dazu! Keine große Sache ist es, fuhr sie lebhaft fort, wenn wir den Bedrängten von unserm Überfluß geben, Sie aber, der Sie Ihr ganzes Dasein den Armen und Verlassenen weihen, Sie gehören zu den Helden der Menschheit, deren Thaten Niemand kennt, die aber dennoch in Gottes Buch leuchtend aufgezeichnet stehen.
Sie reichte ihm in schöner Begeisterung ihre Hände und der alte Priester blickte demüthig und beschämt und doch mit Innigkeit seine Freundin voll dankbarer Liebe an. – Ihr Bruder winkte dem Grafen Serbinoff zu und griff dabei nach seinem Glase. Stoßen wir darauf an, rief er, daß dieser ehrwürdige Held noch lange beglückt und beglückend weiter lebe, bis die ganze Menschheit, frei und erlöst von allen Plagen, den großen Bruderbund der Liebe geschlossen hat.
O! sagte der Greis, indem er den feurigen Wein trank und seine Augen glänzend aufhob, mein Werk wird bald vollbracht sein, aber ich werde nicht sterben ohne den Glauben mitzunehmen, daß die Menschen besser werden.
Ein vortrefflicher Glaube! rief Baron Arwed. Die gläubigsten Menschen aller Zeiten haben dafür geschwärmt, bis jetzt sind die Fortschritte aber noch immer wenig merklich geblieben.
Nicht unmerklich, nicht gering sind diese Fortschritte, bester Herr, antwortete der alte Mann freudig. Nein, nein, lesen wir nur in alten und neuen Geschichten, wie jedes Jahrhundert, jedes Geschlecht weiter gekommen ist. Unter meinen Augen habe ich es bemerken können, wie das Licht der Aufklärung, die das Licht der Wahrheit ist, an Helligkeit zunimmt, wie Aberglauben und Gewalt sich vermindern. Ja, was noch vor dreißig Jahren von den Mächtigen straflos verübt wurde, kann jetzt nicht mehr vorkommen.
Gewiß nicht! lachte der Kammerherr mit dem bittersten Spott. Sonst würde unser geistvoller und frommer König, welcher so eben den verruchten Franzosen und ihrem teuflischen Kaiser Pommern überlassen müßte, nicht so herrlich und gerecht regieren. Doch was kümmern Sie die Welthändel, Herr Jönsson, Ihr stilles und wohlthätiges Leben hat glücklicher Weise nichts damit zu schaffen. Was fragen Sie nach Reichstagen, nach Preßfreiheit, nach Verboten und Befehlen, die unser gnädigster Herr erläßt, um uns vor der sündhaften Pest revolutionärer Gedanken zu bewahren. In Ihre Verborgenheit dringt nichts davon. Gewalt und Verbrechen der Mächtigen kennen Sie nur vom Hörensagen.
Der alte Mann sah sinnend vor sich nieder und stützte sein weißes Haupt in seine Hand, bis er aufblickte und seine Augen auf Ebba ruhen ließ. Er betrachtete sie fast mit demselben Ausdruck, wie damals, als er sie zuerst sah. In seinem Gemüth schienen Erinnerungen zu arbeiten, die ihm Kummer und Furcht machten, und seine Hände zusammenfaltend sagte er leise: Dennoch habe ich diese Gewalt einst dicht in meiner Nähe gesehen und wohl muß es Gottes Wille sein, der Sie zu mir geführt hat und solche Worte in Ihren Mund legt. Ja, Sie mußten kommen, ich wußte es, als ich dies unvergeßliche Gesicht erblickte.
Einige Minuten lang blickten die Herren ihn und sich selbst verwundert an, als sie den alten Pfarrer so reden hörten. Ihre fröhliche Laune gab unwillkürlich einer ernsteren Stimmung Raum, als sie ihn näher anschauten. Etwas Geheimnißvolles und Gespenstisches lag in seinen Augen, die in ihrer Starrheit die Gedanken des alten Mannes zu begleiten schienen und sich mit Schrecken vor dem füllten, was seinem innern Schauen sich zeigte.
Wenn ich Sie recht verstehe, sagte Arwed, das Schweigen unterbrechend, so ist Einer unter uns, dessen Gesicht Sie an Vergangenes und Erlebtes erinnert und, täusche ich mich nicht, so muß es meine Schwester sein, Herr Jönsson.
Der Pfarrer nickte ihm zu ohne zu sprechen.
Aber es ist unmöglich, daß Ebba jemals früher in Ihre Nähe gekommen sein kann, fuhr der Baron fort, denn sie macht zum ersten Male eine Reise übers Meer.
Ich weiß, daß es unmöglich ist, erwiederte der Pfarrer, denn was ich Ihnen erzählen will, hat sich vor mehr als dreißig Jahren, also zu einer Zeit zugetragen, wo diese junge edle Dame noch nicht geboren war. Dennoch habe ich sie gesehen, wie dies jetzt geschieht; dieselbe feine und schlanke Gestalt, dasselbe edle und liebliche Gesicht, Zug für Zug wie damals, wo ihre Augen mich voll Angst und heißer Liebe anblickten, als ich ihre Hand in die Hand ihres Gatten legte.
Wie? Ein Ehebündniß wurde geschlossen? fragte Arwed ungläubig und verwundert. – Wo, Herr Jönsson? Hier auf dieser Insel?
Auf dieser Insel, in tiefer Nacht und unter Umständen, die mich lange Zeit mit Kummer und Entsetzen erfüllten, antwortete der alte Mann.
Ein Abenteuer! rief der junge Offizier, die Gläser füllend. Heraus damit, wir hören Alle gern dergleichen.
Erzählen Sie, Herr Jönsson, sagte Serbinoff lächelnd. Sie haben uns gut vorbereitet, um schreckliche Dinge zu erfahren.
Ja, ja, murmelte der Greis vor sich hinblickend, es soll geschehen. Niemand würde es sonst erfahren, und seine Augen zu Ebba aufhebend fuhr er fort: Ihnen will ich es erzählen, deren Anblick mich so lebhaft an jene schreckliche Nacht erinnert und deren Erscheinen in meiner Einsamkeit mir den Glauben gibt, daß ich thue was ich soll. So wahr mir Gott helfe! es ist Alles so geschehen, wie ich sage, und noch weiß ich, daß ich an jenem Abend einen Spaziergang auf die hohen Felsklippen gemacht hatte und dort die Sonne in das blutig rothe Meer tauchen und verschwinden sah. Es war kalt, denn es war am dritten November des Jahres 1772. Nach langen Regentagen war leichter Frost eingetreten, doch lag kein Schnee, wohl aber hing der Himmel voll grauweißlicher Wolken, die der hohle Wind in dunkle Wände zusammenjagte.
Das Jahr 1772 war das erste Regierungsjahr König Gustav's nach der Revolution, sagte der Seemann.
Richtig, fuhr der Pfarrer fort. Am 24. August hatte der junge König in Stockholm den Reichsrath gefangen gesetzt, dessen Gewalt zerstört und sein königliches Ansehen hergestellt. Eben damals gelangten die ausführlichen Berichte, Proclamationen und Schriften über dies Ereigniß auch in meine Abgeschiedenheit, und es war viele Freude über die That des Königs bei den armen Leuten; denn die neue Regierung versprach eine gute und gerechte zu sein, die Lasten zu erleichtern, nirgend Gewalt und Unrecht zu dulden. Die Herrschaft des hohen Adels aber, der im Reichsrathe saß und Land wie König regierte, war nicht beliebt; man hoffte jetzt von dem jungen, ritterlichen Fürsten eine neue glückliche Zeit.
Die nicht gekommen ist, fiel Arwed ein.
Gott weiß es, nein! antwortete der Greis. Mögen die es verantworten, von denen man sagt, daß sie alles Gute hinderten, die mit Ränken und Verleumdungen den König umgarnten, sich gegen ihn verschworen und ihr Vaterland den Feinden verriethen. Damals aber glaubte der größte Theil der Menschen, der junge kühne Fürst werde Schweden groß und glücklich machen, und was man von seiner Güte, seinem Edelmuth und seiner Lust zu allem Guten und Rechten erzählte, mußte die immer hoffenden Gemüther der Menschen ergreifen.
So saß ich denn auch an jenem Abende lange an dem Schranke dort und las, wie König Gustav sein Reich neu ordnete und verwaltete. Wie er viele alte Mißbräuche abschaffte, den Bedrückten zum Recht half gegen ihre Dränger, wie kein Bittender ungehört von ihm ging und wie er in der Muttersprache zu Jedermann sprach, was seit dem großen Karl kein Schwedenkönig mehr gethan hatte. Mein Herz war freudig gestimmt, und die Wehmuth meiner Seele verschwand seit langer Zeit zum ersten Male vor den Gedanken an die freudigen Hoffnungen meines Landes und Volkes. Kaum war ein Jahr vorübergegangen, seit ich meine arme Natta begraben hatte. Ich war ein einsamer Mann, allein ich vergaß meinen Kummer über die frohe Hoffnung, noch eine Zeit zu erleben, wo die Menschen auf eine höhere Stufe der Gesittung treten, Gott ähnlicher, gerechter und besser sein würden.
Während ich diesen – ach! ich weiß wohl – träumerischen Betrachtungen nachhing, war es spät geworden und draußen heulte ein Sturm, unter dessen Stößen das Haus knarrte und ächzte. Ich hörte den Donner der See, die ihre Wogen an die Klippen warf, und erkannte dankbar mein Glück, in Sicherheit vor der Wuth der Elemente zu sein. Plötzlich war es mir als würde hart an meine Thür gepocht, und es war keine Täuschung, denn die Schläge wiederholten sich; deutlich hörte ich auch meinen Namen rufen. Ich meinte nicht anders, als daß ein Fischerboot sich vor dem Sturme in die kleine Bucht geflüchtet habe, und die Männer darin, erstarrt von Kälte und harter Arbeit, Obdach bei mir suchten. Eilig ging ich hinaus und öffnete; kaum aber war dies geschehen, als ein fremder Mann hereintrat, dem mehre Andere folgten, welche Laternen trugen.
Der Fremde war in einen Pelzrock gehüllt, dessen aufgeschlagener Kragen dicht um sein Gesicht gebunden war; allein es war kein Schaafpelz, wie dieser gewöhnlich bei unsern Landleuten ist, sondern von kostbarer Verbrämung. Auf seinem Kopfe saß ein kleiner Hut mit breiter Goldtresse, den er tief in die Stirn gedrückt hatte. Sein Anblick schreckte mich, ehe ich jedoch etwas äußern konnte, sagte er im rauhen Tone:
Sind Sie der Pfarrer Axel Jönsson?
Ja, mein Herr, erwiederte ich.
Ich will mit Ihnen sprechen, folgen Sie mir, fuhr er fort, und bei mir vorübergehend trat er in dies Zimmer. Auf dem Heerde dort glimmte noch das Feuer, und indem er seinen einen Fuß auf den Rand setzte, die Kohlen zusammenstieß und die Gluth anfachte, beugte er sich nieder und wärmte seine Hände. Einer der Leute, die ihn begleiteten, kam ebenfalls herein, setzte eine Flasche auf den Tisch und entfernte sich. Der Herr sah aus wie ein Kriegsmann. Gewaltig groß und kräftig war sein Körper und seine funkelnden Augen jagten mir Furcht ein. Von seinem Gesichte konnte ich wenig erkennen, nur daß es harte strenge Züge hatte, die dem rauhen und befehlenden Tone seiner Stimme entsprachen. – Ich stand überrascht, ohne zu wissen, was ich von diesem seltsamen Besuche zu erwarten hatte; da aber einige Zeit verging, ohne daß er Miene machte, mich anzureden, ordneten sich meine Gedanken. Wahrscheinlich, sagte ich, so freundlich ich konnte, haben Nacht und Sturm Sie überfallen. Was meine schwache Hilfe vermag, steht gern zu Ihren Diensten.
Lassen Sie das, unterbrach er mich, ehe ich enden konnte. Nehmen Sie zwei Gläser von dem Brett da, öffnen Sie die Flasche und schenken Sie ein.
Ich wagte nicht ihm zu widersprechen; schweigend that ich, was er begehrte. Als es geschehen war, trat er an den Tisch, nahm das eine Glas und deutete auf das andere. Trinken Sie! sagte er.
Auf Ihr Wohl, mein Herr! sprach ich mich verneigend. Es war starker süßer Wein, derselben Art, wie dieser hier vor mir steht. Er rollte wie Feuer durch meinen Leib.
Noch ein Glas! rief er mit derselben harten Stimme und mit so befehlenden Blicken, daß meine Weigerung davor verstummte. – Nehmen Sie, es ist kalt draußen; Sie müssen warm werden, fuhr er fort.
Ohne Zweifel, sagte ich, nachdem ich getrunken hatte, liegt ein Schiff in der Nähe, mein Herr, das unter dieser Insel Schutz gesucht hat.
Ich erhielt keine Antwort, denn er ging nach dem Herd und kehrte erst nach einigen Minuten wieder zu mir zurück. Sind Sie jetzt gestärkt und erwärmt genug, um mir zu folgen? fragte er, indem er vor mir stehen blieb und mich ansah.
Ich soll Ihnen folgen, mein Herr? fragte ich. Wohin?
Um ein heiliges Amt zu verrichten.
Ist es ein Kranker oder Sterbender, der mich begehrt, war meine Antwort, so bin ich immer stark genug, um seinem Rufe zu folgen.
Um so besser! rief er nach einem kurzen Bedenken, während sein Gesicht sich wie zu einem Lachen verzog. Kleiden Sie sich an, ich gebe Ihnen zehn Minuten Zeit dazu. Nehmen Sie Alles mit, was nöthig ist, um eine Trauung zu verrichten.
Eine Trauung? fragte ich. Wo soll diese geschehen?
In der Kirche, erwiederte er. Das Brautpaar erwartet Sie.
Ich sah ihn voller Erstaunen an. Wenn ich eine solche heilige Handlung unter so besondern Umständen vollziehen soll, antwortete ich endlich, so muß ich erwarten, daß Sie dazu die nöthigen Befehle meiner kirchlichen Obern besitzen.
Er schlug an seine Hüfte, daß es klirrte. Hier ist mein Befehl! schrie er auf, dem Sie Folge leisten werden. Seien Sie verständig, fügte er dann gelassener hinzu, und fügen Sie sich ohne Widerrede, so wird Ihnen kein Leid geschehen, im Gegentheil, ich werde Sie reichlich belohnen. Sie haben nichts weiter zu thun, als die Trauung wie es Brauch ist zu verrichten. Weigern Sie sich nicht länger, es würde Ihnen nichts helfen; fragen Sie auch nicht weiter, jedes Wort ist überflüssig und gefährlich.
Er sah so finster und ingrimmig aus, daß ich ihm das Schlimmste zutraute, und da ich ohne Schutz war, aller Gewaltthat preisgegeben, suchte ich nicht länger durch offene Weigerung, sondern durch Darstellung der Schwierigkeiten ihn zu erweichen.
Wenn ich Ihren Willen auch erfüllen wollte, begann ich, so bin ich doch ohne allen Beistand. Der Kirchendiener liegt krank danieder, die Kirche ist öde und dunkel. Der Weg dahin bei Sturm und Nacht sehr beschwerlich.
Es ist Alles bereit, für Alles gesorgt, unterbrach er mich. Sie werden Beistand finden, so viel Sie bedürfen. Eilen Sie jetzt und ziehen Sie Ihren Kirchenrock an.
Sie gingen wirklich? fragte Ebba, die aufmerksame Stille unterbrechend.
Ich ging, erwiederte der Pfarrer, denn was sollte ich thun? – Nach einigen Minuten war ich bereit und folgte ihm hinaus, wo die Männer mit den Laternen warteten und uns begleiteten. Der Mond, unter Wolken verborgen, die in wilder Hast über den Himmel jagten, verbreitete ein neblichtes, mattes Leuchten. Ein heftiger Wind fegte über die Klippen und brachte feine hagelartige Schneekörner, die er in unsere Gesichter warf. Dazu begleitete uns das Brausen der See, welche ihre weißköpfigen Wogen stürmisch übereinander stürzte. Als wir an den Strand gelangten, wo der Weg zur Kirche hinläuft, bemerkte ich in der Ferne mehrere schwankende Lichter, und ich zweifelte nicht, daß sie an den Masten eines großen Schiffes brennen mußten, das zwischen den beiden Inseln Anker geworfen hatte. Ich wagte jedoch keine Frage; denn er hatte mir streng zu schweigen geboten. In seinen Pelz gehüllt, ging er vor mir her ohne Wort und Laut, wie einer der schrecklichen Riesen, die unter dem Meere wohnen und nächtlich heraufsteigen, um diese Inseln zu durchwandern, ehe die Sonne aufgeht, die sie in Fels verwandelt. Als wir die Düne erreicht hatten, hinter welcher die Kirche liegt, sah ich jedoch noch weit helleres, näheres Licht; denn das Gotteshaus war erleuchtet und schimmerte weithin durch die Nacht.
Voll ängstlicher Neugier erreichte ich es. Nein, es war kein Traum, es war Wirklichkeit und Wahrheit, obwohl mein Kopf davor schwindelte. Der alte Leuchter, welcher in der Mitte hängt, und von Sten Sture, dem frommen Reichsverweser, hierher geschenkt sein soll, war mit Kerzen besteckt; auch auf dem Altare brannten diese; allein noch mehr als dies Alles, überraschte und entsetzte mich die Versammlung, in welche ich trat. Denn alle Bänke waren mit Menschen gefüllt. Lautlos saßen sie da, graue, düstre Schatten, ihre Gesichter in Kappen verborgen, ihre Leiber in dunkle Röcke gehüllt. Alle, die ich erkennen konnte, trugen um ihre Hüften kurze Schwerter, mehrere auch hatten Pistolen in den Gürteln. Ich zweifelte nicht, daß dies das Seevolk von dem großen Schiffe sei; aber ein Zagen ergriff mich, denn in welche Hände war ich gefallen? – War dies eine Rotte Räuber oder waren es Kriegsleute und wohin gehörten sie? Friede war damals überall, und die Jahreszeit viel zu spät, um zu glauben, daß ein königlicher Kreuzer draußen liege.
Meine ängstlichen Gedanken wurden von dem Herrn unterbrochen, der mich hieher geführt hatte und der Anführer dieser Männer sein mußte; denn ich sah wohl, wie alle vor ihm wichen. Treten Sie an Ihren Platz, sagte er dicht an meinem Ohr. Thun Sie Ihre Pflicht, doch hüten Sie sich vor Allem, was nicht dazu gehört.
Die Reihen der Männer, welche den Kirchgang füllten, öffneten sich auf seinen Wink; dennoch aber blieb ich stehen, als ich wenige Schritte gethan. Mein Haar sträubte sich und mein Herz stand still vor Furcht und Bangen.
Was sahen Sie? fragte Arwed.
Eine Gruft, ein offenes Grab! murmelte der alte Mann, der mit dem Entsetzen seiner Erinnerungen in die Gesichter seiner erregten Zuhörer blickte. Der Boden im Kirchengange war tief aufgewühlt, die schweren Steine, welche ihn bedeckten, auf einen Haufen zusammengelegt. Hauen und Hacken, welche diese tiefe Grube geschaffen hatten, lagen auf der andern Seite, sammt Trümmer, Schutt und Sand, welche mühsam herausgeschaufelt waren. Warum war dies geschehen? Für wen war diese schreckliche Gruft bestimmt? Indem ich dies dachte, hob ich die Augen auf und ich erhielt eine Antwort, die in meinem geängstigten Herzen wiederhallte. Auf der vordersten Bank, dicht an dem Altare erblickte ich das Brautpaar. Welch ein Anblick war das! Umringt von den düstern, harten, in ihre Kappen gehüllten Männern, sah ich einen jungen Mann von edlen, ernsten Gesichtszügen. Er war sehr bleich, doch auf seiner hohen Stirn lag stolze Furchtlosigkeit oder Verachtung, und seine Augen blickten kühn und drohend umher. Seiner Kleidung nach mußte er von hoher Geburt sein, denn sein Rock bestand aus röthlich schimmerndem Sammet, bedeckt mit goldener Stickerei. Sein Haar war gepudert und gebunden, eine funkelnde Nadel hielt die Schleife seines Halstuches und an seinen Fingern steckten mehrere Ringe. Wie der Anblick dieses unglücklichen Mannes mich aber auch ergriff, noch viel mehr rührte und ängstigte mich die junge Frau, welche an seiner Seite saß. So voller Reiz der Jugend und Schönheit glaubte ich nimmer eine gesehen zu haben. Weiße schwere Seide umfloß ihren schlanken Leib, in ihren dunkelblonden Locken steckte ein Gewinde von blitzenden Steinen, darüber saß die grüne Brautkrone und der lange Schleier von silberdurchwirktem Stoff. In dem Augenblick, wo mich starke Arme ergriffen und mir vorsichtig über die Gruft halfen, schlug sie ihre Augen zu mir auf, und es war mir, als fülle sich ihr schönes Gesicht mit unaussprechlicher Angst und Noth. Gleich darauf aber wandte sie den Kopf zu ihrem Geliebten, und ihre Mienen drückten nun die zärtlichste Liebe und eine Begeisterung aus, welche über alle Schrecken triumphirte.
Ich war so verwirrt und betäubt von dem, was ich sah, daß ich keines Wortes mächtig die beiden Gestalten mit gefalteten Händen und starren Blicken anschaute. Sie kamen mir vor wie Engel des Lichts, die von Dämonen gepeinigt wurden, und waren sie nicht Märtyrer für den schönen Glauben ihrer Seelen? War diese Gruft nicht für sie bestimmt? Sollte nicht eine entsetzliche Gräuelthat an ihnen verübt werden? Eine blutige Geschichte entsprang mit Gedankengeschwindigkeit in meinem Gehirn. Man hatte sie hieher geschleppt – wer, o Allmächtiger! wer es that, wußtest du allein. – Man verhöhnte sie, wie der Heiland einst verhöhnt wurde mit der Krone von Dornen, indem man sie vor den Altar schleppte, den Segen der Kirche über ihren Bund sprechen ließ, um sie gleich darauf zu erwürgen.
Gerechter Gott, rief Ebba. Was geschah?
Ich sah die verhüllten Wachen mit blanken Schwertern zu ihren beiden Seiten stehen und ich wollte meine Stimme erheben, als der grimmige Mann, der mir gefolgt war, meinen Arm zusammen preßte und mit solcher Wildheit mich bedrohte, daß ich verstummte. Was konnte ich Einsamer, Schwacher, gegen mehr als hundert Bewaffnete thun? Wie konnte ich hoffen, daß mein Widerstand, auch wenn ich mich opferte, diesen Unglücklichen helfen würde? – Ohne ein Wort streckte der Fremde den Arm nach dem Altare aus, an welchem ich meinen Platz, einnehmen sollte, und ich fand dort Alles bereit, die Decken gelegt, das Crucifix zwischen die brennenden Kerzen gestellt, Bibel und Gebetbuch davor aufgeschlagen.
So begann ich denn nach den Vorschriften der Kirche die Trauung und richtete meine heißen Bitten zu dem Gewaltigen, der allein helfen konnte, dies Paar in seinen gnädigen Schutz zu nehmen, es vor seinen Feinden zu bewahren, und ihm Glück und langes Leben zu verleihen.
Alles war still. Die düstern Gestalten verschwanden vor meinen Blicken; ich sah nichts, als die beiden Liebenden, welche Hand in Hand vor mir saßen, selig lächelnd und ihres Sieges gewiß. Mit entzücktem Tone hörte ich ihr Ja! durch die Kirche klingen und als sie die Ringe wechselten, strahlten ihre Augen wie in überirdischer Verklärung. So neigten sie sich, um den Segen zu empfangen und ich erflehte ihn aus inbrünstiger Tiefe; aber wer will Gottes Wege ermessen, wer will zweifeln, wenn er unerhört bleibt? – Kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, als ich von mehreren dieser verkappten Männer umringt und hinaus geführt wurde, wo mich ihr Anführer schon erwartete.
Sie können jetzt in Ihr Haus zurückkehren, sagte er, vorher jedoch geloben Sie in meine Hand unverbrüchliches Stillschweigen über Alles, was hier geschah. Besinnen Sie sich nicht, fuhr er in drohendem Tone fort, es möchte Sie gereuen! Geloben Sie mir, mit Niemanden darüber zu sprechen, auch keinerlei Nachforschungen anzustellen. Nur wenn Sie mein Verlangen erfüllen, werden Sie diesen Ort verlassen.
Lebendig! flüsterte eine Stimme mir zu und schaudernd sah ich auf die dunkeln Gestalten, welche wenige Schritte von uns standen, wie ich meinte dazu bestimmt, mir die Rückkehr unmöglich zu machen. Ein Stoß von einer dieser Klippen in die brüllende See und Alles war gethan. Niemand hätte viel nach dem Verschwundenen gefragt, oder wenn mein zerschellter Leichnam aufgefunden wurde, hätte man den einsamen trübsinnigen Pfarrer als einen Verunglückten, oder als Selbstmörder begraben.
Ich leistete den Eid, und als es geschehen war, drückte er ein schweres Päckchen in meine Finger. Nehmen Sie dies, sagte er, aber hüten Sie sich, Ihr Wort zu brechen. Ich würde Sie finden, wo es auch sein möchte.
O, mein Herr! erwiederte ich flehend. Gott, der Alles sieht und weiß, er sieht auch uns. Haben Sie Mitleid, erbarmen Sie sich!
Fort! unterbrach er mich mit wilder Heftigkeit, fort! Sehen Sie sich nicht um, wenn Sie leben wollen! – Er stieß mich von sich und als ich einige Dutzend wankende Schritte gemacht hatte, hörte ich ein verworrenes Geschrei, das aus der Kirche kam. – Gott, mein Gott! rief ich in meiner Herzensangst, meine Arme zu dem nächtlichen Himmel ausstreckend und auf meine Knie sinkend, schütze sie, rette sie, du Hort aller Verfolgten!
Ein Schrei, noch wilder, noch entsetzlicher, drang in mein Ohr und ich sprang auf und lief wie im Wahnsinn davon, ohne mich zu besinnen, ohne anzuhalten, bis ich endlich inne ward, daß ich weit von meiner Wohnung umherirrte! Der Sturm hatte mir meinen Hut genommen, Schnee fiel dicht auf mich nieder, als ich endlich, Fiebergluth in allen Adern, mein Haus erreichte. Es war mir, als hörte ich durch das Brausen der See den Donner der abgefeuerten Kanonen, aber von dem Schiff war nichts zu entdecken, als ich nochmals hinaus auf die Klippen lief und endlich warf ich mich auf mein Lager, verzweiflungsvoll meine Hände ringend, hadernd mit dem Allerbarmer, voll Zorn und Schaam gegen mich selbst, daß ich so schwach und elend war.
Und Sie thaten nichts zur Entdeckung des Frevels? fragte Ebba nach einer langen stummen Stille.
Drei Tage lang lag ich in meinem Bett, sagte der Greis demüthig, dann raffte ich mich auf und ging zur Kirche. Der Sonntag war gekommen, ich mußte mein Amt verwalten; dieser Gang war einer der schrecklichsten, den ich je gethan. Zitternd trat ich über die Schwelle des Gotteshauses. Meine Augen irrten scheu und suchend umher, doch nichts war zu entdecken. Die großen Steine lagen noch da, wo sie immer gelegen, jede Spur von dem, was hier geschehen, war sorgfältig entfernt. Es war als hätte ich geträumt.
Wissen Sie auch gewiß, daß es kein Traum war? fragte Serbinoff, lächelnd.
Ich befand mich allein mit dem alten Kirchendiener, fuhr der Pfarrer fort, ohne diese ungläubige Einsprache zu beachten, und ich suchte meine verstörten Sinne zu sammeln. Nur zu gut wußte ich, daß ich das Alles erlebte, zu gut, daß ich wirklich sah, was ich gesehen, und wenn ich etwa noch hätte zweifeln mögen, so erhielt ich ein anderes Zeichen der Bestätigung. Als ich an den Stühlen stand, auf denen das unglückliche Paar gesessen, schimmerte hinter der Leiste derselben etwas Weißes hervor und als ich es aufhob, erkannte ich einen Handschuh von zarter Feinheit. Ich habe ihn bewahrt bis auf diese Stunde, und er sowohl wie die Rolle mit den Goldstücken, der Blutlohn, den ich niemals anrühren mochte, sind Zeugen der Wahrheit.
Das ist entsetzlich! rief Ebba. Sie besitzen den Handschuh noch?
Hier ist Beides, erwiederte der Greis und aus seiner Tasche nahm er einen Beutel, aus welchem er zunächst einen vergilbten Frauenhandschuh, mit Silberfäden gestickt, hervorzog, dann eine Papierrolle, die zermürbt in seiner Hand auseinander brach und eine Anzahl Goldstücke auf den Tisch fallen ließ.