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Es waren zwei Königskinder, ein Musterbeispiel für eine Volksballade, geht zurück auf eine Erzählung aus dem 16. Jahrhundert. Ein edler Ritter und eine Jungfrau fein leben auf ihren Burgen, durch einen tiefen See getrennt und suchen eine Weg, zueinander zu kommen. Man nimmt Kontakt auf, schreibt sich Briefe, verabredet sich und die Geschichte nimmt ihren Lauf.
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Seitenzahl: 57
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Es ist ein Erlebnis, das ich heut erzählen will; nicht mein eigenes, es ist mir selbst erzählt worden, aber von so lebendiger Erinnerung getragen, daß ich nur hätte nachzuschreiben brauchen.
Mitte Juli war es, eine laue Sommernacht; wir saßen mit unseren Gästen auf der Terrasse unseres Landhauses, und soweit die hellen nordischen Sommernächte es gestatteten, lag um uns her der Garten schon in Duft und Dämmer; nur am Himmel über uns strahlte im Sternbilde des Perseus der prächtige Algol. Wir hatten lebhaft geplaudert, etwas philosophisch sogar, über kleine Ursachen und große Wirkungen. »Soll es doch geschehen sein«, sagte der alte Doktor, »daß nachts eine Maus über die Nase einer königlichen Geliebten gesprungen ist, und der König hat darüber eine große Schlacht verloren!«
Wir lachten; aber das steigende Dunkel löschte das Gespräch allmählich aus. Mein Vetter, der Musiker, der sich die Erlaubnis zu einer langen Pfeife ausgebeten hatte, hielt seine Augen auf den funkelnden Stern gerichtet und blies schon lange schweigend seine Rauchwolken gen Himmel. »Ja«, sagte er jetzt, wie zu sich selber, »wenn man nicht näher zusah, so war es auch nur ein Rausch – ein Räuschlein! – Meine nächsten Freunde vom heiligen Konservatorium, wo sind sie? Man soll sich in acht nehmen; es liegt uns überall im Wege!«
»Was faseln Sie da, Fritz?« frag unser Doktor leise.
»Ich fasele nicht, lieber Doktor, aber es ist so wunderbar um uns; man möchte den Toten einmal Gehör geben; ich hab es Ihnen vor Jahren, da es mich eben stark geschüttelt hatte, auch wohl schon erzählt!«
Der Doktor schwieg einen Augenblick. »Das mit dem jungen Marx?« sagte er dann.
Mein Vetter nickte.
»Sie haben recht, Fritz, und wenn die Erinnerung Sie drängt, so erzählen Sie es jetzt auch den andern; ich mein, es ist jetzt eine rechte Stunde, und ein gutes Gedenken könnte, wenn man so sagen dürfte, auch denen wohltun, welche nicht mehr sind.«
»Wollen wir das annehmen!« erwiderte Fritz, und da auch wir anderen in ihn drangen, so begann er:
»Schon fast zwei Jahre war ich auf dem Konservatorium in *** gewesen, da wurde es mir eines Tages klar, daß für hochbegabte Musiker dort vielleicht sehr viel, für Leute meines Schlages aber trotz der besten Musik, die dort gemacht wurde, verzweifelt wenig zu holen sei; denn eine feste, das Ganze beherrschende Methode der Technik fehlte dem Klavierunterricht dort zu jener Zeit – das ist auch heute noch meine Ansicht, und die Anstalt war seit mehreren Dezennien unter der Direktion eines alten Herrn geblieben, der als Klavierlehrer nur die anstellte, die ihm von den besten Sachkundigen nicht empfohlen waren. Jetzt mag das alles ja ganz anders sein.
Damals aber – nach Beratung mit Gleichgestimmten und nach eingeholter väterlicher Erlaubnis – ging ich Ostern 187* nach Stuttgart, wo die Hochschule der Musik unter Faißts Direktion und mit der Lebert-Starkschen Methode viele Schüler hinzog; zumal auch Liszt – so hieß es – wesentlich nur dort Gebildeten sich musikalisch annahm. Bald war ich geprüft und aufgenommen und hatte Silberburgstraße Nr. 21 bei einem nachdenklichen Schneider meine Wohnung eingerichtet; die Möbelausstattung war etwas dürftig, aber das Zimmer recht groß, und das Pianino, das ich rasch gemietet hatte, klang in dem leeren Raume prächtig.
Noch entsinne ich mich des Morgens, da die erste Stunde für Harmonielehre bevorstand; ein grimmiges Gewitter entlud sich über der Stadt; mir war, als hätte ich solche Donner zuvor noch nie gehört. Ich stand in Zweifel, ob ich gehen sollte; denn ich besaß keinen Regenschirm. Endlich ließ es nach, und ich machte mich auf den Weg. Ein etwas unzufriedener Blick des Lehrers empfing mich bei meinem Eintritt: an ein Zuspätkommen schien man hier nicht gewöhnt zu sein.
In derselben Reihe mit mir saß ein junger Mann, dessen schönes Antlitz während des Vortrages unwillkürlich meine Aufmerksamkeit auf sich zog; unter dunkelgelocktem Haar wandten zwei milde braune Augen sich ein paarmal zu mir. Als wir nach dem Ende des Unterrichts auf die Straße getreten waren, regnete es wieder. »Sie haben keinen Schirm«, sagte er freundlich, indem er auf mich zukam; »wo wohnen Sie? Ich werde Sie nach Hause bringen!«
Ich dankte ihm, und wir gingen unter seinem Schirm meiner Wohnung zu; unterwegs erfuhr ich, daß er der Sohn eines Musikdirektors aus Basel sei, dessen Namen ich später mehrfach in Werken über Musik getroffen habe. Aus seinem Antlitz wie aus seinen Worten sprachen Güte und Verstand; ich fühlte, ich sei bei einem Überlegenen, der gleichwohl diese Eigenschaft mir gegenüber nur gebrauchen werde, mir zu helfen, mich zurechtzuweisen. Und so geschah es auch; obwohl ihm später viel Fertigere zur Wahl standen, er spielte am liebsten doch mit mir; ich sah es bald, wie alle, die ihm näherstanden, ihn verehrten.
Aber« – unterbrach sich der Erzähler –»ich muß um Nachsicht bitten, daß ich bei ihm verweile, denn von einem andern wollte ich erzählen; es ist nur – er ist nach einem kurzen Glücke jung gestorben, und die Leere, die mir sein Tod gelassen, empfinde ich noch immer.
Da wir schon meiner Wohnung nahe waren, kam aus einer Nebengasse mit nervöser Hastigkeit, mit stapfigen Schritten ein junger Mann auf uns zu, von gelblicher Gesichtsfarbe und schlichtem schwarzem Haar; seine dunkeln Augen, die er forschend auf mich richtete, schienen fast zu zittern. »Auch ein Konservatorist!« flüsterte mein neuer Freund mir zu; »der Vater ist ein Schwabe, der als angesehener Gelehrter in Metz lebt; daß wenigstens seine Mutter eine Französin ist, sehen Sie wohl selbst.«
Indessen stand er vor uns. »Ah, Walther!« rief er, »wen schleppst denn du da mit dir durch die Stadt?« Er zog seinen kleinen Hut, der, wie seine übrige Kleidung, recht durchnäßt war; denn auch er trug keinen Schirm.
»Kommen Sie, bis der Regen nachläßt, mit in meine Wohnung« sagte ich, ihn begrüßend, »da können wir Bekanntschaft machen, denn auch ich gehöre zu Ihrem Orden.«
Er warf flüchtig den Kopf zu mir herum: »Haben Sie denn auch die Nerven zu dem alleinseligmachenden Anschlag mitgebracht? Es kommt hier auf ein Menschenleben nicht groß an!«
»Ich hoffe«, sagte ich lachend; dann stiegen wir die drei Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Der Halbfranzose beguckte, lebhaft mit seinen Fingern spielend, die Bilder vom verlorenen Sohn, die nebst König und Königin an der Wand hingen, sah dann durch Seine Brille aus dem Fenster in den noch tröpfelnden Regen, dabei unterweilen den Kopf nach mir zurückwendend; dann trat er plötzlich zu mir, musterte meine lange Figur von den Fußspitzen bis zu meinem blonden nordischen Haupte und sagte lebhaft: »Sacré nom de Dieu, Walther! Wo hast du diesen Senfkerl eingefangen?«
»Was bin ich?« Ich wollte schon aufbrausen, aber Walther trat dazwischen: »Wir haben ein gelindes Rotwelsch unter uns: Senfkerl, Senfmädchen ist bei uns der Superlativ vom Allerbesten, und Marx oder alias Lavendel – denn er kann nicht ohne Wohlgerüche leben – redet gern in diesem Idiom. Darüber dürfen Sie ihm nicht zürnen, er ist mein guter Freund!«