Evi vom Waldhof - Hans Ernst - E-Book

Evi vom Waldhof E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Die geheime Spannung, die von jeher zwischen dem hoch über dem Dorf liegenden Waldhof und dem Försterhaus bestand, wird zur offenen Feindschaft, als man Matthias, den Waldhofersohn, beim Wildern ertappt und etwas Schreckliches passiert. Dieses Ereignis scheint auch die zart keimende Liebe zwischen dem Forstassistenten und Evi, der Tochter des Waldhofer, endgültig zunichte gemacht zu haben. In dem an Spannung und Dramatik reichen Roman erzählt Hans Ernst mit guter Kenntnis von Land und Leuten, wie wahre Liebe am Ende doch siegt.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2003

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Michael Wolf, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN 978-3-475-54742-3 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Evi vom Waldhof

Die geheime Spannung, die von jeher zwischen dem hoch über dem Dorf liegenden Waldhof und dem Försterhaus bestand, wird zur offenen Feindschaft, als man Matthias, den Waldhofersohn, beim Wildern ertappt und etwas Schreckliches passiert. Dieses Ereignis scheint auch die zart keimende Liebe zwischen dem Forstassistenten und Evi, der Tochter des Waldhofer, endgültig zunichte gemacht zu haben.

In dem an Spannung und Dramatik reichen Roman erzählt Hans Ernst mit guter Kenntnis von Land und Leuten, wie wahre Liebe am Ende doch siegt.

Es war zur Zeit der Schneeschmelze, als der Förster Reintaler sich humpelnd auf die Ortschaft Stranz zubewegte. Das war gegen halb sechs Uhr früh in rabenschwarzer Märzfinsternis. Wenn er den rechten Fuß aufsetzte, stöhnte er und verzog vor Schmerz das Gesicht und es wäre besser gewesen, wenn er einen der beiden Ärzte herausgeläutet hätte, denn er war oben am Waldrand in ein Fuchseisen getreten. Das hätte einem Mann wie ihm zwar nicht passieren dürfen und darum genierte er sich auch den Doktor aufzusuchen. Oder war das mehr eine Vorsichtsmaßnahme, damit es geheim blieb und der Bursche nicht gewarnt wurde, der das Fuchseisen aufgestellt hatte? Der Kerl musste überführt werden, dann würde es vor Gericht eine klare Abrechnung geben!

In dem sauber gepflegten Ort schliefen die meisten Leute wohl noch. Nur in den Bauernhäusern brannte Licht, auch beim Bäcker Prankl und beim Schoberwirt. Soeben wurden auch die hohen schmalen Fenster der Herz-Jesu-Kirche hell und eine Glocke begann dünn in den dunklen Föhnmorgen hinein zu läuten.

In der fünften Bank rechts war der angestammte Platz der Försterei, keine rühmenswerte Reihe übrigens, wenn man bedachte, dass der Förster immerhin zu den wenigen Honoratioren gehörte, die Stranz überhaupt aufzuweisen hatte. Immerhin war er froh, den Stuhl erreicht zu haben und sich niedersetzen zu können, denn sein Fuß schmerzte ihn jetzt höllisch. Das Gewehr lehnte er an der Seite gegen den Fahnenring und dann verschränkte er die Hände im Schoß, spürte den Schmerz stechend bis über das Knie heraufziehen und dann wieder zurückfluten bis zum Knöchel. Der Mesner kam und zündete die Kerzen am Altar an, ein paar Frühaufsteher schlichen herein und knieten sich in ihre Bänke. Zuweilen streifte den Förster ein neugieriger Blick, denn es war doch ungewöhnlich, ihn an einem ganz normalen Werktag hier zu sehen. Sonntags, ja, da konnte man ihn schon zum Hochamt gehen sehen, begleitet von seiner schlanken dunkelblonden Frau, die noch so jung aussah, dass man ihr keineswegs einen erwachsenen Sohn zugeordnet hätte. Aber vielleicht hatte er etwas auf dem Herzen und vor dem Herrgott abzubitten: Er war als sehr streng bekannt und es konnte durchaus sein, dass auch so ein Herr einmal ein Unrecht einsah und dann lieber vor dem Herrgott Abbitte leistete als vor dem, dem er Unrecht getan hatte, denn er war ja schließlich der Herr Förster, der sich nicht bloßstellen durfte.

Der Förster Reintaler aber hatte niemandem etwas abzubitten, er war auch weniger des Betens wegen in die schlecht beleuchtete Kirche gekommen, sondern eigentlich nur, weil er sich irgendwo hinsetzen musste. Da er aber nun doch schon einmal hier war, kniete er auch nieder, als der Pfarrer mit den Ministranten aus der Sakristei trat und die Frühmesse begann.

Immer wieder fasste Reintaler an den schmerzenden Knöchel. Nein, Blut spürte er nicht, aber eine immer dicker werdende Schwellung. Vielleicht musste der mit Lammfell gefütterte Stiefel an der Seite aufgeschnitten werden, damit er den Fuß überhaupt herausbrachte.

Dann stellte sich heraus, dass es besser gewesen wäre, wenn er sich nicht zu einer Rast niedergesetzt hätte, denn als er nach dem Schlusssegen aus seiner Bank treten wollte, knickte er fast zusammen. Notgedrungen musste er warten, bis sich die Kirche geleert hatte und er dann, sein Gewehr als Stütze benutzend, nur unter Mühen davonhumpeln konnte. Inzwischen war es schon so hell geworden, dass es ihm ratsam schien, nicht mitten durch Stranz zu gehen, sondern außen herum, wo ihn niemand sehen konnte. Das Forsthaus lag etwas außerhalb des Ortes am Waldrand, und obwohl der Weg von der Kirche bis dorthin normalerweise höchstens zehn Minuten betrug, brauchte der Förster Reintaler an diesem Morgen eine gute halbe Stunde.

Im Haus war noch alles ruhig. Seine Frau konnte ihn auch noch gar nicht erwarten, denn er hatte ihr beim Weggehen gesagt, dass es zehn Uhr, wenn nicht gar Mittag werden könnte, bis er zurückkäme.

Der Wind stöhnte in den alten Bäumen hinter dem Haus. Blauschwarz sah man jetzt die Berge aufragen. Über Nacht hatte der Föhn auch ihnen den Schnee aus den Flanken gerissen. Der Bach unweit des Hauses war stark angeschwollen und rauschte dumpf. Wahrscheinlich würde er im Lauf des Vormittags wieder die Wiesen überschwemmen.

Mit solch wahnsinnigen Schmerzen konnte er sich nicht so leise bewegen, das seine Frau Karoline nicht aufgewacht wäre. Zudem schlug auch der Wind die Tür hinter ihm so heftig zu, dass es wie ein Schuss durchs Haus hallte.

Frau Karoline erschien im Morgenmantel auf dem obersten Treppenabsatz.

»Bist du es, Viktor?«

Er knurrte nur und humpelte auf die Tür der Kanzlei zu.

Mit ein paar Sprüngen war sie die Treppe herunter. Sorge zeichnete sich auf ihrem Gesicht.

»Was ist denn passiert?«

Er lehnte sich gegen den Türstock und presste die Lippen zusammen.

»In ein Fuchseisen bin ich getreten.«

»Himmel!« Sie wollte schon nach dem Telefon greifen, um den Doktor anzurufen.

»Bloß nicht!«, rief er. »Zuerst wird einmal geschaut, ob es nicht ohne Doktor geht. Komm, hilf mir!«

Sie griff ihm unter den Arm und führte ihn ins Wohnzimmer. Aber als sie den Stiefel anfasste, brüllte er vor Schmerz auf.

»So geht’s nicht, Lina! Gib mir das große Messer!« Er schnitt den Stiefelschaft bis zur Sohle hinunter auf, und was dann zu sehen war, das war nicht gerade tröstlich. Der Knöchel war dick angeschwollen und über und über blau. Blut war nirgends zu sehen, aber es sah auch so schon schlimm genug aus.

»Soll ich nicht doch lieber den Doktor rufen, Viktor?«

»Nein, wirklich nicht! Ich will nicht, dass irgendjemand sieht, dass ich einen Doktor brauche. Essigsaure Tonerde haben wir doch im Haus. Und wenn du dann zur alten Gradlin hinaufgehn möchtest? Ich halt zwar nicht viel von der alten Quacksalberin, aber der Jörg schwört auf sie, sie soll eine Salbe haben, die bei so was hilft.«

Karoline richtete essigsaure Tonerde her und verband den geschundenen Knöchel so, wie sie es einmal in einem Rotkreuzkurs gelernt hatte. Dann meinte sie, er solle jetzt ganz ruhig auf dem Sofa liegen bleiben, sie wolle sich nur schnell anziehen und dann das Frühstück zubereiten.

Der Förster blieb zwar nicht liegen, sondern probierte aus, ob er aufstehen könne. Dann suchte er sich einen Stock, umwickelte die Eisenspitze unten mit einem alten Schal und probierte das Gehen in der Stube. Acht Tage, schätzte er, würde es schon dauern und er runzelte die Stirn dabei. Gerade jetzt, wo er draußen im Wald so viel Arbeit hätte mit dem Holzschlag! Na ja, es kommt halt immer einmal was daher, beruhigte er sich dann. So ein Unfall hatte auch seine guten Seiten. In der Kanzlei wartete schon lange eine Menge Schreibarbeit auf ihn, die er immer wieder hinausgeschoben hatte.

Er versuchte weiter, mit dem Stock zu gehen. Wenn er an einen der schweren Holzbalken kam, die die Decke trugen, zog er unwillkürlich den Kopf ein bisschen ein, so groß war er gewachsen. Obwohl er schon auf die fünfzig zuging, zeigte sich in seinem dichten schwarzen Haar noch kein einziges graues. Sein Gesicht hatte eine gesunde Röte, die Augen blickten scharf unter dichten Brauen hervor. Im linken Ohrläppchen trug er ein winzig kleines goldenes vierblättriges Kleeblatt. Das hatte ihm einmal ein alter Schäfer angeraten, dem er geklagt hatte, dass sich seine Augen so leicht entzündeten.

Die Tür öffnete sich und seine Frau kam mit dem Tablett herein, auf dem sie eine Menge Dinge aufgehäuft hatte, so als sei ihr Mann sterbenshungrig von einer tagelangen Bergwanderung zurückgekommen. Sie sah in dem dunklen Winterdirndlkleid, das sie jetzt trug, recht attraktiv aus, sie war eine schöne Frau.

»Läufst du schon wieder herum!«, klagte sie und es sollte mehr ein Vorwurf sein als eine Feststellung.

»Ich kann mich doch nicht hinter den Ofen hocken wie ein alter Kater!«

Mit flinken Händen deckte Karoline den Tisch. Ihre ganze Art war voller Herzlichkeit. Sie nahm die Sache mit dem Fuchseisen nicht so ernst, es war ihr gerade recht, wenn sie den Mann einmal vierzehn Tage daheim hatte, um ihn verwöhnen zu können. Es war daher gar keine rechte Neugier in ihrer Frage:

»Wo ist denn das passiert mit dem Eisen?«

»Oben bei der Kaaserwiese. Sie gehört dem Strotzen.«

»Ich hab den Kaffee ein bisschen stärker gemacht«, sagte sie dann. »Er wird dir gut tun auf den Schreck hin. – Ist das denn nicht überhaupt verboten?«

»Was?«

»Ein Fuchseisen aufzustellen.«

»Natürlich ist es verboten! Es kann doch nicht jeder hergehen und Fallen stellen!«

Die Frau rückte ihm einen kleinen Schemel hin.

»Leg den Fuß darauf, das, glaub ich, wird besser sein. Wenn du zum Doktor gingest – er würde dich sicherlich drei Wochen krankschreiben, meinst du nicht?«

»Das kann schon sein, aber ich kann mir jetzt nicht drei Wochen Faulenzen leisten. Und überhaupt – es braucht niemand zu wissen, dass ich ins Eisen gegangen bin, verstehst du?«

Sie verstand es zwar nicht, aber sie nickte. Wenn ihm nur nicht mehr passierte, als dass er mit dem Fuß in ein Fuchseisen kam! Das war ihre geheime Angst, seit sie hier waren. Aber sie durfte davon nichts sagen, weil doch sie es immer gewesen war, die ihn gedrängt hatte, sich vom Flachland ins Gebirge versetzen zu lassen. Die Landschaft gefiel ihr, aber mit den Menschen wurde sie nicht recht warm. Nicht, dass man in Stranz der neuen Förstersfrau nicht mit viel Wohlwollen entgegengekommen wäre, nein, die Ablehnung kam aus den Bergtälern heraus, von den Einöden herunter, wo die Menschen so stolz waren, dass sie meinten, auf einen Förster oder Polizisten herunterschauen zu dürfen, weil sie sich für ein fettes Monatsgeld dafür hergaben, nach dem zu sehen, was sie für Gesetz hielten. Und zuweilen war dieses Gesetz in den Augen der Bauern so geschaffen, dass es nur die Kleinen traf.

Ach ja, Karoline hatte schon manch Bitteres schlucken müssen und wahrscheinlich auch ihr Mann. Nur ließ der sich nichts anmerken, und wo man ihm keine Freundschaft bot, hatte er auch keine zu geben.

»Ich werde ihnen ihre Wilddiebereien schon austreiben«, hatte er gleich am Anfang, als er nach Stranz versetzt worden war, geäußert. Und das hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Der neue Förster soll ein Scharfer sein, hieß es. Aber man hatte vor dieser Schärfe keine Angst, hatte für sie höchstens ein mitleidiges Lächeln. Der Wald war so groß, unendlich groß, das Weidwerk zog sich bis hoch in die Felsen hinauf, und es müssten mindestens zehn Förster sein, die auf Ordnung zu sehen hätten. Aber es gab nur drei. Der Förster Reintaler, der Revierjäger Haas und der Jäger Brandl. Der alte Jörg war nicht erwähnenswert, der zählte nicht.

Jetzt saß der Förster mit verbundenem Fuß in seiner Kanzlei, hatte sich eine Virginia angezündet und kramte in den Papieren, die auf dem Schreibtisch vor ihm lagen.

Die alten Fichten rauschten um das Haus und später dann, als der Wind nachließ, begann es ganz sacht zu regnen. Man hörte das Wasser in der Dachrinne plätschern und manchmal ging eine Tür im Haus.

Weil der Wind nun nachgelassen hatte, hörte man auch die Viertelstundenschläge von der Herz-Jesu-Kirche bis zum Waldrand herauf. Als es elf Uhr schlug, kam der Postbote mit seinem Fahrrad über den Kiesweg daher, steckte ein Bündel Briefe in den Kasten am Zaun, stieg dann von hinten auf sein Fahrrad und fuhr wieder davon.

Noch bevor der Förster die Post durchgesehen hatte, die seine Frau ihm gleich geholt hatte, trat mit triefend nassem Lodenumhang der Waldhüter Jörg Kaltenbacher aus dem Wald. Der Förster sah ihn am Fenster vorübergehen, steckte schnell seinen verbundenen Fuß unter den Schreibtisch und begann die Briefe zu öffnen.

Die Gartentür fiel klirrend ins Schloss und gleich darauf wurde hart an die Kanzleitür geklopft.

»Komm rein, Jörg!«

Jörg Kaltenbacher, klein, zaundürr und doch zäh, trat über die Schwelle. Man konnte nicht sagen, wie alt er war, ob sechzig oder siebzig oder vielleicht schon achtzig Jahre alt. Die ausgebleichte Bundlederhose war steif wie ein Brett, die grobe Lodenjacke an den Ellbogen mit Leder besetzt, die Bussardfeder auf seinem grauen Filzhut hing, vom Regen durchnässt, unlustig über die Krempe des Hutes bis ins Genick hinein, in dem sich die grauen Haare ringelten.

Nachdem Jörg seine Jacke und den Hut an die Ofenstange gehängt hatte, richtete er sich in den Schultern ein wenig auf, hielt den Kopf schief und sah den Förster treuherzig an.

»Was gibt’s, Jörg?« Der Förster öffnete den nächsten Brief und deutete mit dem Brieföffner auf den Stuhl ihm gegenüber. »Setz dich doch.«

»Ja, das ist so«, begann Jörg und suchte in seiner Jacke nach der Schnupftabaksdose. »Herr Förster, Sie wollten doch heut früh um acht mit dem Wochenlohn für die Holzknechte bei der Holzerhütte oben sein, aber –«

»Ja, ich weiß. Stell dir vor, Jörg, rutsch ich da auf einer Wurzel aus und verknacks mir den Knöchel!«

»Ah so. Da gibt’s nix Besseres für die Schwellung als Huflattichblätter.«

»Ja, aber frische. Wo nimmst du im März frischen Huflattich her? Hast du die Stundenliste dabei?«

»Ja, hab ich. Hat jeder fünfzig Stunden in dieser Woche. Bloß der Polchert war am Montag und Dienstag nicht im Holzschlag, weil wieder einmal was Kleines kommen ist bei ihm.«

Der Förster nahm die Zettel in Empfang und legte sie vor sich hin. »Ich geb dir dann das Geld mit. Oder nein, machen wir’s anders: Die Holzknechte sollen ihren Lohn künftig am Samstag hier abholen.« Viktor Reintaler zündete die erloschene Virginia wieder an und blickte sinnend den kleinen Rauchwölkchen nach. »Und was gibt es sonst Neues, Jörg?«

»In der Nacht zum Mittwoch ist wieder einmal geschmuggelt worden.«

»Wo denn?«

»Übern Raufersteig.«

»Ah, da schau her! Grad entgegengesetzt der Richtung, in der unsere Jäger in der Woche eingesetzt sind. Aber – uns geht das nicht direkt was an, das ist Sache der Grenzpolizei oder der Zöllner.«

»Ganz richtig. Sollen sich nur die abzappeln. Uns geht das nichts an«, pflichtete der Jörg eifrig bei.

»Ich versteh das nicht ganz. Lohnt sich denn heut das Schmuggeln noch, wo wir doch selber alles haben?«

»Der Kaffee rentiert sich schon noch. Und der Schnaps auch. In der besagten Nacht aber sollen sie zwölf Stück Vieh herübergeschmuggelt haben.«

Interessiert hob der Förster den Kopf.

»Und niemand ist erwischt worden?«

»Nix, gar nix!« In dem Gesicht des Alten leuchtete die Freude darüber, dass niemand erwischt worden war. Dem Förster entging das nicht und er betrachtete den Jörg eine ganze Weile lang recht nachdenklich. Dann sagte er geradeheraus:

»Mit dir kenn ich mich manchmal nicht recht aus, Jörg. Woher weißt denn du überhaupt, dass Vieh geschmuggelt worden ist?«

»Mir hat’s der Hauner Lenz erzählt.«

»Kenn ich nicht.«

»Ein ganz verlässlicher Mann«, versicherte der Jörg.

»Hat dir der vielleicht noch mehr erzählt?«

»Nein, aber wenn ich was wissen will, der Lenzl erzählt mir alles.«

»Vielleicht erzählt er dir auch, wann wieder einmal gewildert werden soll.«

Der Jörg bewegte wie in Unbehagen die eckigen Schultern und sagte dann treuherzig: »Wer traut sich denn heut noch zu wildern?«

»Voriges Jahr ist der Förster Rucker, mein Vorgänger, erschossen worden. Und im Februar haben die Jäger zwei Aufbrüche gefunden. Nur du findest nie was, obwohl gerade du am meisten in den Wäldern umherstreichst.«

Der Jörg lächelte auf seine stille Weise, so wie alte Leute lächeln, wenn sie bedenken, wie bunt das Spiel des Lebens ist. Dann fragte er gekränkt:

»Soll das ein Vorwurf sein?«

»Aber nein!«, lenkte der Förster sofort ein. »Mich wundert nur manchmal etwas. Aber ich bin noch nicht draufgekommen, was es ist.«

Im selben Augenblick kam die Försterin zurück, die bei der Gradlin wegen der Salbe gewesen war.

»Ach, der Jörg lässt sich auch wieder einmal sehen!«, meinte sie freundlich. »Kannst gleich mit uns essen. Es gibt saure Leber.«

»Geht nicht, Frau Försterin. Schönen Dank, aber es geht nicht. Der Dienst geht vor, wissen Sie!«

»Bei dem Wetter sollte man keinen Hund hinausjagen!«, sagte die Försterin, die den nassen Wollschal aufhängte.

»Es geht ja nicht weiter als bis auf die Haut«, lachte der Jörg, stand auf und griff nach Hut und Umhang. »Also dann sag ich den Holzknechten, dass sie wegen dem Lohn hierher kommen sollen.«

»Ja, sag es ihnen. Und du kannst dann anfangen, das Holz am Pantscherjoch zu vermessen. Wenn du den Haas triffst oder den Brandl, einer von den zweien soll zu mir runterkommen. Es kann immerhin acht Tage dauern mit dem Malefizhaxen.«

»Oder auch vierzehn Tage«, meinte der Jörg. »Mit solchen Sachen ist nicht zu spaßen.« Er wandte sich zur Tür. »Behüt Gott, Frau Försterin. Behüt Gott, Herr Förster. Und recht gute Besserung wünsch ich!«

Draußen war er. Im Flur stülpte er seinen Hut auf und grinste vor sich hin. Er wusste doch längst Bescheid darüber, dass der Förster in aller Frühe in ein Fuchseisen getreten und nicht auf einer Wurzel ausgerutscht war, wie er es ihm hatte weismachen wollen.

Dann schritt er hinaus in den Regen, der stärker geworden war, und verschwand gleich darauf unter den Bäumen.

Bei der Post, mit der Reintaler sich nun beschäftigte, befand sich auch ein Brief seines Sohnes Ludwig, der sich zur Zeit auf einer Forstschule befand.

Der Wiggerl, wie seine Mutter ihn immer noch nannte, obwohl der Bub bereits zweiundzwanzig Jahre alt war, schrieb, dass er demnächst die letzte Prüfung ablegen werde und wie es nun sei, ob der Vater schon eine Eingabe an die Regierung gemacht habe, dass er nach Stranz versetzt würde. Das sei sein brennender Wunsch.

»Siehst es!«, triumphierte Karoline gerührt. »Es ist sein brennender Wunsch!«

»Ja, aber meiner nicht«, antwortete der Förster, der eigentlich Oberförster war, hier aber ganz einfach der Förster genannt wurde. Dabei stocherte er missmutig in der saueren Leber herum, obwohl sie wirklich gut war. Hin und wieder nahm er einen Schluck Rotwein.

»Ich verstehe dich einfach nicht, Viktor. Es kann doch nichts Schöneres geben, als dass wir alle drei beisammen sind.«

»Wir waren schon einmal beisammen, Lina. Damals, als er sein praktisches Jahr als Waldarbeiter machte. Und da warst es gerade du, die immer meinte, ich verlangte zu viel von ihm und könnte ihn doch nicht hinausschicken in den Wald, wenn es einmal kalt war oder regnete.«

»Inzwischen hat er ja viel gelernt und er ist ja auch jetzt ein erwachsener Mann.«

Der Förster nickte und nahm wieder einen Schluck Wein.

»Wollen wir’s hoffen. Die Berge hier vertragen keinen Schwächling.«

»Hast ja selber oft schon gesagt, dass dir die Arbeit zu viel wird. Hauptsächlich der Bürokram. Da kann der Wiggerl dir doch gut zu Hand gehen.«

»Wollen wir erst abwarten, wie sich die Regierung dazu stellt. Wir können wohl damit rechnen, dass der Bub nach Stranz versetzt wird. Aber auch nur, weil ich einen guten Fürsprecher an maßgebender Stelle hab, du weißt schon, den Forstrat Weber. Aber reden wir jetzt von etwas anderem. Wie gefällt dir eigentlich der alte Jörg?«

Die Försterin hatte gerade begonnen, mit einer Semmel in die Soße auf ihrem Teller zu tunken, blickte überrascht auf, besann sich nur einen Augenblick und sagte dann mit Überzeugung:

»Den Waldhüter Jörg, meinst du? Ich halte ihn für ein ehrliches und aufrichtiges Jägergemüt.«

Reintaler trank, lehnte sich dann zurück und sah seine Frau mitleidig an:

»Du bist eine ausgezeichnete Köchin, eine vortreffliche Hausfrau und Mutter, aber eine ganz schlechte Menschenkennerin. Dein ehrliches Jägergemüt war früher einmal der verwegenste Wildschütz weit und breit.«

Verblüfft starrte die Försterin ihren Mann an.

»Das glaubst du doch selber nicht!«

»Wenn ich’s dir sag, Lina! Zwölfmal war er schon eingesperrt wegen Wilderns. Kaum war er wieder draußen, hat er wieder angefangen. Da hat mein Vorgänger gemeint, ihm helfen zu müssen, hat Eingabe um Eingabe gemacht, bis man den Jörg dann als Heger angestellt hat. Ob das richtig war, ich weiß es nicht. Lina – ich weiß es einfach nicht. Man sagt zwar, ein gebranntes Kind scheut das Feuer, aber der Jörg hat zu viel mit dem Feuer gespielt, als dass er jetzt darauf verzichten könnte.«

Die Försterin räumte das Geschirr zusammen. Sie war nachdenklich geworden.

»Du hast aber doch sonst so viel vom Jörg gehalten.«

»Wollen wir einmal so sagen, Lina, ich war auf ihn angewiesen, als ich nach Stranz versetzt wurde. Ich war fremd hier, er aber kannte jeden Weg, jeden Steg in den Bergen, und auch sonst war er mir in vielem behilflich. Ich habe ihm nie etwas Unrechtes nachsagen können. Als ich ihn aber am letzten Sonntag nach dem Hochamt gar so vertraulich mit dem Waldhofer beisammenstehen sah, hab ich auf einmal Unbehagen in mir gespürt.«

»Mit dem Waldhofer? Das ist doch der Bauer vom Ried oben? Hast du denn an dem auch was auszusetzen? Das ist doch bestimmt kein unrechter Mensch.«

»Hältst du ihn vielleicht auch für ein ehrliches Gemüt?«

»Ich halte jeden Menschen für recht und gut, solange ich keinen Beweis habe, dass er schlecht ist. Oder hast du dafür einen Beweis?«

Der Förster zuckte die Schultern und griff dann nach Zündhölzern, die er aber wieder einmal in der Kanzlei liegen lassen hatte.

»Sei so gut, Lina, und hol mir die Zündhölzer.« Und als sie dann zurückkam und er seine Pfeife angezündet hatte: »Du solltest den Waldhofer nur einmal sehen, wie hämisch er lacht, wenn er mich trifft, wie es in seinem Gesicht zuckt, wenn er mir begegnet.«

»Das sagt aber doch noch gar nichts. Oder du bildest dir das bloß ein.«

»Ich wollt, du hättest Recht, Lina. Leider weiß ich mehr, als du denkst. Komm doch nachher einmal in die Kanzlei, dann zeig ich dir etwas.«

Damit stand er auf und humpelte hinaus. Wenn dieser Schmerz weiterhin anhielt, dann konnte Jörgs Vorhersage schon stimmen, dass es vierzehn Tage dauerte, bis er wieder einen Schuh anziehen könnte.

Nur ein Versehen konnte es gewesen sein, dass die Frau seines Vorgängers, des Oberförsters Rucker, beim Auszug das kleine schwarze Notizbuch nicht mitgenommen hatte. Der Oberförster Rucker hatte es aber auch ganz unauffällig zwischen die gebundenen Dienstvorschriften und sonstigen Lehrbücher über Forstwirtschaft gestellt, so dass sie es wahrscheinlich gar nicht gesehen hatte. Vielleicht hatte er es nicht zufällig dort aufbewahrt. Und diese Lehrbücher und Zeitschriften waren Eigentum des Forstamtes und hatten von Berta Rucker gar nicht mitgenommen werden dürfen. Genau wie der Schreibtisch und die sonstigen Möbel der Kanzlei.

Frau Rucker wohnte jetzt in einem kleinen Haus am Nordrand von Stranz und man sagte, dass sie seit dem Tod ihres Mannes im Kopf nicht mehr ganz beisammen sei.

Dieses Notizbuch schlug der Oberförster Reintaler jetzt wieder einmal auf und begann zu lesen. Da stand unterm 3. Mai: »Hab heute in der Kirche gesehen, dass der Waldhofer hinter dem rechten Ohr einen Rußflecken hatte. Werde demnächst doch einmal eine Haussuchung bei ihm veranlassen.«

Die Försterin kam jetzt herein und setzte sich zu ihm auf die Lehne des Schreibtischsessels.

»Jetzt pass auf, Lina, was ich dir vorlese«, sagte der Förster und blätterte um. »Achtzehnter Mai: Bin mit dem Waldhofer heute früh am Schinder zusammengestoßen. Ist davongestürzt. Ich hab ihm nach dreimaligem Anrufen nachgeschossen. Aber der Kerl war auf einmal wie vom Erdboden verschwunden. Hab die Stelle abgesucht. Nirgends eine Spur –«

Der Förster blätterte um. »Sechzehnter Juni. Bin dem Waldhofer heut wieder begegnet. Ein Blick so voller Hass, dass man Angst haben könnte. Ich vergesse den Blick nie.« Zwei Seiten weiter heißt es dann: »Haben Haussuchung beim Waldhofer gehalten. Ohne jedes Ergebnis. Und ich hätte schwören können, dass ich seine Spur im Wald gefunden hatte. Diese Spur mit dem gezackten Nagelkranz.« Und dann weiter: »Zwölfter Juli: Um halb neun Uhr in der Schiefererlichtung ein Schuss gefallen. Hab den Waldhofer mit einem Bock im Rucksack flüchten sehen und hab ihm wieder nachgeschossen. Ohne Erfolg. Werde jetzt zur Polizei gehen und Anzeige gegen ihn erstatten.«

Reintaler klappte das Buch zu und sah seine Frau an.

»Das war am zwölften Juli. Am dreizehnten Juli, also einen Tag darauf, hat man den Förster vom Berg runtergebracht mit einer Kugel in der Brust.«

»Da läuft es mir gleich ganz kalt über den Rücken! Da müsst man ja direkt Angst haben! Ich hab gedacht, die Wilderei wäre längst ausgestorben.«

»Im Flachland draußen vielleicht. Aber hier, Lina, hier ist das noch etwas anders. Aber Angst, Lina, Angst darfst du nicht haben.«

»Ich kenn dich doch! Wenn du einmal was in der Nase hast, dann gibst du keine Ruh, bis du einen überführt hast.«

»Das ist ja schließlich meine Pflicht. Aber jetzt binde mir den Fuß wieder frisch ein. Vielleicht hilft die Salbe der Gradlin. Was hast ihr denn dafür gegeben?«

»Sie hat nichts genommen.«

»Aha, die spekuliert wieder auf Klaubholz und schneidet dabei die schönsten Stangen um! Kreuzteufl! Manchmal reut es mich schon, dass wir hierher gegangen sind.«

»Der Staat wird doch wegen ein paar Stangen nicht arm«, antwortete Frau Lina erbost.

»Nein, er wird nicht arm. Aber dann soll sie eingeben darum. Sie kriegt’s ja für ein paar Mark. Aber nein, gestohlen müssen sie sein!«

Die Försterin stellte sich ans Fenster. Der Regen hatte jetzt etwas nachgelassen und gegen Westen hin hellte sich der Himmel auf.

Das Herz war ihr nun doch ein bisschen schwer geworden. Sie dachte an den Buben und daran, dass es ihr sehnlichster Wunsch war, dass er nach hier versetzt würde. Aber wenn hier noch so viel Gefahr in den Wäldern lauerte, dann müsste sie nicht nur um den Mann, sondern auch noch um den Sohn bangen.

»Was ist’s jetzt mit der Salbe?«

»Ach so, ja. Ich hol sie gleich.«

Eine Stunde später sagte Lina, dass sie noch einkaufen müsse. Brot sei nicht mehr da, und was er morgen gern auf dem Tisch hätte. Sie fragte das fast immer, wenn er daheim war, und er fand immer etwas, von dem er wusste, dass auch sie es gern mochte. Heute aber war er zerstreut, mürrisch und verdrossen. Es ärgerte ihn einfach, dass er so simpel in das Eisen getreten war und nun dahocken musste wie ein Spitaler, der auf seine Rente wartet.

»Nimm, was dir passt«, sagte er.

»Vielleicht krieg ich ein Kalbsherz oder ich nehme Rouladen.«

Zu regnen hatte es jetzt ganz aufgehört. Im Westen brannte der Himmel in feierlichem Gelb, die Berge hatten das Schattendunkel abgestreift und standen nun in blauer Schönheit unter dem hellen Himmel. Der Bergwald dampfte den Regen aus und das Rauschen des Baches war nun etwas leiser geworden.

Es stimmte schon, dass sie einkaufen musste. Der Hauptzweck aber war, dass sie die Försterswitwe Rucker aufsuchen wollte. Vielleicht konnte sie ihr sagen, ob sie auch immer solche Angst gehabt habe, wenn der Mann in den Wald gegangen war. Vielleicht würde es sie ein wenig trösten, wenn sie mit dieser Frau sprach. Damals, als sie im Herbst hergezogen waren, hatte sie der Försterswitwe einen Höflichkeitsbesuch abgestattet. Seitdem war sie nie mehr dort gewesen, weil Frau Rucker nie zu ihnen gekommen war.

Danach wusste Karoline Reintaler, dass sie den Besuch nicht hätte machen sollen, denn die Witwe hatte einen ihrer dunklen Tage. Sie stand am Fenster, als die Reintalerin das Haus betrat, und rührte sich auch nicht, als an die Tür geklopft wurde. Auf dem Tisch aber standen zwei Kaffeetassen, als hätte sie Besuch erwartet.

Sie wandte sich erst um, als Frau Reintaler schon im Zimmer stand.

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