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Du hast diese Frau noch nie gesehen. Aber sie sagen, dass du es warst. Das beweist das Video. Du bist überführt. Deine ganz persönliche Hölle beginnt genau jetzt. Der neue Psycho-Thriller von Nr.1-Bestseller-Autor Arno Strobel Patrick Dostert freut sich auf einen freien Tag mit seiner Frau Julia, als noch vor dem Frühstück zwei Beamte der Kripo Weimar vor der Tür stehen. Patrick bittet sie herein, und von einer Minute zur anderen ändert sich alles für ihn. Er wird verdächtigt, drei Tage zuvor eine Frau misshandelt und entführt zu haben. Patrick hat ein Alibi für die Tatnacht, doch der einzige Zeuge, der ihn entlasten könnte, bleibt unauffindbar. Und die beste Freundin des Opfers belastet ihn schwer. Patrick beteuert seine Unschuld, bis das Video auftaucht. Das Video, in dem er zu sehen ist. Das ihn überführt. Obwohl er das Opfer noch nie gesehen hat. Aber das glaubt ihm keiner. Er kommt in Haft, soll verurteilt werden. Und kann absolut nichts tun, denn Bilder sagen mehr als tausend Worte. Oder? »Bei Arno Strobels Thrillern brauchen Sie kein Lesezeichen, man kann sie sowieso nicht aus der Hand legen. Packend und nervenzerreißend!« Sebastian Fitzek
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Seitenzahl: 372
Arno Strobel
Wer soll dir jetzt noch glauben?
Psychothriller
Patrick Dostert freut sich auf einen freien Tag mit seiner Frau Julia, als noch vor dem Frühstück zwei Beamte der Kripo Weimar vor der Tür stehen. Patrick bittet sie herein, und von einer Minute zur anderen ändert sich alles für ihn.
Er wird verdächtigt, drei Tage zuvor eine Frau misshandelt und entführt zu haben. Patrick hat ein Alibi für die Tatnacht, doch der einzige Zeuge, der ihn entlasten könnte, bleibt unauffindbar. Und die beste Freundin des Opfers belastet ihn schwer.
Patrick beteuert seine Unschuld, bis das Video auftaucht. Das Video, in dem er zu sehen ist. Das ihn überführt. Obwohl er das Opfer noch nie gesehen hat. Aber das glaubt ihm keiner. Er kommt in Haft, soll verurteilt werden. Und kann absolut nichts tun, denn Bilder sagen mehr als tausend Worte. Oder?
»Arno Strobels digitaler Horror ist präzise durchdacht.« STERN Crime
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Arno Strobel liebt Grenzerfahrungen und nimmt seine Leserinnen und Leser dabei gerne mit. Deshalb machen seine Thriller auch vor den größten Urängsten nicht Halt.
Seine Themen spürt er dabei meist im Alltag auf und erst, wenn ihn eine Idee nicht mehr loslässt und er den Hintergründen sofort mit Hilfe seines Netzwerks aus Experten auf den Grund gehen will, weiß er, dass der Grundstein für seinen nächsten Roman gelegt ist. Alle seine bisherigen Thriller waren Bestseller, »Offline« stand wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. Arno Strobel engagiert sich für den Opferschutz und ist Förderer des Weißen Rings e.V. Er lebt als freier Autor in der Nähe von Trier.
www.arno-strobel.dewww.facebook.com/[email protected]
Außerdem bei FISCHER Taschenbuch erschienen:
»Der Trakt«, »Das Wesen«, »Das Skript«, »Der Sarg«, »Das Rachespiel«, »Das Dorf«, »Die Flut«, »Im Kopf des Mörders – Tiefe Narbe«, »Im Kopf des Mörders – Kalte Angst«, »Im Kopf des Mörders – Toter Schrei«, »Offline«, »Die App«, »Mörderfinder – Die Spur der Mädchen«, »Mörderfinder – Die Macht des Täters«
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Wahrheit lässt sich leichter zur Lüge verarbeiten
als Lüge zur Wahrheit
Manfred Hinrich, deutscher Philosoph
Sie hat es sofort gewusst, als er zur Tür hereingekommen ist. Sie konnte es seinem Gesicht ansehen. An der senkrechten Falte, die sich über seiner Nasenwurzel tief in die Stirn eingegraben hat …
Er ist wütend. Sehr wütend. Eine eiserne Klammer legt sich um ihr Herz.
»Hallo«, sagt sie und versucht ein unverfängliches Lächeln.
Er darf nicht merken, wie dir zumute ist. Dass du weglaufen möchtest, so weit weg von ihm, dass er dich nie wieder finden kann. Auf keinen Fall darf er etwas merken. Nur nichts sagen, was ihn noch wütender macht.
Sie legt die Hände ineinander, während sie langsam auf ihn zugeht.
Bloß nichts tun, das ihn noch wütender macht.
»Schön, dass du da bist. Ich … gehe gleich in die Küche und mache das Essen fertig.«
Weg von ihm. In einen anderen Raum, wo er dich nicht sieht. Wo du nichts falsch machen kannst.
»Und warum ist es noch nicht fertig?«, knurrt er und senkt den Kopf wie ein Stier, der sich zum Angriff bereit macht.
Es ist unausweichlich. Egal, was ich sage oder tue. Er will es jetzt so.
»Du … du bist früher wieder da als sonst«, stammelt sie entschuldigend. »Aber das ist gar kein Problem, wirklich. Ich habe schon alles fertig vorbereitet und muss es nur noch auf den Herd stellen. Das dauert nicht lange.«
O Gott, bitte, lass ihn nicht noch wütender werden. Bitte, erspare es mir heute.
»Weißt du, was?« Er macht einen Schritt auf sie zu. »Weißt du, was ich denke?«
Sie starrt ihn mit großen Augen an, schüttelt wie in Zeitlupe den Kopf. Bitte nicht!
»Was ist? Bist du stumm geworden? Oder hältst du es nicht mehr für nötig, mir zu antworten?«
Bevor sie reagieren oder etwas sagen kann, redet er weiter. »Das ist es, nicht wahr? Du bist dir zu fein, um mit mir zu reden, stimmt’s? Denkst, du bist was Besseres.«
»Nein, wirklich, ich …« Es ist nicht viel mehr als ein Krächzen.
»Halt den Mund, du Dreckstück«, faucht er sie an. Er steht nun unmittelbar vor ihr. »Ich weiß genau, was in deinem Spatzenhirn vor sich geht.«
»Bitte, ich …« Plötzlich liegen seine Hände um ihren Hals. »Mit mir treibst du diese Spielchen nicht!«
Sie möchte reflexartig einen Schrei ausstoßen, als er zudrückt, doch aus ihrem aufgerissenen Mund kommt nicht mehr als ein Röcheln. Sie fuchtelt wild mit den Armen, legt ihre Hände auf seine und versucht, ohne den Hauch einer Chance, seinen eisernen Griff zu lösen. Seine kalten Augen fixieren sie. Sie erkennt, dass die Wut in ihm in Hass umgeschlagen ist, die Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst, das Gesicht eine versteinerte Fratze. »Ich schwöre, entweder mache ich aus dir Schlampe eine anständige Frau, oder ich bringe dich um.«
Ihre Gedanken versinken in einem Strudel aus panischer Todesangst. Sie macht einen Schritt rückwärts, versucht verzweifelt, sich aus seinem Griff zu winden, stößt dabei gegen etwas und gerät ins Stolpern. Noch während sie fällt, ist ihr Hals plötzlich wieder frei, und sie saugt gierig die rettende Luft in die Lungen. Ein dumpfer Schmerz rast ihr durch den Kopf, als sie auf dem Boden aufschlägt. Sie ignoriert ihn, wirft sich hastig herum und versucht, auf allen vieren von ihm wegzukommen, doch er ist schon wieder über ihr. Seine Finger krallen sich in ihre Haare, zerren ihren Kopf nach oben. Sie sieht einen dunklen Schatten auf sich zukommen, dann explodiert ein Feuerwerk in ihrem Gesicht.
Für einen Moment wird es schwarz um sie, doch sie kämpft gegen die drohende Ohnmacht an. Wenn sie das Bewusstsein verliert, wird er sie töten. Diesmal bringt er sie um, da ist sie sicher. Ihre Nase scheint in Flammen zu stehen. Der Gedanke, dass sie gebrochen ist, verpufft, als seine Finger sich wieder in ihre Haare wühlen.
Ihr Kopf wird von dem Schlag brutal zur Seite gerissen. Dunkle Nebel wabern durch ihr Bewusstsein, so dass sie die folgenden Schläge und Tritte gegen ihren Körper nur noch mit einer bleiernen Taubheit erlebt.
Wieder und wieder wird sie durchgeschüttelt, als er mit den Fäusten auf sie einschlägt und mit den Füßen in ihren Leib tritt.
Dann ist es plötzlich vorbei. Sie wagt nicht, sich zu bewegen. Wartet, ob er tatsächlich von ihr abgelassen hat.
Sie glaubt, Schritte zu hören. Geht er? Hat er sich genug an ihr abreagiert? Ist sie noch mal davongekommen?
Vorsichtig zieht sie die Arme, die sie sich schützend um den Kopf gelegt hat, zurück. In der nächsten Sekunde streift etwas ihre Stirn, schneidet gleich darauf in die Haut am Hals, zieht sich zu. Ein dünnes Seil, eine Schnur … Etwas, das ihr die Luft abdrückt, schlimmer noch als zuvor seine Hände.
Ihre Beine zucken wild, die Fersen schlagen gegen den Boden, und während sie sicher ist, dass sie jetzt stirbt, nimmt sie in einem letzten wachen Winkel ihres Bewusstseins den kleinen Körper wahr, der neben ihm kniet und hilflos schreiend an seinem Bein zerrt.
Jonas, formt ihr Verstand ein letztes Wort, dann versinkt sie in bodenloser Schwärze.
Ich lebe noch, ist ihr erster Gedanke, als sie versucht, die Augen zu öffnen. Es gelingt nur einen Spalt weit, die Lider sind geschwollen. Sie kennt das.
Jonas, ist das Nächste, was ihr einfällt, und dieser Gedanke weckt den Rest an Energie, der noch in ihrem geschundenen Körper steckt.
Jonas! Wenn er ihm etwas getan hat …
Sie schaut sich um, nimmt verschwommen wahr, dass sie noch auf dem Boden liegt. Sie scheint allein zu sein.
Jonas …
Mit einem Ruck versucht sie, sich aufzurichten, und stößt einen spitzen Schrei aus, als heißer Schmerz durch ihren Körper jagt, so heftig, dass sie stöhnend zurücksinkt. Die Rippen, der Bauch, der Kopf – die Schmerzen sind überall. Aber sie muss nachsehen, ob mit ihrem Jungen alles in Ordnung ist. Bisher hat er ihn verschont, aber so hassfüllt, wie er dieses Mal war …
Sie versucht erneut, sich aufzurichten, geht es langsamer an. Als die Schmerzen wieder wie tosende Wellen durch ihren Körper rollen, ist sie darauf gefasst. Sie beißt die Zähne zusammen, drückt den Oberkörper hoch, verharrt einen kurzen Moment, sieht sich im Zimmer um, um sicherzugehen, dass sie wirklich allein ist. Dann zieht sie sich an der Sessellehne nach oben und steht schließlich schwankend auf den Füßen. Sie muss durch den Mund atmen, die Nase ist zugeschwollen.
Ein paar Sekunden verharrt sie so, horcht in sich hinein, bewegt vorsichtig die Arme, die Beine. Wie es scheint, ist nichts gebrochen.
Sie fasst sich an den Hals, stöhnt kurz auf, als ihre Finger die Schlinge berühren, mit der er sie gewürgt hat. Vorsichtig zieht sie das Seil auseinander, streift es sich über den Kopf und lässt es zu Boden fallen.
Kurz überlegt sie, wie spät es wohl ist und wie lange sie besinnungslos auf dem Boden gelegen hat.
Ihr Handy liegt in der Schublade des Sideboards, wahrscheinlich wieder mit leerem Akku. Sie nutzt es kaum, seit er verschiedene Tracking-Apps darauf installiert hat und jeden Abend kontrolliert, mit wem sie telefoniert oder geschrieben hat.
Sie wirft einen Blick zum Fenster. Die Dämmerung setzt langsam ein. Um diese Jahreszeit bedeutet das, es muss gegen achtzehn Uhr dreißig sein. Sie hat also etwa eineinhalb Stunden auf dem Boden gelegen.
Was hat er in dieser Zeit gemacht?
Mit unsicheren Schritten verlässt sie das Wohnzimmer durch die Verbindungstür, wirft vorsichtig einen Blick in die Küche, geht weiter in den Flur. Vor dem Garderobenspiegel bleibt sie stehen und stöhnt auf. Erschrocken schlägt sie die Hand auf den Mund, hält den Atem an und lauscht angestrengt. Hoffentlich hat er sie nicht gehört. Nach einer Weile lässt sie die Hand sinken und wendet sich wieder ihrem Spiegelbild zu.
Sie ist einiges gewohnt, aber was er dieses Mal mit ihrem Gesicht gemacht hat …
Die Lippen sind an mehreren Stellen aufgeplatzt, verkrustetes Blut klebt an ihnen. Die geschwollenen Lider haben die Augen halb verschlossen. Wie sie schon geahnt hat, ist ihre Nase gebrochen, und die gesamte rechte Gesichtshälfte hat sich bereits blau verfärbt. Eine tiefe Schürfwunde erklärt das Brennen an der Stirn.
Sie wendet sich ab, macht ein paar behutsame Schritte und bleibt dann am Fuß der Treppe stehen. Sie schaut nach oben. Lauscht. Nichts.
Langsam steigt sie hinauf in die erste Etage. Ihr Herzschlag scheint mit jeder Stufe schneller zu werden. Als sie oben ankommt, wummert ihr Puls in den Ohren.
Hoffentlich schläft er. Hoffentlich spielt Jonas in seinem Zimmer.
Die Schlafzimmertür ist einen Spalt weit offen. Sie bleibt stehen und wirft einen Blick in den Raum. Das Bett ist unberührt. Er ist nicht da. Mit einem Ruck wendet sie sich ab, hat mit ein paar schnellen Schritten, die feurige Blitze durch ihren Körper jagen, die Tür zum Kinderzimmer erreicht, öffnet sie und stößt erleichtert die Luft aus. Jonas sitzt vor seinem Bett auf dem Boden und spielt mit seinen kleinen Autos.
Er schaut zu ihr auf, betrachtet sie teilnahmslos. Ihre Blicke treffen sich nur für zwei, drei Sekunden, dann widmet er sich wieder seinem Spiel.
Er hat geweint, seine Augen sind noch verquollen und gerötet. Er wundert sich nicht über ihr Aussehen. Er kommt nicht zu ihr, weint nicht mehr. Er sieht sie nicht zum ersten Mal in diesem Zustand. Sein kindlicher Verstand hat wohl irgendwann entschieden, das zu ignorieren.
Ihr Herz scheint vor Schmerz zu zerspringen.
Wie soll ein Vierjähriger mit einer solchen Situation umgehen?
Mit dem Unterarm wischt sie sich die Tränen von den Wangen und betritt das Zimmer, geht neben ihrem Sohn in die Hocke, streichelt ihm über das Haar.
Sie hat einen Entschluss gefasst.
»Es ist alles gut«, sagt sie mit sanfter Stimme. »Es ist vorbei. Und es wird auch nicht wieder passieren, das verspreche ich dir. Ich packe schnell ein paar Sachen zusammen, dann machen wir eine Reise. Nur du und ich.«
Er schaut sie wieder an. »Kommt Papa auch mit?«
»Nein, wir verreisen ohne Papa.«
Ein heller Schimmer zieht über Jonas’ Gesicht. Er lässt das Auto fallen, mit dem er gerade gespielt hat, und steht auf. Er legt ihr die Arme um den Hals und drückt sein Gesicht so fest gegen ihre Wange, dass sie Mühe hat, nicht aufzustöhnen.
»Ja«, sagt er. »Ohne Papa.«
Ich habe lange darüber nachgedacht, wo und wie ich meine Geschichte beginnen soll. Natürlich fängt jede Story mit dem Anfang an, die Frage ist nur, welches Ereignis ich als Anfang definiere. War es der Moment, als man mich verhaftet hat? Der, als ich zum ersten Mal beschuldigt wurde? Oder noch früher?
Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Patrick Dostert, ich bin 37 Jahre alt und warte in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Tonna auf den ersten Gerichtstermin.
Ich bin angeklagt wegen des Mordes an einer Frau. Die Polizei und die Staatsanwältin behaupten sogar, dass es nicht nur eine war, auch wenn sie nur für diese eine Tat Beweise haben. Und die Beweise, das muss ich zugeben, sind wirklich erdrückend. Vor allem dieser eine Beweis. Und dennoch bin ich unschuldig.
Aber dazu komme ich später.
Wenn ich mich in meiner Zelle umsehe und dann darüber nachdenke, dass ich – für den Fall, schuldig gesprochen zu werden, – vielleicht den Rest meines Lebens in einem solch vergitterten Loch verbringen müsste, befürchte ich, dass mir nur ein Weg bliebe: meinem Leben ein Ende zu setzen.
Dramatische Worte, mag man denken. Und am Ende siegt dann doch der Lebenswille.
Ja, vielleicht stimmt das sogar. Im Moment jedenfalls ist diese Vorstellung für mich aber derart grauenvoll, dass ich denke, es auf keinen Fall durchstehen zu können, so lange eingesperrt zu sein.
Aber so weit wird es hoffentlich nicht kommen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Auch wenn meine Situation mich alles andere als optimistisch in die Zukunft blicken lässt und tatsächlich alles gegen mich spricht – ich hoffe trotzdem darauf, dass die Wahrheit am Ende siegt. Ich habe nach langer Zeit sogar wieder angefangen zu beten.
Es ist bemerkenswert, dass ich keinen Gedanken an die mögliche Existenz eines Gottes verschwendet habe, solange mein Leben in geordneten, ruhigen Bahnen verlief. Obwohl ich zumindest auf dem Papier katholisch bin.
Ich habe erst wieder über Gott nachgedacht, oder besser, gehofft, dass es ihn doch gibt, als ich plötzlich fast allein dagestanden habe.
Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, sie ist das Opium des Volkes, sagte einst Karl Marx.
Für mich ist Gott jetzt der Strohhalm, nach dem ich verzweifelt greife, während mir droht, zwischen den Mühlsteinen der vermeintlichen Rechtsprechung zermalmt zu werden.
Draußen tobt ein Sturm. Ganz in der Nähe meiner Zelle dringt der Wind durch eine Ritze des Gebäudes. Das auf- und abschwellende Heulen klingt schaurig wie ein Chor aus verlorenen Seelen. Passend zu diesem Ort.
Genau die richtige Atmosphäre, um meine Geschichte zu erzählen.
Ich tippe sie in einen Laptop, den mir mein Anwalt besorgt hat. Laut einer Entscheidung des Frankfurter Landgerichts vom Oktober 2014 muss einem Beschuldigten nämlich während seiner U-Haft die Durchsicht seiner Verfahrensakte auf einem auf seine Kosten anzuschaffenden Computer oder Laptop ermöglicht werden. Zwar mit Hard- und Software-Einschränkungen, die die Sicherheit und Ordnung der Untersuchungshaftanstalt gewährleisten, aber ein Schreibprogramm fällt nicht in diese Kategorie. Zum Glück.
Ich habe mich übrigens dazu entschlossen, in meiner Geschichte von mir in der dritten Person zu schreiben. Ich denke, das schafft eher die Atmosphäre eines Romans. Eines Psychothrillers. Anders kann man das, was ich seit dem Frühjahr erlebt habe, nicht bezeichnen.
Ein Psychothriller, der mein Leben von einer Sekunde zur nächsten vollkommen aus der Bahn geschleudert hat.
Aber genug der Vorrede. Ich fange mit meiner Geschichte an am Donnerstag, dem 13. Mai …
Der Morgen hatte geradezu perfekt begonnen.
Patrick hatte sich einen Urlaubstag genommen, weil die Grundschule, in der Julia als Lehrerin tätig war, an diesem Tag geschlossen hatte.
Gleich nach dem Aufwachen war er leise aus dem Bett gestiegen, hatte sich im Bad die Zähne geputzt, war sich mit den nassen Fingern durch die kurzen, dunkelblonden Haare gefahren und dann nach unten gegangen, wo er in der zum Wohn-Esszimmer offenen Küche ein pompöses Frühstück mit Rührei, Pfannkuchen, Obstsalat und frisch aufgebackenen Brötchen gezaubert hatte. Auch im dritten Jahr ihrer Ehe achteten sowohl Julia als auch er darauf, Raum und Zeit für besondere Momente der Zweisamkeit zu schaffen und liebgewonnene Rituale zu pflegen.
Die erste Tasse Kaffee am Morgen im Bett, das ausgedehnte gemeinsame Frühstück an Wochenenden und im Urlaub … Gewohnheiten, die ihnen wichtig waren, ebenso wie das gemeinsame Joggen dreimal die Woche oder ihre Gespräche am Abend bei einem Glas Wein, statt schweigend nebeneinander auf der Couch zu sitzen und in den Fernseher zu starren.
Nachdem Patrick das Rührei auf zwei Tellern verteilt und diese auf dem Tisch platziert hatte, betrachtete er zufrieden sein Werk.
»Perfektes Timing«, sagte Julia hinter ihm. Er fuhr erschrocken herum. Sie stand in weißem T-Shirt und enger Jeans, die ihre sportliche Figur betonte, in der Tür zum Wohnzimmer und lächelte ihm entgegen. Die blonden Haare hatte sie zu einem provisorischen Dutt hochgesteckt. »Was hast du angestellt? Du weißt doch: Wer erschrickt, der hat ein schlechtes Gewissen.«
»Ich gestehe.«
Julia zog, noch immer lächelnd, die Stirn kraus. »Du gestehst was?«
»Alles.«
»Dann sei dir verziehen. Lass uns frühstücken.«
Das wohlig-warme Gefühl, das ihn in diesem Moment durchströmte, machte Patrick wieder einmal bewusst, wie sehr er Julia liebte.
Sie saßen noch keine zehn Minuten am Tisch, als es an der Haustür klingelte. »Wow! Halb neun«, stellte Patrick nach einem Blick auf die Uhr fest, stand auf und ging Richtung Diele.
»Bestimmt die Post«, mutmaßte Julia und rief ihm lächelnd nach: »Was hast du denn wieder bestellt?«
Es war nicht die Paketbotin, die vor der Tür stand, sondern eine blonde Frau um die vierzig und ein etwa zehn Jahre älterer, schlanker Mann in Jeans, weißem Hemd und dunkelblauem Sakko. Die millimeterkurz gestutzten Haare hatten sich an der Stirn schon weit zurückgezogen und lagen wie Schatteninseln auf seinem Kopf.
»Lomberg, Kripo Weimar«, stellte der Mann sich mit ernster Miene vor und hielt Patrick einen Dienstausweis der Kriminalpolizei entgegen, bevor er mit dem Kinn zu der Frau deutete. »Das ist meine Kollegin, Oberkommissarin Hensch. Sind Sie Patrick Dostert?«
»Ja, der bin ich. Kripo, sagten Sie? Aus Weimar?«
»Dürfen wir vielleicht einen Moment reinkommen?« Die Frau sah sich kurz um. »Wir haben ein paar Fragen an Sie, die wir ungern zwischen Tür und Angel stellen würden.«
Es vergingen einige Sekunden, in denen Patrick die beiden entgeistert anstarrte, bis er schließlich einen Schritt zur Seite machte und den Eingang freigab. »Entschuldigen Sie, ich bin etwas verwirrt, aber … ja, bitte, kommen Sie herein.«
Als die Beamten hinter ihm das Wohnzimmer betraten, sah Julia erst sie und dann Patrick fragend an.
»Das sind Herr Lomberg und … seine Kollegin von der Kriminalpolizei aus Weimar«, erklärte Patrick.
Julia legte ihre Gabel ab und stand auf. »Kriminalpolizei? Ich verstehe nicht …«
»Wir werden Ihnen gleich erklären, warum wir hier sind«, sagte die Polizistin. »Sie sind Frau Julia Dostert?«
»Ja, die bin ich.«
Lomberg wandte sich an Patrick. »Herr Dostert, sagt Ihnen der Name Yvonne Voigt etwas?«
Patrick dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Nein, wer ist das?«
»Sie ist vor drei Tagen in Weimar verschwunden. Eine Nachbarin hat beim Gassigehen mit ihrem Hund an dem Abend gesehen, dass ein Mann ihr Haus betreten hat. Kurz darauf glaubt sie, ein Poltern gehört zu haben. Seitdem hat niemand mehr Frau Voigt gesehen. Auch an ihrem Arbeitsplatz ist sie nicht mehr aufgetaucht.«
»Mein Gott, das klingt ja furchtbar«, sagte Julia. »Aber ich verstehe nicht, was wir damit zu tun haben. Und überhaupt, Weimar …«
»Und was ist mit Jana Gehlen?« Lomberg ignorierte die Frage. »Kennen Sie die?«
»Nein, ich kenne auch keine Jana Gehlen.« Patrick sah zu Julia hinüber. »Du?«
»Nein.«
»Jana Gehlen ist laut ihrer eigenen Aussage die beste Freundin der Vermissten«, erklärte Lomberg und machte eine kurze Pause, bevor der Blick, mit dem er Patrick betrachtete, durchdringend wurde. »Sie glaubt, dass Sie etwas mit Yvonne Voigts Verschwinden zu tun haben. Sie denkt, Sie haben ihr etwas angetan.«
Sekunden verrannen, in denen Patrick den Polizisten anstarrte, als hätte der in einer fremden Sprache zu ihm gesprochen, bis schließlich ein kaum wahrnehmbares »Bitte?« aus seinem Mund kam.
»Frau Gehlen sagt, Sie hätten ein kurzes Verhältnis mit Frau Voigt gehabt«, fuhr die Beamtin fort, deren Namen Patrick vergessen hatte und der ihm in diesem Moment auch egal war.
»Ein Verhältnis?«, wiederholte Patrick fassungslos. »Ich?«
»Und dass Frau Voigt ihr gegenüber erklärt hatte, die Beziehung gleich wieder beenden zu wollen, weil sie Sie für krank hielt und Angst vor Ihnen hatte.«
»Krank …«
»Ja. Frau Voigt habe blaue Flecken am ganzen Körper gehabt, weil Sie sie beim Sex misshandelt hätten.«
»Ich … aber das ist doch …«, stammelte Patrick und legte sich die Hand auf die Stirn. »Ich schwöre, ich kenne keine dieser Frauen. Das kann doch nicht sein. Ich meine …« Mit einem Ruck wandte er sich Julia zu und nahm ihre Hand, als befürchtete er, sie wolle weglaufen. »Julia, ich schwöre, ich weiß nicht, wovon sie reden, ich …«
Julia schüttelte den Kopf. »Natürlich weißt du das nicht. Das ist entweder ein schrecklicher Irrtum, oder irgendjemand erlaubt sich einen extrem schlechten Scherz.« Sie löste ihre Hand aus Patricks Griff und wandte sich an Lomberg. »Wie kommt diese Frau darauf, etwas derart Ungeheuerliches zu behaupten? Mein Mann ist weder krank, noch würde er eine Frau misshandeln. Und er wäre ganz sicher nicht in der Lage, einen Menschen zu entführen oder Schlimmeres. Hat sie für diese unfassbare Unterstellung irgendwelche Beweise?«
»Nein, die hat sie nicht«, gab Lomberg zu. »Wie schon erwähnt, hat sie ausgesagt, dass ihre Freundin ihr davon erzählt und dabei mehrfach den Namen Patrick Dostert erwähnt hat.«
»Sie muss einen anderen Patrick Dostert meinen«, stammelte Patrick noch immer völlig verwirrt. »Ich bin sicher nicht der Einzige, der so heißt.«
Lomberg griff in das Innere seines Sakkos und zog einen kleinen Block hervor. Nachdem er mehrere Seiten umgeblättert hatte, sagte er: »Sind Sie Inhaber eines Logistikunternehmens?«
»Nein«, entgegnete Patrick entgeistert. »Aber ich bin der kaufmännische Leiter einer solchen Firma.«
»Und es handelt sich um ein Unternehmen für Logistik?«
»Ja.«
»Frau Gehlen nannte eine solche Firma im Zusammenhang mit Ihnen. Eine Verwechslung ist also sehr unwahrscheinlich.«
»Dann lügt diese Frau«, warf Julia ein.
Lomberg zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Aber warum sollte sie das tun?«
»Was weiß ich?«
»Herr Dostert, wo waren Sie am Abend des zehnten Mai, also vor drei Tagen?«
»Vor drei Tagen?«, wiederholte Patrick. »Das war am Montag … da war ich zum Essen mit einem potenziellen Neukunden. Ein Chinese.«
»Ein Chinese«, wiederholte Lomberg. »Und in welchem Restaurant waren Sie?«
»In Kais Steakhouse, hier in Erfurt.«
Lomberg zog einen Stift aus der Innentasche seines Sakkos und notierte sich den Namen.
»Und Sie können mir sicher den Namen nennen und wo wir Ihren potenziellen Neukunden erreichen können.«
»Ich habe seine Visitenkarte. Und er sagte, er wohnt im IntercityHotel.«
»Sie waren nur zu zweit?«
»Ja.«
»Kennt man Sie in dem Restaurant?«
Patrick zuckte mit den Schultern. »Nein, ich war vorher erst ein Mal dort.«
»Haben Sie vielleicht jemanden getroffen, der Sie kennt?«
»Nein.«
»Wann waren Sie zu Hause?«
»Gegen halb zwölf.«
»Können Sie das bestätigen?«, wollte Lomberg von Julia wissen.
»Ja. Nein. Also …«
Lombergs rechte Braue schob sich nach oben. »Was jetzt? Ja oder nein?«
Julias Blick richtete sich kurz auf Patrick, bevor sie antwortete: »Ich war an dem Abend mit einer Freundin zum Essen verabredet. Danach waren wir noch was trinken. Ich bin erst gegen eins nach Hause gekommen. Da lag Patrick schon im Bett.«
»Aber Sie können nicht sicher sagen, wann Ihr Mann nach Hause gekommen ist?«, hakte die Polizistin nach.
»Das ist absurd«, fuhr Patrick auf. »Ich sagte doch schon, ich war gegen halb zwölf zu Hause. Und ich habe ganz sicher niemanden entführt. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass es ausreicht, dass irgendeine Verrückte eine Behauptung in den Raum stellt, und schon wird man verdächtigt, ein Verbrechen begangen zu haben.«
Lomberg schüttelte den Kopf. »Das ist alles andere als absurd, Herr Dostert. Der Zeitpunkt, als die Nachbarin den Mann bemerkte und kurz danach das Poltern hörte, liegt zwischen einundzwanzig Uhr dreißig und zweiundzwanzig Uhr. Es könnte also durchaus relevant sein, ob Sie für diese Zeit ein Alibi haben oder nicht.« Er wandte sich an Julia. »Sie können also nicht bestätigen, dass Ihr Mann gegen halb zwölf zu Hause war?«
»Nein, das kann ich natürlich nicht, weil ich, wie gesagt, nicht zu Hause war. Und Patrick hat recht, das ist absurd. Das alles. Außerdem ist es völlig gleichgültig, ob ich bestätigen kann, wann Patrick nach Hause gekommen ist, wenn sein chinesischer Geschäftspartner, mit dem er gegessen hat, bestätigt, dass sie um zehn noch gemeinsam im Restaurant waren.«
Lomberg nickte zum Zeichen, dass er das selbst wusste, und sagte, an Patrick gewandt: »Kann ich dann bitte die Visitenkarte dieses Mannes haben?«
»Ja, sie müsste noch in meiner Anzugjacke stecken. Ich gehe sie holen.«
Als er dem Beamten kurz darauf die Visitenkarte reichte, warf der einen Blick darauf und sagte: »Ningbo … Wir haben einen Kollegen auf dem Präsidium, dessen Eltern stammen aus Ningbo. Das liegt bei Shanghai, wenn ich das richtig einordne.«
»Ich glaube, ja.«
»Dann wollen wir mal hoffen, dass Herr« – er warf einen erneuten Blick auf die Karte – »Hangyu noch in Deutschland ist.«
Lomberg ließ die Karte in seiner Tasche verschwinden.
»Ich brauche noch Namen und Adresse der Firma, in der Sie tätig sind.«
»Warum?«
»Weil das zu den Dingen gehört, die wir wissen müssen.«
»Aber warum? Ich meine, ganz davon abgesehen, dass ich diese Yvonne nicht kenne … vielleicht ist sie gar nicht entführt worden, sondern nimmt sich für ein paar Tage eine Auszeit und taucht bald wieder auf?«
Lomberg warf einen kurzen Blick zur Seite, bevor er sich Patrick wieder zuwandte und auf eine Art und Weise fortfuhr, als müsst er einem Kind erklären, warum es nicht mit den Fingern auf die heiße Herdplatte fassen darf: »Herr Dostert, wir benötigen Ihre kompletten Angaben, Namen, Adresse, Alter, Arbeitgeber und so weiter. Und nein, wir gehen nicht davon aus, dass Frau Voigt sich eine Auszeit genommen hat, weil wir im Eingangsbereich ihrer Wohnung Blut gefunden haben, das eindeutig von ihr stammt.«
Eine Weile sahen sie einander wortlos an, bis Patrick schließlich nickte und Lomberg den Namen und die Anschrift der Firma nannte.
»Danke. Gibt es jemanden, der Ihrer Meinung nach ein Interesse daran haben könnte, Ihnen zu schaden? Haben oder hatten Sie Streit mit irgendwem?«
»Nein. Zumindest wüsste ich niemanden. Aber trotzdem … Vielleicht hasst mich jemand aus einem Grund, den ich nicht kenne? Oder das alles ist ein Missverständnis, wovon ich überzeugt bin. Außerdem verstehe ich eines nicht: Sie sagten doch, die Nachbarin hat den Mann gesehen. Dann kann sie ihn vermutlich beschreiben, und damit ist klar, dass ich es nicht war.«
»Sie hat den Mann leider nur von hinten gesehen.«
Patrick stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf. »Natürlich, das war ja zu erwarten. Ich habe jedenfalls nichts mit dieser Sache zu tun.«
»Doch, das haben Sie. So oder so. Sie haben diese Frau vielleicht nicht entführt oder ihr etwas angetan, aber mit der Sache zu tun haben Sie, seit Ihr Name im Zusammenhang mit ihrem Verschwinden genannt wurde. Und eines steht fest: Dafür, dass er genannt wurde, muss es einen Grund geben.«
Lomberg zog eine Visitenkarte hervor und reichte sie Patrick.
»Hier, unter der Mobilnummer können Sie mich jederzeit erreichen, Tag und Nacht. Falls Ihnen noch etwas zu Yvonne Voigt oder Jana Gehlen einfällt oder es vielleicht doch jemanden gibt, der Ihnen nicht wohlgesinnt ist, rufen Sie mich an.«
Patrick nahm die Karte, steckte sie in die Hosentasche und stieß ein humorloses Lachen aus. »Mein Gott, mehr Klischee geht wohl nicht. Das ist ja wie in einem drittklassigen Fernsehkrimi.«
Lomberg zuckte mit den Schultern. »Bleiben Sie bitte für uns erreichbar. Und denken Sie noch mal genau nach, ob es nicht vielleicht doch möglich ist, dass Sie Yvonne Voigt kennen.«
Er wandte sich seiner Kollegin zu. »Wir sind dann erst mal fertig.«
»Und was heißt das jetzt?«, fragte Patrick. Er hatte sich wieder ein wenig gefangen, und die Verwirrung wich einem wachsenden Zorn gegen den unfassbaren Vorwurf einer Frau, deren Namen er noch nie gehört hatte. »Muss ich mir einen Anwalt suchen? Ich kenne mich mit einer solchen Situation nicht aus, ich wurde nämlich noch nie verdächtigt, eine Frau entführt zu haben.« Und nach zwei, drei Sekunden fügte er hinzu: »Oder noch Schlimmeres.«
Lomberg schüttelte den Kopf. »Von verdächtig hat niemand etwas gesagt. Jemand hat eine ernsthafte Anschuldigung gegen Sie vorgebracht, und wir müssen der Sache nachgehen. Das ist im Moment alles. Wir melden uns, wenn wir noch Fragen an Sie haben.«
Während Julia die beiden Kriminalbeamten zur Tür brachte, ließ Patrick sich auf einen Stuhl sinken und starrte durch das Küchenfenster, ohne etwas von dem zu registrieren, was sich jenseits der Scheibe befand.
»Ich kann das alles nicht glauben«, sagte Julia, als sie kurz darauf zurückkam und sich Patrick gegenübersetzte. »Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein. Irgendjemand möchte dir eins auswischen.«
Patrick wandte den Blick vom Fenster ab. »Aber wer? Diese Frau, die ich nicht kenne? Und vor allem … warum?«
»Keine Ahnung. Vielleicht tut sie das für jemand anderen?«
Patricks Verstand begann endlich wieder zu arbeiten. »Aber wenn diese Jana Gehlen wirklich eine Freundin der verschwundenen Frau ist, wäre es doch eher unwahrscheinlich, dass sie dem wirklichen Täter dabei hilft, mir die Sache in die Schuhe zu schieben. Und wenn sie nur vorgegeben hätte, mit dieser Yvonne befreundet zu sein, würde die Polizei das doch sicher herausfinden.«
»Ja, das mag sein.«
Patrick stand auf und ging zum Wohnzimmertisch, auf dem sein Smartphone lag. »Ich muss mich mit dieser Frau unterhalten. Ich möchte wissen, wie sie auf die absurde Idee kommt, ich hätte etwas mit dem Verschwinden ihrer Freundin zu tun. In Weimar, dreißig Kilometer von hier entfernt.«
Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatte er herausgefunden, dass es in Weimar zwei Frauen mit dem Namen Jana Gehlen gab, die einen Festnetzanschluss hatten. Mit grimmiger Entschlossenheit wählte er die erste Nummer, doch nach dreimaligem Klingeln schaltete sich ein Anrufbeantworter ein, und eine Frau erklärte, dass sie zurzeit nicht zu Hause sei, man ihr aber eine Nachricht hinterlassen könne. Als Patrick gerade ansetzen wollte zu reden, klickte es in der Leitung, und eine gehetzt klingende Frau sagte: »Ja, hallo?«
»Sind Sie Jana Gehlen?«
»Ja, und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Patrick Dostert. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Wer?«, wiederholte sie mit plötzlich heiserer Stimme.
Patrick hatte auf Anhieb die richtige Nummer gewählt, dessen war er sich sicher. »Ich bin der Mann, der wohl Ihretwegen gerade Besuch von der Polizei hatte.«
Eine Pause entstand, in der Patrick deutlich das Atmen der Frau hören konnte, bis sie schließlich leise sagte: »Was wollen Sie von mir?«
»Die eigentliche Frage ist doch, was wollen Sie von mir?« Patrick konzentrierte sich darauf, halbwegs ruhig zu bleiben und nicht dem Impuls zu folgen, die Frau anzuschreien und sie zu fragen, ob sie vollkommen verrückt geworden war.
»Wie kommen Sie dazu, der Polizei zu sagen, ich hätte etwas mit dem Verschwinden Ihrer Freundin zu tun? Ich kenne weder Sie noch diese andere Frau. Das ist so völlig verrückt, dass ich es einfach nicht fassen kann. Also noch einmal: Warum tun Sie das? Ich kenne Sie doch gar nicht.«
»Ich habe der Polizei nur gesagt, was ich von Yvonne weiß«, erklärte Jana Gehlen. »Das musste ich tun, weil ich möchte, dass derjenige, der für all das verantwortlich ist, was ihr angetan wurde, bestraft wird.«
»Strafbar macht man sich auch mit falschen Anschuldigungen«, entgegnete Patrick und bemerkte selbst, dass er lauter geworden war. »Und was heißt überhaupt für all das? Meines Wissens ist Ihre Freundin einfach verschwunden; wer weiß, vielleicht ist sie morgen schon wieder da, und alles stellt sich als ganz harmlos heraus.«
Er atmete durch und senkte die Stimme.
»Okay, versuchen wir es anders. Was genau hat Ihre Freundin Ihnen gesagt? Vielleicht meinte sie ja einen anderen Patrick Dostert.«
»Hören Sie, ich habe der Polizei alles mitgeteilt, was ich weiß. Ich muss jetzt zur Arbeit. Und außerdem möchte ich mich nicht mit Ihnen unterhalten.«
»Jetzt tun Sie das nicht so ab, als wollte ich Ihnen etwas verkaufen. Sie haben mich schließlich beschuldigt, einen Menschen misshandelt und entführt zu haben.«
»Ich habe die blauen Flecke auf Yvonnes Körper gesehen«, brauste Gehlen plötzlich auf, einen Anflug von Hysterie in der Stimme. »Ich habe gesehen, was man ihr angetan hat, und sie hat gesagt, dass Sie das waren. Und dass sie Angst vor Ihnen hat. Ich habe ihr geraten, zur Polizei zu gehen, aber Yvonne wollte das nicht. Weil Sie verheiratet sind und sie sich geschämt hat und …«
»Verdammt nochmal«, fuhr Patrick dazwischen, »ich kenne diese Yvonne nicht, und ich habe ihr auch keine …«
Er stockte, sagte: »Hallo? Sind Sie noch da?«, ließ dann den Hörer sinken und sah zu Julia hinüber. »Sie hat aufgelegt.«
»Du bist recht laut geworden.«
»Ja, weil diese Frau mich …« Er verstummte und schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Was hat sie gesagt?«
Patrick erzählte es ihr. Als er fertig war, sagte Julia: »Das ist alles sehr merkwürdig. Und du bist dir ganz sicher, dass du keine der beiden Frauen irgendwoher kennst? Vielleicht von früher?«
Patrick ließ sich in den Sessel sinken, neben dem er stand, und schlug sekundenlang beide Hände vors Gesicht, bevor er wieder zu Julia aufsah und den Kopf schüttelte. »Nein, ich schwöre, ich habe diese Namen noch nie gehört.«
»Das ist wirklich verrückt. Aber wenn dieser Chinese der Polizei bestätigt, dass ihr am Montagabend bis nach elf zusammen in dem Restaurant wart, dann wissen sie, dass entweder diese Jana Gehlen oder ihre Freundin nicht die Wahrheit gesagt hat.«
»Ja. Zum Glück war ich an dem Abend mit Hangyu zusammen. Stell dir vor, ich wäre allein zu Hause gewesen. Dann hätte ich kein Alibi, und die Polizei hätte mich wahrscheinlich sofort in Untersuchungshaft gesteckt. Und alles nur wegen einer falschen Anschuldigung.«
»Aber Gott sei Dank hast du ja ein Alibi«, sagte Julia.
»Ja. Aber trotzdem … Es muss doch einen Grund für das alles geben.«
»Wer weiß. Wichtig ist jetzt nur, dass sich herausstellt, dass du nichts mit der Sache zu tun hast.«
Patrick sah durch die große Glasscheibe zur Terrasse, die zurzeit eine einzige Baustelle war. Die alten Bodenplatten waren von den Handwerkern herausgerissen und aufgestapelt liegen gelassen worden, wo sie seit zwei Wochen darauf warteten, endlich abgeholt und entsorgt zu werden. Unwichtig.
Sein Blick blieb an dem Sauerkirschbaum hängen, der in der Mitte ihres Gartens stand und die etwa tennisplatzgroße Rasenfläche dominierte.
»Ich habe so etwas niemals für möglich gehalten. Man hört oder liest ja immer mal wieder davon, dass jemand zu Unrecht eines schlimmen Verbrechens beschuldigt oder sogar verurteilt wird. Man registriert es, hat es im nächsten Moment schon wieder vergessen und führt sein normales, sorgloses Leben weiter, weil so etwas nur anderen Leuten passiert. Es ist ziemlich unheimlich, wie schnell sich das ändern kann und wie leicht es ist, jemanden als potenziellen Verbrecher dastehen zu lassen. Und das Verrückteste an der Sache ist, dass man den Polizisten noch nicht mal einen Vorwurf machen kann, da sie solchen Hinweisen ja nachgehen müssen.«
»Aber Polizisten wissen das auch.«
»Was?«
»Na das, was du gerade gesagt hast. Wie einfach es ist, jemand völlig Unbescholtenen zu belasten. Sie werden dementsprechend in alle Richtungen ermitteln und nicht automatisch davon ausgehen, dass du etwas mit dem Verschwinden der Frau zu tun hast.«
»Hoffen wir, dass es so ist.« Patrick riss den Blick von dem Baum los und sah seine Frau an.
»Es macht mir trotzdem Angst.«
Gegen Mittag saß Patrick am Schreibtisch seines kleinen Büros in der ersten Etage, das als Kinderzimmer gedacht gewesen war, bevor sich herausgestellt hatte, dass es mit gemeinsamen Kindern nichts werden würde.
Die Spekulationen mit Julia darüber, warum diese Jana Gehlen ihn beschuldigte, hatten sich irgendwann im Kreis gedreht, also war er in sein Arbeitszimmer gegangen und hatte begonnen, im Internet Berichte über Fälle zu lesen, in denen Unschuldige verdächtigt oder sogar verurteilt worden waren. Was er dort erfuhr, war nicht unbedingt geeignet, ihn zu beruhigen.
Gerade las er darüber, dass im Jahr 2011 allein in Bayern einhundertelf Personen unschuldig in Haft genommen und für 10364 Hafttage entschädigt werden mussten, als Peter anrief.
Peter war zwei Jahre jünger als Patrick und als Disponent im gleichen Unternehmen wie er für die Koordination und Organisation der Abläufe zuständig. Er war bereits in dem Unternehmen tätig gewesen, als Patrick dort angefangen hatte.
Schnell war aus Kollegialität Freundschaft geworden, und mittlerweile ging Peter bei ihnen ein und aus und gehörte fast schon zur Familie. Dass er nicht verheiratet war und keine gute Meinung von Beziehungen hatte, änderte nichts daran.
Peter war schlank und – soweit Patrick das als Mann beurteilen konnte – recht gutaussehend. Es war des Öfteren vorgekommen, dass Patrick beobachten konnte, wie Frauen seinem Freund interessierte Blicke zuwarfen. Aber noch kein einziges Mal hatte Peter eine Freundin zu ihnen mitgebracht oder sie ihnen vorgestellt. Das würde er erst dann tun, wenn er sicher war, die Richtige gefunden zu haben, betonte er jedes Mal lachend, wenn Julia oder Patrick ihn darauf ansprachen.
»Sag mal, was ist denn bei euch los?«, begann Peter sofort, nachdem Patrick das Gespräch angenommen hatte.
»Was meinst du?«, fragte Patrick und kam sich dabei scheinheilig vor.
»Hier waren gerade ein Mann und eine Frau von der Kripo in der Firma. Erst waren sie beim Alten, dann kamen sie zu mir. Sie haben eigenartige Fragen über dich gestellt.«
»Was?«, stieß Patrick fassungslos aus. »Die waren in der Firma? Auch beim Chef? Was waren das für Fragen?«
»Ziemlich seltsame. Seit wann wir uns kennen, wie ich eure Ehe einschätze … Ich habe gefragt, warum sie das wissen wollen, aber sie haben mir nichts gesagt. Was ist denn los? Hast du was ausgefressen?«
Patrick war so sehr damit beschäftigt, die Gedanken zu sortieren, die in seinem Kopf durcheinanderwirbelten, dass Peter irgendwann fragte: »Patrick? Bist du noch dran?«
»Ja, ich … Ach, hier passiert gerade ein großer Mist.«
»Was meinst du?«
»Irgendeine Frau, die ich nicht kenne, behauptet, ich hätte ihre Freundin entführt. Sie sagt, ich hätte ein Verhältnis mit ihr gehabt und sie misshandelt.«
»Was? Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch, leider ist es sehr ernst.«
»Aber wie kommt sie dazu?«
Patrick atmete tief durch, dann erzählte er Peter alles, von dem Moment an, als er mit Julia beim Frühstück gesessen hatte. Peter unterbrach ihn kein einziges Mal, und auch als Patrick geendet hatte, schwieg er noch eine Weile, bis er schließlich sagte: »Fuck! Was ist das denn für eine Scheiße?«
»Ja, das frage ich mich auch. Und dass die jetzt sogar in der Firma aufgetaucht sind, macht es noch um einiges schlimmer. Hat der Alte irgendwas zu dir gesagt?«
»Er war gerade bei mir und hat mich gefragt, ob ich weiß, warum die beiden hier waren. Das heißt, sie haben ihm auch keine Auskunft gegeben.«
»Na, Gott sei Dank. Wer weiß, wie der Chef reagieren würde, wenn er wüsste, was diese Frau behauptet.«
»Mann, Mann, Mann, das ist ja echt unglaublich. Kann ich irgendwas tun?«
»Nein. Das heißt … doch. Wenn du in der Firma irgendwas wegen der Sache mitbekommst, von Kollegen oder dem Chef, ruf mich an, okay?«
»Klar. Ich melde mich auf jeden Fall.«
»Gut. Bis dann.« Plötzlich hatte es Patrick eilig, das Gespräch zu beenden. Der Ärger über die Tatsache, dass Lomberg und seine Kollegin seinem Freund und auch seinem Chef in der Firma Fragen über ihn stellten, schnellte regelrecht in ihm hoch. Er musste Lomberg anrufen. Er griff in seine Hosentasche und zog die Visitenkarte des Polizisten heraus.
»Hier ist Patrick Dostert«, meldete er sich kurz darauf, nachdem Lomberg das Gespräch angenommen hatte. »Sie waren in der Firma und haben mit meinem Chef und meinem Kollegen über mich gesprochen. Nur, weil diese … Frau … irgendwelche aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen gegen mich vorbringt. Das geht eindeutig zu weit. Ist Ihnen eigentlich klar, wie es bei meinem Chef ankommt, wenn zwei Kriminalbeamte ihn über mich ausfragen? Ich werde jetzt einen Anwalt anrufen und …«
»Nun machen Sie mal langsam, Herr Dostert. Wir wären sowieso gleich bei Ihnen vorbeigekommen. Es hat sich da etwas ergeben, worüber ich mit Ihnen sprechen muss.«
»Ach ja, und was?«, entgegnete Patrick gereizt.
»Wir haben im IntercityHotel nach diesem Herrn Hangyu gefragt. Es war doch das Intercity, in dem er abgestiegen war?«
»Ja, das hat er zumindest gesagt.«
»Dort hat es in den letzten Wochen keinen Gast mit diesem Namen gegeben.«
»Aber …« Patricks Gedanken rasten. »Moment, vielleicht hat jemand anderes das Zimmer für ihn gebucht? Jemand aus der Firma, bei der er arbeitet.«
»Sie meinen, die Ning-Wuai Trading Company, die auf der Visitenkarte steht?«
»Ja.«
»Das haben wir uns auch überlegt, aber da gibt es ein kleines Problem: Die Firma ist nirgendwo bekannt. Ich hatte ja schon erwähnt, dass wir einen Kollegen haben, dessen Eltern aus Ningbo stammen. Er hat sich ans Telefon geklemmt und versucht, unter der Nummer, die auf der Visitenkarte angegeben ist, jemanden zu erreichen, aber die Nummer scheint nicht vergeben zu sein. Und auch unter der E-Mail-Adresse Fehlanzeige. Schließlich hat er versucht, bei den Behörden in Ningbo etwas über die Ning-Wuai Trading Company herauszufinden. Ohne Erfolg. Niemand kennt diese Firma. Es scheint, dass sie gar nicht existiert.«
»Aber …«
»Herr Dostert, auf welchem Weg hatten Sie Kontakt mit diesem Herrn Hangyu aufgenommen? Ihr Chef sagt, er weiß von Ihnen nur, dass Sie mit jemandem zum Essen waren, der Interesse an einer Zusammenarbeit geäußert hätte. Alles ganz unverbindlich. Er sagte auch, dass Ihr Bericht darüber, was bei diesem Treffen herausgekommen ist, noch aussteht.«
»Und warum fragen Sie mich das nicht, sondern erkundigen sich bei meinem Arbeitgeber über mich, als wäre ich ein Schwerverbrecher?«
»Das habe ich Ihnen gerade erklärt. Weil nichts von dem, was Sie uns erzählt haben, nachprüfbar ist.«
»Also gut. Hangyu hat mich letzte Woche in der Firma angerufen. Er sagte, er sei Prokurist dieses Unternehmens und dass sie in Erfurt einen Logistikpartner für ihre Handelsaktivitäten in Ostdeutschland suchen würden. Es war nur ein erstes Kennenlernen. Ich habe meinem Chef davon erzählt, und er meinte, wenn sich bei dem Gespräch herausstellt, dass es für uns interessant sein könnte, würde er sich einklinken. So was ist völlig normal. Dafür bin ich als kaufmännischer Leiter zuständig.«
»Und wie ist Herr Hangyu ausgerechnet auf Sie gestoßen?«
»Das habe ich ihn auch gefragt. Er sagte, er trifft sich mit Vertretern mehrerer in Frage kommender Firmen zum Essen, um anschließend eine Entscheidungsvorlage für seine Vorgesetzten in Ningbo zu erstellen, mit welchen Unternehmen sie in Vertragsverhandlungen gehen.«
»Hm … Und es gab nur dieses eine Telefonat?«
»Ja. Wir haben gleich am Telefon den Termin für das Abendessen ausgemacht.«
»Wer hat den Termin am Montagabend vorgeschlagen?«
»Er. Es hat gut gepasst, weil in unserem Terminkalender stand, dass Julia an dem Abend mit ihrer Freundin unterwegs sein würde.«
»Tja, wie es aussieht, wird es keine Vertragsverhandlungen mit der Ning-Wuai Trading Company geben, weil die besagte Firma offensichtlich nicht existiert.«
»Das kann doch alles nicht wahr sein.«
»Da gebe ich Ihnen recht. Wie es aussieht, ist tatsächlich einiges nicht wahr. Sagen Sie, wer hat das Essen bezahlt? Sie?«
»Nein, er.«
»Das heißt, Sie haben keinen Beleg.«
»Richtig, weil ich nicht bezahlt habe. Ich verstehe einfach nicht, was das alles soll und was da gerade vor sich geht.«
»Wir auch noch nicht, aber wir werden es herausfinden.«
»Das hoffe ich, denn dann werden Sie …«
»Herr Dostert, jetzt mal ehrlich … finden Sie das nicht auch seltsam? Ausgerechnet an dem Abend, an dem eine Frau verschwindet, die laut ihrer besten Freundin vor Ihnen Angst hatte – ausgerechnet an diesem Abend nennen Sie als Alibi ein gemeinsames Abendessen mit einem Mann, dessen Namen niemand in dem Hotel kennt, in dem er angeblich gewohnt hat, und der zudem angeblich für eine Firma arbeitet, die es gar nicht gibt. Ein Geist sozusagen.«
»Natürlich finde ich das seltsam. Ich verstehe nicht, warum, aber da möchte mir offensichtlich jemand etwas in die Schuhe schieben.«
»Ja«, murmelte Lomberg, »das wäre eine Möglichkeit.«
Obwohl Patrick ahnte, was Lomberg mit der Betonung der einen Möglichkeit meinte, fragte er: »Und welche andere Möglichkeit sehen Sie?«
Doch Lomberg wich aus. »Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Meist kristallisiert sich die eine oder andere anhand von Fakten und Indizien schnell als die wahrscheinlichste heraus. Ich bin überzeugt, dass das auch hier der Fall sein wird.«
»Warum benennen Sie nicht die andere Möglichkeit: Dass ich etwas mit dem Verschwinden der Frau zu tun habe?«
»Das ist natürlich ebenfalls eine der in Frage kommenden Möglichkeiten«, antwortete Lomberg ruhig. »Nicht die andere, aber eine davon.«
»Nein, das ist es eben nicht«, brauste Patrick auf. »Ich habe weder jemanden misshandelt noch entführt, und ich kenne diese beiden Frauen nicht.«
»Das Problem ist, dass Sie nach jetzigem Stand kein Alibi haben.«