Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur #1 - Markus Heitz - kostenlos E-Book

Fantastische Aussichten: Fantasy & Science Fiction bei Knaur #1 E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Möchten Sie fantastische Romane lesen, die Sie in fremde Welten entführen? Haben Sie Lust, gemeinsam mit Markus Heitz eine neue Dark-Fantasy-Welt zu erkunden? Wollen Sie dem unglaublichen Geheimnis von The Shape of Water auf die Spur kommen? Sind Sie von Ransom Riggs' Legenden der besonderen Kinder gefesselt? Wollen Sie die nordische Götterwelt Asgard einmal mit eigenen Augen sehen? Fiebern Sie gern mit Außenseitern mit, die trotz aller Widerstände ihren Weg gehen? Gibt es Wartezeiten zu überbrücken, bis der neue Roman ihres Lieblingsautors erscheint? Oder ist es einfach mal wieder Zeit für eine Auszeit vom Alltag und damit für ein magisches Buch? Dann sind die Fantastischen Aussichten, die Leseproben-Sammlung zu den Fantasy-Titeln des Knaur Verlages, genau das Richtige für Sie. Das kostenlose eBook enthält Leseproben zu: - Markus Heitz »Die Klinge des Schicksals« - Guillermo del Toro »The Shape of Water« - N.K. Jemisin »Zerrissene Erde« - Mike Brooks »Dark Run« - Liza Grimm »Die Götter von Asgard« - Sylvia Englert »Das dunkle Wort« - Christopher Husberg »Feuerstunde« - Maja Ilisch »Die Spiegel von Kettlewood Hall« - Bradley Beaulieu »Der Zorn der Asirim« - Ivo Pala »Schwarzes Blut« - Leigh Bardugo »Das Gold der Krähen« - Ransom Riggs »Die Legenden der besonderen Kinder«

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Markus Heitz / Leigh Bardugo / Ransom Riggs / Guillermo del Toro / Liza Grimm / Ivo Pala / Christopher B. Husberg / Sylvia Englert / N. K. Jemisin / Mike Brooks / Maja Ilisch / Bradley Beaulieu

Fantastische Aussichten:Fantasy & Science Fiction bei Knaur

Leseproben Frühjahr 2018

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wollen Sie fantastische Romane lesen, die Sie in fremde Welten entführen? Haben Sie Lust, gemeinsam mit Markus Heitz eine neue Dark-Fantasy-Welt zu erkunden? Sind sie von Random Riggs Legenden über besondere Kinder gefesselt? Glauben Sie daran, dass gute Magie und ein Held reinen Herzens immer siegen wird? Fiebern Sie gern mit Außenseitern mit, die trotz aller Widerstände ihren Weg gehen? Gibt es Wartezeiten zu überbrücken, bis der neue Roman ihres Lieblingsautors erscheint? Oder ist es einfach mal wieder Zeit für eine Auszeit vom Alltag und damit für ein phantastisches Buch? Hier sind Ihre fantastischen Aussichten! Vorableseproben zu den Fantasy-Titeln des Knaur-Verlages, die im Frühjahr 2018 erscheinen. Das kostenlose Leseproben eBook enthält Leseproben zu: - Markus Heitz »Die Klinge des Schicksals« - N.K. Jemisin »Zerrissene Erde« - Mike Brooks »Dark Run« - Liza Grimm »Die Götter von Asgard« - Sylvia Englert »Das dunkle Wort« - Christopher Husberg »Feuerstunde« - Maja Ilisch »Die Spiegel von Kettlewood Hall« - Bradley Beaulieu »Der Zorn der Asirim« - Ivo Pala »Schwarzes Blut« - Leigh Bardugo »Das Gold der Krähen« - Guillermo del Toro · Daniel Kraus »The Shape of Water« - Ransom Riggs »Die Legenden der besonderen Kinder«

Inhaltsübersicht

Markus Heitz

Die Klinge des Schicksals

N. K. Jemisin

Zerrissene Erde

Mike Brooks

Dark Run

Liza Grimm

Die Götter von Asgard

Sylvia Englert

Das dunkle Wort

Christopher Husberg

Feuerstunde – Die Chroniken der Sphaera 2

Maja Ilisch

Die Spiegel von Kettlewood Hall

Bradley Beaulieu

Der Zorn der Asirim

Ivo Pala

Schwarzes Blut

Leigh Bardugo

Das Gold der Krähen

Guillermo del Toro · Daniel Kraus

The Shape of Water

Ransom Riggs

Die Legenden der besonderen Kinder

Markus Heitz

Die Klinge des Schicksals

Kapitel I

 

Nankān, im Süden des Kaiserreichs Uthalosa, Rittergut Kaltensee, Spätsommer

 

Dumpf rauschten die Dreschflegel in rascher, strikter Folge auf die Halme, die ausgebreitet in der Sonne auf Segeltuch lagen, und schlugen die kostbaren, sattgelben Blauroggenkörner aus den Ähren. Die schwitzenden Männer in einfachen Hemden und Hosen führten die Werkzeuge im Takt des heiteren Liedes, das die Musikanten in der nahen Scheune spielten.

»Das ist die beste Getreideausbeute, die wir je hatten. Das Fest morgen wird rauschend. Jede Magd und jeder Knecht und sogar die Tagelöhner bekommen den doppelten Lohn.« Danèstra von Tiamin, etwas mehr als sechzig Gemeinjahre alt und gekleidet in ein luftiges, helles Gewand, verfolgte das Tun ihrer Untergebenen vom Rücken ihres Fuchswallachs aus, der ruhig neben einem Gespann mit prall gefüllten Kornsäcken stand.

Die Mittagsluft roch nach Spreu und Strohstaub, Mauersegler schossen in gewagten Manövern über den blauen Himmel und jagten Insekten.

Aufrecht saß Danèstra im Sattel, eine Hand in die Hüfte gestemmt. Auf ihren geflochtenen langen Silberhaaren saß ein breitkrempiger Strohhut, der sie vor den Strahlen des Himmelsgestirns schützte. Mit stahlblauen Augen und Freude auf den Zügen verfolgte sie das rege Treiben nahe ihres Gehöfts, das ihr der Kaiser geschenkt hatte. Vordergründig wegen der großen Verdienste.

»Ich sehe das ebenso, Mutter«, sagte ihr Sohn Mabian vom Wagen aus. Man sah ihm seine siebzehn Gemeinjahre nicht an; die meisten schätzten ihn auf gerade einmal vierzehn, der Bart wuchs spärlich und einzelhaarweise. Er kletterte flink über die Säcke, auf denen das Monogramm ihrer Familie prangte, und hielt eine Kladde sowie einen Griffel in der Rechten. Ihm oblag die Kontrolle der Ernte, was er seit seinem zehnten Geburtstag gewissenhafter als jeder sonst auf dem Gut tat.

»Was ist bislang eingefahren, Lieblingssohn?«

Mabian grinste. »Da ich dein einziger Sohn bin, ist das ein schwaches Kompliment.«

»Besser als Sohn oder Nesthäkchen«, gab sie lächelnd zurück, und die vielen feinen Fältchen schlossen sich zu tieferen zusammen. »Deine drei Schwestern würden mir zustimmen.«

Mabian, der ebenfalls einen großen Hut auf den schwarzen Haaren trug, setzte sich auf einen Sack wie auf einen Thron und schlug das Buch auf. Leise murmelnd rechnete er zusammen: »Das macht mit Blauroggen, Goldgerste, Erdweizen und Hafer gut zwanzigtausend Doppelzentner. Dann kommen im Herbst noch mal viertausend Doppelzentner Erdäpfel dazu, wenn uns keine Käfer oder Krautkrankheit dazwischenkommt.« Er sah zufrieden von seinen penibel geführten Notizen in der Erntekladde auf. »Die Apfelbäume werden uns fassweise Viez bescheren. Den Most und Birnenwein nicht mit eingerechnet. Und unsere Reben. Die Keller werden nicht ausreichen, die Kisten, Säcke und Fässer zu lagern.«

»Ich lasse umgehend welche ausheben. Nichts soll verschwendet werden, was die Natur und Deiwos der Fruchtbare uns gaben. Das bedeutet ein weiteres rauschendes Fest für die Helfer. Es muss auch solche Gemeinjahre geben. Deiwos sei Lob und Dank.«

Danèstra entdeckte etwas, das sich in gemächlicher Geschwindigkeit die breite Straße zwischen den abgeernteten Feldern auf sie zubewegte und eine Staubfahne hinter sich herschleppte, die vom leichten Wind in die Höhe getrieben wurde. Sie zog das Fernglas aus der Hüfthalterung und setzte es vor die Augen.

»Irgendwas Ungewöhnliches?« Mabian folgte ihren Blicken und schirmte die Hand gegen die Helligkeit des Taggestirns ab. »Räuber! Zu den Waffen!«

Einen Herzschlag darauf lachte er über seinen eigenen Scherz. Niemand in Uthalosa und dem angrenzenden Reich wagte es, sich gegen das Rittergut zu wenden und damit den Zorn seiner Herrin auf sich zu ziehen, mochten die Aussichten auf fette Beute noch so hoch sein. »Ich weiß, es ist der Versorgungstross für den Kaiser, Mutter.«

Danèstra nickte kaum merklich. »Er ist größer als sonst. Ich zähle sieben, acht … elf Gespanne, die nach Khamado hinaufwollen.« Sie schwenkte das Glas die Straße entlang, die steil ansteigend ins Gebirge und in engen Serpentinen zum schmalen Höhenpass führte.

Seitdem ein Großteil von Uthalosa erobert worden war, befand sich der Herrscher in der sicheren Enklave, sechstausend Schritt über dem Erdboden in seiner Residenz, wo ihn die Mörder aus Elayion nicht erreichten, obgleich der Pass, über den die Stadt mit Vorräten versorgt und Khamado am Leben erhalten wurde, wie ein aufragender Grat durch das feindliche Elayion führte. Zum einen bildete die dünne Luft einen natürlichen Schutz gegen jene, die die Höhe nicht gewohnt waren, zum anderen lebten in dem Gebiet über zweitausend Schritt die mysteriösen Spheg, die niemanden passieren ließen außer den Kaiser und seine Getreuen.

»Sie sind zeitig dran. Und schwer beladen.« Danèstra steckte das Fernglas weg. »Ist dir etwas zu Ohren gekommen, was erklärt, warum sie die Versorgung vorziehen?«

»Nein, Mutter.« Mabian schwang sich auf den Kutschbock und ergriff die Zügel, mit denen die beiden Ochsen dirigiert wurden. »Denkst du, es hat mit dem Wald zu tun?«

»Hätten wir nicht längst erfahren, wenn er vorrücken würde?«

»Der Kaiser wird bessere Augen und Ohren im Irrsal haben als wir. Denen entgeht gewiss nichts, was sich an der Westgrenze tut.«

Danèstra fühlte leichte Sorge in sich aufsteigen. »Wie lange hatten wir Ruhe? Ich vergesse es stets.«

»Weil du alt bist, Mutter«, erwiderte Mabian frech.

»Sagt der Jungspund, den ich im Wettlauf abhänge«, gab sie gelassen zurück. »Ohne Pferd.«

»Verzeih meine Frotzelei. Ich konnte nicht widerstehen.« Mabian sah zu den dahinschießenden Mauerseglern. »Seit ich auf der Welt bin, rührte sich die Wildnis nicht und hat das Irrsal seine Ruhe.«

»Stimmt. Seit deiner Geburt. Ich sollte es mir leicht merken können.« Danèstra stieß die Luft aus. »Na gut. Nehmen wir an, sie sind einfach nur früher dran, weil die Menschen in Khamado mehr als üblich gegessen haben und nun weinend vor ihren leeren Tellern sitzen.«

Mabian löste die Bremse des Wagens. »Die Scheune ist bereits voll mit Säcken. Wohin soll ich den Blauroggen bringen? Zum Gut?«

»Einstweilen. Wir stellen in zwei Tagen mehrere Gespanne mit Getreide zusammen und bringen es auf den Großmarkt nach Burgstein. Wir verkaufen es an die Geldsäcke aus Orillon. Das bringt uns mehr Münzen.« Danèstra wendete den Fuchswallach und ritt langsam auf die Scheune und die schuftenden Männer zu. »Behalte genug Weizen zurück, um ihn den Arbeiterinnen und Arbeitern zu schenken. Damit sollten sie genug für den Winter haben.«

»Ja, Mutter.« Mabian ließ die Zügel knallen, und die Ochsen stapften los. »Bis später.«

Danèstra näherte sich den Dreschern, die wuchtig zuschlugen und die blauen Körner auf die Plane springen ließen. Dann sah sie wieder zu dem Tross nach Khamado, der die dicken Mauern des Hofs passiert hatte und sich die erste Steigung hinaufkämpfte.

Das Rittergut Kaltensee mit dem klaren Gewässer, das dem Gehöft seinen Namen gab, lag genau am engen Zugang, der zum Pass führte. Das Geschenk des Kaisers war ihr mit Bedacht und Berechnung gemacht worden. Danèstra und ihre Kinder dienten als Schutz gegen Elayion. Niemand legte sich mit denen von Tiamin an. Nicht einmal das fanatische Priesterpaar im Nachbarreich.

»Die Herrin!«, erklang der Ruf, als Danèstra auf drei Schritte heran war.

Die Arbeiten wurden sogleich unterbrochen. Die Knechte und Tagelöhner zogen die Kappen ab, die Mägde machten einen tiefen Knicks. Die Musikanten in der Scheune hatten nichts mitbekommen und spielten weiterhin auf.

Danèstra lächelte ihnen zu, aufrecht im Sattel, als wäre sie gerade zwanzig. Ihre Ausstrahlung übertraf die eines jeden, ihr Auftritt wirkte stets königlich. Das erzeugte Ehrfurcht, ganz gleich, ob man ihr zum ersten oder wiederholten Male begegnete.

»Ihr habt bislang gut gedroschen und gesiebt«, sprach sie laut. »Wenn die letzten Wagen die gebundenen Ähren abgeladen haben und das Tagwerk getan ist, darf, nein, muss gefeiert werden. Morgen wird gegessen und getrunken, was die Mägen halten und die Köpfe vertragen. Wer mich dabei unter den Tisch trinkt, dem zahle ich ein Goldstück.« Die Männer und Frauen lachten leise. »Vernehmt: Ihr bekommt nach der Sommerernte den doppelten Lohn und Getreide für einen Winter«, verkündete sie und freute sich über das ungläubige Staunen in den verschwitzten Gesichtern. »Denn was wären meine Familie und ich ohne euch, die starken und fleißigen Hände? Unser Land würde verkommen. Daher ist es nur rechtens, dass ich euch mit Geschenken bedenke. Nun drescht bis zum Abendbrot und geht morgen zeitig ans Werk. Denn am Abend soll gefeiert werden.« Danèstra wendete den Wallach und ließ ihn antraben, um nach Kaltensee zurückzukehren.

Hinter ihr erklangen die Hochrufe der Menschen, die ihr Glück nicht fassen konnten. Wo andere ihre Leibeigenen und Tagelöhner knausrig bezahlten oder mit Prügel bedachten, gab es in Kaltensee beste Kost und Unterkunft und obendrein einen Verdienst, der in Uthalosa seinesgleichen suchte.

Danèstra ließ das Pferd in Galopp verfallen und flüsterte: »Thirío! Los! Wettrennen.«

Wie aus dem Nichts schoss der kniehohe Rüde aus einer Mulde und hetzte mit freudigem Bellen neben dem Fuchswallach her. Mühelos hielt er die Geschwindigkeit des Pferdes. Die weißen Ornamente auf seinem schwarzen Fell bewegten sich über den kräftigen Muskeln, die blauen Augen leuchteten.

»Los, Thirío!«, spornte ihn Danèstra an. »Dieses Mal wirst du nicht gewinnen!«

Der Hund bellte und beschleunigte. Die Ohren legten sich an und er schoss mit zwei Längen Vorsprung durch das offene Tor des Ritterguts.

Danèstra drosselte die Geschwindigkeit und trabte auf den belebten Hof. »Schon wieder gewonnen, Thirío. Guter Junge.«

»Und wie!« Mabian streichelte ihn, der Rüde wedelte mit dem Schwanz und hechelte vor Anstrengung. Ihr Sohn beaufsichtigte das Bedecken der Säcke mit einer Plane, damit die Körner bei Regen und Tau nicht feucht wurden. »Hat er jemals verloren, Mutter? Er ist ja fast so alt wie du.«

»Nein.« Sie hielt an und stieg aus dem Sattel. »Ich fürchte, das Pferd, das ihn schlägt, wird es niemals geben.« Die Schnelligkeit war nicht das einzig Ungewöhnliche an Thirío, aber außer ihr kannte keiner das Geheimnis des Hundes.

Die Menschen setzten die Arbeit trotz ihrer Ankunft fort, denn sie hatten ihre Herrin schon früher am Tag begrüßt. Ein Knecht eilte heran und kümmerte sich um den Wallach.

Danèstra ging auf das Haupthaus zu, das zusammen mit den drei Nebengebäuden ein Quadrat mit Innenhof bildete. Das Rittergut besaß darüber hinaus einen Donjon, der als Ausguck diente oder im Fall einer Attacke die letzte Zuflucht bildete. Sie legte großen Wert darauf, dass die Zinnen Tag und Nacht besetzt waren.

Aus der Schar der Mägde löste sich ein Mädchen von geschätzt vierzehn Gemeinjahren. Es ging schüchtern auf Danèstra zu und machte dabei unentwegt Knickse und beugte das Haupt. »Verzeiht, Herrin«, sagte sie unsicher. »Darf ich Euch ansprechen?«

Mabian kniete sich neben Thirío. »Du musst jetzt gut aufpassen«, sprach er zu ihm. »Wir werden bestens unterhalten, Kleiner.«

Danèstra ahnte, was folgte, als die Magd aus ihrer Umhängetasche bedruckte Blätter in einem Einband aus Karton nahm. Ihren Lippen entwich ein leidender Seufzer. »Mabian, erinnere mich, dass ich diesen Kerl doch umbringe.«

»Gewiss, Mutter«, gab ihr Sohn gut gelaunt zurück.

»Wie heißt der Schund dieses Mal?« Danèstra nahm das Büchlein entgegen. »Aha. Die Abenteuer von Danèstra, Band elf: Die Prüfungen des Kaisers.«

»Signiert Ihr es mir, Herrin?« Das Mädchen machte wieder einen Knicks. »Ihr seid mein Vorbild.«

Danèstra legte eine Hand auf den billigen Einband. »Kind. Nichts davon ist wahr. Dieser Kerl, Mahetian Tintenfain, dichtet mir Abenteuer an, die …« Sie blätterte das Büchlein durch. »Was? Das Fest der Lüste?« Sie starrte auf die schwülstigen Zeilen einer Liebesszene und fühlte, wie ihr Blut vor Wut schneller floss und ihr Gesicht rötete. »Nun ist’s genug! Bei Deiwos, dafür lasse ich ihn seine Tinte saufen und die Drucklettern fressen! Wie kann er …«

Mabian lachte schallend, und Thirío bellte zweimal; sein anschließendes Hecheln erinnerte an ein Grinsen.

»Herrin, verzeiht!«, rief die Magd erschrocken und wollte den Rückzug antreten. »Ich wollte Euch nicht …«

»Du kannst nichts dafür, Kind.« Danèstra nahm den Griffel, den das Mädchen mitgebracht hatte. »Du bist Keraia, richtig?«

»Ja, Herrin.«

Danèstra schrieb den Namen auf die erste Seite, gefolgt von guten Wünschen und ihrem Monogramm. »Wenn ich dein Vorbild bin, vergiss, was darin steht. Und morgen erzähle ich dir bei unserem Fest gerne, was ich wirklich erlebte.« Sie klappte das Buch zu.

»Danke, Herrin.« Sie verneigte sich. »Danke vielmals!« Schnell entfernte sie sich und kehrte zur Gruppe der Mägde zurück.

Danèstra schnaubte und sah zu ihrem Hund. »Thirío, du elender Verräter.« Langsam trottete der schwarz-weiß befellte Rüde zu ihr, hechelte dabei, als lachte er sie aus. »Ja, ja. Kein Braten für dich.« Sie zeigte auf ihren Sohn. »Und für dich auch nicht.«

»Ich? Ich habe nichts getan!«

»Dieser vermaledeite Tintenfain und seine gemieteten Schreiberlinge! Deiwos, erschlage jeden einzelnen von ihnen!«, sandte sie ein Stoßgebet zum klaren Himmel. »Er verdient bergeweise Münzen mit gedruckten Lügen, die er in ganz Nankān verkauft. Mit meinem Namen! Ich sollte ihn wahrlich vor den Richter zerren. Wegen Verleumdung.«

»Das Königreich Siwenloith ist weit weg. Er würde flüchten, sobald sich herumspricht, dass du kommst.« Mabian half den Knechten, das Segeltuch über den Säcken festzubinden. »Rege dich nicht auf. Es steigert deinen Ruhm. Du wirst zu einer Legende.«

»Mit dem Fest der Lüste«, murmelte Danèstra kopfschüttelnd und stapfte zum Haus. Thirío blieb neben ihr. »Ich glaube nicht, Sohn.«

»Lieblingssohn!«

»Nein, gerade nur Sohn. Das hast du verdient, weil du mich nicht gewarnt hast.« Sie stellte sich vor, dass sie über die schmierigen Hände des Druckmeisters schritt, und bohrte die Absätze tief in den Sand. Schlimmer konnte es kaum mehr werden.

Es sei denn, der Wald würde plötzlich wieder vordringen und das Irrsal verschlingen.

 

Unmittelbar nach Einbruch der Nacht wurde es ruhig auf Kaltensee.

Die Tiere standen versorgt in den Stallungen. Die Knechte, Mägde und Tagelöhner schliefen in ihren Unterkünften, erschöpft von der schweren Arbeit auf den Feldern und beim Dreschen. Ein halbes Dutzend Wachen patrouillierte auf den Wehrgängen, zwei weitere hielten vom Turm Ausschau, was sich in der Ferne tat. Es ging um Abschreckung und ein Zeichen der Stärke, wie es der Familie von Tiamin angemessen war.

Danèstra saß in hellem Kerzenschein vor dem verspiegelten Ankleidetischchen in ihrem Gemach. Sie hatte ihren Töchtern und deren Familien, die auf dem Rittergut lebten, eine gute Nacht gewünscht und traf ihre Vorbereitungen für den Schlaf.

Thirío lag zusammengerollt zu ihren Füßen und träumte, seine Pfoten zuckten, und er bellte leise im Schlaf. In der großen Voliere neben dem Fenster hockte ihr abgerichteter Finsterfalke, der jede ihrer Regungen mit gelben Augen verfolgte.

Seit etlichen Gemeinjahren verlief das Ritual stets gleich. Ohne Ausnahme. Sogar unmittelbar nach der Geburt ihrer Töchter und des Sohnes hatte sie darauf nicht verzichtet – überwiegend aus Selbstschutz, nachdem es zum ersten Mal passiert war.

Nach alter Tradition half ihr dabei das jüngste Kind, sobald es sich mit den Handgriffen vertraut gemacht hatte. So kam es Mabian seit seinem zehnten Lebensjahr zu, sie zu unterstützen, damit sie sich beruhigt zu Bett legen konnte.

Noch ließ er auf sich warten.

Danèstra vermutete, dass er über den Kladden mit den Ernteaufzeichnungen saß und nebenher Berechnungen für das Fest anstellte, wie viele Brote, Fleisch, Wein, Bier und derlei nötig waren, um alle satt und betrunken zu bekommen.

Sie bürstete ihre langen, silbernen Haare, bevor sie die Strähnen zusammenflocht und sie kunstvoll um den Kopf legte. Dabei betrachtete sie ihr bejahrtes Gesicht. »Einmal mehr«, sagte sie zu sich selbst. »Zum ungezählten Male.«

Dann erhob sich Danèstra und ging zur Kleiderpuppe, auf der das gefütterte Untergewand hing. Sie streifte es sich über und zog es zurecht; der wattierte Stoff saß eng an ihrem betagten, aber gesunden Körper. Abgesehen von äußerlichen Spuren des Lebens konnte er es mit dem einer jungen Magd aufnehmen.

Da sie keine Lust hatte, länger auf ihren Sohn zu warten, schlüpfte sie mit Anstrengung und kunstreichem Verbiegen selbst in das dünne Kettenhemd, das auf der Halterung daneben gewartet hatte.

Danèstra hatte bereits die ersten Riemen enger gezurrt und die Schnallen geschlossen, als es hastig klopfte und Mabian auf ihr Geheiß eintrat.

»Wo warst du, Sohn?«

»Verzeih, ich wurde vom Zeugmeister aufgehalten. Wegen des Festes.«

»Das dachte ich mir.« Sie wandte sich zu ihm um. »Ich habe schon angefangen. Mach die Riemen enger und danach …«

»Die Haube, ich weiß«, unterbrach er sie. »Mutter, ich tue das seit sechs Gemeinjahren.« Er nahm die Kapuze aus geflochtenen Kettenringen und legte sie ihr an. Routiniert setzte er danach den Harnisch, die Halsberge, die Oberarm- und -schenkelrüstungsschienen an. Auf jedem prangte das Wappen und das Monogramm der von Tiamins, gemacht und angepasst vom besten Waffenschmied auf Nankān. »Denkst du, bei mir wird es auch passieren?«

»Wieso bei dir?«

»Weil meine Schwestern … weil es nicht bei ihnen geschieht. Ich … ich dachte, weil neben einer Frau vielleicht ein Mann aus unserer Familie …« Er biss sich auf die Unterlippe.

Danèstra fuhr ihm einmal mütterlich über den Schopf und zog danach die dünnen Lederhandschuhe an. »Ich weiß, dass du es dir wünschst.«

Mabian seufzte. »Es ist offensichtlich, nicht wahr?«

»Seit dem Tag, an dem du die Pflicht von deiner Schwester übernommen hast.« Danèstra prüfte ihre Beweglichkeit, drehte den Kopf. Dann ließ sie sich die Panzerhandschuhe reichen und stülpte sie über. »Ich weiß nicht, ob Deiwos dich auserwählen wird.«

»Sicher, dass es Deiwos ist, der …«

»Wer sonst, Lieblingssohn?«, unterbrach sie ihn. »Aber ist es nicht gleich?« Danèstra öffnete und schloss die Finger, nickte zufrieden. »Es geschieht. Einerlei, wer oder was dahintersteckt.«

»Gedankenspiele sind wohl erlaubt, oder?« Mabian umrundete sie, während sie die Arme abspreizte, damit er die angelegte Rüstung inspizieren konnte. »Sollte es an meinem Vater liegen?« Er rüttelte und zerrte prüfend an den Metallteilen. Sie saßen perfekt. Wie jede Nacht.

»Ich weiß, was du eigentlich fragen willst.« Danèstra senkte die Arme und sah ihm in die Augen. »Ich werde dir nicht sagen, wer dein Vater ist. Es ist nur gerecht, da ich deinen Schwestern auch nicht offenlege, wer sie zeugte. Aber es waren stattliche, edle Männer. Wie es mir gebührt.« Sie lächelte. »Du gleichst ihm und hast seinen schnellen Verstand. Aber ein Abenteurer war er nicht, Mabian. Du musst keine Tradition wahren.«

»Aber du …«

Danèstra küsste ihn auf die Stirn. »Ich bin müde, Lieblingssohn. Disputieren wir darüber nach dem Erntefest. Einverstanden?« Schnell war das Waffengehänge mit dem kostbaren Schwert und den Dolchen angelegt.

»Ja, Mutter.«

Sie begab sich zum Bett und setzte sich auf die Kante, schwang sich in voller Panzerung auf die bequeme Strohmatratze.

Danèstra war es gewohnt, in diesem stählernen Nachtgewand zu schlafen. Durch die perfekte Anpassung der Teile und das dämpfende wattierte Unterkleid war es einigermaßen bequem, sofern sich das Schwert nicht verklemmte. »Jetzt noch …«

»Ich weiß doch«, sagte er und klang unzufrieden. Ihm schmeckte es nicht, dass er sich gedulden musste.

Mabian ging zum Vogelkäfig und ließ den Finsterfalken auf seinen Unterarm springen, um ihm danach eine Haube über den Kopf zu streifen. Der Vogel begehrte nicht dagegen auf. »Guter Vélos«, lobte er ihn und setzte ihn in den kleineren Transportkäfig.

»Thirío«, rief Danèstra ihren Hund, der aufstand und sich sogleich gehorsam neben das Bett stellte. Auch er kannte das Ritual seit Dekaden.

Mabian befestigte das Tragegeschirr an Thiríos Rumpf und legte ihm das Halsband um. Eine leichte Kette führte zu einem Haken, der am Gürtel von Danèstras Rüstung arretiert wurde. Danach befestigte er als letzten abendlichen, hundertfach ausgeführten Handgriff Vélos’ Käfig am Geschirr des Hundes. Erst jetzt legte sich Thirío ab.

»Danke. Lösche die Kerzen noch und dann geh. Schlaf gut, Lieblingssohn.«

»Was ist mit dem Helm, Mutter?«

Danèstra überlegte. »Ich lasse ihn weg.«

»Wir könnten ihn Thirío aufsetzen.« Mabian grinste und ging im Gemach umher, erstickte die Flämmchen mit einem bronzenen Löschhut. »Ihn würde das nicht stören.«

»Nein, das tue ich ihm nicht an.« Danèstra schloss die Lider. Sie war wirklich sehr müde. In den letzten Tagen hatte sie auf den Feldern geholfen. »Ich freue mich auf das Fest morgen«, murmelte sie eindämmernd.

»Das ganze Gehöft tut das, Mutter«, erwiderte Mabian leise, und seine Stimme erklang wie aus großer Entfernung. »Du bist eine wunderbare Lehnsherrin für die Menschen …«

Der Rest seiner Worte ging in ein unverständliches Flüstern über, das sie in den Schlummer begleitete. Die Tür zu ihrer Unterkunft schloss sich mit einem Klacken, und es wurde still.

Danèstra spürte ihren Herzschlag in der Brust, vernahm das Pochen in den Ohren und das Pulsieren in den Schläfen.

Der Takt verlangsamte sich, verlor an Geschwindigkeit – bis kein weiteres Klopfen mehr kam.

Ein heißes Brennen breitete sich in ihrer Brust aus, und Danèstras Sonnengeflecht glühte auf.

Die Hitze flutete ihren Körper, vor ihren geschlossenen Lidern wurde es rot. Sie sah die Adern durch die dünne Haut und presste vor Schmerz die Zähne fest zusammen. All das kannte Danèstra.

Das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen, gesellte sich zur allgegenwärtigen Hitze, und sie rang keuchend nach Luft.

Unvermittelt sprang das Herz erneut an, es wummerte und raste in der Brust, dröhnte und krachte wie Hammerschläge in ihr. Sie schmeckte aufgewühlte Erde und roch Gras. Tau benetzte ihr Gesicht.

Schlagartig endeten das Fallen, die Hitze und die Dunkelheit.

Danèstra öffnete die Augen, die Pupillen gewöhnten sich an das Licht. Allmählich drangen Geräusche in ihre Ohren, die dumpf und undeutlich hallten. Sie passten nicht recht zu den zuckenden Figuren, die in dem Waldstück und auf der Straße vor ihr umhersprangen und torkelten.

»Thirío. Bist du da?«

Ihr Hund stieß sie als Antwort mit der Schnauze an.

Danèstra kniff die Lider mehrmals zusammen, und das Bild klärte sich.

Sie kniete zwischen lichten Tannen und Farngestrüpp. Eine unbefestigte Straße schnitt sich durch den Forst, in dem ein wüstes Scharmützel tobte.

Danèstra löste den Falkenkäfig vom Hundegeschirr, befreite Vélos und nahm die Haube ab, damit der Raubvogel sich orientieren konnte. Sie hakte Thiríos Kette aus und erhob sich behutsam.

»Da sind wir also, meine Getreuen«, sagte sie zu Falke und Hund. »Das Schicksal hat uns ein weiteres Mal entsandt, um jemandem beizustehen.« Danèstra blickte sich aufmerksam in dem Getümmel um und zog ihr Schwert. »Wer könnte das wohl sein?«

Nie wusste sie, zu wem sie geschickt worden war oder wo und in welchem Reich sie sich befand.

Einzig sicher war, dass sie Nankān nicht verlassen hatte. Sie konnte im Irrsal oder in einem der anderen Länder der Halbinsel stehen – sie würde es später herausfinden.

»Hey!«, schrie einer der Kämpfenden, die keinerlei Wappen auf den schäbigen, teils rostbesetzten Rüstungen trugen. »Wer bist du?« Er erstach seinen entwaffneten Gegner und wandte sich Danèstra zu, hob seinen tropfenförmigen Langschild und reckte das blutige Schwert gegen sie. »Ergib dich!«

Sie hob ihre eigene Klinge. »Deinesgleichen nicht.«

»Dann schneide ich deine Haut in …«, setzte der Krieger an und schlug dabei nach ihr.

Danèstra duckte sich unter dem Hieb weg und rammte ihre gepanzerte Schulter gegen den Schild.

Der kräftige Stoß warf den Gegner nach hinten um. Flink sprang sie auf seine metallbeschlagene Deckung, und die Kante zertrümmerte dem Mann die Nase. Mit einem Aufschrei versank er in Ohnmacht.

Danèstra verharrte auf dem Schild und ging auf ein Knie herab, spähte umher. »Zeig mir, weswegen du mich gerufen hast, Schicksal«, murmelte sie. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie nicht lange warten musste, um den Grund zu erfahren.

In dem wüsten Durcheinander aus blutigem Hauen, Stechen und Sterben wurde eine junge Schwangere von einem Krieger brutal zu Boden gestoßen. Seine Waffenhand mit dem Beil hob sich zum Schlag, um ihr den Schädel zu spalten. Sie krümmte sich zusammen, schützte das ungeborene Leben in ihrem Leib.

»Sie! Sie ist der Grund unseres Hierseins.« Danèstra rannte los, Schwert und Dolch erhoben. »Thirío, achte auf mich!«

Der Rüde bellte dunkler als beim Wettlauf auf dem Feld, und seine Gestalt änderte sich im Spurt. Er wuchs, seine Gestalt verbreiterte sich und erhob sich auf die Hinterläufe. Seine Schnauze bewehrte sich mit silbrig-metallenen Zähnen, die beim ersten Zuschnappen einen gegnerischen Unterarm samt Rüstung durchbissen. Blut spritzte, Hand und Waffe fielen auf den Waldboden. Der Gegner wich kreischend zurück und hielt sich den Stumpf.

Danèstra erreichte die kauernde Schwangere und den überraschten Krieger. »Halt!«, befahl sie und hob die Klinge. »Weg von ihr!«

N. K. Jemisin

Zerrissene Erde

Aus dem Amerikanischen von Susanne Gerold

Prolog
du bist hier

 

Beginnen wir mit dem Ende der Welt, ja? Bringen wir es hinter uns und wenden wir uns dann interessanteren Dingen zu.

Zunächst: das persönliche Ende.

Es gibt da etwas, über das sie später wieder und wieder nachdenken wird, wenn sie sich vorstellt, wie ihr Sohn gestorben ist. Wenn sie versucht, Sinn in etwas zu finden, das von Natur aus sinnlos ist. Sie wird eine Decke über Uches zerstörten kleinen Körper ausbreiten – nicht über seinem Gesicht, denn er hat Angst im Dunkeln – und betäubt neben ihm sitzen, ohne sich darum zu scheren, dass da draußen gerade die Welt untergeht. Die Welt in ihr ist bereits untergegangen, und weder das eine noch das andere geschieht zum ersten Mal. Es ist ein alter Hut für sie.

Was sie dabei – und danach – denkt, ist: Aber er war frei.

Und es ist ihr verbittertes, müdes Ich, das jedes Mal, wenn ihr verwirrtes, schockiertes Ich sie hervorbringt, auf diese Beinahe-Frage reagiert:

Nein, das war er nicht. Nicht wirklich. Aber jetzt wird er es sein.

 

Aber dir fehlt der Kontext. Wenden wir uns noch einmal dem Ende zu, diesmal kontinental.

Da ist ein Land.

Es ist ein ganz normales Land wie alle Länder. Es gibt Berge und Hochebenen und Schluchten und Flussdeltas, das Übliche. Ganz normal ist es, abgesehen von seiner Größe und seiner Dynamik. Es bewegt sich nämlich, dieses Land. Wie ein alter Mann, der ruhelos auf seinem Bett liegt, hebt und senkt es sich, zieht sich zusammen und furzt, gähnt und schluckt. Deshalb haben die Bewohner dieses Landes ihm den Namen Die Stille gegeben. Es ist ein Land der versteckten und verletzenden Ironie.

Die Stille hatte einst andere Namen. Früher einmal bestand das Land aus verschiedenen Ländern. Jetzt ist es ein einziger riesiger, zusammenhängender Kontinent, aber irgendwann in der Zukunft wird es wieder mehr als nur ein Land sein.

Ziemlich bald sogar.

Das Ende beginnt in einer Stadt: der ältesten, größten und herrlichsten lebendigen Stadt der Welt. Die Stadt heißt Yumenes, und sie war einmal das Herz eines Imperiums. Noch immer ist sie das Herz von vielem, allerdings ist das Imperium in den Jahren nach seiner ersten Blüte ein wenig verwelkt, wie das bei Imperien eben so ist.

Es ist nicht die Größe, die Yumenes einzigartig macht. In diesem Teil der Welt gibt es viele große Städte, die wie die Glieder einer Kette entlang des Äquators miteinander verbunden sind und eine Art Kontinentalgürtel bilden. Überall sonst auf der Welt werden nur selten aus Dörfern Städte, und Städte werden selten zu Großstädten, denn all diese Gemeinwesen sind schwer am Leben zu halten, wenn die Erde immer wieder versucht, sie zu verschlingen. Yumenes jedoch ist während der siebenundzwanzig Jahrhunderte, die sie existiert, fast immer stabil gewesen.

Yumenes ist einzigartig, weil nur hier die Menschen es gewagt haben, beim Bauen nicht auf Sicherheit zu setzen oder auf Bequemlichkeit, ja nicht einmal auf Schönheit, sondern auf Kühnheit. Die Stadtmauern sind ein Meisterwerk aus filigranen Mosaiken und Prägungen und zeugen ausgiebig von der langen und brutalen Geschichte ihrer Bewohner. Die dicht gedrängten Gebäude werden immer wieder durchbrochen von großen, hohen Türmen, die wie steinerne Finger wirken; von handgeschmiedeten Lampen, die von dem modernen Wunder der Hydroelektrizität mit Energie versorgt werden; von kühnen, gläsernen Brücken und von architektonischen Strukturen, die als Balkone bezeichnet werden und die zugleich so schlicht und albern sind, dass in der gesamten Geschichtsschreibung noch niemand zuvor so etwas gebaut hat. (Aber vergiss nicht, dass in der Geschichtsschreibung das meiste nie erwähnt wird.) Die Straßen bestehen hier nicht aus den üblichen, leicht zu ersetzenden Pflastersteinen, sondern aus einer glatten, lückenlosen und übernatürlichen Substanz, die von den Ortsansässigen als Asphalt bezeichnet wird. In Yumenes haben sogar die Baracken etwas Gewagtes, denn sie sind lediglich dünnwandige Hütten, die aussehen, als würden sie beim nächsten heftigen Wintersturm zusammenbrechen, erst recht bei einem Erdbeben. Und doch stehen sie schon seit Generationen.

Im Herzen der Stadt gibt es viele hohe Gebäude, und es überrascht wohl nicht, dass eines davon besonders groß und gewagter ist als alle anderen zusammen: ein massives Bauwerk, dessen Sockel in Form einer sternenförmigen Pyramide aus präzise behauenen Obsidianziegeln besteht. Pyramiden sind die stabilste architektonische Form überhaupt, und diese Pyramide ist gewissermaßen eine fünffache Pyramide – und warum auch nicht? Und weil das hier Yumenes ist, befindet sich am Scheitelpunkt der Pyramide eine riesige geodätische Kuppel mit facettierten Wänden, die an durchscheinenden Bernstein erinnern. Sie scheint dort zu balancieren, während in Wirklichkeit jeder Teil ihrer Struktur nur dazu dient, sie zu stützen. Das Ganze soll nur verwegen aussehen, weiter nichts.

Im Schwarzen Stern treffen sich die Oberhäupter des Imperiums, um das zu tun, was Oberhäupter so tun. Ihr vollkommener Herrscher wird in der Bernsteinkuppel verwahrt und sorgfältig geschützt. Er schlendert in vornehmer Verzweiflung durch die goldenen Hallen, tut, was man ihm sagt, und fürchtet den Tag, an dem seine Herren beschließen, dass seine Tochter ein besseres Schmuckstück abgibt als er.

All diese Orte und Bewohner spielen übrigens keine Rolle. Ich erwähne sie nur wegen des Kontextes.

Aber dieser Mann jetzt wird sehr wichtig werden.

Vorläufig kannst du dir selbst ausmalen, wie er aussieht. Du kannst dir auch selbst ausdenken, was er gerade denkt. Es mag falsch sein und nur Mutmaßungen, aber wahrscheinlich trifft irgendwas davon zu. In seinem Kopf können in Anbetracht seiner folgenden Taten nur wenige Gedanken sein.

Er steht auf einem Hügel unweit der Obsidianmauern des Schwarzen Sterns. Von hier aus kann er den größten Teil der Stadt überblicken, ihren Rauch riechen, sich in ihrem Geschwätz verlieren. Auf einem der Asphaltwege unterhalb von ihm spazieren ein paar junge Frauen; der Park, in dem sich der Hügel befindet, ist bei den Stadtbewohnern sehr beliebt. (Sorge für Grün innerhalb der Mauern, rät die Steinweisheit, aber in den meisten Gemeinschaften wird brachliegendes Land mit Gemüse und anderen Früchten bepflanzt und nutzbar gemacht. Nur in Yumenes wird das Grün zu Schönheit geformt.) Das Lachen der Frauen weht als Antwort auf etwas, das eine von ihnen gesagt hat, auf einer vorbeistreichenden Brise zu ihm herauf. Er schließt die Augen und genießt das schwache Tremolo ihrer Stimmen und den noch schwächeren Widerhall ihrer Schritte, die sich wie Flügelschläge von Schmetterlingen an seinen Mentastzellen anfühlen. Er kann nicht alle sieben Millionen Einwohner der Stadt mentasten, wirklich nicht. Er ist gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Die meisten allerdings sind da. Hier. Er holt tief Luft und wird zu einem Bestandteil der Erde. Sie schreiten über die Fasern seiner Nerven, und die feinen Härchen auf seiner Haut werden von ihren Stimmen bewegt. Ihr Atem kräuselt die Luft, die er in seine Lungenflügel zieht. Sie sind auf ihm. Sie sind in ihm.

Aber er weiß, dass er keiner von ihnen ist und auch niemals einer von ihnen sein wird.

»Wusstest du«, fragt er im Plauderton, »dass die erste Steinweisheit wirklich in Stein geschrieben wurde? Damit man sie nicht verändern und dem jeweiligen Zeitgeist oder der Politik anpassen konnte. Damit sie nicht verging.«

»Ich weiß«, sagt seine Begleitung.

»Hm. Ja, wahrscheinlich warst du dabei, als sie niedergeschrieben wurde, das hatte ich vergessen.« Er seufzt, während die Frauen sein Sichtfeld verlassen. »Es ist ungefährlich, dich zu lieben. Du wirst mich nicht enttäuschen. Du wirst nicht sterben. Und ich kenne den Preis im Voraus.«

Seine Begleitung erwidert nichts. Er hat eigentlich auch nicht damit gerechnet, selbst wenn ein Teil von ihm es gehofft hat. Er ist so einsam gewesen.

Aber Hoffnung ist irrelevant wie so viele andere Gefühle auch, die ihn – wie er weiß – nur verzweifeln lassen, wenn er sie beachtet. Er hat sich damit genug beschäftigt. Die Zeit des Zauderns ist vorbei.

»Ein Gebot ist in Stein gemeißelt«, sagt der Mann und breitet die Arme aus.

Stell dir sein Gesicht vor, das ihm vom vielen Lächeln wehtut. Stundenlang lächelt er: mit zusammengebissenen Zähnen, zurückgezogenen Lippen, der Bereich um die Augen in Falten gelegt, sodass die Krähenfüße sichtbar werden. Es ist eine Kunst, auf eine Weise zu lächeln, dass andere es glauben. Es ist immer wichtig, die Augen einzubeziehen; ansonsten merken die Leute, dass du sie hasst.

»Gemeißelte Worte sind absolut.«