Fatma - Irene Schlör Konakci - E-Book

Fatma E-Book

Irene Schlör Konakci

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Beschreibung

Fatma ist eine junge Türkin, die im relativ liberalen Klima der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in Istanbul erste Schritte zur Emanzipation wagt.

Ihre Ehe beginnt, obwohl arrangiert, glücklich. Der unerfüllte Kinderwunsch des jungen Paares wirft erste Schatten auf ihr Leben.

Als nach zehn Jahren erfolgloser ärztlicher Behandlung Fatma es wagt, ihren Mann Kemal zu bitten, sich urologisch untersuchen zu lassen, bekommen sie schnell zwei Kinder hintereinander.

Doch ein schreckliches Unglück treibt Fatma dazu, mit ihrem kleinen Sohn nach Deutschland zu fliehen, wo schon einer iher Brüuder mit seiner Familie lebt. Diese sind allerdings wenig erfreut über den Familienzuzug...

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Irene Schlör Konakci

Fatma

Geschichte einer Migrantin

Für alle meine türkischen Freundinnen, die eine unglaubliche Integrationsleistung vollbringenBookRix GmbH & Co. KG81371 München

In Istanbul sind die Straßen mit Gold gepflastert

 

In Istanbul sind die Straßen mit Gold gepflastert

 

Wie eine typische Fatma sah sie überhaupt nicht aus: Sie war blond, grünäugig und kleidete sich betont westlich. Und sie war so schön, dass dem Betrachter der Atem stockte.

 

Nach Istanbul kam die 19Jährige im Jahr 1969 durch Vermittlung ihrer Tante Hacer, die mit ihrem Mann und ihren vier Kindern dort lebte. Der Mann war Ingenieur und hatte Arbeit, die Wohnung der Familie gehörte ihr, sodass sie keine Miete zu zahlen brauchten, doch bei vier Schulkindern war das Geld immer knapp. Tante Hacer verstand sich aufs Nähen und nähte nebenbei für die Damen der Nachbarschaft, die ihr Stoff , Futterstoff, Nähseide und passend eingefärbte Knöpfe brachten, um den Preis fürs Nähen feilschten und sich dann wie selbstverständlich zu ihr auf den mit einer Decke geschützten Teppich im Wohnzimmer setzten. Das Zusammenheften der nach Schnittmustern ausgeschnittenen Teilstücke mit einer groben Nadel und einem Kontrastfaden übernahmen die Kundinnen oft selbst. Derweil köchelte in der Küche der Tee vor sich hin und wurde immer wieder in die kleinen Teegläser der versammelten Frauen nachgeschenkt.

So konnte die erste Anprobe noch am gleichen Nachmittag erfolgen, wobei Hacer mit dem Mund voll Stecknadeln um die auf einem Stuhl stehende Kundin herumkroch, aufstand, eine Naht auftrennte, eine Länge absteckte, den Spiegel holte und wieder wegbrachte und ständig beschwichtigte, man könne jetzt noch nichts sehen, bei der zweiten Anprobe in – „sagen wir mal, weil du’s bist, in einer Woche“ - wäre erst die ganze Pracht zu erahnen.

 

Teezeit

 

Teezeit

 

Eines Tages saß Fatma wie selbstverständlich am großen Tisch in Tante Hacers „Atelier“, legte Seidenpapier auf die neusten Burda-Schnittmuster und zeichnete die Umrisse sorgfältig nach, denn mit dem Umgang des Schneiderrädchens musste sie erst noch vertraut gemacht werden.. Danach schnitt sie die Teile aus und gab sie ihrer Tante, die sie fachkundig auf einem ausgebreiteten Stoffballen auflegte, feststeckte, mit einem kleinen Stück harter Kernseife ihre Umrisse übertrug und sie mit einer großen, dicken Schere geschickt ausschnitt. Darauf reichte sie sie einer ihrer auf dem Boden hockenden Besucherinnen zum Heften.

Ab und zu klingelte es an der Tür, denn es war Teezeit, nachmittags zwischen drei und sechs.Eine der Besucherinnen machte immer auf und man hörte ein allseitiges „Willkommen“, nach dem die neu Angekommene pflichtschuldigst ihren Gegengruß „Ich fühle mich willkommen“ murmelte und sich irgendwohin setzte, denn wo fünf Platz haben, passt immer noch eine Sechste hin, und wo schon sechs sitzen, da kommt es auf die Siebte bestimmt nicht mehr an. Man rückte zusammen, so gut es ging. Wenn es zu eng zum Arbeiten und Teetrinken wurde, stand eine auf und verabschiedete sich, nicht ohne zu versichern, sie habe sowieso gehen müssen. Manche Frauen hatten auch ihre Kinder dabei, die sie mit Stoffresten spielen hießen oder in den Schlaf wiegten, indem sie ein Kissen auf ihre ausgestreckten Füße legten und das Kind mit dem Gesicht zu sich so geschickt darauf platzierten, dass sie ihm durch rhythmische Seitwärtsbewegungen nur ihrer Füße das Gefühl gaben, gewiegt zu werden. Dabei schlief das Kind langsam ein und die Mutter konnte weiternähen und –schwatzen.

Man bemühte sich allerseits, die aus vielen Schilderungen Hacers wohl bekannte schöne Fatma nicht allzu offensichtlich anzustarren, was nicht jeder gelang.

„So, so, du kommst also geradewegs aus Adana. – Wie ist denn das Wetter dort? – Seit wann bist du denn hier? – Mit welcher Buslinie bist du gekommen? Warst du zufrieden? Was hat denn die Fahrkarte gekostet? - Wie geht es deiner Familie, deinem Vater (dass die Mutter gestorben war und dass Fatma den Haushalt für Vater und Geschwister machte, wussten natürlich alle), deinen Brüdern und Schwestern? Was machen sie jetzt ohne dich? – Sind bei euch auch heuer das Gemüse und die Zwiebeln teurer geworden? Aber nein, dort habt ihr das ja in Hülle und Fülle! Was kostet bei euch auf dem Markt ein Kilo Zwiebeln?“

Hacer bemühte sich, Fatma zu entlasten, indem sie alle Fragen unglaublich schnell und geschickt parierte und gleichzeitig froh war, dass auch ihre Nichte nicht auf den Mund gefallen war.

Da alle wussten, dass Fatma der Mutter eines jungen Zuckerbäckers „gezeigt“ werden sollte, dies aber völlig unbefangen und zufällig zu geschehen hatte, fieberten sie dem Eintreffen dieser Kundin entgegen, die auch ihr Kommen zur zweiten Anprobe für diesen Nachmittag beiläufig angekündigt hatte. Während alle unbefangen die Schönheit und Grazie Fatmas mehr oder minder hinter vorgehaltener Hand oder ganz offen lobten, hörten sie also nebenbei auf jedes Klingeln oder Klopfen an der Haustür.

Fatma schwitzte unter der emotionalen Belastung und bekam immer mehr das Gefühl in einem Schaufenster zu sitzen und taxiert zu werden.

„Ich hole frischen Tee“, stieß sie hervor und stand abrupt auf, so dass sie sich am Tisch wehtat und denselben zum Wackeln brachte. Jetzt sahen alle auf ihre schmale Taille, ihre großen Brüste und ihre wohlgeformten Beine, alles in dem von ihrer Tante neu genähten hellgrünen Kleid vorteilhaft zur Geltung kommend.

Vor Bewunderung wurden auf einmal alle still. Die Älteste fasste sich zuerst und säuselte:

„Aber nein, mein schönes Kind, du bist ein frisch angekommener Gast, da genießt du noch Schonung, lass uns das heute machen!“

Resigniert setzte sich Fatma wieder und legte ihre ihr fremd erscheinenden manikürten Hände auf die Stoffmuster vor sich, um weiterzuarbeiten.

Da klingelte es wieder einmal. Zwei Frauen gleichzeitig eilten zur Tür und man hörte im Flur eine sonore, selbstgefällige Stimme tönen: „Gott zum Gruß allerseits! Ist die Hausherrin denn nicht da?“

 

Der Bräutigam

Der Bräutigam

 

Fatmas zukünftiger Mann Kemal hatte einen Zwillingsbruder, der sich zu gut für den Bäckerberuf war und den elterlichen Laden definitiv nicht übernehmen würde. Doch Kemal war in der kleinen, sich unmittelbar an den Verkaufsraum anschließenden Backstube nicht unglücklich. Alles lief seinen geordneten Lauf, seine Arbeit war vorhersehbar, verlässlich und fast immer die gleiche. Es bereitete ihm eine gewisse Befriedigung, immer wieder abgemessenes Mehl und andere Zutaten in den Backtrog zu füllen und die Knetmaschine anzuwerfen. Er fühlte sich in seiner Kompetenz bestätigt, wenn der Teig schließlich Blasen warf und er ihn herausnehmen und in verschiedene Formen bringen durfte. Für das Blätterteiggebäck „Baklava“, das er am häufigsten zubereitete, drehte er Lage um Lage durch die Walzmaschine, bis er viele hauchdünne davon hatte. Geschickt bestäubte er sie mit Mehl, damit sie nicht aneinanderklebten. Inzwischen hatte er auf dem Gasherd Zucker zu einem dicklichen Sirup aufgekocht und etwas abkühlen lassen. Jetzt nahm er eines der Riesenbleche und fettete es mit flinken Fingern ein, immer sparsam mit den Zutaten umgehend, denn zwar sollte der Geschmack am Ende nicht leiden, doch rentabel musste der Verkauf des Gebackenen auf jeden Fall sein.

Mit sicheren Handbewegungen warf er die Teiglagen aufs Blech, wobei zwischen je zwei Lagen eine ebenfalls dünne Schicht Sirup mit gehackten Nüssen oder Mandeln oder Pistazien oder einfach mit Kokosraspeln oder etwas Honig kam. Sein Werkzeug, das seit Generationen in der Familie war, half ihm den Teig zu kämmen, zu formen und dem Fertigen schließlich ein quadratisches Gitter aufzudrücken, das die portionsgerechte Baklava noch vor dem Backen fast bis zur letzten Lage (aber eben nur fast!) trennte.

Er machte natürlich auch süßes und salziges Hefegebäck und glasierte Obsttörtchen, Schokoladensüßstücke und bröckliges Mehlgebäck mit Rosenwasser und andere traditionelle Backwaren. Wenn es Abend wurde, tat es ihm fast leid, dass er aufhören musste. Das Verkaufen überließ er dem angestellten Mitarbeiter, einem Verwandten, denn er selbst hasste Publikumsverkehr. Nach getaner Arbeit nahm er seine Schürze und sein Käppi ab, wusch sich Hände, Gesicht, Ohren und Füße am Reinigungsbrunnen der nahen Moschee und nahm am Abendgebet teil. Nach dem Abendessen, das er zuhause bei den Eltern einnahm, ging er meistens ins Teehaus nebenan, trank ein paar Gläser starken Tee und spielte dabei Backgammon oder Karten, manchmal auch um geringe Geldeinsätze, damit es spannender wurde, was man sich selbstverständlich nicht anmerken ließ. Gegen halb elf abends war für gewöhnlich Schluss und alle machten sich friedlich auf den Nachhauseweg.

Kemals Mutter wusste um die Eigenheiten ihres Sohnes und sehr wohl auch, wie wertvoll er für die Konditorei war, und da der Laden eine große Familie ernährte, wollte sie ihren Sohn auch bei Laune halten.

Also versprach sie ihm eine wunderschöne Braut auszusuchen, die außerdem sittsam, gehorsam und fleißig war.

Kemal war zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt und bis dahin noch nie richtig verliebt gewesen. Und außer ein paar Bordellbesuchen mit Kameraden während seiner Militärzeit hatte er keine sexuellen Erfahrungen. Die Huren hatte er in unangenehmer Erinnerung, sie waren älter als er gewesen und verhielten sich dementsprechend dominant, sie hatten zur Eile gemahnt und ihn noch dazu forsch um ein „Trinkgeld“ gebeten.

Kemal sehnte sich nach einer Liebesbeziehung, wie er sie in den einschlägigen türkischen Filmproduktionen der 60-er Jahre gesehen hatte: athletisch gebaute, gut aussehende, edelmütige, selbstlose, wortkarge und einsame Helden waren darin unsterblich und natürlich unglücklich verliebt in ein unerreichbares, hochanständiges Mädchen. Diese Liebe adelte sie und sie trugen ihr Schicksal stolz und unnahbar, bis sie – man wusste es nie – vielleicht doch in dem einen oder anderen Film die Angebetete heiraten durften, eine wunderschöne, glutäugige, sich tapfer gegen die Widerwärtigkeiten oder Hindernisse in ihrem Leben zur Wehr setzende Frau von tadellosem moralischem Verhalten.

Kussszenen oder gar unbekleidete Darsteller gab es nur selten, und wenn, dann handelte es sich unweigerlich um „leichte“ Mädchen, stark geschminkt und für Geld zu allem bereit.

Kemal wollte einmal ein Mädchen zur Frau, das ihn lieben und ehren , ihm sein Haus bestellen, seine Großfamilie zusammenhalten und ihm fleißige Söhne und gehorsame Töchter schenken würde.

 

 

Der Handel

 

Der Handel

 

Kemals Mutter beugte sich vertrauensvoll vor und sah Hacer in die Augen: „2000 Lira für dich, 2000 für den Brautvater. Sie erfährt es natürlich nicht. 8 gedrechselte Armreifen in 22 Karat Gold für die Braut bei der Hochzeitsfeier, dazu die traditionellen 5 Goldstücke an der Halskette.“

Hacer zog ein säuerliches Gesicht. „10 Armreifen, und nur von den breiten, wie sie bei uns im Süden üblich sind. Und einen Diamantring auf den Ehering drauf.“

Die Bäckersfrau zog die fein gezupften Augenbrauen hoch und band ihr Kopftuch neu. Sie setzte geduldig noch einmal an: „Hacer, du bist seit vielen Jahren meine Nachbarin und ich mag dich sehr. Ich bin auch nicht blind oder dumm und sehe, dass du deine Familie und ihre Interessen prima im Griff hast. Mein Angebot hast du gehört. Und es ist so großzügig ausgefallen, weil deine Nichte tatsächlich sehr schön ist und auch fleißig zu sein scheint, wenn man bedenkt, dass sie seit ihrem 13. Lebensjahr ihren Geschwistern und ihrem Vater den Haushalt macht, was ja auch zu klappen scheint. Da ich aber annehme, dass sie nichts in die Ehe bringt, nicht einmal eine Schlafzimmerausrüstung.“

– „Das ist nicht wahr! Ich nähe und sticke seit Jahren an ihrer Aussteuer, seit meine arme große Schwester, möge sie im ewigen Lichte ruhen“ – „ Aber ja doch, das habe ich mit eigenen Augen gesehen..." – „ Im ewigen Lichte ruhen, Amen! Eine Waise werde ich nicht ohne die nötigen Teller, Tassen, Handtücher..“

Die Bäckersfrau war beleibt und fing an zu schwitzen. Wenn sie Hacers Ehre als Hausfrau und Familienfrau nur im Geringsten ankratzte, konnte die Sache sich in die Länge ziehen, und das war nicht in ihrem Interesse. Fatma bekam bestimmt einen Mann, der den geforderten Brautpreis zahlte, bei ihrer Schönheit konnte ihr Vater noch weit mehr für sie verlangen.. Andererseits, die Zeiten hatten sich geändert und zumindest hier in Istanbul heirateten immer mehr junge Leute ohne Brautpreis, ohne vereinbarten Goldschmuck, ohne Hochzeitsfeier und manche sogar ohne Vermittlung ihrer Familien.

Sie hörte Hacer weiterplappern: ...“ eine Koranhülle habe ich mit diesem so schwer zu verarbeitenden Goldfaden nach alten, traditionellen Mustern aus dem Saray bestickt...“ – „ Hacer, meine liebe Freundin, deine geschickten Hände haben zweifellos eine wunderschöne Aussteuer angefertigt. Aber du musst doch einsehen, dass ich von Möbeln, Gardinen und Teppichen spreche.“

Hacer sah gekränkt zur Seite und hob das Kinn. „Allah ist groß. Eins wird sich zum andern fügen. Wenn sich zwei Herzen verstehen, wird sogar eine Scheune zum Paradies.“

Die Besucherin seufzte. „In der ersten Zeit können sie bei uns wohnen, die Wohnung ist groß genug. Und mein anderer Sohn denkt nicht ans Heiraten. Er ist überhaupt noch nicht so weit wie sein fleißiger Bruder. Wenn die Geschäfte weiterhin so gut gehen, was Allah in seiner Güte und Voraussicht so fügen möge, dann kann mein Löwensohn bald eine eigene Wohnung zahlen.“

Hacer fiel ihr abermals ins Wort: „Ich habe gehört, das Grundstück am Ende der Straße ist verkauft worden. Der Bauunternehmer, der Lase Hasan, will ein vierstöckiges Haus darauf bauen. Der Grundstücksinhaber soll zwei Wohnungen bekommen, dabei sollen im Ganzen 10 Wohnungen entstehen. Die ersten Interessenten rennen ihm schon das Haus ein, es ist ja bekanntlich besonders günstig, wenn man gleich zu Beginn einstiegt, praktisch schon, wenn die Baugrube ausgehoben wird.“