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Nichts geht über diese Freundschaft. Nichts. Erst recht keine blöden Gefühle.
Geschafft! Mehr als ein Jahr lang war Sophie unglücklich in ihren Mitbewohner und besten Freund Cole verliebt, aber nun ist sie endlich über ihn hinweg. Doch ausgerechnet jetzt gesteht er ihr seine Gefühle! Sophie kann es nicht fassen. Und erst recht nicht kann sie es wagen, ihr Herz derart in Gefahr zu bringen, wo es doch so lange gedauert hat, es zu heilen. Also schlägt sie Cole ihren selbst getesteten und für gut befundenen Zwölf-Punkte-Plan vor, um ihm dabei zu helfen, sich wieder zu entlieben. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass die gemeinsame Zeit mit Cole das Kribbeln zwischen ihnen nicht löschen, sondern neu entfachen könnte ...
"Die Geschichte von Sophie & Cole hat mir Schmetterlinge in den Bauch und ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Ein absolutes Herzensbuch." MARIESLITERATUR
Die WAS AUCH IMMER GESCHIEHT-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Bianca Iosivoni:
1. Finding Back to Us
2. Feeling Close to You
3. Fighting Hard for Me
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Seitenzahl: 507
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Playlist
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Bianca Iosivoni bei LYX
Leseprobe 1
Leseprobe 2
Impressum
BIANCA IOSIVONI
Fighting Hard for Me
Roman
Sophie traut ihren Ohren nicht, als Cole ihr aus heiterem Himmel gesteht, dass er sich in sie verliebt hat. Ausgerechnet jetzt! Ein Jahr lang musste sie mit den Gefühlen kämpfen, die sie für ihren besten Freund entwickelt hatte. Ein Jahr, in dem ihr nicht nur ihr schmerzendes Herz, sondern auch ihr schlechtes Gewissen das Leben schwer gemacht haben. Denn insgeheim wusste Sophie, dass sie damit ihre Freundschaft gefährdete. Deshalb nahm sie ihren selbst entworfenen und bereits von mehreren Freundinnen getesteten Zwölf-Punkte-Plan zur Hand, der ihr dabei helfen sollte, sich wieder zu entlieben. Und vor einem Monat war es so weit: Ihre Gefühle für Cole waren verschwunden! Umso mehr wirft sie nun sein Geständnis aus der Bahn, denn keinesfalls kann sie es wagen, ihr Herz erneut in Gefahr zu bringen, wo es so lange gedauert hat, es zu heilen. Also schlägt Sophie Cole vor, das Zwölf-Punkte-Programm ebenfalls zu durchlaufen, um so schnell wie möglich über sie hinwegzukommen. Doch je mehr Zeit sie dabei miteinander verbringen, desto mehr gerät Sophies Überzeugung ins Wanken, dass ihre Gefühle für Cole wirklich verschwunden sind …
Für alle,
die auf Sophies und Coles Geschichte
gewartet haben.
Alanis Morissette – Ironic
The Offspring – Self Esteem
Marshmello, Anne-Marie – FRIENDS
Demi Lovato – Heart Attack
Cody William Falkosky – Champion
Taylor Swift – How You Get The Girl
Natasha Bedingfield – Pocketful of Sunshine
Backstreet Boys – I Want It That Way
Skylar Grey – Stand By Me
Liquido – Narcotic
Ryan Star – We Might Fall
Sean Paul – Temperature
Bellini – Samba De Janeiro
Meghan Trainor – Friends
The Cardigans – Lovefool
Backstreet Boys – Quit Playing Games (With My Heart)
Roxette – Fading Like A Flower (Every Time You Leave)
Secondhand Serenade – Fall for You (Acoustic)
Jon McLaughlin – Still My Girl
Valerie Broussard, Lindsey Stirling – Deeper
Valerie Broussard – Hold on to Me
Jason Derulo – Fight for You
The Corrs – Breathless
Liquido – Narcotic (Long Version)
Heute war ein guter Tag. Und wenn ich mir das oft genug sagte, glaubte ich es vielleicht sogar. Denn nur, weil ich mir heute gleich nach dem Aufstehen schon den großen Zeh am Bett gestoßen und mir die Schranktür gegen den Kopf geknallt hatte, dem Coffeeshop gerade mein Lieblingskaffee ausgegangen war und mich dieser gruselige Typ aus dem Physik-II-Kurs schon wieder mit Nachrichten bombardierte, musste das nicht bedeuten, dass der restliche Tag genauso mies werden würde. Im Gegenteil: Er würde fantastisch sein. Das beschloss ich einfach.
Daran konnte auch der Strafzettel nichts ändern, den ich von meiner Windschutzscheibe pflückte, nachdem ich meinen letzten Kurs, und damit auch die University of West Florida, für heute hinter mir gelassen hatte.
Argh. Ich knüllte den Strafzettel zusammen und warf ihn auf die Beifahrerseite. Dann schnallte ich mich an und startete den Motor, der so laut rumpelte, als würde gleich die Apokalypse über uns hereinbrechen. Cole hatte schon hundertmal angeboten, dass sich sein Cousin siebten Grades oder der Schwager seines Onkels zweiten Grades oder wer auch immer aus seiner Familie den Wagen anschaute, aber bisher hatte ich immer dankend abgelehnt. Solange die alte Klapperkiste noch fuhr, war mir alles andere egal. Auch dass die Klimaanlage schon seit fünf Jahren nicht mehr richtig funktionierte und es jedes Mal, nachdem sie kurz angesprungen war, wieder in den Fußraum tropfte. So wie jetzt.
Tief durchatmen, Sophie. Heute ist ein guter Tag.
In Gedanken sagte ich mir die Worte immer wieder vor und war so damit beschäftigt, dass ich den Fahrradfahrer übersah, der genau in dem Moment neben mir auftauchte, als ich aus der Parklücke ausscheren wollte. In letzter Sekunde trat ich auf die Bremse, und das Auto kam mit einem Ruck zum Stehen. Genau wie der Radfahrer, der mir erst einen geschockten, dann einen wütenden Blick zuwarf und den Mittelfinger zeigte, begleitet von einigen sehr unfreundlichen Worten.
»Hey, du hast keinen Kratzer abbekommen«, murmelte ich, obwohl ich wusste, dass ich an seiner Stelle ähnlich aufgebracht wäre.
Ich schob mir die Brille auf der Nase hoch und schaute mich besonders gründlich um, nämlich in jeden Spiegel, nach hinten und sogar nach vorne, obwohl neben dem Parkplatz nur die perfekt getrimmte Grünfläche war, die zum West Florida Media & Arts College gehörte. Ihr Campus grenzte direkt an unseren und manchmal nutzten wir auch die Gebäude der jeweils anderen Uni. Zum Beispiel, wenn im Spätsommer wieder mal die Klimaanlage ausfiel und natürlich wir, die Physikstudentinnen und -studenten, in einen anderen Kursraum übersiedeln mussten.
Ein Hupen ertönte hinter mir und ich zuckte zusammen.
»Sorry!« Ich hob entschuldigend die Hand und gab dem wartenden Fahrer ein Zeichen, dann scherte ich endlich aus – diesmal ohne dabei fast jemanden zu töten – und verließ den Parkplatz.
Dank des abendlichen Kurses geriet ich wie jeden Dienstag und Donnerstag mitten in den Feierabendverkehr. Pensacola mit seinen rund dreiundfünfzigtausend Einwohnern mochte nicht die größte Stadt der Welt sein, nicht mal die größte in Florida, aber wenn gefühlt alle auf den Straßen waren, wirkte es, als würde man in einer Weltmetropole leben. Wo kamen all diese Menschen in den Autos her und warum waren sie nicht schon längst zu Hause oder am Strand? Selbst im November war es hier mit bis zu zwanzig Grad noch warm genug, um die Sonne zu genießen oder sogar schwimmen zu gehen, auch wenn es mit jedem Tag ein klein wenig kühler wurde.
Ich bog noch ein paarmal ab, wich einem Stau in letzter Sekunde aus, und erreichte nach einer Ewigkeit endlich das Haus, in dem ich zusammen mit vier meiner engsten Freunde das oberste Stockwerk bewohnte. Die letzten Sonnenstrahlen ließen das Rot der Fassade aufleuchten, als würde das Gebäude in Brand stehen. Ich sah lieber zweimal hin, um sicherzugehen, dass das nicht tatsächlich der Fall war, denn bei den Chaoten war das gar nicht so unwahrscheinlich.
Aber nein. Es waren wirklich nur die Sonnenstrahlen, die das sonst eher gedeckte Rot strahlen ließen, genauso wie die grün umrandeten Sprossenfenster und das Weiß der Veranda. Nur die Dachziegel wirkten wie eh und je schmutzig braun und matt.
Ich stellte den Wagen am Straßenrand ab, schaltete den Motor aus und schnappte mir meine Sachen. Gleich nachdem ich die Tür zugeschlagen hatte und drei Schritte weit gekommen war, fiel mir ein, dass ich den Strafzettel vergessen hatte, also machte ich seufzend auf dem Absatz kehrt und durchsuchte die Beifahrerseite nach dem blöden Ding. Auf dem Sitz war er nicht, genauso wenig im Seitenfach oder auf der Mittelkonsole.
Frustriert pustete ich mir eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Das mit dem Seitenscheitel war eine ganz blöde Idee meiner Friseurin gewesen, denn nun fielen mir die kürzeren Strähnen ständig in die Augen, während die längeren brav dort blieben, wo sie sein sollten, nämlich auf meinem Rücken. Dabei hatte ich überhaupt keinen neuen Haarschnitt gebraucht. Eliza und Teagan hatten mich mitgeschleppt und ich hatte spontan beschlossen, etwas Neues auszuprobieren. Doch mittlerweile bereute ich das irgendwie.
»Wo ist denn … ha!« Ich lehnte mich noch weiter über den Sitz und tastete im Fußraum herum. Als meine Finger in etwas Feuchtes griffen, kräuselte ich angewidert die Nase. Gleich darauf zog ich das zerknüllte, jetzt eher zermatschte Papier hervor. Es war zielsicher in den Teil des Fußraums gefallen, in dem es sich mit dem tropfenden Wasser der Klimaanlage vollsaugen konnte. Wundervoll. Einfach wundervoll.
Mit dem triefenden Papier in der Hand schloss ich das Auto erneut ab, nahm die Stufen zum Haus hinauf und öffnete die Tür. Vom Eingangsbereich aus führte eine weitere Tür in die untere Wohnung, in der unser Vermieter Mr Oakley lebte. Zumindest hoffte ich, dass er noch lebte, denn ich hatte den alten Herrn schon eine ganze Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen. Rechts davon führte eine Treppe nach oben zur WG.
Beim Näherkommen hörte ich keine Musik, was ungewöhnlich war. Normalerweise schallten die unterschiedlichsten Musikrichtungen aus den einzelnen Zimmern, als wollten wir uns gegenseitig mit der Lautstärke übertönen – was wir manchmal tatsächlich versuchten. Zum Glück war Mr Oakley schwerhörig und schaltete sein Hörgerät öfter aus als ein.
Ich öffnete die Wohnungstür, warf meinen Rucksack im Vorbeigehen in mein Zimmer, genauso wie den mittlerweile echt ekligen Strafzettel, der wahrscheinlich nicht mal mehr leserlich war, und steuerte die Küche an. Beim Näherkommen hörte ich bereits die Stimmen von zwei meiner Mitbewohner: Eliza und Cole.
Die einzige andere Frau in dieser WG saß mit einem Grafiktablet und einem Stift in der Hand am Küchentisch. Einen zweiten hatte sie sich hinters Ohr geklemmt, das mehr Ringe und Stecker trug, als ich zählen konnte. Das seit unserem gemeinsamen Friseurbesuch knallgrüne Haar fiel ihr vorne in die Augen, während es im Nacken und auf der rechten Seite kurz geschoren war. Wie so oft trug sie einen langärmligen Pullover, Hot Pants und Plüschsocken, weil sie ständig fror. Selbst im Sommer. Was nicht die kurze Hose erklärte, aber dieses Thema hatte ich schon zu oft mit ihr durch, um mich noch darüber zu wundern.
Die beiden hatten mich noch nicht bemerkt, und während Liz wie wild auf dem Tablet zeichnete, die Füße auf einem zweiten Stuhl hochgelegt, stand Cole mit dem Rücken zu mir am Herd. Ich blieb im Türrahmen stehen, schob mir die Brille auf der Nase hoch und nahm mir ganz bewusst Zeit, ihn zu betrachten.
Seine kurzen schwarzen Haare waren verstrubbelt, als wäre er sich heute schon mehrmals frustriert mit den Fingern hindurchgefahren. Von hier aus konnte ich nur die beiden Ohrpiercings sehen, dabei hatte er auch noch eines in der linken Augenbraue. Das weiße T-Shirt wies an der Schulternaht bereits ein kleines Loch auf und war völlig verwaschen, aber es war sein Lieblingsshirt mit dem Logo einer seiner liebsten Rockbands darauf, also würde er es vermutlich bis an sein Lebensende anziehen. Allerdings könnte es ihm bald zu eng werden, wenn er noch ein paarmal öfter mit unseren anderen Mitbewohnern Parker und Lincoln ins Fitnessstudio ging. Dabei hatte Cole die Muskeln meiner Meinung nach gar nicht nötig. Er war der eher schlaksige Typ, der allein aufgrund seiner Größe neben den anderen Jungs in der WG schlank aussah. Doch seit Kurzem spannten die Ärmel seiner Shirts um seine Oberarme.
Ich blinzelte leicht und ließ den Blick wandern. Wie so oft trug er eine schlichte Jeans, die tief auf seinen Hüften saß, und stand barfuß auf den kalten Fliesen in der Küche. Ein Albtraum für Liz, aber auch diese Diskussion hatte ich schon oft genug geführt und keine Lust auf eine Wiederholung davon, also kommentierte ich es nicht. Stattdessen konzentrierte ich mich für einen Moment ganz darauf, was in mir vorging. Was ich fühlte.
Da war … nichts. Kein Herzrasen. Keine schwitzigen Hände. Kein Kribbeln im Magen. Kein Erröten. Nichts. Ha!
Schließlich war es mein Magenknurren, das mich in die Küche trieb. Ich hatte keine Ahnung, wann ich heute zuletzt etwas gegessen hatte, und war nach dem letzten Seminar und dem Heimweg aus der Hölle am Verhungern.
»Hey Soph. Wie war dein Tag?«, fragte Cole und warf mir einen kurzen Blick zu, während er in ein paar Töpfen herumrührte. Dabei bewegten sich die vielen bunten Tattoos, die seine beiden Arme bedeckten, ganz von allein, als hätten sie plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Ganz egal, wie oft ich sie mir ansah, sie waren einfach immer faszinierend. Vor allem für jemanden, der selbst kein einziges Tattoo hatte.
Ich riss meine Aufmerksamkeit von Coles Tätowierungen los und richtete sie auf die Töpfe, aus denen es dampfte. Ich hatte zwar keine Ahnung, was er da gerade fabrizierte, aber bisher roch es zumindest nicht verbrannt, was mich vorsichtig optimistisch stimmte. Ansonsten stand nach der letzten Küchenkatastrophe aber auch der Feuerlöscher in der Ecke direkt daneben. Nur für den Notfall.
»Ihr Tag war beschissen«, antwortete Liz für mich, als hätte ein einziger Blick in mein Gesicht für diese Schlussfolgerung gereicht.
Auf halbem Weg zum Kühlschrank blieb ich abrupt stehen, drehte mich zu ihr um und stemmte die Hände in die Hüften. »Woher willst du das wissen?«
Bevor sie antworten konnte, hörten wir, wie eine Tür in der Wohnung aufging. Gleich darauf schlenderte Parker in die Küche, blieb stehen und sah von einem zum anderen. »Was ist denn hier los?«
»Sophie hatte einen miesen Tag«, antworteten Cole und Liz gleichzeitig, während ich nur die Zähne zusammenbeißen konnte.
Ich liebte diese WG heiß und innig. Ganz ehrlich. Aber manchmal … manchmal könnte ich jedem einzelnen meiner Mitbewohner den Hals umdrehen. Und das nicht nur, weil wir alle bereits mehr als einmal nur knapp dem Tod entkommen waren, da wieder mal jemand den Herd angelassen oder das Bad unter Wasser gesetzt hatte, während das Glätteisen vergessen dalag und noch auf Hochtouren lief.
»Verstehe«, erwiderte Parker, ging an mir vorbei und holte sich einen Energydrink aus dem Kühlschrank.
Ich hatte zwar keine Ahnung, wie spät es genau war, aber wahrscheinlich hatte sein Livestream bereits begonnen und er würde sich gleich wieder ins nächste Abenteuer in der Gamingwelt stürzen, das Zehntausende von Zuschauern begeistert mitverfolgten. Vielleicht zockte er aber auch ein Onlinespiel gegen seine Freundin Teagan – und verlor wieder haushoch.
Um ehrlich zu sein, fragte ich mich manchmal, wie ich eigentlich hier gelandet war. Jeder meiner Mitbewohner hatte etwas mit Games, Computern oder anderer kreativer Arbeit zu tun. Cole war ein ambitionierter Game-Designer, Eliza zeichnete mit Leidenschaft ihre Webcomics und sogar Lincoln konnte sich stundenlang in seinen Cybersecurity-Kursaufgaben verlieren. Parker studierte zwar irgendein Business-und Managementzeug, aber nur, um sein bereits aufgebautes Business mit den Gaming-Livestreams möglichst effizient am Laufen zu halten. Und ich? Ich schlug mich mit Formeln, Experimenten, Theorien und physikalischen Gesetzen herum, weit weg von der bunten Gaming- und spannenden IT-Welt.
»Es ist mir egal, was ihr sagt«, behauptete ich und machte eine ausladende Bewegung, die sie alle einschloss, ehe ich Parker zur Seite schob und mir ein Sandwich von heute Morgen aus dem Kühlschrank holte. Damit bewaffnet verließ ich die Küche wieder, allerdings nicht, ohne das letzte Wort zu haben: »Heute ist ein fantastischer Tag!«
Der beste sogar. Denn heute war ein Jubiläum. Genau heute seit einem Monat war ich endlich frei. Nicht frei von der Uni mit all den Seminaren, Hausarbeiten, Praxisübungen und dem Tutorium, das ich mir hatte aufschwatzen lassen, schließlich steckte ich mitten im Semester und Anfang Dezember standen schon die Finalexamen an – aber ich war frei von meinen ungewollten Gefühlen für einen ganz bestimmten Mitbewohner. Ein ganz bestimmter Mitbewohner, der nie, nie, niemals etwas davon erfahren würde. Vor allem nicht von meinen sehnsüchtigen Gedanken oder dem völlig deplatzierten Bauchkribbeln, wann immer er mich ansah oder zufällig berührte. Ganz zu schweigen von den nächtelangen einsamen Filmmarathons, wenn ich vor lauter Nachdenken über ihn, über uns nicht schlafen konnte und stattdessen jede Menge Taschentücher verbraucht und Eispackungen ganz allein ausgelöffelt hatte.
Egal. Es war vorbei. Vor genau einem Monat hatte ich Schritt zwölf geschafft – der letzte Punkt meines Zwölf-Punkte-Plans – und war seitdem wieder ein freier Mensch.
Endlich.
Nichts und niemand konnte mir das nehmen. Nicht einmal Cole Springman.
Ich hätte niemals damit gerechnet, dass dieser Moment eines Tages eintreffen könnte, doch nun war es passiert. Und was wie eine dämliche Clickbait-Headline in den Weiten des Internets klang, war leider meine Realität geworden: Ich hatte mich verliebt.
Jepp. Ich. Cole Springman. War. Verliebt. Und das nicht in irgendjemanden, sondern ausgerechnet in die Frau, von der ich mir ziemlich sicher war, dass sie einen Lachflash kriegen würde, sobald sie davon erfuhr. Dicht gefolgt von einem Erstickungsanfall, weil … na ja, wir redeten hier immerhin von Sophie. Wenn nicht der Erstickungsanfall folgte, stolperte sie auf der Flucht vor mir und meinen Gefühlen, blieb irgendwo hängen oder fiel über ein unsichtbares Hindernis auf dem Boden. Dass sie es überhaupt geschafft hatte, bis heute zu überleben, grenzte an ein Wunder.
Ich konnte nur hoffen und beten, dass ihr meine Neuigkeit nicht den Rest geben würde.
Schon heute Morgen hatte ich mir vorgenommen, es ihr zu beichten, aber dann war alles ganz anders gekommen. Sophie hatte noch mehr verschlafen als sonst und das Haus überstürzt verlassen, ohne ein Wort mit einem von uns zu wechseln. Sie hatte sogar ihr Sandwich vergessen. Oft fuhren wir zusammen zum Campus, denn auch wenn wir völlig unterschiedliche Studiengänge an verschiedenen Universitäten belegten, lagen die doch direkt nebeneinander. Allerdings war heute einer dieser Tage gewesen, an denen Sophie von morgens bis abends Kurse hatte, während ich erst mittags in meine erste Vorlesung musste.
Da ich außerdem früher Schluss gehabt hatte, stand ich jetzt in der Küche und versuchte, für meine Mitbewohner und mich etwas Essbares zu kochen. Na ja, und weil ich Hunger hatte und mich von den ganzen Was-wäre-wenn-Szenarien in meinem Kopf ablenken wollte.
Es war nicht so, dass ich noch nie Gefühle für eine Frau gehabt hatte, schließlich war ich kein Arsch und auch kein Womanizer, der jede Woche eine Neue abschleppte. Ich hatte durchaus Beziehungen gehabt, nur hatten die alle nicht sonderlich lang gehalten. Ein paar Tage, Wochen, Monate. Mehr war nicht drin. Meistens war ich derjenige, der den Schlussstrich zog, sobald sich meine Partnerin Zukunftspläne ausmalte, die wir definitiv nicht umsetzen würden. Oder meine Freundinnen gaben mir den Laufpass, weil ich emotional nicht involviert genug war oder eben nicht die gemeinsame Zukunft planen wollte. Aber, ganz ehrlich? Wozu denn? Wir waren jung, wir studierten noch und wer zum Teufel wusste schon, wo wir in ein paar Jahren sein und was wir tun würden? Ich wusste es jedenfalls nicht und wollte mich auch nicht festlegen. Dummerweise sahen das meine Ex-Freundinnen anders. Zumindest das hatten sie alle gemeinsam.
Dass ich mich tatsächlich mal so richtig verlieben würde, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Schon gar nicht in Sophie. Denn sie war nicht nur meine Mitbewohnerin, sondern zu allem Überfluss auch noch meine beste Freundin. Schlimmer ging es kaum, oder?
Man könnte meinen, mit jemandem zusammenzuleben und die alltäglichen Gewohnheiten des anderen mitzuerleben, wäre abtörnend – aber weit gefehlt. Nicht mal wenn Sophie ihre Tage hatte und jedem anderen Mann in dieser WG mit ihren mörderischen Stimmungsschwankungen Angst einjagte, schreckte mich das ab. So lieb und zuvorkommend Sophie sonst immer war, zu dieser besonderen Zeit des Monats konnte sie uns alle zum Frühstück verspeisen. Kein Wunder also, dass ich mir den Scheiß aufschrieb und dafür sorgte, dass wir immer genug Schokolade im Haus hatten. Das hatte nichts mit Nettigkeit meinerseits zu tun, hier ging es um unser aller Überleben.
Ich sah ihr einen Moment zu lang nach, als sie die Küche verließ, und starrte dann wieder in die blubbernden Töpfe, während meine Gedanken auf Hochtouren liefen. Ich hatte Sophies Anwesenheit bemerkt, hatte ihren Blick auf mir gespürt, noch bevor sie ein Wort gesagt oder die Küche betreten hatte.
Wann war ich ihr gegenüber so aufmerksam geworden? Wann hatten all meine Sinne damit angefangen, sich nach ihr auszurichten, sobald sie auch nur in der Nähe war?
Ich hatte nicht die geringste verdammte Ahnung.
Ich wusste nur, dass ich etwas unternehmen musste. Sofort.
Okay, sofort, sobald Sophie wieder aus ihrem Zimmer kam und nicht mehr die ganze WG in der Küche versammelt war. Oder sollte ich ihr besser nachgehen, damit wir in ihrem Zimmer darüber sprechen konnten? Oder in meinem? Vielleicht sollte ich mich vorher auch noch mal umziehen oder … keine Ahnung. Für eine romantische Atmosphäre sorgen oder so?
»Was wird das, Mann?« Parker warf einen Blick in die Töpfe, in denen ich energisch herumrührte, damit auch ja nichts anbrannte.
»Spaghetti«, antwortete ich brüsk und schob ihn zur Seite. Es war höchst wichtig, dass die Nudeln al dente waren. Auch wenn ich nie so genau verstanden hatte, was das eigentlich bedeutete. Oder wie man das exakt feststellte. Ich konnte ganze Spielewelten erschaffen und sie so programmieren, dass jeder Spieler seinen Spaß daran hatte, aber richtig gekochte Pasta war nach wie vor ein Geheimnis für mich.
Parker stieß einen leisen Pfiff aus. »Lasst mir was für später übrig.« Mit diesen Worten trottete er aus der Küche und zurück in sein Zimmer.
Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy, das neben mir auf der Küchentheke lag. Jepp. Parker streamte gerade. Glücklicherweise hatte er inzwischen mehr als genug Moderatoren, die in seinem Chat aufpassten und zur Not ordentlich durchgreifen konnten, sodass ich an diesem Abend nicht unbedingt in Aktion treten musste. Dennoch behielt ich das Ganze im Auge. Es war schwer genug gewesen, Parker überhaupt dazu zu kriegen, zuzugeben, dass er Hilfe brauchte, da würde ich nicht zulassen, dass er wieder in alte Gewohnheiten verfiel.
»Ach, verdammt!« Liz knallte den Stift auf den Tisch und stand abrupt auf.
»Was ist?«, rief ich, aber sie stapfte bereits mit Tablet und Stift davon, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
Okay. Dann nicht. Sie würde sich schon melden, wenn sie Hilfe brauchte – oder wenn sie wieder mal nach einem ihrer zigtausend Kleidungsstücke suchte und mich beschuldigte, es mitgewaschen zu haben. Dabei war das nur ein Mal vorgekommen. Ein einziges Mal! Okay, vielleicht vier-, fünfmal, aber mal ganz im Ernst: Andere Leute wären dankbar dafür, wenn jemand ihre dreckigen Sachen waschen würde. Liz? Eher nicht so. Ich war es einfach von zu Hause nicht anders gewohnt. Konnte man mit vier Geschwistern und zwei in Vollzeit arbeitenden Eltern wohl auch nicht.
Ich war so in Gedanken versunken, dass mich erst das plötzliche Blubbern und Zischen abrupt wieder ins Hier und Jetzt zurückbeförderte.
»Shit!«
Hastig schaltete ich die Herdplatte aus, schnappte mir ein Tuch und nahm den Topf von der Platte. Über der Spüle goss ich ihn vorsichtig aus, sodass die Spaghetti im Sieb landeten. Allerdings fiel mir dabei auf, dass ich sie gar nicht vorher probiert hatte. Mist. Ach, bestimmt waren sie trotzdem al dente. Sie sahen zumindest gekocht und damit essbar aus und nur darauf kam es an, oder nicht?
Ein weiteres Blubbern zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Shit! Mit einem Satz war ich wieder beim Herd und riss den kleinen Topf herunter, in dem die Soße vor sich hin köchelte und die Blümchenfliesen bespritzt hatte. Ganz toll. Wenn meine Mutter, Onkel Piotr oder Grandma Caterina mich jetzt so sehen könnten, würden sie mir einen heftigen Klaps auf den Hinterkopf geben.
Essen hatte in unserer Familie eine große Tradition, was stets damit erklärt wurde, dass wir polnische, italienische, griechische und mexikanische Wurzeln hatten und daher das kulinarisch Beste aus diesen Kulturen mitgenommen hatten. Wenn man mich fragte, aßen wir alle einfach nur gerne. Ein Großteil meiner Verwandtschaft konnte allerdings wirklich gut kochen, doch leider schien dieses Talent bei mir noch nicht ganz aufgeblüht zu sein.
Vorsichtig stellte ich den Topf mit der Soße zur Seite und schaltete den Herd ganz aus. Nachdem ich im Sommer beinahe eine kleine Katastrophe ausgelöst hatte, indem ich ihn aus Versehen angelassen hatte, achtete ich mittlerweile extra darauf. Was vielleicht auch an dem Zettel liegen könnte, der noch immer am Schrank direkt daneben klebte und uns in Sophies Handschrift warnte: Wehe, du lässt den Herd noch mal an und tötest uns alle!
Natürlich musste Sophie ausgerechnet in dem Moment in die Küche zurückkehren, als ich damit beschäftigt war, die Spuren meiner Fast-Katastrophe zu beseitigen und mit einem feuchten Lappen an den bunten Blümchenfliesen herumschrubbte, um die Soßenspritzer abzukriegen.
Sie war mein Chaos gewohnt und kommentierte es nicht weiter. Stattdessen steckte sie den Kopf schon wieder in den Kühlschrank und holte ein paar Sachen heraus. Als sie eine riesige Klinge aus dem Messerblock zog, sah ich mich gezwungen, einzugreifen und in Aktion zu treten. Scheiß auf die Vorbereitung. Wir waren allein. Das war der richtige Moment. Und wenn ich dadurch einen Unfall verhindern konnte, sammelte ich auch noch gutes Karma.
»Können wir kurz reden?«, fragte ich, warf den Lappen in die Spüle und trat hinter Sophie, um ihr das scharfe Messer behutsam aus der Hand zu nehmen.
»Ja klar, was – hey! Das brauche ich noch.«
»Lieber nicht«, murmelte ich, legte das Messer zur Seite und dirigierte Sophie sanft, aber bestimmt von der Arbeitsfläche weg. »Außerdem tut dir das Zeug nicht gut.«
»Das Zeug ist ein Salat, du Schwachkopf!«, konterte sie. Hinter den Brillengläsern funkelte es in ihren braunen Augen ebenso zornig wie amüsiert.
»Bei deinem Glück kriegst du davon eine Lebensmittelvergiftung, weil irgendwer irgendwas nicht richtig gewaschen hat.«
Sophie verdrehte die Augen, widersprach aber nicht. Denn genau das war schon mal passiert – ein unscheinbarer Salat aus dem Supermarkt hatte fast die ganze WG ausgeknockt. Und mit nur einem Badezimmer und einer einzigen Toilette war das weder eine besonders angenehme Erfahrung noch ein besonders schöner Anblick gewesen.
Entschieden schob ich diese Erinnerungen beiseite und deutete in Richtung meines Zimmers, das direkt von der Küche abging. Lincoln hatte das andere Zimmer auf dieser Seite der Wohnung abbekommen, während sich Sophies und Liz’ Zimmer vorne neben der Eingangstür befanden. Parker hatte sein Gaming-Reich am Ende des Flurs neben dem gemeinsamen Wohnzimmer eingerichtet, und direkt neben dem Bad. Der glückliche Bastard.
Mit einem Seufzen warf Sophie dem Salat, den Tomaten und Gurken noch einen letzten sehnsüchtigen Blick zu, ehe sie mir in mein Zimmer folgte und ich die Tür hinter uns zudrückte.
Wie selbstverständlich setzte sie sich auf mein Bett, zog die Beine an und musterte mich abwartend.
Ich schluckte hart, da meine Kehle auf einmal so verflucht eng war, und rieb mir nervös über den schmalen Ring in meiner linken Augenbraue. In meiner Vorstellung war diese ganze Sache irgendwie leichter gewesen. Und weniger unordentlich. Wieso hatte ich nicht daran gedacht, vorher aufzuräumen? Wenigstens die leeren Pizzakartons auf dem Boden und die herumstehenden Dosen Energydrink hätte ich entsorgen können. Zum Glück lag keine schmutzige Wäsche herum, aber das war auch schon das Höchste der Gefühle.
Das Bett war nur halbherzig gemacht und die Bezüge passten nicht zusammen. Von einem der vielen Band- und Videospielpostern an den Wänden hatte sich die obere rechte Ecke gelöst. Mein Schreibtisch am Fenster war vollgestellt mit zwei großen Monitoren und meinem Laptop, unendlich vielen Zetteln, vergessenen Kaffeetassen, Büchern und jeder Menge Zeichnungen. Auf dem Boden darunter standen der Rechner und mein alter Drucker, der nur funktionierte, wenn ich zweimal fest dagegentrat. Ansonsten gab es nur noch den Schrank, ein paar Hanteln und jede Menge freien Platz auf dem Boden in der Mitte des Raumes, wenn ich Sport machen oder mich einfach nur auf den Rücken legen und an die Decke starren wollte. Erstaunlicherweise förderte das oft die besten Ideen zutage.
Im Vergleich zu den anderen war mein Zimmer das kleinste, dafür hatte ich, genau wie Lincoln nebenan, Zugang zum Balkon über der Veranda hinter dem Haus. Manchmal saßen wir abends stundenlang dort draußen und unterhielten uns einfach nur. Ob ich Sophie mit auf den Balkon nehmen sollte? Wäre das romantischer? Wollte sie überhaupt so etwas wie Romantik? Sank man bei einer Liebeserklärung auf die Knie?
Nein, Mann. Und jetzt reiß dich endlich zusammen!
Ich musste ja nur die Worte aussprechen, dann würde sich alles klären, nicht wahr? Wir waren schließlich beste Freunde. Irgendwie würden wir das schon hinkriegen.
»Cole.«
»Hm?« Ich hob den Kopf und blieb stehen. Sophie deutete auf mich. Shit. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich angefangen hatte, unruhig vor ihr auf und ab zu laufen.
»Setz dich und sag mir, was los ist. Worüber willst du mit mir reden?«
Warum tat ich das hier noch mal? Ach ja, weil ich es nicht länger für mich behalten konnte. Ich hatte keinen Schimmer, wann sich meine Gefühle für Sophie geändert hatten, ich wusste nur, dass es so war. Und sie so entspannt auf meinem Bett – meinem Bett! – sitzen zu sehen, machte es nicht gerade einfacher.
Ihr Haar war so lang, dass es fast die Matratze berührte und wies jede nur denkbare Blondschattierung auf. Vor allem honigblond. Seit zwei Wochen trug sie es anders, leicht gewellt und vorne etwas kürzer, sodass es ihr von der Seite in Stirn und Augen fiel. Ich wusste zwar nicht, wie es zu dieser Veränderung gekommen war, aber sie gefiel mir. Sie gefiel mir sogar sehr. Wie alles an ihr.
Zum Beispiel die dunkelbraunen Augen, die in gewissen Situationen durchaus an Bambi erinnerten – und denselben Effekt auf mich hatten, nämlich, dass ich ihr nur selten etwas abschlagen konnte. Genauer gesagt nie.
Sophie schminkte sich nicht allzu oft, aber wenn, dann betonte sie immer ihre Augen. Auch die dunkel gerahmte Brille schien diese Wirkung zu haben. Anfangs hatte ich mich gefragt, ob sie die Brille nur aus Modegründen trug, doch dann war Sophie direkt vor mir bei der Suche nach besagter Brille gegen die Kommode im Flur gelaufen und hätte sich beinahe das Knie gebrochen. Seither wusste ich, dass sie das Ding tatsächlich brauchte, um überhaupt etwas zu sehen und sich selbst nicht in noch größere Gefahr zu begeben als ohnehin schon.
Ich wusste auch, dass sie nicht immer glücklich mit ihrer Figur war, weil sie sehr dünn blieb, ganz egal, wie viel sie aß. Und diese Frau konnte mehr futtern als wir alle zusammen. Trotzdem trug sie nur selten kurze Hosen oder Röcke, ganz so, als wollte sie ihre Beine nicht zeigen. Beine, die ebenso schön waren wie der Rest von ihr.
Sie runzelte die Stirn. »Wenn du mich noch länger so anstarrst, kriege ich Komplexe«, stieß sie hervor und klopfte neben sich.
Diesmal folgte ich der stummen Aufforderung und setzte mich neben sie aufs Bett. Mit Sicherheitsabstand. Was lächerlich war, schließlich kannten Sophie und ich uns seit Jahren. Wir waren uns kurz vor dem ersten Semester auf dem Campus über den Weg gelaufen, als wir beide nach einer Wohnung gesucht hatten. Genau genommen hatten wir uns direkt vor dem Schwarzen Brett mit den Wohnungsanzeigen kennengelernt und spontan beschlossen, eine WG zu gründen – ohne uns länger als fünf Minuten zu kennen.
Klang verrückt? War es auch. Zu dem Zeitpunkt hatten wir beide bereits festgestellt, dass es schier unmöglich war, Anfang des Semesters eine Zwei-Zimmer-Wohnung in dieser Stadt zu finden, also hatten wir einfach etwas Größeres gemietet und weitere Mitbewohner gesucht. Erst kam Lincoln dazu, dann Eliza und ein weiterer Mitbewohner, der jedoch nicht wirklich dazu gepasst hatte. Nach einer von vielen verlorenen Runden UNO hatte er seine Sachen gepackt und war gegangen. Danach war Parker eingezogen und seither hatte sich nichts mehr an dieser Konstellation geändert.
Uuund ich schweifte in Gedanken schon wieder ab. Aber wer hätte auch damit rechnen können, dass es so verflucht schwer sein könnte, jemandem seine Gefühle zu gestehen? Dabei hielt ich mich doch sonst nie zurück und redete ohne jeden Filter drauflos. Hier und jetzt schien mein Hirn allerdings Hunderte von Filtern zu haben. Vielen Dank auch.
»Okay, also …« Ich atmete tief durch, um das heftige Hämmern in meiner Brust irgendwie unter Kontrolle zu kriegen, und drehte reflexartig an den Glücksarmbändern an meinem linken Handgelenk.
Die meisten davon hatte ich auf Conventions und Konzerten gesammelt, zwei hatten mir meine kleinen Nichten zu Weihnachten geschenkt. Das schmale schwarze Lederband war von Sophie, ein Geburtstagsgeschenk vor zwei Jahren.
»Ja …?« Fragend legte Sophie den Kopf schief und suchte meinen Blick, weil ich ihr schon wieder ausgewichen war.
Ich wischte die feuchten Hände an meiner Hose ab, wandte mich ihr erneut zu, öffnete den Mund – und erstarrte. Mist, Mist, Mist. Die Worte blieben mir im Halse stecken.
»Cole?«, hakte Sophie nach, als mir nach über einer Minute immer noch kein Ton über die Lippen kommen wollte, und ihre Stimme nahm langsam einen besorgten Tonfall an. »Was ist los?«
»Ich …«, begann ich und räusperte mich. »Also … ähm …«
»Jaaa?« Fragend zog sie die Brauen hoch.
Raus damit. Einfach raus damit! Wird schon schiefgehen.
»Ich … ich hab mich … verliebt.«
Ihre Augen wurden riesig. »Oh.«
»Also … äh … in dich.« Ich holte tief Luft und sprach die Worte ohne Unterbrechung aus, und ohne den Blick von ihr abzuwenden. »Ich habe mich in dich verliebt, Sophie.«
Stille.
Angespanntes Schweigen.
Ich blinzelte. Wartete. Blinzelte noch etwas mehr. Erst dann wagte ich es, überhaupt einen Gedanken zuzulassen und eine Reaktion zu zeigen.
Das war ein Scherz, oder? Das musste ein Scherz sein. Das konnte Cole unmöglich ernst meinen.
Ich merkte nicht mal, wie mein Blick sich von seiner erwartungsvollen Miene gelöst hatte und jetzt hektisch von einer Ecke des Zimmers zur nächsten zuckte, dann hoch zur Decke und schließlich den Boden abtastete.
Cole räusperte sich. »Was tust du da? Wonach suchst du?«
»Nach der versteckten Kamera.« Die Worte entschlüpften mir, bevor mir überhaupt selbst bewusst wurde, was ich hier eigentlich tat. Aber konnte mir das wirklich jemand verübeln?
Ein Jahr lang. Ein ganzes verflixtes Jahr hatte ich mit meinen Gefühlen für diesen Kerl gekämpft. Hatte sie unterdrückt, ignoriert, heruntergeschluckt und mich abends mehr als nur einmal in den Schlaf geweint, weil er eine Freundin hatte. Wie oft hatte ich mich gefragt, ob ich ein schlechter Mensch war, nur weil ich mir etwas wünschte, das ich nicht haben konnte? Weil mein Wunsch bedeutete, zwei Menschen auseinanderzureißen, die zusammen als Paar glücklich waren? Ich hatte mich gehasst, hatte meine blöden Gefühle verflucht und mich so unendlich oft zusammenreißen müssen, dass ich gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte, sich richtig zu entspannen. Sich einfach gehen zu lassen.
Aber selbst als Cole im Sommer aus heiterem Himmel mit Mallory Schluss gemacht hatte – und sie ihm als Racheaktion einen Brief voller Glitzer geschickt hatte –, hatte ich nichts gesagt. Denn mit dieser abrupten Trennung hatte er mir nur erneut vor Augen geführt, dass er kein Interesse an einer langfristigen Beziehung hatte. Dass er einfach nicht der Typ dafür war und mir früher oder später nur das Herz brechen würde, wenn ich ihn mit meinen Gefühlen konfrontierte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich dadurch auch meinen besten Freund verlieren würde, was einfach nicht infrage kam. Nichts ging über diese Freundschaft. Nichts. Erst recht keine blöden Gefühle.
Irgendwann hatte ich akzeptiert, dass aus Cole und mir niemals etwas werden würde – und beschlossen, dass es so nicht weitergehen konnte. Natürlich war eine solche Schwärmerei nur eine Frage der Zeit gewesen. Wenn eine Frau und ein Mann so eng miteinander befreundet waren wie wir, war es nur wahrscheinlich, dass irgendwann einer von uns Gefühle für den anderen entwickelte. Das war völlig normal. Dennoch hatte es eine ganze Weile gedauert, um darüber hinwegzukommen. Zwei Monate und meinen ausgefeilten Zwölf-Punkte-Plan später hatte ich mir Cole Springman gründlich aus dem Kopf geschlagen, hatte meine Gedanken und vor allem mein Herz wieder unter Kontrolle bekommen. Das war heute auf den Tag genau einen Monat her.
Ich hatte es geschafft. Ich war glücklich. Ich war frei, verflixt noch mal!
Und wozu? Nur damit Cole mich jetzt zur Seite nahm und mir ohne jede Vorwarnung erzählte, dass er etwas für mich empfand? Dass er sich in mich verliebt hatte? Verliebt? In mich!?
Das konnte nur ein grausamer Scherz sein. Cole hatte mir nicht gerade seine Gefühle gestanden, nachdem ich ein Jahr lang damit verbracht hatte, mit meiner dämlichen Schwärmerei zu kämpfen und dann über ihn hinwegzukommen. Das war nicht fair!
»Soph …« Eine Spur von Verwirrung schwang in seiner Stimme mit. »Hier ist keine versteckte Kamera.«
Nur langsam, fast schon widerwillig sah ich ihn wieder an. Cole schien es tatsächlich ernst zu sein. Da war kein schelmisches Funkeln in seinen dunkelbraunen Augen. Kein verräterisches Zucken in den Mundwinkeln. Nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er es anders meinen könnte. Und dennoch …
»Das ist kein Witz?«, hakte ich nach.
Er schüttelte den Kopf. »Nope.«
Skeptisch kniff ich die Augen zusammen. »Keine Wette mit den Jungs? Keine komische Online-Challenge oder sonst was?«
Cole seufzte, blieb jedoch geduldig sitzen, auch wenn ich wusste, wie schwer ihm das fiel. Still sitzen kam bei ihm nur höchst selten vor.
»Das ist mein voller Ernst, Sophie.«
Ein ungläubiges Lachen kitzelte in meiner Kehle, aber noch kämpfte ich dagegen an. »Du …«, brachte ich hervor und deutete erst auf ihn, dann auf mich. »Du bist … in mich … verliebt?« Ich erstickte beinahe an dem letzten Wort und räusperte mich mehrmals.
»Ja.«
In der Ferne schrillten die Sirenen eines Rettungswagens und übertönten das friedliche Grillenzirpen im Garten. Eine Tür in der Wohnung fiel zu und Schritte näherten sich. Vermutlich Lincoln. Im Bad knallte etwas und gedämpftes Fluchen drang bis hierher. Eindeutig Liz.
Während ich all das wahrnahm, genauso wie die Tatsache, dass ich wie so viele Male zuvor auf Coles halbherzig gemachtem Bett saß, umringt von leeren Kaffeetassen, Dosen und Pizzakartons, kam mir diese ganze Situation immer bizarrer vor. Völlig unrealistisch. Und wenn es doch die Wahrheit war, wenn mein bester Freund sich hier nicht nur etwas einbildete, was gar nicht da war, dann hatte das Schicksal einen echt schlechten Sinn für Humor. Einen ganz, ganz schlechten.
Ausgerechnet jetzt fiel Cole auf, dass er Gefühle für mich hatte? Jetzt? Nachdem ich endlich über ihn hinweg war? Hätte ihm das nicht ein paar Monate früher klar werden können? Oder wie wär’s mit … nie?
Das hysterische Lachen, gegen das ich bisher angekämpft hatte, entschlüpfte mir jetzt. Erst nur in einem unterdrückten Prusten, dann konnte ich mich keine Sekunde länger zusammenreißen und lachte lauthals los.
»Sophie …?«, fragte Cole stirnrunzelnd – und ein klein wenig besorgt –, doch ich schüttelte nur den Kopf.
Einmal angefangen, konnte ich nicht mehr damit aufhören. Zwischen japsenden Atemzügen fächelte ich mir mit der Hand Luft zu.
»Sorry, es ist nur …« Wieder ein Prusten. »Du … du bist … Ich meine … ausgerechnet …« Die Worte kamen mir über die Lippen, ergaben aber keinen Sinn. »Ich muss … Gib mir einen Moment«, brachte ich hervor und stand auf.
Irgendwo in meinem Bewusstsein, dort, wo ein kleiner Teil meines Verstands noch einwandfrei funktionierte, wusste ich, dass ich gerade nicht besonders gut mit dieser Situation umging. Doch der viel größere Teil von mir konnte einfach nicht aufhören zu lachen. Nicht einmal, als ich Coles Zimmertür ansteuerte und dabei fast über eine Dose gestolpert wäre – na gut, ich stolperte wirklich darüber und geriet ins Straucheln, legte mich aber immerhin nicht auf die Nase. Dafür lachte ich jetzt so sehr und so hysterisch, dass mir der Bauch wehtat und ich nach Luft schnappte.
Aber das war zumindest besser als zu weinen, oder nicht? Als der Verzweiflung in mir nachzugeben, dass Cole ausgerechnet dann seine Gefühle für mich erkannt hatte, wenn ich gerade über ihn hinweg war.
Verflixt. Nicht Karma war eine Bitch, sondern Timing. Denn ein schlechteres hätte sich Cole gar nicht aussuchen können.
Blindlings stolperte ich durch den Flur und direkt auf mein Zimmer zu. Wahrscheinlich grenzte es an ein Wunder, dass ich den Weg unbescha… Autsch! Verärgert rieb ich mir über die Hüfte. Seit wann war die Ecke der Flurkommode so spitz?
Egal. Ich hastete in mein Zimmer, drückte die Tür hinter mir zu und lehnte mich mit hämmerndem Herzen dagegen. Direkt vor meinen Augen explodierten die Farben meiner Einrichtung. Wo Coles Zimmer überwiegend dunkel und in gedeckten Farben gehalten war, hatte ich es mir so bunt und fröhlich wie nur möglich gemacht.
Zwar waren drei von vier Wänden weiß wie auch in der restlichen Wohnung, allerdings hatte ich die Wand rechts von der Tür in einem warmen Sonnengelb gestrichen. Es war eine Nacht-und-Nebelaktion wenige Tage nach meinem Einzug gewesen. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich noch heute den Geruch der Farbe riechen, vermischt mit dem Duft von Pizza mit extra viel Käse. Cole und Lincoln hatten mir beim Streichen geholfen. Irgendwann am späten Abend hatten wir bei unserer neuen Lieblingspizzeria D’Angelo bestellt, uns zwischen die Farbeimer auf den mit Folie abgedeckten Boden gesetzt, gegessen, stundenlang geredet und gelacht. Dank der beiden freute ich mich nicht nur jeden Tag, wenn ich die gelbe Wand sah, sondern verband damit auch eine meiner ersten schönen Erinnerungen in dieser Wohngemeinschaft.
Ich stieß mich von der Tür ab und steuerte mein Schlafsofa gegenüber der gelben Wand an. Es hatte dieselbe sonnige Farbe, und ein bunt gemustertes und besticktes Kissen reihte sich darauf neben das andere. Dieser Ort war an Gemütlichkeit nicht zu überbieten, und mit einem tiefen Seufzen ließ ich mich in die Polster fallen. Zwei Kissen segelten dabei zu Boden und landeten auf dem flauschigen weißen Vorleger, aber ich machte mir keine Mühe, sie aufzuheben.
Der Fernseher zeigte noch immer ein Standbild, weil ich den Film angehalten hatte, um mir etwas zu essen zu holen. Wer hätte denn ahnen können, dass mein Plan, mir einen leckeren Salat mit extra viel Dressing zu machen, mit einer Liebeserklärung enden würde?
Frustriert strampelte ich die übrigen Kissen am anderen Ende des Sofas weg. Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet, als Cole mich um ein Gespräch gebeten hatte. Innerlich hatte ich mich sogar für den Fall gewappnet, dass etwas Schreckliches passiert war – dass er oder jemand aus seiner Familie krank war, dass er ausziehen wollte oder mir plötzlich erklärte, wieder mit seiner Ex zusammenkommen zu wollen. Und mich dann womöglich auch noch um Hilfe bat, Mallory zurückzugewinnen, da sie und ich uns aus ein paar gemeinsamen Kursen kannten.
Aber das? Dass er mir plötzlich seine Gefühle gestand? Ausgerechnet, nachdem ich mein Zwölf-Schritte-Programm erfolgreich absolviert und seit ein paar Wochen endlich, endlich über ihn hinweg war? Damit hatte ich eindeutig nicht gerechnet. Und das war so was von nicht in meinem Programm vorgesehen gewesen!
Was sollte ich denn jetzt tun? Gab es einen Schritt dreizehn? Dumme Frage – natürlich nicht. Schließlich war ich diejenige, die diesen Plan schon vor Jahren entwickelt, mehrfach mit Freundinnen erprobt und angepasst hatte, bis er perfekt war. Und dieser Plan hieß nicht: Wie kriege ich ihn dazu, sich in mich zu verlieben? Sondern: So komme ich endlich über ihn hinweg, ohne dass er auch nur die leiseste Ahnung hat, dass ich jemals in ihn verknallt war!
Apropos … Ruckartig stand ich auf und ging an den Regalen vorbei, die bald auseinanderfallen würden, wenn ich noch mehr Bücher, CDs, BluRays und Kassetten reinstopfte. Ja, Kassetten. Ich gehörte zu den Menschen, die die Neunziger zu schätzen wussten und gerne miterlebt hätten.
Mein Schreibtisch stand in einer Ecke neben dem großen Sprossenfenster, auf dessen Fensterbank meine kleine Blumensammlung thronte. Von Kakteen über meine Aloe-Vera-Pflanze – ein Geschenk von Cole –, einem kleinen Farn bis zur Palme aus dem Garten meines Großvaters war alles dabei. Normalerweise entlockte mir der Anblick ein Lächeln, doch jetzt war ich zu sehr damit beschäftigt, mich nacheinander durch die Schubladen zu wühlen, um die Pflanzen eines Blickes zu würdigen. Ich schob sogar den knallig orangefarbenen Hocker beiseite, der mir als Schreibtischstuhl diente, um im Papierkorb nachzuschauen, aber dort fand ich den Zettel auch nicht. Wo um alles in der Welt hatte ich ihn hingetan?
Ich ging die ganzen Mitschriften und Unibücher durch, sah sogar unter meinem quietschgrünen Laptop nach und leerte nacheinander die Dekokisten mit dem wundervoll kitschigen Blümchenmuster in der Mitte des Raumes aus. Nichts. Wo war mein Plan?
Langsam ließ ich den Blick durch das Zimmer wandern. Ich hatte das Papier wohl kaum hinter eines der vielen Neunzigerjahre-Bandposter geschoben, die meine Wände bedeckten, oder? Oh Gott, hatte ich es etwa in irgendeiner Hosentasche vergessen? War schon Waschtag gewesen? Hatte mein Plan überlebt?
Hastig stand ich auf, sah mich kurz um und stürzte mich dann auf meinen Rucksack. Nacheinander holte ich alles heraus und breitete es um mich herum auf dem Boden aus. Bücher, zwei Blöcke, Stifte, Ladekabel, Tampons, zwei Verpackungen von längst aufgegessenen Energieriegeln, Taschentücher, Pflaster, Lipgloss, Mascara, meine Bürste für unterwegs und noch so einiges mehr. Erst ganz unten ertasteten meine Finger endlich das, wonach ich gesucht hatte und ich zog den mittlerweile reichlich abgegriffenen Zettel heraus.
Da war er. Zum Glück!
Behutsam faltete ich das Papier auseinander und glättete es, dann überflog ich alle Schritte, die ich mir schon vor Jahren notiert hatte. Manche Dinge waren mittlerweile durchgestrichen, nachdem ich oder Highschoolfreundinnen sie getestet und für nicht ganz so hilfreich befunden hatten, dafür waren andere Punkte hinzugekommen. Insgesamt waren es noch immer zwölf Schritte. Nicht dreizehn. Und Schritt zwölf versprach einem die pure Freiheit. Wie kam es dann, dass ich diese Freiheit gerade mal einen Monat hatte genießen können, bevor Cole meine Welt völlig auf den Kopf stellte?
Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Unwillkürlich spannten sich alle Muskeln in meinem Körper an.
»Ja?«
Die Tür ging auf, aber zu meiner Erleichterung tauchte nicht Cole darin auf, sondern Liz. Sie schien etwas sagen zu wollen, bemerkte dann jedoch das Chaos, das ich in meinem sonst so ordentlichen Zimmer veranstaltet hatte, und zog die Nase kraus. »Alles okay?«
»Nein. Doch. Ich … Ich weiß es nicht.«
Sie runzelte die Stirn. »Du siehst aus, als hättest du ein einziges Mal in deinem Leben nicht die Höchstpunktzahl erreicht«, witzelte sie.
»Wenn es nur das wäre …«, murmelte ich.
Dabei war mir mein Studium wichtig. Extrem wichtig sogar. Und ich hatte nicht immer die höchste Punktzahl, wie Liz behauptete. Nur in den meisten Fällen, weil ich alles gab, um unter den Besten zu sein. Aber das war eine ganz andere Geschichte.
Liz verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Willst du darüber reden?«
Ich riss die Brauen so weit hoch, dass es ein Wunder war, dass ich nicht sofort Kopfschmerzen davon bekam. Langsam schob ich mir die Brille auf der Nase hoch und musterte meine Mitbewohnerin von oben bis unten.
»Du willst mit mir darüber reden? Du?«, hakte ich sicherheitshalber nach, denn Liz war nicht gerade bekannt dafür, über Gefühle zu sprechen. Oder über Probleme. Was das anging, war immer Cole meine erste Anlaufstelle gewesen. Na ja, bis auf die Sache mit der dummen Schwärmerei für ihn. Das war ein Geheimnis, von dem niemals jemand erfahren würde. Außerdem war es vorbei. Ich war drüber hinweg. Einen Monat lang hatte ich meine Freiheit genossen, ganz ohne ungewollte, dämliche Gefühle für jemanden, den ich eh nicht haben konnte. Ich war glücklich gewesen … Und jetzt, jetzt kam Cole einfach daher und warf mir diese … diese Erklärung vor die Füße. Oh nein. Auf keinen Fall. Ich wollte meine entspannte, glückliche Zeit zurück. Und zwar sofort!
Liz rollte mit den Augen. »Wenn es mir zu persönlich oder intim wird, rufe ich Linc, damit er mich ablösen kann.«
Ich prustete los. Das war so typisch für sie, dass ich gar nicht anders konnte, als zu lachen. Gleichzeitig tat es so unheimlich gut, all die angestauten Emotionen mit einem Lachen loszuwerden. Eines, das nicht völlig hysterisch und ungläubig war wie jenes in Coles Zimmer.
Ohne meine Antwort abzuwarten, betrat Liz mein Zimmer und drückte die Tür hinter sich zu, damit niemand unser Gespräch mit anhören konnte. Offenbar hatte ich mich geirrt und ihr weniger Feingefühl zugetraut, als sie besaß.
»Also?«, hakte sie erneut nach.
»Cole hat sich in mich verliebt«, platzte ich heraus, nachdem ich einige Sekunden lang mit mir gerungen hatte. »Zumindest scheint er das zu glauben.«
Jetzt war es raus. Und Liz wirkte nicht im Geringsten überrascht. Wie konnte sie nicht überrascht sein? Wie konnte sich diese Aussage nicht so anfühlen, als würde einem jemand den Boden unter den Füßen wegziehen? Wie?!
»Okay«, sagte sie nur und nickte leicht, als wäre Coles Geständnis für sie völlig nachvollziehbar, während ich es noch immer nicht fassen konnte. »Was hast du jetzt vor?«
»Keine Ahnung«, gab ich geknickt zu. »Meine erste Reaktion war, zu lachen und nach der versteckten Kamera zu suchen.«
Sie schnitt eine Grimasse. »Autsch.«
»Hey, das war keine böse Absicht. Es ist nur so … so …« Ich riss die Hände hoch, fand aber keine passenden Worte, um diese Situation zu beschreiben.
Total unerwartet? Der schlechteste Zeitpunkt in der Geschichte der schlechten Zeitpunkte? Und war es überhaupt die Wahrheit? Hatte Cole wirklich Gefühle für mich entwickelt, die über Freundschaft hinausgingen? Ausgerechnet Cole, der zwar durchaus beziehungsfähig war und schon ein paar Freundinnen gehabt hatte, diese Beziehungen allerdings nie sonderlich lange aushielt. Und jetzt meinte er, etwas für mich zu empfinden? Oder bildete er sich das nur ein? War ich einfach die sichere Wahl für ihn, weil ich seine beste Freundin war?
Bei der Vorstellung zog sich alles in mir zusammen. Das wäre fast noch schlimmer, als dass er nie das für mich empfand, was ich für ihn fühl… gefühlt hatte. Ich hatte etwas für ihn empfunden, aber das war vorbei – und das Rascheln des Zettels in meiner Hand erinnerte mich noch einmal nachdrücklich daran.
»Warum zeigst du ihm nicht deinen berühmt-berüchtigten Zwölf-Punkte-Plan?«, schlug Liz vor, der nicht entgangen zu sein schien, was ich da fest umklammert hielt. »Der hat diesen Sommer bei mir ganz wunderbar funktioniert.«
»Bei dir, bei mir und bei fünf anderen Mädchen, ja. Aber dein Ex lebt in Australien«, erinnerte ich sie. »Es ist ja nicht so, als würdet ihr euch jeden Tag über den Weg laufen. Mehrfach.«
Sie zuckte nur mit den Schultern. »Hat trotzdem funktioniert. Und bei dir mit Cole doch auch, oder etwa nicht?«
Ertappt presste ich die Lippen aufeinander. »Wie … wie kommst du …?«
»Oh, Süße. Ernsthaft?« Ihr helles Lachen erfüllte die Luft. »Cole ist der Einzige hier, der nicht gemerkt hat, was Sache ist, aber auch nur, weil er ein Idiot ist. Aber für alle anderen war es so offensichtlich.«
Wie bitte!?
»Du … was?!«
Diesmal verschwand jedes bisschen Belustigung aus ihrem Gesicht und machte einem geradezu mitfühlenden Ausdruck Platz. »Ich sagte, es war für alle offensichtlich.«
Oh … Oh!
»Außerdem bist du im Sommer jeden einzelnen Schritt mit mir durchgegangen. Dachtest du echt, ich erkenne das Muster nicht, wenn du plötzlich selbst auch Filmabende veranstaltest, Cole aus dem Weg gehst und Zeit mit ganz neuen Leuten verbringst? Was ist eigentlich aus deinem Date von Schritt elf geworden?«
Ich verdrehte die Augen. Der vorletzte Punkt sah vor, mit jemandem auszugehen, um zu bestätigen, dass der Plan funktioniert hatte. Und das hatte er auch. Ben war großartig gewesen und ich hatte den ganzen Abend über kein einziges Mal an Cole denken müssen. Na gut, ein Mal – aber nur ganz kurz!
»Wir hatten ein paar Dates, die ganz nett waren, aber seit einer Weile ghostet er mich.« Ich zuckte mit den Schultern, da ich das zwar schade – und ziemlich feige – fand, es mir aber nicht sonderlich viel ausmachte. Wir hatten eine gute Zeit gehabt, aber da war kein Kribbeln gewesen. Keine Schmetterlinge im Bauch. Kein Knistern in der Luft.
Liz machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sein Pech. Aber worauf ich eigentlich hinauswollte: Das Programm funktioniert, oder nicht?«
»Auf jeden Fall.« Nachdenklich strich ich über das Papier. »Es ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber du und ich sind die besten Beweise dafür, dass es auch heute noch gut funktioniert.«
»Ganz genau.« Liz nickte entschlossen. »Warum sollte es also nicht auch bei Cole funktionieren?«
Weil er ein Gaming-liebender Kerl war, der sicher nicht freiwillig Self-Care betreiben oder Listen schreiben würde? Natürlich könnte ich ihm einfach den Zettel in die Hand drücken und mich dann aus der Umsetzung raushalten, allerdings kannte ich Cole gut genug, um zu wissen, dass er das allein nicht durchziehen würde. Abgesehen davon waren wir Freunde. Die besten sogar. Er hatte nichts von meinen Gefühlen gewusst, das hatte mir sogar Liz gerade bestätigt. Ich hingegen? Dank seiner viel zu offenen Art wusste ich nun bestens Bescheid – und konnte diesen Moment nicht mehr aus meinem Gedächtnis verbannen, ganz egal, wie verzweifelt ich es mir wünschte.
Unschlüssig nagte ich an meiner Unterlippe. Es könnte in einer absoluten Katastrophe enden, wenn ich mich dazu bereit erklärte, ihm den Zwölf-Schritte-Plan nicht nur anzudrehen, sondern die Punkte auch mit ihm durchzuziehen. Dadurch würden wir unweigerlich mehr Zeit miteinander verbringen als ohnehin schon, und das konnte unter den gegebenen Umständen einfach nicht gut sein, oder? Andererseits konnte ich ihn auch nicht so einfach hängen lassen – oder so tun, als hätte er mir nie seine Gefühle gestanden. Das wäre einfach nur gemein und herzlos.
Aber vielleicht konnten wir nur die allerwichtigsten Schritte zusammen machen. Er, damit er diese absolut unnötigen Gefühle für mich ganz schnell wieder loswurde und ich, um sicherzugehen, dass er den Plan auch anständig durchzog – und um mir selbst zu beweisen, dass ich tatsächlich endgültig über ihn hinweg war. Denn das war ich. Absolut. Zu hundert Prozent.
Ich starrte Sophie nach, wie sie – lachend – aufstand, über eine neben dem Bett auf dem Boden liegende Dose stolperte und sich in letzter Sekunde wieder fing, ehe sie – immer noch lachend – mein Zimmer verließ.
Die Tür fiel hinter ihr zu und nach wenigen Sekunden verklang auch ihr gedämpftes Kichern. Stille breitete sich aus.
Mühsam riss ich den Blick von der Tür los. Das … war ja prima gelaufen. Sophie hätte mir auch etwas an den Kopf werfen oder in Tränen ausbrechen können. Lachen war eine viel bessere, viel positivere Reaktion. Oder nicht?
Ich schnitt eine Grimasse und stand auf, um das Chaos in meinem Zimmer zu beseitigen. Okay. Wem versuchte ich hier eigentlich etwas vorzumachen? Dieses ganze Gespräch war grauenvoll gelaufen. Ich hatte zwar so eine Reaktion befürchtet, aber in meiner Vorstellung war sie bei Weitem nicht so voller Ungläubigkeit und hysterischem Lachen gewesen … Als wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, dass ich mehr in ihr sehen könnte, als nur meine beste Freundin und Mitbewohnerin. Allem Anschein nach kannte ich Sophie doch nicht so gut, wie ich geglaubt hatte. Und dieser Gedanke tat fast mehr weh als ihre Reaktion auf mein Geständnis.
Um mich zu beschäftigen, stapelte ich nacheinander die Pizzakartons aufeinander und trug sie zum Mülleimer hinter dem Haus. Anschließend schnappte ich mir den Wäschekorb aus dem Waschkeller und ging damit zurück in mein Zimmer. In den Plastikkorb packte ich alle leeren Tassen und ausgetrunkenen Dosen, die ich finden konnte. Und das waren einige. Sogar unters Bett waren zwei gerollt und sammelten dort seit wer weiß wie lange fleißig Staub. Igitt.
Vielleicht war Sophies Reaktion gar nicht so verwunderlich, schließlich war das hier nicht gerade das perfekte Ambiente gewesen, um jemandem seine Gefühle zu gestehen. Hätte ich sie besser zum Essen ausführen sollen? Einen gemeinsamen Nachmittag am Strand abwarten? Oder wenigstens auf den Balkon rausgehen, auf den bis vor Kurzem noch die letzten Sonnenstrahlen gefallen waren? Hätte das etwas geändert?
Ich schnaubte missmutig. Wahrscheinlich nicht.
Sobald ich den Korb mit allem gefüllt hatte, was definitiv nicht in mein Zimmer gehörte, brachte ich die Tassen in die Küche und trug das restliche Zeug nach unten, um es im Müll auszuleeren. Danach brachte ich den Wäschekorb zurück, hob Liz’ Pullover, der einsam neben der Waschmaschine lag, auf und warf ihn in den Korb, wusch die leeren Tassen in der Küche ab und kehrte schließlich in mein Zimmer zurück. Na also. Viel besser. Es war zwar nicht so militärisch sauber wie bei meinem Bruder Cohan, aber zumindest konnte man mein Bett wieder erreichen, ohne über etwas zu stolpern. Das war doch schon mal ein Anfang.
Bevor meine Gedanken zu dem Moment vorhin mit Sophie zurückwandern konnten, ließ ich mich auf meinen Gamingstuhl fallen und stürzte mich in Arbeit. Das Ding war eine teure Anschaffung gewesen, lohnte sich aber, da ich fast jeden Tag – oder vielmehr fast jede Nacht – stundenlang vor den Monitoren saß. Sei es, um den Chat in Parkers Livestreams zu moderieren wie jetzt, um an etwas für die Uni zu arbeiten oder an einem Spaßprojekt zu basteln.
Ich liebte Games von ganzem Herzen. Es gab nichts Schöneres, als sich in ihren bunten, fremden Welten zu verlieren. Höchstens, sie selbst zu erschaffen. Allerdings hatte ich am Anfang meines Studiums nicht mal ansatzweise gewusst, wie schwierig, langwierig und manchmal auch nervenaufreibend es sein konnte, nach stundenlangem Tüfteln einen Bug in einem Spiel oder Programm zu fixen, nur um dann festzustellen, dass an anderer Stelle drei neue Fehler aufgetaucht waren. Trotzdem könnte ich mir nicht vorstellen, je etwas anderes zu machen.
Während auf dem einen Monitor Parkers Stream lief, in dem er sich gerade durch den neuesten Teil von Assassin’s Creed kämpfte und ich mit einem Auge beim Chat war, öffnete ich auf dem anderen Monitor meine Mails. Vielleicht nicht die klügste Entscheidung, da ich im Chat ganz bei der Sache sein sollte, aber ich musste meine Gedanken beschäftigen, sonst würden sie nur immer wieder zu dem wandern, was vorhin passiert war. Zu Sophie. Zu ihrer Reaktion. Ich hatte zwar nicht zu hoffen gewagt, dass sie mir überglücklich um den Hals fallen würde, aber einfach loszulachen? Nach einer versteckten Kamera zu fragen? Das hatte ich auch nicht verdient.
Eine neue Mail blinkte auf und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Stirnrunzelnd überflog ich den Text. Es war eine Erinnerung an einen Wettbewerb, den ein großes Gaming-Unternehmen dieses Jahr exklusiv mit unserer Uni durchführte. Ich hatte schon Anfang des Semesters davon erfahren und wollte unbedingt teilnehmen. Allerdings war das da noch nicht so eilig gewesen, schließlich war die Deadline erst … Scheiße, war es etwa schon so weit? Sollte der Wettbewerb nicht erst im Novem… oh. Ein kurzer Blick auf den Kalender und mir wurde klar, dass wir bereits November hatten. Verdammt. Wann war das denn passiert?
Es geschah nicht oft, dass die großen Unternehmen der Spieleindustrie einen Wettbewerb für Studenten ausschrieben, und dann waren es meist landesweite oder sogar internationale Wettbewerbe. Aber der hier? Eine der größten Firmen in den Staaten arbeitete direkt mit dem West Florida Media & Arts College zusammen und bot nicht nur ein Preisgeld, sondern auch noch einen begehrten Praktikumsplatz direkt bei ihnen im Hauptsitz in Kalifornien. Und ihre Unterstützung, um während des halbjährigen Praktikums weiter am Game zu arbeiten und es, wenn es alle überzeugte, mit etwas Glück sogar veröffentlichen zu können.
Allein bei der Vorstellung, mein eigenes Game produziert und veröffentlicht zu sehen, begann mein Puls zu rasen und meine Hände wurden feucht. Und dann noch das Praktikum? Scheiße, ich könnte so viel lernen und so viele Kontakte knüpfen, und das noch, bevor ich mein Studium überhaupt abgeschlossen hatte. All das, woran ich seit Jahren arbeitete, indem ich mich online in der Szene bewegte und auf alle wichtigen Messen und Conventions ging, bekam ich hier auf dem Silbertablett serviert – wenn ich diesen Wettbewerb gewann. Und dafür hätte ich eigentlich schon vor Monaten anfangen sollen, aber … na ja. Leider war Storytelling nicht gerade meine Stärke, also hatte ich es vor mir hergeschoben. Ich kam gut mit der Codierung zurecht und gehörte zu den Besten meines Jahrgangs in all meinen Programmierkursen, außerdem hatten meine Designs eindeutig Wiedererkennungswert, vor allem die in Pixel Art. Aber eine Geschichte zu erzählen, die spannend und logisch war, die Spieler so richtig mitriss und bewegte? Das war eindeutig mein größter Schwachpunkt.
Klar könnte ich mich einfach auf Games ohne große Story konzentrieren, auf Shooter oder Jump ’n Runs, bei denen man den Kopf ausschalten und einfach spielen konnte. Leider liebte ich Story Games und das Unternehmen, das den Wettbewerb ausgeschrieben hatte, hatte dieses Jahr wieder erfolgreich ein neues Spiel dieser Art auf den Markt gebracht, also würde ich auch ein solches für den Wettbewerb konzipieren. Irgendwie würde ich das schon hinkriegen, selbst wenn die Zeit knapp war. Ich musste einfach. Außerdem konnte ich mir den Regeln zufolge bis zu zwei Dozenten suchen, die mich beim Wettbewerb betreuten.
Na also. Das war easy. Ich könnte gleich –
Plötzlich klopfte es an der Tür. Ich drehte mich in dem Moment mit dem Stuhl um, als Sophie hereinrauschte.