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Das Abi in der Tasche. Und gleich erfüllt sich der nächste Traum: Lisa ergattert den ersehnten Praktikumsplatz beim glamourösen Produzenten Maxime Léon! Klar, jetzt stehen ihr die Türen zur Filmhochschule offen. Obwohl ihr die Arbeit Spaß macht, fühlt sie sich zunehmend unwohl. Ihr Chef macht nicht nur zweideutige Bemerkungen. Er berührt sie auch immer öfter scheinbar zufällig. Als Lisa es nicht länger aushält, beschließt sie ihr Schweigen zu brechen und sich zu wehren.
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Der Tag des Abiballs war warm und sonnendurchflutet.
Schon früh am Morgen saß ich mit einem Becher Milchkaffee auf der Terrasse, die Haare ungekämmt, die Füße nackt, und plötzlich war es da: dieses wahnsinnige Gefühl von Glück. In warmen Wellen rauschte es durch mich hindurch. Dazu klopfte mein Herz schneller als normal und ich konnte nicht aufhören, wie frisch verliebt zu grinsen.
Dabei hatte ich nicht mal einen Freund. Mit Justus war schon seit drei Monaten Schluss und ich hatte es bisher keine Sekunde bereut. Wir waren beide nicht mehr glücklich miteinander gewesen, ständig gab es Streitereien. Um nicht in eine niemals endende Chaosbeziehung zu schlittern, hatten wir es lieber gleich beendet. Ohne großes Drama und ohne Tränen. Justus war kurz darauf mit Cookie aus der Theater-AG zusammengekommen, ich war seitdem solo. Na und? Ich hatte das Abi in der Tasche – Notendurchschnitt 1,3 – und fühlte mich einfach nur … frei!
Frei. Lächerliche vier Buchstaben und doch bedeuteten sie mir alles. Sie standen für eine aufregende Zukunft. Das Leben hatte so viel mehr zu bieten als Typen und feiern gehen. Ich wollte in der kanadischen Wildnis Kanu fahren. Ich wollte in den Rocky Mountains auf einen Gipfel klettern und mich so lange im Kreis drehen, bis mir schwindelig wurde. Ich wollte bis zum Umfallen Pancakes mit Ahornsirup futtern und vor lauter Glück schreien. Aber vor allem wollte ich zum Film.
Vor knapp zwei Jahren hatte es angefangen. Mehr aus Langeweile waren meine beste Freundin Marie und ich in der Film-AG bei Herrn Klemm aufgelaufen und schon in der ersten Stunde hatte ich Feuer gefangen. Filme analysieren, Ideen entwickeln, kleine Sequenzen drehen, selbst als Darstellerin mitwirken – das war alles so spannend, dass ich mir für meine Zukunft nichts anderes mehr vorstellen konnte. Egal, wie schwierig es werden würde, einen Studienplatz an einer Filmhochschule zu ergattern. Es wäre vielleicht auch Maries Ding gewesen, wir mochten ja meistens dieselben Sachen, aber sie war nicht ganz so verrückt danach wie ich. Sie konnte sich auch Umweltschutz, Psychologie oder irgendwas mit Ernährung vorstellen.
»Lisa?« Meine kleine Schwester Olivia tapste auf die Terrasse. Sie war noch im Nachthemd und unter ihrer Achsel klemmte ihr heiß geliebtes Kuschelkrokodil Benno.
»Was denn, Süße?«
Olivia war erst fünf und die Vorstellung, in absehbarer Zukunft von zu Hause auszuziehen, zerriss mir schon jetzt das Herz.
»Zeigst du mir dein Kleid?«
»Welches Kleid?«, fragte ich, obwohl ich ganz genau wusste, wovon sie sprach. Sie meinte mein weißes Bustierkleid, das ich auf der Abifeier tragen würde. Dieses Wahnsinnskleid, nach dem ich mir die Hacken abgelaufen hatte. Es sollte genauso aussehen wie das von Grace Kelly in dem Film Über den Dächern von Nizza. Weiß und lang, züchtig und sexy zugleich. Marie hatte sich für ein kleines Schwarzes à la Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany entschieden. Das passte zu uns. Ich die kühle Blonde, sie die dunkelhaarige Schneewittchenschönheit. Wochenlang waren wir durch die Läden in unserer Kleinstadt getigert, wir hatten das Internet durchforstet und waren schließlich in einem Vintageladen in Hamburg fündig geworden.
»Dein Heiratskleid«, sagte Olivia.
»Das ist mein Abikleid, das weißt du doch.«
»Anziehen!«
»Später, okay?«
Olivia stampfte mit dem Fuß auf. »Jetzt!«
Ich schüttelte den Kopf und hoffte, dass sie keinen Wutanfall bekommen würde. Es dauerte dann immer ewig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
»Nein, Olivia. Ich war noch nicht mal unter der Dusche.«
Meine Schwester sah mich mit ihren blauen Kulleraugen an. Wahrscheinlich begriff sie nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben sollte, und sie hatte Recht. Eigentlich hatte das eine auch nichts mit dem anderen zu tun. Aber ich wollte jetzt nicht. Ich würde noch den ganzen Nachmittag vorm Spiegel posieren und für meinen Auftritt als Filmqueen am Abend proben.
Schon verzog Olivia das Gesicht und plärrte los, gleichzeitig klingelte drinnen mein Handy. Bestimmt Marie, die mich daran erinnern wollte, unbedingt einen Push-up anzuziehen.
Ich strich Olivia über den Kopf, dann huschte ich durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. Das Handy klingelte nervtötend weiter. Mist, wo hatte ich es nur hingelegt?
»Geht da vielleicht mal jemand ran?«, rief mein Vater aus dem Schlafzimmer.
Mein Paps ist Chirurg am Krankenhaus. Er hatte eine anstrengende Nachtschicht mit einer Not-OP hinter sich und wollte vor der Abifeier verständlicherweise noch ein paar Stunden schlafen.
»Sorry, Paps!«, rief ich und lief in die Küche.
Mein Handy lag auf dem Frühstückstisch zwischen Butterdose, Marmelade und Käseglocke. Ohne aufs Display zu gucken, ging ich ran.
»Vergiss den Push-up, den ziehe ich nicht an!«
Ich hörte jemanden bellend lachen. Und diese Person war eindeutig nicht Marie.
»Ole, bist du das?«, fragte ich. Mein Cousin hatte als Einziger, den ich kannte, ein so lautes Organ.
»Nein, hier ist Léon.«
»Wer?«
»Maxime Léon.«
Mein Herz setzte ein paar Takte aus. Maxime Léon, Maxime Léon, Maxime Léon, ratterte es völlig sinnentleert durch mein Hirn.
»Ich spreche doch mit Lisa Herzberg?«, sagte wieder die männliche Stimme.
»Ja, ähm, das bin ich.«
»Und Sie haben sich bei mir für ein Praktikum beworben?«
Langsam dämmerte es mir. Der Mann am anderen Ende der Leitung war tatsächlich Maxime Léon. DER Maxime Léon. Der Regisseur von meinem Lieblingsfilm Brown Eyes, der letztes Jahr sämtliche Filmpreise abgeräumt hatte. Mein Herz wummerte.
Und ob ich mich erinnerte! Wie hätte ich das vergessen können! Maxime Léon hatte eine kleine Filmproduktionsfirma, führte selbst Regie und war seit einigen Monaten der Megapromi in unserer Stadt. Allerdings hatte ich meine Bewerbung bereits vor Monaten abgeschickt und kaum zu hoffen gewagt, dass er sich bei mir melden würde.
Das alles ging in Sekundenbruchteilen durch meinen Kopf, dann krächzte ich: »Ja, richtig, hab ich.«
»Gut. Ich dachte schon, ich hätte mich verwählt.« Wieder lachte er, diesmal etwas weniger laut. »Frau Herzberg, um gleich zur Sache zu kommen: Ihre Bewerbung hat mich ziemlich beeindruckt. Ich würde Sie gerne kennenlernen.«
Bum-bum, bum-bum, bum-bum, legte mein Herz noch einen Zahn zu. Mein Mund fühlte sich trocken an, zu trocken, um überhaupt sprechen zu können, dennoch würgte ich hervor: »Ja, äh, äh, wirklich?«
Wie dämlich klang das denn! Hätte ich nicht irgendetwas Intelligenteres sagen können?
Olivia tauchte Grimassen schneidend auf dem Flur auf. Geistesgegenwärtig drückte ich die Küchentür mit dem Fuß zu und schloss ab. Léon wollte mich kennenlernen. Mich, mich, wirklich mich!
»Dieser Experimentalfilm, den Sie in der Film-AG gedreht haben … Wirklich nett. Aber Ihr Bewerbungsschreiben … Mann, das nenne ich mal originell!«
Mein Herz schlug immer noch wie eine Trommel. Es war Maries Idee gewesen, mich als Albert Einstein des Films anzupreisen und ein lustiges Foto mit wirrer Frisur und rausgestreckter Zunge zu schießen. Ich selbst wäre niemals auf so einen verrückten Einfall gekommen. Und getraut hätte ich mich das schon gar nicht.
»Danke, das … äh … freut mich«, sagte ich steif, gleichzeitig begann Olivia gegen die Tür zu hämmern.
»Lisa!«, quäkte sie. »Mach auf!«
»Können Sie bei mir im Büro vorbeikommen?«, hörte ich Léon durch Lisas Gebrüll sagen.
»Sehr gerne. Und wann?«
»Morgen?«
»Aber … morgen ist … äh … Sonntag«, rutschte es mir heraus.
»Ist das ein Problem für Sie, Frau Herzberg?«
Wirre Gedanken schossen durch mein Hirn und mein Mund war wie zugetackert.
»Beim Film arbeiten wir häufig am Wochenende.«
»Äh, ja, schon klar«, beeilte ich mich zu sagen. Gleichzeitig hallte die Stimme meiner Deutschlehrerin Frau Sander in meinem Kopf. Chancen bekommt jeder im Leben. Man muss sie nur erkennen und ergreifen.
»Zehn Uhr?«
»Zehn Uhr.« Ich notierte die Adresse, verabschiedete mich höflich, dann ließ ich meine wild gewordene Schwester rein. Tränen flossen ihr über die Wangen, aber ich war so schrecklich durcheinander, dass ich einfach bloß dastand und ins Leere starrte. Kaum war mein altes Leben zu Ende, sollte mein neues auch schon losgehen? Wie verrückt war das denn!?
Es dauerte eine knappe halbe Stunde, bis mein Herz sich wieder beruhigt hatte. Ich schüttelte mein Bett auf, dann schrieb ich eine To-do-Liste für die nächsten Stunden:
Duschen und Haare waschenHaare antrocknen und auf große Lockenwickler drehenLéons aktuelles Firmenprofil googeln (Hat er einen Film am Start, den ich noch nicht kenne, aber kennen sollte? Oder neue Projekte in der Entwicklung?)Was erwarte ich vom Praktikum? (Alles und noch viel mehr!!!)Vergütung (???)Die wichtigsten Kinofilme der letzten Zeit raussuchenÜberlegen, welcher Regisseur mich zuletzt beeindruckt hat (ganz spontan: Léon!)Momentane LieblingsschauspielerKlamotten fürs Vorstellungsgespräch rauslegen (am besten eine Mischung aus seriös und kreativ)Schminken, Kleid anziehen, Schuhe anprobierenDie Rede überfliegen (bitte nicht länger als ein, zwei Minuten!)Mamas Clutch ausleihen und …Mein Handy schrillte und ich zuckte zusammen. Mein erster Gedanke: Maxime Léon ruft noch mal an, um mir zu sagen, dass er sich geirrt und eine ganz andere Lisa gemeint hat.
»Sachma, was machste gerade?!«, kreischte mir Marie ins Ohr. So abgedreht klang sie sonst nur, wenn wir feiern waren und schon was gebechert hatten.
In diesem Moment überlegte ich mir, ihr erst nachher von Maximes Anruf zu erzählen. Sozusagen als Megaüberraschung des Abends. Ich stellte mir vor, wie sie ihre braunen Bambi-Augen aufreißen und mich verdattert anblicken würde. Dann würde sie in ihrer unnachahmlichen Art loswiehern, mir um den Hals fallen, und wahrscheinlich würde danach meine kunstvoll ondulierte Grace-Kelly-Frisur hinüber sein. Und ihre Audrey-Hepburn-Frisur sowieso. Aber das wäre dann auch egal.
Also sagte ich: »Ich? Nichts. Und du?«
»Ich versuche die Stunden bis heute Abend rumzukriegen.« Sie kicherte. »Gar nicht so leicht, oder?«
Zeit totschlagen … Das Problem hatte ich gerade überhaupt nicht.
Marie gluckste in mein Ohr. »Vorschlag: Du kommst zu mir und wir stylen uns zusammen auf.«
Das taten wir manchmal, einfach so aus Spaß, aber jetzt ging es nicht. Jetzt brauchte ich jede verdammte Sekunde für mich und für Maxime Léon.
»Bist du noch dran, Lisa?«
»Klar.« Es war kein Halleluja, wir sind beste Freundinnen-»Klar«, sondern eins von der Sorte, mit der man der besten Freundin verklickert, dass man das Telefonat eigentlich lieber beenden möchte.
Wieder dieses XXL-Kichern. »Okay, schon kapiert. Dein Kleid verknittert, wenn du es in eine Tasche stopfst. Ich kann auch zu dir kommen. Meine Schminksachen bringe ich mit.«
»Hör zu, Marie. Es geht nicht.«
»Häh? Und wieso nicht?«
»Ich hab Mama versprochen, mit ihr das Kleid auszusuchen.« Ich lachte unsicher auf, dann fuhr ich fort: »Sie kann sich nie entscheiden, was sie anziehen soll. Und Olivia besteht darauf, dass ich mit ihr Uno spiele. Und ich muss noch mal die Rede üben. Und tausend andere Sachen erledigen.« Mein Mund klappte zu und ich atmete geräuschvoll aus.
Das mit meiner Mutter stimmte. Olivia hatte ich bloß vorgeschoben. Und dass ich die Rede üben musste, war eigentlich auch gelogen. Ich hatte sie schon vor Wochen geschrieben, und obwohl ich sie nicht besonders prickelnd fand, konnte ich sie trotzdem im Schlaf runterbeten.
»Okay.« Marie klang enttäuscht. »Aber wenn ich dich noch mal abhören soll, sag Bescheid.«
»Mach ich. Dann bis später.«
Wir legten auf und schon in der nächsten Sekunde verfiel ich in totale Hektik.
Ich erledigte die Punkte eins und zwei auf meiner To-do-Liste (duschen und Haare aufdrehen). Danach schlappte ich in Bademantel und Flip-Flops über den Flur in die Küche und aß eilig eine Banane.
In meinem Zimmer probierte ich verschiedene Outfits für das morgige Vorstellungsgespräch (Punkt neun meiner To-do-Liste). Da alles irgendwie total daneben aussah, entschied ich mich für eine dunkelblaue Jeans, eine lässige weiße Bluse und die flachen Budapester. Dazu Papas alte Wildlederjacke, fertig (war das besonders kreativ? Eher nicht).
Wieder ging es im schmatzenden Flip-Flop-Watschelgang in die Küche. Ich hatte Hunger auf ein Käsebrot mit Tomate. Mein Vater war inzwischen aufgestanden und trank mit meiner Mutter Kaffee. Während ich mir ein Brot schmierte, erzählte ich ihnen von dem Vorstellungsgespräch.
»Aha, ist ja toll«, sagte Mama beiläufig. »Und wann musst du da hin?«
»Morgen um zehn.«
Papa stellte die Tasse ab und sah mich ungläubig an.
»Morgen um zehn?«, wiederholte Mama.
Ich nickte.
Meine Mutter bekam ihren angestrengten Runzelblick. »Aber … da bist du doch gar nicht richtig ausgeschlafen.«
Und Paps fragte: »Wieso lässt dich dieser Produzent denn ausgerechnet am Sonntag antanzen?«
»Keine Ahnung«, entgegnete ich.
Ich erledigte die Punkte drei bis acht auf meiner Liste, was etwa zwei Stunden in Anspruch nahm, danach half ich meiner Mutter bei ihrem Klamottenproblem. Sie besaß nur zwei lange Kleider – ein schlichtes schwarzes und ein rotes mit Rüschen –, daher fiel die Auswahl nicht weiter schwer. Rote Rüschen gingen gar nicht. Egal, wie alt man war. Ich fragte mich sowieso, wie sie auf die Idee gekommen war, sich so eine Geschmacksverirrung von Kleid in den Schrank zu hängen.
»Und dich hat wirklich der Léon zum Gespräch eingeladen?«, fragte Mama.
»Denk schon. Ich kenne jedenfalls keinen anderen.«
Ein Strahlen ging über ihr Gesicht. »Das ist ja toll, Lisa! Glückwunsch!«
Endlich war die Hammernachricht auch bei ihr angekommen.
»Aber feiern willst du schon ein bisschen, oder?«, fuhr sie fort.
Na, was dachte sie denn? Dass ich mich um acht ins Bett legte, nur weil ich morgen ein Vorstellungsgespräch hatte? Mein Abi war immer noch mein Abi und das musste begossen werden.
Später rief Marie an, bloß um mir aufgeregt ins Ohr zu tröten, dass sie schon zu 80 Prozent wie Audrey Hepburn aussähe und wie weit ich denn mit meiner Verwandlung in Grace Kelly sei.
»Äh, ich bin noch zu 100 Prozent Lisa.«
»Scheiße, echt? Aber das schaffst du doch gar nicht mehr.«
»Wenn du mich jetzt weitermachen lässt, besteht vielleicht noch eine klitzekleine Chance.«
Bevor Marie noch auf die Idee kommen würde, mir ihre Hilfe anzubieten, beendete ich rasch das Gespräch.
Ab ins Bad. Die Wickler mussten dringend raus. Die Prozedur dauerte keine zwei Minuten. Ich kämmte und zupfte die Haare in Form, doch es war nichts zu machen. Zwischen Grace Kelly und mir lagen Welten. Ich sah grässlich aus. Albern aufgetakelt, einfach nur total daneben.
»Hexe! Hexe!«, kreischte Olivia, als ich mich auf den Flur wagte, und Mama bekam prompt einen Lachanfall.
»Ja, sehr witzig«, brummte ich. »Sag mir lieber, wie ich diese Katastrophe noch irgendwie retten kann.«
Mamas Gegluckse ebbte nur langsam ab. »Ich fürchte, da hilft nur nass machen.«
Ich sah auf die Uhr: halb fünf. Um fünf wollten wir los. Ich war weder geschminkt noch hatte ich die Schuh-Frage gelöst. Es wäre der reinste Albtraum, wenn ich zu spät zur Zeugnisausgabe in der Stadthalle auflaufen und womöglich noch meine eigene Rede verpassen würde.
»Kein Problem, Lisa, wir schaffen das.«
Kurz entschlossen griff meine Mutter nach der Blumendusche und besprühte mich wie eine verstaubte Zimmerpflanze. Dann entwirrte sie meine Haare mit dem Kamm und übernahm auch gleich das Föhnen.
Knappe zwanzig Minuten später war ich gerettet. Das auf meinem Kopf konnte man wieder Frisur nennen. Zwar fehlten die weichen Grace-Kelly-Wellen, aber die Hexenmähne gehörte der Vergangenheit an.
Punkt fünf klingelte Olivias Babysitter Thorben, eine Minute nach fünf hakte Mama die Ösen meines Grace-Kelly-Kleids ein, zwei nach fünf schlüpfte ich in meine Sixties-Pumps, drei nach fünf gab ich Olivia ein Küsschen aufs Haar, vier nach fünf stiefelten Papa, Mama und ich die Treppe runter, fünf nach fünf ließ ich mich megaerschöpft in den Autositz sinken. Und während Papa, schick im schwarzen Anzug und mit Fliege, den Wagen anließ, dachte ich: Dies ist er also, der irrwitzige Beginn deines neuen Lebens.
Papa lächelte mich aufmunternd an, Mama hauchte mir ein Luftküsschen zu, dann lehnte ich mich zurück und freute mich auf alles, was kommen würde.
»Lisa! Hier sind wir!«
Eine dunkelhaarige Schönheit stand neben Maries Eltern und ihrem Bruder Ferdi auf dem Parkplatz und winkte.
Mir stockte der Atem. Diese Diva da sollte Marie sein? Sie sah so atemberaubend aus, so unfassbar glamourös, dass mir – ich konnte nichts dagegen tun – Tränen in die Augen traten. Das figurbetonte schwarze Cocktailkleid, das sie zusammen mit einem Perlencollier und ellenbogenlangen schwarzen Handschuhen trug, stand ihr perfekt. Ihre Haare, die sonst fusselig herunterhingen, hatte sie zu einer stilechten Bienenstockfrisur im Sixties-Style aufgetürmt. Sie wirkte viel erwachsener als sonst, und schöner – wie eine Person aus einem Leben, das noch vor ihr lag.
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