Finsterengel - Michaela Weiß - E-Book

Finsterengel E-Book

Michaela Weiß

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Beschreibung

Was gibt dir Hoffnung in der Finsternis? Ich bin Sara. Ich wollte sterben. Nicht, weil ich das Leben hasste, sondern weil ich keine Kraft mehr hatte. Als ich im Krankenhaus erwachte, sah ich das erste Mal diese dunkle Gestalt. Der Schatten, für niemanden sichtbar außer für mich. Existiert er wirklich? Warum ist er hier? Vielleicht können wir einander helfen.

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Dieses Buch behandelt unter anderem die Themen

Suizidalität, Mobbing und Angststörungen.

Die Geschichte soll Hoffnung geben und Mut machen,

thematisiert dabei jedoch tiefgreifende Probleme.

Bitte lies den Roman nur, wenn du dich dafür bereit fühlst.

Falls du von schwerwiegenden Problemen betroffen bist und

es dir schlecht geht, wende dich bitte an eine Vertrauens-

person, einen Arzt, einen Therapeuten, eine Klinik oder

den Notdienst unter der Telefonnummer 112.

Außerdem kannst du rund um die Uhr die Telefon-

seelsorge kostenfrei unter 0800-1110111 oder

0800-1110222 erreichen.

*Finsterengel* ist eine frei erfundene Geschichte. Sie ist

weder das Beispiel einer real existierenden Person, noch

allgemeingültig für die thematisierten Probleme und

Erkrankungen, da dies von Mensch zu Mensch sehr

individuell sein kann. Bitte bedenke das beim Lesen.

Ich wünsche dir alles Gute dieser Welt.

Viel Spaß mit Finsterengel!

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

EPILOG

PROLOG

Der Tod

Ich wollte sterben.

Nicht, weil ich die Welt hasste, sondern weil ich keine Kraft mehr hatte.

Das, was mein Leben war, zerriss mich. Jeder Tag war ein Kampf, den ich nicht gewinnen konnte. Jeder Tag schmerzte, tötete mich ein bisschen mehr.

Ich sehnte mich danach, dass es einfach aufhören würde. Ich sah nur einen Ausweg. Nur noch eine Möglichkeit, dem Elend zu entkommen. Natürlich wusste ich, dass nichts zurückbleiben würde. Ich glaubte nicht daran, dass etwas Besseres auf mich warten würde, wenn ich diese Welt verließ. Doch ich wollte lieber alles verlieren, als das, was ich hatte, zu behalten.

Vielleicht hatte ich nicht genug darüber nachgedacht. Es geschah im Chaos meiner Emotionen. Dieser Augenblick, in dem einfach alles zusammenschlug. Eine Explosion, die alles in und um mich herum zersplittern ließ. Und als nichts mehr übrigblieb, da gab es auch keinen Grund mehr, zu bleiben.

Als ich es tat, spürte ich nichts mehr. Alles war bereits aus mir herausgelöst. Die Realität war verschwommen und unwirklich. Ich war benommen von dem Gedanken, dass nun alles enden würde.

Keinen Tag länger wollte ich kämpfen müssen.

Irgendein Teil von mir empfand Angst.

Tat ich das wirklich?

Die Gewissheit, dass es unabänderlich war, drang durch zu mir.

War ich wirklich so weit gegangen?

Ein schwaches Gefühl von Panik überkam mich.

Gleich, gleich würde alles Nichts werden.

Ebenso spürte ich Erleichterung.

Gleich, gleich wäre alles vorbei.

Ich dachte an die Menschen, die mich wohl so finden würden. Ich dachte daran, ob sie wohl entsetzt sein würden. Oder ob sie es hatten ahnen können.

Ich dachte daran, wie ich wohl beerdigt werden würde. Wer dort wohl stehen würde, um mir Tschüss zu sagen.

Dann schwanden mir die Sinne.

Nur noch das Nichts war da.

Kapitel 1

Das Leben

Meine Augen waren starr in das Nichts gerichtet.

Ich wusste nicht wie lange es dauerte, bis ich begriff, dass ich bei Bewusstsein war. Ich wusste rein gar nichts mehr.

Wer war ich? War ich überhaupt irgendwer?

Die Erinnerung. Sie kam nicht zurück.

Hatte ich Erinnerungen? Was war ich? Wo war ich?

Ich strengte mich an. Versuchte, irgendetwas wahrzunehmen.

Mein Blick schärfte sich nur langsam.

Eine weiße Wand vor mir. Ich schaffte es, zu blinzeln.

Ein Surren, ein Piepsen. Es war nicht besonders laut.

Nein, es war eher still, dort, wo ich war.

Langsam ließ ich meinen Blick wandern. Weiß, so viel weiß.

Es war ein Zimmer. Ich sah ein Bett, in dem ich lag.

Langsam, ganz schwer, kam sie zurück. Die Erinnerung.

Daran, wer ich war. Daran, was geschehen war.

Ich musste eigentlich ... tot sein.

Aber wieso lebte ich dann noch?

Meine Sinne waren wieder geschwunden. Irgendwann kehrten sie zurück, ließen mich aus einem traumlosen Schlaf erwachen.

Das Gefühl für mein Ich, für meinen Körper, kehrte langsam zurück.

Das Bett. Das Zimmer. Ich, schwach und leer.

»Du wolltest dich umbringen«, hörte ich eine Stimme sagen. »Doch du wurdest gerettet.«

Mein Blick suchte, wo die Worte hergekommen waren. Hinten im Zimmer ragte eine finstere Gestalt auf. Unwirklich und grau, verzerrt und verschwommen. Erschrocken blinzelte ich. Stand dort wirklich ein dunkles Wesen?

»Wer bist du?«, flüsterte ich. »Hast du mich gerettet?«

Gerettet. Das Wort klang falsch. Denn man hatte mich festgehalten, obwohl ich hatte gehen wollen. Im Moment war das jedoch nicht wichtig. Die Schwere, die Schmerzen – alles war betäubt. Ich fühlte den dunklen Schleier nicht, der mich zuvor umgeben hatte. Ich spürte, dass es lauerte, dass es irgendwo dort draußen auf mich wartete, doch gerade wirkte alles dumpf. Im Moment war alles nichts.

»Nein.« Die Stimme klang tief wie die eines Mannes. Ich sah den Schatten näherkommen. Bedrohlich ragte das Geschöpf vor mir empor. Ich konnte keine Angst empfinden, auch wenn mein Verstand mir dazu riet. Ich betrachtete den dunklen Schemen, als wäre er ge - nauso surreal, wie ich mich fühlte. Ich konnte an ihm keine Feinheiten erkennen. Kein Gesicht, keine Glieder, keine Klamotten. Lediglich einen dunklen Umriss.

Waren das meine Sinne, die mich so täuschten? Mein Bewusstsein war noch nicht auf der Höhe. War es möglich, dass ich einen Menschen deswegen nur als dunkle Silhouette wahrnahm? Und wenn ja, wer war dieser Schemen dann in Wahrheit?

Ein beständiges Wummern rauschte durch meinen Kopf. Dröhnend und schwach fühlte sich alles an.

Ein Ruck fuhr durch mich, als ich wieder durch den Raum blickte, in dem ich mich befand. Wieso sah ich alles andere hier klar und deutlich? Ich blickte an mir herab. Ein wenig schummrig war mir noch.

Aber ich erkannte mich selbst. Ohne Zweifel. Und ohne dunkle, schwammige Umrisse.

»Das sind böse Wunden an deinen Armen.« Die Stimme klang kalt.

»Fast hättest du es geschafft.«

»Zu sterben?« Ich sah das Wesen an. »Das war ja auch mein Plan gewesen.«

Der Schatten beugte sich auf der Bettkante, als würde er sich zu mir setzen. »Traurig zu sehen, wie sich ein dummes, junges Ding das Leben nehmen wollte.«

»Die Welt ist traurig, nicht diese Tatsache«, murmelte ich.

»Nicht die Welt. Du bist traurig.«

Ich schnaubte, doch ich ersparte mir eine Antwort. Die Gestalt diskutierte wohl gern.

»Wer bist du?« Vorsichtig streckte ich die Hand nach dem Schemen aus. Meine Finger berührten ihn.

Es war ... merkwürdig. Ich wusste nicht, was genau ich spürte. Haut?

Knochen? Kleidung? Nichts davon. Es war ... nicht fest. Es war bloß ein ganz schwacher Widerstand, nur ein winziger Hauch von etwas, vielleicht wie von einem dichten Gas. Etwas, das beinahe unbemerkt durch die Luft glitt. Es war fast nichts, doch irgendetwas spürte ich. Irgendetwas Lebendiges, glaubte ich.

War er real? Zumindest war er irgendwie da. Ich konnte ihn nicht klar sehen und auch nicht umgreifen. Aber er sprach. Und er hatte diese menschliche Silhouette.

Leise seufzte ich. Ich fühlte mich so erschöpft, als bräuchte ich tagelangen Schlaf, um wieder zu Kräften zu kommen. Dabei kam es mir vor, als hätte ich bereits unendlich lange geschlafen. Mein Körper war kraftlos und leer. Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Wie viel Blut hatte ich verloren?

»Ich sehe dich nicht. Nur einen Umriss. Eine dunkle Gestalt.«

»Das liegt daran, dass ich nur noch ein Schatten bin.«

»Warum?«

»Weil ich nicht mehr in diese Welt gehöre.«

Fassungslos starrte ich ihn an. Ich wusste nicht weshalb, aber ich glaubte ihm. Entweder war ich verrückt, oder die Welt war verrückt.

Aber er sagte wohl die Wahrheit.

»Du bist also tot?«

»Ich denke schon.«

»Du denkst?«, wiederholte ich. »Und wenn du wirklich tot bist, warum bist du dann hier?«

»Ich bin nicht sicher.« Er zögerte. »Vielleicht hat dein Schicksal mich aufgesogen. Und mich an dich gebunden.«

Wieder stieß ein Ruck durch mich. »Was?«

»Sieh nur, wir sind beide hier.« Seine Stimme klang sacht. »Du warst zur gleichen Zeit wie ich dem Tode nah. Irgendwie müssen wir uns in der Dunkelheit getroffen haben.«

Wortlos starrte ich den finsteren Schemen an.

Er zuckte mit den Schultern. »Du wolltest sterben. Ich wollte sterben.

Ich habe es geschafft, du nicht. Und nun bin ich hier bei dir. Das scheint doch einen Zusammenhang zu haben, oder etwa nicht?«

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.

»Menschen suchen das, was sie kennen. Wir nähern uns dem, was uns vertraut vorkommt«, beteuerte er. »Wir ziehen das an, in dem wir uns wiedererkennen. Unser Umfeld besteht aus dem, was uns ausmacht.«

»Vielleicht ...«, murmelte ich.

»So muss es auch gewesen sein, als ich gestorben bin. Dein Schicksal ist ähnlich dem meinen. Der Unterschied ist, dass du überlebt hast. Vielleicht bin ich deswegen bei dir erwacht.«

»Tust du gerade so, als würde das alles Sinn ergeben?«

Langsam wich die Leere aus mir und machte der Verwirrung, der Sorge, dem Unbehagen Platz. Wer oder was diese Gestalt auch war, ich würde mir nicht einfach so erzählen lassen, dass das Schicksal uns zusammengeführt hatte.

»Hast du denn eine bessere Erklärung auf Lager?«

»Du bist verrückt.« Ich verschränkte die Arme, suchte irgendwie nach Halt. »Selbst wenn das stimmt, was bedeutet das dann?«

»Das weiß ich nicht. Niemand hat mir irgendetwas erklärt. Es gibt keine Gebrauchsanweisung für das Leben. Und wohl genauso wenig für den Tod.«

Ich schwieg.

»Ich weiß nur, dass ich sterben wollte. Und dann war ich hier. Hier bei dir, an deinem Krankenbett.«

»Aber ...« Immer noch wollte ich protestieren, denn das alles konnte unmöglich real sein.

»Du lagst einige Tage auf der Intensivstation, sagten die Ärzte. Du hattest Glück, dass du schnell aus dem Koma erwacht bist.«

Er erzählte es so banal, als ginge es darum, was es heute zum Früh - stück gab. »Als du stabiler wurdest, haben sie dich hierhergebracht.

Du brauchtest noch ein wenig Zeit, musstest dich gesund schlafen.«

Er seufzte. »Ich habe gewartet, dass du aufwachen würdest. Ohne zu wissen, warum ich bei dir bin, wer du überhaupt bist. Es war einfach ein Gefühl. Dass ich zu dir gehöre. Und dass ich bei dir wachen wollte. Solange, bis sich deine Augen wieder öffnen.«

Ich starrte auf mein linkes Handgelenk. Ein Verband war darum gewickelt, der die Schnitte verdeckte. Ich fragte mich, ob sie die Wunden genäht hatten. Ich spürte einen diffusen Schmerz. Aber weil mein gesamter Körper schwach war, war es schwierig ihn zuzuordnen.

»Ich weiß ja nicht mal, ob das hier die Realität ist.« Ein überfordertes Lachen drang aus der Gestalt. »Vielleicht bilde ich mir dich ein? Oder du bildest dir mich ein?«

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Ich wollte widersprechen, doch kein Wort drang aus mir heraus. Also kniff ich mir einfach in den Arm. Der Schmerz war dumpf, aber ich spürte ihn. Das hier musste die Wirklichkeit sein. Doch die Erkenntnis beruhigte mich nicht. Denn das bedeutete, dass ich diese Gestalt und unsere Unterhaltung nicht bloß träumte.

»Vielleicht soll ich etwas von dir lernen?«, dachte er laut nach. »Oder du von mir?«

»Ich wollte sterben«, erinnerte ich. »Und wahrscheinlich will ich das immer noch. Es gibt nichts zu lernen. Und es gibt nichts besser zu machen.«

»Oh, ich finde schon, dass das einiges an Potenzial bietet.«

»Willst du mich eigentlich verarschen?«, murrte ich.

»Nichts liegt mir ferner!«

Ich griff mir an den Kopf, strich durch die hellen Haare, die mir ins Gesicht fielen. War ich ... verrückt? Das war die naheliegendste Erklärung, die mir einfiel.

Man hatte mir sicher Medikamente gegeben, die mich zum Halluzinieren brachten. Anders konnte es gar nicht sein.

Mühsam rappelte ich mich aus dem Bett auf. Mir war schummrig.

Fast knickte ich bei den ersten Schritten ein. Angestrengt hielt ich mich auf den Beinen.

»Was hast du vor?«

»Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, warum ich dir antworte«, gab ich zurück, »aber ich verschwinde von hier.«

»Hältst du das für eine besonders gute Idee?«

»Hältst du dich einfach da raus?«

Eigentlich war ich kein zickiger Mensch, aber mir passte die Nähe nicht, die diese Gestalt zu mir forderte. Ich wusste nicht, was das für ein Hirngespinst war, aber ich würde mich nicht weiter darauf einlassen. Ich war ja ohnehin schon am Arsch, da musste ich nicht auch noch völlig verrückt werden und mit einer Halluzination diskutieren.

»Du bist doch gerade erst zu Bewusstsein gekommen.«

»Stimmt nicht«, bestritt ich. »Ich war vorhin schon wach.«

»Oh ja, für etwa fünf Sekunden«, lobte er zynisch. »In denen du sicher nicht mal wusstest, wer du überhaupt bist.«

Überraschend treffsicher waren seine Vermutungen, das musste ich ihm lassen. War aber auch nicht besonders schwer, wenn er ein Konstrukt meiner Einbildung war. Natürlich wusste er dann bestens über mich Bescheid!

»Du bist noch lange nicht auf dem Damm.«

Ich erwiderte nichts, sondern löste eine Kanüle, die noch an meinem Körper hing. Keine Ahnung, was das für eine Infusion war, aber ich würde es hoffentlich auch ohne den Tropf hier herausschaffen.

»Draußen ist es kalt. Du hast hoffentlich nicht vergessen, dass Winter ist.«

»Wie könnte ich?« Ich seufzte. »Weihnachten ist eines der Events, die ich lieber verpassen würde.«

Dumpf lachte er. »Zu viel Trubel um Geschenke.«

In mir zog sich alles zusammen, als ich an die letzten Jahre zurückdachte. An den angestrengten Versuch, einen auf heile Familie zu machen, obwohl längst alles in Scherben lag. »Es zeigt nur noch deutlicher, wie schlecht es einem geht. Und wie fröhlich der Rest der verdammten Welt zu sein scheint.«

»Und trotzdem wirst du in diesem dünnen Krankenhaus-Kittel erfrieren, wenn du jetzt einfach so heraus spazierst. Und glaube mir, das ist alles andere als ein schneller Tod.«

»Du musst es ja wissen«, murmelte ich.

»Natürlich. Ich stand schließlich vor derselben Frage wie du: Wie bringe ich mich um? Wie mache ich es am Einfachsten?«

Trocken lachte ich. »Und? Welchen Weg hast du gewählt?«

»Ich erinnere mich nicht. An gar nichts.« Er zögerte. »Ich weiß nichts über mein Leben oder darüber, wer ich einmal war. Wenn ich versuche, mich zu erinnern, ist da bloß diese endlose Leere. Es hallt nur dieses seltsame Gefühl in mir nach, dass ich sterben wollte.«

Wow, wie düster, dachte ich zynisch. Doch ich spürte seine Worte in so einer Stärke, dass mir unwohl wurde. Ich fühlte seine Schwere und das verworrene Band, das sich so eigenartig zwischen uns spannte.

Das war genug Tod und Verderben für den Moment.

»Verrate mir einen besseren Plan. Ich werde auf keinen Fall hierbleiben und warten, bis die Ärzte und meine Angehörigen auftauchen.«

»Deine Angehörigen. Das klingt so fürchterlich distanziert.«

»Dann passt es ja«, brummte ich.

Er wirkte nachdenklich. »Warum willst du niemanden sehen?«

Allein die Frage empörte mich. »Weil ich ihre Worte nicht hören will.

Mitleidig, überfordert, anklagend. Ich will einfach nicht, dass alle Welt darauf reagiert. Es war meine Entscheidung, zu gehen. Denn es ist mein Leben. Aber niemand wird das verstehen. Niemand wird das akzeptieren.«

Er blieb still.

»Ich wurde hier festgehalten. Obwohl ich nicht darum gebeten habe.«

Ein Zittern stieß durch meinen Körper. »Und jetzt werde ich dafür schuldig gesprochen, belabert und beweint. Ich will das nicht. Ich, ich will bloß ... in Frieden gelassen werden.«

»Ich verstehe.«

»Tust du das wirklich?«

Seine Hand umschloss meine.

Wieder dieses sachte Gefühl.

Wie ein Windhauch, der dich leise umgab.

Wie die Kälte, die deine Haut zum Frösteln brachte.

Wie eine Schneeflocke, die zart auf deiner Fingerspitze schmolz.

Kapitel 2

Auf der Flucht

»Was ist dein Plan?«, fragte ich unsicher. »Hast du überhaupt einen Plan?«

Wir liefen über den Flur. Einige Leute des Krankenhaus-Personals, denen wir beim Vorbeilaufen begegneten, warfen mir prüfende Blicke zu. Ich sah wohl noch sehr ramponiert aus. Dennoch schienen sie optimistisch, dass ich einen guten Grund haben musste, hier herumzuspazieren. Vielleicht waren sie aber auch einfach zu beschäftigt, um sich näher mit mir auseinanderzusetzen. Das war vermutlich mein Glück.

»Wenn dich jemand fragt, sag einfach, du bist auf dem Weg zum Klo«, riet mir der Schatten.

»Habe ich kein eigenes Bad im Zimmer?«

»Vielleicht ist es ja gerade belegt.«

»Und was ist mit dir?«

»Was soll mit mir sein?«

»Was wirst du ihnen sagen?« Das war doch völlig offensichtlich. »Ich kann ja schlecht behaupten, dass wir händchenhaltend gemeinsam pinkeln gehen!«

»Mach dir keine Sorgen.«

»Warum?«

»Weil mich keiner sehen kann. Keiner, außer dir.«

Ich erwiderte nichts. Ich wusste ja bereits, dass ich ihn mir bloß einbildete. Dennoch raubten mir seine Worte die Fassung. Dass eine Einbildung selbst zugab, nur eine Einbildung zu sein, das hatte ich noch nicht gehört. Irgendwie enttäuschte mich das. Denn es wäre gar nicht so schlecht gewesen, tatsächlich jemanden auf meiner Seite zu haben. Jemanden, den ich mir nicht bloß einbildete.

Na ja, ich war verrückt, aber das war für den Moment okay. Besser verrückt, als mutterseelenallein. Dann bildete ich mir meine Gesellschaft eben nur ein, na und?

»Halb so wild. Ich existiere nur in deinem Kopf. Aber dennoch bin ich echt.«

»Wie soll das denn funktionieren?«, zweifelte ich.

»Ich bin nicht mehr mit dieser Welt verbunden. Das Einzige, was mich scheinbar noch hier hält ist die Verknüpfung mit dir. Und das wird der Grund sein, warum nur du mich wahrnimmst. Weil ich vom ganzen Rest bereits gelöst bin.«

»Alles klar«, seufzte ich. Wohlwissend, dass sich meine Psyche gerade irgendeine klägliche Erklärung zusammenspann.

Die merkwürdige Gestalt führte mich in einen Untersuchungsbereich der Klinik.

»Schnapp dir eine der Jacken. Eine der besonders dicken.«

»Was? Das kann ich doch nicht einfach machen! Die gehören doch irgendwem.«

»Willst du erfrieren?«

»N-Nein.« Natürlich nicht. Dumme Frage!

»Dann nimm dir eine Jacke.«

Ich musterte ihn, doch es war gar nicht so leicht, aus jemandem schlau zu werden, dessen Gesicht man nicht sehen konnte. Starr stand die dunkle Silhouette da.

Ohne weitere Widerworte griff ich nach einem pelzigen Mantel.

Diese Einbildung war eine ziemlich rücksichtslose. Bestimmen tat er gern. Noch lieber diskutierte er. Ich seufzte. Hätte ich mir denn nicht zumindest etwas Freundlicheres halluzinieren können? Warum denn gleich jemand, der so barsch und eigensinnig war? Aber hey, das passte wohl zu mir. Ich konnte auch eine ziemliche Kratzbürste sein.

»Jetzt noch Schuhe.« Er lief weiter, immer weiter, bis vor einen Gang mit mehreren kleinen Umkleidekabinen, die es vor den Untersuchungsräumen gab.

»Versuche sie zu öffnen. Manche Leute vergessen, sie zu verriegeln.«

»Das ist ‘ne ziemlich böse Nummer.« Unsicher zog ich an den ersten Klinken. Die Aktion war ja schon kriminell. Andererseits, was hatte ich zu verlieren? Ich hatte kurzen Prozess mit meinem Leben gemacht.

Im Moment war mir so ziemlich alles egal. Ich war im Fluchtmodus.

Ich wollte weg. Weg von hier, weg von mir, weg von der Realität. Und es war mir relativ gleich, zu welchem Preis das erfolgte.

»Du wolltest abhauen«, erinnerte er. »Ich bin bloß derjenige, der nicht will, dass du bereits beim Versuch erfrierst.«

»Nett, wie du dich um meine Gesundheit sorgst.«

»Wahrscheinlich bleibt mir auch nicht viel anderes übrig, nachdem mein Leben an deines gekettet ist.«

Ich unterdrückte es, mit den Augen zu rollen. »Willst du eigentlich durch mich weiterleben? Oder was ist der Sinn dieser ganzen Verkettungsaktion?«

Der Schemen schwieg.

»Ganz ehrlich, mich würde es ziemlich nerven, als Geist an der Welt gefesselt zu sein«, machte ich ihm klar. »Mich nervt es ja schon als Mensch am Leben zu sein.«

Ich versuchte es weiterhin an einigen Türen. Ich war mir nicht so sicher, ob dieser Plan wirklich aufgehen würde. Oder ob mich nicht bald jemand entdecken und zurück auf mein Zimmer bringen würde.

»Das Schattenleben bringt auch seine Vorteile mit sich. Ich spüre keine Widersprüche, keine Sehnsüchte. Da ist kein Kampf, keine Angst, kein Druck. Man ist plötzlich unglaublich entspannt.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. So entspannt kam er mir gar nicht vor. »Aber wenn du gar nichts fühlst, bleibt auch gar nichts übrig.

Was ist denn ein Leben, das aus nichts besteht?«

Er stockte. »Nun ... ich kann mich zurücklehnen und zusehen. Oder mich einmischen und einem verrückten Mädchen wie dir helfen.«

In diesem Moment fand ich eine Tür, die sich öffnen ließ. Ich war völ - lig überrascht, als ich in die Kabine hineinstolperte.

Hier war niemand. Auf einer schmalen Bank entdeckte ich Klamotten.

Der dazugehörige Patient musste gerade im Behandlungszimmer sein. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Wie konnte man nur so viel Glück auf einmal haben? Bitter lachte ich. Meist war ich ja eher vom Pech verfolgt. Da war es echt fair, heute mal einen Sieg zu kas - sieren.

»Halleluja! Sieht aus wie die Sachen eines alten Opas«, bewertete der Schatten den Kleidungsstil.

»Ja, mit Schuhgröße fünfzig oder so.« Hastig schlüpfte ich in die feine Hose, das Seidenhemd und die viel zu großen Herrenschuhe.

Mein schlechtes Gewissen pochte laut in mir auf. Vielleicht waren es aber auch nur die dumpfen Kopfschmerzen, die sich wieder zu Wort meldeten. Ich war mir inzwischen über nichts mehr sicher. Es ging alles viel zu schnell.

»Wenn man keine Option hat, sollte man nicht wählerisch sein.«

»Und wenn man tot ist, sollte man vor den Lebenden nicht mehr klugscheißen«, konterte ich.

»Du hast mich doch nach einem Plan gefragt.«

»Der Plan ist ziemlich beschissen.« Ich versuchte, in den großen Schuhen zu laufen. Es musste wirklich erbärmlich aussehen, wie ich so durch den Flur stolperte. Mal davon abgesehen, dass ich ohnehin schon völlig erledigt war, verpasste das meiner Erscheinung jetzt noch den Rest.

Er seufzte. »Du bist ziemlich undankbar.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen Fremden getroffen zu haben, der so viel am Quatschen ist wie du. Mal ganz ungeachtet der Tatsache, dass du ohnehin gar nicht mehr quatschen können solltest, nachdem du angeblich ja gestorben bist.«

»Was soll ich schon machen? Außer dir habe ich niemanden. Ich bin ja scheinbar unsichtbar und stumm für den gesamten Rest der Welt.«

Er ließ eine überdramatische Stille aufkommen.

Klar, er hatte an meinem Krankenbett gewartet. Er musste einige Ärzte, Schwestern und Besucher getroffen haben. Doch niemand von ihnen schien ihn bemerkt zu haben. Das brachte mich zum Frösteln.

Ich fühlte mich oft unbedeutend, geradezu unsichtbar in der Welt.

Aber wie musste es sein, wenn man plötzlich wirklich unsichtbar war?

»Hast du einen Tipp?« Noch immer stolperte ich unbeholfen in den Schuhen voran.

»Schlurfe lieber«, entgegnete er. »Versuche erst gar nicht, die Füße anzuheben. Dann können die Schuhe auch nicht abrutschen.«

Ich musste dem Schatten recht geben. Es war wirklich kalt draußen.

Anfang Dezember, wen wunderte das schon? Ich stapfte über die gefrorenen Straßen.

Ich hatte mich wie eine Verbrecherin gefühlt, als ich die Eingangshalle des Krankenhauses mit kläglichen Schritten verlassen hatte. Einige zweifelnde Blicke waren mir gefolgt, aber niemand hatte mich aufgehalten. Trotz meines erbärmlichen Erscheinungsbildes. Na ja, ich war ja auch in keinem Gefängnis oder in der Psychiatrie. Krankenhauspatienten wurden nicht weggesperrt und streng überwacht. Auch wenn es in meinem Fall vielleicht klüger gewesen wäre.

Tief atmete ich durch. Die Verzweiflung war noch immer so fern von mir, dass es mich wunderte, wie das alles überhaupt hatte geschehen können. Als wäre der Selbstmordversuch ein Ventil gewesen, das all meine Gefühle und das Gedankenchaos erst mal entweichen hatte lassen.

Traurig blickte ich durch die kalte Welt. Das war wohl kein Wunder.

Ich hatte geglaubt, zu sterben. Ich hatte geglaubt, nichts würde von mir übrigbleiben. Und jetzt? Jetzt war alles in mir weit zerstreut. Es war kein gutes Gefühl, so leer zu sein. Aber zumindest half es mir, weniger nachzudenken. Einfach vorwärtszuschreiten.

»Was ist dein Plan?«, fragte der Schatten.

»Ich weiß nicht.«

»Du wolltest aus dem Krankenhaus fliehen, um was zu tun?«

»Um frei zu sein!«, knirschte ich.

»Und? Was tun wir also nun mit deiner neu gewonnenen Freiheit?«

»Hör auf, so viele schwierige Fragen zu stellen.« Ich seufzte. »Mir ist furchtbar kalt und diese furchtbaren Schuhe bringen mich noch um den Verstand!«

»Du solltest dich irgendwo aufwärmen. Und bei Zeit etwas Vernünftiges anziehen.«

»Was ist mir dir? Frierst du nicht?«

Er lachte. »Himmel, nein. Ich bin ja nicht mehr als eine verlorene Seele, ein Gedanke, der unsichtbar umherschwirrt.«

Ich blieb stehen. Ich wandte mich zum dunklen Schemen um. Dann griff ich nach seiner Hand. Wieder dieser Hauch von Berührung. Er schien kaum Materie zu besitzen, aber irgendetwas war da.

Vor Überraschung zuckte er zurück.

»Wenn du nichts wärst«, flüsterte ich, »dann würdest du das gar nicht spüren, oder?«

Er zögerte. »Ich bin mit dir verbunden. Daran wird es liegen.«

»Du vermutest ganz schön viel«, erwiderte ich. »Dafür, dass du angeblich keine Ahnung hast, was vor sich geht.«

»Ich mutmaße eben gerne. Man könnte mich natürlich auch als herausragend intelligent bezeichnen.«

Ich verdrehte die Augen. Während ich das tat, fiel mir ein kleines Café auf, das auf der anderen Straßenseite geradewegs auf mich zu warten schien. Schnurstracks wechselte ich die Straßenseite.

Die Tür ging mit einem hellen Glockenklingeln auf. Ich machte ein paar Schritte herein und merkte bereits, wie herrlich warm es hier war. Angenehm seufzte ich. Dann blickte ich mich um. Die meisten Tische waren schon belegt. Ich suchte mir einen Kleinen in der Ecke, ließ mich auf die weiche Bank sinken. Mir war alles recht, Hauptsache meine Finger würden wieder aus der Winterstarre erwachen.

Meine Ohren fühlten sich kalt an. Nicht mal meine langen Haare hatten sie gegen den Wind schützen können. Von meinem kläglichen Rest fing ich besser gar nicht erst an.

Als ich noch so über meinen Zustand haderte, setzte sich der Schemen gegenüber von mir hin. Er war vollkommen geräuschlos, doch sein dunkler Umriss ragte deutlich in dem hellen Laden hervor. Mir fiel auf, dass ich gar nicht auf ihn gewartet hatte, als ich mir nichts dir nichts hier reingegangen war. Zugegeben, ich hatte ihn auch nicht um seine Gesellschaft gebeten. Obwohl er wirklich gut nerven konnte, war ich trotzdem froh, dass er mich begleitete. Schwer zu sagen.

Ich war niemand, der viel Gesellschaft brauchte. Aber Einsamkeit war auch nicht das, was ich gerade wollte.

Leise stieß ich die Luft aus, kam allmählich zur Ruhe. Ich beobachte den beschaulichen Laden und die Menschen, die hier meist zu zweit saßen. Ich dachte an Ann und daran, dass sie den Laden als süß und spießig betitelt hätte. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.

Auf den Tischen war weihnachtliche Deko verteilt. Eindeutig kitschig, beschloss ich. Auch wenn es mit ein paar Tannenzweigen und weißen Weihnachtskugeln dezent gehalten war. Von dem Tresen aus starrte mir ein kleiner, glitzernder Weihnachtsmann entgegen.

Eine ältere Dame, die offensichtlich hier arbeitete, kam auf uns zu.

Ich bemerkte ihren musternden Blick. Erst glaubte ich, es wäre wegen dem Schatten, doch dann wurde mir klar, dass sie ihn gar nicht sehen konnte. Noch dazu lag ihr zweifelnder Blick geradewegs auf mir.

»Was darfs denn sein?«, fragte sie mit einem angedeuteten Lächeln.

Noch immer wirkte sie ziemlich abschätzig.

»Ich ...«

»Überlege dir das nochmal gut«, unterbrach er mich. »Wenn sich in deinem Mantel nicht zufällig ein paar Geldscheine befinden, würde ich das mit dem Bestellen lieber lassen.«

Verwirrt sah ich zu ihm. Ich wollte protestieren, denn gerade wünschte ich mir nichts sehnlicher als einen heißen Kakao.

»Mit was willst du bezahlen? Etwa mit Tellerwaschen?«

Er hatte ja recht. Nichts von meinen Sachen hatte ich dabei. Nur die gestohlenen Klamotten und untendrunter einen Krankenhauskittel.

Das war ziemlich dürftig.

Die Bedienung beäugte mich inzwischen noch kritischer. Ob es daran lag, dass ich mit einer Antwort so lange brauchte, oder dass ich dabei bedeutungsschwer in die Luft starrte, konnte ich nicht sagen.

Ich griff in die Taschen des Mantels. Heraus zog ich ein benutztes Taschentuch. Wie enttäuschend. Mein Glückskontingent war für heute wohl schon aufgebraucht.

Ein schiefes Lächeln zuckte durch mein Gesicht, währenddessen ich die Frau in Schürze entschuldigend ansah. »Ähm, ich ... muss mein Portmonee zuhause vergessen haben. Das ist mir jetzt aber peinlich!« Ich war keine besonders gute Lügnerin, aber ich gab mir zumindest Mühe. »Kann ich denn einfach, äh, einen Moment hier sitzen bleiben und mich aufwärmen?«

Die Kellnerin zog die Augenbrauen hoch: »Einen Moment, ja.«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren machte sie kehrt und lief zum nächsten Tisch, an den sich gerade ein junges Pärchen hinsetzte.

»Das ging ja nochmal gut«, seufzte ich.

»Ich weiß nicht, ob man das als gut betiteln kann«, bezweifelte der Schemen. »Die Leute hier werfen dir ziemlich schräge Blicke zu.«

»Weil ich nichts bestelle?«, empörte ich mich. »Oh, Entschuldigung!

Willkommen in der Konsumgesellschaft. Wer nicht zahlt, wird direkt als minderwertig eingestuft!«

»Vermutlich eher, weil du hier in einem alten Pelzmantel, viel zu großen Schuhen und feinen Herrenhosen sitzt.«

»Oh«, stutzte ich. »Ja, möglicherweise ...«

»Besonders fit siehst du auch nicht aus«, legte er nach. »Liegt vermutlich daran, dass du vor kurzem erst aus dem Koma erwacht bist und dich zuvor umbringen wolltest.«

»Schon gut, schon gut«, knurrte ich.

»Ich mache dir ja keinen Vorwurf. Du musst ja erst mal wieder richtig auf den Damm kommen. Natürlich läuft dein Gehirn noch verheerend langsam.«

Missbilligend zog ich die Augenbrauen zusammen. Hatte er mich damit gerade als dämlich betitelt? Ich hatte allerdings keine Lust auf Auseinandersetzungen. Gekonnt ignorierte ich seine Worte.

»Erzähl mir etwas über dich. Wenn ich schon an dein Leben gekettet bin, muss ich ja wenigstens wissen, mit wem ich es da überhaupt zu tun habe.«

Misstrauisch beäugte ich die schwammige Gestalt: »Weißt du nicht schon längst, wer ich bin? Sitzt du nicht irgendwo da oben in meinem Kopf?«

Er war eine Einbildung. Etwas, das mein Verstand zusammengeschustert hatte. Oder etwa nicht? Immer unsicherer betrachtete ich das eigenartige Geschöpf, das mir gegenübersaß. Vielleicht hatte meine Psyche zu großen Schaden genommen, als ich mich hatte umbringen wollen und auf der Intensivstation lag. Das war leider gar nicht so abwegig. Wieder hatte ich das Bedürfnis, nach seiner Hand zu greifen, um mich zu vergewissern, dass da etwas war. Doch ich unterdrückte den Impuls.

»Ich weiß herzlich wenig über dich. Ich sehe bloß, dass du ein verzweifeltes Mädchen bist, das ihr Leben wegwerfen wollte.«

»Und wer bist du?«, entgegnete ich.

»Ich habe zuerst gefragt.«

Er war hartnäckig. Und clever. Ich wusste nicht, wie gut es war, einem finsteren Schemen von meinem Leben zu erzählen. Aber bislang hatte sich das Wesen nicht als besonders bedrohlich entpuppt.

»Was willst du denn wissen?«

»Nun, fangen wir doch mit den Basics an«, schlug er vor. »Wie heißt du? Was machst du gerne? Hast du Haustiere? Warum hasst du das Leben?«

Ohne es zu wollen musste ich lachen. »Wow. Sind das etwa klassische Dating-Fragen?«

»Vor allem die, warum du alles so sehr hasst.«

»Du Charmeur!«

»Vielleicht bin ich auch eine Charmeurin. Was weiß ich schon?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nichts über mein altes Leben.

Vielleicht war ich ebenfalls ein Mädchen wie du, unglücklich und verzweifelt über die Welt und sich selbst.«

Ich grübelte. »Ausgeschlossen ist wohl nichts. Aber deine Gestalt ist groß und deine Stimme tief. Ich denke, du warst eher ein Mann.«

»Vielleicht fantasierst du mich auch nur so.«

»Alles ist möglich«, bestätigte ich mit einem Schulterzucken.

Wieder betrachtete ich ihn, doch das war so anders. Im Gegensatz zu einem normalen Menschen konnte ich bei ihm weder Mimik erkennen, noch wusste ich, ob er mich gerade ansah oder woanders hinstarrte. Einzig seine Stimme, sein Tonfall, gab Aufschluss darüber, wie er drauf war. Das war wohl der Grund, warum sein Schweigen unbehaglich war. Denn ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, konnte die Gestalt dann noch weniger einschätzen.

»Ich heiße Sara«, erzählte ich, um die Stille zu durchbrechen. »Ich habe früher gern Musik gemacht.«

»Früher? Was ist mit jetzt?«

»Na ja, ich habe lange nicht mehr gespielt.«

»Kannst du auch singen?«

»Natürlich kann ich singen. Jeder kann singen.«

»Ich meine, gut singen. Die meisten Menschen, die musikalisch sind, können auch ganz passabel singen«, erklärte er. »Weil sie ein Gefühl für Töne, Rhythmus, Klang und all das haben.«

»Ja. Wahrscheinlich schon.«

»Du solltest mir etwas vorsingen.«

Ich lachte. »Bloß nicht! Das kannst du knicken.«

Er lachte auch. »Na schön. Aber irgendwann verlierst du eine Wette gegen mich, und dann musst du es tun. Verstanden?«

»Ich verliere keine Wetten«, warnte ich. »Und schon gar nicht gegen dich.«

»Wir könnten zusammen singen«, schlug er vor. »Wir kommen als Duett ganz groß raus.«

Ich schnaubte über seine absurden Worte.

Plötzlich stand die ältere Dame vor mir. Ich erschrak so sehr, dass ich zusammenfuhr.

»Ist alles in Ordnung mit dir?« Ihre Augen lagen auf mir, irgendwie besorgt, gleichzeitig skeptisch. »Soll ich jemanden für dich anrufen?«

Sofort stand ich auf. »Nein, nein«, tat ich ab. »Ich - ich übe nur für ein Theaterstück. Das in einem Café spielt.«

Wow. Ich war überrascht, wie spontan mir diese Notlüge eingefallen war. Noch dazu war ich stolz, dass meine Ausrede einigermaßen plausibel klang.

»Ich weiß, das kommt komisch rüber«, schob ich hinterher. »Die verrückten Klamotten und die Selbstgespräche. Doch für die Theater-AG legt man sich besser ins Zeug!«

Das Gesicht der Kellnerin änderte sich. Sie wirkte beruhigter, wenn auch nicht überzeugt. »Und deinen Geldbeutel hast du tatsächlich vergessen? Oder war das auch nur gespielt?«

Verstört lachte ich. »Alles klar, ich gehe jetzt besser. Danke fürs Aufwärmen.« Mit stolpernden Schritten huschte ich um die Tische, dann verschwand ich aus der Tür heraus. Als ich noch einen Blick nach hinten riskierte, sah ich die Kellnerin kopfschüttelnd weiterlaufen.

»Du kommst ja richtig in Fahrt.« Der Schatten folgte mir abermals.

»Vergiss das mit dem Musik-Duo. Wir machen besser einen auf Bonnie und Clyde.«

Ich schmunzelte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob er mich damit nicht als Kriminelle betitelte.

»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte das dunkle Wesen.

Locker zuckte ich mit den Schultern. Seitdem wir im Café gewesen waren, war meine Stimmung um einiges leichter geworden. Das lag nicht nur an der Wärme, an einer von Menschen und Normalität strotzenden Umgebung, es war auch irgendwie der Verdienst dieses Geschöpfs. Seine Worte lenkten mich ab, brachten mich sogar ein wenig zum Lachen. Vielleicht bildete ich es mir nur ein. Aber ich schätzte, es war besser verrückt als unglücklich zu sein.

»Ob ich will oder nicht, ich muss wohl nach Hause zurück.«

Er nickte. »Das klingt vernünftig.«

»Aber erst heute Nacht.«

In der Zwischenzeit musste ich irgendwo anders unterkommen. Angestrengt überlegte ich. Eigentlich kam dafür gerade nur eine Person in Frage. Ich seufzte. Ich hoffte, er hatte noch nicht genug von mir.

Vielleicht würde er es nicht verstehen und mich wegschicken. Ich rang mit mir, aber ich musste es versuchen. Ich konnte nicht den ganzen Tag in der Kälte herumlungern. Und schließlich wollte ich ihn auch irgendwie sehen. Auch wenn ich gleichzeitig Angst davor hatte.

Ich huschte in einen Bus hinein, der gerade ein Stück vor mir anhielt.

Nur kein Kontrolleur, dachte ich mit mulmigem Gefühl. Das würde mir heute wirklich noch fehlen. Ich sah es aber auch nicht ein, den ganzen Weg durch die kalte Stadt zu laufen. Das würde mit meinen Schuhen sicher noch Stunden dauern. Meine Kraftreserven waren jetzt schon fast aufgebraucht.

Die düstere Gestalt stand neben mir. Wieder war sie mir tonlos gefolgt. Ein flaues Gefühl machte sich in mir breit. Er war wie ein Verfol - ger, ein eigenartiger Fremder, der sich an meine Fersen heftete. Ich wusste nichts über dieses Ding, das angeblich gestorben war und keine Erinnerungen mehr besaß.

Ich wollte etwas sagen, doch ich ließ es, weil so viele Leute in die - sem Bus saßen. Ich wollte nicht wieder schief angeguckt werden, weil ich mich mit der Luft unterhielt.

Der Schatten schwieg ebenfalls. Und so zog mich die Stille in meine eigenen, wirren Gedanken, die voll von Traurigkeit, Verzweiflung und Ärger waren. Ich wusste nicht, wie Jonas auf mich reagieren würde, und das machte mir Angst. Am liebsten wollte ich nirgends hin. Aber man konnte auf dieser Welt nicht nirgends sein. Na ja, man konnte es vielleicht schon. Unter irgendeiner verdreckten, einsamen Brücke, mitten in der Wildnis oder in dunklen Gassen, zwischen Müll und Verwesung. Aber wer wollte das schon? Ich wollte gar nichts von den Optionen, die sich mir boten. Deshalb hatte ich vermutlich auch gehen wollen. Doch das Leben, die Menschen, hatten mich hierher zurückgeholt.

Etwas berührte meine Schulter. Ich erschrak. Als ich zur Seite zuckte, sah ich die dunkle Gestalt.

»Alles in Ordnung bei dir?« Seine Stimme klang weich.

»Ja.« Denn das war die Antwort, die man doch immer gab.

Als sich die Bustüren öffneten, traten wir zurück in die Kälte. Wir lie - fen noch einige Straßen entlang. Vor einem der Häuser hielt ich.

Sie hatten bereits geschmückt. Ich entdeckte einen Adventskranz an der Haustür. Die Fenster waren mit bunten Lichterketten behangen.

Steffi bestand jedes Jahr darauf.

Klingeln? Das kam nicht in Frage. Ich streifte durch den Garten, stahl mich um das Haus herum. Dabei begegneten mir ein paar Rentiere, die in den Rasen hineingesteckt waren. Sie waren braun lackiert, doch die Farbe war in den letzten Jahren schon etwas abgeblättert.

Markus hatte schon letztes Jahr versprochen, sie neu einzustreichen.

Scheinbar hatte er sich dieses Jahr wieder erfolgreich davor drücken können. Ich lächelte bei dem Gedanken.

Weiter hinten klopfte ich an eins der Fenster.

Hoffentlich ist er da, bat alles in mir. Dann rollte ich die Augen. Und hoffentlich ist sie nicht da.

Ich klopfte nochmal, diesmal aufdringlicher.

Vielleicht war er am Zocken. Dann könnte neben ihm auch eine Granate hochgehen und er würde nichts hören.

»Was machen wir hier?«, wollte der Schatten wissen.

»Darauf hoffen, dass wir reingelassen werden.«

»Gibt es dafür nicht Türen?«

»Wenn man gesehen werden will, ja.«

Plötzlich wurde der Vorhang zur Seite geschoben.

Jonas Gesicht befand sich vor meinem, abgesehen davon, dass uns noch eine Glasscheibe voneinander trennte.

Wir starrten einander an, als wäre der jeweils andere ein Geist. Es vergingen quälend lange Sekunden. Ich war so perplex, dass mir die Schlieren an seinen Scheiben erst auffielen, nachdem er das Fenster nun öffnete.

»SARA!«, stieß er ungläubig aus. »Seit wann bist du wach? Geht es dir gut?«

Aus dem Koma erwacht, meinte er wohl. Aber ich wollte nur ungern über all das reden. »Kann ich reinkommen? Es ist furchtbar kalt und ich weiß gerade nicht, wohin.«

Er war verwirrt. Er starrte mich einfach nur an.

»Ist sie da?« Meine Frage brachte ihn zurück in die Realität.

»Du meinst Mandy?« Er verschränkte die Arme. »Nein, ist sie nicht.«

»Wo ist dann das Problem?«

Noch immer war sein Blick so ungläubig. »Das Problem ist, dass ich nichts verstehe. Gestern war ich noch bei dir im Krankenhaus, zusammen mit deinen Eltern. Verdammt, du lagst im Koma! Und jetzt, jetzt stehst du auf einmal hier! In ganz komischen Klamotten, siehst furchtbar aus und klopfst an mein Fenster. Als wäre rein gar nichts passiert. Solltest du zur Kontrolle nicht noch im Krankenhaus sein?

Oder zumindest zuhause?«

Ich wich seinem Blick aus. »Wir können reden. Aber lass mich bitte rein.«

»Zum Fenster?« Er zog die Augenbrauen hoch.

»Ich will nicht, dass deine Eltern mich sehen«, erklärte ich. »Weil sie meinen Eltern Bescheid geben würden, und ...«

Noch immer wirkte er verwirrt, aber er trat einen Schritt zurück.

Gleich nutzte ich die Chance und kletterte durch das Fenster herein.

»Was soll das heißen? Wissen deine Eltern nicht, dass du hier bist?

Wissen sie überhaupt, dass du wieder aufgewacht bist?«

»Bestimmt wissen sie es inzwischen.« Ich richtete mich wieder auf.

»Das Krankenhaus hat ihnen sicher schon Bescheid gegeben.«

Auch der Schatten stand nun in Jonas Zimmer.

Unsicher sah ich zwischen den beiden hin und her. Doch Jonas Blick war ausschließlich auf mich gerichtet.

»Du ... kannst ihn nicht sehen, oder?«

Fragend sah er mich an: »Wen?« Dann huschten seine Augen fragend durchs Zimmer, als hätte er irgendwas verpasst.

»Neben mir«, flüsterte ich.

Sein Blick war zweifelnd. »Alles in Ordnung mit dir?« Er sah mich an, als wäre er nicht sicher, ob ich einfach wirres Zeug redete, oder ob ich einen dummen Scherz machte.

»Lass es lieber«, wisperte der Schatten.

Unmerklich seufzte ich. Na schön. Irgendwie hatte ich gehofft, dass wenigstens jemand, der eine Verbindung zu mir hatte, den Schatten sehen können würde. War es naiv, dass ich noch immer hoffte, er wäre doch irgendwie real?

Ich sah mich im Zimmer um. Alles war noch so, wie ich es kannte.

Das war irgendwie beruhigend.

»Bist du einfach aus dem Krankenhaus verschwunden? Ohne jemanden Bescheid zu geben?« Er schloss das Fenster wieder, damit die Kälte uns nicht herein folgte. Ich nickte nur.

Er fasste sich an den Kopf: »Sara, was ist los mit dir? Bestimmt melden sie dich jetzt als als vermisst!«

»Er hat recht«, kam es vom Schatten. »Du solltest wenigstens anrufen und erklären, dass es dir gut geht.«

»Ich wollte einfach weg«, erwiderte ich. »Aber ich will auf keinen Fall nach Hause. Wenn meine Eltern hören, dass ich hier bin, dann werden sie mich holen.«

Jonas stieß die Luft aus: »Warum wehrst du dich so dagegen, heim zu gehen? Du solltest wirklich mit ihnen reden. Sie sind verrückt vor Sorge um dich.«

Tränen stiegen mir in die Augen: »Du verstehst das nicht.«

»Du hast einen Selbstmordversuch hinter dir. Das verstehe ich«, hielt er mir vor Augen. »Du kannst jetzt nicht vor allem wegrennen. Du brauchst Hilfe.«

»Hast du mir eigentlich nie zugehört?« Ich musste die Tränen zurückkämpfen. »Zuhause ist alles kaputt! Ich bin kaputt! Dieses ganze verfluchte Leben ist kaputt!«

»Sara!«, fing Jonas an.

»Sara ...«, begann auch der Schatten.

»Ihr versteht nichts!«, hastete meine Stimme.

»Okay.« Jonas hob entschuldigend die Hände. »Keine Panik. Ich werde ihnen nichts sagen.«

Tief holte ich Luft, versuchte, mich wieder zu beruhigen.

»Aber du solltest es«, ergänzte die Stimme des Schattens. »Du solltest dich wirklich bei ihnen melden. Sie waren jeden Abend bei dir im Krankenhaus.«

Betreten blickte ich weg. Dann lief ich auf die Couch zu, ließ mich einfach drauffallen. »Hast du was zum Essen?«, fragte ich kleinlaut.

»Ehrlich, ich hab furchtbaren Hunger.«

»Sicher. Ich hole dir was.« Jonas verschwand aus der Tür.

Leise seufzte ich. Wieder sah ich mich in dem gemütlichen Zimmer um. Jonas war einer der wenigen Menschen, zu denen ich noch Vertrauen hatte. Vielleicht lag es daran, dass wir uns schon ewig kannten. Trotzdem lag inzwischen so viel Ärger zwischen uns. Und das alles wegen der ach so tollen Mandy. Ich biss die Zähne zusammen.

Beziehungen waren etwas Furchtbares. Sie zerstörten regelmäßig Freundschaften!

»Sieht nach einem ganz schönen Chaos aus.«

»Mein Leben?«, erwiderte ich. »Oh ja.«

»Du kannst dich nicht ewig verstecken.«

»Das tue ich auch nicht«, protestierte ich. »Ich treffe einfach meine eigenen Entscheidungen.«

»Du kannst nicht einfach tun und lassen was du willst. Du bist sicher nicht mal volljährig.«

Aufgebracht stand ich auf und drehte mich zur dunklen Gestalt um, die am Schrank lehnte.

»Und wer bist du bitte?«, schoss es giftig aus mir. »Mein Vater? Mein Psychologe? Oder einfach ein dunkles Ding, das einen auf Moralapostel machen will?«

Er antwortete nicht. Ich wusste nicht, ob ihn meine Worte ärgerten, ob sie ihn kränkten, ob sie ihm egal waren oder ob er sich nicht sogar lustig über mich machte. Nichts konnte ich aus dieser dunklen Gestalt schließen, solange sie schwieg.

»Ich weiß gar nichts über dich! Und du weißt fast genauso wenig von mir! Also bitte, misch dich nicht ständig ein.« Ich holte nach Luft.

»Das hier ist mein Leben, und du hast kein Recht, darin herumzustochern. Nicht schon genug, dass du mir die ganze Zeit folgst, du meckerst an mir herum und lässt ständig deine klugen Kommentare ab!«

»Äh – habe ich was verpasst?«

Ich schrak zusammen. Diesmal kam die Stimme nicht vom Schatten, sondern von der Tür. Es war Jonas, der mit einem Teller Sandwiches wiedergekommen war.

Eilig lief ich ihm entgegen. »Danke«, huschte es mir über die Lippen.

Ich schnappte den Teller und ließ mich damit wieder auf die Couch sinken. Gierig verschlang ich das Essen. Wie wunderbar. Wie wunderbar doch etwas im Magen war.

»Mit wem hast du dich gestritten?«, wollte Jonas wissen. »Hast du telefoniert?«

»Ich habe nicht gestritten«, wehrte ich mit vollgestopftem Mund ab.

»Ich ... habe nur nachgedacht.«

»Ziemlich laut«, merkte er an. »Und ziemlich aggressiv.«

»Tut mir leid«, beteuerte ich, als ich das Sandwich endgültig verschlungen hatte. »Tut mir wirklich leid, dass ich so ausfallend wurde.

Ehrlich.« Ich hoffte, der Schatten verstand, dass meine Entschuldigung ihm galt. Es war irgendwie gruselig, dass er mir folgte. Doch gleichzeitig gab mir seine Gesellschaft auch Halt. Seitdem ich im Krankenhaus zu mir gekommen war, seitdem war er bei mir. Das hatte uns in der kurzen Zeit ein wenig zusammengeschweißt.

»Schon okay.« Es war Jonas, der antwortete. »Ich warte nur darauf, dass meine Eltern gleich in der Tür stehen und fragen, was hier eigentlich abgeht.«

»Sorry«, schob ich hinterher. Diesmal galt es wirklich Jonas.

Ich mochte seine Eltern. Gern hätte ich Steffi und Markus hallo gesagt. Ich war früher so viel bei Jonas zu Besuch gewesen, dass die beiden auch zu einem kleinen Teil Familie für mich geworden waren.

Seit Mandy hatten wir uns allerdings immer weniger gesehen. In den letzten Monaten sogar fast gar nicht mehr. Ich vermisste nicht nur Jonas, sondern auch Steffi und Markus. Aber ich konnte doch unmöglich bloß die Eltern meines besten Freundes besuchen. Wie komisch wäre das denn? Leise seufzte ich.

»Besser?«, fragte Jonas.

Ich stellte den leeren Teller ab und fläzte mich längs auf die Couch.

Die gute alte Couch, auf der ich schon unzählige Male übernachtet hatte. »Um so vieles!«

»Wie kommst du eigentlich zu deinem schrägen Outfit?« Wieder sah ich seinen zweifelnden Blick auf mir.

»Aus dem Krankenhaus.« Das Wort geklaut verkniff ich mir. Denn auch Jonas war eher die Sorte gewissenhafter Mensch. Noch immer sah er mich schief an, doch er fragte zum Glück nicht weiter nach.

»Möchtest du ... reden?«

Ich sah auf zu ihm. Sein Blick war ebenso unsicher wie meiner. Der Selbstmord. Ich sah ihm an, wie traurig es ihn machte und wie viele Fragen sich in ihm tummelten.

»Bitte«, murmelte ich, »bitte nicht.« Ich fühlte mich nicht bereit, darüber zu reden. Nicht heute und nicht morgen. Vielleicht nie.

Er nickte nur stumm. Ich wusste, dass es ihn enttäuschte.

»Hör mal«, begann er dann. »Du kannst gerne noch hierbleiben.

Aber später kommt Mandy, und ...«

Ich musste nur ihren Namen hören und das Gift schoss durch mich.

»Und was? Dann schmeißt du mich raus?«

»Ich werfe dich nicht heraus«, stellte er klar. »Aber ich weiß, dass es Stress gibt, wenn ihr euch seht. Und du kannst dich ohnehin nicht ewig vor deinen Eltern drücken. Es ist dein Zuhause.«

Ich schnaubte. »Sie will das, oder? Dass ich wieder verschwinde.«

»Darum geht es gar nicht. Mandy hat nichts gegen dich.«

»Sie will dich ständig für sich haben. Wirklich ständig.«

Jonas holte tief Luft, als müsste er sich beherrschen. »Es ist normal, dass man Zeit mit seinem Freund verbringt.«

»Aber sie übertreibt!«, beteuerte ich. »Müssen wir darüber echt schon wieder streiten?«

»Nein«, erwiderte Jonas. »Ich will hier gar nicht streiten. Ich sage nur, du kannst gern noch eine Weile bleiben, aber später solltest du besser nach Hause gehen.«

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Mir ging es schlecht und er schickte mich weg. Ich unterdrückte die Tränen. Auf der anderen Seite nagte auch die Einsicht an mir. Ich hatte ihn hier völlig überfallen.

Er machte sich Sorgen um mich, aber ich konnte nicht ewig bei ihm überwintern. »Schon gut«, grummelte ich. »Ich will eh nicht bleiben, wenn sie hierherkommt.«

»Bist du eifersüchtig?« Diesmal war es die Stimme des Schattens.

Aufgebracht fuhr ich aus meiner entspannten Lage hoch. »Was soll der Quatsch? Es geht mir bloß darum, dass mein beinahe einziger Freund keine Zeit mehr für mich hat! Weil diese Tussi ihn wie einen Schoßhund hinter sich herzieht!«

»Hey!« Jonas klang sauer.

Ich zuckte zusammen. Ich hatte für einen Moment vergessen, dass er mich ebenso hörte. Es war verwirrend, gleichzeitig einen sichtbaren und einen unsichtbaren Gesprächspartner zu haben.

»Ich weiß, dass es dir schlecht geht. Ich verstehe das wirklich. Dass du verwirrt und angeschlagen bist«, gestand er mir zu. »Aber ich kann es nicht leiden, wenn du so schlecht über sie sprichst. Sie ist ein toller Mensch. Aber du hast ihr nicht mal eine Chance gegeben.«

Ernst lag sein Blick auf mir. »Das hättest du wirklich tun können. Wenigstens für mich.«

»Tut mir leid«, sagte ich leise.

»Du solltest dich ausruhen.« Er bemühte sich, seinen Ärger beiseite zu schieben. »Du siehst wirklich mitgenommen aus.«

Ich ließ mich zurück in die Couch fallen.

»Schlaf eine Runde. Ich wecke dich später.«

»Danke«, murmelte ich.

Ich spürte, wie die Erschöpfung an mir zog. Das alles tat mir furchtbar leid. Ich wollte gar nicht so zickig und undankbar zu Jonas sein.

Ich ... ich hatte meine Gefühle nur einfach nicht unter Kontrolle. Ich fasste mir an die Stirn. Ich verlor so verdammt schnell die Nerven.

Das war wirklich nicht gut.

Schlaf, ja, das wäre jetzt genau das Richtige. Das würde mich entspannen und mich vielleicht sogar auf bessere Gedanken bringen.

Ich fühlte mich so erschöpft als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir. Obwohl ich die meiste Zeit meiner Reise sitzend im Bus verbracht hatte, war selbst das anstrengend gewesen. Mein Blick streifte die Bandage an meinem Handgelenk. Kein Wunder. Mein Körper war noch immer geschwächt. Selbst der Weg hierher war zu einem Kraftakt geworden. Ich musste wieder Energie auftanken.

Ich glaubte, noch eine dunkle Gestalt über mir zu erkennen. Doch mir war bereits so schummrig, dass ich einfach eindöste.

Kapitel 3

Einbrecher

Ich wurde davon wach, dass mich jemand am Arm schüttelte.

Erst sah ich nur verschwommen, dann erkannte ich Jonas.

»Hör zu«, erklärte er. »Es ist schon ganz schön spät. Aber du hast so friedlich geschlafen, da wollte ich dir die Ruhe gönnen ...«

Konfus suchte ich nach einer Uhr. Da ich keine fand, blickte ich her - über zum Fenster. Es war bereits dunkel, aber das wurde es im Winter ja schon recht früh.

»Du kannst hierbleiben, wenn du möchtest.« Er lächelte mitleidig.

»Was?«, stutzte ich. »Und was ist mit Mandy?«

»Planänderung. Ich mache mich gleich los zu ihr.«

Verwirrt sah ich ihn an. Er hatte extra umgeplant, um mir einen Unterschlupf zu verschaffen?

»Wenn du willst, sage ich ihr sogar ab. Und bleibe hier bei dir«, bot er an. »Ich ... ich will dich nicht alleine lassen. Nicht jetzt, wo es dir so schlecht geht.«

Verlegen kratzte ich mich am Kopf. »Mir gehts gar nicht mehr so schlecht. Der Schlaf und die Sandwiches haben echt geholfen.«

Er lachte, dann deutete er auf seinen Schreibtisch. »Ich hab dir sogar noch mehr davon gemacht.«

Ich beäugte den Futternachschlag und war regelrecht baff von so viel Fürsorglichkeit. »Du bist der Beste.« Ich lächelte. »Aber du kannst ruhig gehen. Ich gehe später noch nach Hause.« Ich wollte nicht, dass Jonas sein Treffen wegen mir absagte. Ich war schon egoistisch genug gewesen, hier plötzlich aufzutauchen und ihn wieder wegen Mandy anzumeckern.

»Tust du das wirklich? Sprichst du mit deinen Eltern? Nichts bessert sich, wenn man nichts tut.«

»Kannst du mir die Ersatzschlüssel geben?«

»Sicher.« Er wusste, dass meine Eltern öfters nicht zuhause waren.

Da konnte es durchaus passieren, dass ich sonst vor verschlossenen Türen stehen würde.

Er trottete Richtung Kommode und zog den Schlüssel für mein Zuhause hervor. Wie gut, dass ich ihm einen gegeben hatte. Für den Fall, dass ich mich mal selbst aussperrte. Oder dafür, dass ich in mein eigenes Haus einbrechen würde.

Er warf ihn mir zu. Ich fing ihn. Die damalige Zeit im Handball-Verein machte sich ab und zu noch bezahlt. »Danke.«

»Hör mal«, begann er, als er sich bereits die Jacke überzog. »Ich weiß, eigentlich sind wir gerne garstig zueinander. Aber ... ich will nicht, dass du tatsächlich denkst, du wärst mir egal geworden. Wir sind immer noch Freunde, richtig?«

Verblüfft musterte ich ihn. »Natürlich.«

»Ich meine, nur ...« Sein Blick schweifte zur Seite. »Das ist schon ein hartes Stück, Sara. Mit dem Selbstmordversuch. Ich ... hatte keine Ahnung, dass du so verzweifelt bist. Ich wünschte, du ... hättest etwas gesagt. Ich wünschte, ich hätte es gemerkt. Ich schätze ... ich habe nicht zugehört. Und keine Zeit gehabt ...«

»Nein.« Ich unterdrückte die Tränen. »Es ist nicht deine Schuld, Jonas. Im Gegenteil. Du bist einer der wenigen Leute, die mir noch wichtig sind.« Und gerade deswegen hatte ich ständig Angst, ihn zu verlieren. Vielleicht konnte ich Mandy deshalb nicht leiden. Weil sie mir einen der letzten Menschen streitig machen konnte, zu denen ich noch eine Verbindung hatte.

»Du kannst nicht gehen, einfach so«, flüsterte er. »Bitte sag mir, dass du bereust, was du getan hast.«

»Ja.« Denn das war es, was man in so einer Situation wohl sagen sollte. Hätte ich ihm die Wahrheit gesagt, wäre er vielleicht nicht gegangen. Doch ich wollte, dass Jonas ging. Er hatte es verdient, glücklich zu sein. Ich war ein egoistischer Idiot, dass ich ihn für mich allein einforderte. Das war nicht richtig. Das war nicht das, was Freunde füreinander taten. Warum hatte ich erst fast sterben müssen, um das zu verstehen? In Wahrheit wusste ich das schon viel länger. Ich hatte mir nur nie zuhören wollen.

»Viel Spaß.« Ein leichtes Lächeln lag auf meinen Wangen. »Grüß Mandy.«

Er wartete wohl auf einen Schuss Sarkasmus, oder wenigstens eine Grimasse, doch ich unterließ es. Ich meinte es ernst.

»Sicher, dass ich nicht bleiben soll?«, fragte er. »Wir könnten Playstation zocken und Chips futtern.«

Ich lächelte bei dem Gedanken, doch schüttelte den Kopf. Gerne hätte ich die alten Zeiten aufgelebt. Wenigstens für einen Abend. Doch Jonas hatte Mandy. Und ich hatte einen Plan für heute Nacht.

»Okay. Pass auf dich auf.«

Er schloss die Tür. Dann war ich alleine.

Bis mir auffiel, dass ich mich nicht mal vergewissert hatte, ob dieser Schatten eigentlich noch existierte. Wieder rappelte ich mich von der Couch auf, sah mich im Zimmer um. Doch nichts. Keine dunkle Gestalt.

»Bist du da?« Zögerlich lief ich ein paar Schritte.

Ich konnte weder etwas sehen, noch hören.

»Schatten?« Ich kam mir dumm vor, ihn so zu rufen. Doch wie sollte ich diese Gestalt sonst nennen?

Unschlüssig lief ich durch das Zimmer, dann öffnete ich die Tür, die zum Flur hinausführte. Aber auch hier konnte ich nichts entdecken.

»Komm schon!«, stockte ich. »Keine Spielchen.«

Ich hörte Geräusche, ich glaubte aus der Küche, doch es waren die Stimmen von Jonas Eltern.

Ich beugte mich ein Stück nach vorn und spitzte meine Ohren. Nicht, weil ich sie irgendwie gruselig belauschen wollte. Ich wollte einfach ihre Stimmen hören. Okay, das klang auch komisch. Aber es war immer schön gewesen, sie zu sehen, mit ihnen zu reden. Dabei wunderte ich mich, dass Markus jetzt überhaupt zuhause war. Er hatte oft Nachtschicht bei einem Sicherheitsdienst.

Langsam trat ich zurück ins Zimmer, schloss leise die Tür hinter mir.

So stand ich also da. Leer, allein, irgendwie verwirrt. Wusste nicht, was ich nun tun sollte.

Hier war niemand. Ich zweifelte plötzlich. Ob es den Schatten wirklich gegeben hatte. Ich griff mir an den Kopf. Ich hatte mit ihm gesprochen, hatte ihn gesehen, ich hatte ihn sogar berührt.

Aber ... ich war in keiner guter Verfassung gewesen. Ich war nicht richtig klar gewesen. Stand noch unter den Nachwirkungen des Komas, des Selbstmordversuchs, vermutlich auch von Medikamenten.

Ich hatte dieses Wesen halluziniert, oder? Wieder strich ich mir durch die Haare. »Verdammt.«

War ich wirklich so daneben gewesen? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Jetzt war ich ... wieder alleine. War es denn nicht komisch, wehmütig zu sein, dass eine dunkle Gestalt einen nicht mehr verfolgte? »Was ist nur falsch mit mir?«, seufzte ich.

Erneut fläzte ich mich auf die Couch, schnappte mir die Fernbedienung, schaltete den TV an. Es war eindeutig Zeit für eine ordentliche Portion Ablenkung und Normalität. Missmutig zappte ich durch die Kanäle, in denen überall nur derselbe hirnverbrannte Bockmist zu laufen schien.

Wieder dachte ich an das eigenartige Wesen, das so plötzlich verschwunden war. Aber was beschwerte ich mich überhaupt? Ich sollte erleichtert sein, dass ich keine großen Schäden davongetragen hatte.

Dass mein Kopf noch nicht Matsch war und nicht weiterhin irgendwelche Silhouetten und Selbstgespräche fantasierte.

Verdammt, ja, ich sollte dankbar sein, dass lediglich eine gute Portion Schlaf nötig gewesen war, damit ich nun keine Psychose mehr an der Backe hatte und sprechende Gestalten fantasierte.

Okay, einen Schaden hatte ich wohl dennoch. Schließlich war es auch nicht normal, sich umbringen zu wollen. Aber zumindest waren es keine Wahnvorstellungen mehr. Ich seufzte. Ganz fantastisch. Die Sonne schien mir vor Freude geradezu aus dem Arsch.

Ich wartete bis weit nach Mitternacht. Beschäftigte mich mit den verschiedensten dämlichen Fernsehprogrammen und verschlang dabei die übrigen Schnittchen, die Jonas für mich gemacht hatte.

So ein netter Kerl, dachte ich schuldbewusst. Ich war viel zu oft ungerecht zu ihm. Er bekam meine Launen ab, meine Verzweiflung, meinen Frust auf die Welt und mich selbst. Es war aber auch schwer, fair und freundlich zu sein, wenn es einem miserabel ging. Die Nerven lagen einfach so blank, dass das Schlechte mit einem durchging. Dass man nicht mehr klar urteilen konnte, nicht mehr man selbst war.

Ich wusste schon länger nicht mehr, wer ich eigentlich war. Plötzlich fühlte ich wieder die Schwere in mir. Das unbeschwerte Mädchen, das mit Jonas ganze Nächte mit Mariokart und Smash Brothers durchgezockt hatte und nebenbei Wer isst die meisten Chili-Chips-Wettbewerbe austrug, gab es schon lange nicht mehr. Und mit jedem Tag, den ich mich davon entfernte, rückte all das noch mehr in Vergessenheit. Es wurde immer schwerer, sich an die Zeiten zu erinnern, in denen ich wirklich glücklich gewesen war. Sie waren blass und verschwommen, als wären sie nicht mehr als die Vorstellung von etwas Gutem. Ich spürte nicht mehr richtig, wer ich war und was mich ausmachte. Denn alles war kompliziert und undeutlich geworden.

Fast alles, korrigierte ich mich. Es gab ja doch noch ein paar Dinge, die ich wirklich mochte. Tortellini mit Spinat zum Beispiel. Und dämliche Katzenvideos im Internet. Ein paar Menschen. Oder der Musikunterricht. Ich mochte es echt, gemeinsam zu musizieren, selbst wenn es nur behelfsmäßig in der Schulklasse war. Es fühlte sich jedes Mal wie in einem kleinen Orchester an.

Ich spürte den Anflug von Tränen in meinen Augen. Doch ich hielt sie zurück, sperrte sie in die Tiefen meiner Selbst ein. Ich wollte das nicht mehr. Ständig traurig sein. Das brachte ja doch nichts.

Es war Zeit. Zeit, nach Hause zu gehen.

Ich griff nach dem Ersatzschlüssel und schob ihn in die Manteltasche. Dann floh ich zu Jonas Fenster hinaus.

Von außen konnte ich das Fenster nicht richtig schließen. Sein Zimmer würde bis zum Morgen gnadenlos ausgekühlt sein. Ich hoffte nur, er würde mir das nicht allzu übelnehmen.

Als ich mich wieder umdrehte, huschte etwas vor mein Sichtfeld. Ich erschrak so sehr, dass ein Schrei meine Kehle hochfuhr. Gerade noch so hielt ich ihn zurück, er verebbte kläglich in mir.

»Verflucht!« Ich wusste nicht, ob ich schockiert oder erleichtert war.

Der finstere Schemen. Da stand er, direkt vor mir. Da es bereits so dunkel war, konnte ich ihn nur schlecht erkennen. Die Straßenlaternen spendeten spärliches Licht, wodurch sich seine düstere Gestalt etwas vom Rest der Dunkelheit abhob.

»Hast du mich vermisst?«

»Ich war überzeugt, ich hätte deine Existenz bloß fantasiert«, gab ich zurück.

»Da muss ich dich enttäuschen.«

»Wo warst du?«

»Ich habe mich hier umgeschaut, währenddessen du deinen Schönheitsschlaf nachgeholt hast.«

Ich stutzte. »Ich dachte du wärst an mein Leben gebunden oder so.

Da kannst du einfach überall herumspazieren?«

»Dein Sklave bin ich nicht«, stellte er klar. »Du bist vielleicht die Ein - zige, die mich wahrnimmt. Aber ich kann mich frei fortbewegen.«

»Also kein unsichtbares Band, dass dich an meine Ferse fesselt?«

Nachdem er mir vom Krankenhaus aus bis zu Jonas gefolgt war, hat - te ich wohl irgendwie damit gerechnet.

»Nein, da muss ich dich enttäuschen.«

»Also ... bist du freiwillig bei mir?«

»Ist das so schwer vorzustellen?«

»Ja, ehrlich gesagt schon.«

»Es ist ganz schön eintönig, wenn man niemanden zum Reden hat.

Wir Menschen sind gesellige Wesen. Und ich war die längste Zeit nun mal auch ein Mensch gewesen. So etwas wirft man nicht so leicht ab.«

Ich nickte verständnisvoll.

»Alles gut mit dir und deinem Kumpel?«

»Ja. Lass uns gehen.«

»Wohin?« Er folgte mir aus dem Garten heraus.

Wir liefen die Straße entlang.

»Einbrechen«, erklärte ich. »In mein Zuhause.«

»Wow! Mit dir ist immer was los.«