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Februar. Ein Orkantief liegt über Sylt. Nicht die beste Zeit, um auf die Insel zu reisen, doch Liv Lammers ruft die Pflicht. Auf dem Morsum-Kliff wurde eine Leiche entdeckt, kurz nach dem Biikebrennen, und der Tatort sieht aus, als habe ein blutiges Ritual stattgefunden. Das Opfer: Joon Schwensen, ein Hobby-Archäologe, der angeblich einem Wikingerschatz auf der Spur war. Hat der Raubgräber seine Passion für die Wikinger zu weit getrieben? Oder ist die grausige Inszenierung nur ein Ablenkungsmanöver? Liv Lammers und ihre Kollegen von der Flensburger Mordkommission ermitteln in alle Richtungen.
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Februar. Ein Orkantief liegt über Sylt. Nicht die beste Zeit, um auf die Insel zu reisen, doch Liv Lammers ruft die Pflicht. Auf dem Morsum-Kliff wurde eine Leiche entdeckt, kurz nach dem Biikebrennen, und der Tatort sieht aus, als habe ein blutiges Ritual stattgefunden. Das Opfer: Joon Schwensen, ein Hobby-Archäologe, der angeblich einem Wikingerschatz auf der Spur war. Hat der Raubgräber seine Passion für die Wikinger zu weit getrieben? Oder ist die grausige Inszenierung nur ein Ablenkungsmanöver? Liv Lammers und ihre Kollegen von der Flensburger Mordkommission ermitteln in alle Richtungen.
Sabine Weiß, Jahrgang 1968, arbeitet nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium als Journalistin. 2007 veröffentlichte sie ihren ersten Historischen Roman, der zu einem großen Erfolg wurde und dem viele weitere folgten. Im Sommer 2017 erscheint ihr erster Kriminalroman, »Schwarze Brandung«. Unabhängig davon, ob sie gerade einen Krimi oder einen Historischen Roman schreibt: Sabine Weiß liebt es, im Camper auf den Spuren ihrer Figuren zu reisen und direkt an den Schauplätzen zu recherchieren. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nordheide bei Hamburg.
Sabine Weiß
FINSTERESKLIFF
Sylt-Krimi
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Stefanie Kruschandl, Hamburg
Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde
Unter Verwendung von Motiven von © shutterstock: Nejron Photo | Coling21 7 | © Ruediger Jahnke
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-7210-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Sie stolpert durch die Dunkelheit. Strammer Westwind fährt ihr in den Rücken. Durch die rauchgeschwängerte Bö meint sie das Blut riechen zu können. Unsinn, natürlich. Die aufgeweichte Heide schmatzt unter ihren Gummistiefeln, Matsch macht ihre Beine schwer, aber sie darf sich nicht aufhalten lassen, schon gar nicht vom trüben Winterwetter.
Endlich hat sie die Kuppe erreicht. Noch einmal dreht sie sich um. In der Ferne züngeln die Flammen des Biikefeuers am Nachthimmel. Funken steigen auf, erlösten Seelen gleich. Ihr fröstelt. Es ist, als würde der Schweiß auf ihrer Haut gefrieren. Sie denkt an den Wunsch, den sie im Stillen ausgesprochen hat, als sie bei den Worten Tjen di Biiki ön ein wenig bange ihre Wachsfackel auf den Scheiterhaufen geworfen hat. Die Fackel ist zum Glück nicht erloschen, sondern hat das Reisig entflammt. Der Gedanke, dass ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen könnte, treibt ihr die Tränen in die Augen. Alles würde sie dafür tun!
Jetzt werden ihre Knie weich. Ein wenig fürchtet sie sich, schließlich weiß sie, welche Kräfte an diesem Ort wirken, welche Geister sich in den Schatten verbergen und nur darauf warten, befreit zu werden. Nervös befeuchtet sie den aufgeplatzten Mundwinkel, schmeckt Meersalz und Raucharoma auf der Zungenspitze. Ihr ist flau im Magen. Denk an später, ermahnt sie sich, an den Grünkohl, der längst auf dem Herd köchelt, an brutzelnde Bratkartoffeln und knuspriges Kassler. Denk an deine Freunde, die du im Gasthof treffen wirst. Vor allem aber denkt sie an ihn. Er wird verstehen, was sie getan hat, tun musste. In einem jähen Anfall von Sehnsucht schreibt sie ihm eine Message mit vielen Herzchen, dann schaltet sie das Handy aus; auf keinen Fall will sie gestört werden.
Entschlossen geht sie weiter. Nach ein paar Minuten hat sie die Grabhügel erreicht. Respektvoll bleibt sie einen Moment lang stehen, ehe sie in die Senke tritt. Windstill ist es auf einmal. Die Luft riecht erdig und ist voller uralter Kräfte, das hat sie gleich beim ersten Mal gespürt. Wenn nicht hier, wo dann? Dies ist der Ort, jetzt ist die Zeit, das ist ihr bewusst.
Sie setzt den Eimer ab, dehnt die tauben Finger. Der Bügel hat sich in ihre Handfläche eingedrückt. Der Schmerz tut gut, er schärft ihre Sinne. Sie lässt sich auf die Knie fallen und breitet bedächtig alles aus, was sie mitgebracht hat. Etwas raschelt hinter ihr. Angst durchfährt sie wie ein Stromstoß. Sie sucht die Schattierungen von Grau ab, bis ihre Augen brennen. Auf einmal fühlt sie sich zwischen den Grabstätten der Häuptlinge und Krieger eingekesselt. Sie ist ein Eindringling, ein Bittsteller, könnte im Handumdrehen vernichtet werden. Das Blut rauscht in ihren Ohren. Sie hat das Atmen ganz vergessen.
Nur die Ruhe, du bist allein! Stockend stößt sie weiße Wolken aus. Das Kribbeln im Nacken hält an, es ist wie Kriechstrom auf ihrer Haut. Erneut knackst es hinter ihrem Rücken. Ist da doch jemand? Ihr Kopf zuckt zur Seite, ein kurzer Blick. Nichts. Trotzdem wird sie jetzt von blanker Angst beherrscht. Als sie einen Augenblick später die Hand auf ihrer Schulter spürt, schwer und unausweichlich, weiß sie, dass ihr Instinkt sie nicht getrogen hat. Klauen graben sich in ihre Haut, und beim nächsten Atemzug ist da schon das Blut, überall.
»Nessy!«
Der Strahl seiner Taschenlampe flackert über einen Teppich aus taufeuchter Heide. Die Kälte ist ein Schock. An der Biike vorhin ist es ihm vorgekommen, als würde er halbseitig gegrillt werden. Und im Gasthof war es heiß wie in einer Dampfsauna – nur mit Grünkohlgeruch statt Eukalyptusaroma. Dass er seine Hitzewallungen mit reichlich eisgekühltem Aquavit gelindert hat, hat die Sache nicht gerade besser gemacht. Er stößt auf. Grünkohl und Pinkel liegen ihm schwer im Magen. Die kurze Autofahrt ging gerade noch, aber eine Nachtwanderung ist jetzt wirklich nicht das Richtige. Doch Vanessa war so aufgewühlt, so verbohrt. Und als dann noch die anderen … Wenn er nur daran dachte, ging er schon an die Decke. Sie waren doch Brüder, Freunde, nichts sollte zwischen ihnen stehen – schon gar nicht so etwas! Dass Vanessa weder zu Hause aufgetaucht war noch seine Anrufe annahm, hatte seine Wut gedämpft. Vanessa brauchte ihn, da musste er sich zusammenreißen.
»Wo steckst du, Häschen? Ich habe es nicht so gemeint!«, ruft er, muss dann jedoch verschnaufen. Seine Blase drückt. Er lässt die Taschenlampe des Smartphones in der Jackentasche weiterleuchten, legt den Kopf in den Nacken, die Augen auf die funkelnden Sterne gerichtet, und begießt mit seinem Urin die Krähenbeeren. Als er abgeschüttelt hat, kontrolliert er noch einmal sein Handydisplay. Vanessas letzte Nachricht ist eineinhalb Stunden alt, eben erst hat er den herzflankierten Gruß gesehen. Es passt gar nicht zu ihr, einfach zu verschwinden. Sie ist ein ängstlicher, hilfsbedürftiger Typ. Ein Häschen eben, verspielt und schreckhaft.
Immer weiter sucht er die Gegend ab. Der Wind weht die Stimmen der Biikebesucher davon und ertränkt sie im Grollen des Meeres. Das Naturschutzgebiet ist weitgehend unberührt. Wenige Orte gibt es auf Sylt, die derart verlassen und finster sind. Wenn selbst er das Gefühl hat, dass in jeder Kuhle jemand lauert, hinter jedem Knacksen ein Verfolger steckt, würde Vanessa in dieser Art von Umgebung garantiert in Panik geraten. Er blinzelt in die Finsternis, lauscht auf die Geräusche der Nacht. Um ihn herum sind nur Heidebuckel und Hundsrosenbüsche. Es ist aussichtslos – was sollte Vanessa hier wollen? Moment mal …
Die plötzliche Eingebung bringt ihn dazu, den Holzsteg, der die Heide vor immer neuen Trampelpfaden bewahren soll, zu verlassen und querfeldein auf die Grabhügel zuzulaufen. Vanessa würde doch nicht ernsthaft … Andererseits ist sie seit ein paar Tagen wie besessen. In einer derartigen Verfassung ist ihr alles zuzutrauen.
Er stolpert in die Senke. Unter seinen Füßen splittert etwas. Was zur Hölle … Er will den Strahl der Taschenlampe auf den Boden richten, weicht zugleich zurück. Dabei prallt er auf ein Hindernis. Er stolpert und fällt hin. Das Handy ist weg. Stockfinster ist es auf einmal. Nur das Keuchen seines Atems ist zu hören. Und dann dieser seltsame Geruch. Sein Herz hämmert gegen die Rippen, als er seine Umgebung abtastet. Da ist das Glimmen des umgedrehten Displays! Weil etwas Feuchtes seine Handflächen entlangrinnt, hebt er mit Zeigefinger und Daumen das Gehäuse hoch. Dunkelrote Schlieren beschmutzen das Glas, bedecken seine Haut. Was ist denn hier los? Und wo ist …
»Ne…« Seine Stimme erstirbt.
Vor ihm scheint ein Licht auf. Ein Umriss zeichnet sich auf dem Grabhügel ab. »Bist du es? Was willst du hier? Was …«
Das Licht bewegt sich, etwas reflektiert in seinem Schein – eine Klinge. Er will sich hochrappeln, rutscht aus, fällt erneut hin. Tröpfchen spritzen ihm beim Aufprall ins Gesicht. Ein seltsamer Geschmack auf seiner Zunge, süß und metallisch zugleich. Sein Magen zieht sich ruckartig zusammen, er kämpft gegen die Übelkeit an. Will sich jemand etwa einen schlechten Scherz mit ihm erlauben?! So leicht lässt er sich nicht ins Bockshorn jagen! Doch seine Gegenwehr wird im Keim erstickt. Ein brutaler Hieb in den Rücken, stechender Schmerz an seiner Kehle. Plötzlich das Gefühl, ersticken zu müssen. Heiß rinnt etwas seinen Hals herunter. Dann nichts mehr.
»Sach mal, der hat ja wohl einen an der Marmel!«, schimpfte Elise ganz undamenhaft und warf empört die Hände in die Höhe.
Liv Lammers, Kommissarin bei der Flensburger Mordkommission, war neben ihrer Großmutter aufgesprungen. Jetzt grinste Liv Elise an.
»Ohehaueha, mit dir ist ja heute nicht gut Kirschen essen«, sagte sie.
»War aber auch geklammert. Böses Foul«, urteilte Livs Tochter Sanna, die auf Elises anderer Seite saß und selbst Handball spielte. Die gemeinsamen Besuche bei den Handball-Heimspielen der SG Flensburg-Handewitt waren eine liebgewonnene Tradition ihrer Familie. Die drei Frauen wohnten nicht nur zusammen, sie waren auch sonst auf einer Wellenlänge.
»Ich werd ja wohl sagen dürfen, wenn einer ’nen döösichen Kopp hat. Da wäre ich ja ein besserer Schiri! Acht zu acht, das wäre nicht nötig gewesen. Und nun singt lieber, statt zu klönen, unsere Jungs können Ansporn gebrauchen!«, forderte die alte Dame sie auf.
Die Frauen stimmten in den Gesang und das rhythmische Klatschen ein, das in der Halle aufbrandete. In diesem Augenblick trug die »Hölle Nord« ihren Namen zurecht. Sanna bequemte sich, ihr Handy wegzustecken und ebenfalls aufzustehen. Früher hatte sie darauf gebrannt, bei den Spielen der SG Flensburg-Handewitt mitzufiebern und mit dem Walking-Act Sigi, einer überdrehten Möwe, herumzualbern. Aber im Augenblick fühlte sie sich mit ihren fünfzehn Jahren wohl schon zu erwachsen dafür. Und das war sie ja auch. Sanna war wie Liv hochgewachsen und schlank. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die meist Jeans mit schlichten Hemden und Chelsea-Boots kombinierte, liebte Sanna figurbetonte Kleidung. Allerdings trug sie ihre blonden Haare seit Neuestem raspelkurz. Mit dem unvermeidlichen Stich in der Herzgegend dachte Liv daran, dass sie in diesem Alter schon schrecklich verliebt gewesen war. Kurz danach war sie schwanger geworden und dann alleinerziehende Mutter. Glücklicherweise lenkten die aufpeitschenden »Flensburg Hande-hande-witt«-Rufe sie von dieser Erinnerung ab.
Der Trainer hatte die grüne Karte gezückt und hielt eine taktische Besprechung ab. Anpfiff. Alle sprangen auf. Plötzlich waren sie Teil eines wogenden Meers aus Flaggen und Spruchbändern, immer lauter brandete der Fan-Gesang auf. Ein Tor, zwei! Anfeuernde Rufe, als die SG kurzzeitig drohte, in Rückstand zu geraten. Doch dann rissen die Flensburger Handballer das Spiel herum. Zur Pause lagen die Gäste aus Hannover-Burgdorf zurück.
»Nervennahrung?«, fragte Liv nach dem Halbzeitpfiff, obgleich sie die Antwort schon kannte. Ihre Besuche in der Flens-Arena folgten immer dem gleichen Ablauf.
»Unbedingt«, sagte ihre Großmutter und ließ sich auf ihren Sitz zurücksinken; müde sah sie aus. Zu Livs Verwunderung kramte die Siebzigjährige jetzt jedoch ihr Handy aus der Handtasche und begann, auf dem Display herumzutippen. »Geht schon mal vor«, sagte Elise abgelenkt.
Sanna und Liv schoben sich durch die Reihen. »Was ist denn bei Oma so eilig?«, fragte Liv ihre Tochter.
»Das muss sie dir schon selbst verraten«, meinte Sanna geheimnisvoll.
»Habe ich was verpasst?«
Ihre Tochter sah sie an und schwieg.
»Muss ich mir Sorgen machen?«
Sanna schüttelte den Kopf.
Jetzt war Liv erst recht neugierig und ein wenig verwundert. Wie konnte ihr etwas entgangen sein? In den letzten Monaten hatte sie doch ungewöhnlich viel Zeit zu Hause verbracht. Als Kommissarin musste sie häufig Überstunden machen. Aber gerade gab es keinen neuen Fall in der Flensburger Mordkommission, der so etwas erforderte. Ausnahmsweise war ihr Job mal in ruhigen Bahnen verlaufen. Inzwischen hatte Liv sogar schon einen Altfall hervorgeholt. Seit der Aufklärung eines Raubmordes nach vierunddreißig Jahren hoffte das K1, die Abteilung für Tötungsdelikte, mit Hilfe des Landeskriminalamts auch andere Cold Cases neu aufrollen und endlich abschließen zu können.
Liv versuchte, Sanna mehr über das Geheimnis ihrer Großmutter zu entlocken, doch als sie sich in die Schlange des Pizza-Stands einreihen wollte, bog ihre Tochter ab und steuerte auf eine Gruppe zu.
»He, du kannst mich hier doch nicht allein lassen!«, rief Liv ihrer Tochter nach, aber die warf ihr nur eine Kusshand zu.
Gleich darauf wurde Sanna überschwänglich von einer jungen Frau begrüßt. Liv erkannte Chiara erst auf den zweiten Blick. Die Freundin ihrer Tochter sah plötzlich wesentlich älter aus, was nicht zuletzt an dem dick aufgetragenen Make-up lag. Wieso all diese Mühe für ein Handballspiel? Und wer waren die Jungs, die neben Chiara standen?
»Ja, so sind sie. Immerhin habe ich jetzt nette Gesellschaft«, sagte der Mann, der vor Liv anstand, und blinzelte ihr zu. »Zähes Spiel, nicht wahr? Wenn die Zuschauer die Mannschaft nicht so anpeitschen würden …« Er war wohl zehn Jahre älter als sie, etwa Ende dreißig, und sah sympathisch aus. Aber Livs Ermittlungen in Fällen von häuslicher Gewalt oder Mord hatten sie nicht gerade zutraulicher gemacht.
»Der Spielplan der SG ist eng, da sind die Beine schwer«, versuchte sie sich höflich im Smalltalk.
»Stimmt. Die Franzosen haben uns in der Champions League ganz schön zu schaffen gemacht. Da muss man in der Bundesliga letzte Kräfte mobilisieren. Sind wohl öfters hier? Ich verpasse kein Spiel. Einmal Flensburg, immer Flensburg …«
Als Liv endlich an der Reihe war, kam es ihr vor, als habe sie noch nie so ausufernd über Handball gefachsimpelt. Freundlich, aber bestimmt, lehnte sie das Angebot des Mannes ab, ihr beim Tragen behilflich zu sein. Stattdessen steckte sie die Schokoriegel in die Tasche, platzierte die Pizza auf den Kaffeebechern und klemmte das blaue Trinkeis dazwischen. Sie rief nach ihrer Tochter. Chiara knutschte inzwischen ungeniert mit einem ihrer Begleiter herum, und Sanna war in ein Gespräch mit einem jugendlichen Stoppelbartträger verwickelt.
»Die Jungs sind aber nicht in eurer Klasse, oder? Woher kennt ihr sie?«, fragte Liv, als Sanna ihr endlich zu Hilfe kam. Ihre Tochter wich der Frage aus, indem sie ihr ein Pizzateil abnahm und gleich hineinbiss. Liv ärgerte sich. Hatte denn in ihrer Familie auf einmal jeder ein Geheimnis?
Es läutete zum Beginn der zweiten Halbzeit. Der Geräuschpegel und das Gedränge nahmen noch zu. Unwillig registrierte Liv, wie ihr Diensthandy vibrierte. Es war Bentes Nummer. Dem Kollegen von der Mordkommission war sein Feierabend normalerweise heilig, also musste es etwas Dringendes sein. Liv balancierte den Verpflegungsstapel zu ihrer Tochter und ging in einen ruhigeren Winkel der Sportarena.
»Moin, Bente. Was gibt’s?«, meldete sie sich.
»Ich störe dich nur ungern, aber …«
Liv verstand Bente kaum, was nicht nur an dem Klatschen und den Fangesängen lag. Bente stammte aus Dänemark, nuschelte gern und verschluckte Silben. Trotzdem mochte Liv seinen Akzent mit den kurzen, melodischen Sprachbögen und den glatt geschliffenen Wortenden. Sie wandte sich dem Ausgang zu. »Was hast du gerade gesagt?«
»Wir haben einen Mord. Die Leiche wird noch heute von Sylt nach Kiel gebracht.«
Sofort blendete Liv das Drumherum aus. »Was ist passiert?«
»Ist eine merkwürdige Sache. Keine Zeit für lange Erklärungen. Ich will nur wissen, ob du morgen früh bei Gericht deine Aussage fortsetzen musst oder an der Obduktion teilnehmen kannst.«
»Ich bin erst nachmittags bei Gericht und schaffe es ohne Probleme vorher ins Institut«, sagte Liv.
»Das ist gut. Ich brauche jemanden, der mit Doktor Gerlich klarkommt.«
Liv konnte ihre Neugier kaum zügeln. »Was liegt an? Wer ist mit dir vor Ort?«
Nicht, dass sie sich darum riss, erneut auf ihrer Geburtsinsel zu ermitteln, zu der sie ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Aber neugierig war sie schon. Die Leiterin der Mordkommission hatte Liv und ihren Teampartner bereits zweimal nach Sylt geschickt, damit sie dort bei der Lösung eines Falls mithalfen. Ein Lächeln huschte über Livs Gesicht. Seit Hennes’ Urlaubsbeginn vor einer Woche kursierten die wildesten Gerüchte darüber, wo ihr Teampartner die Ferien verbrachte. Man munkelte von einem Survivaltrip im Dschungel. Andere Gerüchte besagten, dass er den Urlaub auf dem Balkon verbrachte, wo er den ganzen Tag Sudokus löste. Kurz: Niemand wusste genau, was Hennes mit seiner freien Zeit anstellte. Bei einem Mann wie ihm war alles möglich. Liv musste zugeben, dass sie den muffeligen Querulanten ein wenig vermisste.
»Hasselbrecht hat Wanda mitgeschickt.« Bente klang nicht gerade begeistert. Sein Partner Aziz war krankgeschrieben. Daher musste er jetzt mit jemand anderem zusammenarbeiten. Wanda war eine Ermittlerin, die hart daran arbeitete, möglichst perfekt zu sein, was sie auch alle spüren ließ. Allerdings macht ihr Privatleben Wanda oft einen Strich durch die Rechnung.
Es raschelte am anderen Ende der Telefonleitung. Liv meinte beinahe, Bentes Lakritzbonbon riechen zu können. »Ich muss Schluss machen. Vielleicht melde ich mich später nochmal.« Weg war er.
Tief in Gedanken versunken ging sie an den Security-Leuten vorbei und aus der Flens-Arena hinaus. Der Nachthimmel über dem Sandberg war wolkenschwer und vom Licht des Campus erhellt. Ausnahmsweise regnete es nicht, das hatte Flensburg nach dem Hochwasser, das die halbe Stadt lahmgelegt hatte, auch verdient.
Sie könnte ihrer Chefin anbieten, die Kollegen auf Sylt zu unterstützen. Andererseits: Wenn Hasselbrecht sie brauchte, würde sie sowieso anrufen. Vielleicht war es besser abzuwarten, statt die Initiative zu ergreifen? Ihre Chefin hatte Liv deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich in Zukunft genau an Anweisungen und Abläufe halten solle.
Liv versuchte, ihre professionelle Neugier zurückzudrängen und wieder in den Feierabendmodus umzuschalten. Als sie zurück in die Halle kam, bejubelten Elise und Sanna gerade eine grandiose Parade des Flensburger Schlussmanns. Liv stimmte in das Klatschen ein, war aber nicht mehr bei der Sache. Was war auf Sylt vorgefallen?
»MAM!«
»Was schreist du denn so?«
»Du reagierst ja nicht!«
Liv zog ihren Kopfhörer ganz ab und wandte sich um. Obwohl die Flensburger das Handballspiel gewonnen hatten, war sie nach dem Schlusspfiff von Unruhe erfüllt gewesen. Nach einer Stunde am Schlagzeug – im Sinne der friedlichen Nachbarschaft: elektronisch und mit Kopfhörern bespielbar – war sie nun endlich bettschwer. Ihre Tochter stand an der Kellertür, in der einen Hand einen Fantasy-Wälzer, in der anderen das Telefon. »Es ist halb elf, solltest du nicht längst im Bett sein?«, fragte Liv und wischte mit einem Frotteetuch Schweiß von Stirn und Nacken.
Sanna verdrehte die Augen. »Wie soll ich schlafen, wenn das Telefon wie verrückt klingelt?!«
Liv nahm ihr den Hörer ab und zog Sanna an sich, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Ihre Tochter zierte sich ein wenig, blieb dann aber noch einige Sekunden an Liv gekuschelt stehen. Schließlich löste sie sich von ihrer Mutter, schlug das Buch wieder auf und tapste lesend die steile Kellertreppe des Kapitänshauses hoch.
»Meine Güte, das dauert! Man könnte meinen, das Telefon wird durch Schloss Amalienborg getragen!«, sagte Bente am anderen Ende der Leitung.
»Steht im dänischen Königsschloss auch das Schlagzeug im Keller?«
»Keine Ahnung. Auf jeden Fall wird an Königin Margarethes Hof musiziert, und das ganz bestimmt gut.« Wie die meisten Dänen ließ auch Bente nichts auf das dänische Königshaus kommen. Liv hörte metallisches Klicken, als Bente eine Tür öffnete. »Wegen morgen: Ich habe dir zwei Fotos rübergeschickt.«
Liv ging hoch ins Wohnzimmer, klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und löste ihr Smartphone vom Ladekabel. Irritiert bemerkte sie, dass ihre Großmutter noch vor dem Computer saß.
Die Qualität des ersten Fotos war schlecht, was es nicht leicht machte, den Fundort des Leichnams zu erkennen. Es hätte eine beliebige Heidesenke sein können, aber die gleichmäßigen Wölbungen darum herum verrieten Liv, dass die Kuhle sich zwischen einigen der vielen Grabhügel auf Sylt befand. Für das zweite Foto hatte Bente einen weiteren Blickwinkel gewählt. Nun erkannte Liv die charakteristisch geschwungene Küstenlinie am Morsum-Kliff. Der Körper lag auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet. Auf den ersten Blick wirkte es, als würde der Mann in seiner schlichten schwarzen Kleidung, die an den Look der Existenzialisten in den 60ern erinnerte, nur schlafen. Aber dann erkannte Liv die klaffende Wunde an seinem Hals.
»Wer ist das?«
»Wissen wir noch nicht. Er trug weder Papiere noch Handy bei sich.«
»Zeugen?«
»Bislang will niemand ihn gesehen haben. Wir haben gerade erst mit den Befragungen angefangen.«
Liv brauchte nicht nachzurechnen. »Am Abend vor dem Fund war Biike. Trifft der Festzug sich noch immer am Parkplatz Nösse?«
»Genau. Der Biike-Platz liegt etwa fünf Minuten vom Parkplatz des Naturschutzgebiets entfernt. Da waren also eine Menge Leute versammelt. Und dazu kommen die Gäste vom Landhaus Severin’s. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie viele Leute sich auf der Ecke herumgetrieben haben. Ausgerechnet ein kompletter Fotokurs hat den Toten am nächsten Morgen gefunden. Glücklicherweise hat der Kursleiter sofort die Polizei benachrichtigt und geholfen, die Bilder zu löschen, die die Hobbyfotografen unerlaubterweise geschossen haben.«
»Uff, ich mag ich mir gar nicht vorstellen, dass eines der Fotos an die Presse geraten wäre. Bei dem vielen Blut …«, sagte Liv.
Bente seufzte. »An der Hand des Mannes befanden sich Schnittverletzungen. Entweder es handelt sich um Abwehrverletzungen, oder er hat selbst die Waffe gehalten.«
»Meinst du etwa, er hat sich selbst die Kehle aufgeschnitten?«, fragte Liv fassungslos.
»Es wäre eine besonders qualvolle Form von Selbstmord, aber nicht unmöglich. Genau das möchte ich von der Rechtsmedizin geklärt haben. Vielleicht kann Doktor Gerlich anhand der Schnittführung ein Fremdverschulden ausschließen. Ich weiß, dass Gerlich Spekulationen scheut, aber du kannst ja gut mit ihm.«
»Die Waffe ist verschwunden?«
»Bislang haben wir sie zumindest noch nicht gefunden.«
»Was meinen die Kollegen der Sylter Kripo dazu?«
»Denen wäre natürlich ein Selbstmord am liebsten, damit wäre der Fall abgehakt. Die Aussicht, dass sich ein brutaler Mörder auf der Insel herumtreibt …«
»… ist für niemanden erfreulich«, sagte Liv nüchtern.
Tatsächlich war die Kriminalpolizei Sylt für Mord gar nicht zuständig. Organisatorisch war die Sylter Kripo der Polizeidirektion Flensburg untergeordnet, aber alle Mitarbeiter legten auf eine kollegiale und reibungslose Zusammenarbeit wert. Bei Mord beispielsweise übernahm die Kripo Sylt den Ersten Angriff, bis die Mordkommission aus der Fördestadt angerückt war. Während der weiteren Ermittlungen vor Ort wurde das K1 von den Sylter Kriminalbeamten unterstützt.
»Und bei dir? Wie war’s vor Gericht? Ich bin froh, dass ich meine Aussage schon hinter mir habe«, gab Bente zu.
Der derzeitige Prozess belastete alle, die an den Ermittlungen beteiligt gewesen waren. Nicht nur, weil die Erinnerungen an den Fall wieder aufgewühlt wurden, sondern auch, weil jeder der Kommissare mit einer präzisen und vollständigen Aussage zu einem angemessenen Urteil beitragen wollte.
»So, wie wir erwartet haben. Der Täter hofft darauf, dass mildernde Umstände berücksichtigt werden. Du weißt ja, was ich davon halte. Glücklicherweise hat da der Gutachter auch noch ein Wörtchen mitzureden«, sagte Liv in abschließendem Tonfall. Sie wollte nicht noch mehr böse Geister wecken, sonst tanzten sie ihr nachts auf der Nase herum. »Ich melde mich morgen, so schnell ich kann. Gute Nacht, Bente.«
»Godnat, Liv.«
Liv nahm an, dass Bente jetzt zu Hause anrufen würde, um seine bösen Geister zu vertreiben. Eine Mordermittlung kreiste einem ständig im Kopf herum, und viele Kommissare hatten ihre eigenen Strategien entwickelt, dieses Karussell zum Anhalten zu bringen. Zu Bentes Exit-Strategie gehörte ein turbulentes Familienleben mit vier Kindern von drei Frauen.
Livs Blick war über den Stapel kriminalistischer Fachbücher gewandert, durch die sie sich derzeit fraß, und dann hinüber zu der Zeichnung an der Wand. Es war eine Architekturskizze ihrer verstorbenen Mutter, die Liv erst vor Kurzem in einem Tagebuch gefunden und gerahmt hatte. Klar und gleichzeitig verspielt war dieser Entwurf, was Liv stets aufs Neue erschütterte, weil diese Seite ihrer Mutter ihr unbekannt gewesen war. Wer konnte schon in sein Gegenüber hineinsehen, begreifen, was in dem anderen vorging?
Regen pladderte gegen die große Fensterscheibe des Wohnzimmers. Was für ein Glück sie hatten, dass ihr Haus auf dem Hügel des Stadtteils Jürgensby lag. Dadurch waren sie von den Überschwemmungen im Winter verschont geblieben. Meterhoch hatte die Neujahrsflut das Wasser über Hafen, Schiffsbrücke und die anliegenden Gebiete getrieben, unzählige Wohnungen und Keller waren vollgelaufen. Mehr denn je kam Liv dieses Haus, in dem sie seit ihrem Umzug nach Flensburg zur Miete wohnten, wie eine gemütliche Höhle vor.
Plötzlich überkam sie die Müdigkeit mit aller Wucht. Sie ließ sich neben Elise aufs Sofa fallen, die gerade eine E-Mail abschickte.
»Und da sagt man, nur die Jugendlichen seien internetsüchtig«, flachste Liv liebevoll. Seit Elises Homepage über Flensburger Plattdeutsch online war, erhielt diese viele Zuschriften.
Elise schloss das Mailprogramm. »Je oller, desto doller, das weißt du doch«, erwiderte sie, und ein müdes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Was machst du denn so spät noch? Hat das etwas mit deinem geheimen Geheimnis zu tun?«
»Quatsch. Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem hohen Alter mal Fanpost bekomme. Jetzt habe ich was zu pütschern!«
Liv strich über den Rücken ihrer Großmutter, der knochig und ein wenig gebeugt war. »Ich freue mich für dich«, sagte sie.
»Je mehr Leute sich für meine Internetseite interessieren, desto besser. Wenn unser Petuh oder Regionalsprachen wie Friesisch verloren gehen, dann verlieren wir einen Teil unserer Identität. Dann wissen wir bald überhaupt nicht mehr, woher wir kommen und wer wir sind«, meinte Elise nachdenklich.
Halb prüfend, halb besorgt musterte Liv sie. »Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Natürlich.«
Liv hakte nicht nach, sie war mit den Gedanken schon wieder woanders. Der Sylter Fall hatte sie in seinen Bann gezogen, das Foto des Leichenfundorts schien auf ihre Netzhaut eingebrannt zu sein. Nach Selbstmord sah das ganz und gar nicht aus. Entweder kannte sich jemand sehr genau mit der Vergangenheit der Insel aus, oder aber er wollte einen falschen Eindruck erwecken. An Zufall glaubte Liv nicht. Das Karussell in ihrem Kopf konnte sie in dieser Nacht nicht mehr stoppen.
Da ihr Bulli den Geist aufgegeben hatte und eine Reparatur vorerst unerschwinglich war, hatte Liv am frühen Morgen einen Dienstwagen geholt. Nun fand sie im Parkhaus in der Arnold-Heller-Straße einen der letzten freien Plätze. Sie war nur etwas über eine Stunde unterwegs gewesen und hatte es nicht eilig, ins Institut für Rechtsmedizin zu kommen. Also flüchtete sie vor dem Regen, der sich in Schleiern über Kiel ausbreitete, in die Mensa und ließ ihren Thermobecher mit Kaffee füllen.
Als sie sich mit einigen tiefen Atemzügen wappnete, in die Rechtsmedizin einzutreten, öffnete sich die Tür. Ein schwarzer Regenschirm schnappte ihr entgegen. Doktor Sebastian Gerlich verabschiedete gerade einen älteren Mann im Anzug, der schwer an seiner Aktentasche zu schleppen schien. Bei ihrem Anblick verschloss sich das Gesicht des Rechtsmediziners ein wenig, und er strich fahrig über seine Locken, ohne eine nennenswerte Ordnung zu erzielen. Eigentlich, dachte Liv, sind wir uns recht ähnlich: Wir gehören zu den Jüngsten auf unseren Posten und nehmen unsere Berufe sehr ernst. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – gingen sie distanziert miteinander um.
»Frau Lammers«, begrüßte er sie förmlich.
»Doktor Gerlich.«
Der Rechtsmediziner drückte den dicken Stapel Prospekte an seine Brust. »Ich werde Ihre Vorschläge mit meinen Kollegen und der Krankenhausleitung erörtern. Bis dann«, verabschiedete er den Vertreter.
Dieser richtete sich ein wenig auf, als er aber sprach, hatte sich seine Schulter schon wieder verschoben. »Warten Sie nicht zu lange, denken Sie an die Lieferzeiten. Je früher diese Geräte im Einsatz sind, desto besser ist es für alle Beteiligten. Wenn es möglich wäre, würde ich auch gerne noch einmal selbst mit Ihren Vorgesetzten sprechen.«
»Das wird nicht nötig sein. Schönen Tag noch.« Gerlich schob seine Brille hoch. Mehr denn je war Liv überzeugt, dass er das Gestell nur trug, um älter zu erscheinen. »Kommen Sie herein, Frau Lammers.«
Der von Putz- und Desinfektionsmitteln überlagerte Leichengeruch war durchdringend, beinahe klebrig. Liv meldete sich im Geschäftszimmer offiziell an, wo eine Sekretärin so schwungvoll eine Tastatur bearbeitete, dass Liv an The Typewriter denken musste. Die Leichtigkeit, mit der Jerry Lewis das Werk von Leroy Anderson auf einer Schreibmaschine vortrug, war in Wirklichkeit harte Arbeit gewesen. Nur echte Drummer waren dazu in der Lage, die Komposition auf den Tasten zu spielen, das erzählte Livs Schlagzeuglehrer jedenfalls gerne. Die vielen Gutachten und Akten, von denen die Sekretärin umgeben war, verrieten, dass die Rechtsmedizin gut ausgelastet war.
Gerlich schob die Prospekte in ein Aktenfach. »Angebote für noch mehr Hightech. Für viele muss es ein schöner Gedanke sein, dass Autopsien durch Computertomografie und Röntgenuntersuchungen wie die Angiographie überflüssig werden könnten.«
»Ein wenig verständlich ist es schon, dass manche Menschen die Vorstellung gruselig finden, dass sie selbst oder ihre Liebsten nach dem Tod aufgeschnitten werden.«
»Für gruseliger halte ich es, nicht zu wissen, woran jemand gestorben ist. Der gläserne Tote ist genauso Zukunftsmusik wie andere Hightech-Dinge, die in Fernsehserien gezeigt werden«, meinte Gerlich entschieden.
»Wie bei CSI, meinen Sie? Diese TV-Serien haben weder Ihnen noch uns die Arbeit leichter gemacht. Oft haben Verbrechensopfer dadurch völlig falsche Vorstellungen von den Möglichkeiten der Polizei. Unser Alltag ist weitaus mühseliger als in einer Serie – und vor allem ohne Special Effects.«
Gerlich machte sich für die Autopsie bereit und redete sich dabei in Rage. »Die Technik entwickelt sich enorm schnell weiter. Immerhin müssen wir bei Leichen die Strahlendosis nicht begrenzen. Eine Rekonstruktion des Tathergangs durch 3D-Animation wäre genial. An einigen Instituten in Deutschland sind die Kollegen dabei schon sehr weit. Aber letztlich ist es auch eine Geldfrage.«
»Ums Geld sollte es bei Ihrer Arbeit nicht gehen, Sie leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag.«
Sebastian Gerlich schien ihre Anerkennung gutzutun. »Schlimm genug, dass auf dem Land oft Hausärzte den Tod bescheinigen. Totenscheine sind oft voller Fehler, Leichenschauen werden nur oberflächlich durchgeführt. Es heißt, dass deshalb …«
»… vermutlich etwa tausend Tötungsdelikte pro Jahr unentdeckt bleiben, ich weiß«, sagte Liv, die langsam ungeduldig wurde. »Ich nehme an, Sie sind am Fundort gewesen«, setzte sie hinzu, um auf den Grund ihres Aufenthalts zurückzukommen.
»Natürlich. Starkregen sollte wirklich verboten werden«, sagte Sebastian Gerlich, als handle es sich dabei um einen persönlichen Angriff.
Gemeinsam mit seinen Assistenten holte er den Körper aus der Kühlkammer. Zunächst gingen sie die Kleidung des Toten durch, die von Blut und Dreck verklebt war: ein schwarzer Pulli aus Kaschmirwolle, schwarze Hosen, die Taschen leer, T-Shirt, Unterwäsche, Socken. Alles war relativ neu, bis auf die Wanderschuhe, die eingetragen und sorgsam gepflegt waren. Liv notierte sich die Marke in einem alten Schulheft; vielleicht hatte er die Wanderschuhe professionell aufarbeiten lassen, und sie konnten so seiner Identität auf die Spur kommen. Nun betrachteten sie die Leiche. Der Tote war zwischen zwanzig und dreißig, groß und leicht übergewichtig. Die dunklen Haare waren kurz, das Kinn rasiert. Getrocknetes Blut bedeckte weitflächig die Haut. Tätowierungen waren sein einziger Schmuck. Ranken und Wörter. Dazu kriegerische Motive wie zum Beispiel Totenköpfe und Schwerter. Liv entdeckte auch Mjölnir, Thors Hammer, auf seiner Brust. Ein Symbol für innere Stärke und Tatkraft, das von Heavy-Metal- und Wikingerfans genutzt, aber von Rechtsextremen auch politisch missbraucht worden war. Liv hatte das Symbol nicht nur im Museum gesehen, sondern auch auf verschiedenen Rockkonzerten. Wieder machte sie sich eine Notiz; an eine derartige Ansammlung von Motiven würde sich ein Tätowierer möglicherweise erinnern. Im Alltag hatte der Mann die Tätowierungen anscheinend unter seiner Kleidung verborgen, was für ein eher bürgerliches Umfeld sprach. In scharfem Widerspruch zu den martialischen Tätowierungen standen die feinen Wimpern und die zarten Sommersprossen auf dem Nasenrücken des Mannes.
Unter den Tätowierungen auf der Körperrückseite befand sich ein Hämatom. Entweder war der Mann auf etwas Hartes gefallen, oder jemand hatte ihn geschlagen. Ausgiebig wurden die Wunden untersucht und fotografiert. Gerlich begutachtete die Leiche, besonders genau die Körperöffnungen, die Augen, die Hände und die Verletzungen, die auf einen Kampf schließen ließen.
Als der Tote wieder auf dem Rücken lag, trat Liv näher an den Obduktionstisch heran. Sie wollte dem Mann noch einmal ins Gesicht sehen, bevor er für die nächsten Stunden hauptsächlich ein Beweis in einer Ermittlung sein würde. Der Unbekannte war bleicher, als es sonst bei Leichen der Fall war. Die Haut sah beinahe durchscheinend aus, als würde er sich gleich auflösen und sich in einen Geist verwandeln. Die klaffende Halswunde erschien unnatürlich rot. Zudem strömte der Tote einen undefinierbaren Geruch aus.
Ein Assistenzarzt machte sich mit dem Klicken des Obduktionsbestecks auf Marmor bemerkbar, als könne er es nicht erwarten, Hand anzulegen. Die Öffnung der drei Körperhöhlen stand zunächst an. Doktor Gerlich gab seinem Assistenten ein Zeichen, das Messer am Schädel des Leichnams anzusetzen. Der Sektionsassistent machte einen langen Schnitt vom linken zum rechten Ohr und zog die Kopfschwarte nach vorne. Obgleich Liv etlichen Obduktionen beigewohnt hatte, ließ das Geräusch, das dabei entstand, ihre Beine schlagartig zu Gelee werden. Das sirrende Geräusch der oszillierenden Säge verbesserte ihr Befinden auch nicht. Sie fixierte ihre Schuhspitzen, als könnte ihr Blick sie im Boden verankern. Während das knöcherne Schädeldach mit der Autopsiesäge durchtrennt wurde, öffnete eine zierliche Assistentin mit einem Y-Schnitt den Brustkorb. Die Körperpartien wurden seitlich herunterpräpariert, bis die Rippen frei lagen. Mittels einer Rippenschere wurde der Brustkorb eröffnet und Herz und Lungen entnommen. Bei der Untersuchung des Magens stellte Gerlich fest, dass der Tote Grünkohl gegessen hatte.
Restaurant?, notierte Liv. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Rechtsmediziner den Schnitten am Hals, die ausführlich vermessen wurden.
Gerlich war ganz von seiner Arbeit gefesselt. »Wissen Sie, warum wir vermutlich niemals ganz auf eine Autopsie verzichten können? Ein CT kann das Auge nicht ersetzen, es kann nicht fühlen, nicht riechen«, sagte er versonnen.
Liv konnte seine Begeisterung nicht teilen. Sie hätte in diesem Moment gerne auf ihren Geruchssinn verzichtet. Kaum bekam sie mit, wie die Asservate genommen wurden. Diese Proben von Körpergewebe und Flüssigkeiten waren wichtig, falls im Nachhinein noch Fragen auftreten würden. Erst als der Körper wieder vernäht war, hatte sie ihre Übelkeit einigermaßen im Griff.
»Geht es?«, fragte Gerlich, als er sie hinausbegleitete.
»Wird schon wieder«, antwortete sie knapp. Warum war sie nicht einfach bei ihrem Cold Case und der Prozessvorbereitung geblieben? Für diesen Gefallen habe ich bei Bente aber einen gut, dachte sie grimmig.
Der Kurzbericht des Rechtsmediziners gab ihr dann jedoch den Rest.
»Tierblut?«, wiederholte sie ungläubig.
»Schon gesehen? Aber Achtung: Märchenstunde«, stieß der Staatsanwalt Roman Leipoll grimmig hervor, als er in das Büro der K1-Chefin stürmte und zwei bedruckte Blätter auf Hasselbrechts Schreibtisch warf.
Hilke Hasselbrecht verließ ihren Platz am Fenster, von wo aus sie auf die belebte Straße Norderhofenden geschaut hatte. Sie hatte Liv gebeten, mit ihrem Bericht auf den Staatsanwalt zu warten. Hasselbrecht sah blass und verhärmt aus, weshalb ihre rote, helmartige Frisur besonders künstlich wirkte. Die früher eher birnenförmige Gestalt erinnerte jetzt an einen Luftballon, dem langsam die Füllung ausging. Dennoch bewahrte die Leiterin der Mordkommission Haltung. Obgleich ihr Mann todkrank war, hatte sie keinen Tag gefehlt. Sie tat, als sei alles wie immer – was es natürlich nicht war. Nun schob Hasselbrecht Liv die Blätter zu; sie kannte ihren Inhalt anscheinend schon.
»Sollten Sie heute nicht bei Gericht auftreten?«, fragte der Staatsanwalt Liv irritiert.
»Meine Aussage ist erst für den Nachmittag vorgesehen.«
Liv überflog den ausgedruckten Webseiten-Artikel. Offenbar war es jemandem gelungen, ein Foto von der Leiche zwischen den Grabhügeln zu machen, oder eine Datei war der Löschaktion entgangen.
MORDsum Kliff. Ritualmord auf Sylt, schrie die Schlagzeile. Und darunter: War dieser Mann ein Menschenopfer? Oder war ein Irrer am Werk?
Der Artikel musste erst vor Kurzem veröffentlicht worden sein. Bente hatte noch nichts davon gewusst, als Liv ihm vorhin telefonisch die ersten Ergebnisse der Obduktion durchgegeben hatte.
Hilke Hasselbrecht bot ihnen aus einer Porzellankanne Tee an. Liv lehnte ab; der Tee roch ihr zu intensiv nach Vanille, Rum und Mandeln. Außerdem war sie zu unruhig für ein Teestündchen. Während der Staatsanwalt den Kandis förmlich in die Tasse schleuderte, schüttelte er den Kopf, als könne er es noch immer nicht fassen.
»Statt dass diese Schreiberlinge sich bei der Polizeipressestelle oder der Staatsanwaltschaft nach dem Stand der Ermittlung erkundigen, wie es sich gehört, fabulieren sie vor sich hin! Ritualmord? Menschenopfer? Wir sind doch nicht im Mittelalter! So ein Irrsinn!«
»Immerhin wurde der Tote zwischen Hügelgräbern gefunden«, sagte Liv. Leipoll sah sie verständnislos an. »Auf dem Morsum-Kliff befindet sich das größte Hügelgrabgelände Deutschlands. In den Grabhügeln aus der Bronze- und Eisenzeit wurden Menschen bestattet und möglicherweise Opfer gebracht. Dass diese Hügelgräber auf Sylt einem rituellen Zweck dienten, beweisen die Leichen, die bei Ausgrabungen gefunden wurden. Außerdem wurden Tierknochen sowie verschiedene Grabbeigaben entdeckt«, fasste Liv die Informationen zusammen, an die sie sich noch aus der Schulzeit erinnerte.
»Ein steinzeitlicher Friedhof – ja und? Kein Grund, jemanden umzubringen.«
»An der Leiche und auf der Erde wurde auch Schweineblut entdeckt. Ich habe es nach der Obduktion erfahren.«
»Könnte Zufall sein.«
»In der Menge eher nicht. Es war der Biike-Abend …«
»Der friesische Nationalfeiertag, ich weiß. Und immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe – ein Lagerfeuer! Was es alles gibt!«
»Ein Tag, an dem man früher dem Totengott Wotan huldigte und die bösen Geister vertrieb.«
»Bleiben Sie auf dem Boden der Tatsachen, Lammers«, zischte Leipoll und warf entnervt den Kopf in den Nacken.
Tatsächlich fand Liv den Gedanken selbst etwas abwegig. Andererseits war da das, was die Obduktion zutage gefördert hatte. »Die Todesursache war der Halsschnitt, zugefügt mit einer stumpfen Waffe. Der Geschädigte blutete aus. Doktor Gerlich hat bei der Sektion eine Luftembolie sowie Bluteinatmung nachgewiesen. Diese Vitalreaktionen bedeuten, dass der Mann noch einige Zeit lebte, nachdem ihm die Verletzungen zugefügt wurden«, sagte Liv.
»Könnte es ein Selbstmord gewesen sein?«, fragte Leipoll.
»Die Schnittführung spricht dagegen, dass er sich die Kehlwunde selbst zugefügt hat«, machte Liv seine Hoffnung zunichte.
»Aber es könnte sein?«
»Am Ende des Schnitts gibt es zwei Kerben, eine weist nach oben, die andere nach unten. Sie sind möglicherweise absichtlich verursacht worden, obgleich wir nicht wissen, warum. Zudem stellte Doktor Gerlich eine weitere Verletzung am Körper des Opfers fest. Vor dem Kehlschnitt ist der Mann in den Hals gestochen worden.«
»Probierschnitte oder Selbstbeibringungen gibt es auch bei Selbstmördern«, konstatierte Leipoll hartnäckig.
»Fünf Zentimeter tief?«, fragte Liv skeptisch. »Außerdem hätten wir dann die Tatwaffe finden müssen.«
Der Staatsanwalt starrte finster in den Tee.
Nun ergriff Hilke Hasselbrecht das Wort: »Wie könnte es also abgelaufen sein? Der Stich erfolgte aus einem Affekt heraus, der Schnitt wurde bewusst ausgeführt, möglicherweise, um die Wut zu überdecken«, spekulierte die K1-Chefin.
»Der Tote war groß und kräftig. Gibt es Anzeichen dafür, dass er sich gewehrt hat?«, wollte der Staatsanwalt wissen.
»Da können wir nur mutmaßen. Das Opfer war stark alkoholisiert und vermutlich durch das schwere Essen behäbig. Es wurden allerdings Prellungen im Rücken und auf dem Schlüsselbein festgestellt.«
»Vielleicht wurde er geschlagen und festgehalten. Dabei hatte der Täter keine Eile. Es dauert, einen Menschen ausbluten zu lassen. Der Täter fürchtete also nicht, entdeckt zu werden, trotz des Biikefestes in der Nähe«, resümierte die K1-Leiterin.
Liv stimmte ihr zu. »Die Tätowierungen des Opfers, das Tierblut, das Ausbluten – vielleicht müssen wir tatsächlich eine Art Ritual in Betracht ziehen. Auch ist das Opfer nicht versteckt, sondern eher auffällig drapiert worden. Möglicherweise ist die Inszenierung aber auch ein Ablenkungsmanöver.«
»So oder so ist das absurd!«, protestierte Leipoll, klang jedoch wenig überzeugt.
Liv hob die Schultern. Ihr gefielen diese Hypothesen ebenfalls nicht. Wer einen derart brutalen Mord verübte, war eine wandelnde Zeitbombe. Aber letztlich war es nicht ihr Problem. Sie würde am Nachmittag in dem Prozess aussagen und später zu ihrem Altfall zurückkehren.
Der Staatsanwalt stieß erneut geräuschvoll die Luft aus. »Die Journalisten werden ausflippen, wenn sie davon Wind bekommen, dass wir diese Spökenkiekerei überhaupt in Erwägung ziehen!« Er holte sein Handy hervor und wischte darauf herum. »Trotzdem werde ich umgehend das LKA und die Operative Fallanalyse hinzubitten. Wir brauchen eine vorläufige fallanalytische Beratung. Auch muss das Sylter Team verstärkt werden.«
»Die Kollegen sind gerade mit einem Hausbrand mit Todesfolge im Grenzgebiet zu Dänemark beschäftigt, und Hennes ist im Urlaub«, überlegte Hasselbrecht. »Wir könnten jemanden vom K2 hinzubitten, aber die Kollegen sind seit dem Vorfall letzte Woche selbst am Anschlag.« Bei einer Branduntersuchung waren die Kommissare von einer Gruppe Jugendlicher mit Glasflaschen beworfen worden; zwei Beamte waren verletzt. Die zunehmende Aggressivität gegenüber Polizisten machte viele in der Polizeidirektion ratlos. Die K1-Chefin ließ ihren Blick auf Liv ruhen. »Sie werden sich noch heute auf den Weg machen. Setzten Sie alles daran, eine andere … eine bessere Spur zu finden. Bis dahin halten wir uns alle Möglichkeiten offen.«
»Und der Prozess?«
»Natürlich fahren Sie nach Ihrer Aussage los!«, bestimmte Leipoll, dann lauschte er am Smartphone. Offenbar hatte sich am anderen Ende der Leitung jemand gemeldet. Mit einem fahrigen Winken eilte er hinaus.
Liv wollte ihm folgen, aber Hasselbrecht hielt sie auf. »Sie wissen, dass ich Sie schätze. Denken Sie daran, den Bogen nicht erneut zu überspannen, wie Sie es bei Ihrem letzten Einsatz auf Sylt getan haben. Sie müssen sich bewähren. Es gibt genügend in der Behörde, die Sie für zu jung und zu unerfahren für die Mordkommission halten. Lassen Sie diese Kritiker nicht recht behalten.«
Fackelschein.
Menschen, so viele. Ihr Blick flackert von einem zum anderen und sucht jemanden, der ihr zu Hilfe kommen könnte. Ihr Herz rast. Ein Stein in ihrem Magen. Eisengeschmack im Mund. Die Hände taub vor Kälte.
Eine Klinge – was spiegelt sich darin?
Auf einmal Schwärze, als würde eine Binde um ihre Augen gelegt. Todesangst schnürt ihr den Atem ab. Sie meint, Trommeln zu hören. Sie weiß, was jetzt kommen wird, will schreien, bekommt aber keinen Ton heraus. Warum hilft ihr denn keiner?
Fesseln um die Handgelenke. Die Messerspitze auf nackter Haut. Blut, zähflüssig wie pechschwarzer Sud. Schwindel, gefolgt von heftiger Übelkeit. Aufblitzende Bilder. Felle, Hörner. Die Klinge zeichnet die Haut. Dieser Schmerz, brennend und scharf. Blutige Muster. Züngelnde Schlangen – nein, ein Adler ist es. Bitte nicht! Gerald, hilf mir! Wo steckst du nur? Sie will um Gnade flehen und weiß doch, dass ihr keine gewährt werden wird. Mutig muss sie sein und tapfer. Aber sie ist so schwach! Hat solche Angst. Nun weint sie wie ein Kind.
Ein ekelerregendes Krachen, als die Rippen aufgebrochen werden. Blut tränkt die Erde, wirft den Schein der Flammen zurück. Ihr schwindelt. Ihre Brust pumpt. Mama, ich wollte doch nur … Luft, sie bekommt keine …
Nichts mehr, für lange Zeit.
Als sie aufwacht: Angst. Von jetzt auf gleich. Von null auf hundert.
Rasselnder Atem. Es dauert, bis sie begreift, dass sie es ist, die keucht. Sie wirft ihren Kopf herum. Ist sie wirklich allein? Das Feuer, die Folter – vorbei? Oder war alles nur ein Albtraum? Ihre Zunge, trocken wie ein Stück Borke. Schwer fühlt sie sich, schlapp und müde. In ihre Haut stechen tausend Nadeln. Ihr Arm schmerzt. Sie blinzelt, aber es wird einfach nicht hell. Und dieser Gestank! Was riecht hier so ekelerregend? Ist sie das etwa? Sie will sich bewegen und kann es nicht. Etwas schnürt Hände und Knöchel ab. Zähne schlagen aufeinander. Wie kalt ihr ist! Sie will sich aufsetzen – ihre Stirn knallt an ein Hindernis. Funken sprühen in ihrem Schädel, als sie zurückfällt. Wo ist sie? Wie ist sie hier hergekommen? So fieberhaft sie auch überlegt, sie kann sich nicht erinnern.
Erschöpfung bemächtigt sich ihrer. Sie fürchtet den Schlaf, fürchtet die Albträume. Sie muss aufstehen, einen klaren Kopf bekommen! Also zuckt sie mit den Fingern, wackelt mit den Zehen. Stechend kehrt das Leben in ihre Gliedmaßen zurück, prickelt in Wellen über ihre Haut. Der Arm schmerzt noch immer. Vorsichtig stemmt sie sich hoch. Da, das Hindernis, es fühlt sich rau an, wie Holz, lässt sich aber nicht verschieben. Nur eine Elle bis zur Decke. Der Schweiß auf ihrem Rücken scheint zu Eis zu gefrieren. Sie ruckelt auf ihrem Gesäß. Zwischen ihren Beinen ist es feucht und klamm. Warum …
Der Filmriss treibt Tränen in ihre Augen. Sie begreift einfach nicht, was geschehen ist. Womit hat sie das verdient? Sie wollte doch nur … Kehliges Schluchzen. Sie muss sich zusammenreißen! Weiter ruckelt sie über den Boden, bis sie an eine Wand stößt. Nur ein kleines Stück hat sie sich bewegt. So eng! Zur anderen Seite. Hoffentlich ist dort ein Ausweg. Ihr Herzschlag setzt aus, als sie begreift, dass sie lebendig begraben ist.
Die untergehende Sonne kämpfte sich zwischen einer grauschwarzen Wolkendecke hindurch und tauchte den Dunst, der den Hindenburgdamm umbrandete, in ein unwirkliches Licht. Am Nachmittag hatten sich Hagel und Regenschauer abgewechselt, aber jetzt war wohl gerade die buchstäbliche Stille vor dem Sturm; der Wetterdienst hatte eine Unwetterwarnung herausgegeben. Ein Orkan braute sich über der Küste zusammen.
Liv Lammers beobachtete, wie die Sterntaucher sich bäuchlings über das Watt schoben und Anlauf nahmen, um abzuheben. Erst in der Luft, als sie weit mit ihren Flügeln ausholten, warfen sie die Plumpheit ab und zeigten ihr Flugtalent. Livs Gesicht spiegelte sich im Zugfenster. Sie sah so müde aus, wie sie sich fühlte. Man sollte nicht an dem gleichen Tag einer Obduktion beiwohnen und in einem Mordprozess aussagen müssen …
Selbst bei ihrer Familie hatte sie nur kurz Kraft tanken können. Bei ihrer Stippvisite hatte Sanna mit einer Freundin für eine Arbeit gebüffelt, und Elise hatte telefoniert. Der Einzige, der sich ausgiebig gefreut hatte, sie zu sehen, war Zorro, ihr Hund, gewesen. Liv hatte gepackt und für die nächsten Tage ihre Verabredungen und die Bandprobe abgesagt. Auf der Fahrt hatte sie die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen rekapituliert, die mehr als mager waren. Noch immer war der Tote bei den Grabhügeln nicht identifiziert. Aber vielleicht hatten ihre Kollegen in der Zwischenzeit ja einen Durchbruch erzielt.
Der Waggon schlug auf den Gleisen einen einschläfernden Rhythmus. Sie skippte auf ihrer Playlist und hielt mit White Stripes dagegen, auch wenn sie den Rest des Tages Seven Nation Army nicht mehr aus dem Kopf bekommen würde.
Als der Zug nach einer Viertelstunde Sylt erreichte, hatte die Dämmerung sie eingefangen. Mit einem Blinzeln hieß der Kampener Leuchtturm sie über das Watt hinweg willkommen. Einige Minuten später umfing peitschender Nieselregen sie auf dem Westerländer Bahnsteig. Die Lichter der Inselhauptstadt spiegelten sich im nassen Asphalt, als Liv mit ihrem Rollkoffer das Bahnhofsgebäude links liegen ließ und zum Polizeirevier abbog. Gerüste ragten neben dem Backsteinbau auf. Die Schutzpolizisten im Empfangsraum grüßten sie freundlich. Ein junger Streifenpolizist bot an, ihr mit dem Koffer zu helfen. Sie nahm das Angebot dankend an. Bei ihrem letzten Besuch war die Stimmung eisig gewesen, weil Liv und ihre Kollegen einen Maulwurf, also einen Verräter in den eigenen Reihen, bei der Kripo Sylt entdeckt hatten, umso mehr freute sie sich jetzt über den freundlichen Empfang. Auf dem Gang und im Treppenhaus roch es nach Dosenravioli; je mehr Überstunden, umso mehr Fastfood im Revier.
»Da bist du ja endlich! Wir haben mit der Besprechung auf dich gewartet«, begrüßte Bente sie. »Wie siehst du überhaupt aus?« Er warf ihr ein Handtuch hin – woher hatte er das so schnell? – und rief das Team zusammen. Liv rubbelte sich die Haare trocken. Wie immer sah Bente mit seinem faltenfreien weißen Hemd und den Lederslippern wie aus dem Ei gepellt aus.
»Wie ist die Stimmung?«, fragte Liv mit gedämpfter Stimme.
»Rabia hat mir heute ein paar selbstgebackene Friesenkekse kredenzt.«
»Das ist ja beinahe schon ein Friedensangebot«, war Liv über die Reaktion der Sylter Kommissarin erleichtert.
Während das Team eintrudelte, warf Liv einen ersten Blick auf die Wand, an die Fotos, Namen und Daten gepinnt waren. Auch der Zeitungsartikel war ausgehängt. Neben unzähligen Schnappschüssen, auf denen Besucher des Biikebrennens zu sehen waren, hingen Detailaufnahmen der Leiche und der Tätowierungen. Auf zwei Fotos war ein Gesicht mit einem Filzstift umkreist. Etwas unscharf zwar, aber es war eindeutig der Mann, den sie bei der Obduktion gesehen hatte. Er stand zwischen anderen am Feuer, einen Becher in den Händen. Seine Augen wirkten sehr wach, und ein Lachen lag auf seinen Lippen. Liv versuchte, seine Züge und das, was sie in der Gerichtsmedizin gesehen hatte, in Einklang zu bringen, aber es fiel ihr schwer.
Sie spürte etwas hinter sich, gleich darauf versetzte ihr jemand einen Stoß, der ihre Knie leicht einknicken ließ. Sie fuhr herum und holte dabei instinktiv aus. Friesisch-blond, rote Pausbacken, türkisfarbenes, hochgekrempeltes Jackett zu Jeans, als wolle er den Frühling anlocken. Momke hielt ihre erhobene Hand fest und grinste. Seit ihrer Teenagerzeit hatte niemand sie mehr auf diese Art überrascht.
Unwirsch machte sie sich los. »Verdammich, Momke!«
Er pustete die Stirnlocke hoch, die ihm anschließend wie frisch geföhnt in die Stirn federte. »Ich freue mich auch, dich endlich mal wieder zu sehen. Ohne einen Mord schaffst du es wohl nicht auf die Insel«, sagte ihr Sylter Kollege.
Das stimmt nicht, Liv war durchaus auf Sylt gewesen – nur hatte sie sich nicht bei dem ehemaligen Mitschüler gemeldet. Warum denn auch? »Klingt fast, als hättest du dabei deine Finger im Spiel gehabt.«
»Das ist nicht witzig«, sagte Momke ernsthaft.
Liv wandte sich den anderen zu. Sie kannte die meisten der Sylter Kommissare, der Schutzpolizisten und der Kollegen vom K6, der Spurensicherung, die wie die Mordkommission aus Flensburg angereist war. Die Deutsch-Syrerin Rabia nickte ihr reserviert zu. Auch Wanda kam nun herein und reichte Liv förmlich die Hand. Im engen Anzug, hohen Schuhen und ihren gestuften, perfekt geföhnten braunen Haaren changierte sie zwischen Seriosität und verführerischer Weiblichkeit. Auch mit Ende dreißig zeichneten noch Pickel ihr Gesicht, obgleich sie versucht hatte, diese zu kaschieren.
»Finde ich super, dass wir endlich mal gemeinsam auf Sylt ermitteln. Wie wär’s, gehen wir am Feierabend auf den Swutsch? Kannst mich in einige der Sylter Bars mitnehmen. Wenn ich ein paar Geheimtipps kenne, habe ich zu Hause was zum Angeben.«
»Ich glaube, was Geheimtipps angeht, kennt Momke sich besser aus«, sagte Liv. »Das Sylter Nachtleben war noch nie mein Spezialgebiet.«
Momke lachte. »Jetzt untertreibst du! Aber klar, ich mache gerne mit euch beiden einen Zug durch die Gemeinde, sobald der Fall es zulässt.«
Alle waren nun eingetroffen. Es war eng in dem Raum. Das Westerländer Polizeirevier war im ehemaligen Amtsgericht untergebracht und nicht auf größere Ermittlungen eingerichtet. Karlpeter Botersen-Evers, der oberste Kriminaltechniker warf noch schnell eine Familienpackung Fruchtgummis auf den Tisch. Leider waren diese gezuckert, sodass sich ein weißer Sprühregen auf die Platte ergoss. Auf Bentes strafenden Blick hin pustete der Spurensicherer die Zuckerkrümel auf den Teppich.
Bente sah in die Runde. »Wer will anfangen?«
Botersen-Evers warf einen Fruchtgummi in den Mund und zerteilte ihn mit drei schnellen Bissen. »Das Tatwerkzeug können wir leider noch immer nicht bieten. Zigarettenkippen und sonstige Fundstücke werden noch spurentechnisch untersucht. Die Schalen sind aus einfachem Ton und handgefertigt, einige gute Fingerabdrücke sind darauf. Wir haben Fasern und Fellhaare gefunden, Letztere scheinen synthetisch zu sein. Die Kleidung des Toten war nicht billig, ist aber von der Stange. Weitere Schuhabdrücke konnten nur teilweise gesichert werden«, fasste er zusammen.
Rabia übernahm. »Das Tattoostudio auf Sylt hat zugemacht. Ehemalige Mitarbeiter haben keine der Tätowierungen wiedererkannt«, berichtete sie. »Wir haben Tätowierer auf dem Festland angeschrieben, aber noch keine Rückmeldung erhalten.«
»Habt ihr weitere Biikebesucher gefunden, die auf den Schnappschüssen in der Nähe des Toten zu sehen sind?«, wollte Liv wissen.
»Etliche. Keiner von ihnen kannte den Toten, was merkwürdig ist«, sagte Momke. »Meist geht man doch zu der Biike in seinem Dorf. Oder der Tote war doch einer der vielen Touristen, die für die Biikefeuer nach Sylt kommen. Die Tourismuszentrale preist die Biike als neues Winter-Highlight an, von wegen knisternde Feuerromantik und so.«
Liv überlegte. »Was ist mit den Aufnahmen von Sylt TV? Die haben doch sicher über die Biike berichtet.«
»Es gibt einen Zusammenschnitt der verschiedenen Biikefeuer, unser Toter ist nicht zu sehen. Wir haben schon um das gesamte Filmmaterial gebeten«, sagte Wanda. »Alle Taxifahrer wurden gecheckt, alle Überwachungskameras in der Nähe. Nichts.«
»Ebenfalls Fehlanzeige bei den Vermisstenmeldungen. Die einzige vermisste Person ist«, Rabia las es vom Zettel ab, »eine Frau, Vanessa Bandow, 25 Jahre, aus Morsum. Muss ein Zufall sein, dass sie aus dem gleichen Ort ist, denn einen männlichen Verwandten hat sie nicht.«
Unwillkürlich überlegte Liv, ob ihr eine Frau dieses Namens bekannt war. Morsum hatte nur tausendeinhundert Einwohner, und obgleich sie das Dorf als Jugendliche verlassen hatte, wusste sie viele Namen noch. Bandow war nicht darunter.
»ViCLAS habe ich überprüft, anscheinend keine Übereinstimmung«, berichtete Bente. Die Falldatenbank der Abteilung für Operative Fallanalyse des BKA war mit ihren sechsundzwanzigtausend Fällen von sexuell assoziierter Gewaltkriminalität und Tötungsdelikten eine wichtige Recherchequelle für die Mordkommission. »An den Funkzellen arbeiten die Flensburger Kollegen nach wie vor. Bei den vielen Handys, die sich zum Tatzeitpunkt in die Funknetze eingeloggt haben, wird es noch dauern, bis alle Nummern ausgewertet sind.«
»Dafür rufen hier laufend besorgte Bürger an, die von seltsamen Lichtern an und um die anderen Grabhügel berichten«, sagte einer der Schutzleute. »Einige meinen, Satanisten treiben auf Sylt ihr Unwesen. Andere sind sicher, dass es auf der Insel spukt.« Betretenes Schweigen breitete sich aus. Nicht auszudenken, wenn sie es wirklich mit Teufelsanbetern oder anderen Verrückten zu tun hätten.
»Und die Rechtsmedizin? Was Neues von Gerlich?«, richtete Bente das Wort an Liv.
Noch einmal fasste Liv die vorläufigen Ergebnisse der Leichenschau zusammen. Mit einem Mal waren alle Eindrücke wieder da, und sie glaubte sogar, die Gerüche erneut in der Nase zu haben.
»Vor seinem Tod hatte der Tote übrigens Grünkohl gegessen. Wir sollten sein Foto mal in den Restaurants herumzeigen«, schlug sie vor.
»Gute Idee«, meinte Momke. »Viele gehen nach der Biike zum Grünkohl-Essen ins Restaurant. In manchen Lokalen werden die Tische im Stundentakt vergeben.«
»Dann wollen wir mal hoffen, dass unser Toter kein Hobbykoch war«, schloss Bente die Besprechung.
Momke ließ die Tür des Friesenhauses hinter ihnen ins Schloss fallen. »Grünkohl-Burger, Grünkohlchips oder in brauner Butter geschwenkter Grünkohl – das geht doch gar nicht«, schimpfte er. »So kriegt man jede Tradition kaputt.«
Liv nahm einen tiefen Atemzug Nordseeluft, eine Wohltat nach den überheizten, stickigen Restaurants. »Ist doch mal was anderes. Diese Fleischorgien dagegen …«, seufzte sie. Während sie die Tresenkräfte und Kellner nach dem Toten befragt hatten, waren immer wieder mit Kassler, Schweinebauch und Kochwurst überladene Fleischplatten an ihnen vorbeigeschleppt worden.
»Du bist doch nicht etwa Veganerin?«, fragte er, als ob es sich dabei um eine außerirdische Lebensform handelte. Als sie verneinte, meinte er: »Hunger gekriegt habe ich schon. Wollen wir noch was essen?«
Liv lehnte ab. Es war bald elf Uhr. Zweieinhalb Stunden hatten sie ohne Erfolg Restaurants in Morsum, Archsum und Umgebung abgeklappert. Die anderen Teams hatten sich längst abgemeldet und ihren verdienten Feierabend angetreten.
»Bist du sicher? Du musst ja wirklich nicht Diät halten, an dir ist kein Gramm zu viel.«
»Ich bin schon von den Gerüchen satt. Mir reicht’s für heute.«
»Ist vielleicht auch besser so. Ich will ja eine bella figura machen«, sagte Momke und schloss sein Jackett über dem Bauch, der sich tatsächlich vorwitzig über den Hosenbund reckte. Am Dienstwagen hielt er ihr gentlemanlike die Tür auf. »Ansonsten bleibe ich dabei: Biikebrennen ohne zünftigen Grünkohl, das ist nur was für Zugereiste. Das ist wie Champagnertrinken an der Biike, wie Pelzmantel am Lagerfeuer …«
Seine Begeisterung stachelte Liv erstaunlicherweise an. Auch sie hatte beim Biikebrennen die seltsamsten Dinge erlebt. »Das ist, wie bei der Biike hektisch die Funken aus dem Nerz klopfen und tagelang nach Räucherschinken riechen«, ergänzte sie.
»… wie Teepunsch ohne Köm trinken. Wie Becher schnorren.«
»Bei der Rede des Bürgermeisters klönen. Üüs Söl’ring Lön nicht mitsingen«, sagte Liv. Ein albernes Gefühl überkam sie.
»Oder ganz schlimm: von dem letzten Biikebesuch an der Ostsee erzählen.«
»Geht gar nicht!«
Sie lachten und hingen einen Augenblick ihren Erinnerungen nach. Die Morsumer brannten ihre Biike auf dem Hiligenhoog ab. Zwischen den Bäumen in der Nähe hatten sie als Kinder Fangen gespielt und sich damit die Wartezeit auf das Anzünden des Feuers verkürzt. Liv hatte immer bange auf den Augenblick gewartet, an dem der Piader, das Petermännchen, eine mit Stroh und Papier gefüllte Opferpuppe, die den Winter symbolisierte, auf der Spitze des Scheiterhaufens verbrannte, herunterfiel und so das Feuer entzündete. Schließlich begann Momke von der diesjährigen Biike zu erzählen, die beinahe ins Wasser gefallen wäre, weil die letzten Wochen regenschwer und neblig gewesen waren, vom Qualm des kokelnden Feuers und seiner Verlobten, die statt Köm am liebsten Tote Tante, also Lumumba, trank.
»Verlobte? Ich dachte, ihr habt längst geheiratet«, wunderte sich Liv. Schon im letzten Herbst waren die Vorbereitungen für die Hochzeit Momkes Thema gewesen, und er hatte ihr stolz seine Ioanna vorgestellt.
»Ostern ist es so weit. Wir haben den Termin einmal verschieben müssen. Eine Hochzeit im Frühling ist etwas ganz Besonderes. Bis dahin kneift der Hosenbund auch nicht mehr«, sagte Momke zuversichtlich.
Vor dem Dienstgebäude der Polizei setzte er sie ab. In dem Neubau im Hinterhof der Westerländer Wache wurden im Sommer die Bäderpolizisten untergebracht; ein begehrter Job bei Berufsanfängern. Jetzt konnten die Kommissare in den Dienstwohnungen unterkommen. Hilflosigkeit und Wut stiegen wieder in Liv auf. Etwa achtundvierzig Stunden war der Mann schon tot. Seit zwei Tagen lief ein Mörder frei herum, ein kaltblütiger Mörder noch dazu.
»Ich hatte wirklich gehofft, dass wir heute die Identität des Toten klären können«, sagte sie.
Momke lächelte aufmunternd. »Auf Sylt geht niemand für immer verloren. Wir machen morgen weiter.«
***