Fischpiraten - Jack London - E-Book

Fischpiraten E-Book

Jack London

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Beschreibung

Als Sechzehnjähriger wird Jack London bevollmächtigter Angehöriger der Fischereischutzbehörde und versieht zwei Jahre Dienst auf einem Patrouillenboot in der San-Francisco-Bay und den nahegelegenen Küstengewässern. In dieser Zeit besteht er mit seinem Kollegen Charley Le Grant aufregende und gefährliche Abenteuer im Kampf gegen eine Reihe von Fischern, die in aller Öffentlichkeit die Besatzungen der Patrouillenboote dadurch herausfordern, daß sie die Fischereischutzbestimmungen mißachten. Es sind zumeist Chinesen, Griechen und Italiener, harte Burschen, die mit verbotenen Netzen auf Fang gehen, sich nicht um Schonzeiten kümmern und fremde Fischgründe plündern. Wie es Jack und Charley immer wieder gelingt, die Fischpiraten zu überlisten – oft unter lebensgefährlichen Umständen – und ihnen das Handwerk zu legen, das schildert der Autor in diesen sieben lebendig und spannend geschriebenen Erzählungen.

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Jack London

Fischpiraten

Abenteuer bei der Fischereipatroullie

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorspann

 

Bookworm Klassiker – Band 3

Jack London – Fischpiraten

1. eBook-Auflage – Februar 2014

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung eines Fotos von http://www.gratis-foto.eu/

Übersetzung: Chris Schilling

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

Jack Londoner

 

Fischpiraten

 

 

 

Weiß und Gelb

 

Die San-Francisco-Bay ist so groß, dass ihre Stürme den in See gehenden Schiffen oft gefährlicher werden können als selbst Orkane auf den Weltmeeren. In den Gewässern der Bai tummeln sich Fische aller Arten; deshalb durchpflügen ihren Wasserspiegel die Kiele von allen möglichen Fischer­booten, die wiederum mit allen möglichen Arten von Fi­schersleuten bemannt sind. Um den Fischbestand vor die­sem bunt zusammengewürfelten, betriebsamen Fischervolk zu schützen, sind viele Gesetze erlassen worden, und es wurde eine Fischereischutzpatrouille auf gestellt, die dafür zu sorgen hatte, dass diese Gesetze auch eingehalten wur­den. Wer Dienst bei der Patrouille machte, erlebte aufre­gende Zeiten. Ihre Geschichte berichtet von manchem To­ten, den sie bei Niederlagen in ihren eigenen Reihen zu beklagen hatten, doch als Zeichen ihres Erfolges viel öfter von Fischern, die der Tod inmitten ihrer widerrechtlich aus­gelegten Netze ereilte.

Am zügellosesten unter den Fischräuber nwaren ohneZweifel die chinesischen Krabbenfänger. Es ist eine Eigenart der Krabben, dass sie in großen Scharen auf dem Grund ent­lang kriechen, bis sie Süßwasser erreichen, dass sie dann umkehren und wieder zum Salzwasser zurück wimmeln. Und dort, wo der Tidenstrom geht und kommt, senken die Chinesen große sackartige Fangnetze mit weiten Öffnun­gen auf den Grund ab, in die die Krabben hineinkriechen und von wo aus sie dann in die Kochkessel befördert wer­den. Das wäre an sich nicht schlimm; aber ihre Netze ha­ben so feine Maschen, dass nicht einmal die kleinsten Fi­sche, winzige frisch geschlüpfte Dinger von kaum einem halben Zentimeter Länge, durch sie hindurch können. Die wunderschönen flachen Ufer von Point Pedro und Pablo, an denen die Dörfer der Krabbenfänger liegen, werden durch den Gestank verpestet, den Myriaden verwesender Fische verbreiten; deshalb ist es seit eh und je die Aufgabe des Fischereischutzes gewesen, gegen diese sinnlose und verheerende Vernichtung der Jungfische einzuschreiten. Als ich noch ein junger Mann von sechzehn Jahren war — ein guter Segler, der jede Ecke und jede Untiefe der Bai kannte —, wurde meine Sloop, die >Reindeer<, von der Fischereischutzbehörde gechartert, und ich wurde durch die­sen Umstand ein bevollmächtigter Angehöriger der Pa­trouille. Es hatte für uns eine Menge Arbeit und Ärger mit den griechischen Fischern auf der Oberen Bai und den Flüs­sen gegeben, wo gleich zu Beginn der Streitigkeiten Mes­ser blitzten und wo Männer nur dann bereit waren, sich zu ergeben, wenn man ihnen einen Revolver unter die Nase hielt. Deshalb jubelten wir fast vor Freude, als wir den Auftrag erhielten, einen Feldzug gegen die chinesischen Krabbenfänger zu starten.

Wir waren zu sechst in zwei Booten; und damit unser Plan nicht zu früh entdeckt wurde, segelten wir erst nach Ein­bruch der Dunkelheit los und ankerten im Schutze eines vorspringenden steilen Felsenufers, das Point Pinol heißt. Als sich der Himmel im Osten im ersten Licht der Däm­merung schwach zu erhellen begann, machten wir uns wie­der auf den Weg, nutzten den Landwind und liefen hart am Wind quer über die Bai in Richtung Point Pedro. Der Morgennebel kräuselte sich und lag auf dem Wasser, so dass wir nichts sehen konnten; mit heißem Kaffee versuch­ten wir, das Frösteln aus unseren Knochen zu vertreiben. Außerdem mussten wir uns mit elender Lenzerei abquälen, denn unbegreiflicher weise war im Rumpf der >Reindeer< ein großes Leck aufgesprungen. Wir hatten die halbe Nacht damit zugebracht, den Ballast umzupacken, um die undich­te Stelle zu finden; aber unsere Plackerei war ohne Erfolg geblieben. Das Boot machte weiter Wasser, und notge­drungen mussten wir uns auf den Boden der Plicht hocken und es wieder herausschöpfen.

Nach dem Kaffee gingen drei von uns auf das andere Boot, ein Lachsboot vom Columbia-Fluss; wir blieben zu dritt auf der >Reindeer< zurück. Dann liefen beide Boote neben­einander her, bis sich die Sonne am östlichen Horizont zu zeigen begann. Ihre feurigen Strahlen vertrieben die Ne­belschwaden, und dort, vor unseren Augen, lag wie auf einem Gemälde die Flotte der Krabbenfänger, ausgebrei­tet in der Form eines Halbmonds, dessen beide Enden gute drei Meilen voneinander entfernt waren. Jede Dschunke hatte an der Boje eines Krabbennetzes festgemacht; kein Laut war zu hören, kein Lebenszeichen.

Diese Situation brachte uns auf eine gute Idee. Alle Chi­nesen waren unter Deck gegangen, um bis zum Eintritt des Stauwassers zu schlafen und dann ihre schweren Netze vom Grund der Bai hochzuholen. Das versetzte uns in gute Stimmung, und schnell hatten wir unseren Schlachtplan festgelegt.

»Setz je einen deiner zwei Leute auf einer Dschunke ab«, flüsterte mir Le Grant vom Lachsboot aus zu. »Du selbst machst an der dritten fest. Wir werden das gleiche tun, und es müsste schon ganz dumm kommen, wenn wir nicht wenigstens sechs Dschunken aufbringen sollten.«

Dann trennten wir uns. Ich ging mit der >Reindeer< über Stag und lief weiter, bis ich in Lee einer Dschunke war. Dann ging ich in den Wind, verlor dadurch an Fahrt und

trieb langsam und so dicht am Heck der Dschunke vorbei, dass einer meiner Leute leicht übersteigen konnte. Sofort drehte ich ab, bis das Großsegel wieder Wind fing, und machte rasche Fahrt auf die zweite Dschunke zu.

Bis zu diesem Augenblick war kein Laut zu hören gewesen; doch plötzlich erhob sich auf der ersten Dschunke, die von dem Lachsboot aufgebracht worden war, lauter Tumult — schrille orientalische Schreie, ein Revolverschuss und noch mehr Geschrei.

»Jetzt ist alles aus. Das wird die anderen warnen«, sagte George, der Patrouillenmann, der noch an Bord war und neben mir in der Plicht stand.

Wir befanden uns in diesem Augenblick in der Mitte der Flotte.Der Alarm verbreitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit, auf den Decks begann es von verschlafenen und halbnackten Chinesen zu wimmeln. Warnrufe und Wut­schreie flogen über das stille Wasser, irgendwo wurde ein Muschelhorn durchdringend geblasen. Rechts von uns sah ich, wie der Kapitän einer Dschunke den Festmacher mit einem Beil kappte, dann sprang er seinen Leuten zu Hilfe, die das riesige fremdländische Segel vor hissten. Auch zu unserer Linken tauchten auf einer anderen Dschunke schon die ersten Köpfe von unten auf; schnell ging ich mit der >Reindeer< längsseits, und es reichte, dass George an Bord springen konnte.

Die ganze Flotte war nun in Bewegung geraten. Zusätz­lich zu ihren Segeln hatten sie lange Riemen zu Hilfe ge­nommen. Die Bucht wimmelte von Dschunken, die in alle Himmelsrichtungen zu fliehen versuchten. Ich befand mich nun allein auf der >Reindeer< und war fieberhaft bemüht, noch eine dritte Prise aufzubringen. Bei der ersten Dschun­ke, deren Verfolgung ich aufnahm, hatte ich keinen Erfolg, weil sie die Schoten dicht holten und erstaunlich schnell am Wind davon schossen. Sie konnte um gut einen halben Strich höher an den Wind gehen als die >Reindeer< und segelte mich aus; ich bekam Respekt vor den ausgezeichneten Se­geleigenschaften dieses sonst so schwerfällig wirkenden Fahrzeugs. Da ich also einsehen musste, dass eine weitere Verfolgung hoffnungslos wäre, drehte ich ab, fierte die Großschot und lief raumschots weiter, wobei ich nun die Dschunken, zu deren Nachteil, in Lee hatte.

Die Dschunke, auf die ich es jetzt abgesehen hatte, zickzack­te unentschlossen vor mir her; doch als ich einen weiten Bogen lief, um leichter längsseit gehen zu können, brasste sie plötzlich die Segel und schoss ebenfalls davon. Die dun­kelhäutigen Mongolen schrien, über ihre Riemen gebeugt, einen wilden Rhythmus. Aber darauf hatte ich mich schon vorbereitet. Ich luvte plötzlich an, gab hart Ruder und hielt die Pinne mit dem Rumpf; gleichzeitig holte ich während der Fahrt Hand über Hand die Großschot dicht, um mei­nen Gegner mit voller Wucht zu treffen. Die beiden Steu­erbordriemen der Dschunke zersplitterten, und mit lautem Krachen stießen beide Boote zusammen. Der Bugspriet der >Reindeer< griff wie eine riesige Hand hinüber und riss den Mast der Dschunke mitsamt dem hochragenden Segel her­aus.

Das löste ein entsetzliches Wutgeschrei aus. Ein großer Chinese, der auffallend bösartig wirkte, um den Kopf ein großes gelbes seidenes Schnupftuch wie eine Binde gewickelt trug und im Gesicht von Pockennarben schlimm ent­stellt war, stemmte zornig einen Bootshaken gegen den Bug der >Reindeer< und begann, die ineinander verkeilten Schiffe auseinander zuschieben. Ich nahm mir nur soviel Zeit, um das Klüverfall zu fieren, und genau in dem Au­genblick, als die >Reindeer< freikam und achteraus sackte, sprang ich mit einer Leine an Bord der Dschunke und be­legte sie dort. Der mit dem gelben Schnupftuch und dem pockennarbigen Gesicht kam drohend auf mich zu; aber ich steckte eine Hand in die Hosentasche — da verharrte er zögernd. Ich war unbewaffnet, aber die Chinesen haben gelernt, sich amerikanischen Hosentaschen gegenüber ganz besonders vorsichtig zu verhalten. Nur deshalb würde ich ihn und seine wilde Mannschaft mit einiger Sicherheit auf Abstand halten können.

Ich befahl ihm, vom Bug der Dschunke aus Anker zu wer­fen, aber er antwortete drauf: »Nix velstehn.«

Wie üblich reagierte die Crew genau wie ihr Kapitän; und obwohl ich ihnen mit Handzeichen meinen Befehl deutlich zu machen versuchte, lehnten sie es rundweg ab, mich zu verstehen. Mir wurde klar, dass es unzweckmäßig wäre, lange hin und her zu reden. Ich ging also selbst nach vorn, machte die Ankertrosse klar und ließ den Anker fallen. »Jetzt übersteigen, vier von euch!« sagte ich mit lauter Stimme und deutete mit meinen Fingern an, dass vier von ihnen mit mir zu kommen und der fünfte auf der Dschunke zu bleiben hatte. Gelbes Schnupftuch zögerte unschlüssig; aber ich wiederholte meinen Befehl energisch (viel energi­scher, als mir eigentlich zumute war) und griff gleichzeitig mit der Hand in die Tasche. Wieder gelang es mir, Gelbes Schnupftuch damit einzuschüchtern; mit verdrossenem Blick begleitete er drei seiner Leute an Bord der >Reindeer<. Ich legte sofort ab, ließ aber den Klüver unten und steuerte auf Georges Dschunke zu. Dort ging alles leichter, weil wir zu zweit waren und George einen Revolver hatte, auf den wir hätten zurückgreifen können, wenn es zum Schlimm­sten gekommen wäre. Und auch hier wurden, wie bei mei­ner Dschunke, vier Chinesen auf meine Sloop hinüberge­bracht, und nur einer blieb als Wachtposten zurück.

Von der dritten Dschunke wurden unserer Passagierliste noch vier weitere hinzugefügt. Inzwischen hatte auch das Lachsboot seine zwölf Gefangenen eingesammelt und kam längsseits, völlig überladen. Am schlimmsten war, dass die Patrouillenleute auf dem kleinen Boot so zwischen ihren Gefangenen eingekeilt waren, dass sie, sollte es eventuell Ärger mit diesen geben, kaum eine Chance gehabt hätten, mit heiler Haut davonzukommen.

»Ihr werdet uns helfen müssen«, sagte Le Grant.

Ich warf einen Blick auf meine eigenen Gefangenen, die sich in und auf der Kajüte zusammengedrängt hatten.

»Ich kann noch drei übernehmen«, antwortete ich.

»Kannst du nicht vier nehmen?« schlug er vor. »Dann neh­me ich Bill mit.«

Bill war der dritte Patrouillenmann.

»Wir haben hier keine Ellenbogenfreiheit, und falls es ein Handgemenge geben sollte, wäre ein Weißer auf zwei von ihnen genau das richtige Verhältnis.«

DerTausch wurde gemacht,das Lachsboot setzte sein Sprietsegel und nahm baiabwärts Kurs auf die Marschen in Höhe von San Rafael. Ich setzte auf der >Reindeer< den Klüver und folgte ihm. San Rafael, wo wir unseren Fang den Be­hörden übergeben wollten, war mit der Bai durch einen langen, gewundenen Sumpf - oder Marschlandfluss verbun­den, der nur bei Flut schiffbar war. Jetzt hatten wir Stau­wasser, und wegen der bald einsetzenden Ebbe war Eile geboten, wenn wir nicht einen halben Tag auf die nächste Flut warten wollten. Mit der steigenden Sonne war jedoch die Landbrise immer schwächer geworden, und jetzt weh­te sie nur noch wie ein schwacher Luftzug. Auf dem Lachs­boot nahmen sie die Riemen zu Hilfe und ließen uns bald weit achteraus.

Einige Chinesen hielten sich im vorderen Teil der Plicht, in der Nähe des Niedergangs, auf; und als ich mich einmal in der Plicht über die Reling beugte, um die Klüverschot etwas durchzusetzen, merkte ich, wie jemand meine Ho­sentasche berührte. Ich ließ mir nichts anmerken, aber aus dem Augenwinkel sah ich, dass Gelbes Schnupftuch ent­deckt hatte, dass meine Tasche, die ihn bisher in Schach ge­halten hatte, leer war.

Zu allem Überfluß kam hinzu, dass bei der Aufregung, als wir die Dschunken enterten, die >Reindeer< nicht gelenzt worden war; das Wasser begann bereits über den Boden der Plicht zu schwappen. Die Krabbenfänger deuteten mit den Fingern darauf und sahen mich fragend an.

»Ja«, sagte ich, »man los, alle luntell, fix, fix, und schöpft, schöpft, velstanden?«

Nein, sie >vellstanden< nicht, oder sie schüttelten wenig­stens so mit dem Kopf, als wenn sie nicht verstünden. Doch in ihrer Sprache schnatterten sie in einer Weise miteinan­der, als wenn sie sehr wohl begriffen hätten, was ich mein­te. Ich hob drei oder vier Bodenbretter hoch, holte aus ei­ner Backskiste einige Emer heraus und forderte sie in unmissverständlicher Zeichensprache auf, sich ans Lenzen zu machen.

Doch sie lachten nur; einige verzogen sich in die Kajüte, die anderen kletterten auf das Kajütdach.

Ihr Lachen hatte offensichtlich nichts Gutes zu bedeuten. Es lag eine Andeutung von Drohung und Tücke darin, die ihre finsteren Mienen bestätigten. Seit Gelbes Schnupftuch meine leere Tasche entdeckt hatte, trug er ein unverschäm­tes Gebaren zur Schau, schlich zwischen den anderen um­her und redete eifrig auf sie ein.

Ich schluckte meinen Ärger hinunter, stieg selbst in die Plicht und begann, das Wasser auszuschöpfen. Aber kaum hatte ich damit angefangen, schwang der Baum aus, das Großsegel füllte sich mit einem Ruck, und die >Reindeer< legte sich weit über. Die Morgenbrise hatte eingesetzt. George war die schlimmste aller Landratten, deshalb sah ich mich gezwungen, das Ösen aufzugeben und wieder ans Ruder zu gehen. Der Wind blies direkt von Point Pedro und den dahinterliegenden hohen Bergen, und deshalb war er böig und unstetig; zeitweise bauschte er die Segel auf, dann wieder hingen sie schlaff herunter.

George war in allem der hilfloseste Mann, dem ich je be­gegnet war. Neben allen seinen anderen Unzulänglichkei­ten hatte er auch noch die Schwindsucht, und ich wusste, dass er bei einem bloßen Versuch, Wasser zu schöpfen, einen Blutsturz bekommen könnte. Doch das steigende Wasser ließ mir keine Ruhe, es musste etwas geschehen. Noch ein­mal forderte ich die Gefangenen auf, sich am Lenzen zu beteiligen. Sie lachten darauf nur höhnisch, und zwischen jenen in der Kajüte, denen das Wasser bereits bis an die Knöchel reichte, und denen auf dem Kajütdach flogen Zu­rufe hin und her.

»Das beste wird sein, du nimmst dein Schießeisen und bringst sie damit zum Schöpfen«, sagte ich zu George.

Aber der schüttelte nur den Kopf und ließ sich allzu deut­lich anmerken, dass er Angst hatte. Auch die Chinesen be­merkten, was für einen Bammel er hatte, und ihre Frech­heit wurde immer unerträglicher. Die in der Kajüte brachen die Vorratsschränke auf, und die von oben kletterten zu ihnen hinunter, um mit ihnen gemeinsam unsere Kekse und Dosenlebensmittel zu verzehren.

»Was kümmert’s uns?« sagte George wie ein Schwächling. In mir begann es vor ohnmächtigem Zorn zu kochen: »Wenn wir nicht mehr die Oberhand haben, wird es zu spät sein, sich darum zu kümmern. Deshalb ist es das beste, du bringst sie jetzt gleich zur Räson.«

Das Wasser stieg höher und höher, und die Böen, die Vor­läuferer der Morgenbrise, wurden immer steifer. Zwischen den einzelnen Böen begannen jetzt die Gefangenen, die unsere ganze Wochenverpflegung verputzt hatten, von einer Seite zur anderen zu laufen, so lange, bis die >Reindeer< wie eine Nussschale ins Schwanken geriet. Gelbes Schnupftuch näherte sich mir und deutete auf sein Dorf am Ufer von Point Pedro. Er gab mir zu verstehen, dass ich dorthin steuern sollte und dass sie sich als Gegenleistung dafür ans Schöpfen machen würden. Zu diesem Zeitpunkt stand das Wasser in der Kajüte bis zu den Kojen, und das Bettzeug troff bereits vor Nässe. In der Plicht schwappte es fußhoch über der Gräting. Trotzdem lehnte ich es ab, sie dort an Land zu setzen; und an Georges Gesicht konnte man ab­lesen, wie enttäuscht er darüber war.

»Wenn du dir anmerken lässt, dass du überhaupt keine Ner­ven mehr hast, dann werden sie uns überwältigen und über Bord werfen«, sagte ich zu ihm. »Du solltest mir deinen Revolver geben, wenn du mit heiler Haut davon kommen willst.«

»Am sichersten wäre es, sie einfach an Land zu setzen«, schwatzte er wie ein Feigling, »denn ich für mein Teil möchte nicht wegen einer Handvoll dreckiger Chinesen er­saufen.«

»Und ich für mein Teil denke nicht daran, einer Handvoll dreckiger Chinesen nachzugeben, um nicht ersäuft zu wer­den«, antwortete ich verbittert.

»Auf diese Art wirst du aber die >Reindeer< und uns alle versenken«, jammerte er, »und wozu das gut sein soll, weiß ich wirklich nicht.«

»Jeder nach seinem Geschmack«, erwiderte ich bissig.

Er antwortete nicht, aber ich konnte sehen, dass er erbärm­lich zitterte. Weil die Chinesen sich immer drohender ver­hielten und das Wasser immer höher stieg, war er vor Angst außer sich. Ich begann mir seinetwegen mehr Sorgen zu machen als wegen der Chinesen und wegen des Wassers, weil ich nicht wusste, wozu ihn seine Furcht wohl treiben könnte. Ich merkte, dass er sehnsüchtige Blicke nach dem kleinen Beiboot warf, das wir achtern hinterher schleppten. Bei der nächsten Flaute zog ich kurz entschlossen das Bei­boot längsseit. Seine Augen weiteten sich hoffnungsvoll;

Doch bevor ihm meine Absicht klarwerden konnte, schlug ich mit einem Handbeil ein Loch in den dünnen Boden, und das Beiboot lief bis zu den Dollbords voll Wasser. »Jetzt werden wir gemeinsam durchhalten oder gemein­sam untergehen«, sagte ich, »und wenn du mir jetzt deinen Revolver gibst, dann wird die >Reindeer< im Nu gelenzt sein.«

»Aber das sind doch zu viele für uns«, jammerte er. »Mit so vielen werden wir allein nicht fertig!«

Angeekelt drehte ich ihm den Rücken zu. Das Lachsboot war längst hinter der kleinen Inselgruppe, den Marin Is­lands, aus unserer Sicht verschwunden; von ihm konnten wir also keinen Beistand erwarten. Gelbes Schnupftuch kam betont lässig auf mich zu, das Wasser in der Plicht klatschte dabei gegen seine Beine. Sein Anblick war mir widerlich. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich hinter seinem freundlichen Lächeln, das unecht und falsch wirkte, eine böse Ab­sicht verbarg. Ich befahl ihm zurückzubleiben, und zwar so scharf, dass er gehorchte.

»Bleib, wo du bist«, kommandierte ich, »und komm mir ja nicht näher!«

Wallum denn?« tat er entrüstet. »Ich denken, splechen-splechen sein viel bessell.«

»Splechen-splechen«, schrie ich ergrimmt, weil mir nun klar war, dass er alles verstanden hatte, was zwischen George und mir vorgegangen war. »Was heißt hier splechen-splechen? Du doch nix viel velstehn splechen-splechen.«

Sein Grinsen war widerwärtig. »Päh, velstehen sehllgutt, ich ährlichen Chinamann.«

»Na gut«, sagte ich, »wenn du velstehen splechen-splechcn, dann schöpf du Wasser viel-viel! Dann wiel splechen-splechen.«