Flore und Blanscheflur - Sophie Bernhardi - E-Book

Flore und Blanscheflur E-Book

Sophie Bernhardi

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Beschreibung

Der Text des Epos aus dem 13. Jahrhundert in der Bearbeitung von Bernhardi. Neben den 12 Gesängen enthält dieses Werk auch die Vorworte der Autorin und des Herausgebers von Schlegel.

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Flore und Blanscheflur

Sophie Bernhardi

Inhalt:

Sophie Bernhardi – Biografie und Bibliografie

Flore und Blanscheflur

Vorrede

Vorrede des Herausgebers

Erster Gesang

Zweiter Gesang

Dritter Gesang

Vierter Gesang

Fünfter Gesang

Sechster Gesang

Siebenter Gesang

Achter Gesang

Neunter Gesang

Zehnter Gesang

Eilfter Gesang

Zwölfter Gesang

Evremont, S. Bernhardi

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849606978

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Sophie Bernhardi – Biografie und Bibliografie

Eigentlich Sophie Tieck, deutsche Dichterin und Schriftstellerin der Romantik, geboren am 28. Februar 1775 in Berlin; gestorben am 1. Oktober 1833 in Tallinn. Schwester des berühmten Schriftstellers Ludwig Tieck und des Bildhauers Friedrich Tieck. Heiratete 1799 einen Freund Ludwigs (August Bernhardi), später folgte die Scheidung. Mit ihrem zweiten Mann, Baron Karl Georg von Knorring, zieht sie dann nach Estland.

Wichtige Werke:

Bambiocciaden, 1797 - 1800Julie Saint Albain. Dresden 180Wunderbilder und Träume in elf Märchen. 1802Dramatische Phantasien. 1804Evremont, 1836Flore und Blancheflur, 1822 (episches Gedicht).

Flore und Blanscheflur

Vorrede

Schon vor mehreren Jahren habe ich mich mit der Bearbeitung des vorliegenden Gedichtes beschäftigt; verschiedene Umstände, vor allem aber meine lange Abwesenheit aus Deutschland, haben mich bis jetzt verhindert, es dem Drucke zu übergeben, welches ich nun mit einiger Schüchternheit thue, weil ich sehr wohl weiß, welche schwierige Aufgabe ich mir selber gemacht habe, und also mit Recht zweifle, ob es mir gelungen ist, sie zur Befriedigung der Kenner der Poesie zu lösen.

Bei dem jetzt allgemein verbreiteten Studium der altdeutschen Poesie darf ich mit Recht voraussetzen, daß das aus dem Mittelalter auf uns gekommene Gedicht: Flore und Blanscheflur, gekannt ist, und also die Vergleichung mit meiner Arbeit leicht wird, woraus sich dann von selbst ergiebt, ob mein Unternehmen Rechtfertigung verdient, oder ob ich so unglücklich gewesen bin, meinen Zweck zu verfehlen, es sey mir nur erlaubt noch einige Gründe anzuführen, weshalb diese Behandlung des Stoffes von mir gewählt wurde.

Unter den uns bekannten Gedichten des Mittelalters zog mich besonders der reizende Gedanke von Flore und Blanscheflur an, die Natur der Blumen in der Liebe zweier Kinder darzustellen, denn wie die Bilder der Rose für Flore und der Lilie für Blanscheflur immer wiederkehren, so dient der zarte Glanz und die liebliche Farbe dieser Blumen immer dazu, in allen Wendungen der Rede die Schönheit der Kinder zu verherrlichen, wie der anmuthige Duft der Blüten, gleichsam den Hauch bezeichnet, der in den süßesten Reimen ihre Liebe spricht. Ein anderer Grund der mich bestimmte, liegt in der großen Unvollkommenheit des altdeutschen Gedichts, denn es schien mir eben deshalb erlaubt, nur die Grund-Idee des Alten zu behalten, und im Uebrigen frei bei der Ausschmückung des Ganzen meiner Neigung zu folgen.

Es hat sich mir oft der Gedanke aufgedrängt, daß, wie wir das altdeutsche Gedicht besitzen, es vielleicht mehr als ein Versuch sich in der Poesie zu üben betrachtet werden muß, als daß es die Forderungen befriedigte die man zu machen berechtigt ist, wenn es als das Werk eines Meisters betrachtet werden sollte; denn, einzelne schöne Stellen abgerechnet, bewegt sich das Ganze ohne Kunst, und die kurzen Verse mit aufeinander folgenden Reimen sind ohne Wahl und Geschmack nach einander hingestellt, so daß sie nur mühsam dienen, den trägen Gang der Geschichte zu erzählen, die, wie ich glaube, in dem Gedicht selbst die Bedeutung verloren hat, indem nur fragmentarisch, wie es mir scheint, die einzelnen Schönheiten einer damals berühmten und bekannten Liebesgeschichte benutzt sind. Ich habe gesucht mehr Einheit und Zusammenhang in das Gedicht zu bringen, und zugleich mit mehr Mannigfaltigkeit es auszuschmücken; deshalb habe ich die Keuschheits-Probe gegen den Schluß nicht fallen lassen, obgleich der strenge Ameral seinen Sinn ändert; denn mir scheint, um ihn vollkommen zu überwinden, ist sie unerläßlich nöthig, abgerechnet, daß wenn diese Probe der Keuschheit ganz vergessen wird, ein unnützer Aufwand von Fantasie gemacht ist, um früher diesen höchsten Zauber zu beschreiben. Auch glaube ich, muß der Ameral nicht bloß die Lehre bekommen, daß der höchste Scharfsinn, den er anwendet seine Frauen zu verschließen, dennoch ohnmächtig gegen die Liebe ist, sondern er muß sich auch überzeugen, daß bei der Reinigkeit des Herzens die Unschuld der Sitten auch bei der traulichsten Nähe nicht verletzt wird. Dies scheint mir der Sinn des alten Gedichts zu seyn und deshalb sind Blumen als das Unschuldigste in der Natur zum Bilde gewählt, und deshalb kommt der Poet immer wieder darauf zurück, wenn sie auch in höchster Zärtlichkeit schwelgen, daß ihre Liebe derjenigen der Engel gleicht. Bei dieser höchsten Blumen-Unschuld ist es natürlich nicht zu vermeiden, daß der endliche Schluß, die eheliche Verbindung, aus dem Ton, aus dem Character des Ganzen fällt, und die Frömmigkeit, die über den Rest ihres Lebens gebreitet wird, kann den Mißton nicht aufheben. Diesen Fehler hat mein Gedicht mit dem alten gemein, und ich gestehe, daß meine Fantasie mir kein Mittel bot, ihn zu vermeiden, denn die Art, wie ihn Boccaccio in seiner Bearbeitung desselben Gegenstandes vermieden hat, heißt das ganze Gedicht aufheben. Dieser Meister in der Darstellung und Redekunst hat seine ihm eigenthümliche Schönheit hinein gebracht. Der Satan selbst bestimmt den König Felix die Pilger zu erschlagen, und schöne Reden werden von ihm wie von den Pilgern gehalten; Flore selbst tritt schon in Kinderjahren als Held auf, indem er Riesen erschlägt und dergleichen Heldenthaten ausübt. Wie er später in den Thurm eindringt zu seiner ihm entrissenen Blanscheflur, so ist ihr Beysammenseyn nicht, wie im alten Gedicht gesagt wird, »in lieber Unschuld die den Engeln glich;« und als der strenge Ameral sein Daseyn entdeckt, läßt er ihn mit seiner jungen Freundinn entkleidet zum Fenster hinaus hängen, welches auf eine unangenehme Weise an Mars und Venus erinnert, wie sie sich im goldnen Netze befanden, so daß am Ende in diesem Werke des großen italienischen Meisters für mich nichts störend ist, als daß die Kinder mit Rosen und Lilien, wie im alten Gedicht verglichen werden. Doch auch Boccaccio's Werk ist in Deutschland bekannt, und man kann, wenn mein Versuch bedeutend genug erscheint, ihn auch mit diesem vergleichen. Ich habe gesucht meinem Gedichte den innern Zusammenhang zu geben, der dem alten mangelt, indessen gebe ich gerne zu, daß mein Versuch nicht vollkommen gelungen ist; das alte Gedicht ist zu fragmentarisch, und ich wollte mir nicht zu viele Willkührlichkeiten erlauben. Auch habe ich, um die ermüdende Einförmigkeit zu vermeiden, die einem Gedichte so leicht beigesellt ist, das sich um wenige Gedanken dreht, mir alle die Ausschmückungen erlaubt, welche mein Vorbild nur schwach andeutet. So habe ich die Annäherung, Erklärung und Vereinigung zweier liebenden Gemüther leise durch die Einleitungen der zwölf Gesänge geschlungen, aus denen mein Gedicht besteht. Eben so habe ich in diesen Einleitungen, die, in der Zeit worin die Erzählung des Gedichts angenommen wird, bekanntesten Liebesgeschichten angebracht, wie in dem Gedicht selbst, die in der Mythologie berühmtesten; beides ist schwach angedeutet in dem alten Gedicht, indem in der Einleitung Tristan und Isalde erwähnt wird, so wie im Laufe der Geschichte Dido und Aeneas.

Statt der höchst ermüdenden kurzen Verse, mit aufeinander folgenden Reimen, welche nicht die mindeste Kunst erfodern, habe ich die italienische Form der Ottave rime gewählt, die sich durch den Character künstlerischer Bildung, den sie an sich tragen, vorzüglich für das erzählende Gedicht eignen, und mir ganz besonders zweckmäßig für Flore und Blanscheflur schienen, weil durch die dreimal abwechselnden Reime sich in der Form schon eine gewisse Zärtlichkeit ausdrückt, die in den beiden Schlußreimen gleichsam eine sanfte Befriedigung findet. Ich glaube nicht, daß man mich um dieser Behauptung willen des Mysticismus beschuldigen wird, ob man gleich in der neuesten Zeit diesen Vorwurf oft sonderbar mißbraucht hat, denn ich glaube, daß die Alten die Poesie deswegen die Sprache der Götter nannten, und daß Sänger und Dichter gleichbedeutend sind, weil die Poesie die Musik welche in jeder Sprache sich befindet, vorherrschend macht, und wie die Musik zärtlich, andächtig, flehend, zürnend, kriegerisch, triumphirend seyn kann: so, ohne Frage, auch die Poesie, und zwar nicht allein dem Geiste und Worte nach, sondern auch in der Form; und deshalb glaube ich keineswegs, daß es gleichgültig ist, welche Form der Poesie gewählt wird, um diese verschiedenen Empfindungen auszudrücken.

Daß ich diese Form gewählt habe, werden mich vielleicht scharfe Kritiker, trotz meiner Ansicht bedauren machen, denn sehr gewiß werde ich meine Aufgabe nicht überall so glücklich gelöst haben, daß dem Tadel kein Raum bliebe; doch läßt sich auch hoffen, daß billiggesinnte Kunstrichter die große Schwierigkeit berücksichtigen werden, womit besonders in dieser Form der Poesie gekämpft werden muß. Trift mich aber auch die schärfste Kritik, so muß ich mich damit trösten, daß selbst Torquato Tasso in seinem befreiten Jerusalem nicht von allem Tadel frei bleibt, was die Form anbetrifft, denn seine Stanzen zerfallen häufig in zwei Theile, und man kann sich zuweilen eine etwas ermüdende Eintönigkeit der Verse nicht abläugnen. Ist dies einem der grösten Meister der italienischen Poesie begegnet, in einer Sprache, worin man leichter den Wohllaut findet als vermeidet, so hoffe ich, man wird auch die Mängel in meinem Werk nachsichtig entschuldigen, denn mit dem größten, bis jetzt in dieser Form noch unübertroffenen Meister, Ariosto, wetteifern zu wollen, so weit hat mich mein Muth niemals geführt.

Es bleibt mir nun noch übrig zu bemerken, daß ich die altdeutsche Form der Sprache nur in sofern beibehalten habe, als sie vollkommen verständlich bleibt, und dazu beiträgt, den Wohllaut zu vermehren. So habe ich zuweilen die Endigungen der Alten: Freundinne statt Freundin, und Königinne für Königin behalten, weil es oft den Vers weicher macht, und oft der härtere männliche Reim dadurch vermieden wird. Da Flore und Blanscheflur ursprünglich aus dem Französischen herstammt, so, wie wohl alle Gedichte des Mittelalters, die sich auf Arthur und die Tafelrunde, oder auf Karl den Großen und seinen Hof beziehen; so finden sich im alten Gedicht viele Spuren französischer höflicher Redensarten, welche ich nicht verschmäht habe beizubehalten, als zum Beispiel, der häufig vorkommende Gebrauch der Redensart, mit Gnade, welches die wörtliche Uebersetzung des noch jetzt in der französischen Sprache üblichen, de grace, ist; eben so die Anrede: Königin, welches im verliebten Gespräch bloß Königin des Herzens bedeutet und keine andre Würde bezeichnen soll.

In vielen Gedichten des Mittelalters kommt der Ameral als eine Person von hoher Würde vor, welcher viele andere Könige untergeordnet sind, und auch in Flore und Blanscheflur nimmt er eine bedeutende Stelle ein. Ich habe einige Male in neuern Poesien diese Benennung Ameral, in Admiral verwandelt gefunden, welches ich für unrichtig halte, obgleich die Aehnlichkeit sehr nahe liegt; denn ein Admiral, wie reich, mächtig und angesehen er auch seyn mag, ist immer seinem Monarchen untergeordnet, und ihm können nicht viele Könige unterworfen seyn.

In der Beschreibung der Reise und Wallfahrt des Grafen Johann von Solms im Jahr 1483 nach dem gelobten Lande, werden drei Personen als die Regenten von Alt-Cairo, oder wie es dort geschrieben ist Alkayr, genannt, wovon der Erste der Soldan, der Nächste in der Ordnung der Amiraldus genannt wird, der Dritte Dyodarus. Von diesen dreien Regenten wird ausdrücklich gesagt, daß sie über die ganze Heidenschaft herrschen, und die verschiedenen Gebieter einsetzen. Noch in einer andern Reisebeschreibung aus derselben Zeit, kommt die Würde des Amerals vor, und wird ausdrücklich von ihm gesagt, daß ihm viele Könige unterthan sind; ich habe aber die mir hierüber aufgeschriebene Notiz verloren, und kann mich nicht auf den Titel des Buchs besinnen.

Nach diesen wenigen Bemerkungen, die es mir nothwendig schien meinem Werke voran zu schicken, muß ich es nun erwarten, welchen Eindruck die zärtliche Liebe dieser beiden Blumen-Kinder auf die Leser machen wird.

Sophie von Knorring.

Vorrede des Herausgebers

Seit einiger Zeit hat sich, nicht bloß in Deutschland, sondern auch in andern Ländern Europa's, eine lebhafte Neigung sowohl zu den Dichtungen, als zu geschichtlichen oder dichterischen Darstellungen des Mittelalters kund gegeben. Es ist vielleicht um so anziehender, sich in die vaterländische Vorzeit zu versetzen, je fremder ihre Sitte uns geworden, und je mehr die damalige Verfassung der Gesellschaft in der heutigen Wirklichkeit ausgelöscht ist. Glücklich begabte Dichter haben sich darin gefallen, ihre eignen Erfindungen in die Tracht der ritterlichen Zeit zu kleiden. Allein dieß ist ein bedenkliches Unternehmen: denn es steht kaum zu erwarten, daß eine freye Erdichtung menschlicher Leidenschaften, Handlungen und Lebens-Auftritte nicht in gewissem Grade das Gepräge ihrer Zeit tragen sollte: und wenn das der Fall ist, so wird das gewählte Costum nicht ganz zu dem Grundgewebe passen, und ein Mangel an sichrer Haltung zu spüren seyn. Ueberhaupt sind die einfachen, kräftigen, und eben deswegen gläubigen Zeitalter am glücklichsten im Erfinden; ich meine im Hervorbringen solcher Erdichtungen, die, wenn sie einmal vorhanden sind, in die Reihe der Wirklichkeiten einzutreten, und die Mannichfaltigkeit des Weltschauspiels zu bereichern scheinen. Ausbilden und vollenden hingegen, auch die bewußtlose Tiefe ergründen, ist der eigentliche Beruf solcher Zeitalter, in welchen die Besonnenheit und der zweifelnde Verstand vorwaltet.

Es dürfte also auf alle Weise das gerathenste seyn, bei einem solchen Vorhaben sich an die ächten und noch vorhandenen Dichtungen des Mittelalters anzuschließen. Hier ist durch die Bewegung der Charakter der Gestalten schon gegeben; die verloschenen Umrisse dürfen nur aufgefrischt, und mit ihren eigenthümlichen Farben ausgefüllt werden, um ein anschauliches Bild der ritterlichen Zeit in vollkommener Einstimmung mit sich selbst hervortreten zu lassen.

Man hat sich auf verschiedene Art bemüht, die zuvor ganz in Vergessenheit begrabenen alten Ritterromane wieder ans Licht zu ziehn. Zuvörderst durch prosaische Auszüge: dieß ist besonders in Frankreich geschehen, aber ohne Kritik, ohne Kenntniß der wahren Quellen, nach vergleichungsweise sehr späten und verfälschten Bearbeitungen, in einem gezierten Vortrage, der mit der Unschuld und Treuherzigkeit der Dichtungen in schneidendem Widerspruche stand; man schien die feine Lesewelt gleichsam um Verzeihung zu bitten, daß man sie von solchen Albernheiten unterhalte. Nur in Deutschland ist bisher eine beträchtliche Anzahl der in Versen abgefaßten Originale aus dem dreyzehnten Jahrhundert treu in der alten Sprache abgedruckt. In England, wiewohl man dort den Gehalt dieser Dichtungen zu ahnden anfängt, hat man sich meistens mit Proben begnügt, übrigens Auszüge, zum Theil ziemlich verständige, geliefert. In Frankreich, wo durch Raynouard's meisterhafte Arbeiten ein neues Licht über die Provenzalische Litteratur aufgeht, hat man im Nordfranzösischen nur von dem Fabliaux und dem allegorischen Roman von der Rose genaue Ausgaben veranstaltet; an die Ritterromane ist die Reihe noch gar nicht gekommen.

Indessen müssen sie, auch durch treue Abdrücke vor dem gänzlichen Untergange bewahrt, dennoch den meisten Lesern unzugänglich bleiben. Denn sie sind in einer veralteten Sprache geschrieben; und was das schlimmste ist, in einer Sprache, welche zwar schwer verständlich, aber doch die unsrige ist. Wenn es um den Genuß ausländischer Poesie zu thun ist, so versetzen wir uns willig zu dem Dichter auf sein eignes Gebiet. Hier aber wird man beständig durch die Erinnerung an den verschiedenen Sprachgebrauch, und die veränderte Geltung der Wörter gestört, und gelangt nur durch lange fortgesetzte und eigentlich gelehrte Uebung zu einem reinen Eindruck.

Es kommt jedoch ein viel wesentlicher Umstand hinzu, weswegen die alten erzählenden Gedichte nicht bloß einen Sprachausleger, sondern einen dichterischen Dollmetscher erwarten. Ihre Form ist meistens sehr unvollkommen: ich hoffe durch dieses Geständniß die Verehrer der Vorzeit um so weniger zu kränken, je entschiedener ich mich über den unermeßlich hohen Werth der Dichtungen selbst, und das Unvermögen der jetzigen Zeit, etwas ähnliches hervorzubringen, ausgesprochen habe. Die Erzählung ist unbeholfen: es fehlt ihr auf der einen Seite an rascher Gewandtheit und gedrängter Kürze, welche vorzüglich in den bloß zur Verständigung unentbehrlichen und des Schmuckes wenig empfänglichen Theilen erfodert wird; auf der andern Seite an gleichmäßig vertheilter, und in leichtem Schwunge vorübereilender Fülle. Es ist, als fühlten die Erzähler die Unzulänglichkeit ihrer Worte für das, was sie so treu und gemüthlich empfinden: sie wollen ihren Gegenstand erschöpfen, sie nehmen verschiedentlich einen neuen Anlauf, und verfallen in Weitschweifigkeit. Insbesondre wissen sie die Wendepunkte der Begebenheiten nicht genugsam herauszuheben, und weder allmählich vorzubereiten, noch zu verschweigen und auszusparen, wo Ueberraschung bewirkt werden soll. An diesen Gebrechen hat die unglücklich gewählte Versart der kurzen Reimpaare keinen geringen Antheil. Es ist nicht zu läugnen, die schnelle Folge der Reime hat den Dichtern oft befremdliche und störende Wendungen abgenöthigt, ja zuweilen Verse, die ganz wie müßige Einschiebsel aussehn. Diese Versart ist von einer auch dem geübtesten Vorleser unüberwindlichen Eintönigkeit: die kunstreicheren Meister haben diese, jedoch vergeblich, dadurch zu heben versucht, daß sie mit dem Sinne beständig aus einem Reimpaare in das andre hinüberschreiten, und also durch die Wortfügung, der Natur des Reimes zuwider, verbinden was er trennt, und trennen was er verbindet. Welcher Kunsterfahrene möchte es unternehmen, in dieser Versart ein langes erzählendes Gedicht durchzuführen? Bey dem Gebrauch des Reimes ist irgend eine Abtheilung in Strophen dazu ganz unentbehrlich. An dem Bruchstücke des ächten Titurel in vierzeiligen Strophen, einigermaßen auch noch an der Umarbeitung in siebenzeiligen, sieht man die günstige Rückwirkung einer schicklicher gewählten Form auf die Darstellung. Es versteht sich, daß wir nicht von dem Liede der Nibelungen reden, welches durch Ton und Farbe eben so wesentlich von den welschen Ritterromanen ausgesondert ist, als durch seine Heimath und die verschiedene Art der Entstehung. Von diesem Gedichte behaupte ich allerdings, und berufe mich dabey auf die schon gemachten Erfahrungen, daß es keine Erneuerung, die der Aussprache beym mündlichen Vortrage ausgenommen, weder bedürfe noch dulde, um lebendig auf die Gemüther zu wirken.

Wenn man mir im Obigen beystimmt, so wird man mir auch zugeben, den alten Ritterromanen sey nicht etwa damit zu helfen, wenn man durch Wegnahme des Unverständlichen, Ueberflüssigen und Mißfälligen stellenweise nachbesserte, im Ganzen aber Form und Manier beybehielte. Hiedurch würde nichts anderes bewirkt werden, als ein zwitterhaftes Wesen; eine unerlaubte Verfälschung des Alten, ohne daß doch ein wahrhaft Neues aufgestellt, und in sich selbst begründet wäre. Nein: man muß sich ganz an das Wesen halten, die Hülle aber fahren lassen; der Geist der alten Dichtung, aus einem künstlerischen Sinne wiedergebohren, muß sich aufs neue in einer sprechenden und einnehmenden Gestalt verkörpern. Eben dieses Recht haben die alten Dichter an ihren Vorgängern geübt, von welchen sie Ueberlieferung oder Erfindung überkamen: sie schmückten das Ererbte nach den Foderungen ihrer Zeitgenossen; wir müssen das Gleiche für die unsrigen thun, denn niemand kann für seine Altvordern schreiben.

Solche Gedanken haben mich oft beschäftigt, als ich der Poesie noch jugendliche Stunden zu widmen hatte. Meine Bewunderung für den Ariosto hielt mich nicht ab, sein wahres Verhältniß zu den Ritterromanen einzusehn. Er hat nur die späteren Bearbeitungen in Prosa gekannt, und an diesen schien ihm erlaubt, alle Willkühr zu üben: ihre Namen und Abentheuer dienten ihm nur zum Vorwande seiner fantastischen Einfälle. Er hat fremde Schätze mannichfaltig darauf zusammengehäuft, keinesweges aber die Dichtung aus ihren eignen Mitteln bereichert; er hat sie übertrieben, ohne sie natürlich zu entfalten. Seine künstlerische Meisterschaft lobt man am besten, wenn man sagt, was erweislich wahr ist, daß er sein Gedicht ohne einen Entwurf angefangen, und ohne einen Entwurf fortgeführt hat; daß er von Gesang zu Gesang, wie von Tage zu Tage gelebt; endlich daß er, während er den bunten Teppich ohne Maaß und Ziel fortwebt, dennoch die Wiederholung der Figuren zu verkleiden, und die Zuschauer bey der Betrachtung festzuhalten weiß. Wenn aber von Haltung und Einheit die Rede ist, so gestehe ich gern, daß ich den prosaischen Roman von Fierabras, so roh und wild er auch seyn mag, vorziehe; wenn von ergreifender Wirkung auf die Gemüther, daß im rasenden Roland nichts mit der Ertränkung des Rosses Bayard in den alten Heymons-Kindern verglichen werden kann. Unter den Italiänischen Dichtern hat Dante noch die ächten Ritterromane gekannt, und nach seiner großen Weise gefühlt: seine wenigen Erwähnungen, vom Lancelot (wer gedenkt nicht dieser?) vom Artus, vom Tristan, von Ronceval und Rolands gewaltigem Horn, haben einen ganz anders zauberischen Anklang als Ariosto's verschwendete und sich gegenseitig im Preise herabsetzende Wunder-Erscheinungen.

An einer Dichtung, mit deren tiefer Leidenschaftlichkeit nichts anders aus demselben Kreise verglichen werden kann, am Tristan, unternahm ich, was meinem Sinne vorschwebte, zu verwirklichen. Der erste Versuch schien mir hinlänglich gelungen zu seyn, um mich zu der Fortsetzung aufzumuntern; und ich würde das Werk rasch zu seinem Ziele fortgeführt haben, wenn ich nicht durch unglückliche Vorfälle unterbrochen worden wäre. Nachher ist es mir in einem mannigfaltig bewegten Leben niemals geglückt, den abgerissenen Faden wieder anzuknüpfen; so daß ich mich endlich entschloß, den ersten Gesang, nur als Zeugniß eines unvollendet gebliebenen Vorhabens, dem Publicum mitzutheilen.

Jetzt gewährt es mir eine ungemeine Befriedigung, was ich ehemals zu leisten mich bemüht hatte, an einer andern Lieblings-Dichtung des Mittelalters, mit zartem Sinne, mit leichter und glücklicher Hand, ausgeführt zu sehn. Die Geschichte von Flore und Blanscheflur ist eine anmuthige Kinder-Idylle unter den Ritterromanen. Sie war so allgemein beliebt, daß sie in alle Europäische Sprachen, worin man vom dreyzehnten bis zum sechszehnten Jahrhundert zu schreiben und zu dichten pflegte, verschiedentlich übertragen worden ist. Die bibliographischen Nachrichten hierüber, so wie über die Handschriften und Drucke, wird man leicht in den Büchern finden, wo man dergleichen zu suchen gewohnt ist. Den Geist der Dichtung hat mein Bruder Friedrich von Schlegel in seiner Nachricht von den poetischen Werken des Boccaccio bey Gelegenheit des Filocopo treffend geschildert. Die eben genannte Jugendschrift des berühmten Italiäners ist nämlich nichts anders als die Geschichte von Flore und Blanscheflur, aber durch gesuchte Pracht der Schreibart, durch die hinzugedichtete Einwirkung überirdischer Wesen unter heidnischen Namen, und allerley andere fremde Zuthaten zu einem weitläuftigen heroischen Roman in Prosa hinaufgeschraubt. An dieser unerträglichen Verkleidung eines lieblichen Mährchens kann man lernen, wie man es nicht machen muß, wenn man Dichtungen des Mittelalters erneuern will; aber der mit so großer Anstrengung unternommene ehrgeizige Versuch beweist wenigstens, daß im vierzehnten Jahrhundert die Geschichte auch in Italien volksmäßig verbreitet war, und in hohem Rufe stand.

Was den Ursprung des Romans von Flore und Blanscheflur betrifft, so ist die Meynung einiger Gelehrten, Spanien sey dessen Heimath, ohne allen Grund, und vielleicht nur durch den Schauplatz der Handlung in der ersten Hälfte veranlaßt worden. Die älteste bisher bekannt gewordene Behandlung ist die welsche, worauf unser alter Meister mit Nennung des Verfassers Robert von Orbent (wofern die Leseart richtig ist) sich beruft. Ob diese noch in der Königlichen Bibliothek zu Paris, oder sonst irgendwo vorhanden seyn mag, kann ich nicht sagen. Allein ich halte Frankreich dennoch nicht für das Geburtsland der Dichtung, und bin geneigt zu glauben, sie sey, wie so manche andre, aus dem Morgenlande, diese aber zunächst aus dem christlichen Morgenlande nach Europa gekommen, und vielleicht durch Vermittlung des Griechischen und Lateinischen in den lebenden Volkssprachen verbreitet worden. Der feindliche Gegensatz zwischen Christenthum und Islam fand im Occident eben so wohl Statt, als im Orient. Den Schauplatz und die Erwähnung der Pilgerfahrt zu St. Jakob von Compostella wird man nicht als eine erhebliche Einwendung anführen: die geographischen Angaben konnten bei der Uebertragung verändert werden: sie sind überdieß meistens verwirrt und unbestimmt genug; Boccaccio hat sie vollends unverantwortlich entstellt. Da ich gegenwärtig die Hülfsmittel nicht zur Hand habe, welche erfodert werden, um eine solche Spur weiter zu verfolgen, so gebe ich meine Ansicht für nichts weiter aus, als eine bloße Vermuthung. Aber da es bey uns Sitte geworden ist, die alten Gedichte nach Fabelkreisen zu ordnen, und ich sehe, daß Flore und Blanscheflur, wegen der am Schlusse beygefügten Genealogie, zu dem Fabelkreise von Karl dem Großen gerechnet wird, so finde ich nöthig zu bemerken, daß diese Dichtung mit jenem Fabelkreise nicht das mindeste zu schaffen hat, sondern, wo sie auch entstanden seyn mag, unabhängig für sich besteht. Ein solcher genealogischer Zusatz, ganz willkührlich ersonnen, war wohlfeilen Kaufs zu haben; und nichts ist bei den alten Erzählern gebräuchlicher, als dieses Mittel, die Namen ihrer Helden an schon berühmt gewordene anzuknüpfen.

Wir haben zwei Bearbeitungen in alten Reimen, die eine in Oberdeutscher, die andre in Niederdeutscher Mundart. Die letztere hat Bruns, Professor in Helmstädt, in einer Sammlung Niederdeutscher Gedichte herausgegeben; der gelehrte Eschenburg besaß eine bessere Handschrift davon. (S. dessen Denkmäler altdeutscherDichtkunst. S. 209 – 230.) Sie scheint sehr jung zu seyn: schwerlich darf man sie höher hinaufsetzen, als in die letzte Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts. Die Erzählung ist ungemein abgekürzt, ja sogar durch Weglassung der eigentlichen Züge (z. B. des Schachspiels, wodurch Flore des Pförtners Gunst gewinnt) häufig verstümmelt. Die Verse sind unförmlich, die Ausdrücke gemein, die bei jedem Abschnitte wiederholte bänkelsängerische Auffoderung, dem Vorleser zu trinken zu geben, ist wohl nur dem Abschreiber zuzurechnen. Aber das Ganze ist in dichterischer Hinsicht völlig werthlos. Der einzige Gesichtspunkt, aus welchem es einige Aufmerksamkeit verdienen möchte, ist die abweichende Angabe einiger Namen und Oerter, woraus hervorgeht, daß das Buch, auf welches der Niederdeutsche Verfasser sich beruft, nicht die vorhandene oberdeutsche Bearbeitung war. Vielleicht hat er mittelbar oder unmittelbar aus einer Lateinischen Quelle geschöpft. Die Vermuthung scheint durch die Abänderung der Namen in Flos und Blankflos begünstigt zu werden.

Das Oberdeutsche Gedicht von Floren und Blanscheflur ist durch C. H. Müller in der bekannten Sammlung zum Druck befördert worden: bis zur Unlesbarkeit fehlerhaft, wie alles, was durch die Hände dieses unwissenden Herausgebers gegangen ist. Der Verfasser hat, wie ich oben bemerkte, den Urheber der welschen Fabel, aber, gegen die Sitte des Zeitalters, nicht seinen eignen Namen genannt. Man nimmt an, er habe Herr Conrad Flecke geheißen, weil Rudolph Dienstmann von Montfort einen Ritter dieses Namens als Erzähler der Geschichte von Flore und Blanscheflur rühmt; wogegen auch nichts einzuwenden ist, so lange wir nur Eine so alte Behandlung kennen. Hieraus folgt dann, daß das Gedicht früher als Wilhelm von Orleans geschrieben worden. Der Verfasser spricht sehr bescheiden von sich selbst. Es war sein erster Versuch, und er glaubt deswegen auf Nachsicht Anspruch machen zu dürfen.

Wanne zu nuwen listen ist las

Ein vngeflissen synn.

Dis ist myn erste begynn,

Des soll ich genießen,

Indeß, wiewohl er weder an erfindungsreicher Tiefe mit Herrn Wolfram von Eschenbach, noch an blühender Anmuth mit Meister Gottfried von Straßburg, noch an gewandter Leichtigkeit und Fülle mit Meister Conrad von Würzburg verglichen werden kann, so fehlt es doch seiner Erzählung nicht an gemüthlichen Zügen, an treffenden Ausdrücken und Bildern, welche ganz unverändert noch jetzt gefallen können. Diese hat die Dichterin sorgsam bewahrt, oft einen versprechenden Keim entfaltet, zuweilen das ausführlich geschilderte zusammengedrängt. Was die Umstände der Geschichte betrifft, ist sie mit allem Rechte dieser ächtesten Ueberlieferung Schritt vor Schritt gefolgt, und hat sich nur da kleine Abweichungen erlaubt, wo ein verändertes Gefühl der Schicklichkeiten sie nothwendig machte. Auch diese Wendung ist dem alten Dichter abgeliehen, daß die Erzählung in einem ritterlichen Kreise von Herrn und Frauen, in einer lachenden Frühlings-Umgebung, durch eine edle Frau gleichsam wie vor einem Liebeshofe vorgetragen wird. Allein jener hat dieses nachher fahren lassen; hier ist hingegen dadurch zu Anfange jedes Gesanges ein Ruhepunkt gewonnen, wo statt der beim Ariost und den übrigen Italiänischen Erzählern von Rittergedichten üblichen allgemeinen Betrachtungen, an eine schon sonst bekannte romantische Dichtung, welche Beziehung auf die Lagen und Schicksale der Liebenden hat, erinnert wird. Mit kunstreicher Symmetrie ist dann in dem Laufe jedes Gesanges irgend ein mythologisches Beyspiel eingeflochten. Man würde irren, wenn man glaubte, die Dichterin sey hiedurch aus der Gedankensphäre des Zeitalters, in welches sie uns versetzen will, hinausgetreten. Die Bilder der alten Mythologie waren im Mittelalter niemals ganz vergessen, sie lebten in dem Sinn der damaligen Menschen nach ihrer allgemeinen Bedeutsamkeit, wenn sie sich gleich auf eigne Weise gestalteten: wie zum Beyspiel Ritter Ulrich von Lichtenstein sich die Göttin Venus zum Helmzimier gewählt hatte, aber vorgestellt als eine Königin im Purpurgewande, mit Krone, Szepter und Fackel. Ein Troubadour vergleicht den Mund seiner Geliebten, der ihn durch einen Kuß verwundet hatte, mit der Peleischen Lanze, welche allein die geschlagenen Wunden zu heilen vermochte; sich selbst, indem er sich in ihren Augen spiegelt, mit dem Narcissus. In einer Geschichte, wo der Sohn eines Mohrischen Königes in Spanien aus der Liebeskunst des weisen Meisters Ovidius Latein lernt, wo nachher ein wunderbarer mit der Geschichte des Paris und der Helena verzierter Becher vorkommt, waren mythologische Erwähnungen doppelt veranlaßt und gerechtfertigt. Auch stand nicht zu besorgen, daß solche kleine Episoden die Theilnahme unwillkommen stören möchten, denn sie steigt niemals bis zu einer schmerzlichen Spannung, weil man vom Anfange an der glücklichen Lösung entgegensieht.

In der Sprache hat die Dichterin einen leisen Anstrich von Alterthümlichkeit mit der heutigen Ausbildung glücklich gepaart; hierin, so wie in der Wahl des Sylbenmaaßes, in der Behandlung der Reime, der wechselnden Rhythmen und Einschnitte hat sie ungefähr dasselbe vor Augen gehabt, was ich bei der Ausarbeitung meines Tristan erstrebte. Ich würde vieles bewundernd zu bemerken, nur hier und da gegen einzelne Ausdrücke, gegen die Gliederung der Sätze und manche grammatische Freyheiten etwas zu erinnern finden, wenn ich das Amt eines Kunstbeurtheilers, und nicht das willkommenere eines Herausgebers übernommen hätte. Es steht mir nicht zu, dem Gefühle der Leser und Leserinnen vorzugreifen, denen ich nur geschichtlich die Verhältnisse der Dichtung habe darlegen oder ins Gedächtniß zurückrufen wollen. Die zarte Geschichte von zwey sittsamen Blumenkindern, wo Unschuld und Liebesglut als Lilie und Rose persönlich erscheinen, mit frischem und farbigem Schmuck ausgestattet, wird ohne Zweifel auch jetzt wie ehemals sich Wohlgefallen und Zuneigung erwerben.

Bonn im Junius 1822.

A. W. von Schlegel.

Erster Gesang

Zu einer Zeit, wenn Sommerluft bezwungen

Den Winter, wenn die Blumen neu entspringen,

Und Gras und Kräuter aus dem Boden drungen

Und tausend Vögel aus den Lüften singen;

Die Bäche lieblich hin durch Grün geschlungen

Im Laufe über Kiesel scherzend klingen;

Wann bald April nun weicht der Lust des Maien

Wo alle Wonnen lieblich sich erneuen;

Da prangt im vollen Grün ein schöner Garten,

Dort konnte man versammelt herrlich schauen

Was man von Sommerwonne mag erwarten,

Das Laub des Waldes, und den Schmuck der Auen,

Die Glanz noch Duft noch keine Farbe sparten,

Und eine Schaar von Rittern und von Frauen,

Die so von Schönheit, Lieblichkeit umfunkelt,

Daß sie den Glanz des Gartens fast verdunkelt.

Der Sommer grünete in voller Güte,

Die Nachtigall vor allen Vögeln sang,

Es färbte sich roth, weiß, blau jede Blüte,

Die aus dem Boden, aus den Zweigen sprang,

Da lebten recht von neuem im Gemüthe

Die Wünsche derer, die die Minne zwang.

Durch Blumenglanz und holder Frauen Scherzen

Traf Liebesweh die unbewehrten Herzen.

Von Stämmen großen, Zweigen vielen breiten

So standen Bäume in des Gartens Mitte,

Die süßen Duft und Schatten rings verbreiten,

Kein Sonnenstrahl, der scharf und feindlich schnitte,

Konnte den Schein durch ihre Wipfel leiten,

Dahin lenkt nun die holde Schaar die Tritte;

Der Ort war würdiglich die zu empfangen,

Die wie die Frühlingsblumen leuchtend prangen.

Hier schimmerte im mannigfachen Grün

Ein Oelbaum, sanft sich regend mit den Zweigen,

Ein Lorbeer dessen Wuchs und Rauschen kühn,

Und ein Cypressus will sich traurend neigen,

Im Sonnenlicht sieht man den Cedrus glühn,

Des Stamm sich müht zum Himmel aufzusteigen,

Die wählte man mit Pracht sie zu bekleiden,

Und man umhing sie mit thessal'scher Seiden.

Und zwischen diesen Bäumen sprang ein Bronnen,

Der hin sich wonniglich durch Blumen goß,

Nicht glaub' ich, daß noch größere Lust gewonnen

Mag werden, als die Schaar allhier genoß,

Wo Wasser, Bäume, Blumen, alle Wonnen,

Da wurden ihre Herzen sorgenlos,

Und nur die süße Sorge um die Minne

Beherrschte minniglich ihr aller Sinne.

Die Frau'n und Ritter saßen in dem Zelte

Und hörten an der süßen Vöglein Toben,

Was Herz und Auge, jeder Sinn sich wählte

Das fand er hier, und mußt es dankend loben,

Von Minne sprachen sie, die Leid vergelte,

So daß es oft zur Seeligkeit erhoben,

Wie öfter noch der zarten Minne Süße

Ein ewig sehnend Leid, mit Schmerzen büße.

An Tristan dachten sie, der seelig trunken

Sein Herz der blonden Königin ergeben,

Und wie Isalde süßes Gift getrunken,

Daß beid' in Sehnsucht Minne athmend leben.

Wie dann ihr Glück in Finsterniß versunken,

Des Helden Geist um Lieben mußt entschweben;

Isalde sterben an dem todten Herzen:

So klagten sie der Minne Leid und Schmerzen.

Wie wollt ihr doch die Minne wohl verklagen

Sprach eine Frau jetzt süß und minniglich;

Was wollt ihr uns von ihren Leiden sagen

Da nichts sich ihrer Seeligkeit verglich?

In Vögeln, Blumen, und in Sommertagen

Singt, duftet und bewegt die Liebe sich,

Die Seele fühlt mit wollustreichem Beben

Wie Klang und Duft das Herz zu fesseln streben.

Doch wer die Minne will darum vermeiden

Weil sie so oft uns schwere Arbeit giebt,

Verdienet nicht ihr Glück, und ihre Leiden,

Wer Leid nicht kennt, kennt Liebe nicht die liebt,

Und gern mag der vom Hof der Minne scheiden,

Der ihren Dienst mit halber Seele übt,

Nur wird sein freudenreiches Ziel erstreben

Wer ganz sein Herz in Liebe hat ergeben.

Ich will euch hier von holder Liebe sagen