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Mythos, Habgier, Niedergang Bilder, Bücher, Preziosen und Pokale sind Kunstschätze, die von Geschichte, Macht und Kultur erzählen. Auf diese Werte sind Städte stolz und präsentieren sie in ihren Museen der Öffentlichkeit. Doch gemeine Verbrecher gehen auf Raubzug, um dieses Allgemeingut in privaten Profit umzumünzen. So auch in Leipzig, Bürgerstadt und reiche Messemetropole. Jede der berühmten kommunalen Sammlungen wurde in der Vergangenheit von Dieben heimgesucht und auf spektakuläre Weise beraubt. Nachher waren Schrecken, Wut und Diskussionen groß. Über den Kunstraub hinaus geben diese Kriminalfälle ein getreues Abbild der Machtstrukturen und gesellschaftspolitischen Realitäten der Zeit und können damit als historische Gemälde verbrecherischer Art betrachtet werden.
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Seitenzahl: 254
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Henner Kotte
Flucht über die Todeszelle
und fünf weitere Raubfälle
Bild und Heimat
Von Henner Kotte liegen bei Bild und Heimat außerdem vor:
Blutige Felsen. Kriminalstories aus der Sächsischen Schweiz (2015)
Blutiges Erz. Kriminalgeschichten aus dem Erzgebirge (2016)
Raubsache Leipzig und vier weitere Verbrechen (Blutiger Osten, 2016)
Bonnie und Clyde vom Sachsenplatz und zwei weitere authentische Kriminalfälle aus Dresden (2016)
Leipziger Heimsuchung und vier weitere Verbrechen(Blutiger Osten, 2016)
Stiefel für den Tod und zwei weitere Verbrechen(Blutiger Osten, 2017)
Russentod in Frauenstein und sieben weitere authentische Kriminalfälle aus dem Erzgebirge(2017)
Ministermord unter der Augustusbrücke. Der Tod von Gustav Neuring in Dresden(2017)
eISBN 9783959587600
1. Auflage
© 2017 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin
Umschlaggestaltung: capa
Umschlagabbildung: Chris Keller / bobsairport
In Kooperation mit der SUPERillu
www.superillu-shop.de
Die Vielfalt unglaublicher Kunstdiebstähle
Das Loch lockt den Dieb herbei.
Sprichwort
22. August 1911: »Heute nachmittag nahmen die Diener des Louvre-Museums zu ihrer größten Bestürzung wahr, daß eines der berühmtesten Bilder der Sammlung, die Gioconda von Leonardo da Vinci (auch Mona Lisa genannt), verschwunden war. Von dem Bilde, das im Salon de Paris den Ehrenplatz eingenommen hatte, war nur der Rahmen zurückgeblieben. Der Polizeipräfekt, der hiervon verständigt wurde, ließ sofort die Galerieräume und das Louvre-Museums absperren. Man glaubte zuerst, daß einige Photographen, die die Bewilligung zur Reproduktion der Gioconda erhalten hatten, das Bild vielleicht in ihr Atelier geschafft hätten, doch stellte sich diese Annahme als Irrtum heraus. Man hält es kaum für möglich, daß ein wirklicher Diebstahl vorliegt, da es ausgeschlossen erscheint, dieses weltberühmte Bild zu Gelde machen zu können. Es heißt, auf der Polizei neige man zu der Ansicht, daß es sich um den schlechten Scherz eines Reporters handelt, der hierdurch nachweisen wolle, daß die Überwachung des Louvre-Museums, die schon oft gerügt wurde, in der Tat eine sehr mangelhafte sei. Die Nachforschungen nach der Gioconda des Leonardo da Vinci blieben erfolglos. Nach den Louvrebeamten dürfte sich der Dieb während der Reinigung des Saales eingeschlichen, das Bild während der Nacht aus dem Rahmen gehoben, die Einfassung teilweise zerstört und sich mit der zusammengeworfenen Leinwand entfernt haben.«
Die Meldung in der Leipziger Volkszeitung scheint auch heute unvorstellbar: Die Mona Lisa gestohlen! Und doch war der dreiste Kunstraub nicht zu leugnen, die Wand im Louvre, sie blieb leer zwei Jahre lang. Zunächst verdächtigte man Künstler, das wertvollste Gemälde der Welt gestohlen zu haben, um es ganz für sich zu besitzen: Pablo Picasso und Guillaume Apollinaire. Ein Irrtum, denn Anstreicher Vincenzo Peruggia, Hilfskraft für Malerarbeiten im Louvre, entwendete die Mona Lisa einfach, weil sich ihm die Gelegenheit dazu geboten hatte und weil er seinem Vaterlande dienen wollte. Nationalisten hatten lange schon gefordert, dass ein Meisterwerk von einem Italiener auch in dessen Heimatland gehöre: Italien! Peruggia lagerte Mona Lisa unter seinem Bett und bot, nachdem Aufregung und Schlagzeilen sich gelegt hatten, La Gioconda Florentiner Kunsthändlern an. Die unterzogen das ihnen angebotene Gemälde einer Echtheitsprüfung. Wahrlich: Sie war es! Nichts Schlimmes ahnend wurde der Dieb verhaftet und sein Raubgut an Frankreich zurückgegeben. Der Täter war geschockt: »Man sieht, sie haben nichts verstanden!«
Kein noch so guter Kriminalautor hätte sich diese Geschichte ausdenken können, die Realitäten übertreffen stets wieder jede Phantasie. Über schier unglaubliche Kunstdiebstähle berichtet die Presse seit Jahrhunderten immer wieder. Schlagzeilen letzter Jahre:
3. Juni 2002: »Unbemerkt von Tausenden Besuchern der Hamburger Kunsthalle ist es Dieben gelungen, eine Bronzestatue des Schweizer Malers, Zeichners und Bildhauers Alberto Giacometti gegen eine ungenaue Holzkopie auszutauschen.«
22. August 2004: »Edvard Munchs weltberühmtes Gemälde Der Schrei ist am Sonntag aus einem Museum in Oslo gestohlen worden. Vor den Augen der entsetzen Besucher entwendeten mehrere bewaffnete Männer das Kunstwerk.«
18. Juli 2013: »Letztes Jahr entwendeten Diebe in Rotterdam Werke von weltbekannten Künstlern wie Matisse, Monet und Picasso. Jetzt ist klar: Die Bilder wurden von den Tätern in Serbien verbrannt und sind damit auf ewig verloren.«
16. Juli 2014: »Ausgelassen haben zwei junge Männer den WM-Sieg der Deutschen gefeiert. Mit ordentlich Euphorie und Alkohol im Blut beschlossen sie, über ein Baugerüst ins Germanische Nationalmuseum einzubrechen und dieses Gemälde zu stehlen: Herr und Dame von Emil Nolde – Wert gut 900.000 Euro. Noch auf dem Museumsgelände wurden die zwei von der Polizei gestellt.«
16. April 2016: »Aus der Kunstsammlung der ehemaligen WestLB in Düsseldorf sind zwölf wertvolle Werke berühmter Künstler gestohlen worden. Unter anderem fehlten Lithografien der berühmten Stier-Serie von Pablo Picasso sowie ein Werk der Expressionistin Gabriele Münter, bestätigte ein Sprecher der WestLB-Nachfolgerin Portigon AG einen Pressebericht. Demnach hätten Mitarbeiter bereits um den Jahreswechsel 2014/15 bemerkt, dass der Tresorraum für Kunst zu ungewöhnlichen Zeiten geöffnet worden war. Eine Prüfung habe dann ergeben, dass Kunstobjekte fehlten.«
27. März 2017: »Spektakulärer Einbruch auf der Berliner Museumsinsel: Eine etwa 100 Kilogramm schwere und einen halben Meter breite Goldmünze mit dem geschätzten Wert von umgerechnet 4 Millionen Franken haben Einbrecher in der Nacht zum Montag unbemerkt aus dem Bode-Museum in Berlin gestohlen.«
Kriminalität der Gegenwart.
Doch ist Kunstdiebstahl kein Phänomen moderner Zeiten, er ist seit altersher belegt. »In der Antike war der Kunstraub noch stark von religiösen Motiven getrieben. Denn mit dem Raub der dem Kult geweihten Kunstdenkmäler wurde den Feinden auch der Schutz ihrer Götter entzogen. Als mit der Zeit Kunstwerke aus wertvolleren Materialien wie etwa Gold und Elfenbein angefertigt wurden, wurde auch Habgier zu einem grundlegenden Motiv für den Raub. Bereits in antiken Schriften ist Kunstraub bezeugt.
So berichtet Herodot vom persischen König Xerxes, der 479 v. Chr. mit seinem Heer in Athen einfiel und nach der Eroberung unter anderem die Statuen der sogenannten Tyrannenmörder, Harmodios und Aristogeiton, in die persische Hauptstadt Susa mitnahm. Dieses Monument, dessen ursprünglicher Aufstellungsort zwischen Agora und der Akropolis lag, war von den Bürgern Athens als Denkmal des Beginns der attischen Demokratie in Auftrag gegeben worden und diente der Repräsentation ihrer Kulturauffassung.
Der Raub der Statuen ist nur ein Beispiel dafür, dass bevorzugt symbolträchtige Kunst geraubt wurde, die im historischen Bewusstsein der Unterdrückten eine Rolle spielte. Die militärische Niederlage wurde somit zu einer kulturellen Demütigung ausgeweitet. Die Epoche der römischen Republik sowie die darauffolgende Kaiserzeit spielt im Zusammenhang mit Kunstraub eine wichtige Rolle. Verbunden mit der Intention des Siegerpreises, die hinter dem Raub eines Kunstwerkes stand, wurde dieser zunehmend als äußerliche Manifestation der Herrschaft angesehen. Die Inszenierung der Kunstwerke während der Triumphzüge der Feldherren und ihre öffentliche Zurschaustellung festigten die Erinnerungen an den Sieg. So zielte der Kunstraub auch auf eine moralische Erniedrigung des Feindes ab und sollte die absolute Überlegenheit demonstrieren. Dieser imperialistische Geist reicht bis in die Jetztzeit.«
Aus politischen Motiven raubt und verhökert man auch heute Kunst aus Kriegsgebieten. »27 Millionen Euro lukrierten die Terrormilizen des ›Islamischen Staates‹ (IS) allein nach ihren Raubzügen durch die antiken Stätten nahe der syrischen Stadt Al Nabuk. Den radikal-islamischen Kämpfern waren teils über 8000 Jahre alte Kunstschätze in die Hände gefallen – zu wertvoll, um die aus ihrer Sicht ›unislamischen‹ Darstellungen zu zerstören. Auf dem weltweiten, illegalen Kunstmarkt lassen sich mit den antiken Skulpturen, Steinen und Reliefs Vermögen verdienen.«
Der amerikanische Kriminologe John E. Conklin macht fünf Motive für heutigen Kunstdiebstahl aus:
Täter, die hoffen, gestohlene Kunst selber an Hehler oder durch Vermittlung veräußern zu können.
Täter oder Gruppen, die Kunstwerke auf Bestellung und für eine Provision stehlen.
Kunstdiebe, die die Kunstwerke gegen ein Lösegeld den Eigentümern zum Rückkauf anbieten (Artnapping).
Täter, die die Kunst für sich und ihre eigene Sammlung stehlen.
Eine (kleine) Gruppe, die Kunst stiehlt, um damit politische Ziele durchzusetzen.
Museen und Kirchen, Kunstliebhaber und Galerien versuchen mit allen möglichen Mitteln, ihre Kunstschätze zu sichern. Doch Täter finden stets die Lücken im überaus sicheren Sicherungssystem. Zum anderen kostet Schutz enorme Summen, die sich nicht jedes Haus, das Kunst beherbergt, leisten kann und will.
Auch die DDR besaß Kunst und Kunstschätze, sie warb für ihre Werte und Besucher. »Dresden, die traditionsreiche Großstadt mit einer dynamischen Industrie, zahlreichen Instituten und Hochschulen, reizvollen historischen Bauten und landschaftlichen Schönheiten, Wirkungsstätte namhafter Künstler und Gelehrter, entwickelte sich immer mehr zu einem Zentrum der lebendigen und dauerhaften Begegnung breiter Kreise mit der Kunst. Dresden, dieser ›heitere Morgenstern der Jugend‹, das der greise Gerhart Hauptmann entsetzt beklagte, als er die Stadt von der Elbhöhe aus im Feuersturm der Bomben versinken sah, begrüßt heute wieder Gäste aus aller Welt mit kostbaren Zeugnissen der Weltkultur, die nicht nur in der Gemäldegalerie, sondern auch in zahlreichen anderen Museen der sächsischen Metropole bewahrt werden; und die traditionsreichen Museen der Stadt am Strom bereichern das kulturelle Antlitz unseres Landes.«
Und nicht nur die Dresdner Museen waren Leuchttürme der DDR-Kultur, auch die Berliner Museumsinsel, die Galerie Moritzburg in Halle, Schloss Sanssouci, der Erfurter Dom oder die Kunsthalle Rostock präsentierten stolz Kunstwerke und -schätze. Außerdem bargen Stadtmuseen, Schlösser und weniger bekannte Gedenkstätten erstaunliches Kulturgut.
Zweifelsohne, es wurde auch in der DDR Kunst gestohlen, und die Diebe handelten zuweilen spektakulär und äußerst dreist. Die größten Kunstdiebstähle in der DDR sind bis heute im Gedächtnis der Nation, weil sie unaufgeklärt blieben, die Lücken an den Wänden und in den Vitrinen noch immer sichtbar sind.
20. September 1977: »40 Schmuckstücke verschwinden am hellerlichten Tag aus dem Stadtmuseum Dresden. Ein Mitarbeiter stellt während einer Führung fest, dass in einer Vitrine wertvolle Gegenstände fehlen. Preziosen, die in der Dresdner Sophienkirche bei Ausgrabungsarbeiten gefunden wurden. An der Vitrine sichert die Polizei zwölf Finger- und sieben Faserspuren. Über 700 Personen hatte die Kripo bereits zwölf Tage nach dem Diebstahl erfasst. Bis zu dem Tag, an dem das Verfahren eingestellt wurde, mussten sich fast 3500 Personen den Fragen der Ermittler stellen. Alle wurden verdächtigt, die an diesen Tagen im Museum waren: Besucher, Handwerker, Kunstsammler und alle Museumsmitarbeiter. ›Das war völlig absurd‹, erinnert sich die damalige stellvertretende Direktorin. Zehn Jahre nach dem Raub führt eine erste Spur zum Schatz. Im April 1986 taucht auf dem Münzsammler-Markt ein einzelnes Stück auf – die Klippe der sächsischen Kurfürstin Magdalena Sibylla, eine rechteckige goldene Münze. Diese Klippe kehrte Ende 1987 nach vielen diplomatischen Verhandlungen aus der Schweiz zurück in die DDR, der Rest der Beute bleibt verschollen. Erst weitere zwölf Jahre später wird der Fall noch einmal ins Laufen gebracht. Der Münchner Hubert Lanz gibt den entscheidenden Tipp: Ein renommierter Kunsthändler in Oslo wolle historischen Schmuck verkaufen. Könne das nicht der aus Dresden sein?« Er ist es. Zumindest Teile davon. Doch fehlen bis heute aus dem Schatz der Dresdner Sophienkirche noch 18 Stücke.
13. Dezember 1979: »Einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle der DDR und der deutschen Nachkriegsgeschichte ist auch nach 30 Jahren ungeklärt. In dieser Nacht stahl man in einer Nacht- und Nebelaktion und auf sehr mysteriöse Weise fünf Gemälde alter Meister aus Schloss Friedenstein in Gotha: Brustbild eines jungen Mannes von Frans Hals, Landstraße mit Bauernwagen und Kühen von Jan Brueghel dem Älteren, Selbstbildnis mit Sonnenblume von Anthonis van Dyck, Alter Mann von Jan Lievens sowie von Hans Holbein d. Ä. Heilige Katharina. Geblieben sind dem Museum nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Bilder. Der Raub ist rätselhaft. Es gibt bis heute nicht die kleinste Spur zu Tätern, Hintermännern und Verbleib der Kostbarkeiten. Der Wert wurde damals mit fünf Millionen DDR-Mark angegeben, heute schätzt man ihn auf mindestens 50 Millionen Euro. Fakt ist, dass die Täter bestens vorbereitet und informiert waren. Die neu eingebaute Alarmanlage sollte drei Tage später aktiviert werden. Mindestens ein Täter ist mit Steigeisen an der Westfassade des imposanten Barockschlosses über Dachrinne und Blitzableiter bis zum zweiten Obergeschoss geklettert und durch ein Fenster eingestiegen: Wahrscheinlich gegen zwei Uhr nachts. Die Klimaschreiber registrierten um diese Zeit einen Temperaturabfall. Die Dezembernacht war stockdunkel, stürmisch und regnerisch. Kaum ein Mensch war unterwegs. ›Und trotzdem war es ein hohes Risiko, zufällig entdeckt zu werden. Seltsam auch, dass Bilder aus mehreren Räumen gestohlen und mit ihren schweren Rahmen durch den Schlosspark abtransportiert wurden‹, erklären Museumsmitarbeiter. Alles spreche für einen Auftragsdiebstahl. ›Normalerweise klaut jemand in kurzer Zeit so viele Bilder wie möglich und schneidet sie aus dem Rahmen‹, meinen Fachleute. In Gotha seien jedoch gezielt vorrangig Niederländer ausgewählt worden – und warum wurden beispielsweise die kostbaren Bilder von Lucas Cranach hängengelassen?«
17. Mai 1980: »Die Altartafeln von Lucas Cranach d. Ä. in der Patronatskirche Klieken bei Coswig (Anhalt) wurden brutal aus ihren Angeln gerissen und geraubt. ›Die Spuren wiesen eigentlich auf sehr unprofessionell wirkende Täter hin‹, meinen die Ermittler und denken, die Täter schnell fassen zu können. Jedochverloren ihre Fährtenhunde irgendwo an der Autobahn die Spur. Die Suche auf den Wiesen der Umgebung in der Elbaue brachte ebenfalls kein Ergebnis. Was blieb, war die einzige Spur, die von den Kriminalisten auf dem Altartuch sichergestellt werden konnte. Es handelte sich um den Abdruck eines Sportschuhes aus DDR-Produktion der Größe 42.Trotz all der Spuren und Hinweise blieben die Kunstwerke verschollen, bis der Kunsthistoriker Prof. Johannes Erichsen sie 2006 durch Zufall (oder Fügung) im Schaufenster eines Antiquariats in Bamberg wiederentdeckte. 2009 konnten die Tafeln nach Sachsen-Anhalt und für einen Tag auch in die Kliekener Kirche zurückkehren. Vor der endgültigen Rückkehr mussten jedoch nicht nur die Bilder, sondern vor allem die Kirche saniert, gesichert und in einen angemessenen Zustand gebracht werden. 900.000 Euro haben die Maßnahmen gekostet, die nun abgeschlossen sind. Zahlreiche institutionelle Förderer und Einzelspender haben dies möglich gemacht.«
Bei den stattgefundenen Großraubzügen in Klieken, Dresden oder Gotha sind noch immer keine Täter überführt. Gerüchte über die Diebe und deren Hintermänner gibt es viele. »Mielke ließ Sophienschatz klauen! Alles am Diebstahl war mysteriös. Ein LKA-Ermittler: ›Es gab damals keine Fingerabdrücke, die Überwachungskamera war manipuliert und der Wachmann just an dem Tag zum Wehrkreiskommando nach Karl-Marx-Stadt bestellt.‹ 150 DDR-Kriminalisten verhörten 3200 Zeugen – und fanden nichts! Nach Monaten wurde die Akte geschlossen. Als das LKA 1999 Teile des Schatzes beim Osloer Münzhändler Gunnar Thesen beschlagnahmte, kam heraus: Er hatte sie aus Kopenhagen von Händler Arne Jacob Becker. Und jener Herr Becker war Mitarbeiter der Kunst- und Antiquitäten GmbH (K&A), die zum von der Stasi gelenkten Firmen-Geflecht Kommerzielle Koordinierung (KoKo) gehörte. 14 Tage vor seinem Tod verriet ein Insider, dass Stasi-Chef Mielke den Raub befohlen hatte. Der Schatz lagerte dann noch rund zwei Jahre in der DDR, bevor er an Becker ging.«
Auch im Falle Klieken weisen Mutmaßungen in diese Richtung: Raub in staatlichem Auftrag. »Ein Täter konnte nicht ermittelt werden. Weil der Fall aber so viel Staub aufgewirbelt hatte, übernahm ihn die Bezirksdirektion der Volkspolizei in Halle. Und, wie später aus den Akten ersichtlich, hatten auch die ›Kundschafter von der unsichtbaren Front‹ ihre Finger mit im Spiel, das Ministerium für Staatssicherheit riss die Ermittlungen an sich. Vielleicht deshalb, weil ins Visier der Ermittler auch Kliekener kamen, die Kontakte in den Westen hatten. In jedem Fall aber, so die Vermutungen, könnte das Diebesgut in Richtung Westen über die A9 weggebracht worden sein. Nach Meinung einiger Kliekener hätte der Diebstahl auch vom Staat selbst inszeniert worden sein können. Die Devisenbeschaffer der DDR hätten schon ganz andere Geschäfte abgewickelt. Warum nicht auch dieses? Der Fall wurde als ›brisant‹ angesehen. Alle Meldungen darüber gingen bis nach Berlin.«
Raub im Namen des Volkes, war das möglich, war das gewollt, gar sanktioniert? Die Antwort darauf eindeutig: Ja!
Die Volkskammer hatte am 3. Juli 1980 ein Gesetz zur »Erhaltung und Pflege des Kulturgutes in der Deutschen Demokratischen Republik« erlassen. »Kulturgut im Sinne dieses Gesetzes war alles für das gesellschaftliche Leben der DDR besonders bedeutungsvolle Gut von hohem historischem, wissenschaftlichem oder künstlerischem Wert, das nationale oder internationale Bedeutung erlangen konnte. Das zu schützende Kulturgut wurde erfaßt und registriert. Soweit das Kulturgut nicht zum Volkseigentum gehörte, bestand eine Anmeldepflicht des Eigentümers, Verfügungsberechtigten oder Besitzers für besonders wertvolle Einzelstücke sowie Sammlungen. Die Rechtsträger und Eigentümer und andere Verfügungsberechtigte sowie die Besitzer von Kulturgut hatten dieses vor Verlust, Beschädigung und Zerstörung, vor Gefährdungen durch Nutzung, Transport oder Lagerung zu schützen, es vor Beeinträchtigungen und Schaden durch äußere Einflüsse oder durch Zerfall zu bewahren und alle Maßnahmen zur Wiederherstellung der ursprünglichen Substanz und Wirkung unter Berücksichtigung seiner normalen altersbedingten Veränderungen zu treffen. Die Ausfuhr von Kulturgut bedurfte einer vorherigen staatlichen Genehmigung. Bei Versagung der Ausfuhrgenehmigung für Kulturgut, dessen Eigentümer oder Verfügungsberechtigter seinen Wohnsitz oder Sitz im Ausland hatte oder begründete, konnte das zuständige staatliche Organ einen Vertrag über Leihe, die Verwaltung oder den Kauf des Kulturgutes anstreben bzw. einen Kurator zur Verwaltung des Kulturgutes einsetzen, wenn ein solcher Vertrag nicht zustande kam. Zuwiderhandlungen gegen die Schutz- und Erhaltungspflichten und gegen die Genehmigungspflicht waren strafbar.«
Die Historiker: »Anders als es das Gesetz vom 3. Juli 1980 vermuten läßt, war es in der Praxis der ehemaligen DDR um den Kulturgutschutz schlecht bestellt. Es fand ein systematischer Ausverkauf von Kultur- und wissenschaftlichem Bibliotheksgut in das sogenannte nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet statt, um über die guten Kunden aus der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Italien oder der Schweiz die dringend benötigten Devisen zu erhalten. Von der flächendeckend organisierten Plünderung waren zwar nicht in erster Linie die hochrangigen Kulturgüter betroffen. Diese waren durch das Gesetz hinlänglich geschützt. Aber auch der nahezu vollständige Abfluß der vom Kulturgutschutzgesetz nicht erfaßten sogenannten kulturellen Gebrauchtwaren, wie Jugendstilkunst, Möbel und Hausrat deutscher Bauhausmeister, Porzellan, Bauernkunst oder Militaria wurden als Verlust für die ästhetische und geistige Kultur und als Verarmung der Lebensweise und des Alltags empfunden. Drahtzieher des staatlich organisierten Raubzugs auf das Kulturgut in der ehemaligen DDR war die Kunst und Antiquitäten GmbH (K&A), Internationale Gesellschaft für den Export und Import von Kunstgegenständen, einer von zwölf Außenhandelsbetrieben des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) unter Alexander Schalck-Golodkowski.«
Das Verschwinden von Kunst aus privater Hand und Museumsbeständen in dunkle Kanäle wurde vom aufmerksamen DDR-Bürger sehr wohl bemerkt. Gerüchte über den »Ausverkauf« des eignen Landes mehrten sich. Bei den tatsächlich stattgehabten Raubzüge nahm es nicht Wunder, wenn man die Täter in offiziellen Kreisen vermutete. Medial wurde selten über Kunstdiebstähle berichtet, und wenn die Fakten tatsächlich anders lagen, man Einzeltäter überführen konnte, wurden sie agitatorisch genutzt:
Im April 1973 konnte sich »ein Mann im Meißner Stadtmuseum in einer großen Kiepe verstecken und einschließen lassen, als die Besuchszeit zu Ende war. Der Schlüssel, das wusste er, wurde einfach in den Briefkasten geworfen. Er sammelte also in aller Ruhe Zinn, Porzellan, Münzen, Uhren, eine alte Bibel und ein Richtschwert ein, packte die Beute in die Kiepe, in der er sich verborgen hatte, holte sich den Schlüssel aus dem Briefkasten und trug alles nach Hause. Das Gestohlene verkaufte er recht billig an zwei Sammler, denen dieser Erwerb vier und zweieinhalb Jahre eintrug, während der Dieb zehn Jahre erhielt.
Neun Jahre sprachen die Richter dem Leiter des Staatlichen Kunsthandels in Magdeburg zu, weil er kunsthandwerkliche Arbeiten aus dem Kulturhistorischen Museum in den Westen gebracht und dort verkauft hatte. Das war eine besonders verwerfliche Tat, weil sich der Staatliche Kunsthandel der DDR das Privileg gesichert hatte, über die Kunst und Antiquitäten GmbH in Mühlenbeck bei Berlin Wertvolles gegen Westgeld zu verkaufen«, stets an den Gesetzen des Arbeiter-und-Bauern-Staates vorbei.
Aus unserer Werbung: »›Es gibt Dinge, die sind und bleiben wertvoll und schön: Antiquitäten. Sie gehören zu den schönsten Zeugnissen der Kultur vergangener Zeiten. Wir freuen uns, Ihnen erlesene Stücke zeigen zu können‹, heißt es in einem Prospekt der K&A. ›Wir übernehmen für Sie die Zollabfertigung und auf Wunsch auch den Transport bei uns gekaufter Stücke von Haus zu Haus‹, wurde außerdem angeboten. Entscheidend aber war der letzte Satz: ›Verkauf in frei konvertierbarer Währung.‹ Denn diese Kunstwerke und Antiquitäten, mochten sie auch zum ›kulturellen Erbe der DDR‹ gehören, wurden nur für ›Valuta‹ in den Westen exportiert.
Das war allerdings kein Spezifikum der DDR. Ähnliche staatliche Handelsorganisationen, die Kunst und Antiquitäten gegen Devisen verkauften, gab es auch in Polen und in der Tschechoslowakei. Allerdings hatte man in der DDR bald Probleme mit dem Nachschub devisenträchtiger Ware. Nach den Zerstörungen des Krieges, den Enteignungen der Besitzenden, der Bodenreform mit ihren umfangreichen Beschlagnahmungen und der Flucht eines wesentlichen Teils jener Schicht, die den Sinn und das Geld für Kunstsammlungen hatte, war das reguläre Angebot – besonders nach dem Mauerbau 1961, nach dem nur noch selten der Besitz ›Republikflüchtiger‹ konfisziert werden konnte – nicht sonderlich groß.
Aber Schalck-Golodkowskis Untergebene wussten einen Ausweg. Sie ließen ausspionieren, wer Wertvolles besaß, erkundeten, wer Antiquitäten, Porzellan, Münzen oder Ähnliches sammelte – und konstruierten eine Straftat. Gewöhnlich war das eine ›Steuerschuld‹, weil der Sammler Stücke verkauft hatte, wenn er bessere kaufen konnte. Das wurde als ›Handel‹, ungenehmigt natürlich und infolgedessen ›kriminell‹, gewertet. Gewöhnlich entsprach die daraus errechnete ›Steuerschuld‹ dann ziemlich genau dem Wert der Sammlung (den man natürlich nicht nach dem Marktpreis, sondern der Konfiskationsabsicht entsprechend festlegte). Also wurde alles beschlagnahmt und der K&A übergeben. Und der bisherige Eigentümer musste noch froh sein, wenn er nicht zusätzlich zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Auf diese Weise kamen auch die letzten privaten Antiquitätenhändler in der DDR um ihr Geschäft und um ihren Besitz. Und die K&A zu geschätzten jährlichen Einnahmen von 60 Millionen Mark.
Aber das allein reichte den Mannen von der KoKo noch nicht. Immer wieder gerieten ihnen die Museen ins Visier. Sehr genau werden solche Vorgänge in dem Abschlussbericht der Kommission zur Untersuchung von Kunstverkäufen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vom Juni 1990 dokumentiert. Solche Verkäufe begannen 1968, als Otto Dix den Leihvertrag für sein Triptychon Der Krieg kündigte. Um die für den Erwerb notwendigen 500.000 (West-)Mark aufzubringen, mussten, da die DDR-Regierung das Geld nicht bereitstellte, Depotbestände veräußert werden. Für die Dresdner Kunstsammlungen ein eher schlechtes Geschäft, weil ihnen nur ein Teil der Erlöse gutgeschrieben wurde. Aus der Galerie Neue Meister sind damals unter anderem Gemälde der beiden Brüder Achenbach, von Corinth, Dix, Kanoldt, Fritz von Uhde und Gotthard Kuehl verkauft worden.
1970 hat das Ministerium für Kultur die Museen erneut aufgefordert, ›ungenutzte Depotbestände aus der Schlossbergung durchzusehen‹. Mit diesem doppelten Euphemismus wurde umschrieben, dass es sich einerseits um Kunstwerke handelte, die bei den Enteignungen nach dem Krieg während der ›Bodenreform‹ und später requiriert wurden. Diese hatte man in Sachsen beispielsweise auf Schloss Moritzburg oder Albrechtsburg gehortet, ohne sie korrekt zu inventarisieren. Andererseits meinte das ›Durchsehen‹ die Auswahl von Stücken, die sich gegen Devisen verkaufen ließen.«
Aufgrund einer Regierungsverfügung »sollten 1973 in einer großangelegten Aktion nationale Museumsbestände auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft werden. Die K&A wurde gegründet, um diese Devisengeschäfte abzuwickeln. Die Aktion scheiterte an dem heftigen Widerstand der Museumsdirektoren der ehemaligen DDR. In der Folgezeit entwickelte sich K&A jedoch mit Rückendeckung der DDR-Regierung zum Monopolisten für den Handel mit Kulturgut im westlichen Ausland. Eine ministerielle Weisung vom 1. Januar 1974 garantierte ihr das alleinige Recht zum ›Export und Import von Antiquitäten, bildender und angewandter Kunst, Volkskunst sowie Gebrauchtwaren mit kulturellem Charakter‹. Nach einer Durchführungsbestimmung zum Kulturgutschutzgesetz durfte die Ausfuhr geschützten Kulturgutes genehmigt werden, wenn sie ›im Interesse der sozialistischen Gesellschaft‹ lag oder ›ihrem Anliegen, das nationale Kulturerbe zu wahren und den Bestand an allen national und international bedeutsamen Kulturguts zu sichern‹, nicht zuwider lief.«
In jenem Jahr 1973 »sollte allein Sachsen Kunstwerke für 15 Millionen Mark aussondern, von denen für zwölf Millionen Dresdner Beiträge erwartet wurden. Da solche Summen nur mit außergewöhnlichen, also museumsnotorischen Stücken zu erzielen sind, wurde die Absicht bald publik und entsprechend in der westlichen Presse kommentiert. Deshalb sah sich die DDR-Regierung gezwungen, die Aktion abzubrechen. Nicht zuletzt wohl auch, weil in der Bundesrepublik die Gründung einer Nationalstiftung erwogen wurde, um diese Kunstschätze Deutschland zu erhalten.
Damit war der Verkauf von Museumsbesitz jedoch nicht generell unmöglich geworden. 1983 unterzeichneten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit der Kunst und Antiquitäten GmbH eine ›Vereinbarung über die Verwertung von Gegenständen, die für den Export freigegeben sind‹, gemeint war ausschließlich der ›Export in das nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet‹. Wiederum sollten die Museen nur 30 Prozent davon in Westgeld, die restlichen 70 Prozent dagegen eins zu eins in Ostmark gutgeschrieben erhalten. 1987 wurde das Verhältnis sogar auf 25:75 Prozent reduziert. Trotzdem haben die Dresdner Galerien allein zwischen August 1988 und Juni 1989 668 Werke, vorwiegend Gemälde, an die K&A übergeben. Zuvor mussten die Restauratoren alle Hinweise bei den Bildern entfernen, die die Herkunft aus einem Museum in der DDR verraten hätten.« Und keineswegs abwegig schien somit, dass die Partei- und Staatsführung Kunstraub in Auftrag gab, und das Ministerium für Staatssicherheit diesen, um die geforderten Planziele an Valuta-Einnahmen zu erreichen, durchführte. »Gegenüber diesem großangelegten staatlichen Kunstdiebstahl, der die Substanz der Museen erheblich beeinträchtigte, sind die Diebe, so unehrenhaft und kriminell ihre Motive und ihre Handlungen auch waren, kleine Fische.«
Das Schicksal der geraubten Kunst zeigt künstlerische Wirkung bei Autoren in der DDR. So spielten Bilderraub und Kunstdiebstahl in sozialistischer Kriminalliteratur und -film eine erstaunlich häufige Rolle, wenn auch die Täter stets »die kleinen Fische« blieben, die den Sozialismus aus purem Egoismus schädigten.
»Ich komm’ gar nicht aus den Schuhen. Es ist ’ne richtige Seuche, was so alles aus den Kirchen und Museen geklaut wird. Das geht einem langsam über die Hutschnur!«, klagt der Kunstsachverständige Dr. Winter im »Polizeiruf 110«. Man findet in der kleinen Kirche Dresden-Leubnitz »Eine Madonna zuviel« (1973), denn am Standort steht die Fälschung, das Original, es ist weg. Der DDR-Bürger hatte keinen Zweifel: »Nach einer wahren Begebenheit gestaltet«.
Auch viele andere Krimis nahmen sich dieses Sujets an: Um an das ersehnt Klein-Häuschen zu gelangen, versucht ein Interessierter die Lücken in der Sammlung (1973) beim Immobilien-Verkäufer zu füllen. Das letzte Kabinettstück (1977) ist für einen pathologischen Philatelisten höchstes Glück, für das er über Leichen gehen würde. Museumsräuber (1976) haben es auf preislich hochgeschätzte Veduten des Giovanni Battista Piranesi abgesehen. Schritte im Regen (1969) führen zu einem Rembrandt-Bild und in den Antikhandel der DDR. Die spannende Schullektüre der Käuzchenkuhle konfrontierte junge Pioniere mit Tod, Kunstdiebstahl und faschistischer Vergangenheit. Das »Konzert für einen Außenseiter« (1974) war eine Originalpartitur Robert Schumanns, die aus dem Zwickauer Schumann-Haus entwendet wurde. Zinngeschirr lagerte im Gepäckfach 19 (1972). »Heiße Münzen« (1975) fanden sich bei einem selbstherrlichen Kunstverständigen wieder. Es gab die »Gefährliche Fahndung« (1978), die bei der Jagd nach Nazi-Raubkunst durch ganz Europa führte. Bei der Dame aus Genua (1969) begingen die Fälscher peinliche Kunstfehler, die sie überführten. Wie einem anderen Täter Das Kettenhemd (1987) zur Falle wird. Und manchmal verwiesen bereits die Titel auf den Kunstfrevel: Die falsche Madonna (1982), Die todbringende Madonna (1979) oder Die enthauptete Mona Lisa (1973).
Oft bezogen sich Autoren auf tatsächliches Geschehen. »Die Spur des 13. Apostels« (1983) führte zu ominösen Kunsthändlern ins westliche Deutschland, die per Auftrag stehlen ließen. Autor Wolfgang Held Blaupause zum Drehbuch war der ungeklärte Raub des Cranach-Altars in der Kliekener Kirche, was auch offiziell zum Film verbreitet wurde. Tom Wittgen scheint der Bilderraub zu Gotha Anregung gewesen zu sein. In der Stiftsdame (1985) sinniert der Leutnant der K Heinze: »Da hatte es also jemand eilig gehabt, drei Bilder zu entfernen, bevor elektrische Sicherungsanlagen das unmöglich machten. Seltsam auch, daß man nun noch die Kopie des Bildes gestohlen hatte, dessen Original schon 1945 verschwunden war. Mit Kunstdiebstählen hatte die Polizei so ihre Erfahrung. Manchmal waren die Täter Sammler. Sie stehlen, übermannt von ihrer Leidenschaft, und mußten den Gegenstand ihrer Verehrung verstecken, konnten ihn nur heimlich betrachten, wenn sie allein waren. Vielleicht gab es irgendwo in der Republik so einen krankhaften Liebhaber flämischer Meister. Die Ermittlungen liefen. Man würde ihn ausfindig machen. Übrigens verrieten sich die Leute früher oder später zumeist selbst, denn sie wollten Freunden und Gleichgesinnten die neuen Stücke ihrer Sammlung zeigen. Dagegen kam es kaum vor, daß man Kunstgegenstände stahl und innerhalb der DDR veräußerte. Solcher Handel wurde schnell ruchbar. Ein Geschäft lohnte sich nur mit dem Ausland. In den meisten Fällen wurde das Diebesgut in die BRD gebracht und von da aus weiter verhökert.« Die Parallelen sind offensichtlich. Doch sind die Motive in der Kriminalerzählung rein private: Der Täter stahl, weil er sich am Chef rächen wollte. Er war und blieb ein »kleiner Fisch«.
Politisch richtig auf Linie lag der Film Kunstraub (1980). Darin geben Täter aus dem Westen Aufträge, Kunstwerke zu entwenden. Die Schöpfer verkehren damit bewusst die wahren Abläufe der Raubzüge von A&K und KoKo und schieben Sozialismusfeinden die Schuld bis hin in die Steuerschuld zu. »Zu Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts verging kaum ein Tag, an dem nicht in Funk, Fernsehen und in der Presse über Kunstdiebstähle in Ost und West berichtet wurde. Oftmals verbergen sich hinter diesen Verbrechen reiche Auftraggeber, die ihre Handlanger auf ein Objekt ihrer Begierde ansetzen. Die Ausführenden sind vielfach keine Einzeltäter mehr, sondern organisierte Diebesbanden. Und wenn es um die ›Beschaffung‹ von wertvollen Kunstgegenständen aus der DDR oder anderen sozialistischen Ländern geht, mischen sogar Geheimdienste der BRD und der USA mit. Dieser Fernsehfilm des Leipziger Schriftstellers und Fernsehautors Herbert Schauer (1924–1988) greift vor dem Hintergrund eines Kunstraubs den Plan zu einem raffiniert eingefädelten subversiven Verbrechen der CIA auf, dessen Realisierung aber durch die Sicherheitsorgane der DDR verhindert werden kann. Zwei der in die Handlung involvierte Personen sind die Antiquitätenhändlerin Marianne Münzenberg (Marion van de Kamp) aus Baden-Württemberg (BRD) und der Museumsdirektor Franz Trützschler (Wolfgang Dehler) aus Thüringen. Beide hatten sich vor einiger Zeit in Zürich kennengelernt. Im Anschluss daran ergab sich zwischen ihnen eine äußerst ertragreiche Geschäftsverbindung. Eines Tages steht Marianne plötzlich vor dem erschrockenen Museumsdirektor aus der DDR. Sie bittet ihn um Hilfe, weil sie ins Visier der Steuerfahndung gerückt ist. Doch beide stecken wohl schon zu tief im Sumpf ihrer gierigen Aktivitäten.« Solche Fälle mag es gegeben haben, doch waren sie für den DDR-Kulturgutverlust nicht typisch.
In diesem Sinne auch untypisch Leipzig. Leipzig war und ist eine sehr stolze Stadt. Nie konnte sie von einem königlichen oder anders herrschenden Mäzen profitieren. Es waren ihre Bürger, die der Stadt Kulturgut und -schätze überließen, Kunstvereine gründeten und Museen schenkten. Sammlungen zeugen von diesem bürgerlichen Kunstverständnis. Doch – fast zwangsläufig – wurde auch hier geraubt und gestohlen. Manche dieser Fälle blieben ungeklärt und werden wohl ungeklärt bleiben. Einige schrieben Kriminalgeschichte. Drei aus den Jahren der DDR waren so spektakulär, dass sie es schon damals in die Einheitspresse schafften. Die Volkpolizei ermittelte – kaum verwunderlich – als Täter »kleine Fische«. Doch liefern diese wahren Leipziger Kunst- und Kriminalgeschichten mehr als Fakten und Beweise. Sie zeichnen ein getreues Bild von Kleinbürgers Sehnsucht und von seinem privatem Leben, von Zeitumständen und den gesellschaftlichen Verhältnissen im deutschen Arbeiter-und- Bauern-Staat.
Grassi Museum für Angewandte Kunst
Der einzige Weg für uns, groß zu werden, ist eine Nachahmung der Alten.
Johann Joachim Winckelmann
Leipzigs zukunftsorientierte Handwerksmeister sahen produktive Leerstellen und gründeten 1833 einen Verein, der sich die »Förderung einer umfassenden Ausbildung in Künsten und Gewerben, die Abhaltung von Versammlungen und Vorträgen, die Schaffung einer Bibliothek und die Einrichtung einer Gewerbelehranstalt« zum Ziele setzte. Doch »die politisch bewegte Zeit der nächsten Jahrzehnte hat die guten darin niedergelegten Absichten nicht zur Anwendung kommen lassen«. 1859 schlägt Albert von Zahn, Kustos des Städtischen Museums (für bildende Künste), vor, eine »permanente Ausstellung von Abbildungen oder Modellen mustergültiger Kunstgewerbserzeugnisse« zu etablieren. Denn die deutsche Handwerkskunst schnitt im internationalen Vergleich schlecht ab, ihre Erzeugnisse hatte die Jury der Londoner Weltausstellung mit dem Prädikat »billig und schlecht« bewertet. Hiesige Industrie ahmte nach, kopierte, besann sich nicht auf eigne Traditionen.