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Im Auftrag eines Gangsters soll Lozen eine Diebin namens Fog fangen. Denn sie hat ihm viel Geld geklaut. Aber Lozen ist nicht die Einzige, die hinter Fog her ist.
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Seitenzahl: 175
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Danke, Uta. Wie immer.
Kapitel 1.
Teil I Die Diebin
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Kapitel 11.
Kapitel 12.
Teil II Kelly Esposito
Kapitel 13.
Kapitel 14.
Kapitel 15.
Kapitel 16.
Kapitel 17.
Kapitel 18.
Kapitel 19.
Kapitel 20.
Kapitel 21.
Kapitel 22.
Kapitel 23.
Kapitel 24.
Kapitel 25.
Kapitel 26.
Kapitel 27.
Kapitel 28.
Kapitel 29.
Kapitel 30.
Kapitel 31.
Kapitel 32.
Kapitel 33.
Kapitel 34.
Kapitel 35.
Kapitel 36.
Kapitel 37.
Kapitel 38.
Kapitel 39.
Kapitel 40.
Kapitel 41.
Teil III Paul Guerra
Kapitel 42.
Kapitel 43.
Kapitel 44.
Kapitel 45.
Kapitel 46.
Kapitel 47.
Kapitel 48.
Kapitel 49.
Kapitel 50.
Kapitel 51.
Kapitel 52.
Kapitel 53.
Kapitel 54.
Personenregister in alphabetischer Reihenfolge
Der Heavy-Metal-Song lag in seinen letzten Zügen. Lozen löste die Boxbandagen von den Händen, zog die schwarze Cargohose über die glänzenden Muay-Thai-Shorts und den schwarzen Hoodie übers Tanktop. Die Schläfen waren rasiert und das lange schwarze Deckhaar mit blauen Strähnen trug sie gescheitelt zur linken Seite. Lozen begann, die Boxbandagen aufzurollen, und schaute sich dabei um. Eigentlich hatten ihr Freund Lionel und ihr Mitbewohner Johnnie To sich den Kampf anschauen wollen, aber sie konnte sie nirgendwo entdecken. Sie hatten nichts verpasst. Die Gegnerin an diesem Abend war enttäuschend schwach gewesen. Keine Technik, keine Kondition. Lozen fühlte sich nicht befriedigt. Das war das Problem bei den Butterflyfights. Manchmal hatte sie Kämpfe, die sie an ihre Grenzen führten, manchmal welche, die harmloser als Sparring im Gym waren.
Ein glatzköpfiger Kerl mit schweißglänzendem Gesicht und schwammigen Hüften kam zu ihr. Er zeigte stolz auf sein schwarzes T-Shirt, auf dem ein roter Schmetterling mit Reißzähnen und dem Schwanz eines Skorpions zu sehen war, der sie an ein Monster aus einem japanischen Kaiju-Film erinnerte.
„Neues Logo. Geil, oder?“, fragte er.
„Kann man das kaufen?“
„Du kriegst eines beim nächsten Mal.“
„Cool.“
„Dein Geld“, sagte er und drückte ihr zerknitterte Dollar-Scheine in die Hand. Es war nicht nur das Preisgeld, sondern auch das, was sie bei den Wetten gewonnen hatte. Ein Geschäft, das er nebenher illegal betrieb. Sie setzte stets auf sich selbst.
„Thanks, Gene.“
Gene Montclare war der Organisator der Butterfly-fights, bei denen Lozen sich etwas nebenbei verdiente. Zwischen April und Oktober fanden sie draußen in einem Oktagon am Potomac River, am Rande von Washington DC, statt. Im Winter verlegte Gene Montclare die Kämpfe in eine heruntergekommene Lagerhalle in der Nähe des Flusses. In der Mitte befand sich ein behelfsmäßiges Oktagon aus schwarzen Metallgittern, um das herum das Publikum stand. Scheinwerfer leuchteten den Raum aus und tauchten die Betonwände in stahlblaues Licht. In einer Ecke wurden aus einem Food-Truck Softdrinks, Bier und Burger verkauft. In der Halle war es immer sehr warm. Warum, wusste Lozen nicht.
Der Heavy-Metal-Song war zu Ende. Die Musikrichtung wechselte. Deine Bräune sieht nicht echt aus, beklagte ein Rapper.
„Ich will ab nächstem Jahr Bare-Knuckle-Fights machen. Wärst du dabei?“, fragte Gene Montclare.
„Yeah, warum nicht.“
Sie kämpfte, weil es ihr Spaß machte, sie fokussierte und verhinderte, dass sie zu viele Flaschen Weißwein leerte. Wie und gegen wen sie antrat, war ihr gleich. Ihr Freund Lionel nannten sie liebevoll „Kriegerin“.
Das fand sie auf der einen Seite platt, auf der anderen Seite gefiel es ihr. Ohne die Kämpfe würde sie durchdrehen. Sie brauchte den Adrenalinpush, die Herausforderung, sie hasst die Langeweile, die aufkam, wenn das Leben nicht mehr als Alltag anbot.
Was ihr an den Butterflyfights gefiel, war der Umstand, dass es kaum Regeln gab. Es war eine unabhängige Kampfreihe, die erst seit Kurzem legal war und live im Internet übertragen wurde. Sie gehörte zu keiner der etablierten Mixed-Martial-Arts-Organisationen wie Ultimates oder Guerreador. Die Kämpfer und Kämpferinnen trugen MMA-Handschuhe, mit denen sie greifen konnten. Außer Tiefschlägen war alles erlaubt. Es gab keine Runden. Gekämpft wurde, bis es vorbei war. Die Qualität der Teilnehmenden war unterschiedlich. Geschlechtertrennung gab es offiziell nicht. Doch Kämpfe zwischen Frauen und Kerlen waren selten.
„Und auf FanPlanet hast du immer noch keinen Bock?
Ich kann da was organisieren.“
„Sicher nicht.“
FanPlanet war ein stark wachsender Webdienst für bezahlten Content, der meist aus erotischen und pornografischen Inhalten bestand, den B- und C-Promis zu Werbezwecken nutzten.
„Deine Gegnerin von heute Abend macht mit.“
„Nackt vor einer Kamera ist sie bestimmt besser als im Ring.“
Zwei kräftige blonde Typen betraten das Oktagon.
Einer hatte ein Hakenkreuz auf den Rücken tätowiert. Lozen zeigte auf ihn.
„Du lässt solche Typen kämpfen?“
„Woher soll ich wissen, welche Tattoos Kämpfer tragen.“
„Hm.“
„Vielleicht bezieht er sich auf die Swastikas bei den Hopi und Navajos.“
„Ganz sicher. Er sieht aus wie der typische Völkerkundler.“
Lozen steckte die aufgerollten Bandagen in eine Seitentasche des Rucksacks. Ein Aufschrei des Publikums ließ sie zum Oktagon blicken. Der Hakenkreuzler saß auf seinem Gegner und schlug aufs Gesicht ein. Sie schüttelte den Kopf und zog ihre Springerstiefel an.
„Schneit es noch?“, fragte sie.
„Yeah.“
Washington DC ging im Schnee unter. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum Lionel und Johnnie To es nicht geschafft hatten.
Der Ringrichter, ein schwarzer Riese mit einem in zwei Zöpfe geteilten Vollbart, schob den Hakenkreuzler von seinem Gegner und erklärte ihn zum Sieger. Gene Montclare schlenderte zum Oktagon und schüttelte dem Gewinner die Hand. Lozen holte das Smartphone aus dem Rucksack. Zwei Nachrichten. Eine von Lionel, der schrieb, dass der Bus wegen des Schnees nicht gefahren war und sie deshalb zu Hause geblieben waren. Lozen antwortete mit dem GIF einer bitterlich weinenden Zeichentrickmaus. Die zweite Nachricht betraf ihren aktuellen Job. „Wir haben sie endlich. Gruß Jack“, lautete sie. Das war am Ende schneller gegangen als erwartet, dachte Lozen, die einen schwarzen Parka mit Kapuze über die Schultern warf. Sie ging zum Food-Truck, den zwei Afroamerikanerinnen betrieben. Die eine weinte.
„Was ist los?“, fragte Lozen, als sie an der Reihe war. „Gib Kirche und Anschlag ein“, sagte die, die nicht weinte.
„Okay.“
„Was kann ich für dich tun?“
„Ein Wasser.“
„Ist heiß hier drin, oder?“
„Yeah.“
Die Frau stellte die Flasche vor sie. Lozen zahlte bar und stellte sich an einen der Stehtische. Sie gab die Suchbegriffe auf LukOut ein, dem zurzeit angesagtesten Social-Media-Kanal. Das Ergebnis kam schnell. Ein Anschlag auf ein Gotteshaus in DC vor knapp einer Stunde. Sie kannte die Kirche. Sie gehörte zur African Methodist Episcopal Church. Ein ehemaliger Sklave hatte sie Ende des achtzehnten Jahrhunderts gegründet. Die AME-Gemeinden kämpften seit ihren Anfängen für Gleichstellung. Ein gläubiger Bekannter hatte Lozen mal mit dahingeschleppt, als sie fürchterlich bekifft gewesen war. Sie hatte es nicht so mit Göttern. Die akzeptierte sie nur in Superhelden- Comics und Filmen, und auch da mochte sie die sterblichen Metawesen lieber, wie Punch, die lesbische, indigene Superdetektivin.
Lozen startete das erste Video auf der Liste der Suchergebnisse. Es war ein Zusammenschnitt aus Handy-Videos, Überwachungskameras, TV-Berichten und begann mit Aufnahmen, die wohl die Kameras der Kirchenbetreiber gemacht hatten. Ein dicker, afroamerikanischer Pastor mit weißem Bart auf der Kanzel, hinter ihm ein Chor. Vor ihm saßen alte Kerle in dunklen Anzügen, eingerahmt vom Sternenbanner und einer rot-grün-schwarzen Flagge. Die Besucher bestanden überwiegend aus afroamerikanischen Gläubigen. Das Tempo des Videos veränderte sich. Wacklige, unscharfe Handy-Bilder. Ein junger Typ mit kurzem dunkelblonden Haar ging auf die Kanzel zu, hob eine Pistole und feuerte auf den Pastor. Ein schlechter Schütze. Er traf nicht. Der Schuss löste Panik aus. Der Chor ging in Deckung und die Gläubigen auf den Bänken warfen sich auf den Boden. Der Typ schoss erneut auf den Pastor. Der stand nach wie vor hinter der Kanzel. Schockstarre vermutlich. Frustriert, weil er sein eigentliches Ziel nicht traf, feuerte der Typ in die Sitzreihen neben sich, bis das Magazin leer war. Er blieb stehen, wechselte es ohne Eile und schoss wieder auf die Gläubigen. Eine Frau zerrte den Pastor von der Kanzel herunter. Der Typ bemerkte es und schoss. Diesmal traf er. Die Frau und den Pastor fielen zu Boden. Umschnitt. Eine Aufnahme aus einer TV-Nachrichtensendung. Eine weiße Frau erzählte, wie der Typ auf sie gezielt und gesagt habe, sie hätte an einem Ort wie diesem nichts zu suchen. Ein Button der kommenden US-Präsidentin Lucy Kettle steckte am Revers ihrer Jacke. Sie hatte die gerade zurückliegenden Wahlen knapp gewonnen und folgte auf ihren Ehemann, der die vergangenen acht Jahre im Weissen Haus gesessen hatte. Umschnitt auf verwackelte Handyaufnahmen. Der Typ verließ ruhigen Schrittes die Kirche. Umschnitt. TV-Bilder. Vor dem Gotteshaus standen Streifenwagen der Metro-Police. Polizisten richteten ihre Waffen auf den Typen. Er blieb stehen. Hinter den Ordnungshütern stand ein beeindruckender Weihnachtsbaum. Es waren drei Tage bis zum Fest. Der Typ warf die Waffe weg und verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Schwenk über die Schaulustigen vor der Kirche. Lozen fiel ein Glatzkopf mit tiefen Falten und grauem Vollbart auf. Der Typ aus der Kirche kniete sich hin und nahm die Hände hinter den Kopf und sagte etwas. Umschnitt. Die Reporterin einer TV-Nachrichtensendung. Sie erklärte, dass der Attentäter behauptet haben solle, dass er nur der Vorbote wäre. Umschnitt. Trauermusik. Bilder aus dem Inneren der Kirche. Offenbar Archivaufnahmen der Gemeinde. Es waren keine Menschen zu sehen. Die Bilder zeigten die zwei Gänge, die zur Kanzel führten, den purpurnen Teppich, die weißen Wände, die Kanzel, das darüber hängende Kreuz, die Orgel, die Ränge aus dunklem Holz. Seltsamer Schluss, dachte Lozen und blickte zur Bierverkäuferin. Die Frauen sahen sich an.
„Krass“, sagte sie.
„Yeah.“
Lozen nahm die Flasche und ging zum Oktagon. Der Ringrichter, der ebenfalls als Ringsprecher fungierte, stellte die nächsten Kämpfer vor. Zwei ältere Kerle. Einer mit Vollbart, der als „Kiewer Rus“ vorgestellt wurde, der andere, ein übergewichtiger Glatzkopf, der den Kampfnamen „Pitbull“ trug. Lozen nippte am Wasser. Die Kerle legten los. Verhalten. Vorsichtig. Es würde kein guter Kampf werden, urteilte Lozen. Sie sahen nicht aus, als hätten sie viel Ausdauer. Ein paar Meter entfernt sah sie ihre Gegnerin sitzen. Sie hatte eine Flasche Schnaps in der Hand und knutschte mit einem Typen. Lozens Smartphone piepte. Eine Video-Nachricht von Lionel und Johnnie To. Sie schienen schon einiges getrunken zu haben und gratulierten überschwänglich zum Sieg. Sie mussten den Live-Stream gesehen haben, dachte Lozen.
Der Kiewer Rus und Pitbull schlugen kraftlos aufeinander ein. Öder Fight, dachte Lozen, leerte das Wasser, ging zum Food-Truck, warf die Flasche in den Mülleimer, zog den Parka über und verließ die Halle. Die Schneeflocken waren groß und nass, der Himmel schwarz, die Luft kühl und feucht. Für Washington DC war es ein echt verrückter Winter. Lozen stapfte durch den Schnee, zur Straße, vorbei an einer anderen leerstehenden Lagerhalle. Als sie die Busstation erreichte, stand dort eine Gruppe Menschen, die aussahen, als wären sie bei den Butterflyfights gewesen.
Hoffentlich kommt einer, dachte Lozen. Nicht allzu weit, zwischen irgendwelchen Gebäuden, glänzte das Wasser des Potomac River. Eine Frau in weißer Kunststoffjacke mit Kunstfellkragen, weißer Hose und weißen Boots, die zu einem Bodybuilder-Typen gehörte, erkannte sie und gratulierte zum Sieg. Zu Lozens Erleichterung wurde der Small Talk durch den ankommenden Bus unterbrochen. Sie setzte sich abseits nach hinten. Sie nahm ihr Smartphone und rief ihren Freund an. Ein Video-Call.
„Hey, Kriegerin, guter Kampf“, sagte Lionel.
Er hatte lange schwarze Haare und einen Bartschatten.
„Ihr habt ihn euch im Internet angeschaut.“
„Natürlich.“
Er lallte leicht. Ein junger Typ mit asiatischen Gesichtszügen und Dreadlocks schob sich ins Bild. Es war ihr Mitbewohner Johnnie To.
„Eine schwache Gegnerin“, sagte er.
Auch seine Aussprache war nicht mehr ganz klar.
„Absolut.“
„Das ist das Problem bei den Butterflyfights. Zu große Qualitätsunterschiede“
„Yeah.“
„Aber auf FanPlanet macht sie eine gute Figur.“
„Seit wann interessierst du dich für nackte Frauen?“
„Seitdem ich dich kenne.“
„Fällt die Sünde der Männerlust endlich von dir ab?“
„Bald, Schwester, bald.“
„Wo bist du?“, fragte Lionel.
„Im Bus, auf dem Weg nach Hause.“
„Du hast mehr Glück als wir.“
„Ich muss umsteigen. Schauen wir, ob das Glück anhält.“
„Wir sind bestimmt noch wach, wenn du kommst.
Johnnie hat einen Film ausgegraben, in dem nur Indigene gegen einen Zombievirus immun sind.“
„Kenn ich. Lustig. Viel Spaß.“
Sie beendete den Videocall und schickte eine kurze Nachricht an ihren Auftraggeber: „Wie es aussieht, habe ich Fog gefunden. Mehr morgen.“
Sie steckte die Kopfhörer in die Ohren und startete einen Song. Britischer Hip-Hop. Cool. Relaxt. Was kann mir ein Lebender über den Tod sagen?, fragte der Rapper.
„Die Information ist zuverlässig?“, fragte Lozen.
„Hundertprozentig“, sagte der Kerl in Rollkragenpulli und Lederhose, mit modischer Kurzhaarfrisur, Dreitagebart, Lachfalten im Gesicht und tätowierten Armen.
„Die Adresse ist vier Blocks entfernt. Ein Hotel“, sagte der dicke Afroamerikaner, dessen grüner Trainingsanzug durch eine koreanische Serie beliebt geworden war. Die Lachfalte hieß Jack Cebulski, der Trainingsanzug wurde Chen genannt, weil er Mandarin sprach. Lozen wusste nicht, wie sie sie bezeichnen sollte. Sie waren Gestalten, denen sie vertraute, weil sie es in der Vergangenheit unter Beweis gestellt hatten. Was waren sie also? Freunde? Nein, weil sie ihr Geld mit Prostitution und Drogen verdienten und Lozen die Einstellung, die sie dafür brauchten, abscheulich fand. Komplize war ebenfalls nicht das richtige Wort, es klang zu konspirativ, zu sehr nach Geschwistern im Geiste.
Lozen hatte eine schwarze Bomberjacke mit silbernen Reißverschlüssen an, unter der ein Pistolenhalfter zu sehen war, dazu schwarze Jeans und schwarze Springerstiefel. Der Raum, in dem sie saßen, war das Büro des Duos, das zu einer Billardhalle gehörte, die sie auf einer Monitorwand sehen konnte und in der niemand spielte. Für sie war die Halle ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, die in ein Museum gehörte und sie an einen Schwarzweiß-Filmklassiker aus den 1960ern erinnerte, in dem es um ein Duell zwischen zwei Spielern ging.
Auf einem Monitor sah Lozen einen Koloss mit schwarzen Haaren und Männerdutt, der an der Theke saß und Kaffee trank. Er war Jack Cebulskis Bodyguard. Neben ihm lag ein riesiger weißer Hund. Das Tier gehörte zu Lozen und hieß Warchoi. Warchoi war in Star City, Lozens Lieblings-Science-Fiction-Serie, die von den Bewohnern einer riesigen Stadt erzählte, die durch den Weltraum schwebte, ein Rakken, ein gigantischer Wolfshund, der den einsamen Sternenkrieger Toburak begleitete. Warchoi mochte Jack Cebulski nicht und Jack Cebulski ging es mit dem den Rakken genauso. Deshalb lag das Tier vor der Theke.
Jack Cebulski saß hinter einem Schreibtisch aus Metall, auf dem ein kleiner Plastikweihnachtsbaum stand, Chen und sie saßen auf dem Ledersofa rechts neben dem Schreibtisch, hinter dem sich ein Fenster befand, vor dem eine Jalousie hing, durch deren aufgestellten Lamellen man sehen konnte, dass es draußen heftig schneite. Laut den Nachrichten war seit Beginn der Wetteraufzeichnungen noch nie so viel Schnee in Washington DC gefallen.
Jack Cebulski stand auf, ging zum roten Kühlschrank, dessen Design aus den 1950ern stammte, holte drei Flaschen Bier heraus, von denen er eine Lozen zuwarf. Dieses Zuwerfen von Flaschen und Dosen war eine Marotte von ihm. Ihr Smartphone gab Geräusche von sich. Sie schaute aufs Display. Es war eine Pushmail von NoW, einer liberalen Newsplattform.
Sie öffnete die Nachricht. Eine Developing Story. Das FBI hatte vor achtundvierzig Stunden auf rechtskonservativen Social-Media-Kanälen ungewöhnliche Aktivitäten registriert und vermutete, dass es eine unangemeldete Demonstration in Washington DC geben würde. Die schien loszugehen.
„Steht unser schönes DC bald in Flammen?“, fragte Jack Cebulski.
„Eine Auseinandersetzung am Flughafen mit einer Gruppe, die aus South Dakota eingeflogen ist.“
„Ich glaube nicht, dass viel passiert. Was sind schon ein paar Proto-Faschos am Flughafen.“
„Du bist ein Optimist. Der Spinner, der gestern in die AME-Kirche marschiert ist, vier Tote, dreiundzwanzig Verletzte, und er war allein. Viele sagen, das war der Auftakt“, sagte Chen.
„Es wird viel gesagt“, sagte Jack Cebulski. „Blogger behaupteten, dass der Anschlag in der Kirche eine inszenierte Operation unter falscher Flagge gewesen wäre, veranstaltet von Befürwortern der Waffenkontrolle, um die öffentliche Empörung zu schüren, und dass die Gläubigen in der Kirche bezahlte Krisendarsteller gewesen wären.“
„Die Welt dreht durch“, sagte Chen.
„Zurück zum Geschäft“, sagte Lozen.
„Gerne“, sagte Jack Cebulski.
„Wie viel kostet mich eure Info?“
„Es wird im Rahmen liegen. Wir suchen die geeignete Aufgabe.“
„Hm.“
„Hey, freu dich, dass in Zeiten der Inflation wenigstens unsere Preise stabil bleiben.“
„Jippie.“
Das war der Standarddeal. Sie taten ihr einen Gefallen und verlangten dafür statt Geld eine Gegenleistung.
Beim ersten Mal hatte sie Jack Cebulskis Stiefschwester befreit, die ein Konkurrent entführt hatte. Eine Aktion, die mit Toten und einem abgebrannten Haus endete. Die späteren Gefallen waren nicht weniger gewalttätig gewesen.
„Wie viel bringt es dir, wenn du sie ablieferst?“, fragte Chen.
„Zwanzigtausend.“
„Hat sie ihm so viel geklaut?“
„Yeah.“
„Muss ihn geärgert haben.“
„Hat es.“
„Sie soll gut sein.“
„Ich habe Videos gesehen. Sie ist es.“
„Gute Jagd, Lenya Watan“, sagte Jack Cebulski zu Lozen.
Lenya Watan war in Star City eine skrupellose Kopfgeldjägerin mit einem roten bionischen Auge. Lozen zeigte dem Zuhälter den Mittelfinger, zog die schwarze Hardshell-Jacke und die fingerlosen Handschuhe an und verließ mit dem Rakken die Billardhalle. Der Schnee fiel in dicken Flocken. Ein Auto und ein Metro-Bus schlichen die schlecht geräumte Straße entlang. Sie schloss die Jacke, setzte eine schwarze Seemannsmütze auf, steckte drahtlose Kopfhörer in die Ohren und startete einen Rock-Song. Es ist lange her, dass ich einen neuen Freund gefunden habe, erklärte der Sänger.
Die Billardhalle lag an einer zweispurigen Straße mit Häusern, von denen keines mehr als drei Stockwerke besaß, die meisten höchstens eines. Lozen schaute sich um: ein Nagelstudio, ein Laden für gebrauchte Elektronik, ein Diner, ein Deli mit dem komischen Namen „Rhim“, eine Filiale von MoreMarket, also eine Mischung aus Supermarkt und Kaufhaus mit niedrigen Preisen, die man allgemein als Supercenter bezeichnete, dazwischen leerstehende Geschäfte, vor deren Schaufenstern mit bunten Graffitis bemalte Holzplatten hingen. Rechts lag ein Gebäude aus beige-braunem Stein, in dem eine gemeinnützige Organisation saß, die Lozen kannte und deren Ziel es war, die Lebensqualität der Einwohner in einkommensschwachen und benachteiligten Familien in den Bezirken 7 und 8 des District of Columbia zu verbessern, und die beim Kontakt mit Behörden half. Da hatte sie geparkt.
Sie stapfte durch den tiefen Schnee des nicht geräumten Bürgersteigs, stieg mit Warchoi in den Wagen und fuhr im Schneckentempo Richtung Westen. Ihr Smartphone gab einen Ton von sich. Johnnie To hatte ein Foto geschickt, auf dem ihr Garten weihnachtsmäßig geschmückt mit Kugel und Lichterketten zu sehen war. Er und Lionel standen, im Gegensatz zu ihr, total auf den Santa-Claus-Kitsch. Sie schickte ein Daumenhoch-Emoji, weil sie keinen Stress haben wollte.
Sie erreichte einen rötlichen, vierstöckigen Bau, an dem ein Schild hing, das verriet, dass sich im Gebäude ein Hotel mit dem unoriginellen Namen DC Inn befand. Sie parkte gegenüber, stieg mit Warchoi aus, stapfte über die Straße, steckte die Kopfhörer weg, betrat das DC Inn durch eine Glasschiebetür, ging über einen hässlich gemusterten braun-roten Teppich, passierte einen geschmückten Tannenbaum, ignorierte die schlimme Weihnachtsmusik und den misstrauischen Blick der mittelalten Frau an der Rezeption, erreichte den Fahrstuhl, drückte auf den Knopf, wartete, bis der Fahrstuhl kam, stieg ein, als sich die Schiebetür öffnete, und fuhr in den zweiten Stock.
Als der Fahrstuhl stoppte, stieg sie aus und betrat einen zu hell beleuchteten Flur mit dem gleichen Teppich aus dem Empfangsbereich. Der Rakken knurrte.
„Ich finde es hier auch superhässlich, Warchoi“, sagte sie.
Chen und Jack Cebulski hatten ihr die Zimmernummer gegeben. Lozen suchte die 213, fand sie, zog die Glock 19, hielt die Waffe versteckt hinter dem Rücken und klopfte. Eine schlanke, groß gewachsene Frau mit halblangen schwarzen Haaren, die ihr seltsam bekannt vorkam, öffnete die Tür. Lozen wusste nicht, an wen die Gesuchte sie erinnerte. An KB Velasquez, die transgeschlechtliche Schauspielerin aus dem Star-City-Spin-Off Rebels of Ti`Rak? Vielleicht.
Lozen fand die Frau hübsch und schätzte sie auf Anfang dreißig. Sie war barfuß, trug eine schwarze Trainingshose, einen schwarzen Sport-BH und darüber eine offene schwarze Trainingsjacke ohne Firmenlogo, was Lozen sympathisch fand, weil sie Markenzeichen auf Klamotten nicht mochte. Wenn jemand Werbung durch die Welt schleppte, sollte die Trägerin dafür bezahlt werden, fand sie.
„Ja?“, fragte die Frau.
Lozen drückte ihr die Glock 19 in den gepiercten Bauchnabel.
„Drei Schritte zurück, auf den Bauch legen, die Hände auf den Rücken.“
Die Frau zögerte.
„Ich habe neunzehn Kugel im Magazin. Haben die in deinem Uterus Platz?“, fragte Lozen.
Die Frau ging drei Schritte zurück und legte sich hin.
Warchoi lief ins Zimmer und stellte sich neben sie.
„Du bist nicht das Gesetz“, sagte sie.
„Von welchem Gesetz sprichst du?“
„Hm.“
„Hände auf den Rücken.“
Die Frau folgte der Anweisung. Lozen betrat den Raum und schloss die Tür mit einem Fußtritt.
„Kopfgeldjägerin?“, fragte die Frau.
„Glaubst du, dass du was wert bist?“
„Komikerin?“
„Hobbymäßig.“
Lozen fesselte die Hände mit einem schwarzen Kabelbinder.
„Nicht bewegen“, sagte sie und ging zum Schrank, den sie öffnete und in dem ein Rollkoffer und ein Rucksack standen, die sie herausholte. Im Koffer fand sie Klamotten und einen Führerschein, einen Ausweis und einen Reisepass auf den Namen Kelly Sue Rios.