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Fragile Betrachtungen: Geschichten, Lieder, Poesie Ähnlich den Bewegungen des Meeres werden als Erlebnis gespeicherte Geschehnisse dem seelischen Gedächtnis leise geraubt, um dann nahezu unbemerkt zu verschwinden. Wie Wellen, Wogen oder auch die flächige Dünung immer wieder zurück in den Kreislauf des Ozeans sinken, werden Erinnerungen aktiviert, besungen, bebildert, umschreibend angeschaut. Behutsam zerstört können sie sich so aus der Umklammerung des Gedächtnisses herausschleichen. Um endlich sterben zu dürfen, können sie jetzt in den kosmischen Reigen aller Begebenheiten zurückfließen und wieder in das Universum aufgenommen werden. Unbemerkt wird sich nun in dieser neuen Gestalt das Erlebte verflüchtigen oder ganz auflösen und nicht einmal der Hauch einer Erinnerung wird bleiben.
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Seitenzahl: 99
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graublau
Himmelblau und Nachtigall
Fernsehen sehen
Die Schwarze Rose an der See
Stille Wasser
lied 1
lied 2
Die Drei
Ein Mädchen
Eine kleine Bildgeschichte aus dem Atelier
Nicolaus und das Mädchen
Odaliske Meliha
Mathematik & Iris-Blüte
graublau aus: Künstlerbuch Rubikon 2, 2019
[14,8 x 20,7 cm, Graphit Aquarell auf Aquarellpapier]
Ein kleiner Junge mit gelocktem, braunschwarzem Haar.
Klare, kindliche und zugleich tiefe Augen.
Das Schauen des Unverdorbenen.
Seine Bewegungen mühelos.
Noch von der Zuwendung Erwachsener abhängig.
Wie alle Kinder von reiner Seele.
Er sagt graublau.
Er spricht das Wort leicht, einfach, bedeutungslos.
Sanft sich wünschend,
dass irgendjemand ihn höre.
Der Junge berührt meine Seele.
Wie er das Wort in den Raum hinein trägt.
Verschiedene Ebenen berührend,
undefinierbare Dinge ertastend,
graublau, zärtlich suchend, beinahe flehend.
In kindlicher Regung geht er leise umher, graublau.
Der Knabe rührt mein Gemüt.
Pure Schönheit zwingt meine Zuwendung.
Hingabe an sein himmlisches Wort,
graublau, fein, unergründlich.
Warum hört ihn niemand?
Muss sein Wesen denn hingerichtet werden?
Graublau, milde wie das Wasser der stillen See
trägt der gelockte Junge seine Botschaft zu uns,
dass wir aufhorchen und endlich klug werden.
Mein Herz steht in Flammen.
Himmelblau und die Nachtigall
aus gleichnamigem Bilderbuch, 2019
[16 x 24 cm, Farbstift, Grafit, Schriftelemente auf Papier]
Es war einmal ein kleines Mädchen
mit Augen, blau wie der Himmel.
Es trägt ein luftiges Kleidchen
in den hellen Farben des Sommers.
Es hat lange Beine
und einen schlanken, schönen Körper.
Das Mädchen liebt es zu malen,
zu singen und besonders zu tanzen.
Und wenn es hüpft und sich dreht,
schimmert sein feines Haar,
dass man meint es wäre aus Gold.
Wegen all dieser Schönheiten erhält unser kleines Mädchen
bald den Namen Himmelblau.
Eines Tages besucht Himmelblau seine liebe Großmutter,
die immer allerschönste Überraschungen für sie hat.
Heute holt diese aus einer geheimen Kammer
einen goldenen Bauer, in dem ein Vogel auf einer Stange sitzt.
Die alte Frau dreht an einer schnarrenden Schraube,
der Vogel flattert ein wenig,
seine Kehle vibriert und entlässt perlende helle Töne.
Himmelblau ist gebannt von diesem Wunder.
Die Großmutter verrät ihr,
es sei eine Nachtigall.
Doch ganz plötzlich ist der schöne Gesang vorbei
und der Vogel bewegt sich nicht mehr.
Es ist nur eine Spieluhr.
Auf dem Heimweg muss Himmelblau lange
an die Nachtigall in dem goldenen Käfig denken
und bewegt den Zauber der Melodie
in ihrem Herzen.
Mit allen Dingen geht Himmelblau froh und behutsam um.
Sie ist gut zu Pflanzen, Tieren und Menschen.
So läuft das Leben des kleinen Mädchens
in geregelten kosmischen Bahnen.
Eines Tages aber geschieht ein Unglück,
als Himmelblau von einer Brücke stürzt,
die sie, wie ein Wirbelwind sich drehend,
tanzend überqueren wollte.
So landet sie in der Notaufnahme,
alle sind sehr besorgt um die Zukunft von Himmelblau.
Die Ärzte behandeln ihren verletzten kleinen Körper.
In der Dunkelheit der Nacht wird sie
auf einer Krankenliege auf den Heimweg gebracht.
Hier geschieht nun etwas Wunderbares:
Als sie über die Wiese zum Haus getragen wird,
vernimmt Himmelblau den feinen Klang einer Vogelstimme.
Sie erstarrt nahezu:
es ist die Melodie des Vogels,
die sie in ihrem Herzen trägt.
Und sie erkennt den lebensechten Gesang einer Nachtigall.
Kühlendes Quellwasser der hellen Töne
dringt in ihren verletzten Körper.
Himmelblau spürt, wie sich im Goldregen
der jetzt schmetternden Vogelstimme
ihre Glieder erwärmen, dehnen und strecken.
Sie springt von der Liege
und schaut hinauf zum Himmel.
Von einem Abendspaziergang zurück gekehrt entdecke ich im Entree des Hotels ein kleines Mädchen, wie es einen leicht glitzernden Fladen aus Knetmasse auf den Tisch vor der Gästecouch drückt. Die dicke rohe, für mich kniehohe Holzplatte bietet eine ideale etwa bauchhohe Spielebene für die Ausbreitung seiner Miniatur-Spielzeuge. Es haut und klopft mit den Händchen auf die etwa Spiegelei-große violett-graue Masse, sodass ich stehen bleibe und den Fortgang der Szenerie leise abwarte. Das Mädchen kümmert es nicht, dass ich ihm zuschaue. Bald ist es einverstanden mit der Ebene und stellt auf dem Tisch einige kleine Playmobil-Figuren in einer Reihe nebeneinander auf. Es handelt sich sichtlich um Familienmitglieder, was ich vorsichtig erfrage und es mir bestätigt wird. Nun nimmt das Kind eine Play-mobil-Figur, legt diese mit dessen Rücken auf die Knetfläche und drückt sie fest. Ich bin erstaunt, als die Kleine nun eine weitere Figur der Reihe ebenfalls auf dessen Rücken neben die erste legt und diese nun auch schön fest drückt. Danach folgt dasselbe mit den restlichen Figuren, was mich erheitert. Ich bin gespannt, da die kleine Künstlerin sehr genau weiß, was da in ihrer magischen Welt vor sich geht. Es wirkt auf mich wie ein geheimer Plan, der unbedingt ausgeführt werden muss. Eine kurze Pause nimmt mir fast den Atem. Stille tritt ein, als das Kind in seinen Figuren nach etwas sucht. Da entdeckt es eine Art Schild, das gezielt aufrecht stehend in den Rand der Knetmassen-Fläche gedrückt wird, sodass nun alle Figuren liegend mit schrägem Blick nach oben auf dieses Schild blicken. Das Mädchen ist wohl zufrieden und ich riskiere meine Frage: “Was hast du da gemacht?“ „Sie sehen Fernsehen“ war seine prompte charmante Antwort und ich lächle amüsiert.
Zu diesem allerliebsten Geschehen fällt mir folgendes ein: Das Mädchen ist die kleine Tochter der neuen Frau des Hotelbesitzers. Mit Frau und diesem Kind bezieht er eventuell, solange er sich im Hotel auf der Insel aufhält, ein Gästezimmer im Parterre. Die Mahlzeiten und alle Beschäftigungen außerhalb dieses Zimmers finden im Gästebereich statt. Da ich mir gut vorstellen kann, dass die drei abends eventuell Fernsehen, sehe ich sie in Ermangelung an Fernsehmöbeln nebeneinander rücklings auf dem großen Bett liegend. Auf dem, wie in allen Hotelzimmern dieses Hauses, in Bildhöhe an der Wand installierten Fernsehgerätes „sehen sie dann Fernsehen“, ganz wie die kleine Menschengruppe auf der Knetmasse.
Ebenso könnte es auch eine Szenerie des kleinen Mädchens mitsamt ihren Freundinnen sein, die sie Nachmittags trifft und mit denen sie „Fernsehen sieht“, da sie es zuhause eben gerade nicht darf.
Die famose frühkindliche Assoziation erinnert mich an unsere körperliche Starrheit beim Fernsehen, an die stumme Nullbeschäftigung der Fernsehzuschauer in ihren Sesseln, an die visuelle Fixierung auf den einschläfernden Schein der Realität.
Es war einmal eine Rose.
Sie wächst in einem wilden Garten hinter der See.
Ihre Krone trägt tausend schöne Blütenblätter. Ihr Stiel ist aufrecht und von kräftigem Wuchs. Zwei nadelspitze Dornen schützen sie vor Übergriffen. Lederne, grüne Blätter geben ihr Halt und stärken ihr Gleichgewicht.
Im Innern ihrer Krone tanzen feine Staubgefäße um einen klebrigen Stempel herum. Sie warten auf den Pelz der Hummeln und Bienen, um ihren Staub zu verschenken.
Der Stempel verharrt geduldig, um Blütenstaub anderer Rosen aufzunehmen. So läuft das Leben der Rose in geregelten kosmischen Bahnen.
Bei Mensch und Tier vernimmt unsere Rose immer ein stilles Lächeln, wenn sie in ihre Nähe kommen. Und die tausendblättrige Rose erblüht dann in Schönheit und Liebe.
Ihre vielen Schwestern aber sehen sie nicht an ... und treiben ihre Lebensspiele ohne sie. Sie besitzen alle Attribute genauso wie unsere Rose: Stempel und Dorn, Blätter und Staubgefäße, sowie einige kleine und große Blütenblätter. Und, wie wir sie kennen, die Farben ihrer Kronen: Purpur, Gelb, Rosa, Rot, Violett, Orange, Weiss.
Die Farbe unserer Rose aber ist anders – ganz anders! Die tausend Blütenblätter ihrer Krone sind schwarz. Schwarz wie die Nacht, schwarz wie das seidige Fell des Katers, schwarz wie das Kleid aus Samt, schwarz wie das dichte Haar des jungen Mädchens, schwarz wie der Zauberstab, schwarz wie die stille Holzkohle, schwarz wie der kristallene Turmalin, schwarz wie das wilde Pferd, schwarz wie die Tiefe der Mutter Erde, schwarz wie das Wunder des Todes.
Unsere Rose wird sehr traurig ob der ungewöhnlichen Färbung ihrer Blütenblätter und dass Gespielinnen für sie ein Traum bleiben müssen.
Aber das Lächeln aller Wesen in ihrer Nähe erfüllt sie mit großer Freude. In aller Stille bewahrt sie ihr Geheimnis und verharrte in seinem Reichtum.
Eines Tages umschwirrt sie eine sanfte Brise. Die schwarze Rose erzittert und lockert ihre Krone. Der leise Wind umtanzt sie und fordert sie auf, ihre tausend Blätter zu öffnen. Jetzt zerstäubt ein stürmischer Seewind ihre vielen Blütenblätter und trägt sie davon.
Jedes einzelne schwarze Rosenblatt erhält seine eigene Bestimmung. Tausend Geschichten der Liebe im endlosen Raum von Mensch und Tier finden nun statt.
Wenn du Glück hast, erhältst du heute ein kleines oder ein großes Blütenblatt der schwarzen Rose, die nur einmal in tausend Jahren blüht.
In der Stube am Berggasthof.
Der Sohn spielt selbstbestimmte Töne auf dem Akkordeon. Besucher treten ein, setzen sich, reden irgendetwas, die Mutter will, dass er leiser spielt, ich sage bitte nicht leiser, die Mutter lacht.
Er beendet seine Weise und spielt jetzt Marschmusik.
Ein Gast summt mit, klatscht und fragt, ob er Unterricht nähme und wie oft dieses. Der stattliche Bauernjunge antwortet brav.
Die Sanftheit seiner ersten Melodie zieht sich zurück.
Und wieder brummt der Besucher zur Musik. Schade, sehr schade, ich zögere. Unerträglich, soll ich gehen? Nun fragt der Gast den Musiker, was er denn eben gespielt hätte.
Wieder antwortet dieser gehorsam.
Und dann urplötzlich:
Er atmet tief, legt los und spielt Stille Wasser, eine Melodie, die uns tief berührt.
Der Mann kann das Lied vom Taurachtal nicht mitsingen.
Mein Herz geht auf. Welches Glück.
Dieses Mal klatscht er nicht. Ich schaue mich um, unsere Blicke treffen sich leise, ich lächle, flüstere sehr schön, und er nickt sanft wissend. Die Wahrhaftigkeit von Liebe und Schönheit kennt kein Alter.
Nun hört er auf zu spielen, verschwindet in der Küche, kommt zurück und serviert dem Gast sein bestelltes Bier.
was berührt nur dieses kind
farben schillern im wind
wörter springen hin und her
vielleicht ist es für mich zu schwer
eichen buchen fichten
ermuntern mich zu dichten
frösche mücken schmetterlinge
lauern dass es mir gelinge
freche fische lachen schon
genauso auch der rote mohn
er biegt sich gern vor lachen
über dumme sachen
ein fliegenpilz wird böse
beschimpft mich mit getöse
wie können wir vermissen
was dieses kind versäumt
wie können wir nicht wissen
was unser kind erträumt
was quält mich nur
was weiß ich nicht
ist es die uhr
ist es das licht
ich will doch einfach singen
ein lied für es allein
ein ständchen ihm erbringen
aus buchstaben ganz fein
nun ist es nicht gelungen
und ist doch ganz schön lang
fürs kind hab ich gerungen
mit diesem fangesang
morgen wird ein festtag sein
sei mutig trage deinen schein
natürlich darfst du träumen
farben schillern im wind
kannst liegen unter bäumen
sei glücklich schönes kind
blumen tiere groß und klein
werden deine freunde sein
was durchzieht nur dieses kind
scharfer eisiger wind
farben schillern kühl
ohne mitgefühl
schlimme worte
kalter hohn
dunkle orte
sturz vom thron
ein kind zertritt die liebe
verteilt nur blinde hiebe
tödliches gift
gezielter pfeil
ins herz jetzt trifft
geschwärzter keil
die eltern blicken stumm
das kind weiß nicht warum
verloren in der wogenwand
gefallen aus dem liebesland
farben schillern kühl
grauenvolles spiel
Am Straßenrand auf einem Stuhl, ein Freund aus alten Zeiten. Müde und traurig sein stummer Blick. Auf dem Gehweg bewegungslos verharrend. Wie die Haltung ist auch seine Kleidung, bedeutungslos. Graugrüne Farblosigkeit ohne Kontrast. Stumme Hoffnungslosigkeit, scheinbar ohne jede Vorstellung von einem Leben in Zuversicht. Er ist nicht alt, ein Mann der mittleren Jahre. Gestus und Habitus in sprachloser Ruhe.
Auf der anderen Straßenseite ein reifer, eleganter Mann. Er trägt ein schönes Kind auf seinen Armen. Da erblickt er seinen alten Freund. Der schaut ein wenig auf, als er die beiden sieht. Es ergreift die drei eine Stille, die durch keinerlei Worte gebrochen werden will.