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Fototagebuch - ab 23. Juni 2005 Gedanken zur Fotografie In der Zeit von 2005 - 2018 entsteht ein Fototagebuch. In kleineren und großen zeitlichen Abständen äußere ich Gedanken zur Fotografie, zu Video und Film - Überlegungen, Einfälle, Funken, Beobachtungen, Intuitionen, Abgelagertes - vor allem bezüglich der eigenen künstlerischen Produktion. Immer wieder, gegen Ende dieser langen Zeitspanne verstärkt, wollen allgemeine Gedanken zu Wert und Grenzen von Fotografie und Film ans Licht. Mich beschäftigt seit jeher die Flamme meiner Passion für diese Lichtbildkünste und das stets damit einhergehende Empfinden für die diesen Medien innewohnende Gefahr. Die Wertigkeit von Faszination und möglicher Gefährdung der Seele birgt eine Beunruhigung meines Geistes in sich, die mich bis heute nicht loslässt.
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Seitenzahl: 74
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Vorwort
23. Juni 05
15. Juli 2005
Ps. zum 23. Juni/14. 9. 05
31. 10. 05
15. 2. 2006
22. 2. 06
Später am selbigen Tage:
Mi. 8. 3. 06
28. Juni 2006
28. Februar 2007
10. Mai 2007
Barcelona Okt. 2007
30. 1. 08
30. 8 . 08
29. 12. 08
11. 7. 09
Sa. 22. 8. 09 12: 47
30. 1. 2010
7. 7. 2018
12. Juli 2018
10/ 8/ 18
12/ 8
19. Juli 2019
17. November 2022
In der Zeit von 2005 - 2018 entsteht ein Fototagebuch. In kleineren und großen zeitlichen Abständen äußere ich Gedanken zur Fotografie, zu Video und Film – Überlegungen, Einfälle, Funken, Beobachtungen, Intuitionen, Abgelagertes – vor allem bezüglich der eigenen künstlerischen Produktion.
Immer wieder, gegen Ende dieser langen Zeitspanne verstärkt, wollen allgemeine Gedanken zu Wert und Grenzen von Fotografie und Film ans Licht. Mich beschäftigt seit jeher die Flamme meiner Passion für diese Lichtbildkünste und das stets damit einhergehende Empfinden für die diesen Medien innewohnende Gefahr. Die Wertigkeit von Faszination und möglicher Gefährdung der Seele birgt eine Beunruhigung meines Geistes in sich, die mich bis heute nicht loslässt.
In der Ontologie des fotografischen Bildes schreibt André Bazin über das unbezähmbare Verlangen, die Zeit zu bannen. Allein das Objektiv gibt uns ein Bild von dem Objekt, das imstande ist, in unserem Unterbewußtsein die Sehnsucht nach mehr als nur einer annähernden Abbildung des Objektes zu befriedigen: nach dem Objekt selbst, ohne dessen zeitliche Begrenzungen […] das Bild ist das Modell. Bazin schreibt in diesem Zusammenhang vom Charme der Familienalben mit ihren Porträts als phantomhafte Schatten der aufregenden Gegenwart des in seinem Ablauf angehaltenen Lebens, von ihrem Schicksal befreit. Er spricht von der Einbalsamierung der Zeit, die sie vor ihrem eigenen Verfall schütze […] Unter dieser Perspektive erschien der Film wie die Vollendung der fotografischen Objektivität in der Zeit […] Zum ersten Mal ist das Bild der Dinge auch das ihrer Dauer, eine sich bewegende Mumie [nach: André Bazin, Was ist Kino, Du Mont 1975, Ontologie des fotografischen Bildes].
Bei meiner Achtung, Faszination und Bewunderung für das Gedankengut André Bazin‘s verwende ich es jetzt hier als Sprungbrett für den weiteren Gedankenfluss meines Vorworts. Warum machte ich immer wieder derartige zeitliche Sprünge in meinen Aufzeichnungen? Vielleicht, da zu Foto und Film längst das allerbeste, klügste, sensibelste, intelligenteste, verwegenste erkundet und gesagt worden ist? Oder ging es mir dabei um etwas anderes?
Meine Begeisterung in Hingabe für etliche Vertreter des Mediums Foto und Film bezüglich ihrer Werke steht außer Frage. Ich spüre und reflektiere darüber hinaus Grenzen und mögliche Gefahren. Ich bezweifle, dass Fotografie und Film die Zeit vor ihrem Verfall schützen können. Oder deutlicher gesagt vermute ich eine Gefahr in dieser Beobachtung: Eben wenn ich sehe, wie wir anhand der geliebten Fotografien die Vergangenheit oft blind besingen und in dieser Huldigung zugleich Leid entsteht.
Die Zukunft ist jetzt, sagt Krishnamurti. Fotografie und Film binden uns an die Zeit, besonders in ihren Mumien, und unterstützen unsere Sehnsucht nach der Unvergänglichkeit. Die Einsichten des 20. Jahrhunderts aus Physik und Spiritualität halten den Reflexionen über das Wesen des Films einen Spiegel vor. Selbst in den sensitiven Gedanken hoher Intelligenz, die ich hier sehr verkürzt erwähne, spielt das Ego sein teuflisches Spiel. Was geschieht bei der ersehnten Bewahrung des Schicksals, der Befreiung des Lebendigen durch Mumifizierung im fotografischen Bild? Entspricht nicht der Sucht des Menschen nach Dauer die Angst vor dem Tod? Hier in etwa sehe ich die Gefahr für die Sucht nach dem fotografischen Abbild.
Diese Sehweise hat dazu geführt, dass meine Einträge ins Fototagebuch sich zunehmend verringerten. Auf meinem Blog, seit 2018, habe ich – da mich das Thema Foto weiterhin nicht losließ – zwei längere Betrachtungen verfasst. Faszination und Gefahr wurden von mir beobachtet, besungen, erlitten, erörtert, reflektiert. Diese beiden intensiven Texte von 2019 und 2022 habe ich dem Tagebuch mit seinen eher spontanen Kurzeinträgen am Ende angehängt. Sie geben neben ihrer inhaltlichen Bedeutung zugleich Aufschluss über die zeitlich stark springenden und in Zahl und Umfang abnehmenden Einträge.
Am Ende meines Vorworts ein Statement für meine Liebe zur Fotografie, die trotz ihres diversen mich erschreckenden Missbrauchs in der aktuellen Zeit nicht zu erschüttern ist: Ich sehe eine einfache Postkarte mit einer Fotografie auf meinem Schreibtisch: Sarah Bernhardt. 1859 hat Félix Tournachon dit Nadar (1820-1910) dieses wunderbare Kunstwerk geschaffen. Diese Fotografie ist keine Mumie und die Zeit wird auf ihr nicht einbalsamiert. Dieses Lichtbild von S.B. weist weit über sich und ihren Körper hinaus. Es hat uns etwas zu zeigen […] etwas Schönes und Reines und von unendlichem Wert, voller Glück und Hoffnung. Unter all unseren Vorstellungen liegt sein wirklicher Sinn und Zweck verborgen, der Sinn und Zweck, den es mit dem gesamten Universum teilt (Ein Kurs in Wundern, Üb. L. 28).
Weist eine Fotografie über sich hinaus, offenbart sie Sinn und Zweck unseres materiellen Daseins und es wird in ihr der Himmel sichtbar. Vergleichbar mit den Werken anderer Künste, wertvoll und voller Geheimnisse, wirkt sie jenseits jeden Urteils.
Sigrid Crasemann, im Juli 2023
Heute entsteht eine neue Idee: Titel: Die Philosophie meiner Wohnung – Solange schon fotografiere ich meine Wohnung, mich in ihr, meine Alltagsinstallationen und vergessene philosophische Ansichten des Alltäglichen in ihr. Diese gesammelten Fotografien und die neu entstehenden; etwas gestalten, ihnen eine Form geben, damit sie vermittelbar werden: evtl. Collage, Foto + Malerei, kleine Malerbücher mit zusätzlicher Schrift, auch große Arbeiten auf Papier würden sich eignen. Ein Gedanke, der das angestrebte Leichte ein wenig zeigen kann, den Jetzt-Gedanken, der schon in meinen letzten 3 Malerbüchern (Now, the power of now und Eben Jetzt), sowie in den Blattsammlungen the golden square und a golden square for … angestrebt wurde.
Die Idee der Philosophie meiner Wohnung ist wohl eine Art Selbstbildnis, eine Achtung des Bedürfnisses All-ein(s) zu sein, eine Einsicht in die Notwendigkeit, All-ein(s) zu sein, eine Erlaubnis, das All-ein(s)-Sein zu genießen, zu durchwandern, zu durchleiden, um aus dieser Kraft zum Sein in der Welt zu schöpfen. Es zeigt sich hierin die Tendenz des Ichs zum Selbst, bei der es auf die Einsicht in jede Ichhaftigkeit hin zur Auflösung des Ich im Selbst hinauslaufen wird. Diese Tendenz geht alle an, da es die einzige Chance ist, Leid zu mindern. So gesehen könnten die Bilder auf Interesse stoßen.
s. auch 14. 9.
Die letzte Notiz vom 23. Juni klingt so, als könne man das All-ein(s)-Sein nur allein, also ohne andere Menschen, üben und erleben. Das stimmt natürlich keineswegs. Nur: kann ich nicht allein – ohne Menschen – sein, kann ich erst recht schlecht mit Menschen sein, da sie mir dann nur dazu dienen, meine Mängel auszugleichen. So gesehen ist das allein Sein die Voraussetzung für das angestrebte Alleinsein, das All-Eins-Sein.
Meine kleine neue Digitalkamera und die neue Internet- und Computerwelt in meiner Wohnung entwickeln sich zu einem Bestand, der mir bei der oben skizzierten Idee Pate stehen wird. Ich werde fotografieren, verwerfen, drucken, erneuern, etc., alles in meinen vier Wänden. Das gefällt mir sehr und grenzt an Malerei. Eine weitere Idee zur Fotografie ist, alte Fotos in neue Konzepte zu integrieren. Begonnen habe ich schon mit der Mappe, Oh Leonardo vom 9/ 04. So wird Vergangenes nicht verworfen oder gar vernichtet, sondern als Asche verarbeitet, gleichsam verbrannt und im Neuen aufgenommen.
Mir fällt eine Form ein: dünne große Aquarell – oder gar Japanblätter – werden farbdurchtränkt – allgemein schön – selbstisch – advaitisch – alles ist drin, jede Form/jede Farbe (evtl. à la Graubners Kissen), und mittendrin ein kleines Foto aus der Vergangenheit – sie sind ja alle aus der Vergangenheit, auch die von jetzt – sodass sie im Meer des Selbst verbrennen können.
So werde ich meine Geschichte tilgen. Ich wende die Philosophie der Nichtdualität an, um meine Vergangenheit zu verbrennen – Es wird ein großer Blätterhaufen – und die Frage der Aufbewahrung von Fotos ist gelöst. Sie kommen dann in eine Kiste, die freundlich zur Seite gestellt werden kann, zur Not auch im ganzen verbrannt oder vergraben – oder zur Nachahmung auffordert. Bannen, die eigene Geschichte verbrennen, um ins Jetzt einzutauchen, frei, los von der Vergangenheit. Ich kann und will die Fotos nicht vernichten, da sie mich an diese Stelle der Zeit und der Geschichte gebracht haben – aber: sie sollen mir als kleine Mumien dienen, um meine persönliche Geschichte zu tilgen, zu verbrennen, aufzulösen, um sie dann zu vergessen.